Sinnliche Nächte im Wüstenpalast

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Ein kostbares Collier besiegelt den Vertrag: Sechs Monate soll Ruby die Frau von Scheich Ibrahim spielen. Damit er nicht die von seinem Vater arrangierte Ehe mit einer Anderen eingehen muss! "Kein Sex, keine Küsse", verspricht er. Eine Vereinbarung, die Rubys Sehnsucht enttäuscht …


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747008
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ibrahim al-Ansaris Smartphone summte, und er nahm das Gespräch an.

Es war sein Bruder. „Hallo Bram …“

Während er den Brief überflog, der soeben per Kurier zugestellt worden war, sagte Ibrahim: „Hamad … Ich wollte dich gerade anrufen.“

„Dann hast du die offizielle Einladung zu Vaters Geburtstagsempfang also schon erhalten.“

„Vor zehn Minuten. Ich nehme an, du hast dafür gesorgt, dass ich eingeladen wurde.“

„Nein, es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass du dabei bist. Bram, er ist krank. Du musst nach Hause kommen.“

Wollte Hamad das auch? Irgendwie klang er nicht wirklich begeistert. Oder bildete er sich das nur ein?

„Ich bezweifle, dass alle so denken.“

„Es ist okay. Der alte Herr hat einen Deal mit dem Khadri-Clan geschlossen.“

„Was für einen Deal?“, fragte Bram stirnrunzelnd. Bei seiner letzten Begegnung mit Ahmed Khadri hatte der Mann ihm gedroht, ihm die Kehle durchzuschneiden, falls er es wagen sollte, je nach Umm al Basr zurückzukehren.

Während sein Bruder ihm lang und breit erklärte, worum es sich bei dem Deal handelte, beobachtete Bram, wie draußen langsam die Sonne im Meer versank. „Das ist nicht dein Ernst!“

„Tut mir leid, Bram, aber wenigstens bist du gewarnt.“

„Glaubst du wirklich, ich kann das durchziehen?“

„Das ist nun mal der Preis.“

„Aber ich bin es, der ihn zahlen muss!“ Er atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Wie geht es deiner Familie? Dem neuen Baby?“, wechselte er das Thema.

„Alle meine Mädchen sind wohlauf. Safia lässt dich herzlich grüßen und bedankt sich für das Geschenk zur Geburt unserer jüngsten Tochter.“

Nachdem Bram das Gespräch beendet hatte, fegte er ungehalten das Einladungsschreiben vom Schreibtisch. Endlich war sie da, die lang ersehnte Chance, seinen Vater um Verzeihung zu bitten – doch zu welchen Bedingungen! Es brauchte mehr als ein Wunder, um aus der Nummer wieder rauszukommen.

Qa’lat al Mina’a, hoch oben auf einem Felssporn thronend, schimmerte wie eine Fata Morgana im rosigen Schein der untergehenden Sonne.

Weit unten, jenseits des Strands mit dem weiß schimmernden Sand, schipperte eine Dau mit geblähten Segeln die Küste entlang. Bei dem Anblick fühlte Ruby sich in die Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht versetzt. Sie stellte sich vor, sie säße auf einem fliegenden Teppich und nicht in einem ultramodernen schwarzen Helikopter.

Die Illusion wurde jäh zerstört, als sie zur Landung ansetzten.

Auf den ersten Blick wirkte die Zitadelle wie eine malerische Ruine, ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Doch hinter den mit Bougainvilleen überwucherten Mauern kamen die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts zum Vorschein, unter anderem eine Satellitenschüssel und ein Mobilfunkmast. Die nötige Energie lieferten beeindruckende Sonnenkollektoren am Fuß des Berges, der in die Wüste auslief.

Unterhalb des Burgturms konnte Ruby jetzt geflieste Höfe, Bogengänge und einen üppigen Garten erkennen. Der riesige Komplex erstreckte sich bis zur Küste. In einem kleinen Hafen lag eine moderne Barkasse in Militärgrau vor Anker. Dies war kein romantischer, verträumter Rückzugsort, sondern das Hauptquartier eines weltweit agierenden Unternehmers.

Nachdem sie gelandet waren, kam ein älterer Mann in einem langen grauen Gewand und mit einem grauen Käppchen auf dem Kopf in geduckter Haltung zum Helikopter gelaufen. Er sah sie überrascht an, nachdem er die Tür geöffnet hatte, und wechselte dann einen ratlosen Blick mit dem Piloten.

