Rote Rosen in Verona

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Drakon Lyonedes glaubt, ein Engel wäre in sein Büro getreten. Leider hat Gemini sehr weltliche Wünsche: Sie verlangt ein wertvolles Haus von ihm zurück. Ob Blumen und eine romantische Reise nach Verona sie davon abbringen können?


  • Erscheinungstag 14.05.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514446
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Wer ist das?“, fragte Markos, der eben aus seinem Büro in das weitläufige Penthouse im dreißigsten Stock des Lyonedes Towers heraufgekommen war. Hier residierte Drakon Lyonedes, wenn er die Londoner Niederlassung seines Unternehmens besuchte, während sein Cousin Markos es vorzog, nicht in der Nähe seines Arbeitsplatzes zu wohnen.

Auf einem von mehreren Überwachungsmonitoren beobachtete Drakon eine junge Frau, die nervös in dem Raum auf und ab lief, in den sie vor wenigen Minuten von Max Stanford, dem Sicherheitschef von Lyonedes Enterprises, gebracht worden war. Die große, gertenschlanke Frau trug ein dunkles, eng anliegendes Oberteil, unter dem sich kleine feste Brüste abzeichneten, kombiniert mit auf den Hüften sitzenden, hautengen Jeans, die einen flachen Bauch, einen knackigen Po und aufregend lange Beine vorteilhaft zur Geltung brachten. Altersmäßig schätzte Drakon die Frau auf Mitte bis Ende zwanzig. Das schulterlange Haar schien blond zu sein, aber genau war das auf dem Schwarz-Weiß-Monitor nicht auszumachen. Ihr herzförmiges Gesicht mit den großen hellen Augen, der kleinen geraden Nase und den vollen sinnlichen Lippen war atemberaubend schön.

Nachdem Markos sich zu ihm gesellt hatte, warf Drakon seinem Cousin einen kurzen Blick zu. Die Familienähnlichkeit zwischen den beiden konnte man ebenso wenig übersehen wie ihre griechische Abstammung, die sich in ihren wie gemeißelt wirkenden südländischen Gesichtszügen und dem olivfarbenen Teint ausdrückte. Beide Männer – dunkelhaarig, hochgewachsen und schlank – waren Mitte dreißig, wobei Drakon mit seinen sechsunddreißig Jahren zwei Jahre älter als Markos war.

„Ich weiß nicht genau“, erwiderte Drakon. „Max hat sich vor ein paar Minuten gemeldet und gefragt, was er mit ihr machen soll“, fuhr er fort. „Sie sagt nur, dass sie Bartholomew heißt und nicht bereit ist, das Gebäude zu verlassen, bevor sie mit einem von uns beiden gesprochen hat … vorzugsweise mit mir“, fügte er trocken hinzu.

Markos schaute überrascht. „Bartholomew? Meinst du, es gibt da eine irgendwie geartete Verbindung?“

„Könnte Miles Bartholomews Tochter sein.“ Drakon hatte den Mann im Lauf der Jahre immer mal wieder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen getroffen, bevor dieser vor einem halben Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Tatsächlich glaubte er jetzt definitiv, eine Ähnlichkeit zu erkennen.

„Kannst du dir vorstellen, was sie will?“, fragte Markos.

„Bis jetzt noch nicht.“

„Du willst selbst mit ihr reden?“

Drakon lächelte dünn. „Ich habe Max gebeten, sie in zehn Minuten raufzubringen. Da kann man nur hoffen, dass sie bis dahin nicht den teuren Teppich durchgelaufen hat.“

Markos wirkte nachdenklich. „Glaubst du, dass das eine gute Idee ist, wo wir doch im Moment mit Bartholomews Witwe in Verhandlungen stehen?“

Drakon riss den Blick von dem Monitor los. „Hast du eine bessere? Sollen wir vielleicht die Polizei rufen? Das käme mir ziemlich übertrieben vor. Und wenn wir sie einfach da sitzen lassen, sitzt sie womöglich morgen noch dort.“

