Sinnliche Sehnsucht nach dir

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Als seine Frau spurlos verschwindet, sucht Damon McNeill die ganze Welt nach ihr ab - vergeblich. Ein Jahr später steht Caroline plötzlich vor seiner Villa, und der Software-Millionär ist außer sich vor Glück. Fatal, denn Caroline scheint ihn nicht mehr zu kennen!


  • Erscheinungstag 05.06.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717537
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sich gegen die Januarkälte wappnend, stand Caroline Degraff vor dem schmiedeeisernen Tor ihrer Villa in Los Altos Hills und überlegte, wie sie hineinkommen könnte.

Sie hatte die Villa im Stil eines französischen Schlosses mitgeplant und gestaltet, aber nie bewohnt. Caroline vermutete, dass die Überwachungskamera sie schon auf dem Monitor hatte. Zu spät, um von der verrückten Idee abzulassen, unangekündigt hier aufzutauchen.

Bereit, den Ehemann zu täuschen, den sie einst geliebt hatte.

Aber sie musste die Wahrheit erfahren über den mächtigen Mann auf der anderen Seite dieser beeindruckenden, mit Bewegungsmeldern ausgestatteten Anlage. Über den Mann, den sie vor elf Monaten geheiratet, aber seit den Flitterwochen nicht mehr gesehen hatte. Manager eines Technikunternehmens. Damon McNeill. Ihr Vater, ein bekannter Investor in Silicon-Valley-Projekte, hatte Damon schon vor der Hochzeit gehasst. Er hatte Caroline in „Transparent“ eingeschleust, Damons Social-Media-Software-Unternehmen in Kalifornien – eine übliche Praxis bei Technik-Start-ups –, in der Hoffnung, dass sie Schwachstellen fand, die Damons Investoren nutzen könnten, ihn vom CEO-Sessel zu vertreiben. Doch statt ihrem Vater den gewünschten Bericht zu liefern, hatte Caroline sich in Damon verliebt.

Bis zu dem Zeitpunkt hatte sie nicht gewusst, wie kalt und manipulierend ihr Vater sein konnte. Er hatte Caroline eine Verräterin genannt, sich geweigert, der Hochzeit beizuwohnen, und dafür gesorgt, dass auch kein anderes Familienmitglied teilnahm. Das hatte sie tief verletzt, doch sie war so verliebt in Damon gewesen, dass es keine Rolle gespielt hatte. Die Wochen, die sie zusammen in Italien verbracht hatten, ihre Flitterwochen, waren die glücklichsten Tage ihres Lebens gewesen.

Nach den Flitterwochen war sie kurz nach London gereist. Allein. Von da an war alles verschwommen. Sie erinnerte sich, dass sie mit Damon am Telefon gestritten hatte, weil sie während ihres Aufenthalts in London ihren Vater getroffen hatte. Aber sie erinnerte sich auch daran, dass sie zu diesem Haus mit Blick auf San Francisco Bay zurückgekehrt war. Damon war noch nicht zu Hause gewesen, und sie hatte den Rundgang durch das neue Haus auf später verschoben. Sie hatte am Fenster mit Blick auf die Bucht gestanden, als sie ihn nach Haus kommen hörte.

Nur, dass er es nicht gewesen war.

Von da an war ihre Erinnerung total verschwommen. Sie wusste nur, dass dieser Tag der Beginn eines monatelangen Albtraums gewesen war. Sie war gekidnappt und wegen Lösegelds festgehalten worden, doch Damon hatte nicht gezahlt. Er hatte auch ihren Vater nicht informiert. Er hatte sie nicht einmal als vermisst gemeldet. Sie hatte alle Nachrichtenseiten online durchkämmt, doch nichts über ihre Entführung gefunden.

Sie biss die Zähne zusammen, als sie wieder die Anzeichen von Angst und Klaustrophobie verspürte. Herzrasen und Schweißausbrüche. Dies waren die körperlichen Symptome der Panikattacken. Wochenlang hatte sie mit einer erfahrenen Therapeutin daran gearbeitet, diese Attacken zu überwinden. Doch sie schaffte es immer noch nicht, die Folgen der Wochen abzuschütteln, die sie verängstigt und allein in einem abgelegenen Dorf auf Baja Peninsula verbracht hatte. Bewacht von Männern, die sie zwar einigermaßen human behandelten, sie aber nie vergessen ließen, dass sie auch eins ihrer jüngeren Geschwister entführen würden, wenn sie nicht tat, was ihr gesagt wurde.

