Sinnliche Sehnsucht in den Highlands

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Wie hat Milla ihn nur so schnell verzaubert? Seit die hübsche Künstlerin in einer Hütte auf seinem schottischen Anwesen wohnt, ist etwas mit Cormac geschehen. Seine Schuld am Tod seines besten Freundes fühlt sich leichter an, die Zukunft wirkt lichter, selbst der Regen in den Highlands ist wie eine zärtliche Liebkosung auf seiner Haut! Er hat sich in Milla verliebt! Doch dann erscheint die Witwe seines Freundes unerwartet auf seinem Landsitz, und Cormacs Schuldgefühl ist stärker als je zuvor - stärker als das neue Glück mit Milla?


  • Erscheinungstag 24.09.2019
  • Bandnummer 202019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712488
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Milla O’Brien warf einen Blick auf den Straßenatlas, der aufgeschlagen neben ihr auf dem Beifahrersitz lag. Sie hatte bestimmte Landschaftsmerkmale mit Leuchtstift markiert, um ihre Fahrt nach Norden auf der Karte verfolgen zu können. Gerade hatte sie den letzten pinkfarbenen Kringel passiert, eine steinerne Brücke über einen glitzernden Fluss. Jetzt dürften es nur noch circa fünfzehn Meilen bis zu ihrem Ziel, dem Landgut Calcarron, sein.

Die Straße vor ihr führte geradewegs durch eine Schlucht. Wie ein schmales graues Band schlängelte sie sich durch das wilde schottische Bergland.

Diese Wildnis war es, nach der Milla sich sehnte. London barg zu viele schmerzhafte Erinnerungen, dort konnte sie nicht arbeiten. Was sie brauchte, war ein klarer Schnitt. Zwei Wochen im Strathburn Bothy, einer einsam gelegenen Berghütte, würden ihr helfen, sich von ihrem Kummer zu erholen und ihre Mappe fertigzustellen. In sechs Wochen musste sie als frisch gekürte Examensabsolventin ihre Werke ausstellen, und sie hatte einiges aufzuholen.

Die Straße führte jetzt wieder geradeaus, und Milla schaltete einen Gang höher und beschleunigte. Schroffe Felsen, von der Maisonne in goldenes Licht getaucht, Hänge mit Büscheln von gelbem Riedgras, vom Wind zerzaust, zogen an ihr vorbei. Die wilde Schönheit der Natur begeisterte sie – bis sie plötzlich die Kontrolle über das Lenkrad verlor und der Wagen zur Seite ausbrach.

Ein unheilverkündendes Rumpeln am rechten Hinterrad sagte ihr alles, was sie wissen musste. Sie stoppte den Wagen und zog die Handbremse an. Na, wunderbar! Sie hatte einen Platten, und das mitten im Nirgendwo.

Als Tochter eines Kfz-Mechanikers und Schwester von drei Brüdern mit Benzin im Blut war sie nicht ganz unbedarft, was Autoreparaturen anging. Damit kannte sie sich aus, zumindest theoretisch.

Sie zog den Wagenheber und einen Schraubenschlüssel hinter dem Vordersitz hervor, wuchtete das Ersatzrad hinten aus dem Wagen und machte sich ans Werk. Ihr war klar, dass sie erst die Radmuttern an dem defekten Hinterrad lockern musste, bevor sie den Wagen aufbockte, also setzte sie den Schraubenschlüssel an.

Nichts rührte sich.

Sie versuchte es erneut, wieder ohne Erfolg. Mit ihrem ganzen Gewicht stemmte sie sich auf das Werkzeug, doch die Radmutter bewegte sich keinen Millimeter. Die restlichen, die sie der Reihe nach durchprobierte, auch nicht. Die verdammten Dinger ließen sich einfach nicht lösen! Sie würde den Pannendienst anrufen müssen, vorausgesetzt, sie hatte hier oben in der Wildnis überhaupt Empfang.

