Schwein gehabt, sagt die Liebe

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Salzige Meeresluft und die Weite der Nordsee - auf Spiekeroog fühlt Nicole sich so unbeschwert wie nirgendwo sonst. Als sie dieses Mal auf die Insel reist, hat sie eine Mission: Sie will die tier- und gastfreundliche Pension der verstorbenen Martha retten. Doch dann erfährt sie aus sicherer Quelle, dass der Sohn und Erbe inkognito eingecheckt hat. Nicole beschließt, die infrage kommenden Männer zu daten und vom Potenzial der Pension zu überzeugen. Dabei kommen ihr ein frecher Papagei und ein anschmiegsames Hausschwein dazwischen. Und in all den Turbulenzen verliebt sie sich auch noch in den Falschen …


  • Erscheinungstag 08.11.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783745750416
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gewidmet

meinen Eltern

&

Ati

Prolog

»Das ist Tanzen, nicht Autoscooter!«, rief ich lachend, als Martha in einer übermütigen Drehung mit mir zusammenprallte und wir unter den skeptischen Blicken meines Schäferhundes in den Sand fielen.

»Ups.« Sie hielt sich den Bauch vor Lachen und blies sich eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht.

Erschöpft blieb ich liegen und schloss die Augen. Warm und weich spürte ich den Sand unter meinem Rücken. Der Wind spielte in meinem Haar, und die Wellen der Nordsee brachen sich tosend am Strand. Mit jeder Welle schien die Insel neuen Atem zu holen. Die Inselluft schmeckte salzig. Ich lächelte.

Eine nasse Hundezunge schleckte über meine Wange, und eine sandige Pfote stupste gegen meinen Bauch. »Ohne ein paar Pfotenabdrücke auf dem T-Shirt fühle ich mich inzwischen gar nicht mehr vollständig«, flüsterte ich in die beiden Fellohren und drückte meinem Hund einen Kuss auf die Stirn, bevor ich den Blick zur Seite wandte.

»Ich hab dich vermisst.« Grinsend stieß ich Martha in die Rippen. Einmal im Jahr packte ich meinen Hund ein, nahm den Zug in den Norden und besuchte sie auf Spiekeroog. Seit dem Tod meiner Eltern war Martha mir eine zweite Mutter geworden, eigentlich meine beste Freundin. »Nur mit dir kann man am Strand eine Cocktailbar aus Sand bauen und Wiener Walzer tanzen.«

»Nicht nur mit mir.« Sie hob eine Augenbraue und zwinkerte mir vergnügt zu, als sie sich aufsetzte.

»Ach ja?« Ich stand auf, bot ihr meine Hand an und zog sie hoch. »Unsere sandige Cocktailbar stürzt bald zusammen. Höchste Zeit, alle Vorräte zu plündern!«

»Du bist dreißig, Nicole!«, rief Martha, während sie die Sektflasche aus dem Sand grub. »So langsam wäre es Zeit für einen Mann an deiner Seite, oder nicht?«

»Den habe ich doch schon«, antwortete ich lachend und knuddelte meinen Hund Ludwig, der zustimmend grummelte. »Er macht brav Sitz, Platz und holt auf Kommando meine Schuhe aus dem Schrank. Da bin ich besser dran als die meisten Frauen.«

Schmunzelnd griff Martha nach den Sektgläsern.

Auf den Dünen wiegte sich der Strandhafer im Wind, die Möwen kreisten am strahlend blauen Himmel. Der Korken flog quer über den Strand, und mein schwanzwedelndes Fellbündel hechtete hinterher.

»Gestern ist in meiner Pension ein Mann angereist. Er ist ledig.«

»Martha!« Lachend schüttelte ich den Kopf und setzte mit Schwung ein Stück ihrer legendären Orangentarte auf einen Kuchenteller.

Ludwig spuckte mir stolz den zerkauten Korken vor die Füße.

»Zimmer zwei«, meinte sie und nickte vielsagend.

Oh nein, gar nicht mein Fall. Der hatte gestern sogar vorgeschlagen, dass mein Hund der Hygiene wegen am Strand übernachten solle. Und das in Marthas tierliebender Pension. Mein Hirn hatte ein kurzes Ranking möglicher Antworten aufgestellt, bei dem »Oh« das Rennen machte. Keine Ahnung, welche Trottel in der Jury saßen.

»Er sagte, er hat zwei Karten für die Seehunde-Tour.« Martha lächelte aufmunternd. »Ich sagte ihm, dass ich da schon eine nette Dame für ihn wüsste. Und danach ein romantisches Dinner am Strand …«

Etwa zehn Minuten und zwei Kuchenstücke später hatte ich den ersten Schrecken überwunden und war fähig, ein drittes zu essen. »Du hast einen interessanten Männergeschmack«, antwortete ich ausweichend. »Lieb, dass du dir Gedanken machst.«

»Ich veräpple dich doch nur!« Lachend legte Martha mir den Arm um die Schultern, als ich hörbar aufatmete. »Du brauchst einen ganz anderen Mann.«

Nach einem großen Schluck Sekt blickte ich auf das weite, glitzernde Meer hinaus. Eine Möwe schaukelte auf den Wellen, weiße Schaumkronen rollten an den Sandstrand.

»Einen romantischen Mann«, stimmte ich ihr seufzend zu. »Einen, der Tiere mag, selbstständig ist, ausgeglichen und intelligent. Gut aussehen sollte er auch.«

»Sag doch gleich, dass du fünf Männer willst.« Sie zwinkerte mir zu. »So einen Mann kannst du lange suchen.«

»Ich werde nicht auf die Suche gehen«, erklärte ich und kraulte Ludwig die Ohren, der sich gerade an mich kuschelte. »Männer müssen mir zulaufen wie Hunde.« Prompt legte er seine feuchte Hundeschnauze auf meinen Bauch, und ich fing einen herzerweichenden Blick auf.

»Da will jemand toben«, stellte Martha fest, knuddelte ihn zärtlich und erntete ein zustimmendes Wuff.

»Na dann …« Ich stellte meinen Sekt beiseite. »Auf die Plätze, fertig …«

»Los!«, rief Martha.

Unter dem begeisterten Bellen meines Hundes rannten wir über den Strand und stürzten uns in die Fluten. Das Wasser spritzte, ich quietschte, und ein paar Möwen flogen laut kreischend auf. So war es immer mit Martha auf Spiekeroog, und ich fragte mich, warum ich das nicht jeden Tag haben könnte: klatschnass und glücklich sein.

1

»Entschuldigung, Sie liegen auf meinem Schwein.«

»Äh?«, machte ich.

So macht man das als neue Chefin, dachte ich voll Selbstironie. Tür auf und ab in die Waagrechte. Die meisten Angestellten kennen noch nicht einmal meinen vollen Namen, haben aber schon Teile meiner Unterhose gesehen. Ich bin ein Phänomen.

»Das ist sie«, hörte ich jemanden flüstern.

Keine Ahnung, was jetzt von einer Chefin erwartet wurde. Meine bevorzugte Lösung wäre, rot zu werden, wegzurennen und mich im Klo einzusperren. Nicht gerade professionell, ich weiß. Da mir nichts Besseres einfiel, blieb ich einfach liegen und zupfte meinen dicken Winterrock in eine vertretbare Position.

