Sinnliche Stunden - zehn betörende Liebesromane für zwischendurch

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  • Erscheinungstag 07.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735258
  • Seitenanzahl 1300
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Jule Mcbride, Leslie Kelly, Cara Summers, Kristin Hardy, Jeanie London, Eugenia Riley, Jill Shalvis, Kay Thorpe, Julie Miller, Michelle Reid

Sinnliche Stunden - zehn betörende Liebesromane für zwischendurch

IMPRESSUM

Heiße Nacht mit einem Fremden erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2004 by Julianne Randolph Moore
Originaltitel: „Bedspell“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY
Band 11 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Sabine Stitz-Schilasky

Umschlagsmotive: KatarzynaBialasiewicz / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733779269

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Diese Museumspartys sind super“, stellte C.C. fest.

„Göttlich“, bestätigte Diane.

„Jedenfalls stehen wir den vier Frauen aus Sex and the City in nichts nach“, konstatierte Mara begeistert.

„Könnt ihr nicht noch ein paar Minuten bleiben?“ fragte Signe Sargent, die nebenbei Drinks an die kostümierten Gäste verteilte. Sie stand hinter einer improvisierten Bar und blickte ihre drei Freundinnen an. Die drei waren als Katzen verkleidet.

Durch die riesigen Fenster des Metropolitan Museums schien der fast volle Mond hinein und beleuchtete den Tempel von Dendur, der zur permanenten Ausstellung des Museums gehörte.

„Wir würden wirklich gern bleiben“, antwortete C.C. und richtete den Haarreif mit den Katzenohren, „aber wir wollen unbedingt zu Gus, solange unsere Katzenkostüme noch halbwegs frisch aussehen.“ Gus war der Besitzer einer In-Bar in Greenwich Village, wo Signe lebte.

Diane öffnete ihr Lippenstiftetui und kontrollierte ihr Aussehen. „Schade, dass du arbeiten musst, Signe, sonst könntest du mitkommen.“

„Und tausend Dank, dass du uns auf die Gästeliste geschmuggelt hast“, flüsterte Mara.

Diane klickte ihr Lippenstiftetui wieder zu und trank den Rest aus ihrer Sektflöte, bevor sie sie auf ein Tablett neben Signe stellte. „Das Risiko hat sich allemal gelohnt“, sagte sie lächelnd und wedelte vielsagend mit einer Visitenkarte, die sie von einem der begehrten Junggesellen bekommen hatte.

Signe hatte ihre drei Freundinnen unter falschen Namen für die Museumsparty angemeldet, die von einem Computermogul ausschließlich für die Crème de la Crème von New York gegeben wurde.

„Das ist eine der besten Partys des Monats“, seufzte C.C.

„Fantastische Horsd’œuvres“, fügte Mara hinzu.

Signe angelte sich ein kleines Häppchen in Kürbisform und nickte zustimmend. „Ich habe den göttlichen Garrity noch gar nicht gesehen.“

Niemand wusste mehr, wann und wo es angefangen hatte, aber George Garrity wurde praktisch von ganz New York als „der göttliche Garrity“ bezeichnet.

„Der kommt noch“, sagte C.C.

Vielleicht. Signe blickte durchs Fenster hinaus in den Central Park. Im Herbst liebte sie den Park besonders, wenn die Bäume in allen erdenklichen Farben leuchteten. Davon war jetzt in der Dunkelheit zwar nichts zu sehen, stattdessen aber wurden die Baumkronen vom Mondlicht in einen romantischen Silberschein getaucht.

Selbst der verbittertste New Yorker Zyniker musste bei diesem Anblick weich werden. Der Abend war ideal für ein Stelldichein mit dem göttlichen Garrity.

Signe blickte sich ein weiteres Mal suchend im Raum um. Die alten ägyptischen Steinsärge, die Götterstatuen und der Tempel, alles war genauso aufgebaut, wie es über Jahrtausende in Dendur gestanden hatte.

„Ich habe einen Rockefeller kennen gelernt“, sagte Diane.

Signe nickte, hörte allerdings nur mit einem halben Ohr zu, während sie nach dem göttlichen Garrity Ausschau hielt. Bei den Partys im Museum, von denen nur Eingeweihte erfuhren, traf sich normalerweise alles, was in New York Rang und Namen hatte. So kannte sie auch die Gesichter am heutigen Abend beinahe alle aus der Zeitung oder den Klatschblättern.

„Ich habe Ghardi getroffen“, erzählte Mara. „Ihr wisst schon, von den tollen Schuhen im Retrolook mit den nach oben geschwungenen Spitzen.“

„Wir sollten uns jetzt trotzdem auf den Weg machen“, sagte C.C., „sonst sind bei Gus alle wieder ausgeflogen, und ich will doch die Kostüme sehen.“ Heute Abend fand die Halloweenparade in Greenwich Village statt. „So viele Partys und so wenig Zeit.“

„Und an Halloween selbst werden es sogar noch mehr“, ergänzte Mara.

Signe drückte einem Mann in einem Bärenkostüm einen Martini in die Kunstpfote und einer Frau im Hexenkostüm einen Cosmopolitan in die Hand. Dann drehte sie sich wieder zu ihren Freundinnen um und schmunzelte. Obwohl sie alle drei dasselbe Kostüm trugen – einen schwarzen Catsuit mit angestecktem Schwanz und Fellohrenhaarreif sowie schwarze Larven über den Augen – sahen sie sich kein bisschen ähnlich.

C.C. war zierlich und föhnte sich ihr rotblondes Haar so glatt, dass es wie gebügelt aussah. Diane, die stets als Erste die Männerblicke auf sich zog, war mittelgroß, blond und kurvenreich, und Mara schließlich war brünett und attraktiv genug, um selbst mit einem Kurzhaarschnitt und einem Minimum an Make-up ausgesprochen weiblich zu wirken – auch wenn ihr Kleidungsstil an den „Grunge Look“ erinnerte, wie Diane meinte.

„Ich wünschte, ich könnte mitkommen“, sagte Signe bedauernd. „Bleibt’s bei unserm gemeinsamen Frühstück morgen?“

C.C. nickte. „Was haltet ihr von Sarah’s an der West Side? Die haben diesen sündhaft leckeren Apfelkuchen.“

Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.

„Und was ist mit diesem Hexendings?“ fragte Signe. Diane hatte vor einem Jahr ein Reisebüro in Manhattan eröffnet, Wacky Weekends, in dem sie ausgefallene Kurzreisen für gelangweilte Großstädter anbot. Unlängst hatte sie von einer Gruppe Frauen aus New Jersey erfahren, die in den Catskill Mountains regelmäßige Treffen veranstalteten, bei denen Hexentänze und – beschwörungen stattfanden. Da Diane meinte, diese monatlichen Veranstaltungen könnten für ihre weiblichen Kunden interessant sein, hatte sie ihre Freundinnen gebeten, mit ihr an einem Probewochenende teilzunehmen.

„Es ist dieses Wochenende“, antwortete Diane. „Wird also Zeit, dass wir die organisatorischen Fragen klären.“

„Ich kümmere mich um den Mietwagen“, sagte C.C., die Einzige der vier Frauen, die gern Auto fuhr.

„Nimm ein Cabrio“, schlug Signe vor. „Laut Wetterbericht wird es warm.“

„Hab ich auch gehört“, pflichtete Mara ihr bei.

„Für die Wagenmiete legen wir zusammen“, sagte Diane.

Signe nickte. „Was müssen wir mitnehmen?“

„Aspirin“, kam prompt von C. C. „Angeblich schenken sie dort ein Spezialgetränk aus, das einem den Schädel sprengt.“

„Vergiss das Aspirin“, erwiderte Diane. „Ich bring alles für Bloody Marys mit.“

„Und vergiss auch deinen Badeanzug, Sig“, sagte Mara. „Wenn es warm ist, werden wir nackt im See baden.“

C.C., die ein ebenso gespaltenes Verhältnis zur Natur hatte wie Signe, fragte skeptisch: „See? Was für ein See?“

„Na, die Hütten liegen an einem See“, erklärte Mara.

C.C. und Signe rümpften die Nasen, und Signe sagte: „Das heißt, wir brauchen Insektenschutzlotion. Ich glaube, ich habe noch welche vom letzten Mal übrig, als ich in die Wildnis verschleppt wurde.“

„Ein Glück. Und vergesst nicht, etwas von dem Mann mitzubringen, den ihr mit einem Zauber belegen wollt. Am Samstagabend wird ein Kessel in den magischen Kreis gestellt“, sagte C.C. geheimnisvoll und kicherte.

„Und wir alle werfen etwas hinein, wobei wir unseren Zauberspruch vorlesen“, ergänzte Mara.

„Damit sich ein bestimmter Kerl in uns verliebt?“ fragte Signe und dachte dabei an den göttlichen Garrity.

„Das, oder damit er mit uns ins Bett geht“, antwortete C.C., die von tiefen Gefühlen und Bindungen nicht allzu viel hielt.

Genau in diesem Moment erblickte Signe George Garrity am anderen Ende des Raums und hielt die Luft an. Seit er von der Wall Street wegging, um die Position seines Vaters an der Spitze von Garrity Enterprises zu übernehmen, war er regelmäßig auf den Titelseiten des New York Magazine, der New York Business World und People gewesen. Garrity Enterprises war ein Konglomerat von diversen Unternehmen, die weltweit tätig waren. Und das Aufregendste an dem göttlichen Garrity war, dass er sich für Signe zu interessieren schien.

„Wenn man vom Teufel spricht“, sagte Mara.

„Er sieht hier rüber“, flüsterte C.C. begeistert. „Gleich kommt er her, also machen wir uns lieber aus dem Staub.“

Signe kontrollierte den Sitz ihrer goldenen Bluse und ihrer Seidenhose, dann strich sie sich über die schwarze Perücke. Hoffentlich gefiel ihm ihr Kleopatrakostüm. Bei dem Gedanken, mit George Garrity bloß reden zu müssen, wurde ihr schon ganz heiß. An mehr mochte sie überhaupt nicht denken.

Sie seufzte. „Er ist so unglaublich reich.“

„Versuch dir vorzustellen, er wäre ein ganz normaler Mann“, ermutigte C.C. sie.

Aber an dem göttlichen Garrity war nichts wie bei einem „ganz normalen Mann“. Er war groß, umwerfend gut aussehend und nicht weniger edel als die eleganten Sportsakkos, die er gewöhnlich trug, wenn er mittags ins Café des Metropolitan Museums kam.

„Er will eindeutig hierher, nur diese komische Kuh hält ihn auf, siehst du, die, die sich als Bauernmagd kostümiert hat“, flüsterte Diane.

„Klar kommt er her“, sagte Signe leise. „Er will einen Drink.“

„Ja, natürlich. Und er kommt jeden Mittag ins Museum, weil sie bei Garrity Enterprises keinen Kaffee kochen können“, meinte C. C. kichernd. „Sig, sieh’s endlich ein, der Typ flirtet mit dir.“

Zu demselben Schluss war Signe auch gekommen. „Er hat mir angeboten, George zu ihm zu sagen.“

„Achtung, er kommt!“ zischte Mara.

Signe war schrecklich nervös. Schließlich war sie bloß die Bedienung im Museumscafé. Mit ihrem Job ließ sich wahrlich kein Staat machen. Ihre Freundinnen hatten mittlerweile alle eine Karriere vorzuweisen – Diane mit ihrem Reisebüro, C.C. als Steuerberaterin und Mara als Immobilienmaklerin. Aber Signe gab die Hoffnung nicht auf.

Seit sie Bibliothekswissenschaften und Kunst studiert hatte, träumte sie von einer Stelle als Kuratorin am Metropolitan Museum. Nach dem Examen hatte sie zunächst ein paar Jahre in der öffentlichen Bücherei gearbeitet und sich erfolglos beim Museum beworben. Deshalb hatte sie sich für diese neue Taktik entschieden und einen Job als Kellnerin im Museumscafé angenommen. So konnte sie jede Gelegenheit nutzen, mit den Kuratoren zu sprechen.

Sie liebte das Metropolitan Museum mit seinen langen Korridoren, seinen Marmortreppen und dem Geruch von Ölfarben. Allein die Luft hier drinnen einzuatmen, ließ ihr Herz fast ebenso rasen wie der Anblick von George Garrity. Und wie es aussah, sollten sich sechs Monate Kaffeeausschenken und Bedienen bei privaten Partys bezahlt machen.

Ihr Chef, Edmond Styles, hatte ihr heute Abend erzählt, dass eine der Archivmitarbeiterinnen kündigen wollte. Wenn sie am Montag fristgerecht ihre Kündigung einreichte, würde Signe die Stelle ihrer Träume offiziell angeboten werden.

Sie war so aufgeregt. Ihr Leben sollte eine neue Wende nehmen. Und wo ihr das Glück schon mal hold war, wer weiß, vielleicht bescherte es ihr dann auch gleich eine heiße Nacht mit George Garrity …

Mit einem zufriedenen Seufzer blickte sie sich in der Halle um. Die meisten Statuen hatte sich der Computermogul für die heutige Party bei privaten Sammlern ausgeliehen. Sie standen auf beleuchteten Podesten. Ja, Signe hatte wahrlich gute Arbeit geleistet. Edmond Styles hatte ihr nämlich die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die Ausstellungsstücke zu arrangieren. Bis hin zum Einschalten des Alarms für jedes einzelne Exponat hatte sie alles selbst erledigt. Diese Ausstellung war quasi ihr Baby.

„Die Figuren sind wirklich beeindruckend“, bemerkte Diane, die Signes Blicken folgte. Mara kicherte. Bei den meisten handelte es sich um Fruchtbarkeitsgötter mit übertriebenen männlichen Geschlechtsmerkmalen.

„Ich glaube, den da kenne ich“, sagte Diane und zeigte lachend auf eine der Statuen.

„Davon träumst du wohl“, scherzte Mara.

„Ruhe!“ zischte C.C. „Mr. Wonderful kommt.“

Signe atmete tief durch. Zwischen George Garrity und ihr lagen Welten. Zwar waren ihre Eltern gut situiert – ihr Vater war Anwalt und ihre Mutter Geschichtsdozentin –, aber ihr Lebensstil nahm sich doch sehr bescheiden aus, verglichen mit dem der Garritys.

„Verkauf dich ja nicht unter Wert“, ermahnte Mara sie. „Denk dran: Du siehst aus wie Winona Ryder.“

„Ja, vielleicht, aber das muss nicht unbedingt ein Plus sein“, entgegnete Signe, die häufiger auf ihre Ähnlichkeit mit der berühmten Schauspielerin angesprochen worden war. „Habt ihr schon vergessen, dass sie wegen Ladendiebstahls vor Gericht stand?“

„Das ist Jahre her und längst vergessen“, beteuerte Diane.

Signe hörte ihr nicht mehr zu, denn sie starrte fasziniert George Garrity an. Er war als Höfling aus dem siebzehnten Jahrhundert kostümiert, trug einen dunkelroten bestickten Überwurf über einem weißen Hemd mit steifem Spitzenkragen und sogar ein Schwert, dessen reich verzierte Scheide den Blick des Betrachters unwillkürlich auf die sehr eng geschnittene Hose lenkte. Signe fiel sofort die deutliche Wölbung unterhalb der Gürtelschnalle auf.

„Dann mal los, Mädchen“, flüsterte C.C.

Signe zwang sich, weiterzuatmen und woanders hinzusehen. Sie konzentrierte sich auf die üppige weißblonde Perücke und den dreieckigen roten Samthut.

„Vergiss nicht, dass du irgendwas von ihm brauchst, einen Stift oder ein Feuerzeug“, hauchte Mara. „Wir sind dann weg.“

Der Gedanke, George Garrity mit einem Zauber zu belegen, machte ihr eine Gänsehaut. Sollte sie ihn dazu verzaubern, sie zu heiraten oder nur mit ihr schlafen zu wollen? „Ich glaube nicht an Zauberei“, sagte sie.

„Ich auch nicht, aber man kann’s ja mal versuchen“, erwiderte Mara.

„Wir sehen uns morgen bei Sarah’s, um zehn“, sagte C.C.

Signe nickte. „Ja, bis dann.“

Ihr Herz hämmerte wie verrückt, als George Garrity sich einen Moment später lässig an den Bartresen lehnte. „Was kann ich Ihnen bringen“, sie machte eine kurze Pause, „George?“

Er schenkte ihr ein filmreifes Lächeln. „Bringen Sie mich hier raus“, sagte er vertraulich. „Wenn mich noch eine Milchmagd anspricht, die ein Date mit mir will, kriege ich einen Schreikrampf.“

„Und wohin sollte ich Sie bringen?“

„Eine Frau wie Sie? Nun, ich würde sagen, fangen wir mit dem Himmel an und warten ab, wie es von da aus weitergeht.“

Was das Flirten betraf, war der Mann begnadet wie kein anderer. Wann immer er in ihrer Nähe war, fühlte Signe sich wie Cinderella. „Aber Sie geben doch hoffentlich zu, dass die Kunstwerke hier interessant sind?“

„Durchaus. Ich glaube, einige der Stücke sind Leihgaben meines Onkels Harold an Jack.“ Jack war der Vorname des Veranstalters.

Signe versuchte, sich ein Leben in Kreisen vorzustellen, in denen einer dem anderen Kunstwerke für Partys auslieh. Sie sah sich um. Die kostümierten Kinder, die von ihren Eltern mitgebracht worden waren, wuchsen in solchen Kreisen auf und hielten es wahrscheinlich für etwas Selbstverständliches, unvorstellbar teure Kunstwerke zu besitzen.

„Tatsächlich?“ fragte sie.

„Ja, unter anderem der Eros da drüben.“

Signe wurde rot. Angesichts des sehr übertrieben großen Penis, mit dem die Statue ausgestattet war, wollte sie eigentlich nicht hinsehen, andererseits wollte sie auch nicht den Eindruck erwecken, prüde zu sein. Ihre Freundinnen fanden sie nämlich prüde, was George Garrity auf gar keinen Fall wissen durfte.

„Eros haben wir in Kunstgeschichte durchgenommen“, sagte sie und sah in George Garritys unendlich blaue Augen. „Man sagt, eine Statue von ihm verleiht ihrem Besitzer große sexuelle Potenz.“ Allein bei der Erwähnung des Wortes Potenz in seiner Gegenwart wurde ihr schwindlig.

„Wirklich?“ fragte er lächelnd, als wüsste er sehr wohl um diese Wirkung. „Tja, mag sein. Onkel Harold hat sich jedenfalls nicht mit einer Ehefrau begnügt.“

„Im Geschenkeshop verkaufen wir Reproduktionen der Statue, und sie gehen reißend weg.“

„Hat denn eigentlich eine Reproduktion denselben Effekt wie das Original?“

„Offensichtlich ja.“

„Besitzen Sie eine?“

„Eine Eros-Statue?“ Ihr Herz setzte kurzfristig aus. Was konnte sie auf eine solche Frage antworten? Zugegeben, sie hatte in letzter Zeit häufiger davon geträumt, wie sich der göttliche Garrity in ihren Laken rekelte, aber deshalb musste sie ihm ja nicht gleich den Eindruck vermitteln, sie wäre leicht zu haben. „Nein, ich besitze keine. Die einzige Form von Anregung, die ich anbieten kann, wäre so etwas hier“, erklärte sie schließlich und hielt eine Flasche Wein hoch.

George Garrity sah sie an und schien einen Moment zu überlegen. „Nein, ich denke, dann entscheide ich mich eher für einen Wodka-Bitterlemon.“

„Kommt sofort“, sagte sie und machte sich daran, seinen Drink zu mixen. Dabei musterte sie ihn verstohlen auf der Suche nach einem Gegenstand, den sie ihm für den Zauber abluchsen könnte.

Schwert, Hut und Gürtel waren sämtlichst zu groß und zu sperrig. Aber sie könnte ihn um einen Schreiber bitten oder eine Visitenkarte.

In dem Augenblick fiel ihr das rote Seidentaschentuch auf, das in seinem Hosenbund steckte. Sie erschauderte. Ihn bloß anzusehen, brachte sie schon vollkommen durcheinander. Der Mann war sagenhaft gut gebaut, besonders seine muskulösen Schenkel. Die verdankte er zu einem wesentlichen Teil seiner Leidenschaft fürs Polospiel, so viel wusste Signe bereits.

Er lächelte sie an, und sie erwiderte sein Lächeln. Sie konnte es einfach nicht glauben. Vor ihrem Flirt mit dem göttlichen Garrity hatte sie nur wenige Gedanken an Sex verschwendet. Nicht, dass ihr Sex nichts bedeutete, doch in Bezug auf Männer dachte sie in erster Linie praktisch.

Bei George Garrity jedoch war alles anders. Da mochte sie sich noch so oft sagen, dass er in einer ganz anderen Liga spielte als sie, bei ihm versagte ihre Vernunft.

Sie gab ihm seinen Drink, trat einen Schritt zurück und täuschte einen Nieser vor. Ohne zu zögern, reichte er ihr sein rotes Taschentuch. Signe tat, als würde sie sich die Nase putzen, und lächelte ihn dankbar an. „Darf ich es waschen und bügeln? Sie bekommen es dann wieder, wenn Sie das nächste Mal vorbeikommen. Sie sind ja häufiger im Museum.“

„Und Sie sind immer hier“, antwortete er schmunzelnd. „Gibt man Ihnen eigentlich nie frei?“

Aha! Wollte New Yorks begehrtester Junggeselle sie etwa um ein Date bitten? „Doch, tut man. Dieses Wochenende beispielsweise habe ich frei und fahre in die Catskills.“

„Wohin da?“

„In den Naturschutzpark. Die Gegend dort heißt Clover Fields.“

„Kleefelder? Bringen Kleeblätter nicht Glück?“

Wollte er etwa andeuten, dass er sich Glück wünschte? „Mal sehen.“ Sie kicherte. „Ich bin in Hütte sieben, vielleicht bringt mir die Zahl ja Glück.“

„Da bin ich sicher.“

Die Hütten waren für jeweils drei Personen ausgelegt. Da sie vier Freundinnen waren, hatte Signe sich freiwillig bereit erklärt, eine Hütte mit einer Frau aus New Jersey zu teilen – die sie bislang noch nicht kannte.

„Reisen Sie allein?“ fragte George.

„Nein, mit Freundinnen“, antwortete sie, doch als er sie enttäuscht ansah, fügte sie hinzu: „Es sei denn, Sie kommen spontan vorbei.“

„Ich? Vorbeikommen?“

Sie war nicht sicher, ob sie gerade etwas vollkommen Idiotisches gesagt hatte. „Na ja, falls Sie zufällig gerade in der Gegend sein sollten.“

Er lächelte. „Stimmt, wir könnten uns tatsächlich zufällig über den Weg laufen.“

Sie blickten sich für eine halbe Ewigkeit in die Augen und hätten es wahrscheinlich noch länger getan, wäre da nicht plötzlich dieser Schrei gewesen.

„Was war das?“ fragte Signe ein wenig benommen.

„Die Eros-Statue!“ rief jemand.

Signe wandte ruckartig den Kopf und sah zu dem Platz, an dem die Statue noch vor wenigen Minuten auf ihrem Podest gestanden hatte. Sie blinzelte. Beinahe bildete sie sich ein, sie noch zu sehen – ungefähr dreißig Zentimeter hoch und aus dunklem Holz geschnitzt – aber sie war fort. Und mit ihr wahrscheinlich auch ihr Traum von einer Stelle im Museumsarchiv.

Am nächsten Morgen, einen Tag vor Halloween, rutschte Signe nervös auf einem Stuhl im Konferenzraum des Metropolitan Museums hin und her, während Detective Alfredo Perez vom 84. Polizeirevier vor ihr auf und ab ging und misstrauisch ihre kleine Reisetasche beäugte. Detective Perez war groß, hager und hatte kurze dunkle Haare sowie einen schmalen Oberlippenbart, der ihn wie einen mexikanischen Schurken aus einem Billigwestern aussehen ließ.

„Ich wollte Ihnen eigentlich gerade mitteilen, dass Sie die Stadt nicht verlassen dürfen.“

Kein gutes Zeichen. „Bin ich verhaftet?“

„Wohin wollen Sie?“ fragte er, statt ihr zu antworten.

„Zu einem Hexentreffen.“

„Hexen?“

„Na, Sie wissen schon, Magie, Hexen.“

„Aha“, sagte er. „Dann sind Sie eine Hexe?“

Großartig! Sie konnte ihm direkt ansehen, was er jetzt dachte. Detective Perez nahm sie spätestens jetzt in den Kreis der Hauptverdächtigen auf, denn wer sonst, wenn nicht eine Hexe, würde eine heidnische Skulptur stehlen? „Nein, bin ich nicht. Und weder habe ich jemals welche gekannt, noch kenne ich heute irgendwelche echten Hexen“, erklärte sie lächelnd.

Er schien nicht amüsiert. „Und wie steht es mit Katzen?“ fragte er und hielt ihr ein Foto hin, das sie mit C.C., Diane und Mara an der Bar zeigte. Scheinbar war die Aufnahme von einer der Sicherheitskameras gemacht worden.

Schlimm genug, dass alle glaubten, Signe hätte den Alarm nicht eingeschaltet, obwohl sie sicher war, dass sie es getan hatte. Aber sie würde ganz bestimmt gefeuert werden, wenn sie zugab, ihre Freundinnen auf die Party geschmuggelt zu haben.

„Ich weiß genau, dass ich den Alarm aktiviert habe.“

Detective Perez betrachtete sie prüfend. „Wer sind diese Frauen?“

Sein Misstrauen verunsicherte sie. „Weiß ich nicht.“ Gewiss würde sich bald herausstellen, dass sie keine Schuld traf, und außerdem hatten ihre Freundinnen nichts mit dem Diebstahl zu tun, also warum sollte sie sie erwähnen? „Wer die Statue gestohlen hat, wird versuchen, sie zu verkaufen“, sagte sie. „Ich meine, sie taucht wahrscheinlich demnächst auf dem Schwarzmarkt auf, denken Sie nicht?“

„Vielleicht.“

Signe interpretierte das als Ja und seufzte erleichtert. Nein, sie würde ihre Zukunft nicht aufs Spiel setzen, indem sie zugab, ihre Freundinnen heimlich auf die Gästeliste gesetzt zu haben.

Detective Perez sah sie ungerührt an. „Worüber unterhalten sich diese drei Katzen?“

Sie überlegte. „Vor allem über Wohltätigkeitsarbeit.“ Ja, das klang passend.

„Und was für Wohltätigkeitsarbeit?“

„Weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls schienen sie ganz nett zu sein, nicht die Sorte Frauen, die herumlaufen und Kunstobjekte stehlen.“

„Das können Sie beurteilen? Ich denke, Sie haben nicht mit Ihnen gesprochen?“

„Na ja“, sagte Signe und schluckte. „Ich schließe es aus der Art, wie sie ihre Drinks bestellten.“

„Wie sie bestellten?“

„Na, sie hörten sich nicht an wie Diebe.“

„Und wie hören sich Diebe an?“

„Eben nicht wie nette Damen.“

„Ich habe den Eindruck, unsere Unterhaltung bewegt sich im Kreis.“

Wenigstens fiel es ihm auf. Signe langte nach unten und griff den Henkel ihrer kleinen Reisetasche. Dabei dachte sie zum ersten Mal seit Beginn der Befragung wieder an George Garrity. Nachdem der Diebstahl entdeckt worden war, hatte er sich ihr gegenüber ausgesprochen freundlich verhalten. Zwar hatte er das Wochenende in den Catskills nicht wieder erwähnt, doch sie schätzte die Chancen mit zehn zu eins ein, dass er heute Abend dorthin kam.

„Hören Sie, Detective Perez, ich möchte Ihnen wirklich helfen, und sollten Sie noch irgendwelche Fragen haben …“

Ausgerechnet in diesem Moment klingelte ihr Handy, und sie holte es aus der Handtasche. „Hallo?“

„Ich sitze in einem traumhaften gelben Cabrio“, verkündete C.C. „Die anderen habe ich schon eingesammelt. Sei in zehn Minuten vorm Museum, ja?“

Signe stellte das Telefon aus und warf einen verstohlenen Blick auf das körnige Foto von ihren drei Freundinnen. Detective Perez sah ihr natürlich an der Nasenspitze an, dass sie ihm etwas verheimlichte, denn Signe war noch nie eine begnadete Lügnerin gewesen.

Als Kind hatte sie das Lügen sogar vor dem Spiegel trainiert, wenn auch ohne Erfolg. Und als sie sieben war, ließ ihr Vater sie auf die Bibel schwören, niemals Poker zu spielen.