„Stimmt“, räumte Markos ein. „Aber besteht nicht die Gefahr, dass man so eine Art Präzedenzfall schafft?“

Drakon zog spöttisch eine Augenbraue hoch. „Präzedenzfall wofür? Was meinst du wohl, wie viele junge Frauen es in London gibt, die finster entschlossen sind, sich auf so unkonventionelle Art und Weise Gehör zu verschaffen?“

„Eher weniger. Allerdings nur, weil du dich erst seit zwei Tagen in England aufhältst. In so kurzer Zeit schaffst nicht mal du es, den Frauen so den Kopf zu verdrehen, dass sie jede Zurückhaltung aufgeben“, gab Markos grinsend zu bedenken.

Drakons Gesicht blieb ausdruckslos. „Ich kann nichts dafür, dass es immer wieder Frauen gibt, die in mir den Mann ihres Lebens sehen. Ich mache nie ein Hehl daraus, dass ich nicht die geringste Lust verspüre, mich auch nur annäherungsweise zu binden.“

„Aber Miss Bartholomew lässt dich offenbar nicht kalt“, stichelte Markos übermütig. Es gab nur zwei Menschen auf der Welt, die es wagten, auf so vertraute Art mit Drakon zu reden, und das waren sein Cousin und seine Mutter. Markos war mit acht Jahren in Drakons Elternhaus gekommen, nachdem Markos’ Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren.

„Ich möchte einfach nur wissen, was sie will.“

Markos schaute auf den Monitor. „Schön ist sie jedenfalls …“

„Zweifellos.“

Markos warf Drakon einen abschätzenden Blick zu. „Vielleicht könnte ich dir bei dem Meeting ja eine Hilfe sein?“

„Wohl kaum, Markos“, erwiderte Drakon trocken. „Um gewisse Dinge kümmere ich mich lieber persönlich.“

Markos grinste unbeeindruckt. „Das ist wieder mal typisch. Ich frage mich nur, warum du mir eigentlich immer den Spaß verderben musst?“

„Das sagt genau der Richtige.“ Drakon warf einen Blick auf seine elegante goldene Armbanduhr. „Am besten gehst du schon mal vor, Thompson müsste eigentlich gleich da sein. Ich komme in zehn Minuten nach.“

„Glaubst du, dass das genug Zeit für die schöne Miss Bartholomew ist?“

„Verlass dich drauf.“ Drakon schaute ein letztes Mal auf den Monitor, bevor er mit langen Schritten zu einem der großen Panoramafenster ging, von denen aus man die morgendliche Londoner Rushhour beobachten konnte. Dabei hörte er, in Gedanken schon wieder bei Miss Bartholomew, wie sein Cousin hinter ihm die Treppe hinunterging.

Drakon, der nach dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren die Leitung von Lyonedes Enterprises übernommen hatte, war nicht leicht zu überraschen. Und einschüchtern ließ er sich erst recht nicht. Das würde auch Miss Bartholomew zu spüren bekommen, was immer der Grund für ihr inakzeptables Benehmen sein mochte.

Gemini blieb stehen und wandte sich zu dem Mann um, der sich ihr als der Sicherheitschef von Lyonedes Enterprises vorgestellt hatte, bevor er sie vor fünfzehn Minuten in ihrem luxuriösen Gefängnis allein gelassen hatte. Zweifellos war er verschwunden, um sich sagen zu lassen, wie er mit ihr verfahren sollte. Sie versuchte nun schon seit Tagen, einen Termin bei Drakon Lyonedes zu bekommen, doch vergebens. Man hatte sie stets höflich, aber entschieden abgewimmelt.