»Haben Sie sich verletzt?«, fragte die tiefe Stimme, die von einem Schwein gesprochen hatte, jetzt.

Der Typ, der vor mir stand, ging in die Hocke. Gut sah er aus, soweit ich das von unten beurteilen konnte. Vor allem sah ich sein Knie in beiger Hose, das um Haaresbreite meine Nase verfehlte.

»Nicole«, stellte ich mich vor, stützte mich auf die Ellenbogen, schob sein Knie beiseite und streckte ihm die Hand hin.

»Benedikt.« Ob ihm bewusst war, dass ich ihm von dieser Position aus bis in die Nasenlöcher gucken konnte? So gut hatte ich mir einen Mann vor dem ersten Flirt noch nie angeschaut.

Er schloss die Finger um meine Hand, was sich überraschend gut anfühlte. »Darf ich Ihnen aufhelfen, Nicole?«

Gerade als ich mein schönstes Lächeln aufsetzte und ganz verführerisch mit den Wimpern klimpern wollte, spürte ich etwas Nasses an meiner Wange. Ups. Hastig zog ich die Hand zurück und wischte mir über das Gesicht.

»Ludwig!«

»Nein, Benedikt. Der Name war Benedikt.«

Als ich mich schlagartig aufsetzte, knallte ich mit dem Kopf gegen Benedikts Knie. Eine Hand presste ich auf die schmerzende Stirn, meine andere Hand schob meinen Schäferhundmix aus der Gefahrenzone, und mit der nächsten Hand tastete ich nach dem Fußboden. Ich fiel rückwärts in meine Ausgangslage, als ich merkte, dass ich keine dritte Hand besaß. Was eigentlich kein Problem war, weil ich genauso weich gefallen war wie vorher. Aber der Fußboden bewegte sich.

»Es schaukelt«, murmelte ich.

»Nein, es atmet«, korrigierte Benedikt und kratzte sich am Kopf.

Das könnte sein. Wer mich umwirft, muss mich auch tragen können. Im Zweifelsfall war es immer ein Hund. Ein Jack Russell hätte zwar das nötige Temperament, kam allerdings nicht infrage, da der unter meinen sechzig Kilo wohl nun nicht mehr atmen würde.

»Sie heißt Lilly.«

»Hallo Lilly«, sagte ich benommen und rappelte mich auf. Und dann sagte ich erst einmal gar nichts mehr.

Lilly guckte mich aus ihren süßen kleinen Augen an und machte ein Geräusch wie eine Oma mit Asthmaanfall.

»Das ist …«

»Ein Schwein, ja.« Benedikt nickte und hob die Augenbrauen über seinen dunklen Augen.

Es war zehn Jahre her, dass Martha diese Pension gegründet hatte, in der die Gäste ihre Haustiere mitbringen durften. Ich fand die Idee schon immer charmant, aber verrückt und wartete noch darauf, dass jemand den ersten Stier auf dem Balkon parkt.

»Was ist das denn?«, fragte eine Dame in der Schlange vor der Rezeption voll Abscheu, auf dem Arm einen Chihuahua.

»Das ist unser Schnitzelvorrat für die nächsten zwei Monate«, antwortete ich, stand auf und klopfte mir betont lässig den Staub von meinem dunkelblauen Rock.

Inzwischen hatte Ludwig das Schwein entdeckt und protestierte lautstark. Kein Wunder, er kannte Schwein ja sonst nur in mundgerechten kleinen Stücken, in viereckigen Aluminium-Dosen verpackt und verschlossen mit einem Deckel, von dessen Oberseite ein glücklicher Hund heruntergrinste.

»Ludwig, aus!«, befahl ich streng, obwohl ich ihn ja verstand.

Daraufhin schwieg er brav, wand sich aber, als hätte ich ihn auf einer heißen Herdplatte abgesetzt, und warf mir herzerweichende Blicke zu. Gott allein wusste, was in einem Hundehirn vor sich ging. Womöglich sah er Lilly mit Lätzchen am Tisch sitzen, fröhlich grunzend, während Benedikt zwei viereckige Aluminium-Dosen aufriss: Frischer Ludwig mit Karottenpüree. Oder: Nicole, fein gehackt, mit Langkornreis.

Als Lilly grunzte, zuckte Ludwig zusammen. Obwohl ihm dieses Geräusch eigentlich hätte vertraut sein müssen. Wenn ich nämlich beim Telefonieren lachte, grunzte ich regelmäßig ins Telefon.

»Wieso dauert denn das so lang, ich würde jetzt gern endlich einchecken!«, rief eine genervte Stimme vom Ende der Schlange vor dem Empfangstresen.

Mein Blick ging zur Eingangstür, durch die der Spiekerooger Winterwind hereinpfiff, entlang an bestimmt zehn wartenden Gästen und schließlich zu dem wirklich nett aussehenden dunkelhaarigen Mann vor mir, der beruhigend sein Schwein tätschelte und mich erwartungsvoll ansah.

Okay, auch wenn ich sicher einen seltsamen ersten Eindruck hinterlassen hatte, würde ich die Situation vollprofimäßig in den Griff bekommen. Beschwingt warf ich meinen Rucksack und den Koffer hinter den Rezeptionstresen und hüpfte über die Abgrenzung.

»Willkommen auf Spiekeroog«, rief ich errötend und schob ein paar Nordsee-Broschüren beiseite. »Wer ist der Nächste?«

»Ich.«

Benedikt trat an die Rezeption. Von vorne und näher betrachtet war er sogar noch schöner anzusehen. Groß und breitschultrig stand er vor mir. Seine Züge waren weich, kleine Grübchen saßen auf seinen Wangen, und Lachfältchen zeigten sich auf seinem sonnengebräunten Gesicht.

»Sekunde.« Ich kramte mich durch die Schubladen, auf der Suche nach dem kleinen Büchlein, in dem Martha immer die Daten ihrer Gäste aufgenommen hatte. Wo war bloß dieses doofe Ding? Ich fand eine angebissene Pizza, eine Tube Haftcreme und eine Taucherbrille. Als mein Finger in einem Marmeladenkeks stecken blieb, gab ich auf.

»Oben links!«, brüllte Susanne, und ihr blonder Haarschopf rauschte an der Rezeption vorbei, während sie sechs gut beladene Kuchenteller auf zwei Unterarmen balancierte. Susanne hatte Martha schon lange unterstützt, sie wusste einfach alles.

Aha. Und tatsächlich, da war es ja.

»Ihren vollen Namen bräuchte ich, bitte«, sagte ich, als hätte ich nie etwas anderes getan, und zückte den Stift.

»Siegfried, Otto, Emil, Richard …«

Ich sah ihn entsetzt an. Für einen Moment fragte ich mich, ob ich Siegfried Otto Emil Richard Benedikt den Ersten um eine Privataudienz bitten sollte, dann erkannte ich, dass er nur buchstabierte.

»Ein Autogramm bitte, Herr Soerensen«, erwiderte ich schließlich so professionell wie möglich und reichte ihm einen Meldeschein, den ich unter dem Notizbuch gefunden hatte.

Plopp, da zerplatzte die Seifenblase. Genauer gesagt machte es nicht plopp, sondern vielmehr leise klack, als der Kugelschreiber auf seinen Ehering traf.