„Wenn das dann alles wäre“, sagte sie und stand auf, „würde ich gern gehen.“

„Eine Frage noch.“

„Ja?“

„Wie steht es mit Ihrem Privatleben, Miss Sargent?“

Sie riss die Augen auf. „Mein Privatleben?“ Wollte er damit etwa andeuten, sie könnte ein Motiv gehabt haben, eine potenzfördernde Statue zu stehlen? Sie wurde rot. „Alles bestens“, sagte sie. Abgesehen von den wöchentlichen Anrufen ihrer Mutter, jeden Donnerstagabend um dieselbe Zeit, bei denen sie sich danach erkundigte, ob Signe nicht inzwischen „einen netten jungen Mann“ kennen gelernt hätte. „Nett“ war für ihre Mutter übrigens gleichbedeutend mit „Akademiker in fester Stellung und mit vielversprechender Zukunft.“

Ehe Detective Perez weitere peinliche Fragen stellen konnte, wandte Signe sich um und ging zur Tür.

„Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie Winona Ryder?“

Sie drehte sich zu ihm um. „Ja“, antwortete sie lächelnd. Bestimmt dachte der Polizist bei dem Namen der Schauspielerin auch gleich an Ladendiebstahl.

Sie verabschiedete sich von ihm und eilte den Flur hinunter Richtung Ausgang. Als sie an der großen Freitreppe vor dem Ausgang ankam, blickte sie nach oben zu dem großen Tiepolo-Gemälde über dem Treppenabsatz. Sie liebte dieses Museum.

Jahrelang hatte sie davon geträumt, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen und mit Kunst umzugehen. Und jetzt war sie auf einmal eine Verdächtige in einem Kunstdiebstahl! Viel schlimmer konnte es kaum noch kommen.

„Signe!“ hörte sie Edmond Styles’ Stimme hinter sich. „Kann ich Sie kurz sprechen?“

Das klang überhaupt nicht gut. Sie holte tief Luft und drehte sich um. „Selbstverständlich, Mr. Styles.“

„Es tut mir furchtbar Leid“, begann er ernst, „aber ich habe gerade mit Detective Perez gesprochen, und bis diese Angelegenheit geklärt ist, muss ich Sie leider freistellen.“

„Sieh es mal von der positiven Seite“, flüsterte Diane.

„Und welche soll das sein?“ Signe hatte sich stets für einen optimistischen Menschen gehalten, aber in diesem Fall vermochte sie keine positive Seite zu entdecken. Seit ihrer „Freistellung“ waren Stunden vergangen, und die vier Frauen standen auf einer Lichtung im Wald, in deren Mitte ein Kreis aus Besen lag.

Sie nippten an ihrem gewürzten Kräuterbier und unterhielten sich zwischendurch flüsternd, um die anderen „Hexen“ nicht zu stören, die ungleich ernster als sie bei der Sache waren.

„Na, wenn du nicht arbeiten musst, kannst du mir nächste Woche bei meinem Manhattan-Men-Programm aushelfen“, erklärte Diane.

„Stimmt.“

Das Manhattan-Men-Programm, das Diane anbot, war für Männer gedacht, die nicht aus New York kamen, mehr Geld als Kultur besaßen und in einem einwöchigen Intensivkurs lernen wollten, wie man sich richtig präsentierte. Nächste Woche sollte der erste Probelauf des Programms stattfinden, für den sich bisher immerhin sechs Männer angemeldet hatten.

Sie bekamen jeweils eine Begleiterin zugewiesen – C.C., Mara, Signe sowie drei andere Bekannte Diane –, die ihnen zeigte, wie sie ihre Geschäftsfreunde aus der Großstadt beeindruckten. Zum Kurs gehörte, dass sie eingekleidet wurden, lernten, wie man im Nobelrestaurant richtig bestellte und Wein aussuchte und wie man sich auf Vernissagen, in der Oper und bei Nachmittagseinladungen benahm.

„Mara und ich haben uns eine Woche Urlaub genommen, um mitzumachen“, sagte C.C.

„Klingt gut“, gab Signe zu und trank noch einen Schluck von dem Kräuterbier. „Was meint ihr, was hier drin ist?“

„Reiner Äthylalkohol“, antwortete Diane prompt.

„Danach schmeckt es gar nicht“, meinte Signe, die fast nie Alkohol trank.

„Dafür wirkt es so. Wart’s ab“, sagte C.C.

Signe beschloss, dass sie sich heute ebenso gut einen Schwips antrinken konnte. Die Befragung durch den Polizisten, ihre vorläufige Entlassung und die Tatsache, dass George Garrity nicht wie üblich mittags im Museum gewesen war, gaben ihr wohl genug Grund, nicht unbedingt nüchtern bleiben zu wollen.

Andererseits musste das ja nicht heißen, dass der göttliche Garrity nicht vielleicht doch überraschend hier vorbeikam. Signe seufzte.

C.C. trank ihr restliches Bier mit einem Schluck aus und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu. „Mir ist heiß.“

„Erinnert ihr euch noch an letzte Weihnachten? Da waren es fast zwanzig Grad“, sagte Diane.

„Alles wegen der globalen Erwärmung“, bemerkte Mara. „Die uns aber immerhin nach der Zeremonie ein Nacktbad im See erlaubt. Der Treibhauseffekt hat also durchaus auch sein Gutes.“

Die Zeremonie. Signe blickte zu dem großen schwarzen Kessel in der Mitte des magischen Kreises. Dann griff sie in die hintere Tasche ihrer abgeschnittenen Jeans und holte das rote Taschentuch nebst dem Zauberspruch hervor, den sie sich ausgedacht hatte.

„Er ist nicht besonders toll geworden“, flüsterte sie Diane zu.

„Bei dem Chaos, das derzeit in deinem Leben herrscht, war das wohl auch nicht zu erwarten“, sagte Diane.

Wie wahr! Signe ging hinter den anderen her, die in der Schlange aufrückten. Mara war die Erste, die den als Pforte fungierenden Besen beiseite nehmen und in den Kreis treten durfte. Bei dem Kessel angekommen, hielt sie einen Slip ihres Exfreundes in die Höhe und verlas den Zauberspruch, den sie auf Dean gedichtet hatte, weil er nicht aufhören wollte, sie anzurufen:

„Verzeih mir, Dean, was ich hier tu,

doch lässt du mir ja keine Ruh.

Auf dass der Zauber dich befrei

von deinem Glauben an uns zwei …“

„Mach dich bereit, Sig“, flüsterte C.C. „Du bist die Nächste.“

Signe nickte und sah sich um. Um Minneapolis herum, wo sie aufgewachsen war, gab es jede Menge Naturschutzparks, die sie allerdings kaum genutzt hatte. Sie war durch und durch ein Stadtmensch, und bei Wäldern dachte sie sofort an Insekten, Wildkatzen und Bären, eben an alles, was ihr gefährlich werden konnte.

Glücklicherweise zeigte das Kräuterbier eine entspannende Wirkung, und mit jedem Schluck fühlte sie sich wohler – Wildkatzen und Bären hin oder her. Auf einmal fand sie sogar die einfachen Blockhütten schön, von denen sie eine ganz für sich haben würde, da die Frau aus New Jersey abgesagt hatte, die eigentlich eine Hütte mit ihr teilen sollte.

Unter normalen Umständen hätte sie sicher Angst gehabt, allein in einer Holzhütte zu schlafen, aber hier gab es weit und breit keine Männer, und die Hexen sahen bei näherer Betrachtung auch eher aus wie Mütter von Fußball spielenden Jungen, die diese Veranstaltung nutzten, um endlich mal ein Wochenende weit weg von Mann und Kindern zu verbringen.

„Los geht’s, Sig“, flüsterte Diane und stupste sie mit dem Ellbogen an.

Signe machte alles genauso, wie sie es bei Mara gesehen hatte. Als sie vor dem Kessel stand, schlug ihr eine heiße Wolke entgegen. Sie lugte vorsichtig hinein. Darin blubberte eine dickflüssige Masse vor sich hin, in der unter anderem ein Handy, eine teure Krawatte von Brooks Brothers und ein Absaugeschlauch von einem Zahnarzt trieben. Letzterer stammte von einer Frau, die mit dem dazugehörigen Dentisten liiert gewesen war und ihn heute Abend mit einem Zauber belegte. In ihrem Sprüchlein waren recht holprige Reime vorgekommen, wie etwa „Karies“ auf „vieles“ oder „Zahnstein“ auf „lass mich allein“, aber das Ende war durchaus pfiffig gewesen, als sie ihm wünschte: „Ich füll’ nicht länger die Lücke, drum such dir ’ne andre Brücke.“

Eine temperamentvolle Rothaarige hatte in ihrem Übereifer sogar die Schlüssel zum Lexus ihres Ehemannes in den Kessel geschmissen, bevor ihr einfiel, dass sie sich ja seinen Wagen übers Wochenende geborgt hatte. Eine andere Frau hatte die letzte Locke ihres Freundes hineingeworfen, in der Hoffnung, dem frühzeitig Kahlköpfigen erneuten Haarwuchs herbeizaubern zu können.

Signe schloss die Augen und stellte sich George Garrity vor. Sobald sie im Geiste sein Bild vor sich sah, waren die gestohlene Statue, Detective Perez und der verlorene Job vergessen. Was, wenn er tatsächlich heute Abend herkam?

Schließlich hatten sie sich vor der ganzen Aufregung über den Diebstahl noch darüber unterhalten, und er hatte angedeutet, er könnte eventuell „zufällig vorbeikommen“.

Sie öffnete die Augen wieder, räusperte sich und las:

Hört, ihr Geister, meine Bitte,

die mich treibt in eure Mitte,

ist eine Nacht voll Sinnlichkeit,

mit einem Mann, der mich erfreut.

Von ihm stammt dieses seid’ne Tuch,

das unterstütze meinen Spruch.

Macht, dass mich Garrity begehrt,

und falls uns Leidenschaft beschert,

so möge er zur Frau mich wählen.

Helft, Geister, mir – ihr könnt’s befehlen!

Als sie das Seidentaschentuch in den Kessel warf, hatte sie plötzlich ein ganz seltsames Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Ihr Atem stockte, während sie zusah, wie der letzte Zipfel des roten Stoffs in der Flüssigkeit unterging.

Wahrscheinlich war all das bloß Einbildung, nichts als Wunschdenken, dennoch standen ihr die Nackenhaare zu Berge, als sie aus dem Kreis schritt. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch, das anhielt, während Diane ihren Spruch aufsagte, in dem sie um geschäftlichen Erfolg für ihre Firma „Wacky Weekends“ bat, und C.C., die sich eine weitere Beförderung wünschte. Erst als die Frauen sich eine nach der anderen auszogen, um im See zu baden, schwand Signes Hochstimmung.

„Wäre es nicht irgendwie unheimlich, wenn diese Zaubersprüche tatsächlich wirken?“ fragte sie C.C., die sich ihr Sommerkleid abstreifte und es mit einem Stein beschwerte.

Mara entledigte sich gerade ihrer Shorts. „Unheimlich?“

Signe schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ja, ich weiß nicht“, sagte sie. „Da hinten, in dem Kreis, hatte ich so ein komisches Gefühl. Mir war, als würde dieser ganze Zauberspruchkram wirklich etwas bewirken.“

„Du meinst, dass du den göttlichen Garrity heiratest?“ fragte Diane.

„Oder bloß mit ihm schläfst?“ ergänzte C.C.

„Wollen wir’s hoffen“, sagte Mara. „So, und jetzt zieh dich aus.“

„Nein, ich schwimme nicht im See.“

Mara sah sie an. „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

Signe lachte. „Weil ich mit dem Wort ‚See‘ sofort Dinge wie ‚Felsen‘, ‚Fische‘ und ‚ekliger Schlammboden‘ verbinde, die ich sämtlichst nicht verlockend finde.“

„O nein, meine Süße, keine Ausrede“, verkündete C.C. „Wenn ich reingehe, kannst du es auch. Runter mit den Klamotten.“

„Okay, okay“, seufzte sie und stürzte ihren letzten Schluck Kräuterbier herunter, ehe sie sich ihre Shorts und ihren Slip auszog. „Und was, wenn uns jemand sieht?“

„Hier ist niemand“, beruhigte Diane sie.

C.C., die mittlerweile nur noch ihre Dessous trug, schnappte sich die leeren Krüge ihrer Freundinnen und verkündete: „Ich hole uns Nachschub, und dann nichts wie rein ins Wasser.“

Das Kräuterbier schmeckte wirklich gut, da musste Signe ihren Freundinnen Recht geben. Und an einem Abend wie diesem durfte sie ruhig mal ein bisschen über die Stränge schlagen. Sie waren unter sich, der See schimmerte verlockend im Mondlicht, und sollte George Garrity wider Erwarten aufkreuzen, hatte er sicher nichts dagegen, wenn sie ein klein wenig beschwipst war.

Sie spürte schon jetzt die entkrampfende Wirkung des Alkohols. „Ich nehm ein Doppeltes“, rief sie C.C. nach.

Auf einmal war sie es leid, von den anderen dauernd wegen ihres ausgeprägten Schamgefühls geneckt zu werden. Kühn hielt sie das letzte Stück Seidendessous in die Höhe und ließ es im Wind flattern, bevor sie es fallen ließ und Richtung See rannte. Sie hatte ihren drei Freundinnen den Rücken zugekehrt, als C.C. mit den Getränken zurückkam, und bekam nichts davon mit, dass die anderen planten, ihre Sachen zu verstecken.

2. KAPITEL

„Hexen“, murmelte James abfällig. Die halbe Nacht hatten sie ihn wach gehalten. Der Wildhüter zog sich die Decke über die bloßen Schultern. Jeden Monat bei Vollmond kamen sie her und veranstalteten ihre albernen Treffen.

Mindestens die Hälfte der Frauen waren überzeugte Männerhasserinnen, die irgendwelche armen Kerle verfluchten, mit denen sie bis vor kurzem noch zusammen gewesen waren. Die anderen versuchten auf Krampf, nichts ahnende Typen vor den Altar zu zaubern, jenen Ort, an den James keine zehn Pferde bekommen könnten.

Diesen Monat kamen sie auch noch ausgerechnet an dem Tag an, an dem James seine Urkunde als geprüfter Wildkatzenfänger bekommen hatte, die er eigentlich feiern wollte – allein mit Mutter Natur.

Aber daraus wurde wohl nichts, ebenso wenig wie aus der Arbeit an seinem Kriminalroman, denn dafür machten die Frauen da draußen entschieden zu viel Lärm.

Wenigstens hatte er den Wildkatzenfangtest bestanden. Die Katzen waren in letzter Zeit zu einem echten Problem im Park geworden, und wer nicht genau wusste, wie er mit ihnen umzugehen hatte, konnte beim Versuch sie einzufangen aufs Übelste verletzt werden. Einem Wildhüter hatten sie schon beinahe ein Auge ausgekratzt, und ein anderer hatte sich mit Katzenfieber infiziert, was James früher nie für eine echte Krankheit gehalten hatte. Wie er neuerdings wusste, wurde es von Bakterien verursacht, die ausschließlich durch Katzen übertragen wurden. Es gab also einige Gründe, sich vor den Tieren in Acht zu nehmen, es sei denn, man wusste sehr genau, was man tat.

Erst heute Morgen hatte James eine Katze mit ihren sechs Jungen gefunden, eingefangen und hinunter zur Tierstation gebracht, wo man sich bemühte, sie an Familien weiterzuvermitteln. Und seit ein paar Wochen kümmerte er sich um zwei verwundete Katzen, die in den Wäldern in Prügeleien geraten sein mussten. Beide sahen eindeutig wie verwilderte Hauskatzen aus.

James packte jedes Mal die Wut, wenn er daran dachte, dass Leute ihre Katzen hier herauf in die Berge fuhren, um sie im Naturschutzgebiet auszusetzen. Ihm taten die armen Streuner Leid, die in der Wildnis kaum überleben konnten.

Ein Hieb in die Magengegend verriet ihm, dass der rote Tiger beschlossen hatte, mit in James’ Bett zu schlafen. Am Gewicht erkannte er, dass es sich nicht um die kleine schwarze Katze handeln konnte. „Gnade“, murmelte er vor sich hin, auch wenn ihm klar war, dass er heute Nacht ohne Schlaf würde auskommen müssen.

Das Rufen und Kichern der Hexen klang nach wie vor recht lebhaft. Entsprechend durfte er morgen bestimmt reichlich aufräumen. Die Gegenstände, die die Frauen mitbrachten, um ihre nichts ahnenden Opfer zu verfluchen, konnten einem angst und bange werden lassen. James hatte schon Armbanduhren gefunden, Geldklammern, Fernbedienungen und einmal sogar ein Schweizer Taschenmesser, was er als besonderen Tiefschlag empfand, da er sich daran erinnerte, wie er an seinem eigenen gehangen hatte. Aber diesen Frauen war wohl nichts heilig.

Jeden Monat, wenn er den Park hinter ihnen aufräumte, dankte er dem Schicksal dafür, dass er nicht verheiratet war und nie sein würde.

Natürlich war er Frauen nicht grundsätzlich abgeneigt. Gegen Sex mit ihnen hatte er nicht das Geringste einzuwenden. Selbst ein paar von den verrückten Weibern, die hier ihre Hexentänze veranstalteten, konnten ziemlich charmant wirken – vor allem sobald sie von ihrem Kräuterbier beschwipst waren und nackt in den See hüpften.

See? Wasser? War da nicht eben ein tropfendes Geräusch gewesen. Stöhnend vergrub er das Gesicht im Kissen. Kein Zweifel, da war es wieder, ein Tröpfeln. Vielleicht hockte mal wieder eine der Katzen im Küchenwaschbecken. Dauernd versuchten sie, aus dem Wasserhahn zu trinken. James drehte sich um und öffnete die Augen.

Draußen war Vollmond, aber da die Vorhänge zugezogen waren und die Läden geschlossen, herrschte hier drinnen vollkommene Dunkelheit.

„Ist da jemand?“ flüsterte er verschlafen.

Auf einmal stoppte das Geräusch, und für eine Weile war es absolut still. In der Ferne schrie eine Eule. Dann hickste jemand.

„Wer ist da?“ fragte James. Er hatte nicht gehört, dass die Tür zur Hütte geöffnet worden war. Hatte sich eine der Hexen verlaufen? Er schmunzelte. Möglicherweise sollte er heute Nacht Glück haben, und die Blonde, die vorhin vorbeigekommen war, um sich nach dem Weg zu erkundigen, war zurückgekehrt.

„Hallo, du Göttlicher.“

Ja, das war zweifellos die Blonde. Er lauschte, während sich die Namenlose dem Bett näherte. Als sie sich auf die Matratze setzte, spürte er, dass sie nackt war, auch wenn er nicht sagen konnte, woran er es erkannte. Sie klang eben nackt.

„Hast du dich verlaufen?“ fragte er leise.

Keine Antwort. Etwas Metallenes fiel auf den Holzfußboden. Hatte sie einen Ring abgenommen? Wenn ja, war sie ganz gewiss nicht hier, um nett mit ihm zu plaudern. Gut so.

„Da du schon mal auf bist, warum machst du nicht das Licht an? Es ist direkt neben der Tür“, schlug er vor.

Schweigen. Für einen Moment dachte er, sie wäre wieder verschwunden, doch dann hörte er sie kichern. Sie kicherte wie ein Schulmädchen, und er musste unweigerlich schmunzeln. Nein, er brauchte wohl keinen Polizisten mit Tütchen zu bemühen, um festzustellen, dass sie reichlich von dem Kräuterbier getrunken hatte.

„Ich mag die Dunkelheit“, flüsterte sie.

„Meinetwegen“, sagte er. Das musste eindeutig die Blonde sein. Wer sonst käme nackt und beschwipst in seine Hütte?

„Und hier drinnen ist es sehr, sehr dunkel“, bemerkte sie.

„Wie viel hast du getrunken?“

„Warum?“

„Weil ich, so verführerisch ich dich auch finde, nicht möchte, dass du irgendwas machst, was du im nüchternen Zustand nicht tun würdest.“

Sie hickste. „Sieh an, ein echter Gentleman.“

„Nein, eigentlich nicht, ich lege bloß Wert darauf, dass im Bett beide nur das tun, was sie wirklich wollen.“

„Und ob ich das hier will, mein Göttlicher“, verkündete sie feierlich.

Damit wäre das geklärt, und er durfte guten Gewissens genießen, was jetzt kam. Er versuchte, sich genauer zu erinnern, wie die Blonde ausgesehen hatte. Sie fuhr einen Mustang, so viel wusste er noch, und ihr Parfüm hatte eine Muskatnote gehabt, die er auch jetzt wahrzunehmen meinte. Ihr kurzes Haar hatte die Farbe von frisch geerntetem Weizen gehabt, und gegen das Sonnenlicht war ihr dünnes Kleid fast durchsichtig gewesen, so dass er die Umrisse ihrer Brüste und ihrer schmalen Taille erkannt hatte.

Monat für Monat kamen diese Frauen her, verfluchten oder beschworen ihre Liebhaber und Ehemänner und tranken wie die Seeleute. Am nächsten Morgen dann schlichen sie sich verkatert und mucksmäuschenstill wieder davon und hinterließen ein halbes Fundbüro im Wald. Dies war jedoch das erste Mal, dass eine von ihnen zu ihm kam. Und er hatte nichts dagegen.

Wenn er von dem Besuch gewusst hätte, wäre das Bett natürlich frisch bezogen, doch das ließ sich nun nicht mehr ändern. Er schlug die Decke zurück, unter der er nackt war, und sagte: „Abrakadabra, herein mit dir.“

Wieder kicherte sie. In der Dunkelheit konnte er nicht einmal ihre Umrisse ausmachen, dafür fühlte er, wie sie sich zu ihm beugte. „Hokuspokus“, flüsterte sie und stützte eine Hand auf. Dabei fiel ein Wassertropfen auf James’ Gesicht.

„Du bist eine nasse Hexe“, stellte er fest.

In dem Moment schien sie das Gleichgewicht zu verlieren. Mit einem überraschten Aufschrei landete sie bäuchlings auf ihm. Hätte er nicht instinktiv den Arm ausgestreckt und um ihre Taille gelegt, wäre sie wahrscheinlich über ihn rüber und auf der anderen Seite zu Boden gepurzelt.

„Tut mir Leid“, flüsterte sie. „Ich bin kalt und nass.“

„Dann müssen wir dich eben aufwärmen.“

Er fasste nicht, dass sie tatsächlich auf ihm lag, ihren Busen an seine Brust geschmiegt. James hatte keine Ahnung, womit er dieses unerwartete Geschenk verdient hatte, aber im Stillen dankte er der mysteriösen Vorsehung, der die Frauen hier im Wald scheinbar vertrauten.

„Ich war schwimmen, mein Göttlicher“, erklärte sie. „Nackt.“

„Wie schade, dass ich es verpasst habe.“

Wieder kicherte sie. „Dann findest du es nicht schlimm?“

„Was, dass du schwimmen warst?“

„Nein, dass ich nackt im Park war.“

Dachte sie allen Ernstes, er würde sich als autoritärer Ranger aufspielen und sie verhaften? „Ganz und gar nicht“, versicherte er ihr.

Sie bewegte sich auf ihm, und für einen Moment stutzte er. Vorhin, als sie vor ihm gestanden hatte, war sie ihm eher groß vorgekommen, aber jetzt wirkte sie zierlich, höchstens einsfünfundsechzig. Vielleicht hatte ihn das Sommerkleid getäuscht, das ihr fast bis zu den Knöcheln reichte. Eventuell hatte sie darunter ja auch hochhackige Sandalen getragen, die ihm nicht aufgefallen waren.

Im Augenblick konnte er darüber allerdings nicht weiter nachdenken, denn nun hauchte sie ihm einen Kuss aufs Ohr, dass er erschauderte. Er streichelte ihren noch leicht feuchten Rücken.

„Du trägst gar kein Höschen“, stellte er fest.

„Du doch auch nicht“, konterte sie lachend.

Nein, tat er nicht. Er fasste ihr noch nasses Haar, aus dem kleine Tropfen auf seine Haut fielen. Dann spürte er ihre Lippen auf seinem Mund, und er wusste, dass er kurz davor war, endgültig die Kontrolle zu verlieren.

„Ich bin gar keine richtige Hexe“, gestand sie atemlos.

„Nicht?“ fragte er mit gespielter Verwunderung, bevor er sie wieder ganz nah an sich zog und sie küsste. Sie erwiderte seinen Kuss, und er stöhnte unwillkürlich auf. Ihm war, als würde in ihm etwas freigesetzt, was unentdeckt dort geschlummert und nur auf das Erscheinen dieser kleinen Hexe gewartet hatte.

Er konnte immer noch nicht recht glauben, dass all das wirklich passierte. Sie kannten einander nicht, konnten sich nicht einmal sehen, und doch war die Atmosphäre geradezu elektrisch aufgeladen.

Sein Herz hämmerte ihm in der Brust, und unwillkürlich musste er an eine Ballade denken, in deren Refrain es hieß: „One love, one heart.“ Es war beinahe seltsam, wie perfekt ihre beiden Körper zusammenpassten. Sie schienen dazu geschaffen, eins zu werden.

„Bist du sicher, dass ich das hier nicht träume?“ flüsterte er.

„Nein“, hauchte sie, und sogleich hielt er inne. „Ich meine, ja, doch“, sagte sie kichernd.

„Du weißt genau, dass du echt bist?“ Langsam hegte er da gewisse Zweifel. Bei keiner echten Frau hatte er sich jemals so gefühlt wie jetzt. Und selbst wenn die Blonde heute Nachmittag sehr attraktiv gewesen war, war er doch nicht auf diese Wirkung vorbereitet gewesen.

„Ich bin echt“, sagte sie leise.

„Und wer bist du?“

„Du weißt, wer ich bin.“

Ja, das wusste er. Sie war die Unbekannte, die ihn nach dem Weg gefragt hatte. Doch er wollte mehr von ihr wissen. Wie hieß sie? Wo wohnte sie? Würde sie noch da sein, wenn er morgen früh aufwachte?

Ehe er auch nur eine der Fragen laut stellen konnte, streichelte sie ihn so, dass er fast aufschrie vor Erregung. Hatte sie etwas gesagt? Er war nicht sicher, und ihre Zärtlichkeiten hatten zur Folge, dass sein Verstand sich vollständig verabschiedete.

„Ich bin froh, dass du hier bist“, flüsterte er mit rauer Stimme.

„Ich habe dich mit einem Zauber belegt, mein Göttlicher“, gestand sie.

„Du findest mich göttlich?“

„Natürlich“, antwortete sie.

„Und du hast mich verzaubert?“

„Ja, und deshalb bist du in meinem Bett.“

Sie war in seinem Bett, aber er würde gewiss nicht kleinlich gegenüber einer Frau werden, die ihn als „göttlich“ bezeichnete. Soweit er wusste, hatte ihn noch keine der „Hexen“ mit einem Zauber belegt. „Hast du mich dazu verzaubert, mit dir zu schlafen?“

„Genau“, murmelte sie und knabberte sanft an seinen Lippen. Sie vergrub die Finger in seinem Brusthaar, während er seine Hände über ihre Hüften und ihre Schenkel hinabgleiten ließ.

„Was immer du in den Kessel geworfen hast, es scheint jedenfalls zu wirken.“ Er streichelte jetzt ihre Oberschenkel, und Signe seufzte genussvoll auf. Er schien genau zu wissen, was ihr gefiel, denn seine Liebkosungen wurden immer wagemutiger.

Seine Lippen schlossen sich um ihre Brustspitze, und als er sanft daran saugte, bog sie sich ihm instinktiv entgegen. Sie umklammerte seine Schultern und stöhnte. So schön hatte sie sich den Sex mit ihrem Traummann nicht vorgestellt.

James spürte, dass es mit seiner Selbstbeherrschung bald vorbei sein würde. Diese Frau trieb ihn in den Wahnsinn. Er streckte einen Arm aus und öffnete die Schublade des Nachttisches.

Für einen Moment erstarrte er, als sie ihre Fingernägel in seine Haut krallte. Keine Frage, von dieser Wildkatze würde er sich gern zerkratzen lassen.

„Was machst du da?“ fragte sie.

„Ich hole ein Kondom.“

„Sehr rücksichtsvoll.“

„Das ist doch selbstverständlich“, sagte er. Sobald er den Schutz angelegt hatte, fasste er ihre Taille. „Setz dich auf mich“, bat er sie.