Der Gedanke an Damon, der sie rettete, hatte ihr durch die Nächte geholfen. Und das Wissen um das Kind, das in ihr wuchs. Ein Kind, von dem sie ihm vor der Entführung noch nicht einmal hatte erzählen können.

„Ma’am?“ Ein junger Mann auf der anderen Seite des schmiedeeisernen Tors sprach sie an. Caroline wich zurück. „Kann ich Ihnen helfen? Funktioniert die Ruftaste nicht? Kommt keine Antwort vom Haupthaus?“

Ihr Herz schlug so wild, dass sie einen Moment nicht sprechen konnte. Und ihr Pulsschlag schoss in die Höhe, als der Mann mit Männerdutt und Heckenschere sich näherte.

Wer würde glauben, dass sie an einer berühmten Wirtschaftsschule an der Ostküste ihr Examen mit Auszeichnung bestanden hatte, wenn sie es nicht einmal schaffte, eine so einfache Frage zu beantworten? Wer würde glauben, dass sie ihrem Vater geholfen hatte, Millionen mit zwei anderen TechnikStart-up-Unternehmen zu machen, die sie zum Kauf empfohlen hatte? Damals, bevor ihr Leben auseinanderbrach.

Heute vertraute Caroline nicht einmal mehr darauf, dass sie sich richtig an das erinnerte, was gestern passiert war, geschweige denn im letzten Jahr. Während ihrer Gefangenschaft war sie einige Male mit „Roofie“, den Pillen betäubt worden, nach deren Einnahme man sich nicht mehr an vergangene Ereignisse erinnerte. Ihre Gesundheit war ernsthaft bedroht gewesen, als ihre Entführer sie schließlich auf eine entlegene Insel brachten, ausgestattet mit genug Lebensmitteln für einen Monat, unbewacht und allein. Glücklicherweise hatten die Drogen ihrem Baby nicht geschadet, doch sie war zu krank gewesen, um nach Hilfe zu suchen. Zwei Monate vor dem Entbindungstermin hatte ein Fischer sie gefunden und ihren Vater kontaktiert.

„Ma’am?“ Der Gärtner warf eine Handvoll verblühter Rosen zur Seite und stellte sein schweres Gerät ab. Obwohl nur mit einem T-Shirt bekleidet, schien er die Kälte nicht zu bemerken. „Wenn Sie um das Anwesen herum zum Hintereingang gehen, dann kann ich Sie durch das Tor für die Bediensteten hereinlassen.“

Caroline schluckte die Panik hinunter und rief sich die Mut machenden Worte ihrer Therapeutin in Erinnerung. Sie sind stark und kompetent. Vertrauen Sie Ihren Instinkten.

„Ist Mr. McNeill zu Hause?“ Sie musste Damon sehen. Sie musste selbst herausfinden, ob er sie nur geheiratet hatte, damit er für seine Investoren einen positiven Bericht über sein Unternehmen bekam. Hatte er sie wirklich nur geheiratet, um seinen Posten als CEO und die Kontrolle über Transparent ein weiteres Jahr zu behalten?

Hatte ihr charismatischer Ehemann ihr etwas vorgespielt? War er tatsächlich so weit gegangen, sie aus reiner Profitgier zu heiraten?

Oder hatte ihr Vater ihr von dem Tag an Lügen aufgetischt, als er sie still und leise in eines der Häuser der Familie in Vancouver brachte, damit sie dort ihr Baby bekam? Damon hatte es ihr unmöglich gemacht, direkt Kontakt mit ihm aufzunehmen – sein Handy war ausgeschaltet, und E-Mails beantwortete er nicht. Anrufe in seinem Büro wurden nicht erwidert, auch wenn sie einen falschen Namen hinterließ aus Angst, ihr Vater könnte herausfinden, dass sie hinter seinem Rücken Kontakt zu ihrem Ehemann aufnahm.