»Och, nö«, machte ich bedauernd. Benedikt Soerensen mit seinen süßen Grübchen war also tabu für mich.

»Wie bitte?«

Ich ignorierte die Frage und hielt ihm nur den Zimmerschlüssel hin. »Zimmer vier.« Gedanklich steckte ich mir zwei Finger in die Mundwinkel, um mein Rezeptionslächeln aufzuhalten, das sich gerade in den Feierabend verabschiedete.

»Wo ist Zimmer vier?«, fragte Benedikt.

»Neben Zimmer drei!?«

Ich konnte nicht fassen, dass er verheiratet war. Unglaublich. Ließ sich erst bis in die Nasenlöcher gucken und stellte sich dann als vergeben heraus.

»Haben Sie hier einen Weckdienst?«

»Weckdienst?« Keine Ahnung, was er sich unter Weckdienst vorstellte, aber wenn ich ihn um sechs Uhr früh an den Füßen aus dem Bett ziehen sollte, dann hatten wir so etwas definitiv nicht. »Der Hahn kräht«, sagte ich. »Hilft das?«

»Können Sie den Hahn auf sechs Uhr dreißig stellen?«

Während ich ihn noch mit offenem Mund anstarrte, fing Benedikt an zu lachen. Ich lachte mit. Auch wenn ich ehrlich gesagt noch damit beschäftigt war, Benedikts Ehering zu verdauen. Nicht den Ring selbst, versteht sich.

»Wir werden um sechs Uhr dreißig an Ihre Tür klopfen«, brachte ich schließlich lachend hervor. »Ist das für Sie so in Ordnung?«

»Gern«, meinte er und zwinkerte mir zu.

Ich war so verwirrt, dass ich zurückzwinkerte. Trotz des Eherings.

Lilly grunzte. Als ich mich über die Tresenplatte beugte, bot sich mir ein Bild der puren Harmonie. Ludwigs Pfoten lagen auf Lillys Schultern. Aus ihren kleinen Schweinchenäuglein schien Lilly ihn verträumt anzuhimmeln. Mit Sicherheit war dies erst der Anfang einer wunderschönen Freundschaft. Ich seufzte. Es hätte so perfekt sein können. Ein gut aussehender Mann, Hund und Schwein in der Standardtanzpose, romantische Spaziergänge am winterlichen Strand, kuschelige Abende am knisternden Kaminfeuer, gemeinsames Kochen … Wenn doch bloß ein paar Gramm Gold nicht wären.

»Ach, und ich habe Abendessen für mein Schwein reserviert«, sagte Benedikt, der ebenfalls gedankenverloren das Spiel unserer beiden Tiere betrachtete.

»Puh«, machte ich. Da war ich überfragt. »Susanne?«, rief ich hoffnungsvoll.

Keine Antwort.

Susanne war ein Glücksgriff für die Pension, das hatte Martha immer gesagt. Eine Angestellte, die notfalls innerhalb von fünf Minuten drei Betten frisch bezog und zehn Liter Kürbissuppe kochte. In ihren bunten Pluderhosen, die sie aus Indien mitgebracht hatte, hatte sie vor fünf Jahren ohne jede Arbeitserfahrung an der Pensionstür geklingelt. Zwei Tage hatte es gedauert, dann war Susanne in der Pension herumgelaufen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Kein Mensch hatte ihr angemerkt, dass sie noch ein paar Tage zuvor ihr Chi gesucht hatte. Aber jetzt ließ sogar Susanne mich im Stich. Definitiv nicht mein Tag.

Ich zog probeweise die angebissene Pizza aus der Schublade. »Ich schätze, Ihr Schwein hatte keine Pizza bestellt?« Verlegen pulte ich ein paar Scheiben Salami aus der Tomatensoße. Ehrlich gesagt bezweifelte ich ja, dass Lilly nahe Verwandte in dünnen Scheiben wiedererkennen könnte …

Hilfe!

»Susanne?« Weit weg konnte sie nicht sein.

Nichts.

»Er ist nackt!«, schrie ich laut und schenkte Benedikt ein zuversichtliches Lächeln. Sicher hielt er mich inzwischen für grenzdebil.

Prompt schwang die Küchentür auf, und Susanne hechtete rot und schnaufend in meine Richtung.

Wusste ich es doch. Das funktioniert immer.

»Ich übernehme schon«, rief sie sofort und warf mir meinen Zimmerschlüssel zu. »Komm du erst einmal richtig an.«

Der Stress tropfte ihr förmlich von der Stirn. Sie pustete sich den Pony aus dem roten Gesicht und kramte hektisch in einer Schublade. Seit Martha gestorben war, fehlte eine ganze Arbeitskraft. Zeit für Trauer blieb da kaum. Ich war sicher, dass es an Susanne nagte, und blieb unschlüssig stehen.

»Martha würde nicht wollen, dass ihre geliebte Pension mit ihr stirbt«, flüsterte Susanne, als sie meinen Blick spürte.

»Ich packe gleich wieder mit an«, versprach ich und griff zu meinem Gepäck. »Gib Bescheid, wenn du vorher Hilfe brauchst.«

»Ich habe alles im Griff, lass dir Zeit!« Susanne tauchte dezent hinter der Rezeption ab, biss in die Pizza aus der vorletzten Schublade und schluckte, beinahe ohne zu kauen.

Nachdem sie Benedikt erklärt hatte, wo er den Eimer Schweinefutter finden würde, rief sie geschäftig: »Wer ist der Nächste?«

Ich verspürte das Bedürfnis, ihr zu sagen, dass Tomatensoße in ihrem Mundwinkel klebte, ließ es dann aber bleiben. Sie hatte wirklich genug zu tun. Und eine gute Chefin ließ die Mitarbeiter erst mal die Aufgabe beenden.

Zimmer neun. Meine erste Begegnung mit diesem Zimmer war definitiv eine prägende. Zumindest für meine Stirn. Obwohl ich Martha jedes Jahr besucht hatte, war mir entgangen, dass Zimmer neun eine Dachschräge hatte. Dass ich im Zimmer angekommen war, hatte man wahrscheinlich bis aufs Festland gehört.

Der Fußboden knarzte unter meinen Schritten. Warme Holzmöbel, rote Bettwäsche und durch die Dachgaube eine umwerfende Aussicht auf die winterliche Nordsee.

Spiekeroog. Die zauberhafte Insel war längst meine zweite Heimat geworden. Jedes Jahr wieder hatte ich mich auf das Meer gefreut, die unendliche Weite und das Zwitschern der Vögel in den Moorbirken. Gedankenverloren stand ich am Fenster und blickte hinaus.

Zart und hell brach sich das Sonnenlicht auf den Dünen und hinterließ ein geheimnisvolles Glitzern der Schneekristalle, die sich im Strandhafer verfangen hatten.

Um diese Jahreszeit war die Insel friedlich und still, die Strände menschenleer. Ferienwohnungen wurden renoviert, Geschäfte und Restaurants schlossen für eine Weile. Jetzt, im Winter, war es dann endlich ruhig genug, um die Insel atmen zu hören, wie Martha manchmal gesagt hatte.