Anscheinend gab es ein Problem, das angepackt werden wollte. Ruby löste ihren Sicherheitsgurt und sprang aus dem Helikopter. „As-salamu alaikum, ich heiße Ruby Dance“, stellte sie sich auf Arabisch vor, wobei sie laut brüllte, um den knatternden Rotorenlärm zu übertönen. „Scheich Ibrahim erwartet mich.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, schulterte sie ihren schicken Arbeitsrucksack und machte sich über den Landeplatz auf den Weg zu der Treppe, die zu dem Hof eine Etage tiefer führte – dicht gefolgt von dem älteren Herrn, der ihren Koffer transportierte.

Ruby atmete tief durch und genoss die weiche, leicht salzige Meeresluft nach langen Stunden im Flugzeug. Zu ihren Füßen erstreckten sich terrassenförmig angelegte Gärten. Mit wildem Wein bewachsene antike Mauern spendeten Schatten, und in den Ritzen zwischen den Treppenstufen wuchsen duftender Thymian und Steinnelken.

Wunderschön, exotisch und völlig unerwartet.

Hinter ihr erhob sich der Helikopter bereits wieder mit lautem Getöse in die Luft. Jetzt saß sie hier fest.

Trotz ihrer selbstbewussten Behauptung, dass sie erwartet wurde, war klar, dass ihr Erscheinen irgendwelche Irritationen auslöste, die es aufzuklären galt.

„Madaam …“

Ein Mann erschien am Fuß der Treppe und blickte zu ihr hoch. Ruby stockte der Atem.

Scheich Ibrahim al-Ansari war nicht länger der goldene Prinz, Erbe des Throns von Umm al Basr und Society-Liebling – ein sorgloser junger Mann, der nichts weiter im Sinn hatte, als seine sportlichen Triumphe in irgendwelchen angesagten Nachtklubs zu feiern.

Nach einem öffentlichen Eklat in London, der weltweit durch die Presse ging, war er von seinem Vater enterbt worden und lebte seit fünf Jahren hier im Exil. Die letzten Jahre hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Harte Linien um den Mund und eine ernste Miene ließen ihn grimmig und unnahbar erscheinen. Und dann war da noch diese Narbe … eine dünne, lange Linie wie von einem rasiermesserscharfen Schnitt zog sich von seiner linken Augenbraue quer über die Wange und verschwand in seinem sauber gestutzten dunklen Bart. Der Effekt dieser Narbe war brutal, aufregend und faszinierend.

Doch trotz der Narbe wirkte er nicht entstellt, dazu war er einfach ein zu gut aussehender Mann mit ebenmäßigen Zügen und einer klaren goldbraunen Haut und dunklen Augen voll hypnotischer Kraft, deren Blick sie sich kaum entziehen konnte.

Seine dunklen, dichten Locken schimmerten feucht.

„Was zum Teufel …?“

Sie stand mit dem Rücken zur untergehenden Sonne, und er musste seine Augen mit der Hand beschirmen, um sie anzusehen. Geblendet von seiner umwerfenden Erscheinung, konnte sie einen Moment nicht klar denken, und ihr Mund wurde ganz trocken. Wie hypnotisiert beobachtete sie, wie ein Wassertropfen aus seinem Haar über seine breiten Schultern und seine Brust rann. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn sie den Wassertropfen mit der Hand auffing.

Diese Vorstellung war so intensiv, dass sie glaubte, das Kitzeln seiner Brusthaare auf ihrer Haut zu spüren. Instinktiv schloss sie die Hand zur Faust.

Er trug nur ein schmales Handtuch um die Hüften – ein seltsamer Aufzug für einen Scheich.

„Wer sind Sie?“, verlangte er zu wissen.

„Zumindest nicht der Teufel, Scheich“, erwiderte sie schlagfertig. Sie öffnete die Faust und streckte ihm zur Begrüßung die Hand hin. „Ruby Dance. Die Garland Agentur hat mich als Ersatz für Peter Hammond geschickt, der sich von seinem Unfall erholen muss.“

Scheich Ibrahim starrte düster auf ihre Hand – und ignorierte sie. Irritiert zog er die dunklen Brauen zusammen. „Was für ein Unfall?“

Ruby ließ die Hand sinken. Deshalb die allgemeine Verwirrung bei ihrer Ankunft. Anscheinend hatte sich die Nachricht von Peters Unfall noch nicht herumgesprochen.

„Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Mr. Hammond heute Morgen von seinem Snowboard gestürzt. Man sagte mir, er hätte bereits mit Ihnen gesprochen.“

„Dann hat man Sie falsch informiert. Wie schlimm ist es?“

„Ich weiß nur, dass man ihn per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht hat. Warten Sie bitte, ich schaue mal, ob es schon was Neues gibt.“ Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche. „Habe ich hier Empfang?“

Scheich Ibrahim antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Das Display zeigte fünf Balken an. Die Antennen auf dem Hof waren also nicht nur reine Show. Rasch drückte sie die erste Nummer auf ihrer Kontaktliste und wartete, während sie seinen eindringlichen Blick auf sich gerichtet spürte. Er sah sie an, als überlegte er, wo er sie schon mal gesehen haben könnte.

„Ruby? Alles okay?“, meldete sich ihre Chefin Amanda Garland besorgt.

„Aber ja“, schwindelte Ruby.

Doch Amanda ließ sich nicht täuschen. „Spuck’s schon aus, was ist los?“

Ruby schluckte. „Wirklich, es ist alles in Ordnung. Nur … meine Ankunft hier sorgt für Verwirrung. Man hatte Scheich Ibrahim noch nicht über Peters Unfall informiert.“

„Was?“ Amanda klang schockiert. „Tut mir leid, Ruby. Kann ich helfen? Soll ich mit dem Scheich reden?“

„Nein, nein, das ist nicht nötig. Ich wollte mich nur nach Peters Gesundheitszustand erkundigen.“ Nachdem sie eine Weile Amandas Redefluss gelauscht hatte, fügte sie hinzu: „Und welches Krankenhaus? Danke, perfekt. Ich melde mich später wieder.“ Damit unterbrach sie die Verbindung.

„Also?“ Scheich Ibrahim funkelte sie ungeduldig an.

„Peter hat einen komplizierten Beinbruch, einen Sehnenriss am Handgelenk und ein paar gebrochene Rippen. Sie haben ihn wieder so weit zusammengeflickt, dass man ihn in ein oder zwei Tagen nach Hause ausfliegen lassen kann. Amanda hält mich auf dem Laufenden.“

„Wer ist Amanda?“

Mit Höflichkeitsfloskeln hielt er sich offensichtlich nicht auf. Kein Dankeschön dafür, dass sie sich erkundigt hatte. Aber das sollte ihr egal sein. Ruby hatte sich schon vor langer Zeit ein dickes Fell zugelegt und ließ sich ihre Gedanken und Gefühle nicht anmerken.

„Amanda Garland. Besitzerin der Garland Agentur. Peter hat sie beauftragt. Die Garland Agentur vermittelt Zeitpersonal, Nannys und Hausangestellte an eine gehobene internationale Klientel. Ach, Amanda ist außerdem Peters Patentante.“ Sie stopfte das Handy wieder in ihre Tasche und zog stattdessen einen dicken weißen Umschlag heraus. „Hier ist mein Empfehlungsschreiben.“

„Ein Empfehlungsschreiben von jemandem, den ich nicht kenne?“

„Nun, vermutlich geht Peter davon aus, dass Sie seinem Urteil vertrauen.“

„Wie ist es um die Urteilskraft von jemandem bestellt, der mit einem gebrochenen Bein im Schnee liegt?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Ruby ehrlich. Plötzlich überkam sie das übermächtige Bedürfnis, laut loszuschreien. Sie war seit Stunden unterwegs und könnte jetzt zumindest einen Hauch der sprichwörtlichen orientalischen Gastfreundschaft gebrauchen. Und ein paar Minuten für sich allein, um sich zu sammeln. „Ich weiß nur, dass sein erster Gedanke Ihnen galt, damit Sie nicht ohne Assistenten dastehen.“

Statt einer Antwort stieß er nur ein abfälliges Schnauben aus.

Okay, genug …

„Ihr Cousin, der Emir von Ras al Kawi, wird ganz sicher für Amanda bürgen“, informierte Ruby ihn leicht schnippisch. „Prinzessin Violet hat erst jüngst die Agentur beauftragt, eine Nanny für sie zu finden.“

„Ich brauche keine Nanny.“

„Das trifft sich gut, denn ich habe noch nie in meinem Leben eine Windel gewechselt.“ Für diese Bemerkung erntete sie einen spöttischen Blick unter hochgezogenen Brauen. „Dieser Umschlag enthält Referenzen von einigen meiner früheren Arbeitgeber.“

„Noch mehr Leute, die ich nicht kenne?“

Woher sollte sie wissen, ob er die Leute kannte oder nicht? Außerdem war es ihr egal. Der feine Herr Scheich fing an, ihr gehörig auf die Nerven zu gehen. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, sich nicht von ihm provozieren zu lassen.