Gerade zog sie ihr Handy aus dem Fach neben dem Fahrersitz, als sie den Motor eines herannahenden Fahrzeugs hörte. Die Augen mit der Hand gegen die Sonne abgeschirmt, sah sie einen silbergrauen Sportwagen auf sich zurasen. Der Wagen bremste ab und kam auf dem Seitenstreifen zum Stehen.

Jetzt wurde ihr doch etwas mulmig zumute. Sie war eine junge Frau, mutterseelenallein auf einer einsamen Landstraße. Ängstlich schielte sie auf ihr Handy.

Kein Netz.

Die Fahrertür des Sportwagens sprang auf, und Milla blickte direkt in ein Paar haselnussbraune Augen, die sie kritisch fixierten. Der Mann am Steuer lächelte nicht, aber er wirkte auch nicht sonderlich bedrohlich. Eher wie jemand, der eine lästige Pflicht zu erfüllen hatte. Offenbar hatte er nur angehalten, um ihr zu helfen, das jedoch äußerst ungern.

Er glitt aus dem Wagen, kam auf sie zu und sagte nach einem Blick auf ihr Werkzeug und den platten Hinterreifen: „Sieht aus, als wüssten Sie, was zu tun ist. Ich will mich nicht aufdrängen. Ich wollte nur sehen, ob Sie Hilfe brauchen.“

Milla schätzte ihn auf Ende zwanzig, also nur ein paar Jahre älter als sie, aber von jugendlichem Überschwang konnte bei ihm keine Rede sein. Sie fragte sich, ob er nur schlecht gelaunt oder zutiefst deprimiert war.

„Ich weiß, was zu tun ist, aber es funktioniert nicht“, erwiderte sie grimmig. „Die blöden Muttern sitzen so fest, dass man übermenschliche Kräfte braucht, um sie zu lösen, oder wenigstens einen längeren Hebel. Also bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht …“

Sie glaubte, eine Spur von Belustigung in seiner Miene wahrzunehmen, doch ehe sie näher hinsehen konnte, hatte er schon die Ärmel hochgekrempelt und beugte sich über das kaputte Hinterrad. Sie beobachtete ihn, während er mit dem Werkzeug hantierte.

Seine braunen Haare waren kurzgeschoren, seine muskulösen Arme sonnengebräunt. Er sah aus wie ein Outdoor-Typ, stark und handwerklich geschickt. Als er unvermittelt aufsah, fühlte sie sich ertappt.

„Die sitzen wirklich stramm“, stellte er fest.

„Hab ich das nicht gesagt?“ Du meine Güte, was war nur in sie gefahren?

Der Mann wandte alle Kraft auf, um den Schraubenschlüssel zu drehen, und tatsächlich, es bewegte sich etwas. Während er eine Radmutter nach der anderen löste, fragte er, ohne aufzublicken: „Sie sind Irin, oder?“

„Scharf beobachtet.“

Warum war sie nur so kratzbürstig zu ihm? Entwickelte sie jetzt etwa einen Hass auf alle Männer, nur weil einer von ihnen ihr übel mitgespielt hatte? Sie seufzte. Hätte ihr Helfer sich ihr vorgestellt, wie das unter normalen Menschen so üblich war, wäre sie vielleicht entgegenkommender gewesen.

Er griff nach dem Wagenheber. „Soll ich das auch noch übernehmen?“, fragte er sachlich und ohne jede erkennbare Emotion, doch Milla war so nervös, dass sie lieber den Mund hielt und nur zustimmend nickte.

Fachmännisch wechselte er das Rad und verstaute das alte im Kofferraum. Falls er ihre Staffelei und die Leinwände auf dem Rücksitz bemerkte, verzichtete er darauf, sich dazu zu äußern.