Die ganze Zeit über hatte ihr Vater beharrlich behauptet, dass Damon nichts von ihr wissen wollte. Er hatte ihr sogar einen Artikel aus einer Boulevardzeitung gezeigt, in dem darüber spekuliert wurde, dass Damons Großvater von seinen Erben verlangte, dass sie ein Jahr verheiratet waren, um ihren Anteil an dem McNeill-Vermächtnis zu bekommen. Caroline hatte nicht einmal gewusst, dass Damon mit diesen McNeills verwandt war, einer der reichsten Familien in New York. Aber jetzt fragte sie sich, ob Damon sie nur aus finanziellen Gründen geheiratet hatte.

Aber sie hatte in den letzten zwei Wochen auch beunruhigende Hinweise gefunden, die sie vermuten ließen, ihr Vater könnte sie manipulieren. Heute in einer Woche gab es bei Transparent ein Vorstandstreffen, und sie wollte die Wahrheit erfahren, bevor ihr Vater Damon von seinem Posten als CEO entfernte.

„Ich glaube, Mr. McNeill ist heute da, aber Sie brauchen einen Termin, wenn Sie ihn sehen wollen.“ Der Gärtner beäugte sie neugierig. Kein Gast des Multimillionärs würde ohne Fahrzeug und gekleidet wie eine Hausangestellte vor dem Tor stehen.

Sie hatte ihre Strategie hin- und herüberlegt. Aber es gab keinen anderen Weg. Die Telefonnummer, die sie von Damon hatte, gab es nicht mehr. Er reagierte auf keinen ihrer Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er hatte sie nicht als vermisst gemeldet. Wenn es nur um sie und ihre Ehe ginge – dann könnte Caroline vielleicht einfach gehen und einen Neuanfang starten.

Doch sie hatte einen sechs Wochen alten Sohn, an den sie denken musste. Und wenn es auch nur die geringste Chance gab, dass das, was sie und Damon einst verbunden hatte, echt gewesen war, dann musste sie verstehen, was geschehen war. Warum er sein Leben weiterführte, als hätte es sie nie gegeben.

„Er wird mich sehen wollen.“ Sie hoffte es. Nervös zog sie aus der Gesäßtasche ihrer Jeans ein zerknittertes Stück Papier, das ihre Schwester im Arbeitszimmer ihres Vaters gefunden hatte. „Ich will ihn danach fragen.“

Das Dokument sah aus, als wäre es ein paarmal in der Waschmaschine und im Trockner gewesen. Vielleicht war es auch mit ihr in den Pazifik gefallen, als sie versucht hatte, ihren Entführern zu entfliehen. Caroline erinnerte sich wirklich nicht mehr. Sie hatte während des Martyriums einen Gedächtnisverlust erlitten, doch die Erinnerungen kehrten langsam zurück.

Aber das musste Damon McNeill nicht wissen.

„Eine Heiratsurkunde?“ Der Gärtner blickte auf die ausgewaschene Tinte. „Für Mr. McNeill?“

„Ich bin Caroline Degraff.“ Sie zeigte auf den Namen in der zweiten Zeile und versuchte das Gefühl des Entsetzens wieder einzufangen, das sie verspürt hatte, als ihre Schwester ihr das Papier zeigte.

Noch Wochen nach ihrer Rettung hatte sie sich nicht an die Hochzeit erinnert. Und ihr Vater hatte sie erst erwähnt, als sie ihn damit konfrontierte. Er hatte sie von der Familie ferngehalten, damit sie die Wahrheit nicht erfuhr. Ihre Mutter lebte nicht mehr, ihre jüngeren Brüder besuchten ein Internat, und ihre Schwester war an der Universität in den Staaten gewesen. Was hatte er ihr noch verschwiegen? Über ihre Ehe. Über Damon. Ihre Therapeutin hatte vorsichtig angedeutet, dass Caroline Opfer von Lügen und Intrigen geworden war.

Der Gärtner nahm den Blick von dem Papier. „Sie sind Mr. McNeills Frau?“

Sie bekam eine trockene Kehle. Ihre Erinnerung an Damon reichte, um zu wissen, dass er ihr die Täuschung, die sie ursprünglich geplant hatte, vielleicht niemals verzeihen würde. Doch wenn er derjenige war, der sie trickreich überhaupt zu einer Romanze verleitet hatte, was für eine Rolle spielte es dann noch?