Jetzt streckte er die Hand aus, um den Umschlag entgegenzunehmen. Energisch riss er die Lasche auf.

Mit undurchdringlicher Miene überflog er die enthaltenen Dokumente. Schließlich wandte er sich an den Mann mit ihrem Koffer und gab einige Anweisungen auf Arabisch, bevor er Ruby ansah und sie im Kommandoton informierte: „Wir treffen uns in fünfzehn Minuten in meinem Büro, Miss Dance.“

Damit drehte er sich um, überquerte mit großen Schritten den Innenhof und verschwand eine Treppe hinab.

Zitternd stieß Ruby die Luft aus.

Wow. Jetzt, wo der Anblick seiner halb nackten, göttergleichen Erscheinung sie nicht mehr betäubte, setzte endlich wieder ihr Verstand ein. Scheich Ibrahim hatte natürlich recht mit seinem Zögern, eine ihm völlig fremde Person mit offenen Armen zu empfangen. Das war keineswegs persönlich gemeint. Bestimmt hatte man in der Vergangenheit schon öfter versucht, in seine Privatsphäre einzudringen, zum Beispiel auf der Jagd nach einer saftigen Skandalgeschichte, die eine Menge Geld einbringen würde. Also war es völlig klar, dass unerwarteten Besuchern hier nicht gerade der rote Teppich ausgelegt wurde. Das konnte sie besser als jeder andere verstehen.

Das sagt sich so leicht, dachte sie, während sie dem Angestellten durch einen antik anmutenden Bogengang und eine Treppenflucht hinunterfolgte. Es fühlte sich dennoch sehr persönlich an.

Am Fuß der Treppe erstreckte sich ein traumhaft schöner Terrassengarten, gegen die glühend heiße Sonne durch eine mit üppig blühendem Wisteria und duftendem Jasmin berankte Pergola geschützt.

Völlig verzaubert blieb Ruby stehen.

„Madaam?“, holte ihr Begleiter sie in die Wirklichkeit zurück.

„Wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich auf Arabisch.

Er verbeugte sich lächelnd. „Mein Name ist Khal, Madaam.“

Sie legte die Hand aufs Herz. „Ismi Ruby.“ Lächelnd deutete sie Richtung Garten. „Jamil, wunderschön.“

Na’am, ja. Wunderschön“, bestätigte Khal in stark akzentuiertem Englisch. Er drehte sich um und öffnete die Tür zu einer kühlen Lobby. Bevor er diese betrat, schlüpfte er aus seinen Sandalen. Ruby tat es ihm gleich und folgte ihm. Ihr Blick huschte bewundernd über die orientalisch gemusterten Fliesen an der Wand.

Es ging weiter in ein großes, mit bequem wirkenden Möbeln eingerichtetes Wohnzimmer. Khal zog die Außenjalousien hoch und öffnete die Terrassentüren. Dahinter lag ein kleiner, schattiger Hof mit Blick aufs Meer. Tief sog Ruby die weiche Luft ein, die nach Meer und Jasmin duftete. Trotz des frostigen Empfangs, den Scheich Ibrahim ihr bereitet hatte, fühlte sie sich plötzlich rundum wohl.

Als Amanda ihr erzählt hatte, dass Scheich Ibrahim in einem Fort in Ras al Kawi im Exil lebte, hatte sie sich einen unwirtlichen, düsteren Ort vorgestellt. Äußerlich war es das auch, aber hinter den rauen Mauern verbarg sich das reinste Paradies.

Der Mann mochte ja ein Griesgram sein, aber sein Anwesen war einfach märchenhaft. Schade, dass ihr keine Zeit blieb, die Suite zu erkunden. Sie hatte nur ein paar Minuten, um sich frischzumachen, bevor Scheich Ibrahim sie zum Appell in seinem Büro erwartete.

Schukran, Khal, danke.“ Ruby blickte auf ihre Uhr, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie in Eile war. Mit Händen und Füßen verständigte sie sich mit ihm, um zu erfahren, wo sie das Büro finden konnte. Zum Abschied überschüttete Khal sie noch mit einem Redeschwall auf Arabisch, wovon sie kein einziges Wort verstand.