Mehrere Dachbalken stützten die Zimmerdecke, von einem baumelte eine Blumenampel herunter. Dieses Zimmer hatte definitiv Charakter. Ich spürte den unebenen Boden unter meinen Füßen, was mich aber nicht sonderlich störte. Drei Stück Sanddorntorte nach Marthas Originalrezept und ich würde nicht garantieren können, dass der Fußboden nicht ein paar zusätzliche Dellen bekam. »Schau mal, Ludwig, ein Hundebett!«, sagte ich.

Doch Ludwig war bereits in den Arbeitsmodus übergegangen und schwer damit beschäftigt zu überprüfen, ob vielleicht ein oder zwei Milligramm Wurst auf dem Teppichboden vergessen worden waren.

»Mach dir keine Hoffnungen, Kumpel.«

Ich nahm Anlauf und landete, den Bauch voran, auf dem Bett, alle viere von mir gestreckt. Kein Wunder, schließlich war ich mehr als zehn Stunden Zug gefahren. Ich war fix und alle. Seufzend kuschelte ich mich auf die weiche Decke, als ich ein Rascheln unter meinem Bauch hörte.

Ups.

Sah fast so aus, als ob jemand auf das Bett eine Begrüßungspraline gelegt hatte. Und die war eventuell vorher nicht ganz so flach gewesen wie jetzt.

»Aus, pfui«, rief ich und richtete mich auf, als Ludwigs Schnauze sich zwischen Bett und Bauch hindurchbohrte und zielstrebig auf die Praline zusteuerte.

Der Geruch von Champagnertrüffeln strömte mir in die Nase, als ich das kleine Tütchen öffnete. Ich drückte die zerquetschte Praline aus ihrem Säckchen wie Senf aus einer Senftüte. Gut, dass mir niemand zusah. Eigentlich hätte ich Lust gehabt, die Reste aus der Tüte zu schlecken, aber bei meinem Pech würde sich die Tür öffnen, sobald meine Zunge im Tütchen steckte.

»Mmmmh«, machte ich genussvoll, als ich es darauf ankommen ließ. Aus dem Augenwinkel sah ich Ludwig neidisch herüberschauen.

Meine Beine fühlten sich an, als hätte sie jemand an Starkstrom angeschlossen. Mehr als zehn Stunden Zugfahrt hinterließen einfach Spuren. Meine Versuche, im Zug ein paar Dehnübungen zu machen, waren am Platzmangel gescheitert. Als ich versuchte, meinen Fuß in Richtung Kinn zu ziehen, hätte ich beinahe meinem Anzug tragenden Sitznachbarn den Laptop vom Schoß gefegt. Ich hätte ihn zwar auch gefragt, ob er mal kurz an meinem Bein ziehen könne, hatte aber das Gefühl, dass er das nicht sonderlich witzig gefunden hätte.

Als das ausgequetschte Pralinentütchen in den Abfalleimer segelte, kehrte Ludwig wieder in den Schnüffel-Modus zurück. Inzwischen wusste er bestimmt schon, wer hier binnen der letzten fünf Jahre wann, wie, wo und warum ein Wurstbrot gegessen hatte.

Seufzend schlug ich die Werbebroschüre auf, die auf dem Tisch lag. Gleich von der ersten Seite lachte mir ein bekanntes Gesicht entgegen.

»Martha«, flüsterte ich.

Das war sie. Die Frau mit dem größten Herz der Welt. Die Frau, der ich alles verdankte. Keine Ahnung, ob ich an ihrer Stelle großartige Lust gehabt hätte, mich um das Mädchen vom mobilen Hauswirtschaftsservice zu kümmern, das da wöchentlich die Wohnung ihrer besten Freundin putzte, Wäsche wusch und Mittagessen kochte. Eine Auszeit war es für Martha gewesen, als sie vor vielen Jahren eine Weile zu ihrer besten Freundin nach Passau gezogen war – und Glück für mich, dass wir uns dort angefreundet hatten. Mir war immer noch ein Rätsel, was sie damals an mir gefunden hatte. Ich hatte Hallo gesagt, wenn ich die Wohnung betreten hatte, und Tschüss, wenn ich wieder gegangen war. »Du bist ein liebes Mädchen«, hatte Martha immer gesagt. Schon damals – als wirklich alles, was ich gesagt hatte, Hallo und Tschüss gewesen war.

»Danke«, sagte ich leise.

Die Martha auf dem Foto lachte nur fröhlich weiter. Ich wünschte, ich hätte ihr zu Lebzeiten öfter gesagt, wie dankbar ich ihr war. Dass sie mehr in mir gesehen hat als nur das zurückhaltende Waisenkind, das einsam auf Kochtöpfe und Wäscheleinen starrte. Sie war mir fast wie eine Mutter gewesen, oder mehr. Ganze Nächte lang hatten wir bei meinen späteren Besuchen auf Spiekeroog dann zusammen geredet, eine gute Flasche Wein geleert und Kekse nach Größe geordnet. Haben über das Leben philosophiert und so laut gelacht, dass die Pensionsgäste gegen die Wand geklopft haben.

»Ich vermisse dich.«

Mein kleiner Finger streichelte die Foto-Wange. Erst als sich kleine, nasse Flecken auf dem Papier ausbreiteten, klappte ich die Broschüre zu.

Ludwig gab Töne von sich wie eine lang nicht mehr geölte Tür. Er kuschelte sich an meine Unterschenkel und legte seinen Kopf auf meine Knie.

Ich fing seinen Hundeblick auf. So guckt er nur, wenn ich weine. Oder wenn er die Hälfte von meinem Schinkenbrot haben möchte. Hälfte sollte natürlich heißen: ich das Brot und er den Schinken.

»Nicole?« Es klopfte.

»Moment! Ich, äh, bin unter der Dusche!«, schrie ich. Das war sicher Susanne, vor der ich als neue Chefin nicht schon wieder Anlass zur Sorge geben wollte.

Vermutlich war ich nicht zu verstehen, denn Ludwig tat inzwischen das, was ein guter Hütehund tat, wenn es klopfte: Er bellte in einer Lautstärke, die glücklicherweise das Knarzen des Bodens übertönte, das ich gezwungenermaßen veranstaltete, als ich in Richtung Bad hüpfte.

Bevor ich Ludwig adoptiert habe, hatte ich eine CD mit Hundegebell, um unliebsame Besucher abzuschrecken. Klar, dass mir Ludwig lieber ist. Besonders, weil man mit einer CD so schlecht kuscheln kann. Und weil die Leute komisch guckten, wenn man es doch tat. Aber was ich definitiv bei Ludwig manchmal vermisste, war der Lautstärkeregler.

Wasser. Kaltes Wasser. Meine Augen sahen mich rot und klein aus dem Spiegel an, und ich wusste, dass ich mich jetzt eine Weile zusammenreißen musste. Als gute Chefin musste ich jetzt jemand sein, an dem man sich festhalten konnte.

»Bin gleich da!«, brüllte ich also.

Ludwig war inzwischen bei einer Lautstärke angekommen, für die man Gehörschutz bräuchte. Ihm Einhalt zu gebieten war sinnlos: Die Chance, dass er das Kommando akustisch verstehen würde, ging gegen null.

Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht – mit Abstand das beste Mittel gegen verheulte Augen. Dann hielt ich noch kurz meinen Kopf unter die Dusche und kam schließlich schwer atmend, mit nassen Haaren, an der Tür an.