„Die nächste Werkstatt ist in Ardoig. Denken Sie daran, den Reifen reparieren zu lassen.“

„Zu Befehl, Sir.“ Sein finsterer Blick veranlasste sie, rasch ein verbindliches Lächeln hinterherzuschicken. „Und vielen Dank für Ihre Hilfe. Was für ein glücklicher Zufall, dass Sie gerade hier vorbeigekommen sind! Mein Handy hat nämlich keinen Empfang. Sie haben mir einen langen Fußmarsch und mindestens drei kaputte Fingernägel erspart.“

„Ja, das war wirklich Zufall.“ Er drückte ihr den Schraubenschlüssel in die Hand. „Ich bin nicht oft in der Gegend.“

Ein kurzes Nicken, dann verschwand er in seinem Wagen und brauste davon.

Cormac Buchanan beobachtete die junge Frau im Rückspiegel, während er davonfuhr. Selbst als sie schon lange aus seinem Blickfeld verschwunden war, sah er noch ihre funkelnden grünen Augen vor sich. Sie hatte sich über ihn lustig gemacht, vermutlich zu Recht. In den fünf Jahren als Kommandant bei den Royal Engineers, einer technischen Spezialeinheit der britischen Armee, hatten seine guten Manieren wohl etwas gelitten. Aber sie hatte sich nicht von ihm einschüchtern lassen, und das gefiel ihm.

So beschwingt wie schon lange nicht mehr steuerte er den Wagen um die nächste Kurve. Mach dir nichts vor, Cormac. Ihre Aufmüpfigkeit war nicht das Einzige, was ihm an der jungen Frau gefiel. Ihm gefiel auch ihr Lächeln, ihre zarte Haut, ihr langes blondes Haar, das sich halb aus der Spange gelöst hatte und ihr ins Gesicht fiel.

Auch ohne die Malutensilien in ihrem Auto gesehen zu haben, hätte er sie für eine Künstlerin gehalten. Ihre eigenwillige Aufmachung – rote Röhrenjeans zu grünen Schnürboots, eine offene Jeansjacke mit einer bunten Fransenweste darunter, die vielen Piercings an ihrem linken Ohr – ließ auf eine kreative Persönlichkeit schließen. Er nahm an, dass ihre Bilder bunt, originell und immer leicht ironisch daherkamen.

Was war nur mit ihm los? Zehn Minuten in Gesellschaft der hübschen irischen Künstlerin, und schon ging seine Fantasie mit ihm durch. Besser, er konzentrierte sich wieder auf die Straße und sah zu, dass er Calcarron erreichte, bevor seine Schwester Rosie den nächsten Panikanfall vor der Hochzeit bekam.

Noch eine Woche bis zu Rosies großem Tag, und sein Postfach quoll über von E-Mails mit einer endlosen Liste von Dingen, die er zu erledigen hatte. Als gelernte Innenarchitektin stellte Rosie hohe Ansprüche an die Gestaltung ihrer Hochzeitsfeier auf dem Familienanwesen. Wenn ihre Gäste schon von weither angereist kamen, so ihr Argument, dann mussten sie auch etwas Besonderes geboten bekommen.

Cormac fand, dass bei einer Hochzeit eher die Trauung selbst im Mittelpunkt stehen sollte, aber wenn seine Schwester sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann legte man sich lieber nicht mit ihr an. Er war für die Außenanlagen zuständig, also für das Festzelt, die Tanzfläche und tausende Meter Lichterkette, die in den Bäumen hängen und die Gartenwege ausleuchten sollten. Darüber hinaus warteten noch diverse andere Jobs auf ihn, die alle, wie Rosie ihm einschmeichelnd versichert hatte, äußerste militärische Präzision verlangten.

Er bremste, als ein Mutterschaf mit zwei Lämmern vor ihm die Fahrbahn überquerte. Das Tier blieb kurz stehen und beäugte ihn mit dem Argwohn einer Mutter, die bereit ist, ihren Nachwuchs mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Dann setzte es seinen Weg gemächlich fort, gefolgt von den beiden Jungschafen auf ihren spindeldürren Beinen. Cormac seufzte. Er würde alles für Rosie tun, aber sich nach Calcarron zu begeben, stellte eine harte Prüfung für ihn dar.