„Wie auf einen Besenstiel?“ fragte sie leise lachend.

Auch er lachte. „Genau, kleine Hexe.“

Sie hockte sich rittlings auf ihn, beugte den Oberkörper vor und malte die Konturen seiner Lippen mit der Zungenspitze nach. „Hört, ihr Geister, meine Bitte, die mich treibt in eure Mitte, ist eine Nacht von Sinnlichkeit, mit dem Mann, der mich erfreut“, flüsterte sie leise.

Wahrscheinlich war das ihr Zauberspruch. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“

„Die ganze Nacht?“ fragte sie.

„Ich verspreche dir, dass du bis zum Morgengrauen nichts als Sinnlichkeit erlebst“, versicherte er ihr. „Vorher hätte ich nur eine Frage.“

„Welche?“

„Na ja, ein Mann und eine Frau können eine Menge nette Sachen miteinander anstellen“, erklärte er. „Also, womit möchtest du anfangen?“

„Heißt das, wir werden nach und nach alles ausprobieren?“ Ihre Stimme klang ein wenig tiefer. Scheinbar erregte sie allein schon die Vorstellung dessen, was sie alles tun könnten.

„Ja.“

„Nun, dann überlasse ich dir die Wahl, was wir zuerst machen.“

„Okay, ich würde gern dabei bleiben, dass du oben bist. Und anschließend …“ Er sprach nicht zu Ende, sondern küsste sie stattdessen – erst auf die Lippen, dann den Hals und immer weiter.

Sie presste die Knie an seine Hüften. „Anschließend was?“ fragte sie, während sie sich ganz langsam hinabließ, so dass er ein kleines Stück in sie eindrang.

„Alles, was du willst“, versprach er ihr stöhnend, während in seiner Fantasie Bilder auftauchten, auf denen er jeden Millimeter ihrer seidigen Haut küsste und ihr mit der Zunge zu höchsten Sinnengenüssen verhalf.

Vielleicht würden sie sogar irgendwann in der Nacht nach draußen wechseln, wo sie sich unter freiem Himmel liebten, bis sie wie die Wölfe den Mond anheulten.

Immerhin war heute Halloween.

Sein Atem drohte auszusetzen, während er mit jeder ihrer Bewegungen tiefer in sie eindrang. Benommen vor Lust und voller Ungeduld, immer noch größere Wonnen zu erleben, fasste er sie und rollte sie zur Seite, so dass er schließlich über ihr lag.

„Halt mich fest, kleine Hexe“, sagte er und versank ganz und gar in ihr. „Der Mann, den du verzaubert hast, wird dir zeigen, wie viel Magie die Nacht bietet.“

Was war geschehen?

Signe tastete ihren Bauch ab, als rechnete sie damit, über Nacht einzelne Körperteile eingebüßt zu haben. Außer ihrer Schädeldecke schien aber noch alles da zu sein. Dieses Kräuterbier war wirklich grausam, da hatte C.C. nicht übertrieben. Diane wohl ebenso wenig, als sie behauptete, es bestünde aus purem Äthylalkohol. Signe fühlte sich wie jemand, der soeben von einem LKW überrollt worden war. Was ihr im Moment nicht einmal unlieb wäre.

Für wenige Stunden hatte sie die gestohlene Statue und Detective Perez erfolgreich verdrängt, nur damit die Erinnerung jetzt mit voller Wucht zurückkehrte und ihren Kater derart verschlimmerte, dass sie leise aufstöhnte.

Sie versuchte, die Augen zu öffnen, gab es allerdings gleich wieder auf, weil es sich als entschieden zu schmerzhaft erwies. Den heutigen Tag würde sie wohl ausschließlich damit verbringen, ihre Augenlider mit eisgekühlten Gurkenscheiben zu beschweren.

Nun fiel ihr auch wieder ein, warum sie normalerweise nicht trank. Gestern Abend hatte das Kräuterbier noch super geschmeckt, doch alles, was von ihm übrig blieb, war das Gefühl, einen Mühlstein an der Stelle zu haben, wo ehedem ihr Kopf gewesen war. Folglich musste es sich bei dem Gehämmer hinter ihren Schläfen wohl um Phantomschmerzen handeln.

Genau genommen tat ihr alles weh. Von ihrem Erinnerungsvermögen schien ihr nur ein großes weißes Loch geblieben zu sein. Sehen tat weh. Atmen tat weh. Ihre Haut tat weh. Einfach alles.

Mit Ausnahme ihres Traums. Würden ihre Lippen nicht ebenfalls wehtun, wäre ihr zum Lächeln zu Mute. Sie hatte nämlich tatsächlich geträumt, der göttliche Garrity wäre da gewesen und hätte in ihrem Bett auf sie gewartet. Und sie hatten Sex gehabt, atemberaubenden Sex, keine Rein-raus-Wegschnarch-Nummer. Es war pure Leidenschaft gewesen, die die ganze Nacht angedauert hatte.

Ihr Traum wirkte bis jetzt erstaunlich real. Zu erstaunlich real, dachte sie und runzelte die Stirn, was sie sogleich bereute, denn auch das tat weh.

Wurde sie etwa langsam verrückt, oder hatte der göttliche Garrity sie allen Ernstes beim Wort genommen und war ihr in die Catskills nachgereist?

Ihre Erinnerung an seine Berührung war täuschend klar, ebenso wie die an seine Küsse und an seinen Duft. Sie wusste noch genau, wie es sich angefühlt hatte, als er seine Brust an ihrem Busen rieb. Er hatte es verstanden, sie so zu erregen, dass sie einen Höhepunkt nach dem anderen erlebte, aber wie war das im Traum möglich?

„Wow!“ flüsterte sie schläfrig, als sie daran dachte, was er in ihrer Fantasie alles mit ihr angestellt hatte. Eine solche Ekstase hatte sie überhaupt noch nie erlebt. Allein das bewies dann wohl, dass es sich auf jeden Fall um einen Traum gehandelt haben musste, denn in Wirklichkeit konnte Sex gar nicht so gut sein.

Nein, Signe Sargent mochte nicht die erfahrenste aller Frauen sein, doch ihre wenigen intimen Begegnungen mit dem anderen Geschlecht hatten sie gelehrt, dass Männer auch nur Menschen sind und ihren Fähigkeiten im Bett entsprechend klare Grenzen gesetzt sind.

Letzte Nacht jedoch …

Konnte der Zauber schuld daran sein? Sie hatten so wilde und verwegene Dinge getan, dass ihr allein bei dem Gedanken heiß wurde. Beinahe glaubte sie, seine Stimme wieder zu hören, die flüsterte: „Der Mann, den du verzaubert hast, wird dir zeigen, wie viel Magie die Nacht bietet.“ Und damit hatte er nicht zu viel versprochen!

Vielleicht war an diesem Hexenquatsch ja doch etwas dran. Sollte der Sex damit in echt auch so gut werden wie in ihrer Fantasie, würde sie jedenfalls sofort zur überzeugten Anhängerin werden.

Was war das für ein Geruch? Katzen?

Signe blinzelte vorsichtig. Sie erkannte zwar nicht allzu viel, aber immerhin genug, um sicher zu sein, dass das hier nicht ihre Hütte war. Vor Schreck war sie wie gelähmt. Wo war sie? Allem Anschein nach handelte es sich nicht um eine Wochenendhütte. Diese hier wurde von irgendjemandem permanent bewohnt.

Und bei der fraglichen Person handelte es sich nicht um einen Ordnungsfanatiker, so viel konnte sie auf den ersten Blick sehen. Der Kleiderschrank an der einen Wand stand offen und gab den Blick auf Männerbekleidung frei, allerdings nicht die Sorte, die Signe beruhigend gefunden hätte – sprich: Anzüge von Brooks Brothers und passende Krawatten von Hermès. Nein, in diesem Schrank hingen jede Menge karierte Flanellhemden.

Auf dem Boden lagen schmutzige Jeans, und neben der Tür lehnten Paddel an der Wand. Ein Stück weiter rechts davon standen schlammverkrustete Arbeitsstiefel. Unweit des Bettes befand sich ein Sofa, auf dessen einer Lehne der Bewohner eine offene Getränkedose abgestellt hatte. Nein, das alles sah ganz und gar nicht gut aus.

War sie tatsächlich in die falsche Hütte gestapft und hatte mit einem Wildfremden geschlafen, den sie für George Garrity hielt? Wie konnte das überhaupt passieren, wo ihre Freundinnen doch gesagt hatten, es gäbe in diesem Wald keinen einzigen Mann?

Ihr Blick wanderte zu dem Nachtschränkchen, auf dem eine Urkunde lag. Zertifikat zum Wildkatzenfang. Na ja, jetzt durfte der Kerl sich eben brüsten, sich auch auf den Fang von wild gewordenen New Yorkerinnen zu verstehen.

Sie hatte einen entsetzlich ausgetrockneten Mund. Irgendwo in diesem Chaos musste es doch etwas zu trinken geben. Vorsichtig sah sie sich um. Da stand ein Schreibtisch mit hohen Bücherstapeln und jeder Menge Papier darauf. Und dann waren da zwei Katzen. Aha, daher der Geruch.

Es waren nicht mal gewöhnliche Katzen, sondern offenbar kranke Katzen. Die eine, sie war rötlich getigert, hatte den Kopf und beide Vorderpfoten verbunden, der anderen, einer kleinen schwarzen, fehlte ein Bein. Signe ermahnte sich im Stillen, ja ruhig zu bleiben, und hielt sich den schmerzenden Schädel, während sie sich langsam umdrehte. Dabei fühlte sie unter ihrer Hand etwas, das nicht zu ihrem Kopf gehörte.

Ein Blatt? Na großartig. Bei genauerem Tasten fand sie auch noch ein paar kleine Zweigstückchen und Samenkapseln. Sie sah an sich herunter und entdeckte dunkle Schlammstreifen auf ihren nackten Beinen. Ach ja, das Bad im See.

Allmählich erinnerte sie sich wieder, wie sie in den See gerannt war …

Ein Schnarchen! Kein leises, helles Schnarchen, wie es etwa C.C. oder Diane von sich geben würden, wenn sie zu viel getrunken hatten, und das ihr die Gewissheit gäbe, mit ihren Freundinnen zusammen in einer Hütte gelandet zu sein.

Nein, hier hatte sie es eindeutig mit einem männlichen Schnarchen zu tun, dessen Verursacher mindestens einsneunzig groß und muskulös sein musste – genau der Typ Mann, mit dem sie im Traum geschlafen hatte.

Behutsam wandte sie den Kopf und sah über ihre Schulter. Sofort begann neben ihrem Kopf auch noch ihr Herz wie verrückt zu hämmern. Wer war das? Er hatte die Decke bloß bis zu den Schenkeln hochgezogen, und der Anblick ließ sie unwillkürlich an die Statue denken, von der Detective Perez meinte, sie hätte sie gestohlen. Kein Wunder, der Sex hatte sich so fantastisch angefühlt!

Seine Haut war glatt und sonnengebräunt. Er sah göttlich aus, aber er war eben nicht der göttliche Garrity. Was bedeutete, dass sie so schnell wie möglich hier weg musste. Am besten verschwand sie, solange er noch schlief. Gleich jetzt. Bald. Sowie sie aufhören konnte, ihn anzusehen.

Er hatte wunderschönes Haar, dicht und mittelblond, wenn auch einen Tick zu lang für ihren Geschmack. Durch einen Vorhangspalt fielen Sonnenstrahlen herein, die seinen Locken einen goldenen Schimmer verliehen. Für einen Augenblick war Signe wie verzaubert von dem Bild.

Sie blinzelte und sah sich nach ihren Kleidern um. Nein, die hatte sie ja am See ausgezogen und war nackt hierher zurückgekommen. Da hatte sie noch geglaubt, sie wäre in ihrer Hütte. Und er musste geglaubt haben, sie wäre eine andere …

Ja, denn seinen Worten nach zu urteilen, hatte er sie erwartet. Was für ein wunderbarer Schlamassel! Eigentlich waren Verwicklungen wie diese eher C.C.’s Spezialität. Signe war etwas Derartiges noch nie passiert. Also, was würde C.C. tun? Die Antwort war sonnenklar: Wegrennen. Vertrau deinem Instinkt, Sig.

Lautlos setzte sie sich auf und zuckte zusammen, als die Dielen unter ihren bloßen Füßen knarrten. Sie drehte sich um. Der Fremde rührte sich nicht. Gut. Sie stand auf und überlegte, was sie sich nehmen könnte, um ihre Blöße zu bedecken. Wie weit mochte es bis zu ihrer Hütte sein?

Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und hatte es bis zur Mitte des Raums geschafft, als sie eine Stimme hörte. „Du gehst?“

Sie erstarrte, die Hände zu Fäusten geballt. Sie fühlte sich entsetzlich, weil sie splitternackt dastand, doch sich zu ihm umzudrehen war noch schlimmer.

„Du kannst dir eins meiner Hemden leihen, wenn du willst.“

Sie blickte zum Schrank. Das Angebot war verlockend, doch wenn sie sich ein Hemd lieh, musste sie es auch wieder zurückbringen. „Ähm, nein danke, ich komme schon klar.“ Ihre Stimme hörte sich beschämend zittrig an.

„Sicher?“

Wie konnte er so normal klingen? Hatte er denn schon vergessen, womit sie den größten Teil der Nacht zugebracht hatten? Sie wandte den Kopf und blickte über die Schulter zu ihm, was sie allerdings sogleich bereute. Der Mann sah so unverschämt gut aus, dass sie sich prompt ganz umdrehte.

Einen Augenblick lang starrte sie ihn wortlos an. Dann wurde ihr klar, dass er sie von oben bis unten musterte. Erschrocken verschränkte sie die Arme vor der Brust und überkreuzte die Beine, soweit das im Stehen überhaupt möglich war.

Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht, als fände er es auch noch witzig, dass sie schrecklich verlegen war. Er hingegen strahlte eine Sicherheit und Stärke aus, die sie um ein Haar dazu gebracht hätte, gleich wieder zu ihm ins Bett zu kriechen.

Dann jedoch dachte sie wieder an die Flanellhemden, die Arbeitsstiefel und die beiden Katzen. Der Mann mochte ein fantastischer Liebhaber sein, aber er war ganz gewiss nicht der Typ, mit dem sich eine vernünftige New Yorkerin wie Signe eine Zukunft ausmalen konnte.

Außerdem hatte sie momentan schon so genug Ärger. Sie war arbeitslos und die Hauptverdächtige in einem Fall von Kunstdiebstahl, da brauchte sie wahrlich keine zusätzlichen Komplikationen in ihrem Leben.

„Ich dachte, du wärst …“

Eine andere. Die Worte hingen in der Luft, auch wenn er sie nicht aussprach, und obwohl sie schrecklich verlegen war, schaffte Signe es, ein halbwegs glaubwürdiges Lächeln zu Stande zu bringen. „Nein.“

Er runzelte die Stirn. „Sind wir uns schon mal begegnet?“

Viel länger hielt sie es nicht mehr aus, nackt vor ihm zu stehen. „Nein“, sagte sie wieder.

Er setzte sich auf, deckte sich glücklicherweise bis zur Hüfte zu und lehnte sich gegen das Kissen, als machte er sich für ein längeres Gespräch bereit. Da musste sie ihn jedoch enttäuschen.

Trotzdem konnte sie sich eine letzte Frage nicht verkneifen. „Und wer bist du?“

„Der Name ist James“, sagte er, und für den Bruchteil einer Sekunde erwartete sie schon, als Nächstes zu hören: „Bond, James Bond“, doch stattdessen folgte: „Der Wildhüter.“

„Der Wildhüter“, wiederholte sie matt. Natürlich. Wie kam sie auch auf die idiotische Idee, den göttlichen Garrity herbeizaubern zu können? „Verstehe.“

Er sah sie fragend und ein wenig gekränkt an. „An wen hattest du denn gedacht?“

„An den göttlichen …“, begann sie, brach aber gleich wieder ab.

Er lächelte, und sein Lächeln stellte wahrlich atemberaubende Dinge mit seinem ohnehin schon atemberaubenden Gesicht an. „Danke.“

„Nein“, sagte sie rasch, weil er sie scheinbar missverstand. „Nein, ich meinte …“, fing sie an, brach jedoch ein weiteres Mal ab, weil ihr einfiel, dass es vielleicht nicht besonders klug war, ihm zu erklären, sie hätte ihn mit dem göttlichen Garrity verwechselt. Von dem nämlich dürfte ein einfacher Wildhüter aus den Catskills noch nie gehört haben. „Egal. Jedenfalls muss ich jetzt gehen.“

„Hm. Und du willst mir nicht mal deinen Namen verraten, Cinderella?“

Nach der letzten Nacht dachte er wahrscheinlich, sie würden sich wiedersehen. Zugegeben, der Gedanke an noch mehr fantastischen Sex hatte seine Reize, aber …

„Ich lebe in Manhattan“, antwortete sie, als wäre damit alles erklärt.

„Da bin ich häufiger“, sagte er strahlend.

„Ähm, okay, Diane Parker-Powell“, log sie. „Ich stehe im Telefonbuch.“ Bestimmt würde Diane ihr vergeben und wenn er anrief – falls er anrief – sagen, sie kenne keine Brünette, die sich im Wald einen Schwips mit Kräuterbier angetrunken habe. Diese Lösung war vielleicht feige, aber sie konnte dem Mann unmöglich auf den Kopf zusagen, dass sie ihn unter keinen Umständen wiedersehen wollte.

„Diane Parker-Powell“, wiederholte er langsam. „Ich werde dich anrufen, Diane Parker-Powell.“

Er hörte sich richtig nett an, und sie fühlte sich elend dabei, ihn anzulügen. Zudem war er umwerfend im Bett. Aber sie hatte ihr Leben nun mal fest geplant: erst der Job im Museumsarchiv, vorausgesetzt die Geschichte mit der Statue klärte sich auf, und dann eine Heirat mit einem netten Akademiker, wie ihn sich ihre Eltern als Schwiegersohn wünschten.

Oder mit dem göttlichen Garrity.

Nur weil er letzte Nacht nicht gekommen war, musste das ja nicht heißen, dass ihr Zauber nicht funktionierte. Signe war langsam rückwärts gegangen und fühlte jetzt die Tür hinter sich.

„Um ehrlich zu sein, bin ich unsterblich in jemand anderen verliebt. Und ich bin gerade gefeuert worden, na ja, vorübergehend jedenfalls, weil ich die Hauptverdächtige in einem Kunstraub bin.“

„Verstehe“, sagte er trocken.

„Ich wusste, dass du es verstehst.“

Sie öffnete die Tür, trat heraus und schloss sie wieder hinter sich. Nun stand sie splitternackt auf der Holzveranda einer Hütte mitten im Wald. Sie hatte keine Ahnung, wo genau sie sein mochte. Von hier aus sah sie weder den See noch ihre Hütte noch die Straße. Nichts als Bäume.

Wieder hineinzugehen kam nicht infrage. Allzu weit konnte ihre Hütte ja nicht entfernt sein. Und es gab gewiss keine anderen Männer im Wald, oder? Nein, die Wahrscheinlichkeit, dass sie einem Trupp Bauarbeiter über den Weg lief, war ausgesprochen gering.

3. KAPITEL

„Ich glaub’s nicht“, raunte James, der durch den Vorhangspalt lugte und zwischen den Lamellen der Fensterläden ein gebrochenes Bild von der Außenwelt erkennen konnte.

Die letzte Nacht war also wirklich kein Traum gewesen. Die kleine Hexe war echt. Da trippelte sie barfuß zwischen den Bäumen hin und her, scheinbar unentschlossen, welche Richtung sie einschlagen sollte.

„Wirklich süß“, bemerkte er. „Und vollkommen verrückt.“

An ihrer Stelle hätte er das Angebot nicht abgelehnt, ein Hemd zu leihen. Zu ihrer Hütte war es schließlich noch ein ganz schöner Weg. Zwar war die Entfernung ohne weiteres zu Fuß zu bewältigen, doch splitternackt würde er die Strecke nicht zurücklegen wollen.

Er rieb sich die Augen. Sie sah aus wie eine kleine Waldnymphe. Irgendwie erinnerte sie ihn an eine Schauspielerin. Wie hieß sie noch gleich? Ach ja, Winona Ryder.

Aber das dort draußen war Diane Parker-Powell. James beschloss, dass der Name zu ihr passte. Er hatte Klasse. Sie war bestimmt gebildet, gab sich aber eher Mühe, es nicht zu offensichtlich zu machen. So wie sie letzte Nacht gekichert hatte, war er anfangs versucht gewesen, sie für ein wenig schlicht zu halten. Bald jedoch war ihm klar geworden, dass der oberflächliche Eindruck täuschte. Sicher hatte ihr mal jemand gesagt, Männer würden intelligente Frauen unattraktiv finden.

Er wettete zehn zu eins, dass sie Bibliothekarin war. Oder Wissenschaftlerin. Vielleicht arbeitete sie sogar im Verlagswesen. Auf jeden Fall hatte sie etwas mit Büchern zu tun und eine Collegeausbildung, ganz klar. Sie war wahrscheinlich ein Akademikerkind und ziemlich verwöhnt.

Moment mal. Was hatte sie gesagt? Sie hatte ihren Job verloren? Genau. Das Zuhören war ihm allerdings etwas schwer gefallen, solange er sie nackt vor sich sah und in einem fort daran denken musste, wie gern er sie wieder zu sich ins Bett holen würde.

Und woher wollte er wissen, ob sie ihn nicht belogen hatte? Sie sollte eine Verdächtige in einem Kunstraub sein? Warum? Nein, nein, Diane hatte offenbar eine lebhafte Fantasie, die dem Sex mit ihr durchaus zugute kam. Immerhin hatte sie sich auch eingebildet, ihn verzaubert zu haben.

Andererseits fühlte er sich tatsächlich ein bisschen wie verzaubert. Sobald die Tür hinter ihr zugegangen war, hatte er sie vermisst. Das war doch nicht normal! Er hatte einen stechenden Verlustschmerz empfunden, als würde er etwas Wichtiges verlieren … eine Seelenverwandte?

Nein, der Gedanke war absurd, vollkommen albern. Er hob die Tigerkatze hoch und kraulte sie vorsichtig um ihren Kopfverband herum. Wie lange sollte er warten, ehe er Diane anrief? Sollte er sie überhaupt anrufen?

Sie hatte ihm ihre Nummer nicht gegeben, sondern bloß gesagt, sie stünde im Telefonbuch. Und dann hatte sie ihm diese absurden Dinge erzählt, von ihrer Entlassung und dem Kunstdiebstahl.

Behutsam setzte er die Katze auf den Boden, stand auf und ging pfeifend zur Küche. Er griff nach einem Karton mit Katzentrockenfutter und rüttelte ihn einmal. Sofort kamen die Tigerkatze und die kleine schwarze Katze maunzend angerannt.

„Da, ihr zwei. Nun fresst schön“, sagte er, nachdem er beiden etwas von dem Futter in ihre Näpfe geschüttet hatte. Dann ging er zurück ins Zimmer, um sich ein frisches Hemd aus dem Kleiderschrank zu nehmen. Dabei erregte etwas Glänzendes neben dem Nachttisch seine Aufmerksamkeit.

Ein Ring? Er ging hin und betrachtete ihn genauer. Es war ein schlichter Silberring mit einem eingravierten Muster. Ein Ehering? Nein, ausgeschlossen. Sie konnte nicht verheiratet sein!

Auf einmal schien ihm seine Brust zu eng. Er hatte das Gefühl, er könnte jeden Mann umbringen, der es wagte, Diane Parker-Powell zu lieben. Was für ein Blödsinn! Sie bedeutete ihm nichts. Zugegeben, sie war großartig im Bett, aber es war ein One-Night-Stand gewesen. Und er war nicht zuletzt deshalb das schwarze Schaf der Familie, weil er sich konsequent weigerte, sich eine Ehefrau zu suchen oder auch nur eine feste Beziehung einzugehen. Überhaupt lehnte er all die Dinge ab, die zu einem perfekten Leben von jemandem seines Standes gehörten.

Und dennoch wollte er sie.

Wieder sah er auf den Ring. Es könnte ein Ehering sein. Sein Instinkt aber sagte ihm, dass Diane Parker-Powell sich einzig mit einem klassischen Goldring und einem diamantenen Verlobungsring zufrieden geben würde. Warum, wusste er selbst nicht.

Bisher kannte er sie ja nur nackt, mit Spuren von Seeschlamm an den Beinen und zerzausten Haaren, und dennoch sah er ihr an, dass sie sich in der Stadt wohler fühlte, in einem Kostüm – und mit einem Mann, der von neun bis fünf einem Bürojob nachging.

James hielt den Ring in der Hand und überlegte, was er tun sollte. Wenn der Ring ihr etwas wert war, würde sie zurückkommen und ihn sich holen. Oder sie rief ihn an und bat ihn, ihr den Ring nachzuschicken. Zur Hütte bringen wollte er ihn ihr nicht, denn das sähe so aus, als wäre er ihr gefolgt.

Nein, er würde ihr nicht nachgehen, nicht nachdem sie ihm solch absurde Dinge erzählt hatte. Des Kunstdiebstahls verdächtig? Was für ein ausgemachter Schwachsinn!

Er hatte schon früher One-Night-Stands gehabt und die Frauen hinterher problemlos wieder vergessen.

„Da kommt sie!“ rief Mara und zog ihr T-Shirt runter, während sie die Fliegenschutztür ihrer Hütte aufstieß.

C.C. rannte hinter Mara her. Sie hielt eine Bloody Mary in der einen Hand und mit der anderen den Seidengürtel ihres Morgenmantels. „Sie ist nackt!“

Diane, die noch mit dem Reißverschluss ihrer Jeans kämpfte, kam hinter den beiden hergehumpelt. „Bist du in Ordnung, Sig?“

„Ist dir was passiert?“ fragte Mara besorgt, die kreidebleich geworden war.

„Mir geht’s gut“, sagte Signe.

Das war gelogen. Sie war eine halbe Ewigkeit durch den Wald geirrt – na ja, ungefähr zwanzig Minuten lang. Mara legte den Arm um sie und zog sie eilig in die Hütte.

„Komm rein.“

Diane starrte sie an. „Wo warst du? Warst du die ganze Nacht weg?“

„Das ist eine lange Geschichte“, sagte Signe erschöpft.

„Aber dir ist nichts passiert?“ fragte Mara noch mal, nahm ein Sommerkleid aus C.C.’s Koffer und legte es Signe um die Schultern.

„Nein, wirklich nicht“, versicherte Signe, schlüpfte in die Ärmel und knöpfte das Kleid vorn zu.

Diane starrte sie immer noch an. „Du siehst aus, als hättest du draußen geschlafen. Bist du im Wald eingeschlafen? Hast du dich verlaufen?“

C.C. rang die Hände. „Ich fühle mich entsetzlich, weil ich deine Sachen versteckt habe.“

Signe liebte ihre Freundinnen, aber manchmal hasste sie es, wie die drei sie bemutterten – bloß weil sie zwei Jahre älter waren als sie. „Natürlich habe ich mich nicht verlaufen“, sagte sie.

„Tja, na ja, dein Haar sieht jedenfalls irgendwie so aus als wenn“, bemerkte Diane trocken.

C.C. strich Signe über das zerzauste Haar. „Wir wollten heute Morgen nach dir sehen, aber in deiner Hütte war niemand.“

„Und das Bett war gemacht“, ergänzte Mara.

„Es sah jedenfalls nicht so aus, als wenn da jemand geschlafen hätte“, fügte C.C. hinzu.

„Wir dachten, du bist vielleicht wütend, weil wir dir kein Bett mit in unsere Hütte gestellt haben, aber du hattest ja gesagt, du willst allein schlafen“, erklärte Diane. „Und als du dann auch nicht zum Abschiedsfrühstück kamst …“

„Wo du übrigens nichts verpasst hast“, übernahm C.C. „Sie haben nichts als vegane Muffins serviert.“

„Aber wo warst du denn?“ fragte Diane, die scheinbar keinen Themenwechsel wollte.

„Bis vor einer Minute, bevor wir die Zeitung gesehen haben“, sprach nun wieder Mara, „dachten wir, dein Zauber hat vielleicht gewirkt, und der göttliche Garrity wäre tatsächlich hier aufgetaucht …“

„Aber wir wussten natürlich, dass das nicht sein konnte“, sagte Diane.