Nachdem ich geöffnet hatte, lächelten mich Susanne, eine junge Rothaarige und ein mürrisch dreinblickender Junge unsicher an.

»Hi«, begrüßte ich sie. »Kommt rein.«

Vermutlich empfangen andere Chefs ihre Angestellten nicht in ihrem Schlafzimmer. Als ich merkte, dass das ein wenig unprofessionell wirkte, war es aber schon zu spät.

»Schön, dass du da bist, Nicole«, sagte Susanne und schenkte mir ein warmes Lächeln.

Ein wenig überraschte es mich schon, dass sie tatsächlich meinen Namen wusste. Ich hatte Martha im vergangenen Jahr nur einmal besucht, und Susanne hatte mich mehr wie einen Feriengast behandelt.

»Wahnsinn, dass du dich an mich erinnerst. Ich habe mich schon über deinen Anruf gewundert.«

»Als ob man dich vergessen könnte!« Sie lachte. »Du warst das verrückte Huhn, das immer Käsebrot mit Honig gegessen hat.«

Ich lachte auch. Susanne wusste ja gar nicht, dass ich sogar Schnitzel mit Erdbeermarmelade aß.

»Darf ich euch unsere neue Chefin präsentieren?«, rief Susanne.

Erwartungsvolle Blicke ruhten auf mir. Die junge Frau wickelte sich nervös eine Strähne ihrer roten Haare um den Finger. Susanne bekam rote Flecken auf den Wangen. Nur der Stallbursche lehnte lässig an der Tür.

Leicht verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was jetzt die besten Worte waren. »Hi«, sagte ich schließlich. Grundsätzlich war das ja kein falscher Anfang. »Ich bin Nicole.«

Susannes Miene verriet mir, dass ich weitersprechen musste. Aber was? Ich würde sie wahnsinnig gerne motivieren. Wenn ich jetzt sagte: »Es geht drum, zuzubeißen! Kontrolliert, aggressiv, aber diszipliniert!«, dann war das wohl eher eine Kau-Anweisung für alte, harte Semmeln beim Frühstücksbuffet. Und ein »Macht euren Job! Wenn einer denkt, er kann es locker nehmen, dann ist er in zwanzig Minuten vom Platz!« machte ihnen bestimmt Angst. Okay, ich war auch nicht Klinsmann und sie zu wenige für eine Fußballmannschaft.

»Ich freue mich auf eine vertrauensvolle und teamorientierte Zusammenarbeit«, sagte ich schlicht – und meinte es auch so. »Wir kriegen das gemeinsam hin.«

Ich erntete zustimmendes, erleichtertes Nicken.

»Wir trauern um Martha. Aber wir freuen uns, dass die Pension unter deiner Leitung weiterlaufen wird«, sagte Susanne.

»Ja. Auch wenn die Formalitäten noch nicht erledigt sind, möchte ich sofort zur Tat schreiten und dafür sorgen, dass hier erst mal alles seinen Gang geht«, erwiderte ich unsicher.

Die Testamentseröffnung stand noch bevor. Vielleicht war es leichtsinnig gewesen, auf Susannes Anruf hin meinen Job zu kündigen und ein Ticket für den nächstmöglichen Zug an die Nordsee zu kaufen, um die Pension am Leben zu erhalten. So, als würde ein Goldfisch vorsorglich das Wasser aus seinem Aquarium abpumpen, weil es eventuell sein könnte, dass er bald einen Kasten Mineralwasser erbte. Ich musste verrückt sein. Aber eigentlich genügte ein Blick auf die tiefblaue Nordsee, um zu wissen, dass ich das Richtige getan hatte. Was gab es Schöneres als eine Pension am Strand, tausend zahme Tiere und die liebevolle Erinnerung an Martha? Den Job im mobilen Hauswirtschaftsservice hatte ich ohnehin satt, und wirklich zu Hause gefühlt habe ich mich eigentlich immer nur hier auf Spiekeroog.

»Wir sind alle so froh, dass du gekommen bist, Nicole«, erwiderte die Rothaarige und schenkte mir einen schüchternen Blick. Ich mochte sie. »Wer würde sonst die Pension weiterführen? Marthas Mann ist längst gestorben, Kinder hatte sie ja auch keine. Ich bin übrigens Chloe.«

Ich hatte sie vorher nie gesehen, aber Martha hatte mir am Telefon erzählt, dass sie jemand Neues eingestellt hätte.

»Sie war für mich wie eine Mutter«, sagte ich, als wir einander die Hand schüttelten. Kurz musste ich schlucken. Ja, sie war wie eine Mutter gewesen. Ich schwieg einen Moment und ließ den Blick von einem zum anderen schweifen. Erwartungsvoll schauten die drei zurück, und ich wusste genau, dass sie alle erschöpft waren. Müde, traurig und erschöpft.

»Es ist momentan für uns alle sehr schwer. Aber wir werden das gemeinsam schaffen.«

2

Au, verdammt.

Dieser Moment zwischen Halbschlaf und Aufwachen ist definitiv der verwirrendste. Und für mich heute auch der schmerzhafteste. Als mir langsam dämmerte, dass ich kein Pferd war, das nach hinten ausschlug, hatte ich mir den Knöchel schon fast blutig geschlagen. Wer auch immer das Drehbuch für meine Träume schrieb – Fantasie hatte er. Vom Astronauten übers Rennpferd bis hin zum Schraubenzieher war ich schon alles einmal gewesen, obwohl ich sagen musste, dass man als Schraubenzieher keine so große Verletzungsgefahr hatte. Hoffentlich steht die Zimmerwand noch.

Keine Ahnung, wer im Nachbarzimmer wohnte, aber es gab einfachere Wege, sie kennenzulernen.

»Ludwig!«

Mein Hund machte knackende Kaugeräusche. So hörte es sich in meinem Mund höchstens an, wenn ich Eierschalen im Kuchen mitgebacken hatte oder eine Bierflasche mit den Zähnen aufbiss.

»Ludwig, bei Fuß!«, rief ich müde.

Er wusste, was jetzt kam. Wenn er im Passauer Stadtpark ein Stück Wurstsemmel aus dem Mülleimer zog, holte ich ihm die auch notfalls noch aus der Speiseröhre. Die Leute in Passau kannten mich vermutlich nur so: völlig durchgeschwitzt, den Hund zwischen die Knie geklemmt und den Arm bis zum Ellenbogen in Ludwigs Hals. »Bei Fuß, jetzt mach schon.«

Ehemalige Straßenhunde waren verfressen, das würde ich nie ändern können. Aber dafür umso kuschelbedürftiger. Lieb habe ich sie trotzdem, meine kleine Fressmaschine. Schließlich hatte ich ihn damals adoptiert, damit er endlich ein richtiges Zuhause hatte. So wie ich damals bei Martha, mit der ich nächtelang quatschen und so viel lachen konnte, bis ich Bauchschmerzen bekam.

»Spuck das aus!«

Diesmal hatte Ludwig keine Lust auf Besuch in seiner Speiseröhre. Bevor ich die Hand ausstrecken konnte, kotzte er ein paar Plastikteile aus. Der Rest lag zwischen seinen Pfoten.