Afghanistan hatte ihn verändert. Der Tod seines Freundes hatte ihn verändert. Er kam einfach nicht darüber hinweg, und wenn er jetzt nach Hause fuhr, holte ihn der Schmerz erst recht wieder ein. Erinnerungen an Duncan waren untrennbar mit Erinnerungen an seine schottische Heimat verbunden.

Er konnte sich nicht auf die Hochzeit freuen, auch nicht seiner Schwester zuliebe. Ihm graute vor dem obligatorischen Small Talk auf der Feier, zu der immerhin rund zweihundert Gäste geladen waren. Als Sohn und Erbe einer alteingesessenen schottischen Gutsbesitzerfamilie hatte er gewisse gesellschaftliche Pflichten zu erfüllen, die er momentan nur als Belastung empfand. Er fühlte sich, als hinge ein Mühlstein um seinen Hals.

Kopf einziehen und durch, lautete die Devise.

Milla saß in ihrem Auto und dachte an den Mann mit den haselnussbraunen Augen. Wie war es ihm nur gelungen, sie derart zu verwirren? Er hatte sie nervös gemacht, und wenn sie nervös war, entfuhr ihr schon mal die ein oder andere unbedachte Äußerung. Sie hatte sich ihm gegenüber ziemlich abweisend verhalten. Abweisend und zickig, was gar nicht ihre Art war.

Und das war Dans Schuld. Dan hatte dafür gesorgt, dass sie so misstrauisch, so streitsüchtig, so tief verletzt war. Wenn das alles war, was von der Liebe blieb, dann konnte sie gut und gern darauf verzichten.

Sie ließ den Motor an, blickte aber weiter gedankenversunken durch die Windschutzscheibe. Der Fremde hatte so traurige Augen gehabt! Hätte er gelächelt, hätte er sicher sehr attraktiv ausgesehen. Eine einzige nette Bemerkung von ihm hätte die Situation enorm entspannt. Stattdessen nur ein knochentrockenes: „Sie sind Irin, oder?“

Was sollte das? Aber ihre Antwort war auch nicht gerade freundlich ausgefallen. Kein Wunder, dass er sich lieber wieder mit ihrem kaputten Reifen beschäftigt hatte. Vielleicht wäre er gesprächiger gewesen, wenn sie das hilflose Frauchen gespielt hätte, aber da war er bei ihr an der falschen Adresse. Sie dachte gar nicht daran, männliche Eitelkeiten zu bedienen.

Entschlossen fuhr sie los, schaltete krachend von einem Gang in den nächsten und sagte sich, dass es ihr vollkommen egal war, was der Mann von ihr hielt. Er war weg, und sie musste diesen Automechaniker in Ardoig finden.

Was, wie sich herausstellte, nicht weiter schwierig war. Mehr als die Autowerkstatt, einen winzigen Supermarkt und ein uraltes Hotel hatte der Ort ohnehin nicht zu bieten. Der Mechaniker, ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht und graumeliertem Bart, erklärte sich bereit, den Reifen sofort zu reparieren. In der Zwischenzeit ging Milla in den Supermarkt, um ein paar Vorräte einzukaufen.

Der Geruch, der ihr entgegenschlug, war eine Mischung aus frischgebackenem Brot, Reinigungsmittel und Mottenkugeln. Während sie durch die Gänge streifte und diverse Grundnahrungsmittel in den Einkaufskorb packte, betrat eine weitere Frau den Laden.

„Hallo, Mary. Ich wollte mein Glückslos abholen.“

„Recht so, Sheila. Lucky Dip wie üblich?“

„Ja, ja, immer her damit. Hast du Cormac vorbeifahren sehen? Er kommt zur Hochzeit nach Hause.“

„Ja, ich weiß. Wird ganz schön zu tun haben, der Junge. Rosie lässt es richtig krachen, wie man hört.“

Milla überlegte, ob sie Kerzen mitnehmen sollte. Ihre Hütte in den Bergen verfügte zwar über elektrischen Strom, aber sie wollte für den Notfall gerüstet sein. Sie fand Teelichter und eine Schachtel Streichhölzer, legte sie in ihren Einkaufskorb und schlenderte in Richtung Kasse. Während die beiden Frauen noch mit dem Glückslos und dem neuesten Dorftratsch beschäftigt waren, überflog sie die Schlagzeilen am Zeitungsständer.

