Romana Gold Band 70

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SAPHIRE FÜR DIE BRAUT DES SCHEICHS von SABRINA PHILIPS
Kaliq Al-Zahir engagiert Topmodel Tamara Weston, um die Saphire seines Wüstenreichs zu tragen – eine Ehre, die normalerweise nur der Braut des Prinzen zuteilwird. Aber sosehr sie auch auf mehr hofft, Kaliq bietet ihr nur einen Modelvertrag an. Von Liebe spricht er nicht …

AMRAH – REICH DES WÜSTENPRINZEN von NATASHA OAKLEY
In seinem Reich eine Doku über ihre Ururgroßmutter drehen dürfen: Das ist alles, was Polly von Scheich Rashid will. Bis sie in die blauen Augen des Herrschers von Amrah blickt … Schon wird die hübsche Filmemacherin in das romantischste Abenteuer ihres Lebens hineingezogen!

IM GEHEIMEN GARTEN DES SCHEICHS von REBECCA WINTERS
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  • Erscheinungstag 12.08.2022
  • Bandnummer 70
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510899
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sabrina Philips, Natasha Oakley, Rebecca Winters

ROMANA GOLD BAND 70

1. KAPITEL

„Beug dich etwas weiter vor … ja, genau so!“

Kaliq presste die Lippen zusammen und widerstand dem Drang, den Mann mit der beginnenden Glatze hinter der Kamera k. o. zu schlagen. Dass er sich so beherrschen musste, wunderte ihn selbst, denn eigentlich hatte er mit diesem Anblick gerechnet.

Er stand unbeobachtet ein wenig abseits und folgte dem lüsternen Blick des Fotografen. Ja, er erkannte sie gleich wieder, und sofort flammte Verlangen in ihm auf. Sie war wirklich die Versuchung in Person.

Vor einem künstlichen Feuer lag sie in lasziver Pose ausgestreckt und machte einen Schmollmund. Das glitzernde goldene Teil, das sie trug und das in seiner Heimat Qwasir höchstens als Moskitonetz durchgegangen wäre, bedeckte nur notdürftig ihre vollen Brüste und endete weit oberhalb der Knie. Noch nie hatte er etwas gesehen, das seinen geheimsten Fantasien gleichzeitig so nahe kam und so fern war.

Während die heißen Studioscheinwerfer auf ihre gebräunte Haut und ihre rotbraunen Locken hinabbrannten, hätte er angesichts der Ironie der Situation beinah laut gelacht. Was hatte sie noch gesagt? Dass sie die Freiheit brauchte, ihr Leben – anders als er – nicht im Rampenlicht zu verbringen. Was für eine Doppelmoral, dachte er, als er das Logo auf dem überdimensionalen Parfümflakon betrachtete. Dieser war eigentlich das wichtigste Requisit bei dem Fotoshooting, doch das ganze Interesse konzentrierte sich auf die junge Frau.

Auf seiner Reise zur Pariser Botschaft von Qwasir im vergangenen Monat hatte er zum ersten Mal einen flüchtigen Blick auf ein Werbeplakat mit dem verlockenden Bild einer Frau erhascht, die ihm so vertraut und fremd zugleich erschien. Dann waren jene so unschuldig wirkenden Augen und rosigen Lippen überall aufgetaucht, und die Nachforschungen seines engsten Beraters hatten seine Vermutungen bestätigt. Es handelte sich tatsächlich um Tamara Weston. Noch nie zuvor war er so wütend gewesen.

Allerdings hätte er sich das denken können. Schon vor sieben Jahren bei ihrem Besuch in seinem Land war sie für ihr Alter ungewöhnlich temperamentvoll und forsch gewesen. Die Unschuld, die sie ausstrahlte, hatte sie ebenso unwiderstehlich gemacht wie ihre Schönheit. Verächtlich verzog Kaliq den Mund. Was mochte sie veranlasst haben, dies hier gegen all das zu tauschen, was er ihr angeboten hatte? War die Vorstellung, ihren Körper nur einem Mann zu schenken, nicht aufregend genug gewesen? Oder hatte sie doch das Rampenlicht gesucht?

Egal, sagte er sich, während er sich lässig an den Türrahmen lehnte. Er konnte die Zeit nicht zurückdrehen, aber diesmal würde er Tamara keine Wahl lassen.

Während Henry eine weitere Anweisung gab und dabei anzüglich lächelte, ließ Tamara ihre Gedanken schweifen. Was würde er wohl für ein Gesicht machen, wenn sie sich noch weiter vorbeugte?

Ignoriere ihn einfach, sagte sie sich dann, denn sie wusste selbst nicht, warum sie sich sein Verhalten an diesem Tag so zu Herzen nahm. Jeder Job hatte seine Schattenseiten. In den letzten Jahren hatte sie mehr Aufträge angenommen, als sie zählen konnte, und da sie glücklicherweise nur selten mit ihm zusammenarbeitete, musste sie sich eingestehen, dass das Modeln doch mehr schöne Seiten hatte, als sie sich je hätte träumen lassen. Allerdings wäre sie vorher auch nie auf die Idee gekommen, es zu ihrem Beruf zu machen. Obwohl sie einen Meter achtzig maß und den schlanken Körperbau und die ebenmäßigen Züge von ihrer Mutter geerbt hatte, hatte sie sich immer nur allenfalls für durchschnittlich gehalten. Und nachdem man die Scheidung ihrer Eltern in den Medien derart breit getreten hatte, hatte sie auch nie den Wunsch verspürt, einen Beruf zu ergreifen, mit dem man im Rampenlicht stand. Als ihre Kommilitonin Lisa sie allerdings bat, in ihrer ersten selbst entworfenen Kollektion zu posieren, sagte sie ihr zuliebe zu. Nachdem Lisa damit den großen Durchbruch geschafft hatte, kam dann der Kosmetikriese Jezebel auf sie zu und bot ihr an, das neue Gesicht für ihre Marke zu werden.

Zuerst zögerte Tamara, doch die Gage war so verlockend, dass sie es wenigstens ausprobieren wollte, denn so konnte sie mehr Zeit mit Mike verbringen. Zu ihrem Erstaunen fand sie schnell heraus, dass mehr zu der Tätigkeit gehörte, als für einige Stunden am Tag lasziv in die Kamera zu blicken. Die Gefühle herüberzubringen, die der beworbene Gegenstand vermittelte, war ein knallharter Job, der sie oft an ihre Grenzen brachte – eine Herausforderung nicht zuletzt deswegen, weil ihr keine Zeit blieb, darüber nachzudenken, wer sie wirklich war. Auch wenn die Pressevertreter ein lästiges Übel darstellten, genoss sie es, durch die Welt zu jetten und ständig neue Menschen kennenzulernen. Nach den vielen Gelegenheitsjobs schien sie nun tatsächlich im Begriff, ihren Platz im Leben zu finden, ein Gefühl, das sie schon seit Jahren nicht mehr verspürt hatte, nicht mehr seit … sie vor langer Zeit an einem ganz anderen Ort gewesen war.

Und seit sie das neue Gesicht von Jezebel Fragrance verkörperte, wurde sie von allen großen Agenturen und in der Presse als Topmodel gehandelt und konnte sich vor Aufträgen kaum retten. Erst am Vortag hatte Henrys Assistentin ihr mitgeteilt, dass sie in der kommenden Woche in den Mittleren Osten reisen würde.

Heute war sie jedoch ungewöhnlich nervös, seit sie das Studio betreten hatte. Plötzlich schien es ihr, als müsste sie nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele entblößen, und sie konnte dieses Gefühl nicht ergründen. Henry verhielt sich nicht anders als sonst, und auch ihr Kleid zeigte nicht mehr Haut als die vorherigen Modelle. Lag es womöglich an den zusätzlichen Kameras, die sein Assistent und er diesmal benutzten? Unbehaglich bewegte Tamara die Beine, während sie sich auf die vielen Leute und die Ausrüstung zu konzentrieren versuchte, die sie normalerweise ausblendete. Die zahlreichen Objektive brachten sie nicht aus der Fassung. Dennoch hatte sie das ungute Gefühl, dass sie beobachtet wurde, und ihr Instinkt riet ihr, die Flucht zu ergreifen, bevor es zu spät war.

Wahrscheinlich bin ich heute nur mit dem falschen Fuß aufgestanden, versuchte sie sich dann zu beruhigen, während sie Henrys Anweisung folgte und den Kopf nach links bewegte, damit ihr das dichte dunkle Haar über die Schulter fiel. In dem Moment nahm sie allerdings etwas oder vielmehr jemanden aus dem Augenwinkel wahr – eine große Gestalt, die etwas abseits und im Schatten stand.

Prompt setzte ihr Herz einen Schlag aus, um gleich umso wilder zu pochen. Sei nicht albern, deine Fantasie geht mit dir durch, ermahnte sie sich. Leider konnte sie sein Gesicht nicht ausmachen, ohne ihre Position zu verändern. Aber es konnte nicht sein. Er würde niemals hier auftauchen. Wahrscheinlich handelte es sich nur um einen neuen potenziellen Kunden von Henry, denn seit die Verkaufszahlen von Jezebel hochgeschnellt waren, bekam dieser laufend neue Anfragen. Trotzdem gelang es ihr nicht, das beunruhigende Gefühl zu verdrängen.

„Einfach super, dieser erwartungsvolle Gesichtsausdruck, Tamara. Bleib so!“

Tamara hörte jedoch nicht zu, denn sie hatte schon den Kopf gewandt. Und in dem Moment stockte ihr der Atem, als hätte ihr jemand einen Schlag versetzt.

Sie hätte dieses Profil überall wiedererkannt. Die schroffen aristokratischen Züge. Seine dunklen Haare, die stolze Haltung und seinen großen muskulösen Körper. Genau deswegen wusste sie, dass er es sein musste. Es gab viele hochgewachsene athletische Männer, aber niemand stand so da und strahlte ein solches Selbstvertrauen aus. Sobald Kaliq Al-Zahir A’zam, Kronprinz von Qwasir, einen Raum betrat, veränderte sich die Atmosphäre, und alle Blicke richteten sich auf ihn.

Tamara schluckte und schloss ungläubig die Augen, während sie sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Hitzewellen durchfluteten ihren Körper, und sie fühlte sich fast nackt unter seinem durchdringenden Blick.

Was, in aller Welt, machte er hier? War er womöglich finanziell an Jezebel Cosmetics beteiligt? Es war eine der erfolgreichsten neuen Marken auf dem Markt, aber seit wann musste ein sagenhaft reicher Scheich sich an irgendwelchen Firmen beteiligen, um über zusätzliche Einkunftsquellen zu verfügen? Schließlich erwarb Kaliq nur zum Zeitvertreib edle Rennpferde, wie andere Leute sich im Kino Popcorn kauften. Ja, sie hätte darüber lachen können, wenn ihr Herz nicht so gerast und er sie nicht derart in seinen Bann geschlagen hätte.