Sie würde weiter vorgeben, unter Gedächtnisverlust zu leiden, um herauszufinden, was er zu ihrem Verschwinden zu sagen hatte. Sie musste wissen, ob ihr Vater sie wegen ihres Mannes angelogen hatte.

„Ehrlich gesagt bin ich nicht sicher.“ Sie ließ all die Zweifel und Ängste der letzten Monate in ihrer Stimme mitschwingen. „Wir müssen ihn fragen, weil …“ Sie biss sich auf die Lippen, bevor sie eine Lüge aussprach, die wichtig war, um die Antworten zu bekommen, die sie für ihr Kind brauchte. „Ich erinnere mich nicht.“

„Was haben Sie gerade gesagt?“ Damon McNeill stoppte das Video, das er gerade auf der großen Leinwand in seinem Medienraum im Untergeschoss verfolgte.

Er hatte darum gebeten, nicht gestört zu werden, während er die Demonstration eines Hackers ansah, wie die Software, die Damons Unternehmen im Frühjahr auf den Markt bringen wollte, gehackt werden konnte. Der Hacker hatte echte Sicherheitsprobleme gefunden, die Damons Technikteam würde ausräumen müssen. Wenn er seine eigenen Leute aufgefordert hätte, nach Fehlern zu suchen, dann hätte er einen dreißigseitigen Bericht und grünes Licht für die Produktion bekommen. Doch wenn man einen Zweiundzwanzigjährigen fragte, der eine komplexe digitale Codierung wegen des Nervenkitzels und der Bezahlung entschlüsseln konnte? Dann bekam man innerhalb von achtundvierzig Stunden Resultate.

„Mr. McNeill, am Tor ist eine Frau“, sagte die Chefin der Hausverwaltung. Sie war heute persönlich gekommen, um die Reinigungsarbeiten zu überwachen, bevor Damon das Haus zum Verkauf anbot. „Sie behauptet, Ihre Frau zu sein.“

Das Telefon fiel ihm fast aus der Hand.

Regungslos saß er da, während sein Herz wie verrückt schlug.

Was zum Teufel …

„Soll das ein Witz sein?“ Caroline konnte nicht da draußen sein. Er hatte Privatdetektive engagiert, um sie zu finden. Er hatte Lösegeld an jemanden bezahlt, der behauptete, sie entführt zu haben. Er selbst war auf der Suche nach ihr um die halbe Welt gereist, überzeugt, dass ihr etwas passiert sein musste, auch wenn ihr reicher und mächtiger Vater darauf beharrte, dass Caroline Damon als Partner unpassend fand und nicht länger mit ihm verheiratet bleiben wollte.

Stephan Degraff hatte behauptet, dass Caroline reisen wollte und ein Recht auf Privatsphäre hatte, eine Geschichte, die durch den gelegentlichen Gebrauch ihrer Kreditkarte gestützt wurde. Ein kurzfristig gemietetes Apartment in Prag. Der Kauf eines Gebrauchtwagens in Kiew.

Damon hatte diese Geschichte nie geglaubt.

Er sprang auf.

„Kein Witz, Sir. Sie hat eine Heiratsurkunde mit Ihrem Namen darauf bei sich, und sie sieht aus wie die Frau auf dem Foto, das über dem Kamin hängt. Sollen wir das Tor öffnen?“

Caroline sollte vor seiner Tür stehen, nachdem ihr Vater behauptet hatte, dass sie ihn für immer verlassen hatte, weil sie eingesehen hatte, dass die Hochzeit mit ihm ein Fehler gewesen war? Nicht sehr wahrscheinlich.

„Ich komme.“ Damon eilte schon an die Tür. „Suchen Sie die Nummer der hiesigen Polizei heraus, für den Fall, dass wir dieser Irren klarmachen müssen, was mit Menschen passiert, die sich als meine Frau ausgeben.“

Kalte Wut breitete sich in ihm aus. Caroline war jetzt seit zehneinhalb Monaten verschwunden. Er hatte sie in ganz Europa gesucht, obwohl ihr Vater beharrlich dabei geblieben war, dass sie allein sein wollte. Die Lösegeldforderung war für ihn Beweis genug, dass sie gekidnappt worden war. Doch die Polizei hatte nie an die Entführung geglaubt und darauf bestanden, dass ein Trittbrettfahrer ihr Verschwinden nutzen wollte, um an Geld zu kommen.