Scheiße. Das sah verdächtig nach Wecker aus. Und was in Einzelteilen in einem Hundemaul gesteckt hatte, würde vermutlich nicht mehr rechtzeitig klingeln.

7.30 Uhr.

Ein entsetzter Blick auf die Wanduhr, und ich stürzte humpelnd aus dem Zimmer, um den Typen mit den gut aussehenden Nasenlöchern eine Stunde zu spät aus dem Bett zu ziehen.

»Nicole, bist du das?«, hörte ich eine tiefe, kräftige Frauenstimme auf dem Flur rufen und duckte mich schnell hinter einem riesigen Blumentopf.

»Nein«, rutschte mir gleichzeitig heraus.

Schon als Kind war ich im Versteckspiel nicht sonderlich begabt gewesen. Ich erinnere mich mit Schrecken an ein Indianerspiel in meiner Grundschule. Noch heute weiß ich genau, wie ich dastand, den Kopf geduckt, die Hände dicht am Körper und den Hintern in die Luft gereckt. Kein Wunder, dass das Ganze mit einen Saugnapf-Pfeil an meinem Hintern geendet hatte.

Und dann stand Susanne plötzlich neben mir. »Nicole, was machst du da?«

»Pflanzen-Yoga«, antwortete ich und richtete mich langsam auf. Keine gute Idee mit der Pflanze. Damit sie meinen Benjamin-Blümchen-Schlafanzug nicht länger mustern konnte, drehte ich mich lässig zur Seite.

»Ich habe Herrn Soerensen schon geweckt. Aber am Fährhafen kommt gerade Herr Krüger mit seinem Pferd an. Kannst du ihn in Empfang nehmen?«

Sie drückte mir eine Karotte in die Hand und warf mir einen strafenden Blick zu, als ich hineinbeißen wollte. Okay, dann verschob sich mein Frühstück eben.

»Äh«, machte ich. Dass äh ein Synonym für ja ist, wäre mir neu gewesen, doch von Susanne sah ich nur noch den wirbelnden blonden Pferdeschwanz, der hinter dem Treppengeländer verschwand. Zu spät.

Ich sprang die Treppen hinunter, packte im Vorbeifliegen Marthas Regenmantel, der Benjamin Blümchen auf meinem Schlafanzug nur unzureichend verdeckte, und hechtete hinaus in die Kälte.

Blasenentzündung, so hieß das Wort, das meine Zehen nun im Fünf-Sekunden-Rhythmus an die zuständigen Hirnareale sendeten. Nackte Zehen und Schlafanzug passten mit winterlichen null Grad Außentemperatur so gut zusammen wie Weißwürste mit Vanillesoße. Bei dem einen landet man mit Fieber im Bett, beim anderen brechend über der Kloschüssel.

»Erfrieren, erfror, erfroren«, bibberte ich und stakste mit nackten Füßen über den Hof wie ein Storch. Tja. Laufen, ohne den Boden zu berühren, ist quasi Fortbewegung für Fortgeschrittene. Und deshalb machte ich auch kehrt und schnappte mir die nächstgelegenen Stiefel aus dem Schränkchen neben der Garderobe für die Angestellten. Leider waren es nur ungefütterte Gummistiefel, aber immerhin passten sie zum dünnen Friesennerz.

»Verflixt«, schimpfte ich, als mein Versuch, mir im Laufen die Schuhe anzuziehen, beinahe waagrecht auf dem Boden endete. Ungelenk hüpfte ich wenig später auf meinem linken Fuß über den steinigen Weg.

Ich winkte dem Stallburschen zu, der gerade mit dem Fahrrad um die Kurve kam, ignorierte seinen irritierten Blick und schlüpfte humpelnd in den zweiten Schuh, dann gab ich Fersengeld.

Keine Sekunde zu früh.

Die Fähre lag ruhig im Wasser, hinter ihr konnte man im dichten Nebel das Meer erahnen. Ein groß gewachsener Mann lehnte an einem leeren Frachtcontainer und schien zu warten. Das musste Herr Krüger sein.

»Hi«, schnaufte ich, als ich vor ihm stand.

Ich versuchte wirklich, mir mein Schlottern nicht anmerken zu lassen. Aber nach einigen Minuten im Freien spürte ich nicht einmal mehr, dass ich einen Schlafanzug und eine dünne Regenjacke trug. Ich hätte genauso gut nackt sein können. Jetzt wusste ich endlich, wie sich so ein tiefgefrorenes Hühnchen fühlte. Großer Gott, wenn ich diese Woche ohne Erkältung überlebe, stricke ich Socken für alle Hähnchenschenkel im Gefrierfach.

»Simon Krüger.« Er gab mir die Hand und sah ein wenig irritiert auf Benjamin Blümchen, der unter der Regenjacke hervorlugte.

»Willkommen auf Spiekeroog, Herr Krüger«, sagte ich und hüpfte ein wenig dämlich auf der Stelle herum, in der Hoffnung, mich dadurch aufzuwärmen. Aus meinem Zittern wurde Schlottern.

»Ist Ihnen nicht kalt?«

Eine nett formulierte Frage, auch wenn ich genau wusste, was das übersetzt bedeutete: Was zum Kuckuck ist das für eine Pension, wenn man hier im Schlafanzug empfangen wird?!

»Stärkt das Immunsystem«, nuschelte ich und zwang mich, die Jacke nicht enger um mich zuzuziehen.

Stille.

Simon Krügers Pferd baumelte inzwischen irgendwo über unseren Köpfen. Ein leises Trappeln war aus der Box zu hören. Manchmal fand ich den Kran gruselig, besonders wenn er lebendige Fracht brachte.

»Mögen Sie Massivholzmöbel?«, fragte ich.

Sein Blick sprach Bände. Das schien keine Frage zu sein, die er erwartet hatte, aber die erste, die mir eingefallen war. Irgendetwas musste ich ja fragen. Schließlich konnte ich nicht länger einfach so neben ihm stehen wie eine Straßenlaterne.

»Ja, durchaus«, antwortete er schließlich. »Sie auch?«

»Darüber habe ich noch nie nachgedacht«, gab ich zu.

Vielleicht erklärte das, warum ich bis jetzt noch nie wirklich Glück mit Typen hatte. Meine gut gemeinten Eisbrecher-Fragen steckten irgendwie manchmal im Trockendock fest.

»Wir sollten Ihr Pferdchen ausparken«, sagte ich geschäftig und deutete auf die Box, die nun auf sicherem Boden aufsetzte.

»Gern.«

Meine Beine, die noch immer im Schlafanzug steckten, spürte ich inzwischen fast nicht mehr. Ich machte probeweise ein paar Schritte mit durchgedrückten Knien, was sicher aussah wie bei einer Marionette, deren Fäden sich verknotet hatten. Aber solange ich noch nicht mit der Nase auf dem Boden gelandet war, verbuchte ich das als Erfolg. »Soll ich Sie herauswinken, oder hat das Pferdchen einen Rückwärtspiepser eingebaut?«

»Das wäre mir neu«, antwortete Simon, milde lächelnd.

Gerade als ich ihm die Karotte als Hilfsmittel anbieten wollte, holte Simon innerhalb von Sekunden sein Pferd heraus. Ich musste zugeben, dass ich länger gebraucht hätte, wenn ich Ludwig hätte aus der Box ziehen müssen.