Bram hatte zwar schon am Strand geduscht, nachdem er im Meer geschwommen war, trotzdem stand er jetzt in seinem Badezimmer unter der eiskalten Dusche. Rubys Anblick – ihre dunkle Silhouette gegen die untergehende Sonne – hatte ihn so sehr aufgewühlt, dass er erst einmal wieder zu sich kommen musste.

Im ersten Moment hatte er sie irrtümlich für Safia gehalten, hatte erwartet, sie sei hier, um ihn über irgendein neues Drama zu unterrichten. Als dann Ruby Dance statt Safia aus dem Schatten getreten war, hatte ihn eine Mischung aus Enttäuschung und Schuldgefühlen wie ein Boxhieb in den Magen getroffen.

Ruby hatte ähnlich dunkles, seidiges Haar wie Safia, allerdings trug sie es kurz und fedrig geschnitten. Ihre Augen waren nicht dunkel, sondern von einem hellen Blaugrau, und sie war etwas größer als Safia. Ihre Stimme klang sanft und melodisch, ihre akzentuierte Sprechweise wies sie als Angehörige der englischen Upperclass aus.

Nur die undurchdringliche Miene, hinter der sie ihre Gefühle verbarg, hatte sie mit Safia gemeinsam.

Zum Gehorsam erzogen, hätte sich Safia klaglos in eine Ehe mit ihm gefügt, um den Frieden zwischen ihren beiden verfeindeten Familien zu wahren. Safia hätte die Rolle der perfekten Ehefrau gespielt, seine Kinder zur Welt gebracht und wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihn zu betrügen, obwohl sie einen anderen Mann liebte.

Die Einladung zur Geburtstagsfeier seines Vaters und das Telefonat mit seinem Bruder hatten verdrängte Erinnerungen in Bram geweckt. Diese Erinnerungen waren so lebendig gewesen, dass er sich fünf Jahre zurückversetzt gefühlt hatte. Fast hätte er Rubys Hand genommen und sie an sich gezogen, um die Rolle einzunehmen, die ihm bestimmt gewesen war.

Die Rolle als Ehemann, Vater und Thronerbe.

Er schüttelte den Kopf, um die verstörenden Gedanken loszuwerden, griff nach einem Handtuch und rieb sich energisch das Gesicht trocken.

Was hatte Ruby Dance über Peter gesagt?

Ein komplizierter Beinbruch, eine gerissene Sehne am Handgelenk, gebrochene Rippen – das Timing hätte nicht schlechter sein können. Wichtige Projekte erforderten seine ungeteilte Aufmerksamkeit, und dann die lang ersehnte Einladung seines Vaters nach fünf Jahren im Exil …

Nachdem Bram sich angezogen hatte, ging er in sein Büro und überflog noch einmal Ruby Dances Referenzschreiben, das die Agentur ihr mitgegeben hatte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich all die Leute kannte, die ihr eine Empfehlung ausgestellt hatten. Das wollte was heißen. Wenn sie auf diesem Level arbeitete, musste sie wirklich gut in ihrem Job sein.

Nachdem Ruby in Windeseile geduscht und sich umgezogen hatte – sie tauschte den dunklen Hosenanzug gegen einen knielangen Rock und ein leichtes Leinentop –, machte sie sich auf den Weg zu Scheich Ibrahims Büro.

Der Abend brach herein. Über der ruhigen Wasseroberfläche tauchte die untergehende Sonne den Himmel in sämtliche Schattierungen zwischen Rosa und Dunkellila. Winzige Solarlampen, die überall auf den Höfen und im Garten verteilt waren, spendeten ein sanftes gelbes Licht.

Am liebsten wäre Ruby hiergeblieben, um die Magie des Gartens zu genießen. Es war so eine friedvolle Atmosphäre, die bewirkte, dass sie innerlich zur Ruhe kam. Nach einem letzten wehmütigen Blick ging sie eine Etage tiefer, wo an einem knorrigen Granatapfelbaum in einer Ecke noch ein paar schrumpelige Früchte hingen.

Halb hinter einem üppig blühenden Bougainvillea-Busch verborgen, entdeckte sie eine weitere Treppe, die sie rasch hinabstieg. Kurz darauf betrat sie einen in gedämpftes Licht getauchten Innenhof, wo Scheich Ibrahim mit ausgestreckten Beinen in einem bequemen Rattansessel saß, sein Smartphone in der Hand. Das feuchte, lockige Haar war straff zurückgekämmt. Zu lässigen Shorts trug er ein weites T-Shirt.