Sicher war er nach all den Jahren nicht gekommen, um sie daran zu erinnern, was sie versäumte, denn er hatte deutlich gemacht, dass er sie niemals wiedersehen wollte. Also musste es eine logische Erklärung geben.

„Na gut, Tamara. Der Anblick deines Profils, wenn du fröstelst, beflügelt zwar die Fantasie, aber es passt nicht ganz zum Feuer. Lass uns für heute Schluss machen.“

Ausnahmsweise einmal war Tamara dankbar dafür, Henrys Stimme zu hören, und trotz ihrer Neugier überwog der Drang wegzulaufen. Wenn sie schnell war, konnte sie sich in den Ankleideraum flüchten und das Studio durch die Hintertür verlassen. Lieber wollte sie den Grund für seine Anwesenheit nie erfahren, als Kaliq gegenüberzutreten. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas derart bereut wie jene gemeinsame Zeit mit ihm, und dass es sie all die Jahre verfolgt hatte, war schlimm genug für sie.

Doch er war schneller als sie und erwartete sie bereits im Ankleideraum.

„Kaliq!“

Sie wusste selbst nicht, warum es sie überraschte. Falls er mit ihr reden wollte, würde er sich durch nichts davon abbringen lassen. Lässig die Beine übereinandergeschlagen, saß er auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes.

Tamara traute sich nicht, ihm in die Augen zu blicken. Nun, da sie ihm zum ersten Mal außerhalb seines Landes begegnete, wurde ihr erst richtig bewusst, wie exotisch er mit seinem dunklen Teint und dem dichten schwarzen, leicht welligen Haar wirkte. Nachdem sie ihn bisher nur in traditioneller arabischer Kleidung gesehen hatte, schien der perfekt sitzende, offenbar maßgeschneiderte Anzug seine ungezähmte Seite noch hervorzuheben.

Sie blieb an der Tür stehen und kämpfte mit den widersprüchlichen Gefühlen, die sie überwältigten. Einerseits empfand sie Hass, weil er der einzige Mann war, den sie je zu lieben geglaubt hatte, und er nun einfach hier auftauchte, als sie gerade anfing zu vergessen. Anderseits fühlte sie sich, als wäre sie gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht und würde den Frühling begrüßen. Erst nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass sie gegen die Etikette von Qwasir verstoßen hatte, indem sie ihn mit seinem Vornamen angesprochen und sich nicht vor ihm verneigt hatte. Anders als sie störte es ihn aber offenbar, wie sein tadelnder Blick vermuten ließ.

„Ich hatte eigentlich keine Gäste erwartet“, erklärte sie, als die Spannung immer unerträglicher wurde, und blickte sich demonstrativ in dem Raum um, wo überall Kleidungsstücke und Make-up-Utensilien verstreut lagen.

„Tu nicht so, als wärst du deswegen so entsetzt.“ Er betrachtete den großen Blumenstrauß auf dem Ankleidetisch, den sie vor dem Fotoshooting schnell in eine Vase gestellt hatte. „Es kommt sicher öfter vor, dass du irgendwelche Bewunderer in deinem Ankleideraum antriffst, oder?“

Tamara spürte, wie sie errötete. Die Blumen stammten von Mike, doch sie hätte sich denken können, dass alle Models in Kaliqs Augen einen zweifelhaften Lebenswandel führten.

„Nein, ich …“, begann sie, aber er fiel ihr ins Wort.

Jetzt brauchst du nicht mehr die Unschuldige zu spielen, Tamara.“

„Hat dir eigentlich nie jemand beigebracht, dass man andere ausreden lassen soll?“

Verblüfft sah er sie an, als hätte ihn noch nie jemand zurechtgewiesen.

„Ich wollte sagen, dass die meisten Leute das Schild mit der Aufschrift Privat an der Tür respektieren.“

„Die Privatsphäre ist ein Luxus, den ich nicht kenne.“ Nun kniff er die Augen zusammen. „Berufsrisiko, wie mir mal gesagt wurde.“

Sie zuckte zusammen, als sie ihre Worte wiedererkannte, auch wenn sie sich insgeheim darüber freute, dass er sich noch daran erinnerte. Andererseits hatte er gerade bewiesen, wie wenig er sich nach wie vor um die Bedürfnisse anderer scherte.

Unwillkürlich verspannte sie sich. „Und trotzdem hast du immer großen Wert auf Anstand gelegt, wenn ich mich richtig entsinne.“

„Und ich meine mich zu erinnern, wie du gesagt hast, du könntest nie ein Leben im Licht der Öffentlichkeit führen. Trotzdem bist du jetzt berühmt. Komisch, wie sich die Dinge ändern, nicht?“ Gespielt irritiert blickte er sie an. „Oder irre ich mich?“

Nein, er täuschte sich nie, und das wusste Tamara. Amüsiert lehnte Kaliq sich zurück und wartete auf ihre Antwort.

Ich gehe ihr also noch immer unter die Haut, dachte er, denn sie war schon in dem Moment errötete, als sie hereingekommen war und ihn hier angetroffen hatte – und sogleich die Flucht hatte ergreifen wollen.

Aber sie würde ihm nicht entkommen, und wenn sie noch so unschuldig tat. Die Grenze, die er damals ganz bewusst nicht überschritten hatte, existierte nicht mehr. Und obwohl er wusste, dass Tamara bereits mit anderen Männern geschlafen hatte, ließ allein ihr Anblick ungezügeltes Verlangen in ihm aufflammen.

„Sag mir, warum du hier bist, Kaliq.“ Tamara knöpfte ihre weiche kastanienbraune Jacke bis oben zu, um Kaliq zu verstehen zu geben, dass er gehen sollte. Falls er den Hinweis verstand, ließ er es sich allerdings nicht anmerken, denn er presste die Lippen zusammen.

Sicher hatte er die weite Reise nicht auf sich genommen, nur um sie an ihre Worte von damals zu erinnern. Ja, sie hatte ihm gesagt, dass sie niemals mit dem öffentlichen Interesse zurechtkommen würde, das er als Kronprinz genoss, doch sie hätte alles vorgeschoben, was ein Körnchen Wahrheit enthielt, damit er nicht merkte, wie tief er sie verletzt hatte. Aber er hatte ihr ohnehin kaum zugehört. In dem Moment, als sie den Kopf schüttelte, hatte seine Miene nur noch Hass verraten.

„Geduld ist eine Tugend, Tamara. Selbst du wirst dich darin noch üben können, oder?“

Unbändiger Zorn stieg in ihr auf. „Es ist besser, Tugenden zu verlieren, als sich Charakterfehler anzueignen, Kaliq … Königliche Hoheit.“ Wie zum Spott deutete sie eine Verbeugung an. „Damals hast du wenigstens so getan, als würdest du alle gleichermaßen respektieren, aber offenbar sind es nur die, die nach deiner Pfeife tanzen.“

Seine dunklen Augen funkelten. „Umso besser, dass du deinen Verstoß gegen die Regeln wiedergutmachen kannst.“

Tamara spürte, wie sich ihr ganzer Körper verspannte. Er war doch nicht etwa gekommen, um …?

Kaliq schwieg mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der es gewohnt war, dass andere an seinen Lippen hingen. „Ich bin hier, um dich zu engagieren“, verkündete er dann.

„Wie bitte?“

„Tu nicht so überrascht, Tamara. Das ist doch dein Job, oder? Du erscheinst, egal wo und wie du dafür bezahlt wirst.“

Zum ersten Mal seit Jahren war sie auf etwas stolz gewesen, und nun bewirkten seine Worte, dass sie sich dafür schämte.

„Damit wäre deine Frage, was ich hier mache, beantwortet“, fuhr er ungerührt fort.

„Wovon redest du eigentlich?“

„Du sollst für mich modeln.“

„Und was soll ich vorführen?“

„Die A’zam-Saphire.“

2. KAPITEL

Ungläubig blickte Tamara Kaliq an, der mit unbewegter Miene dasaß, und zwang sich weiterzuatmen.

Für jeden anderen hätte es vermutlich geklungen, als hätte sie gerade den lukrativsten Auftrag ihrer steilen Karriere an Land gezogen, denn es war eine Ehre, die königlichen Juwelen von Qwasir vorzuführen, die ältesten und kostbarsten Saphire der Welt. Ihr war jedoch klar, dass Kaliq sich nur an ihr rächen wollte, weil diese traditionsgemäß von der Braut des Kronprinzen getragen wurden. Und das hätte sie sein können.

So verlockend das Angebot also auch scheinen mochte, sie würde auf keinen Fall zusagen. Sie wollte es ihm gerade mitteilen, als hinter ihr die Tür aufgerissen wurde.

„Prinz A’zam, entschuldigen Sie bitte, Königliche Hoheit – ich wusste nicht, dass Sie schon da sind!“ Henry kam hereingestürmt und deutete dabei eine Verbeugung an. „Meine Assistentin hat mich gerade informiert … Sonst hätte ich Ihnen natürlich einen Wagen zum Hotel geschickt. Wenn ich Ihnen etwas zu trinken holen darf …“

Tamara wurde nervös. Henry hatte ihn erwartet? Steckte er etwa mit ihm unter einer Decke?

„Das macht nichts“, stieß Kaliq hervor. „Wie Sie sehen, hat Miss Weston mir dieselbe Vertrautheit gewährt, die sie anscheinend allen zugesteht.“ Als er sich dann ihr zuwandte, lag ein verächtlicher Zug um seine sinnlichen Lippen. „Du solltest das Privat-Schild durch ein passenderes ersetzen – vielleicht Unbeschränkter Zugang?“

Der Fotograf lächelte anzüglich und zeigte dabei seine gelblichen Zähne. „Ja, ich arbeite gern mit Tamara, weil sie nicht so unnahbar ist wie die meisten anderen Models heutzutage, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Nachdem er Kaliq vertraulich zugezwinkert hatte, nickte er ihr zu, als hätte er ihr gerade ein großes Kompliment gemacht.

„Durchaus“, erwiderte Kaliq in einem Tonfall, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich glaube, sie wollte gerade ihrer Begeisterung darüber Ausdruck verleihen, dass ich ihr nächster Auftraggeber bin.“ Erwartungsvoll blickte er sie an, doch bevor sie etwas entgegnen konnte, mischte Henry sich ein.

„Wer könnte es ihr verdenken? Schließlich bekommt sie eine enorme Publicity, wenn sie die königlichen Juwelen vorführt.“

Sein schmieriges Lächeln weckte noch stärker als vorher in ihr den Wunsch, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Kaliq hatte sich also an Henry gewandt, um an sie heranzukommen. Nun begriff sie … Das hier war der Auftrag im Mittleren Osten, den Emma beiläufig erwähnt und auf den sie sich schon gefreut hatte?

„Was ich sagen wollte …“, begann Tamara lauter als beabsichtigt, woraufhin beide Männer sie ansahen. „Ich fühle mich zwar sehr geehrt, Königliche Hoheit, aber ich möchte Ihr Angebot nicht annehmen.“ Ganz bewusst siezte sie Kaliq, um auf Distanz zu gehen.