„Und deshalb wollten wir uns anziehen und zum Wildhüter gehen“, fügte C.C. hinzu.

„Zum Wildhüter? Um Himmels willen, nein!“

Ihre drei Freundinnen verstummten und sahen sie verwundert an.

„Was wäre so falsch daran, den Parkaufseher um Hilfe zu bitten, wenn wir jemanden vermissen?“ fragte Diane schließlich.

„Insbesondere diesen Parkaufseher“, ergänzte C.C. grinsend. „Ich habe ihn zwar nicht gesehen, aber gestern Abend erzählte eine der Frauen aus New Jersey, er wäre ein echter Knaller – groß, muskulös und mit einem Bilderbuchhintern.“

„Selbst wenn die Hexentänze nicht unbedingt der Bringer sind, dann lohnt sich das Reiseangebot schon allein seinetwegen“, sagte Diane kichernd. „Ich werde es jedenfalls ins Programm von Wacky Weekends aufnehmen.“

„Mir hat eine Frau von Long Island erzählt, er wäre die Hauptattraktion hier oben“, bestätigte Mara. „Sie fährt nur seinetwegen regelmäßig her.“

Signe holte tief Luft und eröffnete den dreien, dass sie bereits die Bekanntschaft des Wildhüters gemacht hatte.

Als ihren Freundinnen einer nach der anderen die Kinnlade herunterfiel, war sie allerdings ein wenig verärgert. Immerhin hatten sie alle häufiger One-Night-Stands! Allein im letzten Monat hatte C.C. mit einem Feuerwehrmann, einem Polizisten und einem Koch geschlafen. Und den Monat davor war Mara, kaum dass sie sich von Dean getrennt hatte, mit dem ersten Mann ins Bett gestiegen, der mit ihr ausgegangen war. Diane war ebenfalls ziemlich herumgekommen, bevor sie eine fest Beziehung mit Lou, dem Künstler aus SoHo, begann.

Ja, je mehr Signe darüber nachdachte, umso ärgerlicher fand sie es, dass ihre Freundinnen sie erst für prüde hielten. Sie sollte sie dringend eines Besseren belehren.

„Was die anderen Frauen von ihm erzählen, stimmt übrigens auffallend“, sagte sie keck und ging zur Kommode, die heute Morgen als Barersatz diente, um sich eine Bloody Mary einzugießen. „Während ihr mit Auspacken beschäftigt wart, habe ich ihn getroffen. Er hat wirklich einen netten Hintern.“

Das war maßlos untertrieben. Signe hatte jedes Mal Tausende von Schmetterlingen im Bauch, wenn sie an seinen Körper dachte. Als sie sich wieder den drei Freundinnen zuwandte, blickte sie in lauter staunende Gesichter.

„Du bist wirklich eine Hexe. Du hast mit dem Wildhüter geschlafen!“ sagte Mara fassungslos.

Signe zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“

„Und was ist mit der Regel, dass erst beim dritten Date geküsst wird?“ fragte C.C.

„Und Petting erst erlaubt ist, nachdem du seine Eltern kennen gelernt hast?“ wollte Diane wissen.

„Ganz zu schweigen vom Sex, der nur infrage kommt, wenn er einen akademischen Abschluss hat und eine spätere Eheschließung erwogen wird“, fügte C.C. hinzu, für die alles offenbar ein wenig zu viel war, denn sie musste sich auf die Bettkante setzen.

Was genau war passiert? Signe war sich immer noch nicht ganz sicher. Alles, was sie wusste, war, dass sie seine Hände nach wie vor auf ihrer Haut zu spüren glaubte. Er hatte sie auf eine Art berührt, wie sie noch nie berührt worden war, und sie sehnte sich danach, es wieder zu erleben.

„Ich dachte, es wäre an der Zeit für ein paar Veränderungen“, sagte sie leise.

C.C. lachte. „Und warum fängst du nicht damit an, dir einen Job zu suchen?“

Mara versetzte ihr einen Knuff. „Was soll das? Noch hat Sig ihren jetzigen Job nicht verloren, und das wird sie auch nicht.“

„Höchstens wenn ich zugebe, dass ich euch drei auf die Party geschleust habe“, sagte Signe. „Was ich natürlich nicht tun werde. Nein, im Ernst, ich möchte, dass ihr aufhört, so zu tun, als wäre ich eine prüde Kuh.“

„Aber wir nehmen dich doch bloß ein bisschen auf den Arm“, erklärte Mara.

„Und du hast uns ja nun gezeigt, wie sehr wir uns in dir geirrt haben“, meinte C.C.

„Hast du tatsächlich mit dem Wildhüter geschlafen?“ fragte Diane ungläubig.

„Ja, habe ich.“

„Wie war’s?“ fragte C.C. interessiert.

Diane und Mara setzten sich zu ihr aufs Bett, und alle drei blickten Signe erwartungsvoll an. Die fühlte sich furchtbar. Ihr Kopf tat weh, und sie kam sich klebrig und schmutzig vor, als hätte sie in Ahornsirup gebadet. Außerdem wollte sie die Bloody Mary in ihrer Hand nicht trinken. Aber ihr Körper …

Ihr Körper fühlte sich herrlich. Sie atmete tief ein und kicherte. „Er fand es nicht mal schlimm, dass ich vom Schwimmen ganz nass war.“

Diane nickte. „So sind sie, die naturverbundenen Burschen.“

„Und er ist auch noch ein echtes Naturtalent“, sagte Signe. „Selbstverständlich bleibt es bei diesem einmaligen Vorfall. Ich habe ihm nicht mal meine Telefonnummer gegeben.“ Nein, dafür hatte sie ihm Dianes Namen gegeben, und die stand wirklich im Telefonbuch. Aber so verrückt, wie sich ihre letzten Sätze angehört haben mussten, würde er wohl sowieso nicht anrufen.

Mara wirkte tief beeindruckt. „Du hast ihm nicht gesagt, dass er dich anrufen soll? Du wolltest bloß Sex, ohne irgendwelche Verpflichtungen?“

„Genau.“ Alle wussten doch, dass Signe nur einen Akademiker heiraten würde. „Er ist Wildhüter.“

„Und du bist ein Snob“, sagte Diane lachend.

Mara knuffte sie wieder. „Und wenn schon! Letzte Nacht jedenfalls dürften soziale Unterschiede kaum eine Rolle gespielt haben.“

„Nein, und es war großartig“, sagte Signe so neutral wie möglich.

C.C. holte tief Luft. „Weißt du, im Grunde hätte der Moment nicht günstiger sein können.“

„Wieso?“ fragte Signe misstrauisch, als ihre Freundinnen Blicke austauschten. „Was ist?“

„Wir haben schlechte Neuigkeiten“, sagte C.C. schließlich.

„Setz dich lieber hin“, empfahl Mara.

Signe setzte sich ihren Freundinnen gegenüber auf das andere Bett. Wenn die drei von schlechten Neuigkeiten sprachen, dann meinten sie damit normalerweise richtig schlechte. Und dabei hatte Signe geglaubt, die Woche könnte gar nicht mehr schlimmer werden.

C.C. griff hinter sich und angelte die New York Times hervor. Noch ehe sie etwas sagen konnte, entdeckte Signe das Bild von George Garrity im Smoking, an seinem Arm eine Frau in einem Brautkleid. Die beiden standen in einem Garten, unter einem Blumenbogen.

„Gestern um drei Uhr“, las C.C., „gab Christine Van Duren George Wilhelm Garrity das Jawort.“

Den Rest des Textes nahm Signe wie durch einen Nebel wahr. Der göttliche Garrity war nie mit ihr ausgegangen. Er war nichts als ein reicher junger Mann, der über den Cafétresen hinweg mit ihr geflirtet hatte, monatelang zwar und Tag für Tag, doch was besagte das schon?

Und dennoch würde sie schwören, dass er wirklich an ihr interessiert gewesen war. Er hatte nicht bloß mit ihr geflirtet, sondern sich mit ihr über Kunst unterhalten, sich tatsächlich für sie interessiert.

Die Nachricht traf sie weit mehr, als sie erwartet hätte. Dabei sollte sie es gerade heute Morgen besser verkraften. Sie hatte schließlich eine fantastische Liebesnacht hinter sich.

„Tja, so viel zu dem Zauber, mit dem ich ihn belegt habe“, sagte sie leichthin, als C.C. die Zeitung weglegte.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“ fragte C.C.

Signe überlegte. Wenn sie die letzte Nacht einmal außer Acht ließ, dann dürfte die Nachricht von Garritys Heirat so ziemlich das i-Tüpfelchen auf ihrer missratenen Woche sein. Sie durfte gleich zwei Lebensträume begraben: ihre Stelle im Archiv des Metropolitan Museums und ihre Heirat mit dem göttlichen Garrity.

Sie seufzte. Nun, irgendwie hatte ihr Zauberspruch ja trotzdem gewirkt. Sie hatte eine Nacht voller Sinnlichkeit gehabt. Der Sex war einfach himmlisch gewesen. Er hatte bloß im falschen Bett stattgefunden.

„Ja“, murmelte sie und lächelte. „Aber das Kräuterbier war teuflisch.“

„Und ob!“ pflichtete C.C. ihr bei.

Dann dachte Signe daran, wie sie sich letzte Nacht gefühlt hatte, als sie auf ihm lag, und sogleich waren ihre Kopfschmerzen vergessen. Die bloße Erinnerung an ihn war ein ideales Katermittel. Zu schade, dass sie sie nicht in Flaschen abfüllen und als „Morgen danach“-Heilmittel anbieten konnte. „Wenigstens hatte ich ein paar schöne Stunden“, sagte sie und lächelte. „Und die hatte ich mir redlich verdient.“

„Der Satz hätte von mir sein können“, meinte C.C. erleichtert.

Mara schien zum ersten Mal seit Minuten wieder zu atmen. „Warum packen wir nicht unsere Sachen zusammen und fahren irgendwohin, wo wir ein richtiges Frühstück bekommen können?“

„Gute Idee“, sagte Diane. „Ich brauche dringend das Gegengift zu diesen fiesen veganen Muffins.“

„Mir wär nach Eiern und Speck“, schlug C.C. vor.

„Au ja, irgendwas mit extra viel Cholesterin“, stimmte Diane zu.

Dann sahen alle drei Signe an. „Bist du dabei?“

Sie nickte. „Keine Frage. Lasst mich nur vorher schnell duschen und etwas Frisches anziehen.“

4. KAPITEL

Eine Woche später stand James auf dem Gehweg in Manhattan und blickte ins Schaufenster von Wacky Weekends, der Firma von Diane Parker-Powell. In echt sah der Laden nicht minder interessant aus als auf der Website im Internet.

Er lag in der Barrow Street im Village. Auf dem breiten Fensterbrett standen riesige Töpfe mit üppigen Grünpflanzen und dazwischen Aufsteller mit Reiseprospekten. Hier und da fanden sich noch Reste der Halloweendekoration – künstliche Spinnweben und Pappfledermäuse.

Sicher beging er gerade einen Fehler, aber Diane hatte sich nicht gemeldet, und da er ohnehin in der Stadt war, wollte er ihr ihren Ring bringen.

Sie war selbstständig. Er hatte sich ja schon gedacht, dass sie nicht dumm war, auch wenn sie sich anfangs eher unbedarft gegeben hatte. Wacky Weekends bot die Sorte Veranstaltungen an, die die Leute in Manhattan bestimmt mochten.

Wie sagte sein Vater immer so treffend? „Du musst ein Produkt haben, das die Leute kaufen wollen.“ James überflog die Werbeanzeigen. Da gab es Tagesführungen durch die Stadt für Touristen von außerhalb. Dann waren da einwöchige Wellnessreisen für überarbeitete Frauen und vieles mehr.

Er blickte sich um. In seiner Jeans, dem karierten Flanellhemd und der Sweatshirt-Kapuzenjacke passte er hier nicht her. Hinter ihm ging gerade eine Frau in einem eleganten Lederkostüm vorbei, und ein Mann in einem Zweitausenddollaranzug winkte ein Taxi herbei. Als Nächstes kam eine Frau in einem wallenden hawaiianischen Gewand, die einen Pudel an der Leine führte, dem man das Fell wie eine Zierhecke in Form gestutzt hatte. Jedes Mal, wenn er in die Stadt kam, wunderte James sich, wie wichtig den Menschen Äußerlichkeiten und Stil war.

Er ging zur Glastür und trat ein. Eine Glocke bimmelte, und eine eher zierliche Frau mit schulterlangem blondem Haar, die hinter einem Schreibtisch saß, lächelte ihm freundlich zu. „Guten Tag.“

„Guten Tag. Ich bin auf der Suche nach Diane Parker-Powell.“

Sie stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. „Das bin ich. Was kann ich für Sie tun?“

Er war auf alles Mögliche vorbereitet gewesen, aber nicht darauf, dass sie ihm einen falschen Namen genannt hatte. Was jetzt? Sein Ärger wurde überschattet von einer panischen Angst, er könnte sie vielleicht nie wiedersehen.

Die ganze letzte Woche hatte ihn die Erinnerung an sie verfolgt. Immer wieder hatte er sie vor sich gesehen, wie sie nackt in seiner Hütte stand und vergebens versuchte, ihre Brüste zu verdecken.

Diane Parker-Powell – die echte Diane Parker-Powell – lehnte sich vor und sah ihn an. „Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie sehen aus, als wäre Ihnen ein Geist begegnet.“

„Na prima“, sagte er.

„Ach, jetzt verstehe ich.“

„Was verstehen Sie?“ fragte er verwundert.

Sie musterte ihn unverhohlen von oben bis unten. „Sie sind wegen des Manhattan-Men-Programms hier.“

James fragte sich immer noch, wie er die Frau wiederfinden wollte, mit der er geschlafen hatte, weshalb sein Verstand ein wenig hinterherhinkte. „Manhattan Men?“

Sie tippte mit ihren manikürten Fingern auf eine Broschüre. „Ja, keine Sorge“, sagte sie lächelnd. „Am Anfang fühlen sich alle ein bisschen komisch, aber dazu besteht kein Grund, glauben Sie mir. Außerdem haben Sie Glück. Eigentlich waren alle Plätze ausgebucht, doch dann habe ich noch eine Begleiterin, ähm, auftreiben können. Sie ist in letzter Minute frei geworden.“

„Begleiterin?“ Wo stolperte er denn da rein? Und warum hatte ihm die Frau, mit der er geschlafen hatte, einen falschen Namen gegeben? Auf jeden Fall musste sie in irgendeiner Beziehung zu der echten Diane Parker-Powell stehen, aber in welcher?

„Ja, die betreffende Frau wäre Signe Sargent. Sie ist eine gute Freundin von mir, und Sie werden ganz sicher begeistert von ihr sein.“

„Nun, das Programm ist bestimmt sehr interessant, aber ich glaube nicht, dass es für mich infrage kommt.“

„Sehen Sie sich wenigstens die Broschüre an“, sagte sie unbeirrt. „Wir garantieren Ihnen, dass Sie innerhalb einer Woche deutlich selbstbewusster im Umgang mit wohlhabenden Geschäftsfreunden werden.“

Geschäftsfreunden? Wie konnte er ihr schonend beibringen, dass er weder Geschäftsfreunde hatte noch zu bekommen beabsichtigte? Sein Leben lang hatte er alles getan – angefangen bei der Wahl des „falschen“ Colleges bis hin zur Wahl des „falschen“ Berufs –, um nie Geschäfte machen zu müssen und somit auch nie Geschäftsfreunde zu brauchen.

„Nun, wie Sie vielleicht schon wissen, ist das Programm nicht ganz billig“, erklärte sie. „Aber ich versichere Ihnen, dass es jeden Dollar wert ist. Wir haben einen großen Rinderzüchter dabei, der extra aus Wyoming einfliegt, um teilzunehmen. Dann ist da noch ein Minenbesitzer aus West Virginia …“

James hörte ihr nicht mehr zu. Er konnte es nicht fassen. Die Frau, mit der er die heißeste Nacht seines Lebens verbracht hatte, war tatsächlich verschwunden. Und sie hatte sogar einen Gegenstand von sich zurückgelassen, wie Cinderella. In seiner hinteren Jeanstasche war ein Briefumschlag mit ihrem Ring drin.

„Nehmen Sie es bitte nicht persönlich“, sagte er, „aber ich hasse nichts so sehr wie Kultur.“

„Ich verstehe Sie vollkommen“, beruhigte sie ihn. „Die meisten unserer Kunden haben zunächst ihre Bedenken. Deshalb kommen sie ja zu uns. Auf einmal gebietet die Brieftasche, dass man sich unter die Elite mischt, und da ist es zweifellos von Vorteil, wenn man darauf vorbereitet ist.“

Allmählich begriff James, worum es hier ging. Wacky Weekends bot ein Spezialprogramm für junge Neureiche an, die lernen mussten, ihr überflüssiges Geld richtig auszugeben. Als er auf die Broschüre sah, begann Diane, langsam die Seiten umzublättern. „Wir beginnen mit einem Kennenlerntreff, und dann gehen Sie neue Garderobe kaufen.“

Er betrachtete seine Jeans, die für seinen Geschmack perfekt war. „Garderobe?“

„Anzüge“, erklärte sie. „Ihre Begleiterin hilft Ihnen bei der Auswahl.“

„Begleiterin?“

„Nicht die Sorte Begleiterin! Wir sind schließlich ein anständiges Unternehmen.“

Vielleicht sollte er sie einfach weiterreden lassen, und sie würde irgendwann durchblicken lassen, in welcher Beziehung sie zu der Unbekannten aus den Catskills stand. Im Zweifelsfall konnte er natürlich nach ihr fragen, doch wenn eine Frau einen falschen Namen oder eine falsche Telefonnummer angab, dann war das normalerweise eine klare Abfuhr. Und das wiederum bedeutete, dass ihre Freundin zu ihr halten und den Schwindel mitmachen würde.

„Sie werden die Woche über eine feste Begleiterin haben“, erzählte sie und tippte auf die Preistabelle. Als James einen Pfiff ausstieß, sagte sie: „Es ist teuer, ich weiß, aber das müssen Sie schon ausgeben, wenn Sie Ihre Kunden und Gäste beeindrucken möchten. Sobald Sie eingekleidet und aufgestylt sind, erwartet Sie eine Woche voller Extravaganz. Sie besuchen Vernissagen, Museen und Manhattans edelste Restaurants. Sie werden all die Orte aufsuchen, an denen Ungeübte am ehesten Fehler machen.“

Sie blätterte die Seite um. „Und hier sind Fotos von unseren Begleiterinnen, die alle sehr kultiviert sind.“

Da war sie! In dem eleganten Kostüm sah sie beinahe genauso umwerfend schön aus wie nackt. Dann gehörte ihr Wacky Weekends also nicht, sondern sie arbeitete hier. „Wer ist das?“

„Das? Signe Sargent.“

„Ist sie frei?“

Diane hob die Augenbrauen und lächelte. „Sie ist.“

„Ist sie verheiratet? Ich meine, ich würde mich nicht wohl fühlen bei dem Gedanken …“

„Keine Sorge, sie ist Single.“

„Und das Programm geht über die ganze Woche?“ Er hatte in letzter Zeit viele Überstunden gemacht, also stand ihm sowieso ein Kurzurlaub zu.

„Ja.“

„Also gut. Wie viel kostet alles zusammen?“

James’ Gedanken überschlugen sich, während Diane in der Broschüre blätterte. Er wünschte, er wäre etwas weniger erleichtert, dass Signe ledig war. Signe. Eine Woche lang hatte er sie Diane genannt. Die echte Diane tippte auf eine Zahl.

James pfiff.

„Was machen Sie beruflich?“ fragte sie. „Ich hoffe, die Frage ist erlaubt.“

Ein Wildhüter konnte sich so ein Programm nie im Leben leisten, also musste er sich etwas anderes einfallen lassen. „Ich bin Krimiautor, veröffentliche allerdings unter einem Pseudonym.“ Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn er hatte gerade mal die ersten drei Kapitel seines ersten Romans bei einem Verleger eingereicht.

„Fantastisch.“

Er nickte und griff in seine Jeanstasche. „Ich habe mein Scheckheft nicht dabei.“

„Kein Problem. Bringen Sie es einfach zum Kennenlerntreff mit, oder wir schicken Ihnen eine Rechnung.“

„Sehr schön.“

Signes Handy klingelte, und sie drückte auf den entsprechenden Knopf. „Hallo?“

„Ich habe tolle Neuigkeiten für dich“, sagte Diane.

Mit einem entschuldigenden Blick zu Detective Perez, der sie aufs Revier gebeten hatte, wandte sie sich ein wenig zur Seite. „Im Moment ist es ungünstig.“

„Du bist nächste Woche dabei.“

„Nächste Woche?“

„Ich habe noch einen Kunden für das Manhattan-Men-Programm. Erst wollte er nicht, aber sobald er dein Foto gesehen hatte, überlegte er es sich anders. Er war total fasziniert.“

„Von meinem Foto? Das finde ich irgendwie unheimlich.“

„Mein Gott, du bist schon richtig paranoid, seit dich dieser Perez dauernd befragt.“

„Um ehrlich zu sein, genau da bin ich gerade.“

„Schon gut, ich dachte nur, du freust dich, dass du nächste Woche eine hübsche Stange Geld verdienst.“

Das sollte sie auch. Doch seit dem Wochenende in den Catskills bekam sie den Wildhüter nicht mehr aus dem Kopf. Jede Nacht wachte sie aus Träumen von ihm auf. Sie war fast so weit, C.C. zu bitten, sie noch einmal dahin zu fahren. Gestern hatte sie sogar schon überlegt, ihren verstaubten Führerschein herauszukramen und sich selbst einen Wagen zu mieten.

„Er ist umwerfend“, sagte Diane. „Ein Krimiautor.“

Eventuell war der Job genau richtig, um endlich die Erinnerung an einen Mann loszuwerden, der eindeutig der Falsche für sie war. „Okay“, sagte sie schließlich, „ich bin dabei.“

Sie stellte ihr Handy ab und sah wieder zu Alfredo Perez, der sie misstrauisch beäugte. Er hielt ihr die Gästeliste der Party unter die Nase und las drei Namen vor: „Jane Smith, Amanda Levy. Doris Jones.“ Das waren die Namen, unter denen sie ihre Freundinnen hineingeschmuggelt hatte. „Kennen Sie diese drei Frauen?“

Signe wurde rot.

„Eines weiß ich inzwischen sicher über Sie. Sie sind eine lausige Lügnerin, Miss Sargent.“ Detective Perez lehnte sich zurück und zwirbelte an seinem Schnurrbart. „Wollen Sie wissen, was ich denke?“

Eigentlich nicht. „Was?“

„Ich denke, dass Sie drei Freundinnen unter diesen Namen auf die Gästeliste geschmuggelt haben, damit sie Millionäre kennen lernen und Edelhäppchen futtern können. Und jetzt wollen Sie es nicht zugeben, weil Sie die Statue nicht gestohlen haben. Sie glauben, ich finde die Statue irgendwann, und dann können Sie wieder zu Ihrem Job zurückkehren, was wohl kaum infrage käme, wenn Ihr Boss von dieser Sache hier erfährt.“

„Sie sind der Polizist. Es ist Ihr Job, sich solche Hypothesen auszudenken.“

„Und mehr haben Sie mir nicht zu sagen?“

So furchtbar hatte sie sich nicht mehr gefühlt, seit sie splitternackt in der Hütte des Wildhüters James gestanden hatte.

„Miss Sargent?“

Warum musste er auch ausgerechnet Wildhüter sein? Sie war kein Snob, aber sie hatte nun mal eine klare Vorstellung davon, wie ihr zukünftiges Leben aussehen sollte, und dazu gehörten gewiss keine Einzimmerhütte mit einem Mann und zwei invaliden Katzen sowie ein Sammelsurium alter Sperrmüllmöbel, auf denen sich ehemalige Camper mit Taschenmessern verewigt hatten.

Sie hätte Dianes Angebot ablehnen sollen. Wie wollte sie einem anderen Mann eine perfekte Begleiterin sein, wenn sie an nichts anderes denken konnte als daran, dass sie ihren Wildhüter vermisste? „Entschuldigung, hatten Sie was gesagt?“

Detective Perez sah sie an und schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich versuche lediglich, eine wahnsinnig wertvolle Statue wiederzufinden, während Sie offenbar den Kopf zu voll haben, um sich auf diese Befragung zu konzentrieren. Sie können gehen, Miss Sargent.“

5. KAPITEL

„Du?“ flüsterte Signe.

Das Kennenlerntreffen des Manhattan-Men-Programms sollte gerade beginnen, als James sich neben sie setzte. Angezogen sah er genauso atemberaubend aus wie nackt. Natürlich hätte sie sich denken können, dass er verwaschene Jeans bevorzugte.

„Du“, sagte sie wieder.

Er hängte seine Jeansjacke über die Lehne des Metallklappstuhls und blickte sich im Raum um. Auf einem kleinen Podium stand Diane.

„Ja, ich. Überrascht, mich zu sehen?“

„Sehr.“

Er sah sie an und schien kein bisschen irritiert.

„Ich dachte, du bist Wildhüter, kein Krimiautor.“

„Und ich dachte, du bist Diane Parker-Powell.“

„Erwischt.“

„Warum der falsche Name?“

Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Erstens, weil sie in George Garrity verliebt war, zweitens, weil die Polizei jeden ihrer Schritte zu überwachen schien, und drittens, weil er einfach nicht zu der Vision passte, die sie von ihrem Leben hatte. Aber wie wollte sie ihm das auf halbwegs diplomatische Art beibringen? „Verfolgst du alle Frauen, die dich belügen?“

Er lächelte. „Die meisten belügen mich nicht.“

Aha. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm jedenfalls nicht. Obwohl sie eigentlich wütend sein sollte, musste sie lächeln. „Wie hast du mich gefunden?“

„Im Internet. Und dann bin ich hergekommen.“

„Wo du feststellen musstest, dass ich nicht Diane bin.“

„Richtig.“

„Aber davon hast du dich selbstverständlich nicht entmutigen lassen.“

„Wie es aussieht, nicht.“

Sie spürte, wie sie rot wurde, weil er sie unverhohlen musterte. Scheinbar war er zufrieden mit dem, was er sah. Signe trug einen goldbraunen engen Rock mit passendem Blazer und dazu einen weichen Schal in schillernden Herbstfarben.

Ein göttlicher Mann, keine Frage. Und dennoch erklärte sein umwerfendes Aussehen allein nicht, warum ihr so seltsam war. Wenn sie ihn bloß ansah, bekam sie schon weiche Knie. Beinahe glaubte sie, der Zauber hätte tatsächlich gewirkt.

Es ergab jedenfalls überhaupt keinen Sinn, dass sie sich magisch zu James hingezogen fühlte. Außerdem hatte sie schon häufiger gut aussehende Männer kennen gelernt, aber keiner hatte diese Wirkung auf sie gehabt – nicht einmal der göttliche Garrity.

„Warum hast du mich aufgespürt?“ fragte sie.

„Das hört sich an, als handelte es sich bei dir um ein Beutetier.“

„Bin ich eins?“

Er schlug die Beine übereinander. Allein die Geste reichte, dass Signe sich nichts sehnlicher wünschte, als ihn in ihre Wohnung zu locken und vollständig zu entkleiden. Und ihre Wohnung lag direkt um die Ecke.

„Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?“

„Ich bin nicht sicher.“

„Dann solltest du keine Sachen zurücklassen, Cinderella.“

Seine Stimme klang genauso verführerisch, wie sie sie erinnerte. Aber was konnte sie vergessen haben? „Cinderella ließ einen Schuh zurück, und ich war barfuß.“

Er lächelte ein faszinierendes Lächeln, bei dem sein Gesicht buchstäblich aufleuchtete. „Und nackt.“

Als könnte sie das vergessen! Ihr Herz machte einen Hüpfer, sobald sie sah, was er aus seiner Tasche holte. Ihr Ring! Sie hatte ihn schon überall gesucht. Dass sie ihn in den Catskills getragen hatte, war ihr überhaupt nicht eingefallen. „Du hast ihn gefunden!“

„Neben meinem Bett.“

Sie war gerührt. „Meine Mutter hat ihn mir vor ein paar Jahren zum Geburtstag geschenkt. Ich habe schon alles nach ihm abgesucht.“

Er hielt eine flache Hand unter ihre Finger, und Signe wurde heiß, als er ihr mit der anderen den Ring ansteckte. Kein Mann hatte das je bei ihr gemacht, und sie musste unwillkürlich daran denken, dass solche Szenen sonst nur vorm Altar stattfanden.