Auf der anderen Seite eines kleinen Tischs stand ein zweiter Rattansessel.

Ruby hatte sich die Adresse des Krankenhauses notiert, in dem Peter lag, und legte das Kärtchen vor den Scheich auf den Tisch. Dann setzte sie sich, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihren Rocksaum über die Knie hinunterzuziehen.

Scheich Ibrahim sah sie aus seinen beunruhigend glutvollen Augen an, eine steile Falte zwischen den dunklen Brauen. Es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit.

Ruby beherrschte die Kunst des Schweigens perfekt, es war ihre Überlebensstrategie. Sie hatte sich antrainiert, nicht zu blinzeln und selbst penetranten Blicken völlig gelassen standzuhalten, was ihr Gegenüber für gewöhnlich völlig aus dem Konzept brachte.

Doch heute, unter Scheich Ibrahims eindringlichem Blick, fiel es ihr zum ersten Mal schwer, die Fassung zu wahren.

Vielleicht war es der Gedanke an den erotisch aufgeladenen Moment, als der Scheich halb nackt und mit in der Sonne glänzender feuchter Haut vor ihr aufgetaucht war.

Unwillkürlich musste sie an das Skandalfoto von ihm denken, das ihn den Thron gekostet hatte: nackt posierend in einem Londoner Brunnen, den Arm um die Schultern einer jungen Frau in durchscheinend nasser Unterwäsche gelegt, wie er den Inhalt einer Flasche Champagner über sie beide leerte.

Endlich brach der Scheich sein Schweigen und sagte: „Jude Radcliffe hat mir erzählt, dass er Ihnen eine feste Stellung in seinem Unternehmen angeboten hat. Warum haben Sie nicht zugegriffen?“

„Sie haben mit Jude gesprochen?“

„Ist das ein Problem?“ Seine Stimme klang sanft, als wollte er ihr Vertrauen gewinnen. Aber Ruby ließ sich davon nicht täuschen. Hinter der samtweichen Fassade verbarg sich ein stahlharter Kern.

„Nein. Ich wundere mich nur, dass er sich an einem Sonntag in seinem Büro aufhält.“

„Tut er nicht. Wir kennen einander recht gut, und ich habe ihn zu Hause angerufen.“

„Hat er Ihnen erzählt, dass seine Frau früher als Aushilfe für Garland tätig war?“, warf Ruby beiläufig ein, um ihm zu zeigen, dass auch sie mit der Familie gut bekannt war. „Auf diese Weise haben sie sich kennengelernt. Als ich für Radcliffe Tower gearbeitet habe, erwartete sie gerade ihr zweites Baby.“ Sie nahm ihr Smartphone aus der Tasche und checkte ihren Kalender. „Der Geburtstermin ist nächsten Monat.“

„Sie führen Buch über die Leute, für die Sie arbeiten?“

Sie blickte auf. „Darüber, wie sie ihren Kaffee gern trinken, welche Airline sie bevorzugen, den Namen ihres Friseurs, Hemdkragengröße, wichtige Geburtstage. All die kleinen Details, die mich ins Spiel bringen, wenn sie eine Aushilfe für ihre Sekretärin brauchen.“

„Sie stellen Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Erstaunlich, dass Sie so kurzfristig frei waren, um bei mir einzuspringen.“

„Ich hatte eine Woche Urlaub, um zu renovieren.“

„Sie renovieren selbst?“

„Das tun die meisten Menschen.“ Abgesehen von superreichen Scheichs natürlich.

„Und wenn die Woche vorbei ist?“

Brauchte er sie etwa länger hier? Diese Vorstellung fand sie gleichzeitig aufregend und beunruhigend.

„Warten wir einfach ab, wie es läuft, einverstanden?“

Seine Augen verengten sich. „Wollen Sie damit andeuten, ich hätte eine Art Probezeit, Ruby Dance?“

Ja … besser gesagt, nein …

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, sogar die Zikaden unterbrachen ihr durchdringendes Konzert.

Natürlich hatte sie das nicht andeuten wollen, oder doch?

Ruhig durchatmen, Ruby.

„Meine Aufgabe ist es, einzuspringen, wenn es irgendwo brennt. Für einen Tag, eine Woche … Ich war davon ausgegangen, dass Sie eine reguläre Vertretung für Peter haben. Obwohl …“

Autor

Liz Fielding

In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding – in Wales

Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die...

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