Wie immer, wenn er wütend war, wurde Henry rot, was sie unter anderen Umständen amüsiert hätte. Ohne die spannungsgeladene Atmosphäre zu bemerken, da er offenbar nicht ahnte, dass sie Kaliq von früher kannte, drehte er sich zu ihr um und betrachtete sie wie ein trotziges Kind.

„Du hast einen Vertrag mit Jezebel, und da Seine Königliche Hoheit dich offiziell gebucht hat, spielt es keine Rolle, ob du willst oder nicht.“ Er blickte Kaliq Beifall heischend an, doch dieser reagierte nicht.

„Jeder hat eine Wahl“, erklärte sie leise und sah diesen dabei an. „Wenn jemand glaubt, man wäre ihm etwas schuldig, muss man dem nicht unbedingt entsprechen.“

Zum ersten Mal verriet der Ausdruck in seinen Augen so etwas wie eine Gefühlsregung. Wahrscheinlich fühlt er sich in seinem Stolz verletzt, dachte Tamara.

Drohend machte Henry nun einen Schritt auf sie zu. „Wenn du dich weigerst, kannst du deinen Vertrag mit Jezebel vergessen.“

Daraufhin stand Kaliq auf und stellte sich zwischen sie, woraufhin Henry zurückwich. „Danke … Henry, nicht wahr? Sicher ist Miss Weston nur etwas nervös, weil es sich um einen so wichtigen Auftrag handelt und sie mit der Etikette nicht vertraut ist. Wenn Sie uns bitte allein lassen würden, kann ich sie beruhigen.“

Frustriert beobachtete Tamara, wie Henry widerstrebend den Raum verließ. Da die Aussicht auf eine hohe Provision für ihn noch reizvoller war als der Anblick einer schönen Frau, würde er vor der Tür stehen bleiben und lauschen. Doch es interessierte sie nicht, denn es drehte sich nicht um ihn.

Hier ging es wie schon viel zu oft in ihrem Leben um Kaliq. Als sie sich demonstrativ abwandte, stieß sie prompt gegen ihn, denn er musste unbemerkt einen Schritt auf sie zu gemacht haben. Erschrocken zuckte sie zusammen und spürte, wie ihr heiß wurde, sobald sein männlicher Duft ihr in die Nase stieg – eine verführerische Mischung aus Sandelholz und Ambra. Sie straffte sich. Nein, sie würde sich nicht von ihrem Entschluss abbringen lassen, auch wenn sein Sex-Appeal so überwältigend war.

„Du bist es vielleicht gewohnt, deinen Willen immer durchzusetzen und dir jeden Wunsch zu erfüllen, aber mich bekommst du nicht, Kaliq.“

So hatte sie es eigentlich nicht formulieren wollen. Nervös wich sie zurück, während ihr das Blut in den Kopf stieg. Natürlich wollte er sie nicht. Schon damals hatte er sich nur mit ihr geschmückt.

„Komm, Tamara, tu nicht so, als wäre es nicht genau das, was du dir wünschst.“ Seine Augen funkelten verächtlich. „Das Ereignis wird weltweit im Fernsehen ausgestrahlt, und es werden Würdenträger, Mitglieder verschiedener Königsfamilien und Vertreter der gesellschaftlichen Elite aus aller Welt anwesend sein.“

„Ich habe einen Vertrag mit Henry, nicht mit dir.“

Ärgerlich presste er die Lippen zusammen. „Stimmt. Du hast anscheinend nicht nur deine Moralvorstellungen, sondern auch deinen gesunden Menschenverstand abgelegt.“

„Und trotzdem machst du mit ihm gemeinsame Sache. Ich frage mich, ob ihr beide wirklich so verschieden seid.“

„Was denkst du denn?“ Überheblich blickte er sie an. „Ich zahle dir für diesen Auftrag dasselbe, was du von ihm im Jahr bekommst. Lehnst du ab, verlierst du alles.“

Natürlich wusste sie, wie reich er war, doch ihr war auch klar, dass mehr dahinterstecken musste. Offenbar hatte er alles genau geplant und Henry dafür benutzt. Tatsächlich besaßen die beiden keine Gemeinsamkeiten, und obwohl sie sich nicht erpressen lassen wollte, hätte sie das Angebot am liebsten angenommen. Mike und sie könnten das Geld gut gebrauchen. Außerdem war es eine einmalige Gelegenheit und ihrer Karriere nur förderlich. Vor allem aber hatte sie sich in diesen letzten zehn Minuten so lebendig gefühlt wie schon seit Jahren nicht mehr, wie sie sich widerstrebend eingestehen musste.

Tamara wandte sich ab und begann, die Sachen auf dem Stuhl neben sich zusammenzufalten, um sich irgendwie zu beschäftigen. Kaliq anzusehen erschien ihr viel zu gefährlich. Der Anblick seiner glatten, tief gebräunten Haut und seiner schmalen und doch kräftigen Hände erinnerte sie daran, wie er sie damals gehalten hatte. Wie würde es ihr ergehen, wenn sie zum zweiten Mal aus seiner Welt in ihr Leben zurückkehrte? Ihm lag offenbar nur daran, ihr wehzutun.

„Du kennst meine Antwort. Sicher wirst du jemand anders finden.“

„Ich will aber keine andere Frau.“

Fast hätte sie den Rock, den sie gerade vom Stuhl genommen hatte, fallen lassen. Sie riss sich zusammen, damit ihre Fantasie nicht mit ihr durchging, doch er sprach weiter.

„Meinem Vater geht es nicht gut.“ Seine Stimme klang ungewohnt gequält, als Kaliq auf und ab zu gehen begann. „Die Zeitungen berichten über seinen bevorstehenden Tod, und die Stimmung in meinem Land ist angespannt. Ich möchte mein Volk ablenken, indem ich den ältesten und kostbarsten Schatz von Qwasir bei einer königlichen Gala zeige.“ Nun schlug er wieder einen zynischen Tonfall an. „Und wer würde sich besser dafür eignen als das Model, das gerade von der Presse gefeiert wird und außerdem die Tochter des ehemaligen englischen Botschafters in meinem Land ist? Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir.“

Mitgefühl wallte in ihr auf, doch sie unterdrückte es sofort und atmete tief durch. Natürlich hatte sie in den Zeitungen von König Rashids schlechtem Gesundheitszustand gelesen, und sie konnte gut nachvollziehen, warum die Stimmung im Land angespannt war. Der Kronprinz musste nun heiraten, um die Thronfolge antreten zu können. Mit dem Vorführen der Juwelen konnte er das Volk davon überzeugen, dass er es bald vorhatte.

Kaliq benutzte sie also tatsächlich, es ging ihm überhaupt nicht um sie. Für sie war sie nur Mittel zum Zweck, damit er seine Landsleute beruhigen konnte.

Tamara beobachtete, wie er ans Fenster trat und auf den dichten Londoner Verkehr hinausblickte. Einen Moment lang überraschte es sie, dass draußen alles weiterlief wie bisher, denn es schien ihr, als würden nur Kaliq und sie existieren. Schnell rief sie sich ins Gedächtnis, dass dies alles lediglich ein Schachzug war, und schaffte es so, ihre Gefühle zu verdrängen. Es ging hier ums Geschäft. Also warum hätte sie ihren Vertrag seinetwegen aufs Spiel setzen sollen? Hätte sie damit nicht die Freiheit aufgegeben, selbst über ihr Leben zu bestimmen, und somit das, wofür sie immer gekämpft hatte? Und hätte sie Kaliq damit nicht den Eindruck vermittelt, dass sie noch nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen hatte?

Nein, das durfte sie nicht zulassen. Es handelte sich um eine Geschäftsreise wie jede andere, die ihr vielleicht sogar die Möglichkeit bot, endlich mit sich ins Reine zu kommen und sich nicht ständig zu fragen, ob sie damals richtig entschieden hatte.

„Ich soll die Juwelen einen Abend lang vorführen und bekomme dafür dieselbe Summe wie jährlich von Jezebel?“, hakte sie betont sachlich nach.

Kaliq wandte sich vom Fenster ab und presste die Lippen zusammen. Anders als Tamara ihn damals hatte glauben machen wollen, war sie also tatsächlich genauso leicht zu manipulieren wie alle anderen Frauen. Ihr war es nur nicht reizvoll genug erschienen, sich an einen einzigen Mann zu binden. Allerdings war sie auch nicht an ihn gebunden gewesen, oder?

„In genau fünf Tagen.“

Entgeistert blickte sie Kaliq an, aber dann begriff sie. Es war bereits alles organisiert, und er wartete nur auf ihre Zusage. Wieder einmal. Und das brachte sie mehr auf die Palme als alles andere.

„Und was ist, wenn ich ablehne? Bläst du dann alles ab?“

Er lächelte verächtlich. „Wenn ich nicht anwesend wäre, würde die Veranstaltung nicht stattfinden. Wenn du lieber auf deine Karriere verzichtest, als ein paar Stunden zu arbeiten, finde ich sicher schnell jemanden, der liebend gern für dich einspringt.“

Kalt blickte sie ihn an. Sie wusste, dass er recht hatte. Und dafür hasste sie ihn.

Ungerührt fuhr er fort: „Bis dahin habe ich natürlich einige andere Aufgaben für dich …“ Anerkennend musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Proben und so weiter. Deine Freizeit kannst du so verbringen, wie du willst.“

Indem ich mich weit weg wünsche, dachte Tamara, während sie die Schultern zu lockern versuchte. Allerdings half es nicht, weil seine Nähe sie so nervös machte. In der Zeit, die sie mit Kaliq verbringen musste, würde ihre Anspannung sicher nicht nachlassen, aber wenigstens war sie jetzt nicht mehr so jung und naiv, um auf seinen Charme hereinzufallen.

„Ich hole dich morgen um elf in deinem Apartment ab.“

Während er zur Tür ging, überlegte sie, warum es sie wunderte, dass er bereits wusste, wo sie wohnte, oder warum sie damit gerechnet hatte, dass er noch bleiben würde. Allerdings wäre er als zukünftiger König sicher niemals auf die Idee gekommen, mit ihr zu plaudern oder sie gar zum Essen einzuladen, zumal er sie nur als Anziehpuppe betrachtete. Außerdem war er dafür zu gefühllos und geschäftsmäßig. Offenbar hatte sie seine Zeit schon zu sehr in Anspruch genommen.

„Je eher es vorbei ist, desto besser“, sagte sie leise.

Er hatte schon die Hand auf der Klinke und wirbelte daraufhin zu ihr herum. Ehe sie sich’s versah, stand er dicht vor ihr.

Als sie seinen warmen Atem spürte, rieselte ihr ein Schauer über den Rücken, und ihre Brustspitzen richteten sich auf. Sanft legte er ihr einen Finger unter das Kinn und hob es an, den Blick auf ihre Lippen gerichtet.