Himmel! Sie sollte dringend in die Realität zurückfinden. Und sie durfte auf keinen Fall wieder mit ihm im Bett landen – nicht solange sie in Gedanken die absurdesten Dinge für möglich hielt.

Nein, sie wollte einen Mann, dem dasselbe Leben vorschwebte wie ihr. Und rein statistisch war sogar erwiesen, dass Ehen glücklicher verlaufen, wenn beide Partner denselben sozialen Hintergrund haben.

„Danke“, sagte sie. „Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass du hergekommen bist und sogar bereit warst, so viel Geld auszugeben, nur um mich wiederzusehen, aber …“

Weiter kam sie nicht, weil er ihr einen Finger auf die Lippen legte. „Wir sollten zuhören.“

Diane hatte mit ihrer Begrüßung begonnen, was Signe nicht ungelegen kam. Auf diese Weise hatte sie wenigstens ein bisschen Zeit zum Nachdenken. Im Moment hatte sie das Gefühl, mit dem Gang der Ereignisse gnadenlos überfordert zu sein.

Natürlich war es sehr schmeichelhaft, dass ein Wildhüter/Krimiautor hinter ihr herreiste und ein kleines Vermögen ausgab, um eine Woche mit ihr zusammen zu sein. Trotzdem war er der falsche Mann für sie, weshalb sie unbedingt verhindern musste, dass er ihr zu nahe kam. Sollte er sie berühren, war sie verloren. Sie wusste, dass sie nicht die Willenskraft besaß, sich gegen ihn zu wehren.

Aber hatte sie ihre Naturburschenphase nicht bereits am College hinter sich gebracht. Damals war es Ray Gilbert gewesen, dessen Lebenstraum eine Besteigung des Mount Everest gewesen war. Am Ende wurde er dann Geschäftsführer eines Starbuck-Cafés in der Nähe des Grand Canyon, was Signes Vater mit den Worten „Hab ich dir ja gesagt“ kommentierte. Ihre Mutter hatte Signe in Schutz genommen und gemeint: „Jede junge Frau darf einen Fehler machen.“

Einen, dachte Signe, nicht zwei. Sie blickte zur Seite. Hatte sie tatsächlich mit ihm geschlafen? Sie betrachtete seine muskulösen Schenkel in der engen Jeans und folgte ihnen bis zu jener Stelle, an der sie sich deutlich wölbten. Abrakadabra.

Plötzlich spürte sie seine Lippen an ihrem Ohr. „Woran denkst du gerade?“

Daran, wie gut du angezogen aussiehst. „Ich denke daran, dass das hier niemals funktionieren kann“, sagte sie. Ihre Eltern hatten ihr ein klares Bild von dem Mann vermittelt, den sie einmal an ihrer Seite sehen wollten. Und von diesem Bild konnte sie auch ein umwerfender Wildhüter nicht abbringen.

„Warum wolltest du mir deinen Namen nicht sagen?“

„Ich war mir nicht sicher.“

„Nicht sicher in welcher Hinsicht?“

„Ob ich dich wiedersehen wollte.“

Diane blickte in ihre Richtung, und Signe nahm demonstrativ ihren Notizblock und die Broschüre in die Hand. „Wir sollten ruhig sein.“

James holte einen Schreiber aus seiner Brusttasche und schrieb auf ihren Block: „Erst verrätst du mir, weshalb du dich nicht freust, mich wiederzusehen.“

Sie konnte nicht klar denken. Der Druck seiner Hand auf ihrem Notizblock und damit auf ihrem Bein erinnerte sie sofort wieder an die Nacht vor einer Woche. Hinzu kam, dass sie sich fragte, wie ein Wildhüter zu einem Montblanc-Füller kam.

„Wir reden später, okay?“ kritzelte sie eilig.

Er zögerte, dann schrieb er: „Okay.“

Signe hoffte, bis nach der Präsentation einen Vorwand gefunden zu haben, sich elegant aus der Affäre zu ziehen.

„Ich halte es für keine gute Idee, wenn ausgerechnet ich deine Begleiterin spiele“, sagte sie eine Stunde später in der Küche von Wacky Weekends.

James blickte sich um. Wie alle Küchen in Manhattan war auch diese ungefähr so groß wie eine Briefmarke. Im Moment allerdings kam ihm die Enge sehr entgegen, denn sie hinderte Signe daran, auf Abstand zu ihm zu gehen. „Warum nicht?“

„Das habe ich dir bereits erklärt.“

Eigentlich hatte er kein Problem damit, wenn Leute ihn abwiesen, was eher selten vorkam – zumal bei Frauen –, aber Signe glaubte er nicht, dass sie ihn tatsächlich loswerden wollte. „Bist du verlobt?“

„Nein!“

Er musste schmunzeln. „Ist das so abwegig? Du bist eine wunderschöne Frau. Hast du einen festen Freund?“

„Nein.“

„Einen Liebhaber?“

„Nein.“

„Ich zähle also nicht.“

„Du bist nicht mein Liebhaber.“

Er sah sie an. „Das erinnere ich anders, Signe.“ Und ihren Blicken nach zu urteilen, könnte er schwören, dass sie zu gern wieder mit ihm ins Bett gehen würde.

„Bist du eigentlich immer so …“

„Direkt?“ half er ihr aus.

Sie nickte.

„Nein.“

„Und wie komme ich zu der Ehre?“ fragte sie.

„Du hast mich mit einem Zauber belegt.“ Wieder dachte er daran, wie sie vor Wonne gestöhnt hatte. Mit keiner Frau hatte er je eine solche Sinnlichkeit erlebt. „Ich denke, du weißt, warum ich dich gesucht habe.“

Allein sie anzusehen, brachte ihn beinahe um den Verstand. Nein, mehr als an Winona Ryder erinnerte sie ihn an Audrey Hepburn. Dieselben feinen Züge, die elegant und auf charmante Weise zerbrechlich und hintergründig zugleich wirkten.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich dich nicht mag.“

Was ja auch eine Lüge gewesen wäre. „Das ist immerhin schon mal ein Anfang.“

Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Ein Nein akzeptierst du wohl nicht, was?“

Für gewöhnlich schon, und gerade deshalb machte sie ihn ja rasend. Er war gewiss nicht begeistert, weil eine Frau sein Leben auf den Kopf stellte! „Habe ich denn eine Wahl?“

Sie lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Natürlich. Du bist ein freier Mensch.“

„Bin ich? Obwohl du mich mit einem Zauber belegt hast?“

Sie verdrehte die Augen. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“

Tja, da war er sich mittlerweile nicht mehr so sicher. Natürlich glaubte er nicht an Magie, aber er wunderte sich schon über sein Verhalten, das ganz und gar nicht seiner sonstigen Art entsprechen wollte. „Ich fürchte, ich fange langsam damit an.“

„Hör mal“, sagte sie, „Zaubersprüche wie meiner richten absolut gar nichts aus. Und falls du tatsächlich glaubst, du wärst verhext, dann kann ich dir die Adresse von einem Laden in der West Fourth Street geben, wo sie dir einen Gegenzauber verraten werden. Ich jedenfalls bin keine Hexe. Ich war bloß mit auf diesem Wochenende, weil wir die Reise für Wacky Weekends ausprobieren wollten.“

Er war erleichtert, dass Signe nicht an diesen ganzen Unsinn glaubte. „Was genau hast du denn in deinem Zauberspruch gesagt?“

„Das ist doch egal.“

„Finde ich nicht. Ich habe schließlich ein Recht zu erfahren, mit welchem Zauber ich belegt bin.“

„Du bist mit überhaupt nichts belegt.“

Und ob er das war. Er unterlag dem Zauber ihrer Sinnlichkeit. „Komm schon, was wolltest du herbeizaubern?“

„Wie ich bereits sagte, wünschte ich mir, dass wir im Bett landen. Versteh doch, es war eine ziemlich verrückte Nacht für mich. Ich war durcheinander und reichlich betrunken. Normalerweise mache ich solche Sachen nicht.“

„Du hast normalerweise keinen Sex?“ So gut, wie sie im Bett war, konnte er es kaum glauben.

„Doch, natürlich habe ich Sex“, erwiderte sie und wurde rot. „Aber nicht mit Fremden.“

„Dann meinst du, du hättest nicht mit mir geschlafen, wärst du nicht betrunken gewesen?“

„Nein!“

Je länger er sie ansah, umso mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass ihr die Nacht ebenso wenig aus dem Kopf ging wie ihm. Warum wehrte sie sich so verbissen dagegen? „Ist es dir peinlich, dass du in meine Hütte gekommen bist?“

„Ich dachte, du wärst jemand anders.“

Autsch. Das war ein echter Tiefschlag. „Jemand anders?“

„Ich dachte, jemand, für den ich schwärme, wäre mir in die Berge gefolgt“, erklärte sie.

„In meine Hütte?“

„Ich dachte doch, ich wäre in meiner Hütte.“

Er traute seinen Ohren kaum. „Du bist bloß im falschen Bett gelandet?“

Sie nickte.

„Verstehe.“ Er sah durch die offene Tür in den Nebenraum. Nun blieb ihm nichts weiter zu tun, als Diane zu erklären, dass er es sich anders überlegt hatte und nicht an dem Programm teilnehmen würde. „Tut mir Leid, wenn ich dich auf Grund eines Missverständnisses belästigt habe.“

„Du dachtest doch auch, ich wäre eine andere“, sagte sie.

Richtig. Er hielt sie für die große Blonde. „Stimmt, aber ich war in meinem Bett.“ Und er hatte verständlicherweise gemeint, sie wäre seinetwegen gekommen.

Er machte einen Schritt nach vorn und wollte an ihr vorbei, als sie die Hand ausstreckte und seinen Ellbogen fasste. Er sah auf seinen Arm, dann zu Signe. „Was?“

„Tu es nicht.“

„Was nicht? Gehen? Ich dachte, das wolltest du. Hast du mich nicht genau deshalb um ein Gespräch unter vier Augen gebeten?“

„Ich begreife nicht, warum du verärgert bist. Was dachtest du denn, wer ich bin?“

Er zuckte mit den Schultern. „Eine blonde Frau, die am Nachmittag bei der Hütte gewesen war, um nach dem Weg zu fragen.“ Was etwas vollkommen anderes war als bei ihr, denn sie hatte den Mann bereits gekannt, mit dem sie im Bett zu sein glaubte.

„Sei mir nicht böse“, flüsterte sie.

„Du meinst, ich soll bitte unauffällig verschwinden, ohne eine Szene zu machen?“

Sie sah ihn flehend an, und auf einmal schien ihre gemeinsame Nacht tausend Jahre zurückzuliegen. Er wusste nicht genau, was geschehen war, aber alles war anders. Plötzlich hatte er das unheimliche Gefühl, sie schon vor jener Nacht gekannt zu haben. Vielleicht aus einem Traum. Auf jeden Fall war er außer Stande, sie aufzugeben.

„Ja, warum nicht?“ fragte sie leise.

Weil er erst herausfinden musste, was in ihm vorging – und was in ihr vorging. Ganz gleich, wie verzweifelt sie sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen, er spürte doch, dass sie ihm genauso verfallen war wie er ihr.

„Seien wir ehrlich“, sagte sie mit bebender Stimme. „Nichts in der Nacht betraf uns persönlich.“

„Ich würde behaupten, es war verdammt persönlich“, entgegnete er. Er blickte sich um, und da ging ihm auf, weshalb sie sich so vehement gegen ihn wehrte. „Du willst es nicht wahrhaben, weil ich nicht dein Typ bin.“

„Das ist es nicht.“

Er lächelte verbittert. „Na ja, und dagegen gibt’s schließlich dieses Programm, nicht wahr? Damit jemand wie ich ein bisschen Klasse verpasst bekommt und deinen Ansprüchen gerecht wird.“

„Das stimmt nicht“, sagte sie unglücklich.

„Nein? Beweis mir das Gegenteil.“

„Wie?“

„Geh mit einem Wildhüter aus. Oder ist das unter deinem Niveau?“

„Ich will nun mal einen bestimmten Lebensstil“, erklärte sie hilflos. „Und ich habe hart dafür gearbeitet.“

Er konnte sich lebhaft vorstellen, was sie meinte. „Ein Apartment in der City, der Ehemann Akademiker und Mitgliedschaften in den richtigen Clubs.“

„Was ist falsch daran?“

„Nichts“, sagte er und meinte es auch. „Meinetwegen sollte jeder so leben, wie er es sich wünscht.“

Sie sah ihn unsicher an. „Du tust es, habe ich Recht?“

„Ja, und ich schreibe sogar tatsächlich an einem Buch.“

Sie hielt immer noch seinen Ellbogen. „Schön.“ Einen Moment blickte sie versonnen vor sich hin, dann flüsterte sie: „Du kennst mich überhaupt nicht.“

Das stimmte nicht ganz, denn er war sicher, dass er Stellen an ihr kannte, mit denen nicht einmal ihre Exfreunde vertraut sein dürften. „Du kennst mich auch nicht.“

„Na ja, du bist ein Wildhüter“, sagte sie lächelnd. „Und ich konnte der freien Natur noch nie viel abgewinnen.“

„Mag sein, dafür mag die Natur dich. Nach einem Bad im See siehst du fantastisch aus.“

Ein weiteres Mal wurde sie rot. „Danke.“

„Ich danke dir.“

„Nicht nötig.“

„Okay, sagen wir also, wir haben uns beide gleichermaßen bemüht, in jener Nacht. Keiner ist dem anderen Dank dafür schuldig.“

„Einverstanden.“

Sie starrten sich eine Weile schweigend an, und wieder wünschte James, er wüsste, was er von ihr wollte. Auf jeden Fall schon mal Sex. Und dennoch wusste er, dass das Feuer damit nur geschürt würde. Sie hatte Recht. Sein Leben war das eines Junggesellen, und deshalb sollte er so schnell wie möglich von hier verschwinden.

Er sah sie an. Auf dem beengten Raum standen sie so nahe beieinander, dass ihre Körper sich streiften, als er sich umdrehte. „Sag mir wenigstens, wer es war.“

„Wer?“ Sie öffnete die Lippen ganz leicht. Wie es aussah, rechnete sie damit, jeden Moment von ihm geküsst zu werden.

„Der Mann, mit dem du zusammen zu sein glaubtest“, flüsterte er heiser und fasste ihre Taille. „Der Mann, von dem du dachtest, dass er dich im Bett erwartet.“

Sie waren sich so nah, dass er ihren Atem auf seinen Lippen fühlte, als sie leise antwortete: „Wer es war, tut nichts zur Sache.“

„Für mich schon.“

„Warum?“

Weil er gedacht hatte, sie wüsste, dass er mit ihr schlief. Und weil er idiotischerweise den Gedanken unerträglich fand, ihre Seufzer hätten einem namenlosen anderen gegolten. „Als du die Augen geschlossen hattest, mit wem glaubtest du da zusammen zu sein?“

Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen. „Mit dir. Ich war mit dir zusammen, James.“

„Aber das wusstest du zu dem Zeitpunkt nicht.“

„Dafür weiß ich es jetzt.“

Und er wollte nicht, dass sie es je vergaß. Meldete sich sein männliches Ego oder die Erinnerung daran, was die Frau mit ihm angestellt hatte, als sie ihn für einen anderen Mann hielt? „Liebst du ihn?“

„Nein.“

„Aber du warst regelmäßig mit ihm aus?“

„Gewissermaßen ja.“

Wie konnte man „gewissermaßen“ mit jemandem ausgehen? Wie dem auch sei, James dachte jedenfalls nicht mehr daran, das Manhattan-Men-Programm sausen zu lassen. „Ich werde dich jetzt küssen“, sagte er.

Sobald ihre Lippen sich trafen, schien sie mit ihm zu verschmelzen, und er fühlte sich wie jemand, der nach einer langen Irrfahrt endlich am Ziel angekommen war – auch wenn er es gern geleugnet hätte.

„Bist du sicher, dass wir uns noch nie begegnet sind?“ fragte er.

„Ja“, flüsterte sie.

„Ich hab’s mir anders überlegt.“

Signe sah ihn verwundert an. „Was?“

„Ich werde doch eine Begleiterin brauchen“, sagte er lächelnd. „Wir sehen uns morgen früh um Punkt acht Uhr. Ich treffe dich vor dem Büro.“ Er wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal halb um. „Du wirst staunen, wenn du mich in stadtfeiner Kleidung siehst.“

Mit diesen Worten verließ er sie.

6. KAPITEL

„Bist du halbwegs bedeckt?“ fragte Signe, die vor einer Umkleidekabine in Barney’s Kaufhaus stand.

Hinter dem geschlossenen Vorhang war ein leises, tiefes Lachen zu vernehmen. „Wenn ich Nein sage, kommst du dann trotzdem rein?“

Sie musste unwillkürlich schmunzeln. Sie waren nun schon seit einigen Stunden zusammen – lange genug, um gemeinsam zu frühstücken, eine Parfümerie und einen Friseur zu besuchen – und er hatte nicht einmal versucht, sie zu küssen. Natürlich war Signe erleichtert. Zumindest fand sie, sie sollte es sein.

Ihn gestern Abend bei Wacky Weekends zu treffen, hatte sie reichlich aus der Fassung gebracht. Bis in ihre Träume hatte sein Abschiedskuss sie verfolgt. Irgendwann im Morgengrauen hatte sie dann beschlossen, ihn wiederzusehen, eine nette Zeit mit ihm zu verbringen und abzuwarten, wie die Dinge sich entwickelten.

Zugegeben, es sprach einiges dagegen, sich mit ihm einzulassen, aber sie war nun mal neugierig.

„Bist du nun oder nicht?“ fragte sie.

„Ja, ich bin ausreichend bedeckt.“

Sie war nicht sicher, was er mit „ausreichend“ meinte, schob den Vorhang aber trotzdem beiseite. Da er angezogen war, ging sie zu ihm in die Kabine.

Auf dem engen Raum wirkte er noch größer als sonst. «Dein neues Eau de Toilette riecht super.»

„Ja, mir gefällt’s auch“, sagte er.

Sie hatten es eben erst gekauft, und Signe hatte auf Anhieb gefunden, dass die feine Note von Rauch und Pinien hervorragend zu ihm passte.

„Du hattest Recht“, stellte Signe fest.

„Womit?“

„Ich staune, wie umwerfend du in stadtfeiner Kleidung aussiehst. Du könntest glatt als Makler oder Anwalt durchgehen.“

„Ist das gut oder schlecht?“ fragte er lachend.

„Weder noch, nur überraschend.“

„Ich habe dich gewarnt.“

Der Friseur hatte sein Handwerk jedenfalls verstanden. Er hatte das von der Sonne ausgeblichene Deckhaar etwas länger gelassen und die Seiten eher kurz geschnitten, was James’ Gesichtsform sehr schön zur Geltung brachte. „Der Haarschnitt ist perfekt.“

Er betrachtete immer noch seinen Anzug, als sähe er sich zum ersten Mal in einem, was nicht unbedingt auszuschließen war. „Wirklich?“

Sie nickte. „Und ob. Es sollte verboten werden, ein Gesicht wie deines unter einer wilden Mähne zu verstecken.“ Er mochte sich nur für das Programm eingetragen haben, um sie wiederzusehen, aber dafür konnte sie die Zeit ja trotzdem nutzen, um ihm zu zeigen, wie er seine gottgegebenen Vorzüge ins beste Licht rückte. „Tolle Physiognomie.“

„Physiognomie?“ wiederholte er.

Sie hob die Hand und strich mit dem Finger über seine Wange. „Dein Profil ist sehr schön, fast wie das eines Patriziers. Obwohl“, sie lachte, „mit der Nase hättest du auch ein römischer Kaiser sein können – na ja, ohne das Grübchen natürlich.“

„Sicher? Hatte Julius Cäsar nicht auch ein Grübchen? Und was war mit Nero oder Napoleon?“

Sie sah ihn fragend an. „Liest du in deiner Freizeit etwa Biografien von ehemaligen Eroberern?“

Er lachte. „So befremdlich es erscheinen mag, aber wir Wildhüter sind durchaus des Lesens mächtig, Signe.“

„Das meinte ich nicht.“

„Und vergiss nicht das Kabelfernsehen“, fügte er hinzu. „Ob du es glaubst oder nicht, auch wir Hinterwäldler haben Fernseher.“

Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Mach dich ruhig lustig. Das Ergebnis wird dir hundertprozentig gefallen, vertrau mir. Morgen kriegst du eine Massage und eine Gesichtskosmetik sowie einige Tipps zur richtigen Haltung und zum Stressmanagement.“

„Hütten- und Campingplätze aufzuräumen ist nicht stressig.“

„Vielleicht, aber ich erinnere mich da an eine Touristin, bei der dein Blutdruck in bedenkliche Höhen kletterte.“

„Na gut, ich mache alles mit.“

„Sehr schön.“

„Wär’s nicht sinnvoller, wenn wir mich gleich für diese Fernsehshow anmelden, wie heißt sie noch gleich, Extremverschönerung?“

„Nein, ganz so viel Hilfe brauchst du nun auch wieder nicht.“

Er lachte. „Du meinst, keine operativen Eingriffe?“

„Nein, ich sehe da keinen Bedarf.“

„Fettabsaugung?“

„Nicht bei dir“, antwortete sie vielsagend.

Unter dem Zweihundertdollarhemd war sein Bauch flach wie ein Waschbrett. Der Mann war wie ein ungeschliffener Diamant. Signe seufzte und fragte sich, wieso sie das kleine Grübchen neben seinem Mund nicht an jenem Morgen in der Hütte bemerkt hatte. Andererseits waren ihr da eine Menge andere Dinge durch den Kopf gegangen.

„Der Anzug steht dir fantastisch, James“, sagte sie bewundernd.

„Wenn man Anzüge mag, schon“, gab er zu. Im Spiegel trafen sich ihre Blicke. „Dann wäre es dir nicht peinlich, mit mir darin gesehen zu werden?“

Sie lächelte. „Nein.“

„Allerdings solltest du dazu eines von diesen kleinen Schwarzen tragen, am liebsten ohne Träger und möglichst mit einem Schlitz an der Seite.“

„So dass man bei bestimmten Bewegungen die Strapse sieht?“ fragte sie.

„Die selbstverständlich auch schwarz sein sollten.“

„Und das Kleid natürlich auch rückenfrei.“

„Bauchfrei fänd ich noch schöner“, sagte er, „aber zur Not nehme ich auch rückenfrei.“

„Ich denke, das lässt sich einrichten.“

„Was du jetzt anhast, sieht übrigens auch nicht schlecht aus“, bemerkte er und musterte sie anerkennend.

Signe war froh, dass sie sich für das kürbisfarbene Etuikleid mit den Rippenstrumpfhosen und den Stiefeln entschieden hatte. Dazu hatte sie einen braunen Schal über die Schultern drapiert.

„Ich finde diesen Anzug besser als den davor“, sagte sie, um zum Geschäft zurückzukommen. Der mittelbraune Anzug hatte zwar gut zu James’ eher lässigem Look gepasst, aber dieser hier ließ ihn einfach atemberaubend aussehen.

Der Verkäufer hatte den Anthrazitton „Morgengrau“ genannt. Signe wollte ursprünglich ein dunkles Schokoladenbraun, aber der Verkäufer hatte darauf bestanden, dass sie auch das Grau probierten, und wie sich nun zeigte, sollte er Recht behalten.

Das Hemd dazu war strahlend weiß mit ganz feinen grauen und gelben Streifen und Perlmuttknöpfen. Dazu hatte der Verkäufer eine Krawatte in Herbstfarben gewählt – Rostrot, Orange und Gelb.

„Er muss nicht mal geändert werden.“

„Die Hose ist noch nicht gesäumt“, erwiderte er.

Sie sah ihn an. „Was?“ fragte er.

Ein Stück näher tretend, schob sie eine Hand unter die Krawatte und genoss die weiche Seide auf ihrer Haut.

„Was hält meine Begleiterin davon, mit mir heute Abend italienisch zu speisen?“

„Nicht in diesem Anzug“, sagte sie und hielt das Preisschild hoch.

Er pfiff leise, schien allerdings nicht wirklich beeindruckt. „Kein Problem.“

Sie glaubte ihm nicht. Bei jedem anderen Mann hätte sie gemeint, er wolle sein Gesicht wahren, doch James sah es nicht ähnlich. Er war sehr direkt, also konnte sie auch ruhig offen mit ihm reden. „Hör mal, ich finde es gut, dass du das hier mitmachst, aber“, sie überlegte, was sie ihm eigentlich sagen wollte, „na ja, wie wir beide wissen, hast du dich nur meinetwegen für dieses Programm angemeldet.“

„Schon, trotzdem dachte ich, wir wären uns einig, dass ich ein wenig Feinschliff vertragen könnte“, sagte er lachend.

„Okay“, stimmte sie zu. Wenigstens hatte er es geschafft, ihre Gedanken für einige Stunden von ihren Problemen mit Detective Perez abzulenken. Und erstaunlicherweise hatte sie in der Zeit, die sie mit ihm verbrachte, kein einziges Mal mehr an George Garrity gedacht. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie fast glauben, sie hätte James und nicht George mit einem Zauber belegt.

„Na gut, ich habe nichts dagegen, wenn wir ein paar Tage zusammen verbringen, und die meisten Sachen sind sowieso im Teilnahmebeitrag enthalten, ausgenommen die Garderobe und die Restaurantbesuche. Und deshalb wirst du diese Anzüge nicht kaufen, und im Restaurant werden wir grundsätzlich die Rechnung teilen, verstanden?“

„Ach, und ich dachte, wir würden hier eine Art umgekehrtes My Fair Lady geben?“

Sie lachte. „Nein, obwohl ich das Musical liebe.“

«Du magst Musicals?»

„Nicht alle, aber dieses mag ich sehr.“

„Dann sollten wir unbedingt einen Musicalbesuch auf unseren Plan nehmen.“

„Ehrlich?“

„Natürlich nur, wenn du mir zutraust, mich anständig zu benehmen.“

„Nach dem heutigen Morgen muss ich sagen, du benimmst dich weit vorbildlicher, als ich es dir zugetraut hätte.“

Er lächelte. „Nun, Signe, du kennst mich eben nicht allzu gut. Vielleicht hast du einige voreilige Schlüsse gezogen.“

Selbst wenn, wie jemand sich als Liebhaber verhielt, ließ eben wenig Rückschlüsse darauf zu, wie formvollendet er ein Menü in einem Nobelrestaurant ordern könnte. „Mag sein“, gab sie zu.

Dennoch wollte sie einem hart arbeitenden Wildhüter nicht abverlangen, sich Anzüge im Wert von mehreren Tausend Dollar zu kaufen, nur um sie zu beeindrucken. „Ich möchte auf keinen Fall, dass du Geld für Anzüge ausgibst, die du in deinem ganzen Leben nicht trägst.“

„Gehen wir denn heute Abend nicht aus?“

„Wir müssen ja nicht irgendwo hingehen, wo du einen Anzug tragen musst.“

„Und wenn ich aber will?“ fragte er.

Sie schluckte. Mit einem Mann wie ihm auszugehen, war zweifellos verlockend. Noch dazu schien er sie wirklich zu mögen. Zwar würde er nie ihrem Idealbild entsprechen, aber dafür würde es mit ihm bestimmt nie langweilig werden. Trotzdem konnte er sich diese Sachen nicht leisten. „Vergiss nicht, dass ich deine Hütte gesehen habe.“

Er schmunzelte nur. „Und?“

„Und ich kenne deine zerkratzten Möbel, deine räudigen Katzen und deinen Kleiderschrank voller Flanellhemden.“

„Dann dürfte dir ja klar sein, wie dringend ich einen Anzug brauche.“

„Um ihn wo anzuziehen?“

„Zu meiner Beerdigung.“

„Die wann stattfinden wird?“

„Gleich nachdem du dich geweigert hast, noch einmal mit mir zu schlafen. Dann nämlich werde ich mich entleiben.“

„Das ist nicht witzig.“

„Nein? Wie wär’s dann damit: Ich trage ihn zur Beerdigung anderer Leute“, korrigierte er lächelnd. „Vielleicht sogar zur Hochzeit anderer Leute. Und außerdem zum Dinner mit dir – das wollen wir schließlich nicht vergessen.“

Sie gab auf. Er war ein hoffnungsloser Fall. „Schon gut, trotzdem musst du ihn meinetwegen nicht kaufen.“

„Ich liebe es aber, dir Schuldgefühle zu machen.“

„Ich fühle mich nicht schuldig“, verteidigte sie sich.