Damon hatte trotzdem gezahlt und das Geld am verabredeten Tag auf ein Auslandskonto überwiesen. Von den sogenannten Kidnappern hatte er nie wieder gehört.

Er rannte die Treppe hinauf ins Erdgeschoss und konnte es nicht erwarten zu sehen, wer sich erdreistete zu behaupten, seine Frau zu sein. Er drängte sich durch die handgefertigte Eingangstür und lief den mit trockenem Laub bedeckten Weg entlang, der zu einem Brunnen führte, den er aus Indien importiert hatte.

Er hasste alles. Und er hatte nur selten ein Ventil für die Wut, die sich über Wochen in ihm angestaut hatte – eine Wut, die eine willkommene Abwechslung zu seiner Angst um Caroline war und den Schuldgefühlen, dass er nicht mehr unternommen hatte, um sie zu finden, und zu dem schmerzlichen Gefühl des Verlusts …

Du lieber Himmel!

Er blieb auf der gepflasterten Zufahrt stehen, die zu dem schmiedeeisernen Tor führte.

Eine Frau stand vor dem Tor, sie umklammerte die Stangen. Sie hatte die richtige Größe. Selbst aus der Distanz konnte er die dunkelbraunen Augen erkennen. Die herrlich vollen Lippen. Das Haar, das einst blond mit hellen Strähnchen gewesen war, hatte jetzt einen warmen Goldton. Es war hinters Ohr gekämmt und zeigte eingefallen Wangen. Sie war dünner. Und blasser. Und ihr Gesichtsausdruck war misstrauisch, ihm fehlte das lebhafte Selbstbewusstsein der kompetenten Geschäftsfrau, die er in Erinnerung hatte.

Trotzdem hegte er keine Zweifel.

Schon beim ersten Kennenlernen war er von Caroline Degraff fasziniert gewesen. Sie hatte eine Leidenschaft geweckt, die ihn jede notwendige Vorsicht vergessen ließ. Ihr Vater war hinter Damons Unternehmen her, doch das spielte keine Rolle. Stephan Degraff hatte seine kluge Tochter geschickt, damit sie Damons Betrieb ausspähte, vermutlich um seine Stellung zu untergraben und ihn aus seinem eigenen Unternehmen zu vertreiben. Wen interessierte es? Damon hätte alles aufgegeben – alles –, um Caroline zu bekommen.

Gerade als er dachte, er hätte sie für immer für sich gewonnen, nach Flitterwochen, die so schön gewesen waren, dass die Erinnerung daran schmerzte, war Caroline verschwunden. Und mit ihr ihre Brieftasche und ihr Wagen, eine Tasche mit Kleidung und ein paar verschreibungspflichtige Medikamente. Alles Zeichen, die darauf hindeuteten – das zumindest sagte die Polizei –, dass sie aus freiem Willen gegangen war.

Ihr mächtiger Vater hatte die Polizei davon überzeugt, dass seine Tochter ein Recht auf Privatsphäre hatte und dass sie irgendwann die Scheidung einreichen würde. Die Tatsache, dass Caroline ihren Ehering zurückgelassen hatte, schien die Theorie zu unterstützen. Die örtliche Strafverfolgungsbehörde weigerte sich, eine Vermisstenanzeige auszufüllen, und überließ es damit Damon, selbst nach ihr zu suchen. Mehrere Privatdetektive rieten ihm, nicht mit der Presse zu reden, also hatte er es nicht getan. Einmal war eine Geschichte an die Presse gelangt, doch ihr Vater hatte die Zeitungen gezwungen, einen Widerruf zu drucken. Sein einsames Bemühen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden – indem er diskret die Angestellten, die mit ihnen zusammen bei Transparent gearbeitet hatten, um Informationen bat –, hatte in der Lösegeldforderung resultiert.

Und doch hatte er Caroline nie wieder gesehen.

Bis jetzt.

Ihm fiel auf, dass er stehen geblieben war. Dass er sie anstarrte, als würde er ein Gespenst sehen. Erinnerungen überfluteten ihn, während seine Finger danach gierten, sie zu berühren und zu sehen, ob sie echt war.