Als kleines Zugeständnis hatte man ihr angeboten, dass sie gern ihre Bewerbungsunterlagen an die Personalabteilung schicken könnte … als ob sie jemals für einen Hai wie Drakon Lyonedes arbeiten würde! Ein persönlicher Termin bei ihm oder auch bei seinem Cousin, dem Vize des Unternehmens, der die Londoner Niederlassung leitete, war jedoch abgelehnt worden. Deshalb hatte Gemini schließlich beschlossen, mit einem Sitzstreik in der Empfangshalle des Lyonedes Towers auf sich aufmerksam zu machen. Eine Aktion, die allerdings nur von kurzer Dauer gewesen war, weil sie schon wenige Minuten später abgeführt und in einem Raum gesperrt worden war, wo sie jetzt auf ihre Auslieferung wartete!

„Kommen Sie mit.“ Der hart wirkende, ganz in Schwarz gekleidete Sicherheitschef mit den militärisch kurz geschorenen grauen Haaren ließ ihr den Vortritt.

„Ich hätte ja wenigstens Handschellen erwartet“, bemerkte sie spöttisch, während sie neben dem Mann den Marmorflur hinunterging.

Stahlgraue Augenbrauen schnellten nach oben. „Wie darf ich das verstehen?“

War das Belustigung, was da in diesen harten blauen Augen aufblitzte? Wohl kaum. „Bestimmt nicht so, wie Sie denken, glauben Sie mir“, versicherte Gemini trocken.

„Das dachte ich mir.“ Er nickte, während er ihren Ellbogen in einen Zangengriff nahm. „Es ist einfach so, dass Handschellen auf unsere Besucher eher abschreckend wirken.“

„Wohin bringen Sie mich?“, verlangte sie zu wissen, nachdem sie erfolglos versucht hatte, sich aus diesem stählernen Griff herauszuwinden. „Ich will sofort Auskunft …“

„Ich habe Sie gehört.“ Er blieb vor einem Aufzug stehen und gab einen Sicherheitscode ein.

Er hatte sie gehört. Gut. Dann wollte er also nicht antworten. „Dieses Gebäude ist viel zu modern, um einen Kerker zu haben“, bemerkte sie.

„Aber es gibt einen Keller.“ Als die Türen des Aufzugs auseinanderglitten, warf ihr der Sicherheitschef aus zusammengekniffenen Augen einen scharfen Blick zu. Gleich darauf zog er sie an seine Seite, bevor er einen der Knöpfe drückte, doch sie konnte nicht sehen, ob der Pfeil nach oben oder nach unten zeigte. Und der Aufzug bewegte sich so schnell, dass sie fast Angst bekam. Oder lag das an ihrem ramponierten Nervenkostüm? Sie war schließlich nicht zu ihrem Vergnügen hier, und der stumme Mann an ihrer Seite wirkte definitiv einschüchternd.

Vielleicht war es ja doch keine so gute Idee gewesen, zu derart extremen Mitteln zu greifen. Obwohl Drakon Lyonedes sich das letzten Endes selbst zuzuschreiben hatte. Sie plante schließlich kein Attentat auf ihn, sondern wollte nur mit ihm reden, nichts weiter. Sie reckte trotzig das Kinn und warf dem Mann an ihrer Seite einen Blick zu. „Freiheitsberaubung ist eine Straftat, falls Sie das nicht wissen.“

„Hausfriedensbruch auch“, knurrte er.

„Ich verlange trotzdem, dass Sie mich auf der Stelle loslassen. Was fällt Ihnen eigentlich …?“ Sie verstummte abrupt, als der Aufzug weich federnd zum Stehen kam und sich die Türen geräuschlos öffneten. Nicht in einen Keller. Oder in ein Verlies. Dafür in das ungewöhnlichste Büro, das sie je gesehen hatte. Nein, wohl eher kein Büro, überlegte sie, als Mr Grimmig sie in einen riesengroßen eleganten Wohnraum zog. Der elfenbeinfarbene dicke Teppich schluckte jedes Geräusch. Sie sah einen Marmorkamin mit einer Sitzgarnitur aus dunkelbraunem Leder davor, bestehend aus mehreren Sesseln und einer L-förmigen Couch. In einer Ecke des Raums stand ein wunderschöner elfenbeinfarbener Flügel, in einer anderen war eine Bar. An den ebenfalls elfenbeinfarbenen Wänden hingen die Werke zahlloser berühmter längst verblichener Künstler, von denen Gemini einige auf Anhieb erkannte. Direkt vor ihr war eine Fensterwand, die einen atemberaubenden Blick auf London bot. Also, ein Keller war das hier jedenfalls nicht!