»Zur Pension Martha geht es hier entlang«, sagte ich geschäftig und griff nach seinem Koffer, während ich einen schüchternen Blick auf sein Pferd warf. Was für ein riesen Vieh. So manches Kind könnte aufrecht unter seinem Bauch hindurchlaufen.

»Wie heißt das hübsche Pferdchen eigentlich?«, fragte ich.

»Amadeus.«

Trotz der Kälte musste ich lachen. »Wie das Pferd bei Bibi und Tina?«

Als ich zwei tiefe Falten zwischen seinen Augenbrauen sah, wurde mir klar, dass er keine Ahnung von Bibi und Tina hatte. Und ein dumpfes Gefühl in der Magengegend sagte mir ganz deutlich, dass es nicht meine Aufgabe war, ihn aufzuklären.

»Genau«, erwiderte er aber, vermutlich aus reiner Höflichkeit.

Verstohlen musterte ich ihn aus dem Augenwinkel. Nun ja, so verstohlen, wie ich es eben hinbekam. Wenn die Nase noch nach vorne zeigte, aber die Augen schon so weit rechts waren, dass man Angst bekam, sie könnten stecken bleiben, war das wohl nicht ganz unauffällig.

»Amadeus ist ein Araber«, erklärte er.

»Oh«, sagte ich. »Ich hoffe, er spricht Fremdsprachen. Wir haben einen Überschuss an Isländern.«

Da er meinen Scherz geflissentlich ignorierte, ging ich einfach schweigend weiter.

Ganz praktisch eigentlich. Wenn der Platz zu eng wird, können wir sie stapeln. Unter Amadeus’ Bauch passt ja garantiert ein Shetlandpony … oder drei.

»Das hier ist übrigens der Supermarkt«, nuschelte ich und deutete in Richtung des gelb-blauen Schildes.

Schweigen.

Nicht ganz mein Typ, dieser Simon, aber definitiv sehr gut aussehend. Groß, dunkel, breites Lächeln. Vielleicht einen Tick zu fein für unsere bescheidene Pension. Aber zumindest kein Ehering, stellte ich zufrieden fest. Meinen Sinn für Humor schien er zwar noch nicht zu verstehen, aber das konnte ja noch werden.

»Hatten Sie eine lange Anreise?«, versuchte ich, das erste Kennlerngespräch fortzuführen.

Die Hufe seines Pferdes klackerten rhythmisch auf dem verschneiten Pflaster.

»Fast neun Stunden. Ich wohne direkt am Starnberger See.«

»Oh.« Direkt am Starnberger See hieß übersetzt: in einer Villa. So sieht er aus.

Ich habe in Passau auch eine kleine Villa, die brav auf mich wartet, falls meine Nordsee-Pläne durchkreuzt werden. Sie misst fünfzehn Quadratmeter, und wenn ich auf die Toilette muss, stehe ich mit einem Bein in der Dusche.

Wenn er ein Auto kaufte, überlegte er vermutlich so lange wie ich bei einer Gurke im Supermarkt. Ob das Pferd gerade im Sonderangebot gewesen war?

»Hübsch hier«, meinte er.

Ich nickte lächelnd und lief schnaufend neben Simon und seinem Pferd her, zwischen den Braundünen hindurch, die Steigung hinauf zur Pension Martha.

»Da sind wir schon«, verkündete ich schließlich und rang nach Luft.

Ich hätte ihm jetzt wirklich gern gesagt, wo er den Sattel lagern durfte, und ihm geholfen, sein Pferd in den Offenstall zu bringen. Aber ehrlich gesagt war ich schon froh, wenn ich den Speisesaal und das Klo fand. Wo Susanne Koffer, Pferde und anderes Zeug verstaute, wusste ich nicht. Ich würde es jedoch so bald wie möglich herausfinden.

»Also …« Ich schaute mich verlegen nach Susanne um. Keine Ahnung, wo sie steckte.

»Haben Sie auch ein Pferd?«, fragte Simon und zupfte an seinem langen, edlen Wintermantel. Unter dem schwarzen Mantelkragen konnte ich eine Krawatte erahnen.

»So ähnlich«, antwortete ich. »Er heißt Ludwig, macht aber unter dem Sattel keine gute Figur.«

Apropos Ludwig. Den hatte ich total vergessen!

»Bitte entschuldigen Sie mich kurz!«, rief ich panisch, dann hopste ich mit meinen in Eiszapfen gefangenen Beinen zurück zur Pension, zurück ins Warme.

»Bin schon da, bin schon da«, rief mir Susanne im hellen Flur entgegen, bevor sie auf Simon und Amadeus zustürmte.

Kaum hatte ich die Eingangstür hinter mir geschlossen, stachen tausend Nadeln in meine Beine.

Schon im Erdgeschoss konnte ich Ludwig hören, der so laut heulte, als würde er gefoltert werden. Wobei eine zum Bersten gefüllte Blase Folter recht nahe kam und es mir ohnehin manchmal so vorkam, als ob Ludwigs Konfirmandenblase nur einen Teelöffel Fassungsvermögen hätte.

»Halte durch!«, brüllte ich. Ein Wunder, dass es ihm noch nicht zu den Ohren herauskam. »Ich bin da, alles ist gut«, rief ich.

Ich öffnete die Tür, gab Ludwig einen Klaps auf den Hintern und der düste die Treppe hinunter in Richtung Ausgang. Er würde sich zurechtfinden, da war ich sicher.

»Der Herr Pfarrer ist da!«, hörte ich eine Stimme rufen.

Während ich weiterhastete, spürte ich, wie ich trotz allem Chaos ruhiger wurde.

Da war er. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, weißer Kragen. Priesterkragen, so heißt das Ding, das ich unangezogen immer für eine übergroße Heftlasche hielt und eher zu Büromaterial als zu Kleidungsstücken zählen würde.

»Moin Nicole.«

»Wolfgang!«

Ich kannte Wolfgang schon beinahe so lang wie Martha. Er war derjenige gewesen, der mich bei meinem ersten richtigen Liebeskummer mit sechzehn getröstet hatte. Mit Gummibärchen hatten wir die ganze Geschichte dramatisch nachgespielt und anschließend dem Exfreund-Bären und seinen Freunden den Kopf abgebissen. Stundenlang hatte er mir geduldig zugehört und immer wieder neue Taschentücher über den Tisch zugeschoben.

Eigentlich war Wolfgang schon fünfundsiebzig und längst im Ruhestand. Aber katholische Priester waren hier im Norden rar. Und Wolfgang war einer, der immer weitermachen würde. Auch wenn er nach seinem hundertsten Geburtstag notfalls mit Rollator am Altar stand.

Als ich seine Hand schüttelte und er mir sein Beileid aussprach, wurde mir erst so richtig bewusst, dass ich Martha nie wiedersehen würde.

»Wie geht es dir, Nicole?«

Als ich seine warme Hand auf der Schulter spürte, verlor ich jegliche Kontrolle. Eigentlich wollte ich gerade überhaupt nichts sagen müssen. Und als Wolfgang vor meinen Augen verschwamm, wollte und konnte ich erst recht nichts mehr sagen.

Ich ließ mich von Susanne an den Schultern in die Stube schieben. Wolfgang setzte sich neben den Kamin.