„Caroline.“ Er zwang sich weiterzugehen, auch wenn er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Hatte sie ihn verlassen? War sie wegen der Scheidung hier, die sie, wie ihr Vater gesagt hatte, eines Tages einreichen würde?

Sie wich einen Schritt vom Tor zurück, als er sich näherte. Sie trug ausgebleichte Jeans mit abgewetzten Knien, die ihre schmale Figur umschlossen. Eine graue Wolljacke mit Knebelknöpfen schützte sie vor dem kalten Wind. Sie war nicht geschminkt, ihr Gesicht wirkte jünger, der Ausdruck in den Augen dagegen älter. Sie wirkte misstrauisch. Vorsichtig.

Und wenn er ihren Gesichtsausdruck richtig deutete … verwirrt. Sein Erscheinen schien sie durcheinanderzubringen, auch wenn sie diejenige war, die vor seiner Tür aufgetaucht war.

„Damon McNeill?“, fragte sie mit geschürzten Lippen, die Augenbrauen zusammengezogen.

Was fragte sie da? Er bemerkte, dass einer der Gärtner in der Nähe herumlungerte, ein zerknittertes Stück Papier in der Hand.

Damon drückte eine Taste auf seinem Smartphone, und das Tor glitt langsam auf. „Sie können jetzt gehen“, fuhr er den Gärtner an. „Sie haben sicherlich noch genug zu tun.“

„Natürlich.“ Der Mann nickte und schien froh, gehen zu können. Zuerst kam er jedoch näher und reichte Damon das Stück Papier. „Sie hat gesagt, dass sie das gefunden hat.“

Damon hätte das Papier in seine Gesäßtasche gestopft, um sich weiter auf Caroline zu konzentrieren, wenn ihm nicht das goldene Siegel in einer Ecke ins Auge gefallen wäre.

Ihre Heiratsurkunde.

„Ich verstehe nicht.“ Er trat näher zu der Frau, die einst sein Herz in ihren Händen gehalten hatte. Die Frau, die ihn jetzt wie einen Fremden anstarrte. „Was ist passiert?“

Sein Puls raste. Er machte sich bereit, die Worte zu hören, die er so fürchtete. Die Nachricht, dass sie die Ehe beenden wollte. Für immer.

Sie steckte die Hände in die Taschen ihrer überdimensionierten Jacke.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er sie hochgehoben und mit beiden Armen umschlungen. Auch wenn er nicht wusste, wo sie gewesen war, was passiert war oder warum sie zurückgekommen war, Damon wollte sie immer noch lieber küssen, als Erklärungen zu hören. Etwas an ihrer Körpersprache, so zögerlich, hielt ihn jedoch zurück.

„Du bist Damon.“ Sie schien nach einer Bestätigung zu suchen, die braunen Augen mit den goldenen Flecken suchten sein Gesicht ab. „Ich habe dein Foto online gesehen, aber du ähnelst deinem Bruder so sehr. Cameron.“

Halbbruder, korrigierte er stumm, während sein Verstand versuchte, ihren unsinnigen Worten einen Sinn zu geben.

„Es ist weniger als ein Jahr her, dass du mich zuletzt gesehen hast. Habe ich mich so verändert?“ Er hatte sie am Flughafen von Florenz lange geküsst, hatte es gehasst, sich nach den Flitterwochen von ihr trennen zu müssen. Ihr Zuhause in Los Altos Hills – dieses Haus – war noch nicht fertig gewesen. Sie war nach London geflogen, um sich mit einer Freundin zu treffen, während er aus geschäftlichen Gründen zurück in die Staaten geflogen war.

Wie sich herausstellte, hatte sie nicht nur ihre Freundin getroffen, sondern auch ihren Vater, um sich mit ihm zu versöhnen. Stephan Degraff würde alles geben, um Transparent zu übernehmen. Sein Plan, Damon zu vertreiben, würde sich unmittelbar vor dem Vorstandstreffen in einer Woche zuspitzen, dem letzten, bevor das Produkt an den Start ging.

Hatte Caroline von Anfang an ihrem Vater geholfen, Damons Unternehmen zu übernehmen?