„Ich sage Ihnen Bescheid, wenn Miss Bartholomew gehen möchte, Max.“

„Sir.“

Gemini bekam nur am Rande mit, dass sich der Sicherheitschef zurückzog, weil sie sich spontan in die Richtung umdrehte, aus der diese tiefe, befehlsgewohnte Stimme kam. Und als ihr Blick auf den Mann vor einer zweiten Fensterfront fiel, wusste sie sofort, dass das nur Drakon Lyonedes sein konnte.

Dass er nicht amüsiert war, ließ sich kaum übersehen. Genau gesagt wirkte er sogar noch verärgerter als sein Sicherheitschef. Drakon Lyonedes war groß, hatte breite Schultern, schmale Hüften und lange Beine. Der dunkelgraue Anzug war garantiert maßgeschneidert, dazu trug er ein weißes Seidenhemd und eine perlgraue Krawatte. Er hatte kurz geschnittenes dunkles Haar und ein kantiges, wie aus Granit gehauenes Gesicht mit eindringlichen schwarzen Augen. Das Auffallendste an ihm aber war die Aura von Autorität und Macht, in die er eingehüllt war, eine Aura, die keines der vielen Fotos, die Gemini im Lauf der Jahre von ihm gesehen hatte, einzufangen vermocht hatte.

Drakon verzog keine Miene, während er jetzt die Farbversion der eigensinnigen Miss Bartholomew eingehend musterte. Das schulterlange glatte Haar war hell und schimmerte golden – wie die langen Sandstrände auf seiner Insel in der Ägäis. Ihr sehr heller Teint stand in einem aufregenden Kontrast zu ihren schwarzen Wimpern und meergrünen Augen. Die sinnlichen hellrosa Lippen waren ungeschminkt. Soweit er es beurteilen konnte, schien sie überhaupt ungeschminkt zu sein, was für eine Frau in seiner Welt einigermaßen ungewöhnlich war.

„Mr Lyonedes, nehme ich an?“, fragte sie mit leiser Stimme, während sie graziös wie eine Ballerina auf ihn zukam.

„Miss Bartholomew. Max hat mich informiert, dass Sie Ihrem Wunsch, mich zu sprechen, auf eine etwas unorthodoxe Art und Weise Ausdruck verliehen haben.“

„Finden Sie?“ Sie fixierte ihn.

„Sich auf den Boden in der Empfangshalle zu setzen und zu drohen, dort sitzen zu bleiben, bis ein Gespräch mit mir oder meinem Cousin zustande kommt, ist nun einmal nicht die Regel“, gab er zurück.

„Ach, das meinen Sie.“ Gemini verzog das Gesicht, während sie ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bringen versuchte. Was im Augenblick alles andere als einfach war, wie sie zugeben musste. „Aber Sie haben ja zum Glück Max“, sagte sie.

Er zog irritiert die Augenbrauen hoch. „Sie nennen meinen Sicherheitschef beim Vornamen?“

„Nun, es ist der einzige Name, den ich von ihm kenne. Er hat sich mir nicht mit Namen vorgestellt, und dass er Max heißt, weiß ich nur, weil Sie ihn eben so angesprochen haben.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber Sie sind selbst schuld, dass sich die Situation so zugespitzt hat“, fuhr sie fort, jetzt schon bedeutend selbstsicherer, weil es ihr immerhin gelungen war, ins Allerheiligste vorzudringen. „Wenn Sie sich so unerreichbar machen.“

„Ja nun. Was meinen Sie denn, warum ich das tue?“

„Weil … egal.“ Gemini schüttelte den Kopf.