„Jessie meint, er wirkt immer noch ziemlich mitgenommen. So ein Jammer.“ Das war Sheila.

Milla entdeckte einen Stapel Wanderkarten und nahm eine mit. Ohne Handynetz würde sie ihren Routenplaner nicht nutzen können, wenn sie unterwegs war.

„Nun ja, er wird sich früher oder später wieder aufrappeln müssen. Man kann so etwas nicht ein Leben lang mit sich herumschleppen …“, meinte Mary, die Frau hinter der Theke, und dann: „Oh, tut mir leid, meine Liebe, ich habe Sie gar nicht hereinkommen sehen! Bin gleich für Sie da.“

Milla nickte freundlich, nahm ihren Korb in die andere Hand und wartete.

„Aber Rosie wird eine wunderschöne Braut abgeben, so viel ist sicher. Sie ist übrigens schon hier, zusammen mit ihren Brautjungfern. Ihre Mutter meinte, die Mädchen basteln schon fleißig.“ Der Drucker spuckte einen rosafarbenen Lotterieschein aus. „Okay, Sheila, hier ist dein Gewinnerlos.“

Mary zwinkerte ihrer Kundin zu, und diese verließ lachend und winkend den Laden.

„Und nun zu Ihnen.“ Lächelnd wandte sich Mary an Milla. „Tut mir leid, dass Sie warten mussten.“ Sie zog Millas Einkäufe über den Scanner und hielt kurz inne, als sie die Landkarte sah. „Wollen Sie wandern gehen?“

„Nein, also … ja, vielleicht. Eigentlich bin ich zum Malen hier.“

„Ah, dann wohnen Sie sicher oben im Strathburn Bothy.“

Milla nickte. „Ich möchte in Ruhe an meinen Bildern arbeiten.“

Mary machte ein bedenkliches Gesicht, während sie die Einkäufe in einer Papiertüte verstaute. „Ich fürchte, da haben Sie genau die falsche Woche erwischt. Am Samstag findet hier eine große Hochzeit statt, da werden die Leute in Scharen einfallen. Wissen Sie, wie Sie zu der Hütte kommen?“

„Eine Hochzeit?“ Milla war leicht irritiert, dann nickte sie. „Ja, danke. Ich habe eine Wegbeschreibung dabei. Durch den Ort, an der nächsten Kreuzung rechts Richtung Calcarron und dann links den Weg hoch, richtig?“

„Genau. Sie fahren ein kleines Stück durch den Wald, und dann, nach etwa anderthalb Meilen, sehen Sie schon die Hütte. Wenn Sie wollen, rufe ich den Verwalter an, dann kommt er gleich mit dem Schlüssel zu Ihnen rauf.“

Der Gemeinschaftssinn in dieser ländlichen Gegend erinnerte Milla an ihre irische Heimat. „Das wäre großartig, vielen Dank. Ich hole nur eben meinen reparierten Reifen in der Werkstatt ab, dann fahre ich los.“

„Tun Sie das. Ich rufe inzwischen auf dem Gut an. Man sieht sich!“

Vor dem Tor zu Gut Calcarron verlangsamte Cormac das Tempo, ließ den Wagen ausrollen und schloss kurz die Augen. Er machte sich klar, dass es bei dieser Veranstaltung um Rosie ging, nicht um ihn. Sie war die Hauptperson. Es würde so viel Klatsch und Tratsch über die riesige Hochzeit geben, dass er gar nicht weiter auffiel.

Aber es war ein kleiner Ort, und jeder hier wusste, dass er Duncans Tod nicht verkraftet hatte. Sogar seine Mutter hatte schon von einem posttraumatischen Belastungssyndrom gesprochen, aber damit lag sie völlig falsch. Es war die Trauer, die ihn auffraß, der Schmerz, der ihn zermürbte. Er wusste nicht mehr, wo sein Platz in dieser Welt war.