„Ich erinnere mich nicht.“ Ihr Blick wirkte gehetzt. Ängstlich. Unsicher. „Ich war in Mexiko. Litt unter Gedächtnisverlust. Vor zwei Monaten habe ich mich dann an meinen Namen erinnert, doch es hat gedauert, bis ich mich an mehr erinnern konnte.“ Sie schloss die Augen einen langen Moment, bevor sie fortfuhr. „Ich hatte dieses Papier bei mir, als ich in einem Fischerdorf auf Baja Peninsula aufwachte. Doch damals wusste ich nicht einmal, dass es mein Name ist, der darauf steht.“

Damon könnte nicht fassungsloser sein, wenn sie tatsächlich das Gespenst wäre, das er zuerst zu sehen geglaubt hatte. Gedächtnisverlust? Ihm stockte der Atem.

„Du erinnerst dich nicht an mich? An uns?“ Er versuchte sich vorzustellen, was das für sie bedeutete.

„Nein.“ Sie schüttelte langsam den Kopf, das Haar fiel ihr ins Gesicht. „Ich habe vor Wochen schon im Internet nach dir gesucht, aber ich hatte Angst zu kommen, weil es … es gab nichts darüber, dass ich vermisst wurde. Keine Fotos von uns beiden.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, die Heiratsurkunde ist vielleicht eine Fälschung. Oder dass wir geschieden sind und du …“

„Nein.“ Ohne sie war er wie scheintot gewesen. Es war kein Leben gewesen. Er hatte die Zeit damit verbracht, sie auf der ganzen Welt zu suchen, unfähig ihre „Privatsphäre zu respektieren“, so wie ihr Vater es verlangt hatte. „Ich habe überall nach dir gesucht.“

Er wollte wissen, wo sie gewesen war. Ob sie gekidnappt worden war oder ob sie ihn aus freiem Willen verlassen hatte.

Er besaß immer noch den Ehering, den sie zurückgelassen hatte.

Doch er erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, dass es für Menschen mit Gedächtnisverlust nicht gut war, Erinnerungen nachzujagen. Und wies die Tatsache, dass sie unter Gedächtnisverlust litt, nicht darauf hin, dass sie ein Trauma durchlebt hatte? Das Bedürfnis, sie zu beschützen – dafür zu sorgen, dass ihr nichts mehr passierte –, war stärker als alles andere. Er musste für ihre Sicherheit und Gesundheit sorgen.

Und, ganz egoistisch, betrachtete er ihre Rückkehr als zweite Chance.

Wenn sie ihn verlassen hatte, dann erinnerte sie sich nicht mehr.

Damit bekam Damon die Chance, die Geschichte neu zu schreiben. Ihr zu zeigen, dass sie bestens zusammenpassten.

„Ich weiß nicht, wo ich gewesen bin. Meine Erinnerung sollte aber irgendwann zurückkehren.“ Sie nahm die Hand aus der Tasche und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Die Geste erinnerte ihn kurz an die alte Caroline. Die lebensfrohe Frau, die gern flirtete und ihn von dem Moment an verzaubert hatte, als sie sein Büro betrat und eine Position in seinem Team forderte. „Doch bis es so weit ist, weiß ich nicht, wohin ich soll. Ich war die letzten zwei Nächte in einer Hütte.“

Die Vorstellung erschütterte ihn.

„Es war richtig, nach Hause zu kommen.“ Er trat näher, darauf bedacht, ihr Raum zu geben, gleichzeitig wollte er sie berühren.

Sie zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück, was ihn daran erinnerte, dass sie zwar verheiratet waren, dass er für sie aber ein Fremder war.

Sie brauchte einfach Zeit. Und die würde er ihr nur zu gern geben, denn er war entschlossen, ihr dabei zu helfen, sich daran zu erinnern, wie glücklich sie vor diesem dummen Streit gewesen waren.

„Du gehörst hierher, Caroline“, versicherte er ihr. „Für immer.“

Autor

Joanne Rock
Joanne Rock hat sich schon in der Schule Liebesgeschichten ausgedacht, um ihre beste Freundin zu unterhalten. Die Mädchen waren selbst die Stars dieser Abenteuer, die sich um die Schule und die Jungs, die sie gerade mochten, drehten. Joanne Rock gibt zu, dass ihre Geschichten damals eher dem Leben einer Barbie...
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