Drakon beobachtete, wie bei der Bewegung in diesem hellen Haar die Sonnenstrahlen tanzten, wobei er sich unwillkürlich fragte, ob das ihre natürliche Haarfarbe war. „Ihnen ist doch sicher klar, dass Hausfriedensbruch …“

„Eine Straftat ist.“ Sie atmete schwer. „Ja, daran hat mich Ihr Sicherheitschef bereits mit Nachdruck erinnert … und daran, dass es Ihr gutes Recht gewesen wäre, die Polizei zu rufen und mich festnehmen zu lassen.“

Drakon lächelte humorlos. „Diese Möglichkeit besteht nach wie vor, glauben Sie mir.“

„Oh.“ In ihren Augen flackerte für einen Moment Unsicherheit auf, dann straffte sie die Schultern. Das T-Shirt, das sich äußerst vorteilhaft an ihre kleinen hohen Brüste und den flachen Bauch schmiegte, war schwarz, und die Jeans, die sich über diesem aufregenden Po spannten, waren hellblau. „Aber das war doch nur, weil ich unbedingt mit Ihnen reden muss …“

„Möchten Sie Kaffee?“

Sie stutzte. „Wie bitte?“

„Kaffee?“ Drakon deutete zur Bar, wo eine Kanne mit frischem Kaffee stand, die man ihm vor Kurzem gebracht hatte.

„Koffeinfrei?“

Er zog dunkle Augenbrauen hoch. „Soweit ich weiß, ist das ganz normaler brasilianischer, meine Lieblingssorte …“

„Dann danke nein“, lehnte sie höflich ab. „Von Kaffee bekomme ich oft Kopfschmerzen, außer er ist koffeinfrei.“

„Aber Sie gestatten doch, dass ich eine Tasse trinke?“, fragte er mit leisem Spott, bevor er, ohne ihre Antwort abzuwarten, an die Bar ging und sich Kaffee einschenkte, den er wie üblich schwarz und ohne Zucker nahm. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, musterte er sie über den Rand seines Kaffeebechers hinweg.

Falls diese junge Frau tatsächlich die Person war, für die sie sich ausgab, wirkte sie jedenfalls nicht so. Schwer vorstellbar, dass sie eine reiche Erbin sein sollte. Gekleidet war sie jedenfalls nicht anders als zahllose ihrer Altersgenossinnen heutzutage. Und als sie eine lange, elegante Hand hob, um sich eine weißgoldene Haarsträhne über die Schulter zu schnippen, sah er, dass ihre Fingernägel praktisch kurz und unlackiert waren. Ihr Besuch kam in der Tat überraschend. Noch überraschender allerdings war ihre ungezwungene Art, ja, fast eine gewisse Respektlosigkeit, mit der sie ihm begegnete.

Er stellte den schwarzen Becher behutsam auf der Bar ab, bevor er mit federnden Schritten und ohne Eile den Raum durchquerte und nur wenige Zentimeter vor ihr stehen blieb. Da sie großgewachsen war und Stiefel mit hohen Absätzen trug, begegneten sie sich praktisch auf Augenhöhe.

„Vielleicht sollten wir uns erst einmal vorstellen. Ich bin, wie Sie ja sicher bereits erraten haben, Drakon Lyonedes. Und Sie sind …?“

„Gemini“, entfuhr es ihr spontan. „Äh … Gemini Bartholomew. Ich bin Miles Bartholomews Tochter.“ Sie streckte ihm die Hand hin. Ihre Wangen waren jetzt genauso rosa wie ihr aufregender Mund.