„Und ob du das tust.“ Er legte den Arm um ihre Taille und zog sie ganz nah zu sich. „Du denkst, ich kaufe diesen Anzug, den ich nie wieder tragen werde, bloß, um dich zu beeindrucken“, sagte er. „Und du denkst, ich fühle mich dazu verpflichtet, weil du mich sonst für einen Hinterwäldler hältst.“

Das entsprach ungefähr dem, was sie tatsächlich dachte, sofern von Denken überhaupt noch die Rede sein konnte. Signe strich mit den Fingern die Ärmel hinauf bis zu seinen Schultern. Als sie ihm in die Augen sah, wurde ihr beinahe schwindlig.

„Ich weiß deine Sorge um mich zu schätzen, Signe, allerdings solltest du eines über mich wissen.“

„Was?“

„Ich tu nie, was ich nicht wirklich tun will.“

„Aha, deshalb hast du dir solche Sorgen wegen des Zaubers gemacht“, neckte sie ihn.

„Nun, wenn es um dich geht, muss ich leider zugeben, dass mein Verstand bisweilen Aussetzer hat. Ich habe über uns beide nachgedacht …“

Er also auch, dachte Signe, und hob die Hand, damit er nicht weitersprach. „Bitte, ich bin nicht bereit, mich auf eine Beziehung einzulassen.“

„Ich dachte auch nicht an eine Beziehung, sondern ans Bett.“

Dagegen war grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber wieso wollte er dann einen astronomisch teuren Anzug kaufen, um sie zum Essen auszuführen? Er mochte umwerfend darin aussehen, trotzdem passte er nicht zu seinem Leben in den Catskills.

„James, du liebst dein Leben, und ehrlich gesagt kriege ich einen Koller, wenn ich bloß an Holzhütten denke.“

„Dann sollten wir besser zu dir gehen“, bemerkte er ungerührt. „Das wäre von hier aus wohl sowieso näher.“

„James“, wandte sie verzweifelt ein. „Du hast dich für das Manhattan-Men-Programm eingetragen, das du eigentlich nicht brauchst, und jetzt willst du auch noch einen Anzug kaufen, den du nie tragen wirst, damit du mich einmal zum Dinner ausführen kannst. Also, wenn ich ehrlich sein soll, schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken.“ Puh, das wäre geschafft! Nun war sie endlich los, was sie sagen wollte.

Er legte den Kopf leicht zur Seite und sah aus, als würde er sie jeden Moment küssen. „Signe, du nimmst das alles viel zu ernst.“

Sie blickte ihn unsicher an. „Zu ernst?“

„Ja. Du hast ja Recht. Ich liebe mein Leben, und deshalb bin ich überzeugter Junggeselle.“

Beim Frühstück hatte er sie mit Geschichten aus seinem Leben unterhalten, sogar von solchen Dingen, von denen sie früher gedacht hätte, sie würden sie nicht interessieren. Dabei hatten sie ihr wirklich gefallen und sie amüsiert.

Er hatte von seiner Prüfung als Wildkatzenfänger erzählt, davon, wie er die beiden Katzen gefunden hatte, die bei ihm wohnten, und von seiner Familie, der er sich immer noch verbunden fühlte, auch wenn er ein anderes Leben führte als seine Eltern und sein Bruder.

Jetzt aber schien es richtig spannend zu werden. „Wie überzeugt?“ fragte sie.

„Sehr.“

„Warum?“

„Ich traue Frauen nicht.“

„Schon mal die Finger verbrannt?“

„Wer hat das nicht? Und du hörst dich an, als wolltest du irgendwann heiraten, vorzugsweise einen Akademiker. Erinnerst du dich, wie ich dir erzählte, ich wäre das schwarze Schaf der Familie? Diesen Ruf verdanke ich vor allem meiner Weigerung zu heiraten. Meine Tante Anna hat mich deswegen sogar aus ihrem Testament gestrichen, soweit ich weiß“, sagte er lachend. „Ich habe sämtliche Erwartungen enttäuscht, bin auf den falschen Schulen gewesen und habe mir die falschen Hobbys ausgesucht.“ Mit gesenkter Stimme fügte er hinzu: „Nicht zu vergessen die falschen Frauen.“

Sie musste lachen. „Inwiefern falsch?“

„Na, du weißt schon: zu kurze Röcke, zu enge Oberteile.“

„Klingt gefährlich.“

Er schüttelte den Kopf. „Für mich klingt’s nach einer Menge Spaß.“

„Spaß finde ich gut.“ War das tatsächlich aus ihrem Mund gekommen? Mein Gott, was war denn in sie gefahren?

„Kannst du dir vorstellen, dass wir einfach nur Sex haben, Signe?“

„Ohne Komplikationen?“

„Genau.“

Der Mann war brillant. Und sie eine alberne Kuh! Was war denn mit ihr los, dass sie sich Sorgen machte, ob er sich die Anzüge und das Manhattan-Men-Programm leisten konnte? Wie war sie bloß auf die idiotische Idee gekommen, er könnte mehr von ihr wollen als eine heiße Affäre?

„Betrachte mich einfach als die Sorte Mann, mit der Frauen ein paar wilde Nächte erleben, bevor sie weiterziehen und ihren Börsenmakler heiraten.“

Und was war, wenn ihr Herz nicht weiterziehen wollte? „Ich wohne im Village.“

„Lass uns ein Taxi nehmen. Draußen vor der Tür stehen jede Menge.“

„Was machen wir dann noch hier?“

„Ich schätze, du möchtest mich gern noch küssen, bevor wir ins Taxi springen.“

Sie lachte leise. „Will ich das?“

Er nickte. In dem Moment erklang hinter ihnen die Stimme des Verkäufers. „Kann ich Ihnen noch etwas anderes bringen?“

Nein. Was Signe wollte, hatte sie bereits.

„Danke, wir haben alles gefunden, was wir suchten“, antwortete James.

„Passen die Anzüge, Sir?“

„Perfekt. Wir nehmen beide.“

„Da wären wir“, sagte sie und fragte sich, ob ihm gefallen würde, wie sie die Wohnung eingerichtet hatte. Den ganzen Weg hierher hatte er im Taxi ihre Hand gehalten. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, und ihre Beine zitterten.

Er pfiff. „Nicht schlecht. In dieser Gegend eine so große Wohnung zu finden, ist eine echte Herausforderung, noch dazu, wenn sie bezahlbar sein soll.“

„Wie kommt es, dass du dich mit den Immobilienpreisen in Manhattan auskennst?“

„Tja, die Catskills sind zufällig auf demselben Planeten.“

Ach ja, und er hatte einen Bruder erwähnt, der in der Stadt lebte, fiel ihr wieder ein. „Meine Freundin ist Maklerin“, erklärte sie. „Und die Wohnung war nur zur Untermiete auf fünf Jahre befristet zu haben, daher konnte ich sie deutlich unterm Marktpreis mieten.“

„Verstehe.“ Er betrachtete die Einrichtung. Der Boden war mit schwarzem Teppich ausgelegt, und das Mobiliar bestand vornehmlich aus alten Korbmöbeln, die frisch lackiert waren. Rot war eindeutig die dominante Farbe.

„Meine Freundinnen haben mir bei der Einrichtung geholfen.“ Diane hatte die Idee gehabt, Vorhangstoffe aus Secondhandläden zusammenzutragen, alle in leuchtenden Farben wie Knallrot, Smaragdgrün, Königsblau und Sonnengelb. Dann hatten sie die Stoffbahnen oben zusammengenäht, so dass das Licht aus den durchgehenden Fenstern nun durch Lage um Lage an Stoff fiel und mit jeder Bahn einen neuen Ton hinzugewann.

„Ihr solltet Innenarchitektinnen werden“, sagte er und sah ehrlich beeindruckt aus. „Erinnert mich irgendwie an einen Harem.“

Sie lachte. „Du kennst dich mit Harems aus?“

„Leider nicht, würde ich aber gern.“

„Na, dann betrachte diesen als deinen ersten“, sagte sie. „Der Mietvertrag läuft leider in zwei Jahren aus.“

„Das wird bestimmt hart. Wohnungen wie die hier sind schwer zu finden. Aber du endest hoffentlich nicht wie die Leute in Die Sklaven von New York.

Sie kannte die Geschichte von Leuten, die nur deshalb bei ihren Partnern blieben, weil die Mieten so hoch waren. „Du hast das Buch gelesen?“

Er schüttelte den Kopf. „Den Film gesehen.“

Der Mann überraschte sie beinahe jedes Mal, wenn er den Mund aufmachte. Im Gegensatz zu den meisten Männern, die bisher hier gewesen waren, gefiel ihm ihre Einrichtung. Und er sah auch noch romantische Komödien. Na ja, er hatte zumindest eine romantische Komödie gesehen. «Du magst Filme?»

„Ich liebe Filme.“

„Wirklich?“

„Klar. In meiner Höhle in den Bergen ist nicht besonders viel los, aber es gibt einen Videoshop in der nächsten Stadt. Da hole ich uns öfter Filme, die die Katzen und ich uns ansehen, während wir Unmengen Popcorn vertilgen.“

„Ich mag auch sehr gern Filme.“

„Ich wusste doch, dass wir eine Gemeinsamkeit finden, wenn wir nur gründlich genug suchen.“

„Wir sind in Amerika. In diesem Land mag jeder Filme“, konterte sie.

„Du verstehst es, den Männern Mut zu machen“, sagte er lächelnd. „Bist du immer so abweisend, wenn jemand harmlos mit dir plaudern will?“

„Nein, bloß dann, wenn ich im Begriff bin, mit demjenigen zu schlafen.“

Er sah sie an. „Nun, was verschwenden wir hier eigentlich noch unsere Zeit?“

„Was hältst du davon, wenn du dich allein ein bisschen umsiehst, während ich uns einen Drink hole?“

„Soll mir recht sein.“

Instinktiv steuerte er exakt den richtigen Raum an – das Schlafzimmer. Signe ging derweil in die Küche, wo noch eine Flasche Champagner im Kühlschrank sein musste, die C.C. ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Angeblich kostete so eine Flasche ein halbes Vermögen, aber dafür schmeckte es laut C.C. auch wie flüssiges Gold.

„Ja!“ flüsterte sie entschlossen, als sie die Flasche aus dem Kühlschrank holte, sie öffnete und sich auf die Suche nach den Sektflöten machte, die sie vor zwei Jahren von Diane zu Weihnachten bekommen hatte. Was James wohl gerade machte?

Sie hoffte, ihm gefiel das Schlafzimmer ebenso gut wie das Wohnzimmer. Im letzten Jahr hatte sie sich ein weißes Stahlrohrbett gekauft, dessen schmiedeeiserne Pfosten beinahe bis zur Decke reichten. Auch sonst war das Zimmer fast ganz in Weiß gehalten, mit viel Spitzen – sehr feminin eben, aber nicht mädchenhaft.

Signe prüfte die Sektflöten im Gegenlicht. „Perfekt“, sagte sie und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer.

Er hatte es offenbar gefunden, denn er lag im Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen und die Augen geschlossen. Das durfte doch nicht wahr sein! Enttäuscht beobachtete sie eine Weile, wie sich die Decke bei seinen tiefen Atemzügen hob und senkte.

Na ja, eigentlich konnte sie verstehen, dass er müde war. Er war schließlich eigens aus den Catskills hier angereist, um sie zu sehen. Also sollte sie ihn schlafen lassen.

Andererseits hatte sie gerade den unglaublich teuren Champagner geöffnet, der schal wurde, wenn James nicht bald aufwachte. Ganz abgesehen davon, dass sie sich eigentlich erhofft hatte, ihn hellwach und möglichst nackt vorzufinden.

Stattdessen lag er flach auf dem Rücken und rührte sich nicht. Seufzend stellte sie den Champagner und die zwei Gläser auf dem Nachtschrank ab, stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn ratlos an. Was sollte sie jetzt tun?

Sie überlegte noch, als sich James’ Hand bewegte. Dann öffnete er die Augen und lächelte sie an. Er hatte gar nicht geschlafen! Und wie er sie ansah. Er entkleidete sie praktisch mit seinem Blick. Signe hatte ihren Schal bereits im Wohnzimmer abgelegt, und wie in Trance öffnete sie nun die Knöpfe ihres Kleides.

Darunter trug sie nur einen Seiden-BH und eine passende Strumpfhose. James riss die Augen auf, als er den kleinen Stecker in ihrem Bauchnabel entdeckte, den sie in den Catskills nicht getragen hatte.

„Irgendwelche Tattoos?“ fragte er mit rauer Stimme.

„Nein, aber vielleicht kannst du mir eines aufmalen.“

„Wäre mir ein Vergnügen. Schwebt dir ein bestimmtes Motiv vor?“

„Du meinst, außer dem Herzen mit deinem Namen drin, Süßer?“ scherzte sie. „Nein.“

Er sah ihr zu, wie sie das Kleid zur Seite warf. „Komm her, Signe.“

„Wart’s ab.“

„Wenn du dich nicht beeilst, komme ich und hol dich.“

„Zuerst schenk ich uns mal von dem Champagner ein“, sagte sie und goss ein Glas voll, da sie beschlossen hatte, dass sie gemeinsam aus einem trinken könnten. Sie nippte daran und benetzte ihre Lippen mit der sanft sprudelnden Flüssigkeit. Dann ging sie zum Bett. „Ich dachte wirklich, du wärst eingeschlafen.“

„Reingelegt“, murmelte er und zog die Decke zurück. Er war nackt darunter und sah kein bisschen weniger umwerfend aus, als sie ihn erinnerte.

„Kann man wohl sagen“, antwortete sie und musterte ihn fasziniert von oben bis unten.

Sie ging um das Bett herum und reichte ihm die Sektflöte. „Trink“, sagte sie und öffnete den Frontverschluss ihres BHs. „Du wirst es brauchen.“

Doch er rührte sich nicht, ehe sie nicht nackt neben ihm lag. Dann aber begann er, sie Millimeter für Millimeter mit Champagner zu benetzen, angefangen bei ihrem Schlüsselbein bis hinunter zu ihren Beinen. Und jetzt trank er.

7. KAPITEL

James konnte sich kaum auf das konzentrieren, was Signe ihm erzählte, da er seit einer Weile das Gefühl hatte, ihnen würde jemand folgen. Sie gingen den Wendelgang des Guggenheim-Museums hinauf, wo gerade ein neuer Künstler aus SoHo, Ralph Klein, ausgestellt war, der sich auf Katzenbilder spezialisiert hatte.

Signe hatte diese Ausstellung gewählt, um James in die Museumsetikette einzuführen. James drehte sich um. Kein Zweifel, der Fremde war ungefähr zwanzig Schritt hinter ihnen und versuchte vergebens, nicht aufzufallen. Wie sollte das wohl gehen? In seinem billigen blauen Anzug und der senfbekleckerten Krawatte war der Mann hier vollkommen fehl am Platz.

„Dieses Bild liebe ich besonders“, sagte Signe, die vor einem der Porträts stehen geblieben war. „Er hat zwei Bilder von Bengalkatzen gemalt. Ist er nicht großartig? Sieh dir mal dieses Bild an und dann noch mal das da vorn von der ägyptischen Katze oder das weiter hinten von der Cornish Rex. Die Art, wie er bei jeder Katzenart die Besonderheiten hervorhebt, zeigt, dass der Mann Unglaubliches mit dem Pinsel anstellen kann. Die Details sind phänomenal. Nun sind Katzen immer sehr faszinierend, weil sie so eine starke Persönlichkeit ausstrahlen, aber bei ihm werden sie lebendig, findest du nicht?“

Ja, James musste zugeben, dass man beim Betrachten beinahe glaubte, das Fell fühlen zu können. „Ich mag die schwarze kleine Katze.“

Signe lachte, als sie das Bild von der kleinen Katze betrachtete, die einen Buckel machte und zwischen diversen Halloweendekorationen, unter anderem einem Hexenhut und einem Besen, hockte.

„Ist das einer deiner Besen?“ fragte James.

„Nein, aber die Katze könnte ein Exlover von mir sein, der mir auf die Nerven ging, weshalb ich ihn leider verhexen musste.“

„Dann sollte ich mich wohl besser benehmen, sonst kann Klein demnächst ein Porträt von mir machen“, sagte James lachend. „Übrigens, die Katze, die du so schön findest, sieht irgendwie seltsam aus. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so eine Katze gesehen zu haben.“

„Im Wald wohl kaum. Das ist eine Bengalkatze, ein richtig teures Rassetier.“

Er schüttelte den Kopf. „Man züchtet Katzen, die aussehen wie Minitiger?“

„Klar. Die Züchtung geht zurück auf eine Kreuzung aus den Sechzigern zwischen einer Hauskatze und einem asiatischen Leoparden. Sind sie nicht süß? Sie sehen wirklich wie winzige Tiger aus. So eine Katze hätte ich gern.“

„Na ja, sie haben dieselbe Fellmarkierung wie Tiger.“

„Stimmt. Die Devon-Rex-Katzen gefallen mir auch gut.“

James nahm sie beim Ellbogen und zog sie ein bisschen näher zu sich, bevor er sich ein weiteres Mal umsah. „Das sind die mit dem gelockten Fell, richtig?“

„Genau. Sie sind sehr selten. Andere Züchtungen wie Perser, Siamesen und Abyssinier sind da schon bekannter.“

„Tja, ich glaube, mir sind die Wald- und Wiesenkatzen am liebsten“, bemerkte James und hoffte, dass es seinen beiden Katzen gut ging, die er für eine Woche in der Tierstation untergebracht hatte. „Ich habe irgendwie ein gestörtes Verhältnis zu tollen Stammbäumen.“

„Und in deinen Augen bin ich wahrscheinlich snobistisch, weil ich Rassekatzen mag.“

„Nein, bist du nicht. Und was die Bengalkatzen angeht, so werde ich eine Ausnahme machen. Sie sind wirklich hübsch.“

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Seit drei Tagen wohnte er mehr oder weniger bei ihr. Zwar fuhr er regelmäßig in die Wohnung seines Bruders, um sich umzuziehen, aber das war auch fast alles. Und der Sex mit Signe war fantastisch, absolut erstaunlich. Sie liebten sich, als wären sie seit Jahren aufeinander eingespielt, und zugleich wirkte nichts routiniert. Und wenn sie zusammen im Bett waren, erlebte James eine emotionelle Nähe, wie er sie noch zu niemandem gehabt hatte.

Abends bummelten sie durch die Stadt, sahen sich die Schaufenster an oder beobachteten einfach die Leute auf den Straßen. Sie waren in einer Broadway-Show gewesen und bei dem Edelitaliener, hatten die wichtigsten Adressen New Yorks abgeklappert – einschließlich der berühmtesten Hotelhallen und sonstiger Sehenswürdigkeiten.

James fühlte sich, als kenne er Signe seit Jahren und nicht erst seit ein paar Tagen. Bereits in jener Nacht in seiner Hütte hatte er eine seltsame Verbundenheit mit ihr gespürt, die ihn seither nicht mehr losließ. Gab es vielleicht doch so etwas wie ein Schicksal, das sie beide füreinander bestimmt hatte?

Er wusste es nicht. Was er allerdings genau wusste, war, dass er kein Mann zum Heiraten war. Dafür erschien ihm eine Beziehung nicht mehr ganz so abwegig wie früher – und das passierte ihm zum ersten Mal.

Der Unbekannte folgte ihnen immer noch. Er beobachtete eindeutig Signe. Zugegeben, in ihrem rostfarbenen Blazer zur schwarzen Hose und den schwarzen Stiefeln sah sie wirklich umwerfend aus, dennoch gab das niemandem das Recht, sie zu verfolgen.

Signe schien von all dem nichts mitzubekommen. Sie plapperte munter weiter über die Bilder von Klein. „Sieh dir mal die Details auf diesem Bild genauer an. Faszinierend, nicht? Ehe Klein mit seinen Katzenporträts den Durchbruch schaffte, war sein Lebenslauf beinahe deckungsgleich mit dem von Andy Warhol: erst Kunststudium am Pittsburgher Kunstinstitut und anschließend Illustrator von Kinderbüchern.“

James ging absichtlich etwas langsamer. Sie würden jeden Moment oben sein, und er wollte, dass der Mann sie einholte. Er tat, als betrachte er eine Fotografie in einem Glasrahmen, während er in Wirklichkeit die Glasscheibe als Spiegel nutzte. „Woher weißt du das alles?“

„Ich habe am College Kunst studiert“, sagte sie und blieb vor einem anderen Bild stehen. „Kunst ist meine große Leidenschaft, und Klein mag ich ganz besonders. Vor ein paar Monaten habe ich einen Vortrag von ihm gehört. Er war zu einem Kunstforum an der Columbia-Universität geladen. Einige seiner Katzenbilder waren dort ausgestellt.“

James bemerkte, wie der Mann sich immer näher an sie heranschlich. Der Kerl hatte Nerven! Wollte er sie jetzt etwa auch noch belauschen?

„Klein erzählte, wie er das Gold für die Augen dieser Katze gemischt hatte. Alle seine Farben sind selbst gemischt, aber die hier ist wirklich außergewöhnlich, so kräftig und weich zugleich, fast wie Samt, findest du nicht?“

Er hörte kaum zu, denn in diesem Moment griff er hinter eine Trennwand unmittelbar neben ihnen, packte den Unbekannten grob am Ärmel und zog kräftig. Der Mann stolperte hinter der Holzwand hervor.

Der Fremde war spindeldürr und trug den albernsten Schnauzer, den James je gesehen hatte.

Er hielt ihn immer noch fest. „Wer sind Sie?“

Der Mann wirkte vollkommen ruhig und gefasst. „Das wird Ihnen Miss Sargent gewiss gern erklären“, antwortete er.

Signe setzte sich auf die Beeteinfassung vor dem Museum. James hockte sich neben sie. Detective Perez hatte es geschafft, ihr einen perfekten Nachmittag zu ruinieren. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Wenn er sie schon länger verfolgte, dürfte er inzwischen wissen, dass es sich bei den drei Frauen auf dem Bild der Sicherheitskamera um ihre Freundinnen handelte. Aber war das ein Grund, im Museum vor allen Leuten seine Polizeimarke zu zücken, als wäre Signe die schlimmste Kriminelle aller Zeiten?

Wie viel sollte sie James erzählen? Er sah besorgt aus, und prompt meldete sich Signes schlechtes Gewissen. Schließlich hatte sie die Polizei belogen oder ihr zumindest Teile der Wahrheit verschwiegen.

„Dann war das mit der gestohlenen Statue nicht gelogen?“ fragte James.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Weißt du, ich habe immer davon geträumt, im Metropolitan Museum zu arbeiten. Deshalb habe ich Kunst und Bibliothekswissenschaften studiert.“

„Aber du hast in dem Café gearbeitet?“

„Ja, weil ich dachte, wenn ich schon mal die Leute kennen lerne, die die Stellen vergeben, habe ich vielleicht bessere Chancen.“

„Keine schlechte Strategie. Außerdem halte ich dich für geeignet. Du scheinst eine Menge von Kunst zu verstehen.“

Er wollte wohl einfach nur nett sein, dachte sie gerührt. Wie wollte ein Wildhüter schon beurteilen können, ob sie sich für den Museumsjob eignete oder nicht? Trotzdem taten ihr seine Worte gut. „Danke, James.“

Und was nützte ihr das ganze Wissen über Kunstgeschichte und übers Archivieren jetzt? Ihre tollen Abschlüsse konnte sie ebenso gut feierlich verbrennen, denn wenn Perez erst mal erzählte, dass sie ihre Freundinnen unter falschem Namen auf die Privatparty geschmuggelt hatte, würde sie in keinem Museum Amerikas mehr einen Job finden.

Sie atmete tief durch. „Die Party wurde von einem großen Computermogul veranstaltet, der mit einem der Garritys befreundet ist“, erklärte sie. „Vielleicht hast du schon mal von ihnen gehört. Die Familie ist steinreich.“

„Aha.“

„Sie besitzen eine große Kunstsammlung. Einige der Ausstellungsstücke im Met sind Dauerleihgaben der Garritys.“ Sie schüttelte den Kopf. „Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn einem tatsächlich ein Rembrandt oder ein Vermeer gehört, wenn man einen Degas im Wohnzimmer hängen hat?“

Er sah aus, als wüsste er nicht, was er darauf antworten sollte. Normale Menschen konnten eben den unglaublichen Reichtum von Leuten wie den Garritys nicht fassen.

„Na ja, jedenfalls an dem Abend hatte Harold Garrity, der mit Anna Garrity verheiratet ist, einer geborenen Marmaduke, die um ein Haar Hans Johannes, den Tennisspieler geheiratet hätte …“

„Du scheinst dich gut auszukennen“, unterbrach er sie.

„Tu ich. Ich lese gern die Klatschspalten. Aber ich bin nicht wild darauf, mir einen reichen Mann zu angeln, falls du das denken solltest.“

Er lächelte. „Und ob, nur dass du dich eher in der gehobenen Mittelklasse umsiehst und nicht unter den oberen Zehntausend.“

„Wer will mir übel nehmen, wenn ich mir ein angenehmes Leben wünsche?“

James zuckte mit den Schultern. „Und was ist mit l’amour?“

„Nun, das eine schließt das andere ja nicht automatisch aus.“

„Stimmt.“

„Was ich jedenfalls gerade sagen wollte: An dem Abend hatte Harold Garrity dem Museum eine Statue geliehen, und die wurde gestohlen. Genau genommen handelt es sich um einen namenlosen Fetisch, allerdings nennt man ihn oft den Eros vom Nil, und angeblich soll er die sexuelle Potenz fördern.“ Sie erschauderte.

„Geht es dir gut?“

„Bestens, mir ist bloß kalt“, sagte sie. Die letzten warmen Tage des Spätsommers waren wohl endgültig vorüber. Der Winter stand vor der Tür, und auf einmal dachte Signe, wie gern sie jemanden hätte, mit dem sie gemeinsam vor dem Kamin in ihrer Wohnung sitzen konnte.

„Komm her“, murmelte James, legte einen Arm um sie und zog sie ganz nah zu sich. An ihn geschmiegt zu sein, war ein wunderbares Gefühl.

„Du fühlst dich gut an“, sagte sie.

„Freut mich.“

„Weißt du was? Ich könnte einen Kaffee vertragen.“

„Warte hier“, sagte er und stand auf. „Ich bin gleich wieder da.“

Dann eilte er ein Stück weiter die Fifth Avenue hinauf zu einem Kiosk. Ein wirklich netter Kerl, dachte sie. Erst beschützte er sie vor Detective Perez, und jetzt besorgte er ihr auch noch heißen Kaffee. Sie war so gerührt, dass ihr plötzlich zum Heulen war.

Wenige Minuten später kam er mit zwei Kaffeebechern in der Hand zurück. Seine offene Jacke flatterte im Wind. Darunter trug er ein blau-weiß kariertes Flanellhemd, das in dieser Gegend eher ausgefallen wirkte, und Signe musste unwillkürlich schmunzeln.

Als er nahe genug war, sagte sie: „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du aussiehst wie ein Holzfäller?“

„Na ja, bei dieser Kälte könnte es nicht schaden, ein paar Scheite zu schlagen und ein Feuer anzumachen.“

„Genau daran dachte ich auch gerade“, meinte sie lächelnd. Vielleicht war diese ganze Naturverbundenheit doch nicht so abstoßend, wie sie immer gedacht hatte.

Er zwinkerte ihr zu. „Ein schöner heißer Apfelpunsch und ein großer Fellteppich vor dem knisternden Feuer, das wär’s.“

„Ein Tierschützer und ein Fellteppich? Wie geht das denn zusammen?“

„Okay, ein Kunstfell“, korrigierte er sich lachend.

„Na gut, dann bewirft uns wenigstens niemand mit roter Farbe.“

„Machen die Tierschutzaktivisten das immer noch?“

„Keine Ahnung.“ Sie blickte an sich hinunter. Sie trug einen Wildledermantel. „Ich gestehe, ich mag Leder.“

„Glaubst du, Lederträger attackieren sie auch?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich schätze, sie machen da keine großen Unterschiede.“

„Hier“, sagte er, nachdem er den Deckel von ihrem Kaffeebecher abgenommen hatte. Der Kaffee war stark und mit genau der richtigen Menge Sahne. Signe musste daran denken, dass sie im letzten Jahr mit einem Mann namens Steven Stuart ausgegangen war. Nach drei Monaten wusste er immer noch nicht, wie sie ihren Kaffee trank. Da hatte sie Schluss gemacht.