„Ich sorge dafür, dass es besser wird, Tamara“, meinte er leise, als wüsste er, welche Gefühle sie durchfluteten. „Besser als alles, was du je erlebt hast, und es dauert nicht mehr lange.“

Jetzt neigte er den Kopf, und sie konnte nur noch an eins denken: ihn zu küssen. Unwillkürlich schloss sie die Augen, doch im nächsten Moment ließ er ihr Kinn los, um ihre Hand zu nehmen und sie an die Lippen zu führen.

Diese eigentlich harmlose Geste erschien ihr plötzlich so intim, dass Tamara weiche Knie bekam. Seine Lippen fühlten sich heißer an als vorher die Studioscheinwerfer und weckten brennendes Verlangen in ihr. Der Ausdruck in seinen Augen ließ ihr den Atem stocken, und sie wandte schnell den Blick ab.

„Das hier ist rein geschäftlich, Kaliq“, sagte sie heiser.

Er antwortete nicht, sondern ließ sie los. Dann legte er ihr die Hand auf die Wange und strich sanft mit dem Zeigefinger über ihre Lippen. Anscheinend merkte er, wie schwer es ihr fiel, sich zu beherrschen, denn er lächelte ironisch.

„Aber nicht mehr lange, Tamara.“

Nachdem er sich abgewandt hatte, verließ er den Raum. Noch immer ganz benommen, beobachtete sie, wie Henry draußen schnell von der Tür zurückwich.

3. KAPITEL

Der Kuss hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Dabei hatte Kaliq nur ihre Hand an die Lippen geführt! Aufgewühlt fragte Tamara sich, wie sie reagiert hätte, wenn er sie auf eine andere Stelle geküsst hätte.

Denk nicht einmal daran, ermahnte sie sich, als sie die Bettdecke zurückschlug, um aufzustehen. Nachdem sie sich lange unruhig hin und her gewälzt hatte und schließlich vor Erschöpfung eingenickt war, war sie wieder aus dem Schlaf geschreckt, denn sie hatte geträumt, dass sie sich an Kaliq schmiegte und aus irgendeinem unerfindlichen Grund nichts als jene Juwelen trug.

Sie lehnte sich an das Kopfende und blickte starr in die Dunkelheit. Natürlich wusste sie, dass Kaliq nichts für sie empfand. Er hatte nur seinen Charme spielen lassen, und das mit Erfolg. Und es war ihr gelungen, die Fassung zu bewahren, bis er ihre Hand geküsst und sie sich plötzlich sieben Jahren zurückversetzt gefühlt hatte.

In dem Moment war sie nicht mehr das sechsundzwanzigjährige Model gewesen, das in seinem Ankleideraum stand und eine schwerwiegende Entscheidung treffen musste, sondern der Teenager von damals, dem die Welt zu Füßen lag.

In jenem Sommer war sie neunzehn gewesen und hatte geglaubt, ihr Leben würde erst richtig beginnen. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, als sie noch die Grundschule besuchte, denn als Diplomat wurde ihr Vater ständig versetzt, und ihre Mutter war eine viel beschäftigte Theaterschauspielerin. So musste sie mit dreizehn auf ein Internat gehen, und sie hätte die vielen teuren Geschenke ihres Vaters und die Souvenirs von ihrer Mutter liebend gern gegen einen gemeinsamen Urlaub getauscht. Während ihre Freundinnen sich für Jungen interessierten und überlegten, was sie nach dem Abitur studieren sollten, träumte sie davon, die Welt kennenzulernen. Auf keinen Fall wollte sie nach der Schule weiterlernen oder sich wie ihre Eltern viel zu früh binden.

Als ihr Vater sie dann einlud, ihn für eine Woche im Mittleren Osten zu besuchen, sah sie endlich ihre große Chance. Qwasir … Der Name des Landes erschien ihr wie eine Verheißung, und bis einige Wochen später endlich das Flugticket eintraf, las sie alles darüber, was sie in die Finger bekommen konnte.

Und tatsächlich übertraf die Wirklichkeit ihre kühnsten Träume. Von dem Moment an, als sie von dem Fahrer in dem schwarzen Jeep mit dem königlichen Wappen abgeholt wurde, tauchte sie in eine faszinierende fremde Welt ein, die ihr das Gefühl vermittelte, dass sie aus einem langen Schlaf erwacht war.

Nachdem sie die Tore des Palasts passiert hatten, führte der Chauffeur sie in das imposante Gebäude und bat sie, im Atrium zu warten, in dem die Wände und der Boden aus Marmor waren. Zahlreiche Flure zweigten von der Halle ab.

Da niemand zu sehen war, ging sie zögernd zur ersten Tür auf der linken Seite und stellte erstaunt fest, dass in dem Raum dahinter nur Vitrinen standen. Offenbar handelte es sich um einen Bereich des Palastes, der für die Öffentlichkeit zugänglich war. Als sie ihn betrat, wurde ihr Blick von einem Farbfoto angezogen, das König Rashid und seine verstorbene Frau Sofia an ihrem Hochzeitstag zeigte und das sie bereits als Schwarzweißaufnahme aus ihrem Reiseführer kannte. Beim ersten Betrachten hatte sie besonders der Gesichtsausdruck der Braut fasziniert, der erahnen ließ, dass dieser in jenem Moment bewusst geworden war, wohin sie wirklich gehörte. In der Vitrine darunter entdeckte sie dann die Kette, die Sofia auf dem Foto trug und die in dem Reiseführer ausführlich beschrieben wurde – die berühmten A’zam-Saphire.

„Heute haben wir leider geschlossen.“

Beim Klang der tiefen Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien, zuckte Tamara erschrocken zusammen und wirbelte herum.

Lässig an den Türrahmen gelehnt, stand ein Mann, dessen Anblick ihr den Atem raubte – nicht nur, weil er die traditionelle Landestracht trug, sondern weil er ein unerschütterliches Selbstvertrauen ausstrahlte.

„Entschuldigen Sie, ich …“ Schuldbewusst drehte sie sich wieder zu der Vitrine um. „Sie ist so schön, dass ich sie mir einfach ansehen musste.“

Der Fremde kniff die dunklen Augen zusammen. „Ja, die Kette übt auf alle Betrachter eine magische Anziehungskraft aus. Deswegen haben wir sie auch durch eine Kopie ersetzt.“

Verwirrt blickte sie ihn an. „Ich hatte eigentlich die Frau auf dem Foto gemeint.“ Ihre Worte schienen ihn zu überraschen. „Es ist eine faszinierende Ausstellung. Bestimmt macht es Spaß, hier zu arbeiten.“

Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen, und seine Züge wurden merklich weicher. „Ja, das stimmt. Und morgen können Sie Ihre Besichtigungstour fortsetzen, Miss Weston. Ich zeige Ihnen jetzt, wo Sie schlafen.“ Mit einem Nicken deutete er zur Tür. „Ihr Vater lässt sich entschuldigen, denn er ist noch in einer Besprechung – es geht um die Sicherheitsvorkehrungen in Qwasir.“ Ironisch zog er eine Braue hoch.

„Sagen Sie bitte ‚Tamara‘ zu mir“, erwiderte sie. „Sie wissen ja bereits, dass ich die Tochter von James Weston bin. Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. …“ Fragend blickte sie ihn an.

„Traditionsgemäß stellen Gastgeber und Gäste sich hier in Qwasir einander erst vor, wenn sie zusammen gegessen haben“, erklärte der Mann schmunzelnd, während er ihr bedeutete, zu folgen.

„Ja, das habe ich in meinem Reiseführer gelesen. Aber da Sie mich mit meinem Namen angesprochen haben, dachte ich, Sie hätten gehofft, ich wäre mit dieser Sitte nicht vertraut.“ Schalkhaft funkelte sie ihn an.

Als er entgeistert den Kopf wandte, dachte Tamara, sie hätte ihn beleidigt. Dann trat allerdings ein amüsierter Ausdruck in seine Augen.

„Also gut.“ Der Fremde drehte sich zu ihr um und hielt ihr die Hand entgegen. „Ich bin Kaliq Al-Zahir A’zam, und mein Vater ist König Rashid von Qwasir. Willkommen in unserem Palast.“

Der Kronprinz!

Tamara überlegte, ob sie sich vor ihm verbeugen musste, aber sie war zu verblüfft und verlegen, um sofort reagieren zu können. Natürlich war dieser Mann ein Mitglied des Königshauses. Anders ließen sich seine starke Ausstrahlung und die Aura der Macht, die ihn umgab, nicht erklären. Obwohl ihr Vater in einem Flügel des Palasts wohnte, hätte sie nie damit gerechnet, je mit der Familie A’zam in Kontakt zu kommen. In den Büchern stand, dass der Kronprinz die meiste Zeit im Ausland verbrachte, weil er dort studierte. Sie hätte nicht gedacht, dass er im Palast herumschlenderte, wo man ihn mit einem … Oh nein, hatte sie ihn tatsächlich für einen Museumswärter gehalten?

Errötend hielt sie ihm die Hand hin und war schockiert, als seine Berührung sie förmlich elektrisierte. Dann verbeugte sie sich. „Es ist eine Ehre für mich, Sie kennenzulernen.“

Sie hörte ihn genervt ausatmen, doch sie wagte es nicht, ihn anzusehen.

Dann verbeugte er sich zu ihrer Verblüffung ebenfalls, bis ihre Blicke sich begegneten. „Kaliq, bitte.“

Der Ausdruck in seinen Augen schlug sie so in seinen Bann, dass sie sich verlegen abwandte. „Verzeihen Sie. Ich hatte nicht damit gerechnet … Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich erwartet hatte.“

„Sie sind auch anders, als ich Sie mir vorgestellt habe.“

Frustriert blickte sie an sich hinunter, denn sie trug ein schlichtes Leinenkleid. Sicher war er es gewohnt, dass die Frauen sofort vor ihm auf die Knie sanken, entweder züchtig mit den schönsten Stoffen verhüllt oder perfekt gestylt. Auf sie traf weder das eine noch das andere zu.

„Sie haben mich anscheinend falsch verstanden, Tamara.“ Als er ihre Hand an die Lippen führte, begann ihr Herz wie wild zu pochen. „In letzter Zeit überrascht mich nur selten etwas. Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, wenn einem etwas Freude bereitet.“

Sobald er ihre Hand berührte, blickte sie auf. In dem Moment geschah etwas zwischen ihnen, das sie nicht ergründen konnte und sie so alt und einzigartig wie die Schätze in diesem Raum und dennoch neu und viel kostbarer anmutete.

Denn mit seinen Worten und seinem Blick nahm Kaliq ihr alle Ängste. Sie hatte nicht mehr das Gefühl, falsch gekleidet oder ihm unterlegen zu sein oder dass Welten zwischen ihnen lagen. Als er sie ansah, war ihr klar geworden, dass sie nur eine Frau war und er nur ein Mann, der sich genauso wie sie danach sehnte, aus seiner Welt auszubrechen, so faszinierend diese ihr auch erscheinen mochte.