Gemini … Ein ungewöhnlicher, hübscher Name. „Und was, glauben Sie, kann nur ich und sonst niemand für Sie tun, Miss Bartholomew?“

Gemini spürte, wie ihr bei seinen Worten ein leiser Schauer über den Rücken rieselte, während er weiterhin ihre Hand hielt. Seine Haut war kühl, aber seine gedämpfte, leicht heisere Stimme klang fast wie eine Liebkosung. Wie war das denn nun wieder gemeint? Er versuchte ja wohl nicht, mit ihr zu flirten, oder? Wohl kaum, wo sie doch guten Grund hatte anzunehmen, dass er derzeit eine Affäre mit ihrer verabscheuten Stiefmutter hatte.

2. KAPITEL

Allein der Gedanke an ihre Stiefmutter veranlasste Gemini, Drakon abrupt ihre Hand zu entziehen. Zweifellos hatte er mit dieser Hand die verhasste Angela schon auf eine Art und Weise berührt, wie sie es sich nicht einmal vorstellen wollte. Erschauernd brachte sie ihre Hand hinter ihrem Rücken in Sicherheit, bevor sie einen Schritt zurücktrat. „Ich möchte Sie bitten, das Angebot zurückzuziehen, das Sie der Witwe meines Vaters gemacht haben“, gab sie auf seine Frage unumwunden zurück.

Drakon registrierte, wie aufgeregt Gemini Bartholomew jetzt war. Ihre Wangen glühten, die schönen Augen glitzerten. „Warum sollte ich? Die Vertragsverhandlungen für Bartholomew House dürften in etwa zwei Wochen abgeschlossen sein.“

Zwischen den meergrünen Augen mit den langen Wimpern bildete sich eine steile Falte. „Ich weiß. Aber Angela hat kein Recht, das Haus zu verkaufen, das sich seit Generationen im Besitz meiner Familie befindet.“

„Ich gehe fest davon aus, dass unsere Rechtsabteilung alle erforderlichen Unterlagen gründlich geprüft hat“, erwiderte Drakon ungerührt, auch wenn sich in seinem Innern ein leises Unbehagen breitmachte.

„Natürlich gibt es aus rechtlicher Sicht nichts zu beanstanden.“ Sie schüttelte so ungeduldig den Kopf, dass die weißgoldenen Haare flogen. „Ich meine es eher moralisch.“

Die Anspannung in Drakons Schultern ließ etwas nach. „Ich verstehe“, murmelte er.

Wohl kaum, dachte Gemini, als sie sah, dass er sie skeptisch musterte. Wahrscheinlich hielt er sie für völlig überspannt. Aber das änderte nichts daran, dass Angela absolut kein Recht hatte, Bartholomew House einfach zu verkaufen. So eine weitreichende Entscheidung stand der Frau, die nur die letzten drei Jahre mit Geminis Vater verheiratet gewesen war, nicht zu. Aber Angela war nicht bereit, mit sich reden zu lassen.

Auf Geminis Gesicht spiegelte sich ihre ganze Frustration wider. „Ich weiß, dass Sie … dass Sie jetzt mit Angela … zusammen sind, aber …“

„Dass ich was bin?“, fragte Drakon perplex.

„Oh, keine Sorge“, winkte sie eilig ab. „Natürlich geht mich das nichts an, das ist mir bewusst, auch wenn der Tod meines Vaters noch nicht lange zurückliegt.“

„Besten Dank, das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen“, entgegnete Drakon mit beißendem Spott.

„Nein, ich meine es wirklich“, beteuerte Gemini, wobei sie zu ergründen versuchte, was ein Mann wie er wohl an einer Frau wie Angela finden mochte. Geminis Vater, der nach dem Tod ihrer Mutter einsam gewesen war, hatte sich von der Aufmerksamkeit einer fünfundzwanzig Jahre jüngeren, zugegebenermaßen attraktiven Frau geschmeichelt gefühlt. Aber Drakon Lyonedes war jung und charismatisch, reich wie Krösus und schön wie ein griechischer Gott! Ein Mann wie er konnte jede Frau haben. Warum also sollte er sich ausgerechnet von einer Frau wie Angela, die nichts Eigenes vorzuweisen hatte, angezogen fühlen?