In der Kaserne war alles leichter. Da war er einer von vielen mit emotionalen Problemen. Hier aber war er neugierigen Blicken und teilnahmsvollen Fragen ausgesetzt, die er abwehren musste, ohne jemandem auf die Füße zu treten. Rosie zuliebe musste er so tun, als ginge es ihm wieder gut.

Er straffte die Schultern und fuhr durch das Tor.

Beim Anblick des Hauses kam einen Moment lang Freude in ihm auf. Er hatte fast vergessen, wie sehr er den Familienwohnsitz der Buchanans mit seinen beiden Türmen und den altmodischen Sprossenfenstern liebte. Schon beim Aussteigen hörte er die Hunde im Haus ein freudiges Gebell anstimmen. Das brachte ihn zum Schmunzeln.

Die Haustür ging auf, das Bellen ging in ekstatisches Jaulen über und drei Labradorhunde stürmten auf ihn zu, gefolgt von der schlanken Gestalt seiner Mutter.

„Tyler, Mungo, Crash … schon gut, Jungs, beruhigt euch!“

Die Hunde strichen schwanzwedelnd um seine Beine und drückten ihre feuchten Nasen und Zungen in seine Handflächen. Er streichelte ihr glattes schwarzes Fell, tätschelte ihre breiten Köpfe und lachte über so viel bedingungslose Zuneigung.

„Cormac!“ Lily umarmte ihn freudig. „Wie gut, dass du da bist. Hier sind alle im Hochzeitsfieber. Ich weiß schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“

Cormac musterte sie milde lächelnd und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Es ist nur Rosies Hochzeit, Mum. Die schaffst du doch mit links!“

Seine Mutter warf ihm einen gequälten Blick zu. „Du hast gut reden. Komm mit, die Mädchen brennen darauf, dich zu sehen. Aber ich warne dich, Rosie wird dir sofort ihre Excel-Tabelle mit der Hochzeitsplanung präsentieren.“

Im Salon diskutierten Rosie und ihre drei Brautjungfern gerade angeregt über die Tischdekoration für das Festzelt, als Cormac hereinkam. Nach der überschwänglichen Begrüßung ließ er sich erschöpft in einen Sessel fallen und hörte nur noch mit halbem Ohr zu.

Er mochte diesen Raum mit seinen hohen Decken und schweren Polstermöbeln. Auf den wandfüllenden Bücherregalen standen silbergerahmte Familienfotos, über dem Kamin prangte das Ölbild eines kapitalen Rothirschs, nicht ganz so prächtig wie das berühmte Werk „Monarch oft he Glen“ des englischen Malers Landseer, aber Cormac mochte das Bild. Wie alles hier barg es tausend Erinnerungen.

Allen Bedenken zum Trotz fand er es schön, wieder zu Hause zu sein. Die Liebe zu Calcarron war ihm in die Wiege gelegt worden, und eines Tages würde das Anwesen ihm gehören. Eher früher als später, wenn es nach seinem Vater ging …

„Cor!“

Er blickte auf, als seine Schwester ihn bei seinem Kosenamen rief.

„Hörst du überhaupt zu? Ich sagte gerade, du kümmerst dich um den Zeltaufbau und die Technik und wir uns um die Feinheiten. Das Motto lautet Wald und Wiese, das heißt, die Deko besteht aus allem, was die Natur so hergibt. Als Teelichthalter nehmen wir mit Bast umwickelte Marmeladengläser, und dann …“

Cormacs Gedanken schweiften schon wieder ab. Nicht, dass er Rosie ihre Traumhochzeit nicht gönnte, aber wie konnte er sich für Wald-und-Wiesen-Romantik begeistern, wenn er ständig daran denken musste, dass woanders Menschen im Krieg starben?