Ja, vor sieben Jahren, aber jetzt nicht mehr, überlegte Tamara, während sie ihre Nachttischlampe einschaltete. Denn sie hatte sich damals gründlich getäuscht. In der wunderschönen Woche, die darauf folgte, hatte Kaliq viel Zeit mit ihr verbracht und stundenlange Gespräche mit ihr geführt, während ihr Vater arbeitete. Ihr Leben verändert hatte jener Tag, als er sie mit in die neue Schule nahm, die er hatte bauen lassen, und ihr vor Augen führte, dass ihre Schulzeit nicht vergeudet war. Er hatte ihr von seinem Studium in Europa mit seinem besten Freund Leon erzählt und sie ermutigt, auch die Universität zu besuchen. Seine Weltoffenheit und sein Respekt ihr gegenüber waren allerdings nur gespielt gewesen. Er hatte sie erst glauben gemacht, dass ihr die ganze Welt offenstand, und dann versucht, ihr Einschränkungen aufzuerlegen.

Das durfte sie auf keinen Fall vergessen. Ich hätte meine Gefühle gestern unterdrücken müssen, überlegte sie düster. Zumindest hätte sie sie überspielen müssen, so wie sie es jeden Tag vor der Kamera tat, auch wenn sie ihnen nachts freien Lauf ließ.

Tamara nahm ihr Handy vom Tisch und blickte aufs Display. Es war zwanzig Minuten nach sechs. Sie hatte eine neue Nachricht. Nervös atmete sie tief durch, doch diese war von Emma: Henry sagt, sei bitte pünktlich bei Prinz Kaliq. Viel Glück! Emma.

Beim Lesen stellte sie sich vor, wie sie um elf Uhr brav auf ihn wartete, und schnitt ein Gesicht. Sicher gab es einen anderen Weg, diesen Auftrag hinter sich zu bringen, einen Weg, der ihr nicht das Gefühl vermittelte, dass sie schon verloren hatte …

Zehn Minuten später stellte Tamara fest, dass es nicht einfach war, an einem Dienstagmorgen um halb sieben einen Last-Minute-Flug und eine Unterkunft in Qwasir zu buchen. Allerdings konnte sie sich so wenigstens mit etwas beschäftigen, statt sich in ihr Schicksal zu ergeben. Wenn sie in einem Hotel abstieg, würde sie unabhängig bleiben und nicht ständig Kaliq begegnen müssen.

Die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel, als Tamara mit ihrem Trolley in der Hand ihr Apartment verließ. Obwohl sie genug gespart hatte, um es von ihrem Vermieter kaufen zu können, wohnte sie immer noch zur Miete, weil sie sich nicht an einen Ort binden wollte.

Die U-Bahn-Station lag nur wenige Schritte entfernt, und von dort konnte sie direkt zum Flughafen gelangen. Doch gerade als sie durchs Gartentor ging, sah sie eine lange schwarze Limousine mit getönten Scheiben auf der anderen Straßenseite stehen. Ein solcher Wagen fiel in dieser Umgebung auf, und sie hoffte, ihre Nachbarin Penny aus dem Erdgeschoss hatte endlich ihren reichen Chef an Land gezogen, von dem sie bisher immer nur geschwärmt hatte.

„Und, stehst du schon in den Startlöchern, Tamara?“

Beim Klang der tiefen Männerstimme zuckte sie erschrocken zusammen, aber dann wurde sie wütend.

„Steht jetzt neben Erpressung auch noch Stalking auf deiner Liste, Kaliq?“, erkundigte sie sich scharf, während sie weitermarschierte.

„Ich behalte nur im Auge, was mir gehört.“

„Wie bitte?“ Nun blieb sie doch stehen, wandte sich allerdings nicht um. Es knisterte förmlich zwischen Kaliq und ihr, was sie zu ignorieren versuchte.

„Du arbeitest jetzt für mich, oder nicht? Und da du manchmal leider nicht weißt, was gut für dich ist, wollte ich dafür sorgen, dass du keine Dummheiten machst. Anscheinend lag ich richtig.“

„Du irrst dich. Ich halte immer mein Wort.“

Er kam näher. „Ich hätte mir denken können, dass du es nicht erwarten kannst, dich auszuziehen.“

„Von Ausziehen war nie die Rede. Und falls du etwas anderes von mir verlangst, als du gesagt hast, klär mich bitte auf.“

„Ich glaube, du weißt genau, was ich von dir erwarte.“

Aufgebracht wirbelte Tamara zu ihm herum. „Ich habe mich bereit erklärt, die Juwelen vorzuführen. Wenn du das meinst, verstehen wir uns.“

An seiner Wange zuckte ein Muskel. „Tu nicht so, als wärst du so wählerisch bei deinen … Jobs, Tamara.“

„Das bin ich keineswegs“, erklärte sie kühl. „Je nachdem, was ich tue, wirkt es sich lediglich auf meine Gage aus.“

„Und wie viel stellst du für … sagen wir, eine Nacht in Rechnung?“

Zornig funkelte sie ihn an. „Es kann sein, dass du in den Verträgen mit deinen Angestellten Sex vereinbarst, aber nicht mit mir, Kaliq!“

„Wie kommst du darauf, dass wir es schriftlich festhalten müssen?“, meinte er trügerisch sanft, während er sie forschend anblickte. „Es wird so oder so passieren.“

Tamara spürte, wie verräterische Hitzewellen sie durchfluteten, doch sie wandte den Blick ab und ging weiter.

„Wo, zum Teufel, willst du hin?“

„Zur U-Bahn.“

„Dann verlangst du offensichtlich zu wenig Gage, Tamara.“ Mit wenigen Schritten war er bei ihr und packte sie am Arm, um sie zu sich herumzudrehen.

„Du bist sicher noch nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren …“ Sie befreite sich aus seinem Griff, als er sie über die Straße zur Limousine führte. „Aber ich versichere dir, sie sind durchaus annehmbar.“

„Warum begnügst du dich mit dem Annehmbaren, wenn du Luxus haben kannst? Warum willst du eine Linienmaschine nehmen, wenn mein Privatjet auf uns wartet?“, erkundigte er sich lässig.

„Weil ich einen Flug und ein Hotelzimmer gebucht habe.“

Entnervt strich Kaliq sich durchs Haar. „Glaubst du etwa, es wäre sicher für eine junge Frau, allein nach Qwasir zu reisen?“

„Wenn es nicht so wäre, hätte der Kronprinz sicher Besseres zu tun, als hier herumzustehen, nur damit er jemanden hat, den er mit Schmuck behängen kann.“

Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd. „Unsere Kulturen sind nun mal verschieden, Tamara.“

Sie nickte, während sie wieder den Griff ihres Trolleys nahm. „Ja, und das solltest du nicht vergessen. Also, bis dann.“

„Kommt nicht infrage.“

„Was soll das schon wieder heißen?“

„Dass ich dich unversehrt brauche. Mit mir zu reisen und in meinem Palast zu wohnen sind ab sofort weitere Bedingungen unseres Vertrags. Und jetzt steig ein.“

4. KAPITEL

Als Tamara in den weichen Ledersitz des Privatjets sank und auf die Wolken draußen hinunterblickte, redete sie sich ein, dass sie froh war. Kaliq machte es ihr leicht, denn so, wie er sich ihr gegenüber verhielt, fiel es ihr nicht schwer, sich kühl und geschäftsmäßig zu geben. Und trotzdem fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut.

Vielleicht lag es daran, dass er ihr nun auch die kalte Schulter zeigte. Kaum waren sie in seine Privatmaschine gestiegen, hatte er sich ans andere Ende gesetzt und sich in seine Akten vertieft, als wäre sie nur ein Stück Handgepäck. Und seitdem hatte er sie stundenlang keines Blickes gewürdigt.

Aber so war Kaliq, wie sie sich traurig ins Gedächtnis rief. Für ihn existierte nur seine Krone. Das hatte sie fast vergessen.

Genau wie jene Nacht …

Die Wolkendecke riss nun auf, sodass die gelbbraune Wüstenlandschaft unten zu sehen war. Tamara rollte ihren dünnen Pullover zusammen, steckte ihn sich in den Nacken und schloss die Augen, um so zu tun, als würde sie schlafen. Sie musste die schmerzlichen Erinnerungen verdrängen …

Ihr Aufenthalt in Qwasir hatte sich dem Ende zugeneigt, und sie hatte jeden Gedanken an ihre Abreise erfolgreich beiseite geschoben. In Begleitung seines Beraters war Kaliq mit ihr in der Dämmerung zu einem kleinen Bergdorf in der Nähe seines Palasts geritten, um mit ihr an einem Maskenfest teilzunehmen, das jedes Jahr dort stattfand. Wahrscheinlich hätte sie zu jedem seiner Vorschläge Ja gesagt, doch sie hatte besonders die Aussicht darauf gereizt, einen Abend mit ihm zu verbringen, an dem er inkognito bleiben konnte. Vielleicht hatte sie auch für eine Weile vergessen wollen, dass er der Kronprinz war.

In ihren Augen schien der Titel nicht zu ihm zu passen, für sie war er der Mann, der gelernt hatte, sich dem zu widersetzen, was man von ihm erwartete. Er hatte ihr klargemacht, dass sie mit ihrem bisherigen Leben zufrieden sein musste, und sie ermutigt, ihre Träume zu verwirklichen. Und vor allem hatte er in ihr den Wunsch geweckt, ihm ganz nahe zu sein. Obwohl er darauf bestand, seinen Berater mitzunehmen, schien der verlangende Ausdruck in seinen Augen zu sagen, dass es ihm genauso ging.

Nachdem sie die ganze Nacht unerkannt in der Menge gefeiert und getrunken hatten, brachen sie in den frühen Morgenstunden auf. Sein Berater war nirgends zu sehen, und Tamara konnte es nicht erwarten, mit Kaliq allein zu sein. Sicher hatte er es so arrangiert, und sie wollte nicht daran denken, welche Folgen es nach sich zog. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie einfach nur im Hier und Jetzt leben. Sie saß vor ihm im Sattel und schmiegte sich an ihn, während sie sich immer weiter vom Dorf entfernten und die Musik leise wurde. Während im Osten über den endlosen Sanddünen gerade die Sonne aufging, brachen all die Gefühle, die Tamara bisher unterdrückt hatte, sich Bahn.

„Bitte lass uns einen Moment anhalten, Kaliq“, rief sie. „Es ist so wunderschön hier.“

Statt zu antworten, zog er die Zügel an, damit sein Pferd Amir anhielt. Zögernd saß er ab und half ihr dann aus dem Sattel.

Sichtlich mit sich ringend, entfernte er sich ein Stück von ihr, um in die Ferne zu blicken. „Wir sollten zum Palast zurückkehren. Es ist schon spät.“

„Oder früh – je nachdem, wie man es betrachtet.“

„Du solltest im Bett liegen“, erklärte er mit ernster Miene.