Ihr Vater hatte die Geschichte mit seinem üblichen „Hab ich ja gleich gesagt“ kommentiert, und ihre Mutter hatte ihm zugestimmt. Wenn sich ein Mann schon nicht merken konnte, wie sie ihren Kaffee trank, dann würde er sich die wichtigen Dinge erst recht nicht merken, hatte Signes Mutter gemeint.

James setzte sich neben sie und legte wieder seinen Arm um sie. „Wie kommt Detective Perez darauf, dass du die Statue gestohlen haben könntest?“

„Weil ich dafür verantwortlich war, die Alarmanlage einzuschalten.“

„Und das hast du natürlich getan.“

Im Gegensatz zu ihren Freundinnen zweifelte er keine Sekunde daran, dass sie alles richtig gemacht hatte! „Was er mir allerdings nicht glaubt, obwohl ich mich deutlich erinnere, sie eingeschaltet zu haben.“

„Ist dir irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, und ich bin den Abend wieder und wieder durchgegangen. Außerdem hat Detective Perez meines Wissens alle Gäste befragt.“ Sie überlegte. „Bis auf die Kinder, soweit ich mich erinnere.“

„Kinder?“

„Ja, einige der Gäste hatten ihre Kinder dabei.“ Sie schmunzelte. „Sie hatten witzige Kostüme an. Eines war als Kürbis verkleidet, und ein kleines Mädchen war eine ganz süße Hexe.“

„Du magst Kinder wohl, was?“

„Wer nicht?“ Wie verrückt, dass sie dieses Thema ansprachen. Normalerweise sprachen ein Mann und eine Frau erst dann über Kinder, wenn sie darüber nachdachten, gemeinsam welche in die Welt zu setzen.

Aber sie sollte dem wahrscheinlich keine weitere Bedeutung beimessen. Noch dazu, da es momentan um ganz andere Dinge ging. Sie überlegte. „Wie dem auch sei, so gründlich wie Perez bei seiner Befragung war, gehe ich davon aus, dass er jede einzelne Möglichkeit geprüft hat. Und übrig geblieben bin ich als Hauptverdächtige. Dabei habe ich so hart gearbeitet und dachte, jetzt würde alles gut werden.“

„Klingt, als würdest du sonst nicht hart arbeiten.“

„Doch schon, aber ich hatte zum ersten Mal eine echte Chance, meinen Traumjob zu bekommen. Und jetzt steht alles auf der Kippe. Ich kann doch nicht ewig für Diane jobben.“

„Warum nicht? Es gibt Schlimmeres, als dauernd mit aufregenden Männern wie mir auszugehen.“

„Nichts gegen dich, doch mein Lebenstraum sieht anders aus.“

„Kommt jetzt das große Selbstmitleid?“

„Nein, entschuldige.“

„Du musst dich nicht entschuldigen.“

Sie lachte. „Aber was soll ich denn sonst machen?“

Er zwinkerte ihr zu. „Da fällt mir ganz bestimmt etwas ein.“

Signe nippte an ihrem Kaffee. „Ich hatte gedacht, die Geschichte würde sich schnell klären. Weißt du, an dem Abend hatte mir mein Boss, Edmond Styles, gerade gesagt, dass im Archiv eine Stelle frei würde, für die er mich vorgesehen hatte. Wahrscheinlich hat er sie inzwischen mit jemand anderem besetzt.“

Sie hatte sich nicht getraut, im Museum anzurufen und nachzufragen, weil sie insgeheim hoffte, dass noch nicht alles verloren war. Um sich diese Hoffnung nicht zu zerstören, hatte sie sich nicht bei Edmond Styles gemeldet.

„Darüber sollten wir nicht nachgrübeln, solange wir nichts Genaueres wissen. Ich hätte eine bessere Idee, was wir mit unserer Zeit anfangen könnten“, sagte James.

„Und die wäre?“

„Als ich den Film Serendipity – Weil es dich gibt sah, fiel mir auf, dass Frauen dazu neigen, ihren Kummer mit Schokolade zu kompensieren, vorzugsweise im Eiscafé gleichen Namens. Was hältst du davon, wenn wir dahin gehen und uns einen gigantisch großen Bananensplit gönnen?“

„Sehr viel“, sagte sie und strahlte ihn an. „Du bist ja fast so gut wie meine Freundinnen.“

„Fast?“

„Nun ja, so bitter es für dich sein mag, aber Freundinnen sind eben ein bisschen wie Haustiere.“

„Wieso?“

„Na, wenn die Männer wieder weg sind, sind die Freundinnen immer noch da.“

„Mag sein. Dafür kann ich ein paar Sachen, die deine Freundinnen bestimmt nicht können?“

„Ach ja? Welche?“

„Ich zeig sie dir, nachdem wir im Serendipity waren“, versprach er.

Zwei Stunden später lehnte Signe den Kopf weit in den Nacken zurück und erschauderte vor Wonne. Mit halb geschlossenen Augen blickte sie in das lodernde Kaminfeuer.

Auf dem Rückweg zu ihrer Wohnung hatte James darauf bestanden, dass sie warmen Apfelpunsch, Blumen und Feuerholz kauften. Zu Hause hatte er dann den Kamin angemacht und sie ausgezogen – Stück für Stück. Und jetzt verteilte er angenehm warme Schokoladensauce auf ihrem Busen.

„Wie gut, dass wir Sauce zum Mitnehmen bekommen konnten“, stellte er fest.

„Kann man wohl sagen. In dem Eiscafé hätten wir das hier wohl kaum machen dürfen“, sagte sie ein wenig atemlos.

Er beugte sich über sie und küsste sie. Anschließend folgte er mit seiner Zungenspitze den Linien des Schokoladenlabyrinths, das er auf Signes Haut gemalt hatte. Dabei sparte er zunächst scheinbar absichtlich all jene Stellen aus, an denen sie sich am meisten nach seiner Berührung sehnte.

Er spielte mit ihr, und seiner Fantasie schienen keine Grenzen gesetzt. Sie wurde immer ungeduldiger, wild vor Lust und Verlangen, doch er reizte und neckte sie weiter.

„Komm schon“, bettelte sie atemlos, nahm seine Hand und führte sie zum Bündchen ihres Seidenslips. Aber er leckte Schokoladensauce von ihrem Busen und hielt ihre Hand fest, kaum dass sie den mittlerweile sehr lästigen Slips bis kurz über ihr Knie hinuntergezogen hatte.

Dann legte er ihre Hand auf seinen Jeansreißverschluss, der sich verräterisch vorwölbte. Selbst durch den dicken Stoff spürte sie die Hitze seiner Erregung. Sie presste ihre Finger darauf, bis James stöhnte.

Mit der anderen Hand öffnete sie den Knopf und begann, die Jeans und seinen Slip hinunterzuziehen, während seine Zunge sie weiterhin liebkoste.

Obwohl sie sich erst wenige Tage kannten, war der Sex so perfekt, als hätten sie sich über Jahre aufeinander eingespielt. Signes Körper schien gleichsam dafür gemacht, sich von seinem verwöhnen zu lassen. Mit James erlebte sie eine Ekstase, die sie nie für möglich gehalten hätte.

Sie fragte sich, ob sie jemals wieder ohne ihn sein könnte. Pure Lust erfüllte sie, und sie streichelte ihn wieder, während er an ihren Nippeln sog, dass sie beinahe schmerzten vor Erregung.

Schließlich flehte sie ihn an, endlich in sie einzudringen, doch er hatte offenbar andere Pläne, denn er stand auf und zog sich in Windeseile aus. Erst als er nackt vor ihr stand, begriff sie, was er wollte. O ja, sie konnte sich gut vorstellen, wie warme Schokoladensauce schmeckte, wenn sie sie von ihm ableckte.

Sie kniete sich hin, nahm die Schokoladensauce und sprühte ihn damit ein. Dann begann sie, sie genüsslich abzuschlecken. Etwas derart Erregendes hatte sie noch nie getan. Sie liebte es, ihn vor Lust stöhnen zu hören, zu spüren, wie er sich ganz dem hingab, was sie mit ihm machte.

Noch ein-, zweimal nahm sie ihn ganz in den Mund, dann konnte er nicht mehr. „Stopp“, sagte er heiser und warf sie praktisch zurück in die Kissen. Er umfasste ihre Hüften und zog sie ganz nah zu sich. Hinter ihm tanzten die Flammen im Kamin, während er sich über sie beugte.

Er holte ein Kondom aus seiner Jeanstasche, packte es aus und streifte es sich über, ehe er mit den Händen ihre bebenden Schenkel entlangstrich. Er drückte sie behutsam ein wenig auseinander, aber nur so weit, wie es ihr Slip zuließ, der nach wie vor oberhalb ihrer Knie hing.

Signe war nicht sicher, ob er ihn ihr eigentlich hatte ausziehen wollen und es dann vor lauter Ungeduld vergessen hatte. Jedenfalls stützte er im nächsten Augenblick die Ellbogen neben ihrem Kopf auf und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund, während er in sie eindrang.

Sie versuchte, ihre Beine weiter zu spreizen, woran sie der Slip hinderte. Die Enge verlieh seinen Bewegungen in ihr eine Intensität, dass ihr der Atem stockte. Ihre Erregung baute sich binnen Sekunden auf, und seinem Stöhnen nach zu urteilen, ging es ihm genauso.

Signe schloss die Augen, kurz bevor sie gemeinsam den Höhepunkt erreichten. Sie spürte, wie er in ihr pulsierte. Seine Arme umklammerten sie fest, und ihr Körper vibrierte mit jedem seiner ekstatischen Atemzüge mit. Es war wunderbarer als alles, was sie bisher erlebt hatte.

„Erstaunlich“, flüsterte er hinterher.

Anschließend blieben sie einfach eng umschlungen liegen. Sie sprachen nicht, sondern lagen bloß da. Und irgendwann schliefen sie ein.

8. KAPITEL

„Warum behandelst du mich wie ein Macho?“ flüsterte Signe am nächsten Abend.

„Tu ich gar nicht“, verteidigte James sich.

„Das sagst du.“ Sie waren auf dem Weg zu einem französischen Bistro am Times Square gewesen, von dem sie gehört hatte, als sie aus dem Bryant Park neben der städtischen Bibliothek Musik gehört hatten.

James hatte sie kurz entschlossen in den Park gezogen, wo sie nun mit dem Rücken an ihn gelehnt stand, seine Arme um ihre Taille geschlungen.

„Ich möchte wissen, was sie gerade spielen.“

„Mozarts vierte Sinfonie“, sagte er.

Sie lachte. „Bist du sicher, dass es kein Violinkonzert von Beethoven ist?“

„Absolut“, versicherte er und drückte ihr einen Kuss aufs Haar.

„Als wenn du dich mit klassischer Musik auskennst!“ sagte sie lachend. „Pass auf, dass du dich nicht verletzt“, warnte sie ihn, als er ihren Hals küsste. Sie hatte sich kleine Glasperlen in die Haare geflochten, so dass sie im frühen Abendlicht funkelten.

„Du siehst heute Abend wahrlich extravagant aus.“

„Ein großes Wort für einen Wildhüter.“

„Dein Kleid wirkt Wunder auf meinen Wortschatz.“

„Danke, und du siehst superkalifragilistischexpialigetisch aus.“

„Ein großes Wort für eine kleine Hexe. Ich dachte, du bist eher an Abrakadabra oder Hokuspokus gewöhnt.“

„Bin ich auch, aber heute Abend verkneife ich sie mir. Ich möchte schließlich nicht riskieren, meinen Prinzen aus Versehen in einen Frosch zu verwandeln.“

Er lachte. „Stimmt, das könnte uns den ganzen Spaß verderben.“

Sie hatte ein aufreizendes schwarzes Kleid angezogen, das sie sich vor drei Jahren gekauft hatte. Damals war es zwischen C.C. und ihrem langjährigen Freund, einem Hockeyspieler, so ernst geworden, dass er eine Party im Rainbow-Room veranstaltete, während derer er die Verlobung bekannt geben wollte. Am entscheidenden Abend hatte er dann jedoch kalte Füße bekommen, und vor lauter Wut und Enttäuschung hatte C.C. die Beziehung beendet.

Seitdem hatte Signe nie mehr Gelegenheit gehabt, das Kleid zu tragen. In den schwarzen Stoff waren kleine Goldfäden eingewebt, und der Rücken war tief ausgeschnitten. Deshalb hatte Signe einen passenden weiten Schal dazu umgelegt, gold mit schwarzen, eingewebten Fäden. Das Ganze hatte sie mit goldenen Strümpfen und schwarzen Pumps kombiniert.

„Ehrlich, du siehst extravagant aus“, flüsterte er.

Sie lächelte. „Und ich dachte, das war gelogen.“

„Nein, es ist wahr, ich schwör’s.“

„Dann bist du ein ehrlicher Mann?“

„Überrascht?“

„Du wärst der erste, den ich kennen lerne.“

„Na, hör mal. So schlimm können deine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht unmöglich gewesen sein.“

„Nicht in dieser Woche“, gab sie zu. „Bis jetzt. Und außerdem bist du derjenige, der das andere Geschlecht auf Abstand hält.“

„Zugegeben. Normalerweise traue ich Frauen nicht.“

„Mir aber schon?“

Er grinste. „Ja, dir schon.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Und ich bleibe dabei, dass du umwerfend aussiehst.“

Sie lächelte ihn an. „Ist umwerfend besser als extravagant?“

Anstelle einer Antwort kam nur ein Lachen. Signe drehte sich um. James trug heute Abend den grauen Anzug von Barney’s und sah aus, als wäre er direkt der Titelseite eines Magazins entsprungen. Merkwürdig, dachte sie, in dieser Kleidung erinnerte er sie tatsächlich ein bisschen an den göttlichen Garrity. Er hatte zwar keine blauen, sondern braune Augen, aber ansonsten war eine gewisse Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. Dieselbe Figur, dasselbe Haar in den verschiedenen Blondtönen.

„Komm mit“, sagte er.

„Wohin? Ich möchte die Musik hören.“

„Ja, aber …“, begann er und zog sie mit sich zur anderen Seite. Nein, sie bildete es sich nicht ein. Seit sie im Park waren, manövrierte er sie dauernd auf einen anderen Stehplatz. Hatte der Mann, den sie inzwischen für perfekt hielt, vielleicht ein Problem, von dem sie nichts wusste?

Sie sah ihn an. Da fiel es ihr ein. „Perez?“ riet sie. Wahrscheinlich folgte der Polizist ihnen schon wieder, und James versuchte, ihn abzuhängen, damit sie einen ungestörten Abend verleben konnten.

„Wie bitte?“

„Folgt Detective Perez uns?“

James blickte sie an, als wüsste er gar nicht, wovon sie sprach. „Ach so, nein.“

„Und was ist dann das Problem?“

„Problem?“

„Na, ist irgendjemand hinter uns her?“

„Äh, nein.“

Sie sah ihn an. „Hast du früher mal in der Stadt gearbeitet?“ Er kannte sich auffallend gut aus, auch wenn er nach eigenem Bekunden in Long Island aufgewachsen war und danach nur in den Catskills gelebt hatte.

„Ja, früher.“ Er zuckte mit den Schultern und lächelte entschuldigend. „Ich habe bloß Hunger.“

Das kaufte sie ihm zwar nicht ab, widersprach allerdings auch nicht. Er sah einfach zu umwerfend aus, als dass sie einen Streit riskieren wollte. Also sagte sie sich, dass es wohl nicht weiter wichtig wäre, und lächelte.

Als sie jedoch auf der falschen Seite des Parks ankamen, blieb sie erstaunt stehen. „Ich dachte, du wolltest zu dem Bistro?“

„Nein, ich habe mir überlegt, vorher noch einen Schaufensterbummel in der Fifth Avenue zu machen“, antwortete er.

„Hier gibt es kaum Schaufenster“, erwiderte sie verwirrt, während er sie an der Hand an dem Café vorbeizog, das auf der Rückseite der städtischen Bibliothek lag. „Nur Pier One und das Swatch-Geschäft haben welche.“

„Ich habe die Löwen lange nicht mehr gesehen.“

Er meinte bestimmt die Steinlöwen, die die Eingangstreppe der Bibliothek bewachten. „Katzen scheinen es dir angetan zu haben“, murmelte sie.

James ließ ihre Hand los und legte ihr einen Arm um die Schultern. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Signe genoss seine Nähe.

Als sie zu ihm aufblickte, bemerkte sie, dass er sie ansah. „Was?“ fragte sie lächelnd.

Er grinste. „In diesem schwarzen Kleid hast du wahrhaftig etwas Katzenhaftes.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Miau.“

„Wechsel bloß nicht vor mir die Straßenseite“, sagte er lachend.

„Keine Sorge, ich werde dir nichts tun. Aber du solltest mich ruhig in der Nähe behalten, falls du mal jemanden mit einem Fluch belegen willst.“

„Was ist das für ein Katzenleben, in dem man ständig für jemand anderen auf Abruf ist?“

„Du würdest dich wundern, wie gut ich es schaffe, nebenbei noch ein eigenes Leben zu führen. Wir Katzenartigen haben da unsere Methoden.“

„Nach dieser Woche …“, begann er.

Sie hielt die Luft an. „Ja?“

„Ich weiß, dass es gegen die Abmachung ist, Signe. Wir hatten uns auf eine kurze Affäre geeinigt, aber …“

„Aber du willst nicht, dass es vorbei ist?“

Er schüttelte den Kopf. „Es ist einfach zu gut.“

Sie konnte kaum glauben, dass das hier tatsächlich geschah. Sollte die Liebe auf einem bizarren Umweg in ihr Leben getreten sein? Sie hatte George Garrity mit einem Zauber belegt und war an seiner Stelle mit einem Wildhüter im Bett gelandet, dessen Zärtlichkeiten sie direkt in den siebten Himmel emportrugen. „Ich weiß nicht.“

„Hast du Angst, eine Beziehung mit mir könnte bedeuten, dass du deinen Lebensstil und deine Karriereziele aufgeben müsstest?“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie sanft. „Mir scheint, du bist eine Frau, die nie die Bodenhaftung verliert, Signe Sargent.“

„Stimmt wohl.“

„Ich erwarte nicht von dir, dass du irgendetwas aufgibst.“

Es wäre verfrüht gewesen, Pläne zu schmieden, doch Signe kamen auf Anhieb alle möglichen Ideen. Schließlich hatte auch Manhattan einiges zu bieten für Leute, die gern im Freien arbeiteten. Hier gab es Zoos, große Parks und Botanische Gärten. Und hatte er nicht erwähnt, Denkmalspflege und Umweltschutz würden ihn ebenfalls interessieren?

Weiter kam sie mit ihren Gedanken nicht, denn er küsste sie mit einer Leidenschaft, die sie vollkommen vergessen ließ, wo sie sich gerade befanden, nämlich mitten in Manhattan, am Eingang eines gut besuchten Parks. Wie durch einen fernen Nebel nahm sie den Straßenlärm und die Passanten wahr.

Sie hatte nie geglaubt, dass sich ein Mann so unsagbar gut anfühlen konnte. Der Kuss erinnerte sie an den süßen Sirup, den sie heute Morgen auf ihren Pfannkuchen gehabt hatten. Das war ein weiterer eindeutiger Pluspunkt: James konnte kochen. Während sie noch schlief, hatte er ihnen Pfannkuchen gemacht, sie mit Sirup und Butter bestrichen und Erdbeeren geviertelt und gezuckert, die er dazu reichte – köstlich.

Ein Schauer lief Signe über den Rücken, als er ihre bloßen Schultern streichelte. „Wir könnten das Dinner ausfallen lassen“, schlug sie vor.

„Könnten wir. Aber was wird dann aus meinem Intensivkurs in angemessenem Benehmen?“

„Nun, je länger ich mit dir zusammen bin, umso mehr komme ich zu dem Schluss, dass du gar keinen Kurs brauchst.“

In den Stunden, die sie gemeinsam im Bett verbrachten, hatte er ihr einiges von sich erzählt. Inzwischen wusste sie, dass er das schwarze Schaf einer Familie war, in der Standesbewusstsein und Geld die Hauptrolle spielten. Und er hatte von klein auf trotzig alle Erwartungen enttäuscht, die man in ihn gesteckt hatte.

Dabei war er ein ausgesprochen ehrgeiziger Mensch. Zwar strebte er keine typische Akademikerlaufbahn an, doch seine schriftstellerischen Ambitionen nahm er sehr ernst. Signe hatte noch nichts von ihm gelesen und konnte es gewiss auch nicht beurteilen, da sie eher seichte Frauenliteratur las, aber er schien genau zu wissen, was er tat, und Kontakte zu Verlegern zu haben.

„Ich brauche vielleicht keinen Intensivkurs, aber ich sollte hin und wieder etwas essen“, wandte er ein.

„Schade“, sagte sie und küsste ihn. „Kann es sein, dass die Wirkung meines Zaubers nachlässt?“

„Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich verzauberter denn je.“

„Und trotzdem willst du dich mit so etwas Langweiligem wie Essen abgeben?“

„Na ja, nur für ein, höchstens zwei Stunden“, versprach er. „Und dann können wir direkt wieder zurück ins Bett gehen.“

„Überredet.“

In diesem Augenblick rief jemand: „James! Ich wusste doch, dass du es bist! Wir haben dich im Park gesehen. Deine Mutter sagte, du kannst es gar nicht sein, weil dich weder Tod noch Teufel in einen solchen Anzug treiben könnten.“

Überrascht trat Signe einen Schritt zurück und betrachtete den großen grauhaarigen Mann, der auf sie zukam. Er war genauso groß wie James, hatte dieselben funkelnden braunen Augen und trug einen sehr, sehr teuren Anzug sowie einen eleganten Spazierstock.

Bei ihnen angekommen, klopfte er James mit der freien Hand auf die Schulter. „Falls ihr noch nicht gegessen habt, würden wir euch gern ins Gilda’s entführen. Wir haben einen Tisch reserviert, an den man bestimmt noch zwei zusätzliche Stühle quetschen kann. Dein Bruder und Christine erwarten uns. Louise und die Kinder können leider nicht kommen, weil ihr Mann beschlossen hat, ein paar Tage nach Kuba zu fliegen. Sie sind aber nächstes Wochenende wieder in der Stadt. Dann gibt es eine letzte Party in den Hamptons, bevor der Winter endgültig einbricht. Deine Tante Anna und Onkel Harold werden uns heute Abend Gesellschaft leisten und würden sich bestimmt freuen, dich zu sehen.“

Da James nach dieser doch recht umfangreichen Begrüßung stumm blieb, wandte sich der Mann an Signe. „Guten Tag.“

„Äh, guten Tag.“

Er reichte ihr die Hand. „Ich bin Garrison Jackson Garrity“, stellte er sich vor, und als er ihren perplexen Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: „Ja, der Garrison Jackson Garrity. Doch bevor Sie jetzt meinen Sohn umbringen, möchte ich Ihnen sagen, dass Sie eine viel zu schöne junge Frau sind, um seinetwegen hinter Gittern zu landen. Und glauben Sie mir, Sie sind nicht der erste Mensch, der dachte, er wäre tatsächlich nur ein Wildhüter.“ Mit diesen Worten fasste er Signes Ellbogen und drehte sich mit ihr Richtung Park um. „Und nun, Miss …“

„Sargent“, murmelte Signe beinahe tonlos.

„Nun, Miss Sargent, werden meine Frau Jacqueline und ich entzückt sein, Sie zu einem exquisiten Abendessen einzuladen – sozusagen zum Dank dafür, dass Sie sich des vermeintlichen Wildhüters annehmen, den wir großgezogen haben.“

9. KAPITEL

Exquisit war noch maßlos untertrieben, fand Signe, als sie eine Stunde später einen Teller mit drei winzigen Salatblättern serviert bekam. Offenbar verstand Gilda Goddard, die Besitzerin des Restaurants, das unter einem „Salat“. Nach ein paar Appetithäppchen, die klein genug waren, dass man sie alle zusammen in einem Fingerhut hätte unterbringen können, hatte es eine Suppe gegeben, in der etwas Undefinierbares schwamm, das verdächtig nach Augen aussah.

Die seltsamen Klößchen wie auch die Minihäppchen hatten sensationell köstlich geschmeckt, Signe jedoch kaum geholfen, mit der Tatsache fertig zu werden, dass ihr direkt gegenüber George – der göttliche – Garrity saß, nebst seiner frisch Angetrauten.

Wie sich herausgestellt hatte, erinnerte er sich überhaupt nicht an sie. Er hatte nicht einmal reagiert, als sie sich vorstellte. Scheinbar drang ein Flirt mit einer Kellnerin gar nicht erst bis ins Langzeitgedächtnis von jemandem wie George Garrity vor. Das hätte sie wissen müssen! Und sein Bruder war sogar noch schlimmer!

Signe kochte innerlich vor Wut. Jedes Mal, wenn James seine Hand nach ihr ausstreckte oder versuchte, sie auf ihr Bein zu legen, schob sie sie energisch fort.

Sie fasste nicht, dass er ihr die ganze Zeit verheimlicht hatte, wer er wirklich war. Allein bei ihrem Gespräch vor dem Guggenheim-Museum hätte er mindestens ein halbes Dutzend Mal Gelegenheit gehabt, ihr seine wahre Herkunft zu verraten.

Dabei hatte sie heute Abend allen Ernstes eine gemeinsame Zukunft mit ihm für möglich gehalten!

Sie fasste nicht, dass Tante Anna die Anna Garrity war, dass sein Bruder, bei dem er in Manhattan „untergekommen“ war, der göttliche George Garrity war. Ganz zu schweigen von dem Haus in Long Island, in dem er aufgewachsen war, das wohl mit „Palast am Meer“ treffender umschrieben wäre!

James Garrity war mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden, in jenem Mund, mit dem er sie geküsst hatte, dass ihr die Sinne schwanden. Und die ganze Zeit hatte er mit keinem Wort angedeutet, wer er wirklich war.

Signe verstand selbst nicht, warum sie nicht längst aufgestanden und gegangen war. Die Geschichte war doch vollkommen absurd! Sie hatte sich nichts sehnlicher gewünscht als den göttlichen Garrity, und jetzt, wo sie einen wahrhaft göttlichen Garrity hatte, konnte sie es nicht genießen, weil alles eine einzige große Lüge war.

Unter diesen Umständen konnte sie noch nicht einmal Gefallen daran finden, Einblick in die Essgewohnheiten der Reichen und Berühmten zu bekommen. Soweit sie es beurteilen konnte, war Gilda’s eine dieser Adressen, die in keinem Restaurantführer auftauchten. Hier gab es weder Kellner noch Speisekarten. Gilda entschied, wer was aß.

Signe würde sogar wetten, sollte das Restaurant zufällig in einem Restaurantführer erwähnt werden, würden die Herausgeber mitsamt Druckauflage über Nacht von der Bildfläche verschwinden – ähnlich wie Jimmy Hoffa.

Dafür kamen die Berühmtheiten hier in den seltenen Genuss, unbehelligt von Paparazzi und Schaulustigen speisen zu dürfen. In einem Lokal wie Gilda’s könnte selbst die Queen zu Abend essen, ohne von einem Ring von Bodyguards abgeschirmt werden zu müssen.

„Ich weiß, dass du wütend auf mich bist“, flüsterte James, und Signe überlegte einen Moment, ob sie ihm ihren Cosmopolitan ins Gesicht schleudern sollte. Andererseits hatte sie noch nie viel von melodramatischen Szenen gehalten.

„Genial kombiniert, Einstein.“ Diese kindische Reaktion trug nicht eben dazu bei, dass Signe sich in ihrer Haut wohler fühlte. Sie kam sich entsetzlich dumm vor. Wieso hatte sie nicht gemerkt, dass er ihr etwas vormachte? Wie viele Wildhüter besaßen denn schon Montblanc-Füller oder konnten eine Krawatte perfekt binden, ohne ein einziges Mal in den Spiegel zu schauen?

James hatte sie benutzt. Er war wie sein Bruder. Signe blickte zu dem jung verheirateten Paar hinüber, das von einem Tennismatch im Haus der Schwester erzählte. Dem bisherigen Gespräch entnahm Signe, das George und James eine Schwester namens Louise Amherst hatten, die ein Sommerhaus in den Hamptons besaß, mit einem Mann aus dem Jet-Set verheiratet war und zwei Söhne hatte.

„Ihr glaubt nicht, wer das Anwesen direkt in der Nähe von Louise gekauft hat“, tuschelte Christine und zog die perfekt in Form gezupften Augenbrauen zusammen.