Außerdem fand er, dass Rosie es mit dem schottischen Hochlandflair etwas übertrieb. Genügte es nicht, dass die Feier hier mitten in der Natur stattfand? Wahrscheinlich hatte seine Mutter recht, und die Hochzeitsvorbereitungen waren allen ein wenig zu Kopf gestiegen. Je eher er sich nach draußen verziehen konnte, umso besser. Er wollte sich ohnehin noch die Füße vertreten. Dieses Gerede über Nichtigkeiten ging ihm auf die Nerven.

Er fragte sich, wie Sam diesen Trubel aushielt. Sam, sein jüngerer Bruder mit dem sonnigen Gemüt, machte sich wieder einmal rar. Vielleicht war das der Trick.

Lily rauschte mit einem vollbeladenen Teetablett zur Tür herein, und Cormac stand auf, um es ihr abzunehmen. Als er es auf dem Couchtisch abstellte, warf Rosie ihm einen liebevollen Blick zu, sprang auf und schloss ihn in die Arme.

„Danke, dass du hier bist! Das bedeutet mir sehr viel.“ Im Flüsterton setzte sie hinzu: „Ich bin vor lauter Hektik noch gar nicht dazu gekommen, dich zu fragen, wie es dir geht. Wir reden später, ja?“

Cormac zog sich mit seiner Teetasse in eine Fensternische zurück und blickte auf die vertraute Landschaft hinaus. Sanft abfallend erstreckten sich die Ländereien seiner Eltern bis hinunter zum See, dem Loch Calcarron. Der See war das Herzstück des Anwesens, an drei Seiten umschlossen von steil ansteigenden, bewaldeten Berghängen.

„Wo ist eigentlich Sam?“, erkundigte sich Cormac bei Rosie, die gerade eine Schale mit Shortbread herumreichte.

„Er hat das Bothy für die Künstlerin vorbereitet, die sich für heute angemeldet hat. Danach wollte er zum Angeln hinausfahren. Siehst du ihn irgendwo da unten?“

Bei dem Wort „Künstlerin“ musste Cormac unwillkürlich an ein Paar funkelnde grüne Augen denken. „Nein, keine Spur von ihm.“

„Was zur Hölle ist ein Bothy?“, wollte eine von Rosies Freundinnen wissen, und Lily erklärte es.

„Als Bothy bezeichnet man eine kleine gemauerte Schutzhütte, in der Wanderer bei Unwetter oder über Nacht Unterschlupf finden. In unserem Bothy befindet sich allerdings ein voll ausgestattetes Atelier. Rosies Großvater war ein leidenschaftlicher Amateurmaler. Als immer mehr Künstler die Region bereisten, kam er auf die Idee, eine Unterkunft für sie zu bauen. Das Anwesen ist groß, wir haben jede Menge Platz, also ließen wir oben in den Bergen eine entsprechendes Ferienhaus errichten, in dem Künstler ungestört arbeiten können. Es findet großen Anklang.“

Rosie fügte eifrig hinzu: „Tatsächlich handelt es sich um eine geräumige Holzhütte, aber komfortabel und modern gestaltet. Wenn man auf der Veranda in der Hängematte liegt, kann man den Blick in die Berge genießen oder nachts in die Sterne gucken“, schwärmte sie. „Der Wohnbereich ist hell und luftig gehalten, und im Atelier sorgen große Oberlichter für ideale Arbeitsbedingungen. Durch den Holzofen ist es im Winter mollig warm in der Hütte. Mein Highlight ist die Schlafempore, die ist so romantisch! Das Konzept für die Innenausstattung stammt übrigens von mir. Ich kann euch Fotos zeigen, wenn ihr wollt …“

Lily hob die Hand. „Moment, höre ich da nicht das Telefon klingeln?“

„Lass nur, ich gehe schon.“ Cormac nutzte die Gelegenheit zur Flucht und eilte aus dem Zimmer. „Buchanan?“, meldete er sich als er in der Küche den Hörer abnahm.

„Bist du das, Sam?“, fragte eine Frauenstimme.