Tamara krauste die Stirn, denn normalerweise amüsierte er sich darüber, wenn sie ihm das Wort im Mund umdrehte. Sie folgte seinem Blick, der auf einen Spalt im Berg gerichtet war, bevor sie wieder sein Gesicht betrachtete. „Glaubst du etwa, ich würde lieber schlafen, als hier bei dir zu sein?“

„Nein, Tamara.“ Angespannt schüttelte er den Kopf. „Dein Vater hat dich mir anvertraut, damit ich dir mein Land zeige, nicht damit wir zu dieser Tageszeit allein durch die Wüste reiten. Es ist nicht richtig.“

Noch nie in ihrem Leben hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas so richtig war. „Ich bin kein Kind mehr, Kaliq“, erklärte sie deshalb. „In einem Monat reise ich vielleicht durch Europa, in einem Jahr studiere ich womöglich, wer weiß? Glaubst du etwa, ich werde dann nie mit einem Mann allein sein?“

An seiner Wange zuckte ein Muskel.

„Wenn ich deine kostbare Zeit zu sehr beanspruche, kann ich mir dein Land auch allein ansehen“, fuhr sie fort. „Ich hatte keine Ahnung, dass ich dir zur Last falle.“

„Denkst du das wirklich?“ Kaliq nahm ihre Hand und fing an, die Innenfläche mit dem Daumen zu streicheln, was sie elektrisierte. „Es ist nicht richtig, weil … ich dich küssen möchte, wenn ich mit dir zusammen bin. Wenn wir in der Öffentlichkeit sind, verbietet es mir der Anstand, aber hier …“

Wie gebannt blickte sie ihn an, während ihr Herz wild zu pochen begann.

„Wenn wir allein sind, muss ich mich sehr zusammenreißen.“

Obwohl seine Worte wie ein Fluch klangen, machten sie ihr Mut, und im Überschwang der Gefühle legte sie ihm die Arme um den Nacken und lächelte ihn herausfordernd an. „Ich dachte, Selbstbeherrschung wäre deine Stärke.“

„Ja, das dachte ich auch“, stieß er hervor, während er sie näher an sich zog. „Bis ich dir begegnet bin.“

Fasziniert beobachtete sie, wie er den Blick zu ihrem Mund schweifen ließ. Als er im nächsten Moment die Lippen auf ihre presste, vergaß sie alles um sich her. Qwasir hatte ihre kühnsten Erwartungen übertroffen, doch es war nichts im Vergleich zu den lange ersehnten Empfindungen, die sein Kuss in ihr weckte. Aufreizend langsam und zärtlich lockend umspielte er ihre Zunge mit seiner, bis ein erregendes Prickeln sie überlief und sie sich wünschte, es würde niemals enden.

Dann brachte das Schnauben eines Pferdes sie jäh in die Wirklichkeit zurück. Unvermittelt löste Kaliq sich von ihr, und als sie herumwirbelte, sah sie seinen Berater auf sie zureiten.

„Verzeihen Sie, Königliche Hoheit“, rief er und hielt sein Pferd an. „Ich habe nicht mitbekommen, dass Sie losgeritten sind, und … als ich Amir sah, dachte ich, Sie wären vielleicht in Schwierigkeiten.“

„Nein, Jalaal, danke“, erwiderte Kaliq heiser, woraufhin der andere Mann nickte und zurückkehrte.

Mit gekrauster Stirn beobachtete Tamara, wie Kaliq zu seinem Pferd ging. Er hatte seinen Berater also nicht angewiesen, sie allein zu lassen, und ihn auch nicht ihretwegen weggeschickt. Nervös atmete sie ein. Fand er es so schlimm, dass er sie begehrte und andere es mitbekamen?

„Erzähl mir nicht, dass es richtig ist, wenn wir zurückkehren, Kaliq“, bemerkte sie sarkastisch. „Schließlich reise ich morgen ab.“

Nachdem er sie verständnislos angesehen hatte, blickte er zu Boden und dann zum Horizont.

Plötzlich nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, den sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Als hätte man ihm gerade den Schlüssel zu einer Tür ohne Schlüsselloch gegeben und als würde er überlegen, ob er es dabei belassen oder diese eintreten sollte.

„Und?“, hakte Tamara nach, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie sah erst ihn und danach Amir an.

Daraufhin wandte er sich schnell zu ihr um. „Willst du mich heiraten, Tamara?“

Sie war völlig verblüfft. Schließlich musste sie lachen. „Dich heiraten? Warum? Weil dein Berater uns gerade allein erwischt hat?“

Ein angespannter Zug erschien um seinen Mund. „Nein.“

„Warum dann?“, flüsterte sie.

„Soll ich dir die Gründe aufzählen? Ist es denn nicht offensichtlich?“ Kaliq öffnete die Hand und schloss sie wieder. „Weil du wunderschön und noch Jungfrau bist. Weil du die Tochter des englischen Botschafters bist und meinem Land und meiner Kultur großen Respekt entgegenbringst. Und weil ich heiraten muss, um die Krone zu erben, wie du ja weißt.“ Er machte eine Pause, als würde er überlegen, ob er etwas vergessen hatte. Das war allerdings offenbar nicht der Fall, denn er wirkte auf einmal sehr sicher. „Ist das verständlich genug?“

„Und ob.“ Sie fühlte sich plötzlich ganz leer, denn er hatte in einem Satz alle Gründe dafür aufgezählt, warum sie sich zur Königin eignen würde, aber nicht mit einem Wort gesagt, warum sie seine Frau werden sollte.

In diesem Moment wurde ihr klar, dass Kaliq und sie Welten trennten.

In der vergangenen Woche hatte er nur herausfinden wollen, ob sie eine gute Königin abgeben würde. Es war ihm die ganze Zeit nicht um ihre Erwartungen und Träume, sondern um seine Pflichten als Thronfolger gegangen.

Und obwohl sie sich in ihn verliebt hatte und mit einem Nein alles verlieren würde, was ihr je etwas bedeutet hatte, wollte sie auf keinen Fall auf das Leben verzichten, das sie gerade begonnen hatte. Denn wie sollte sie mit einem Mann zusammenleben, der sie nicht liebte? Eine solche Ehe wäre genauso zum Scheitern verurteilt wie die ihrer Eltern.

„Und?“, hakte Kaliq jetzt nach. „Was hältst du davon, die Saphire zu tragen, Tamara?“

Sie atmete tief durch. „Ich kann dich nicht heiraten, Kaliq.“

Er straffte die Schultern. „Darf ich fragen, warum nicht?“

Ist es denn nicht offensichtlich? hätte sie am liebsten gekontert, doch ihr Stolz verbot es ihr. Wie hätte sie ihm den wahren Grund nennen können? Schließlich wäre es verrückt gewesen, ihm ihre Liebe zu gestehen, schließlich kannte sie ihn erst seit einer Woche. Genauso irrwitzig, wie Ja zu einem Mann zu sagen, der ihr nur einen Heiratsantrag gemacht hatte, weil sie die Tochter des englischen Botschafters und noch Jungfrau war und er eine Frau brauchte.

„Weil du immer im Rampenlicht stehst und ich frei sein möchte“, hatte sie deshalb erwidert.

Kaliq blickte von dem internationalen Handelsvertrag auf, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Die Verhandlungen hatten ihn die ganzen letzten Wochen beschäftigt, und nun, da es zum Abschluss kommen würde, empfand er wie immer große Befriedigung, wenn er etwas sorgfältig durchdacht und geplant hatte.

Mit einer Ausnahme. Er ließ den Blick zu Tamara schweifen und verzog spöttisch den Mund, als er daran dachte, wie er sich damals ihr gegenüber verhalten hatte. Einer Eingebung folgend hatte er ihr den Heiratsantrag gemacht, um sein Verlangen zu befriedigen und seine Pflicht zu erfüllen. Der Zeitpunkt hätte nicht ungünstiger sein können.

Allerdings hatte er seinen Verstand von ihrer ersten Begegnung an ausgeschaltet, denn ihm war gleich klar gewesen, dass sie die unschuldigste und schönste Frau war, die er je kennengelernt hatte. An jenem letzten Abend war ihm klar geworden, dass sie sein Land am nächsten Tag verlassen und auf einer ihrer zukünftigen Reisen einem anderen Mann begegnen würde. Noch nie hatte er eine Frau so begehrt wie sie, doch mit ihr zu schlafen verbot ihm sein Stolz. Schließlich war er ein Nachfahre des Stammes der A’zam, der Qwasir zivilisiert hatte.

Kaliq öffnete seine Aktentasche. Nun, da er wusste, dass Tamara eine lockere Moral hatte, war alles viel einfacher. Die Vorstellung, dass ihr Gesicht nach Ablauf dieser Woche nie wieder vor seinem geistigen Auge auftauchen würde, wenn er seine diskreten Affären pflegte, gefiel ihm. Allerdings machten diese ihm in letzter Zeit keinen Spaß mehr. Nachdem er Tamara halb nackt auf jenem Werbeplakat gesehen hatte, fragte er sich anders als in den letzten sieben Jahren auch nicht mehr, wie es zwischen ihnen hätte sein können, wenn er nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen würde.

Sobald er mit ihr geschlafen hätte, würde er sie vergessen. Eine diskrete, flüchtige Affäre würde das Verlangen, das jener Anblick geweckt hatte, endgültig stillen. Und ihr Eingeständnis, dass sie genauso süchtig nach Ruhm, Geld und Sex war wie alle anderen Frauen, obwohl sie immer das Gegenteil behauptet hatte, würde ihm außerdem enorme Genugtuung verschaffen.

So, wie sie jetzt dasaß und sich auf die Lippe biss, mochte sie zwar den Anschein erwecken, dass sie anders war, doch offenbar hatte sie das schauspielerische Talent ihrer Mutter geerbt.

Wenn er mit ihr schlief, würde er die Erinnerung an alle anderen Männer auslöschen, damit sie ihn niemals vergaß. Tamara sollte seine Juwelen tragen, und zwar ein einziges Mal. Dann würde er sie ihr abnehmen, und sie würde für immer aus seinem Leben verschwinden.

Als das Privatflugzeug auf der kleinen Landebahn aufsetzte, schluckte Tamara, denn die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Ja, sie durfte niemals vergessen, was damals geschehen war. Hatte Kaliq ihr mit seinem Verhalten nicht gerade wieder vor Augen geführt, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie seinen Antrag angenommen hätte?

„Und, erinnerst du dich?“

Der Klang seiner Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass Kaliq sie beobachtete.

„Ja“, erwiderte sie finster, während sie wieder aus dem Fenster blickte. In der gleißenden Sonne wirkte der Wüstensand wie gesponnenes Gold und bildete einen reizvollen Kontrast zu den bläulich schimmernden majestätischen Hügeln in der Ferne und den weißen Gebäuden der Stadt. Schnell versuchte sie, das Gefühl der Vertrautheit zu verdrängen und ihr Herz auch gegen diese Eindrücke zu verhärten.

Als der Jet stehen blieb, bedeutete Kaliq ihr, aufzustehen und auszusteigen.

„Seit damals hat sich viel verändert, Tamara. Komm.“

Glaubte er etwa, er müsste sie daran erinnern? Als sie sich erhob, mied sie seinen Blick.