„Bitte fahren Sie fort“, forderte Drakon sie kühl auf.

„Ich bin mir nicht sicher, ob das klug ist“, erwiderte sie verunsichert.

Er zuckte die breiten Schultern. „Offensichtlich hatten Sie etwas dagegen, dass Ihr Vater ein zweites Mal geheiratet hat?“

„Nein, das stimmt so nicht.“ Gemini fühlte sich plötzlich ziemlich unwohl in ihrer Haut. „Er hätte sich einfach nur etwas mehr Zeit lassen sollen mit seiner Entscheidung. Als er Angela kennenlernte, war er immer noch sehr deprimiert, weil er den Tod meiner Mutter nach dreißig Jahren Ehe noch längst nicht verkraftet hatte. Damals war meine Mutter erst ungefähr ein Jahr tot, und er fühlte sich einsam.“

„Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?“

Gemini schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte mich nicht einmischen, außerdem wirkte er mit Angela ja auch glücklich. Was ich ihm nach dieser dunklen Zeit von ganzem Herzen gegönnt habe.“

„Ihr Vater stand Ihnen sehr nah?“

„Ja“, sagte sie leise. „Ich habe mein Bestes versucht, um die riesige Lücke zu füllen, die meine Mutter hinterlassen hat. Aber ihm die Lebensgefährtin zu ersetzen war mir als Tochter natürlich nicht möglich.“.

„Er fehlt Ihnen?“, fragte er behutsam.

„Sehr.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Verzeihen Sie. Ich wollte keine alten Wunden …“

„Schon gut.“ Sie blinzelte die Tränen weg und fuhr entschlossen fort: „Unser Verhältnis veränderte sich … es gestaltete sich etwas … schwierig, nachdem Daddy Angela geheiratet hatte.“

„War er in seiner zweiten Ehe unglücklich?“

Gemini hatte ohnehin bereits mehr gesagt, als sie hatte sagen wollen, und es gab nicht den geringsten Grund, ihm jetzt auch noch von der Desillusionierung zu erzählen, die bei ihrem Vater bereits wenige Monate nach der Hochzeit eingesetzt hatte. „Ich habe Sie schon mit genug Einzelheiten über meine Familie gelangweilt, Mr Lyonedes“, sagte sie heiser. „Aber vielleicht verstehen Sie jetzt etwas besser, wie … wie heikel diese Situation ist.“

„Schön, aber ich weiß immer noch nicht, was ich für Sie tun kann.“

Gemini kam nicht umhin, sich plötzlich dasselbe zu fragen. Zu Hause hatte sie sich die Situation immer wieder ausgemalt und sich genau übergelegt, was sie sagen wollte, doch in Wirklichkeit war alles anders. Und dass der Mann so unverschämt gut aussah, machte die Sache nicht einfacher. Besonders, weil Gemini sich auf seltsame Weise von ihm angezogen fühlte, obwohl sie wusste, dass ihre Stiefmutter ein Verhältnis mit ihm hatte.

Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, bevor sie sagte: „Nun, wie schon erwähnt, möchte ich Sie bitten, Ihr Angebot für Bartholomew House zurückzuziehen.“

„Ich bitte Sie, das kann nicht Ihr Ernst sein“, protestierte Drakon kopfschüttelnd. „Immerhin ist Angela Bartholomew die rechtmäßige Erbin des Hauses.“

„Ja, aber nur, weil mein Vater so plötzlich verstorben ist“, beharrte Gemini. „Er hat mich wenige Wochen vor seinem Tod informiert, dass er vorhat, ein neues Testament zu machen … in dem er mich als Erbin von Bartholomew House einsetzt.“

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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