„Nein, hier ist Cormac.“

„Cormac! Mary Frazer hier. Wie geht’s denn so?“

Er hatte keine Lust, mit Mary zu plaudern, aber da er wusste, dass ihr Geschäft die größte Gerüchteküche der Gegend war, bemühte er sich um einen lockeren Tonfall. „Ach, hallo Mary. Danke, mir geht’s gut. Was gibt’s denn?“

„Die Künstlerin, die das Bothy gemietet hat, war gerade hier zum Einkaufen. Ich habe ihr versprochen, Sam Bescheid zu sagen, dass sie unterwegs ist.“

„Alles klar, Mary. Ich richte es ihm aus.“

„Keine Eile, Cormac. Die junge Frau meinte, sie müsse erst noch einen reparierten Reifen abholen, bevor sie losfährt, also …“

Cormac stockte der Atem. „Okay, danke für den Anruf, Mary. Bis dann!“

Es war nicht nett von ihm, Mary abzuwimmeln, aber sie hätte sicher noch endlos weitergeredet, und das wollte er sich nicht antun. Er lehnte sich an die Küchenwand und überlegte, warum er plötzlich solches Herzklopfen hatte. Bei dem neuen Feriengast handelte es sich also um die Malerin mit der Autopanne. Na und?

Sie war bildhübsch und ziemlich rebellisch, doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb sie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Hinter ihrem funkelnd grünen Blick verbarg sich etwas berührend Zartes, Verletzliches …

„Cor?“ Seine Mutter erschien in der Küchentür. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, ja. Ich bin nur etwas geschafft von der Fahrt und von dem ganzen Hochzeitstrubel. Ich schätze, du hast recht. Wir haben eine harte Woche vor uns.“

Lily tätschelte seinen Arm. „Keine Sorge, das wird schon. Wenn dein Dad nach Hause kommt, verzieht ihr beide euch ins Arbeitszimmer, trinkt einen Whisky und führt Männergespräche. Ach, wer war denn am Telefon?“

„Mary vom Laden. Die neue Mieterin ist auf dem Weg zum Bothy.“

„Und dein Bruder ist wieder mal nicht greifbar“, sagte Lily ärgerlich. „Dabei ist die Gästebetreuung doch seine Sache. Typisch Sam. Cormac kommt nach Hause, also geh ich angeln und überlass alles ihm.

„Mir?“

„Würde es dir etwas ausmachen, für ihn einzuspringen?“ Sie lächelte verschwörerisch. „So entkommst den Fängen der Monsterbraut und ihrer Gehilfinnen und kannst gleich das neue Quad ausprobieren. Eine Fahrt in die Berge wird dir den Kopf freipusten.“ Sie drückte ihm den Hüttenschlüssel mit dem Hirschhornanhänger in die Hand. „Du führst die Frau herum, gehst mit ihr die Sicherheitshinweise durch, und wenn du wiederkommst, ist es schon Zeit für die Aperitifs.“

Cormac nahm den Schlüssel und nickte ergeben. Was blieb ihm auch anderes übrig, nachdem Sam sich so elegant aus der Affäre gezogen hatte? Außerdem wollte er eh an die frische Luft, und wenn er seine Mission schnell hinter sich brachte, schaffte er es vor dem Essen vielleicht noch zu seinem Lieblingsplatz hoch oben auf den Felsen.

Er ging zur Haustür.

„Warte mal!“ Lily folgte ihm, in einer dicken Kladde blätternd. „Die Frau heißt Camilla O’Brien. Schöner Name, oder?“ Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Vielleicht hast du ja Glück, und sie ist jung und hübsch.“

Autor

Ella Hayes

Ella Hayes lebt zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden erwachsenen Söhnen in einer ländlich geprägten Region von Schottland. Ihre frühere Arbeit als Kamerafrau fürs Fernsehen und als professionelle Hochzeitsfotografin habe ihr eine Fülle an Material für ihre schriftstellerische Tätigkeit beschert, vor allem im Hinblick auf ihre Liebesromane, so die...

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