„Stimmt“, bestätigte sie bitter, als sie durch das gegenüberliegende Fenster sah, dass zahlreiche Wagen am Rand des Flugfelds warteten. „Anscheinend brauchst du jetzt ein ganzes Gefolge, während es dir früher immer zu viel war. Abgesehen von deinem Berater natürlich.“

„Ich brauche kein Gefolge.“

Tamara lachte. „Und was ist das dahinten? Ein Park and Ride in der Wüste?“ Dann nahm sie ihre Handtasche und ging zur Tür. Dort langte er an ihr vorbei, um diese zu entriegeln.

Einer dieser Wagen wartet auf uns. Ist das in Ordnung? Es sei denn, du möchtest lieber zu Fuß gehen.“ Verächtlich musterte er ihre Sandaletten mit den Keilabsätzen. „Hast du zufällig Wanderschuhe, Sonnencreme und zehn Liter Wasser dabei?“

Sie ignorierte seine Frage. „Und was ist mit dem Rest?“

„Das sind vermutlich Fotografen.“

Zweifelnd schüttelte sie den Kopf. „Du lässt die Presse nie auf deinen Grund und Boden.“

„Wie ich schon sagte …“ Langsam öffnete er die Tür. „Es hat sich viel verändert, Tamara.“

Sie wusste, dass er nur bluffte, und musste unbedingt Abstand zwischen ihn und sich bringen. Nachdem sie sich ihre Handtasche umgehängt hatte, betrat sie die Gangway. In diesem Moment geriet Bewegung in die unten wartende Menge, und das Klicken der Kameras erfüllte die Luft. Instinktiv beschattete sie die Augen mit der Hand. An diesen Rummel würde sie sich nie gewöhnen.

„Lächeln, Tamara“, flüsterte Kaliq ihr ins Ohr. „Selbst für dich als gefragtes Model müsste doch dieser Rummel einmalig sein.“

Ungläubig wirbelte sie zu ihm herum. „Was soll das, Kaliq? Du hast die Presse doch immer gehasst!“

„Wie ich schon sagte, mein Vater ist schwer krank. Je mehr sie mich belagern und Lügen über mich verbreiten, desto weniger schreiben sie über ihn.“ Forschend blickte er sie an. „Selbst die Menschen, die man nicht immer an seiner Seite haben möchte, sind manchmal ganz nützlich, Tamara.“

„Lass mich raten“, konterte sie scharf. „Das hier ist mein Augenblick, ja?“

„Nein, unserer. Mach das Beste daraus.“

Beinah hätte sie das Gleichgewicht verloren, so grausam erschienen ihr seine Worte. Instinktiv wich sie einen Schritt zurück. „Ich will dich nicht, Kaliq.“

„Lügnerin“, stieß er hervor, bevor er sie hochhob und die Gangway hinunter zu dem Jeep trug.

5. KAPITEL

War es nicht oft so, dass Dinge, die man von früher als groß und beeindruckend in Erinnerung hatte, klein und unbedeutend wirkten, wenn man sie wiedersah?

Auf den A’zam-Palast trifft es jedenfalls nicht zu, dachte Tamara, als der Jeep vor dem riesigen Eingang stoppte. Als herausragendes Beispiel für den maurischen Stil erschien das Gebäude ihr noch bemerkenswerter als damals – vielleicht weil sie inzwischen wusste, dass es einzigartig war.

Genau wie Kaliq, meldete sich eine innere Stimme, und Tamara musste sich eingestehen, dass kein anderer Mann dem Vergleich mit ihm standhielt. Nervös riss sie die Tür auf und sprang aus dem Wagen, bevor Kaliq den Motor abgestellt hatte. Nachdem er sie auf dem Flugplatz getragen und an sich gepresst hatte, war sie im Jeep so weit wie möglich von ihm weggerückt, damit seine Hand beim Schalten nicht ihr Bein streifte. Sie musste ihr Verlangen unterdrücken und jeglichen Körperkontakt mit ihm vermeiden.

Wäre sie bloß nicht so naiv gewesen, zu glauben, sie würde ihn gut kennen. Er hatte sich tatsächlich verändert, auch wenn er – und dieser Ort – noch dieselbe Wirkung auf sie ausübten wie damals.

Langsam stieg Kaliq ebenfalls aus und kam auf sie zu. Dabei umspielte ein amüsiertes Lächeln seine Lippen.

„Du kannst es wohl nicht erwarten, in den Palast zu gelangen, Tamara. Komm.“

Als er sie durch die Eingangshalle führte, ließ er sich nicht anmerken, ob er sich noch an ihre erste Begegnung erinnerte. Sie tat es jedenfalls so deutlich, dass ihr jeder Schritt schwerfiel.

Aber warum hätte er es im Gedächtnis bewahren sollen, wenn jede Frau, die er kennenlernte, ihn begehrte? Während er sie einen der Flure entlangführte, blieben mehrere weibliche Angestellte stehen, um sich vor ihm zu verneigen und ihn dabei bewundernd anzublicken. Es ärgerte Tamara mehr, als es eigentlich der Fall hätte sein dürfen.

„Müssen deine zukünftigen Mitarbeiter dich anhimmeln, damit du sie einstellst?“, erkundigte sie sich sarkastisch, sobald sie allein waren.

„Warum? Meinst du, du würdest dich perfekt für den Job eignen?“, spöttelte Kaliq.

„Mit Heiligenverehrung habe ich leider keine Erfahrung.“

„Aha.“ Er ballte die Hand zur Faust und öffnete sie dann wieder. „Und zu deiner Information: Meine Mitarbeiter registrieren es normalerweise kaum, wenn ich von einer Reise zurückkehre. Du bist für sie so interessant.“

„Ich?“, hakte sie skeptisch nach. „Letztes Mal hat mich kaum jemand beachtet.“

„Da warst du auch nur die Tochter eines Botschafters, keine bekannte Persönlichkeit, die ich engagiert habe, damit sie die Kronjuwelen trägt.“

Eigentlich hätte seine Beschreibung sie freuen müssen, doch sie fühlte sich plötzlich klein und unbedeutend.

„Sicher hast du schon viele Frauen hierhergebracht, die berühmter sind als ich, Kaliq.“

„Nein. Ich habe noch keine Frau mit hierhergebracht.“

Hätte er es nicht so dahingesagt, hätte sie womöglich zu viel in seine Worte hineininterpretiert. Doch sie wusste, dass es stimmte, aber nur deswegen, weil Kaliq ein Mann war, der Berufliches und Privates strikt voneinander trennte. Er hätte sich niemals von einer Frau bei seinen Geschäften stören lassen.

„Du bist hier, weil die Umstände es erfordern“, erinnerte er sie, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Am liebsten hätte sie ihm entgegengeschleudert, dass sie auch nichts anderes angenommen hatte und er ihr nicht alles erklären musste. Bevor sie jedoch die Gelegenheit dazu hatte, blieb er so abrupt vor einer kunstvoll geschnitzten Tür stehen, dass sie fast mit ihm zusammengestoßen wäre.

Anerkennend musterte er sie. „Ich behalte meine Investitionen, und seien sie noch so kurzfristig, gern im Auge.“

Seine Nähe weckte unwillkommene Empfindungen in ihr, und das machte Tamara wütender als seine Worte. „Wenn das hier meine Zelle ist, lass mich bitte rein.“

Verächtlich zog er eine Braue hoch. „Ich wollte dir gerade mitteilen, dass dahinter die Gemächer meines Vaters liegen.“ Nachdem er den Flur entlanggeblickt hatte, betrachtete er wieder die Tür. „Traditionsgemäß ist das hier das eheliche Schlafzimmer …“ Seine dunklen Augen funkelten herausfordernd. „Allerdings wirst du es niemals betreten.“

Sie wünschte, der Boden würde sich unter ihr auftun und sie verschlingen.

„Zeig mir einfach mein Zimmer, und lass mich dann in Ruhe. Ich möchte mich hinlegen.“ Sicher konnte sie jetzt nicht schlafen, doch sie brauchte unbedingt Abstand, bevor ihre Erinnerungen und sein unwiderstehlicher Duft sie schwach machten.

„Ich habe dich in diesen Flügel gebracht, weil mein Vater dich so bald wie möglich sehen möchte. Aber wenn du ihn warten lassen willst …“

Die Vorstellung, den König zu beleidigen, schockierte sie genauso wie die Erkenntnis, dass sie nicht unerkannt hier wohnen würde.

Nun betrachtete Kaliq kritisch ihre enge Bluse und ihre Jeans. „Allerdings solltest du dich vorher lieber umziehen. Wir essen um halb acht. In der Zwischenzeit nimmt Hana deine Maße und zeigt dir eins der Gästezimmer.“ Auf sein Nicken hin kam eine junge Einheimische, die offenbar irgendwo hinter ihr gestanden hatte und ungefähr in ihrem Alter war, auf sie zu.

„Und wo befindet sich dieses Zimmer? Ich nehme an, so weit wie möglich von deinen Räumen entfernt.“

„Im Gegenteil, Tamara. Direkt daneben.“

Angespannt streckte Tamara die Arme aus, während Hana um sie herumging und Maß nahm. Dabei redete sie sich ein, dass es keine Rolle spielte, ob sein Zimmer direkt neben ihrem lag oder nicht, denn sie würde es niemals betreten.

Dann überlegte sie, warum der König sie sehen wollte. Verlangte das Protokoll womöglich, dass er alle Besucher und Teilnehmer der Gala empfing? Vielleicht wollte er sich auch nur nach ihrem Vater erkundigen. Und was sollte sie dann antworten? Dass sie diesen immer noch genauso selten sah wie damals mit neunzehn, obwohl er inzwischen in England lebte? Traurig schüttelte sie den Kopf, als sie daran dachte, dass er auch ihre letzte Einladung ausgeschlagen hatte.

Dennoch hätte sie lieber Fragen über ihre Eltern abgeblockt, als allein mit Kaliq zu Abend zu essen, zumal König Rashid damals immer sehr nett und locker gewesen war.

„Ich bin fertig, Miss Weston“, verkündete Hana freundlich in fließendem Englisch, und Tamara ließ die Arme sinken. „Ich habe Ihnen einige Öle hingestellt, falls Sie vor dem Essen noch baden möchten.“ Lächelnd deutete sie auf das angrenzende Bad.

Tamara riss sich zusammen und folgte ihrem Blick. Dass die junge Frau offenbar so viel Freude an ihrer Arbeit hatte, erstaunte sie.

„Das ist sehr nett von Ihnen, vielen Dank.“

Während Hana zur Tür ging, schämte sie sich plötzlich ihrer trüben Gedanken. Musste sie sich wirklich so elend fühlen, wenn sie – zumindest nach außen hin – all das bekam, wovon andere Mädchen und Frauen träumten? Immerhin würde sie ein maßgeschneidertes Designerkleid und die Kronjuwelen tragen.