»Warst du bei ihr?«, fragte ich.

Wolfgang nickte nur. »Sie ist friedlich eingeschlafen.«

Ich fing wieder an zu weinen und zog vorsorglich eine Haarsträhne über mein Gesicht. Verdecken würde sie nicht viel, aber vielleicht ja aufsaugen. »Ich mache mir Vorwürfe«, gab ich zu. »Ich habe Martha nicht oft genug besucht.«

»Wie viel wäre denn genug?«

Ich seufzte. Damit traf Wolfgang einen wunden Punkt. »Täglich«, sagte ich leise.

»Hättest du das schaffen können?«

»Nein. Ich hätte ja schon mehr als zehn Stunden Zug fahren müssen«, gab ich zu.

Er antwortete nicht, sondern sah mich nur lange an. Ja, eventuell hatte er recht. Es war sinnlos, sich jetzt nach Marthas Tod ein schlechtes Gewissen zu machen.

»Wir sind heute hier, um die Trauerfeier für Martha zu besprechen.«

»Chloe kommt auch noch«, meldete sich Susanne zu Wort. »Es liegt ihr sehr viel daran.«

Ich war froh, dass Wolfgang die Beerdigung übernehmen würde. Er hatte Martha über viele Jahre hinweg begleitet. Martha würde ihren letzten Weg im Kreise ihrer Freunde gehen. Ohne einen genervten Priester, der im Jahr durchschnittlich zweihundert Leute beerdigte, schon am Leichenhaus auf die Uhr schaute und bei der Standardpredigt fünf Minuten vor Beginn schnell den Namen austauschte.

»Marthas Sohn ist leider verhindert«, sagte Wolfgang. »Er wird zur Beerdigung kommen, möchte jedoch beim Vorgespräch nicht dabei sein.«

»Wer?«, fragte ich, plötzlich hellwach. Kerzengerade saß ich auf meinem Stuhl. Ich machte meinen Mund auf und zu wie ein Fisch, das war mir bewusst. Aber ich konnte nicht anders.

»Marthas Sohn«, wiederholte Wolfgang ruhig.

»Sie hatte keinen Sohn«, widersprach ich böse. Wie konnte es sein, dass Martha einen Sohn hatte? Unmöglich. Das musste ein Irrtum sein.

»Nicole …«

Mein Gehirn reagierte nicht. Keine mit der Suchanfrage übereinstimmenden Ergebnisse gefunden. Überprüfen Sie Ihre Anfrage auf mögliche Tippfehler und verwenden Sie andere Suchbegriffe. Überlastung des präfrontalen Kortex, Neustart erforderlich.

»Hat sie mich angelogen?«, fragte ich. »Über all die Jahre?«

Wolfgang schwieg. Gut so. Egal, was er jetzt gesagt hätte, es wäre ohnehin falsch gewesen. So saß er einfach nur da und blickte schweigend auf meine Wangen, an denen dicke Tränen hinunterliefen.

»Warum?«, fragte ich fassungslos. Chloe und Susanne schienen nicht weniger entsetzt zu sein, da sie mich nur stumm anschauten.

»Nicole«, sagte Wolfgang. »Glaube mir, es war auch für sie nicht einfach.«

Ich starrte ihn an. Klar, dass er mir keine Antwort geben durfte, auch wenn ich sehen konnte, wie sehr es ihn schmerzte. So eine seelsorgerliche Schweigepflicht konnte manchmal ein Fluch sein.

»Was wird jetzt aus der Pension?«, fragte Susanne mit Tränen in den Augen.

»Der Erbe hat bereits in der Pension eingecheckt«, erwiderte Wolfgang. »Er wird sich zu erkennen geben.«

Der Erbe?

»Aber heißt das …« Chloe brach ab. Auch sie schien noch in Schockstarre zu verharren. Mit unseren Gedanken standen wir alle da wie Rehe im Scheinwerferlicht. Kurz bevor es richtig kracht.

Ich verbarg mein Gesicht in den Händen. Gerade wusste ich nicht einmal mehr, was ich fühlen sollte. Trauer. Wut. Enttäuschung. Angst. Martha, ich will mit dir reden.

»Wenn jemand mit mir reden möchte, bin ich jederzeit da«, hörte ich Wolfgang noch sagen.

Dann schweiften meine Gedanken ab. Weit weg. Zurück in einen glücklichen Sommer auf der Insel, als ich nicht im Geringsten geahnt hatte, dass meine beste Freundin Martha mich für immer verlassen würde.

3

»Ich hab genauso wenig Lust wie du«, seufzte ich.

Die Forelle sah mich traurig und starr aus ihren toten Augen an, als ich ihr eine kalte Dusche unter dem Wasserhahn spendierte. Fisch zuzubereiten war noch nie mein Ding gewesen.

»Ich habe Angst«, gestand ich, obwohl es sich ein wenig komisch anhörte, weil der Fisch im Moment sicher das größere Problem hatte. »Angst um die Pension.«

»Die Pension ist mein Zuhause«, sagte Chloe und tauchte hinter einem Stapel Teller ab. Obwohl ich sie jetzt erst seit zwei Tagen kannte, mochte ich ihre ruhige, zurückhaltende Art.

Als ich ihr zunickte, flutschte mir die Forelle zwischen den Händen durch. Unbeholfen hechtete ich durch die Küche, um den glitschigen Fisch einzufangen.

»Ich bin vor einem Jahr nach Deutschland gezogen«, erzählte sie. »Ich konnte nur ein paar Brocken Deutsch, und von Hotellerie hatte ich auch keine Ahnung.«

Ganz sicher war ich mir nicht, woher sie kam, aber ein Seitenblick auf ihre nackten Beine sagte alles. Nur Engländerinnen laufen bei Minusgraden im Minirock herum und können nachts auf dem Seitenstreifen der Autobahn spazieren gehen. So weiße Waden reflektieren einfach prima.

»Martha hätte niemanden vor die Tür gesetzt«, fuhr Chloe wehmütig lächelnd fort. »Nicht einmal eine englische Krankenschwester, die nur fünf Vokabeln kann.«

Ich legte den Fisch auf ein Schneidebrett und griff nach dem Salz. »Lass mich raten. Tee, Karamell, Königin, danke und Entschuldigung.«

Chloe lachte. »Nein. Liebe, Kuss, Neuanfang, Freigepäck und vollautomatische Saftpresse.«

»Jetzt weiß ich auch, warum du hier bist.« Ich grinste und stopfte der Forelle noch ein paar Zitronenscheiben und Knoblauch in den Bauch. Jetzt noch ein wenig Kräuter aus den Blumentöpfen, die auf dem Fensterbrett standen, und fertig war der Forellenbauch. Ich sah Thymian, Rosmarin, Grünlilie. Halt, die besser nicht.

»Wie heißt er?«, fragte ich.

»Florian«, antwortete sie. »Er hat ein Jahr in England studiert, nur ein paar Kilometer von mir entfernt.«

Jetzt hatte sie diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht, mit dem Verliebte wochenlang herumlaufen können. Ich gucke höchstens so, wenn ich durch Pfützen springe oder Orangentarte esse.

Autor

Sabrina Sonntag

Sabrina Sonntag ist Mitte...

Mehr erfahren