Um sich abzulenken, betrat sie das Bad … und war verblüfft. Auf ihren Reisen genoss sie immer einen gewissen Standard, aber das hier übertraf alles, was sie bisher gesehen hatte. Die Mosaikfliesen an den Wänden und auf dem Boden verliehen dem Raum einen orientalischen Zauber, der durch die eingelassene große Wanne und die zahlreichen Flakons mit Ölen in verschiedenen Farben auf dem Rand noch verstärkt wurde. Begeistert nahm sie eines der Fläschchen in die Hand und öffnete es, sodass ihr ein aromatischer Duft in die Nase stieg. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und überlegte, wann sie sich das letzte Mal richtig entspannt hatte. Bei den letzten Shootings hatte sie nicht einmal genug Schlaf bekommen, und an ihren freien Tagen hatte sie Mike bei der Planung oder Buchhaltung geholfen. Davor … Ja, davor hatte sie immer etwas gefunden, um ihre Zeit irgendwie auszufüllen und nicht grübeln zu müssen.

Diese Erkenntnis ärgerte sie, und Tamara nahm sich vor, in der nächsten halben Stunde an gar nichts zu denken, sondern einfach nur das warme Wasser zu genießen. Dann schüttete sie etwas Öl in die Wanne und drehte den Hahn auf.

Als Tamara eine Stunde später den Flur entlangging, an dem sich König Rashids Gemächer befanden, fragte sie sich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war zu baden. Es hatte ihr zwar gut getan, in dem warmen parfümierten Wasser zu liegen und an nichts zu denken, aber auch ihre Sinne geweckt. Selbst als sie danach in den flauschigen Bademantel schlüpfte, hatte sie sich vorgestellt, ob Kaliq unter anderen Umständen zu ihr in die Wanne gestiegen wäre, um sie an sich zu ziehen, die Lippen über ihren Nacken gleiten zu lassen und ihre Brüste zu streicheln …

Sie riss sich zusammen und strich über den blauweißen Kaftan, den sie nun zusammen mit einer blauen Hose trug. Nein, solche Dinge gab es nur in Filmen. Sie konnte sich kaum entsinnen, ihre Eltern je mehr als zweimal in der Woche im selben Raum gesehen zu haben, und Zärtlichkeiten hatten die beiden nie ausgetauscht. Obwohl sie der Ehe gegenüber nicht mehr ganz so ablehnend eingestellt war, wusste sie, dass sie Kaliq kaum zu Gesicht bekommen hätte, wenn sie ihn geheiratet hätte, und wenn, wäre er mit den Gedanken sicher immer woanders gewesen.

Als sie zur Tür zum Speisesaal kam, musste sie plötzlich an jene Aufnahme von Sofia und Rashid denken. Nicht einmal ihre Mutter hatte auf ihren Hochzeitsfotos so glücklich wie Sofia ausgesehen, die offenbar davon überzeugt gewesen war, dass Ihr Mann nicht nur ein guter König, sondern auch ein liebender Ehemann sein würde. Allerdings musste sein Sohn diese Eigenschaften nicht unbedingt von ihm geerbt haben.

Plötzlich wurde die Tür geöffnet, und Kaliq erschien. Er trug die traditionelle Landeskleidung, und bei seinem Anblick überlief Tamara ein sinnliches Prickeln.

„Seine Majestät möchte dich jetzt empfangen.“

Ihr fiel auf, dass er nicht mein Vater gesagt hatte, und sie versuchte zu verdrängen, dass ein sinnlicher Schauer sie beim Klang seiner Stimme durchrieselt hatte. Handelte es sich bei dem Badeöl, das sie benutzt hatte, etwa um ein Aphrodisiakum?

Kaliq führte sie durch ein luxuriös ausgestattetes Vorzimmer in den Speisesaal, der in den für Paläste typischen Farben Gold und Burgunderrot gehalten war. In der Mitte stand ein langer Tisch aus Rosenholz mit zahlreichen hohen Stühlen. Zuerst hätte sie den gebrechlichen Mann, der aufstand, um sie zu begrüßen, beinah nicht erkannt. Sobald er ihre Hand nahm, erschienen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln. Respektvoll neigte sie den Kopf, denn er war nicht nur der König von Qwasir, sondern außerdem ein sehr weiser und würdevoller Mann.

„Bitte setzen Sie sich, mein Kind“, forderte er sie liebenswürdig auf. „Es ist mir eine große Freude, Sie wiederzusehen.“ Seine Augen begannen zu funkeln, und seine Züge wirkten nun nicht mehr so verhärmt. „Sie sind noch schöner als damals.“

„Danke.“

Während Tamara neben Kaliq Platz nahm, erschien eine Hausangestellte mit einem Tablett, auf dem drei kleine Gläser standen.

„Wie geht es Ihrem Vater?“ König Rashid lächelte wohlwollend. „Genießt er immer noch seinen Ruhestand?“

„Ich glaube schon, ja.“

„Das ist einer der Vorzüge eines Jobs, den man ergreift und in den man nicht hineingeboren wird.“ Er lachte leise und machte dann eine kleine Pause, bevor er weitersprach. „Ich möchte mich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass ich Sie schon so kurz nach Ihrer Ankunft zu mir gebeten habe. Sie hatten ja noch nicht einmal die Gelegenheit, etwas zu essen.“ Jetzt runzelte er die Stirn. „Aber Kaliq hat Ihnen sicher erzählt, dass mein Gesundheitszustand nicht besonders … stabil ist. Deshalb wollte ich mich so schnell wie möglich persönlich bei Ihnen bedanken.“

„Bei mir bedanken?“ Bisher hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht, was ihr Besuch für den König bedeuten würde.

„Wir sind Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie anlässlich der Gala hierhergekommen sind.“ Der König blickte sie an, deutete dabei jedoch auf seinen Sohn. „Ihre Anwesenheit wird unserem Volk das Gefühl vermitteln, dass wir ein modernes Land, aber auch in unseren Traditionen verwurzelt sind. Wir möchten damit zeigen, dass wir uns treu bleiben, auch wenn viele Dinge sich ändern.“

Tamara überlegte, ob das wirklich der Fall war, denn sie erkannte Kaliq, den sie früher für so offen gehalten hatte, kaum wieder. Allerdings hatte sie keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. König Rashids Worte machten sie sehr stolz und riefen ihr ins Gedächtnis, dass hier viel auf dem Spiel stand.

Sie trank einen Schluck aus ihrem Glas, und die goldfarbene Flüssigkeit, die nach Anis und Zimt schmeckte, stieg ihr sofort zu Kopf und erinnerte sie daran, dass sie schon seit einer Weile nichts mehr gegessen hatte. Doch bevor sie höflich um ein Glas Wasser bitten konnte, stellte sie fest, dass Kaliq sie erwartungsvoll ansah.

„Bleiben Menschen denn dieselben? Eine interessante Frage“, sagte er dann unvermittelt. „Und beeinflussen Erfahrungen sie in ihrem Verhalten, oder liegt dies schon in den Genen?“ Dabei blickte er sie verächtlich an.

„Ich kannte einmal einen Mann, der niemals auf die Idee gekommen wäre, alle Leute über einen Kamm zu scheren“, konterte sie hitzig. „Daraus kann ich nur schließen, dass Erfahrungen einen Menschen tatsächlich verändern.“

König Rashid lachte wieder. „Ich möchte euch bei eurer Diskussion nicht stören. Und so gern ich mit euch essen würde, ich muss mich jetzt zurückziehen. Außerdem sollt ihr beide allein sein.“

Unsicher stand er auf und hielt sich dabei am Tisch fest, woraufhin Kaliq sofort aufsprang und auf ihn zueilte. „Vater!“, rief er, während er ihn besorgt ansah. Von der Distanz zwischen ihnen war nichts mehr zu spüren.

„Ich bin durchaus in der Lage, allein in meine Gemächer zu gehen, Kaliq.“

„Dann erlaube mir bitte wenigstens, dich zu begleiten“, erwiderte er, wobei er ungewohnt hilflos wirkte.

Während er seinen Vater aus dem Raum führte, blickte Tamara in ihr Glas und wartete. König Rashids Worte, sein Lebensmut und seine Bescheidenheit hatten sie gleichermaßen beschämt und bestärkt. Kein Wunder, dass Sofia auf dem Foto lächelt, überlegte sie.

Nun fiel es ihr auch schwer, an ihrer Annahme festzuhalten, dass Kaliq kein Herz hatte. Auch wenn er Rashid meistens mit Majestät ansprechen mochte, war der Moment, in dem er ihn Vater genannt hatte, sehr aufschlussreich gewesen.

„Mein Vater ist ein stolzer Mann.“

Kaliq war zurückgekehrt, und bei seinem Anblick rieselte ihr erneut ein prickelnder Schauer über den Rücken.

„Das trifft wohl auf die meisten wirklich großen Männer zu“, meinte sie langsam, während die gefährlichsten Empfindungen in ihr wach wurden. „Entschuldigst du mich jetzt bitte?“

„Warum?“

„Da dein Vater nicht mit uns essen kann, dachte ich, ich könnte gehen.“

„Findest du die Vorstellung, allein mit mir am Tisch zu sitzen, denn so schrecklich?“

Wenn es so wäre, würde es mir leichtfallen aufzustehen, dachte Tamara.

„Sicher ist es nicht angebracht, wenn wir allein sind, oder?“, sagte sie in der Hoffnung, er würde sie hinausschicken. Dass sie es aus eigener Kraft schaffte zu gehen, bezweifelte sie.

„Wie mein Vater bereits sagte, hat sich vieles geändert.“

„Eure Sitten sind also lockerer geworden?“

„Nein, das nicht. Du hast dich verändert, Tamara. Denn es würde mir nicht im Traum einfallen, allein mit dir zu essen, wenn du noch Jungfrau wärst. Wir wissen ja beide, dass es nicht der Fall ist.“

Kaum hatte er den letzten Satz beendet, wurde die Tür geöffnet, und drei weibliche Angestellte kamen mit großen Platten herein. Am liebsten hätte sie ihn darauf hingewiesen, dass Äußerlichkeiten in ihrem Job zwar eine große Rolle spielten, sie aber trotzdem nicht mit jedem Mann ins Bett ging. Vielmehr beschäftigte sie allerdings die Frage, mit wie vielen begehrenswerten, erfahrenen Frauen er schon geschlafen hatte.

„Apropos Erfahrung … Was hast du in der Zwischenzeit eigentlich sonst noch so gemacht, Tamara? Bist du durch Europa gereist? Hast du studiert?“ Er verzog den Mund, als würde der Gedanke ihn amüsieren.

Ohne ihn anzusehen, nahm Tamara sich ein Stück Fleisch von einem der vielen Gerichte, die die Frauen auf den Tisch gestellt hatten. Sicher aßen die Frauen, mit denen er sonst Rendezvous’ hatte, nicht mehr als einen kleinen Salat. Dies hier war jedoch kein Tête-à-tête, und sie gehörte auch nicht zu den Models, die hungerten.

Autor

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