Und ihr glaubt nicht, wer drauf und dran ist, diesen Tisch zu verlassen, dachte Signe, die das Gefühl hatte, ihr müsste jeden Moment der Kopf platzen, während Christine sich über die Fernsehstars ereiferte, die im Begriff waren, Louises nobles Viertel zu verschandeln.

„Wir können froh sein, dass wir noch keine Rockstars nebenan haben“, bemerkte George, dessen Ton man deutlich entnehmen konnte, dass Rockstars in der Nachbarschaft einer Katastrophe gleichkamen.

Wenigstens konnte Signe froh sein, nicht mehr selbst im Mittelpunkt des Gesprächs zu stehen. Wahrscheinlich war es klug von ihr gewesen zu behaupten, sie würde nicht arbeiten. Sie hasste es zwar zu lügen, doch was blieb ihr anderes übrig?

Zugegeben, den Garritys zu erzählen, sie wäre die bezahlte Begleiterin ihres Sohnes, die ihm ein wenig kulturellen Schliff verpassen sollte, war verlockend. Außerdem hätte sie bei der Gelegenheit erwähnen können, dass beide Garrity-Söhne Nachhilfe nötig hatten, da es ihnen ja offensichtlich beiden an Aufrichtigkeit wie an Menschlichkeit mangelte. Aber sie widerstand der Versuchung.

Die anderen am Tisch glaubten nun gewiss, sie würde von irgendeinem Treuhandfond leben, und das war gut so. Jedenfalls bis Anna Garrity plötzlich einen ewig langen Monolog über die verschiedenen Sargent-Clans aus Boston und Dallas begann und laut überlegte, welchem von beiden Signe zuzuordnen wäre. Keinem. Sie hörte zum ersten Mal in ihrem Leben von ihnen.

Signe beobachtete derweil Christine. Georges Frau war nicht weniger atemberaubend schön als er. Sie war rundum perfekt – das Gesicht, die Figur, das Make-up, das Kleid, einfach alles. Wer sie ansah, dem kamen sogleich Worte wie göttlich in den Sinn. Aber zugleich war Christine hoffnungslos oberflächlich!

Sie klebte förmlich am Arm ihres Mannes und himmelte ihn an, als könnte sie ihm bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zuhören, wie er über ein Tennisspiel sprach. Und wann immer sie selbst den Mund aufmachte, kamen nichts als Plattheiten und Vorurteile heraus.

Immerhin schien Garrison Garrity, der sich im Laufe des Gesprächs als ausgesprochen sympathisch entpuppt hatte, ebenso wenig begeistert von Christine zu sein wie Signe. Auch Jacqueline, die vorgab, ihrer Schwiegertochter aufmerksam zuzuhören, war offenbar wenig beeindruckt von deren Geplapper.

Überhaupt wirkten James’ Mutter und seine Tante, Anna Garrity, bei aller Eleganz erfrischend natürlich. Beide hatten ihr schulterlanges Haar schlicht frisiert, waren sehr dezent geschminkt und in einem Stil gekleidet, wie man ihn auch in edleren Büros sah.

Harold Garrity, der glücklicherweise noch keine Verbindung zwischen Signe und seiner vermissten Eros-Statue hergestellt hatte, hatte etwas von einem älteren Cary Grant, zumindest rein äußerlich, war aber leider nicht halb so charmant. Die meiste Zeit verbrachte er damit, seine Krawatte zu betrachten.

Er merkte allerdings auf, als Jacqueline sich an James wandte. „Was hast du in letzter Zeit so getrieben?“

„Nicht viel“, antwortete der und versuchte ein weiteres Mal vergeblich, seine Hand auf Signes Schenkel zu legen. „Signe und ich haben uns die ganze Woche in New York vergnügt. Wir waren im Theater und in der Klein-Ausstellung im Guggenheim-Museum.“

„In der Klein-Ausstellung?“ fragte Onkel Harold nach.

James nickte und startete einen erneuten Annäherungsversuch, indem er mit der Hand die Rückenlehne von Signes Stuhl entlangglitt. Wahrscheinlich wusste er, dass sie ihn nicht vor aller Augen abwehren würde. Stattdessen warf sie ihm einen bitterbösen Blick zu. „Signe hat Kleins Vorlesung an der Columbia-Universität gehört. Sie ist nämlich Kunstexpertin.“

„Sie waren bei Kleins Vorlesung?“ fragte Jacqueline erstaunt.

Signe nickte. „Ja.“

„Beneidenswert. Wir konnten leider nicht hin, weil wir zu der Zeit gerade in Australien waren“, sagte Jacqueline mit ehrlichem Bedauern.

Gilda kam und servierte den Hauptgang.

„Ich bitte dich, Jacqueline!“ mischte sich Harold pikiert ein. „Klein ist nichts weiter als ein drittklassiger Illustrator. Leute wie er sind schuld daran, dass die amerikanische Kunst den Bach runtergeht.“

Signe, die schon schwerlich Christines Überheblichkeit ertragen konnte, hatte allmählich genug von dieser Familie. „Wohl kaum“, sagte sie. „Klein wird meiner Ansicht nach von vielen Leuten missverstanden. Zwar stimmt es, dass er das Kunstinstitut in Pittsburgh besucht hat und einfachen Verhältnisse entstammt, dafür verarbeitet er seinen sozialen Hintergrund in seinen Werken auf eine Weise, wie es vor ihm noch kein Künstler getan hat. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Mr. Garrity, möchte ich behaupten, Kleins Bilder als Illustrationen zu bezeichnen zeugt von mangelndem Verständnis.“

Sie hatte es tatsächlich getan! Sie hatte Harold Garrity unterstellt, er wäre zu dämlich, um Kunst zu verstehen.

Da sie nun ohnehin nicht mehr zurück konnte, holte Signe tief Luft und erklärte in wenigen Sätzen, was an der Kunst Kleins so besonders war. Alle hörten ihr fasziniert zu.

„Bravo!“ sagte Jacqueline schließlich. „Sie sind großartig, aber das dachte ich mir gleich, denn welche Frau schafft es schon, meinen Sohn zu einem Stadtbummel durch Manhattan zu überreden – noch dazu im Anzug und mit einem anständigen Haarschnitt. Sie haben Wunder bewirkt, meine Liebe. James, du siehst fantastisch aus.“

Signe musste seiner Mutter leider Recht geben. James sah sogar um Klassen besser aus als sein Bruder, und der wurde schließlich nicht zu Unrecht „der göttliche Garrity“ genannt. Ihm könnte ganz Manhattan zu Füßen liegen – mindestens.

Der Mann war in einem Herrenhaus zur Welt gekommen. Warum hatte er es freiwillig gegen eine Holzhütte in den Catskills eingetauscht? Nein, das ging sie nichts an, und es interessierte sie auch nicht! Sie wollte aufstehen, ihm erklären, wie wenig sie es schätzte, belogen zu werden, und hocherhobenen Hauptes hinausmarschieren.

Ein gelungener Abgang war die einzige Möglichkeit, wenigstens einen Funken Selbstachtung übrig zu behalten.

„Sie sind eine wahre Kunstkennerin, Signe!“ fuhr James’ Mutter begeistert fort. „Man spürt förmlich, wie sehr Sie die Kunst lieben. Sagen Sie, wo hat James Sie eigentlich gefunden?“

Signe machte sich auf die üblichen Fragen gefasst. Sicherlich erwarteten sie jetzt, den Namen einer Eliteuniversität von ihr zu hören, Yale oder Harvard. Doch dazu kam es nicht, denn Onkel Harold räusperte sich laut und sagte: „Dann wollen wir hoffen, dass Klein schlau genug ist, seine Stücke nicht an das Metropolitan Museum auszuleihen.“

„Sei nicht albern, Harold“, wies ihn Jacqueline zurecht. „Deine Statue ist gut versichert, und Detective Perez tut alles Menschenmögliche, um sie zu finden. Er ist seit zwanzig Jahren in dem Job und soll sehr kompetent sein.“

„Kompetent!“ wiederholte Harold verächtlich.

„Jawohl“, bestätigte George. „Er ist absolut vertrauenswürdig. Edmond Styles hingegen sollte unbedingt durch jemand anderen ersetzt werden. Wie ihr sicher alle wisst, verbringe ich beinahe jeden Tag ein paar Minuten im Museum, um mir die Sammlung anzusehen.“ Er lächelte seinem Vater und seiner Mutter zu. „Insbesondere jene Stücke, die unsere Familie gespendet hat.“

Signe wurde fast schlecht. Keine Frage: An diesem Tisch hatten es alle bloß auf das Geld von Garrison Jackson Garrity abgesehen. Und von allen Schleimern war George mit Abstand der widerlichste!

Kein Wunder, dass Garrison offensichtlich eine Vorliebe für James hegte, auch wenn George und Christine davon nichts mitzubekommen schienen. Das einzige Problem war nur, dass James sich gegen das Familienunternehmen entschieden hatte. Signe empfand schon beinahe Mitleid mit seinem Vater, der sich mit dem Gedanken anfreunden musste, sein Imperium an George zu übergeben.

Bis vor kurzem hatte Signe George für brillant gehalten, doch jetzt, da sie ihn im Kreise seiner Familie erlebte, wirkte er furchtbar oberflächlich und blass. Und seinem Vater war deutlich anzumerken, dass er seine Geschäfte weit lieber seinem anderen Sohn anvertrauen würde. James hatte wenigstens eine eigene Meinung.

Warum aber war er vor all dem geflohen? Seine schriftstellerischen Ambitionen konnten kaum der Grund sein, denn schreiben konnte man auch in einem Herrenhaus in Long Island. Warum dann?

Nein, darüber wollte sie nicht nachdenken. Es ging sie nichts an, und es interessierte sie auch nicht. Sobald sie das Essen hinter sich gebracht hatte, würde sie sich verabschieden – für immer.

„Ja, Styles muss gehen, keine Frage“, fuhr George fort. „Schließlich ist er derjenige, der es einer Kellnerin überlassen hat, die Alarmanlage einzuschalten. Unvorstellbar! Er hat nicht einmal versucht, Onkel Harolds Statue angemessen zu sichern.“

„Noch dazu den Eros“, bemerkte Christine.

„Wer weiß, welcher Perversling mit dem Diebstahl dieser Statue sein Sexleben zu verbessern hofft“, sagte George.

„Oder ihrs. Wir wollen ja nicht sexistisch sein“, rutschte es Signe heraus. Sie verkniff sich allerdings die Frage, wie pervers der Besitzer einer solchen Statue erst sein musste, wenn der Dieb oder die Diebin es für die Garritys zweifelsfrei waren.

Auf jeden Fall ging das alles zu weit. Wenn George Garrity ernsthaft die Entlassung von Edmond Styles wollte, konnte er sie durchsetzen, da er im Verwaltungsrat des Museums saß. Dabei hatte Edmond nichts weiter getan, als ihr die Chance zu geben, die sie sich redlich verdient hatte.

„Ich halte Edmond Styles für einen hervorragenden Museumsleiter“, sagte sie. Signe hatte sich immer schon gewünscht, für ihn zu arbeiten. Und selbst dass er sie vorübergehend beurlaubt hatte, konnte sie ihm nicht verübeln.

„Sie kennen Edmond?“ fragte Jacqueline interessiert.

Signe überlegte angestrengt. Sie hatte keine Ahnung, wie Edmond zu den Garritys stand. „Ja, ich kenne ihn.“

Jacqueline sah sie an, als müsste sie Signe ebenfalls kennen, wenn diese mit Edmond bekannt war. „Und woher kennen Sie ihn?“

„Signe hat mal am Met gearbeitet“, sprang James ihr bei, und allein der Klang seiner Stimme reichte, um Signe gleich wieder wütend zu machen. Keine zwei Stunden war es her, dass er sie in seinen Armen gehalten hatte. Sie hatte sogar über eine gemeinsame Zukunft mit ihm nachgedacht. Warum musste alles so enden?

Jacqueline schüttelte verwundert den Kopf. „Ich dachte, ich kenne alle Kuratoren.“

Signe wollte lieber nicht erklären, dass sie lediglich Kaffee ausgeschenkt hatte und nicht wenig davon an Jacquelines jüngeren Sohn, der jedes Mal heftig mit ihr flirtete. „Edmond zu entlassen wäre jedenfalls ein großer Fehler. Wenige Menschen sind der Kunst so tief verbunden wie er. Seit Jahren leistet er Großes für das Met.“

„Hut ab, wie Sie sich für andere einsetzen“, sagte Garrison Garrity. „Erst Klein, jetzt Styles.“

„Wie dem auch sei, Onkel Harold hat Recht“, beharrte George. „Bei der nächsten Verwaltungsratssitzung werde ich mich klar für eine Entlassung aussprechen.“

„Mit der Sicherheit stehst du seit je auf Kriegsfuß, George. Lass das nicht an Edmond aus“, sagte Jacqueline.

„Richtig so, mein Junge“, meinte Harold, der Jacquelines Einwand ignorierte. „Du bist eben noch aus dem alten Holz geschnitzt.“

Signe fand es unerträglich, wie hier mit dem Leben anderer Menschen gespielt wurde. Was bildeten diese Leute sich denn ein? Edmond Styles hatte sich von ganz unten dahin hochgearbeitet, wo er jetzt war. „Ich bin sicher, dass Edmond Styles sich der internen Probleme bereits angenommen hat“, verteidigte sie ihn.

„Und woher wollen Sie das wissen?“

Signe überlegte. Dann legte sie ihre Stoffserviette ab und stand auf. „Weil ich die Angestellte bin, die von Edmond Styles beauftragt wurde, die Alarmanlage einzuschalten. Und ich weiß genau, dass ich es auch getan habe. Trotzdem hat es irgendjemand geschafft, die Statue zu stehlen, und Edmond Styles hat auf die einzig richtige Weise reagiert, indem er mich entließ. Sind Sie jetzt zufrieden?“

Für einen Moment herrschte Schweigen am Tisch.

„Setzen Sie sich, meine Liebe“, sagte Jacqueline schließlich lächelnd.

„Es tut mir Leid, aber Ihr Sohn und ich hatten für heute Abend eigentlich andere Pläne.“

Jacqueline sah ernstlich verletzt aus. „Wir wollten uns Ihnen gewiss nicht aufdrängen. Mein Mann und ich dachten nur, es wäre schön, wenn Sie uns Gesellschaft leisten.“

Signe schüttelte den Kopf. „Nein, entschuldigen Sie, so habe ich das nicht gemeint. Ich sollte nur schon seit einer halben Stunde zu Hause sein“, log sie. „Deshalb sollte ich jetzt dringend gehen. James kann ja noch bleiben und ein wenig mit Ihnen plaudern, wo er Sie so lange nicht mehr gesehen hat.“ Sie sah ihn lächelnd an. „Er sagte mir erst vorhin, wie sehr er Sie alle vermisst.“

„Warten Sie“, sagte Jacqueline und streckte eine Hand aus, als wollte sie Signe aufhalten. „Da muss ein Missverständnis vorliegen. Wie ich bereits sagte, glaubte ich, alle Kuratoren des Museums zu kennen, was scheinbar nicht der Fall ist. Sie machen auf mich den Eindruck, überaus kompetent zu sein, und mir gefällt es, dass Sie so eine hohe Meinung von Edmond Styles haben, den ich ebenfalls sehr schätze. Ich bin sicher, er hat Sie entlassen, um meinen Sohn zu beschwichtigen, der, wenn Sie mich fragen, die Sicherheit übertrieben ernst nimmt.“

„Übertrieben? Guck dir doch an, was passiert ist“, protestierte George.

„Hier muss ein Missverständnis vorliegen“, fuhr Jacqueline fort. „George glaubt, Edmond hätte die Statuen einer Kellnerin anvertraut.“

Signes Herz pochte wie verrückt. „Hat er auch.“

„Wie bitte?“ fragte Jacqueline.

„Ich bin, vielmehr, ich war Kellnerin in dem Café.“

„Ich wusste doch, dass mir Ihr Gesicht bekannt vorkommt“, entfuhr es George.

Immerhin. Er hatte sie also nicht ganz vergessen.

„Eine Kellnerin?“ Jacqueline sah aus, als wartete sie auf eine innere Stimme, die ihr verriet, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Frauen ihres Standes hofften vielleicht darauf, dass in den entscheidenden Momenten die Geister von Jackie Onassis oder Eleanor Roosevelt zu ihnen sprachen.

Signe blickte zu George, der sichtlich in seinem Stuhl zusammengesackt war. Wahrscheinlich ging ihm soeben durch den Kopf, wie hartnäckig er mit Signe geflirtet hatte, was jetzt, da seine junge Frau neben ihm saß, besser nicht zur Sprache kam.

„Edmond hatte vor, mir eine Stelle im Archiv zu geben“, erklärte Signe. „Er vertraute mir die Ausstellung an jenem Abend an, weil er mich für kompetent und verlässlich genug hielt. Und ich bin absolut sicher, dass ich den Alarm eingeschaltet habe.“

„Ich glaube Ihnen“, sagte Jacqueline, die sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte. Sie griff in ihre Handtasche, holte eine kleine Karte und einen Schreiber hervor und schrieb etwas auf. Dann reichte sie Signe die Karte. „Hier ist die Adresse meiner Tochter Louise in den Hamptons. Am Wochenende werden wir alle dort sein. Edmond hat ein Cottage nur eine Stunde Fahrtzeit entfernt und wird am Freitag zum Tee kommen. Ich würde Sie bitten, ebenfalls zu kommen. Und bringen Sie sich ein paar Sachen mit, denn Sie werden übernachten müssen, da es gewiss spät wird.“

Was war hier los? Dieses Abendessen wurde immer seltsamer. „Danke für das freundliche Angebot“, sagte sie. Natürlich dachte sie nicht im Traum daran, das Wochenende mit James und seiner Familie zu verbringen. Und selbst wenn er ihr schwor, nicht mitzukommen, würde sie trotzdem ablehnen. Außerdem war ein Schwur von ihm so oder so nichts wert, denn wie sie ja mittlerweile wusste, war er ein Lügner.

James. Genau genommen war alles ihr Fehler gewesen. In einer Woche hatte sie ihn kein einziges Mal nach seinem Nachnamen gefragt. Wieso eigentlich nicht? Sie war doch sonst immer die Vernünftige, die Bodenständige, die keinerlei Sinn für Abenteuer hatte und keinen wilden Sex wollte, sondern einen Ehemann mit einem angemessenen Beruf.

Nach New Yorker Maßstäben war sie tatsächlich prüde, wie ihre Freundinnen behaupteten. Sie hatte noch nie mit einem Mann geschlafen, ohne seine Familiengeschichte zu kennen. In den meisten Fällen hatte sie vorher sogar die Sozialversicherungsnummer gekannt.

Warum war auf einmal alles anders? Sie war gar nicht auf die Idee gekommen, ihn nach seiner Familie zu fragen – von seinem Nachnamen ganz zu schweigen. Andererseits hatten sie sich gleich zu Anfang darauf geeinigt, eine kurze Affäre zu haben und mehr nicht.

„Ich möchte mich auf keinen Fall aufdrängen“, lehnte sie höflich ab.

„Sollten Sie aber, wenn Ihnen an Ihrem Job liegt“, konterte Garrison Garrity, der aussah, als hätte er sich noch nie besser amüsiert.

Und er hatte Recht. Sie hatte gar keine andere Wahl, als die Einladung anzunehmen. „Vielleicht könnte ich kurz zum Tee vorbeikommen“, schlug sie vor, wobei sie es vermied, James anzusehen.

„Nein, Sie müssen übers Wochenende bleiben“, beharrte Jacqueline. „Louise hat Platz genug. Und da ich ziemlich viel mit dem Met zu tun habe, würde ich Sie gern näher kennen lernen. Ich sehe nämlich eine große Zukunft für Sie. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie lange das Gespräch mit Edmond dauern wird, zumal ich denke, wir sollten ebenfalls Detective Perez hinzubitten.“

„Nein, bitte, ich bin sicher, meine Anwesenheit wird nicht nötig sein“, wandte Signe ein, der zusehends mulmiger wurde.

Jacqueline hingegen schien vollkommen zuversichtlich. „Detective Perez kann uns dann gleich auf den neuesten Stand der Ermittlungen bringen. Immerhin ist es auch für Sie von Interesse, welche Fortschritte die Polizei in der Sache macht.“

Wäre Jacqueline keine Garrity, Signe hätte geschworen, dass sie versuchte, sie mit ihrem Sohn zu verkuppeln. Andererseits war der Gedanke so abwegig nicht, denn Signe hatte es schließlich geschafft, James zu einem Anzug und einem Haarschnitt zu überreden.

„Louise hat wirklich jede Menge Platz“, wiederholte James’ Mutter.

„Klingt, als wollte meine Frau Ihnen einen ganzen Flügel vom Haus meiner Tochter anbieten“, sagte Garrison. „Das sollten Sie nutzen, meine Liebe.“

„Ich will lediglich gegenüber Edmond klarstellen, dass Sie eine Freundin von uns sind“, erklärte Jacqueline und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Eine Freundin von James.

Na prima. Sie wollte sie allen Ernstes verkuppeln. Und, was noch schlimmer war, sie wollte Signes Boss zwingen, sie wieder einzustellen. Sie traute ihren Ohren kaum, als sie tatsächlich sagte: „Ich stehe voll und ganz hinter Edmonds Entscheidung.“ Dabei genoss sie es wahrlich nicht, ihren Job los zu sein.

„Natürlich tun Sie das“, pflichtete Jacqueline ihr bei. „Deshalb ist es ja so wichtig, dass sich diese unglückselige Angelegenheit aufklärt. Also abgemacht, ich werde Detective Perez zu uns bitten, und Harold sollte auch dabei sein.“

„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Mrs. Garrity, aber ich bin sicher, dass sich alles klären wird, sobald Detective Perez die Statue gefunden hat.“

„Machen wir uns nichts vor, Signe“, wandte Jacqueline freundlich ein. „Die Statue bleibt eventuell für immer verschwunden.“

Sie gab es zwar ungern zu, aber Signe musste Jacqueline Recht geben. Und wenn diese Leute eines auf ihren Eliteschulen lernten, dann dies: wie man Leute gekonnt beeinflusste. Signe konnte das Angebot praktisch gar nicht ablehnen.

Stattdessen sollte sie sich mit ein paar Tatsachen abfinden. James hatte sie belogen, und sie wollte ihn nie mehr wiedersehen. Aber ein Kopfnicken von Jacqueline Garrity genügte, und Signe könnte zur Kuratorin am Metropolitan Museum werden. Sie wollte Mrs. Garrity zwar nicht benutzen, doch diese ganze Geschichte sollte endlich geklärt werden. Sie wusste schließlich, dass sie den Alarm eingeschaltet hatte und zu Unrecht verdächtigt wurde.

Und da Edmond nach der Pfeife der Garritys tanzen musste, war es durchaus möglich, dass er sie bloß beurlaubt hatte, weil George Garrity ihn unter Druck gesetzt hatte. In dem Fall wäre er vielleicht sogar froh, wenn er sie mit dem Segen Jacqueline Garritys wieder einstellen konnte.

Sie konnte allerdings nicht wissen, wo Edmond stand, ehe sie nicht mit ihm gesprochen hatte, und das wiederum war nur möglich, wenn sie die Einladung annahm. Nun musste sie sich bloß noch eine Strategie ausdenken, wie sie sich James gegenüber verhielt, sollte er wider Erwarten ebenfalls dort sein.

„Na gut“, sagte sie schließlich und rückte ihren Stuhl zur Seite. „Dann sehen wir uns am Wochenende. Behalten Sie bitte Platz.“

James stand trotzdem auf. „Signe.“

„Ich werde Sie zur Tür begleiten, Miss Sargent, und Ihnen ein Taxi rufen lassen“, sagte Garrison und warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu. „James.“

Mehr war nicht nötig. Signe staunte, als James sich widerstandslos hinsetzte. Er mochte das schwarze Schaf der Familie sein, aber die Autorität seines Vaters war offensichtlich ungebrochen.

Wäre Signe nicht so verärgert gewesen, hätte sie bestimmt gelacht. Der elegante Garrison Garrity. Er war freundlich und hatte Sinn für Humor, doch letztlich entscheidend war – wie fast immer und überall auf der Welt –, dass er Geld hatte und deshalb stets das letzte Wort.

„Danke, Mr. Garrity“, sagte Signe, als er ihren Ellbogen fasste.

„Ich möchte nicht, dass Sie glauben, wir Garritys hätten keine Manieren, Miss Sargent.“

Sie sagte nichts, sondern musste erst mal verarbeiten, was gerade geschehen war. Sie waren schon beinahe an der Tür angekommen, als ihr etwas einfiel und sie abrupt stehen blieb.

„Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen“, sagte Garrison. „Geht es Ihnen gut, Miss Sargent?“

„Ja“, antwortete sie unsicher. Nein! Seit sie Garrison Garrity auf der Straße beim Park getroffen hatten, war so viel passiert, dass sie noch gar nicht alles davon begriffen hatte.

Sie hatte soeben den Mann am Tisch sitzen gelassen, mit dem sie tagelang das Bett geteilt hatte. Er saß da, während sie am Arm seines Vaters das Restaurant verließ. Und er war ein Garrity.

Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Nein, nein, nein. Die Woche war so perfekt gewesen, dass sie angefangen hatte zu glauben, es könnte ewig weitergehen. Ein paar Nächte atemberaubender Sex hatten ihr offenbar den Verstand geraubt. Zumindest war sie dumm genug gewesen, nicht einmal nach seinem Nachnamen zu fragen.

Aber wie konnte er sie so zum Narren halten? Er war wie sein Bruder. Mit einem Niemand wie ihr konnte ein Garrity getrost eine Affäre eingehen, ohne sich zu irgendetwas verpflichtet zu fühlen.

Und dennoch konnte sie ihre Gefühle für ihn nicht leugnen. Sie wollte nicht weggehen, wollte nicht aufgeben, was sie gefunden hatte.

Trotzdem blieb ihr nichts anderes übrig. Außerdem machte der heutige Abend alles ungültig, was vorher geschehen war, bevor sie wusste, wer er wirklich war.

All das jedoch hatte sie nicht abrupt stehen bleiben lassen. Das war vielmehr die Erinnerung an den Zauber gewesen. In ihrem Zauberspruch hatte sie nicht gesagt, welchen Garrity sie wollte. Die Vorstellung, dass der Zauber tatsächlich gewirkt haben könnte, ließ ihre Knie weich werden, und sie taumelte.

Garrison fing sie ab. „Keine Sorge, diese Wirkung habe ich auf alle Frauen“, sagte er lachend.

Er und sein Sohn, dachte Signe verbittert. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Wenn ihr Zauber wirkte, war nichts von dem echt, was sie empfand oder James empfinden mochte. Also musste sie dafür sorgen, dass der Spuk endete.

Sie versuchte, sich an den Namen des Geschäfts in der West Fourth Street zu erinnern. Das Schaufenster hatte sie glasklar vor Augen: die Fenster mit schwarzen Tüchern ausgeschlagen, alte, ledergebundene Bücher, Voodoopuppen, Tarotkarten und Kerzen.

Dort mussten sie wissen, wie man einen Zauberspruch rückgängig machte.

10. KAPITEL

„Mrs. Amherst und die Kinder werden jeden Moment vom Strand zurück sein“, plapperte Louises Mädchen, Gabriella, freundlich, während sie Signe zum Gästezimmer führte. „Zum Schwimmen ist es sowieso schon zu kalt, für jeden außer James zumindest, der gern ins eiskalte Wasser springt. Aber so sind die Amhersts nicht. Die beiden Jungen, Steven und Charles, wollten nur unten am Wasser Fußball spielen. Sie sind bestimmt gleich wieder da, denn sie müssen sich vorm Tee ja noch umziehen.“ Sie sah aus dem Fenster und seufzte. „Da draußen braut sich ein Sturm zusammen.“

„Ja, das dachte ich auch schon“, sagte Signe und blickte ebenfalls hinaus in die dunklen Wolken.

Dann sah sie sich in dem Gästezimmer um. Der ganze Raum war in Rot und Weiß dekoriert, so dass man sich darin vorkam wie in einer riesigen Valentinskarte. Der Boden war mit einem weichen roten Teppich ausgelegt, das große Bett ganz in Weiß gehalten, und die Wände waren im unteren Teil weiß gemalt, im oberen mit einer rot-weißen Blumentapete beklebt, das Ganze getrennt von einer Herzchenbordüre.

„Ich war nicht sicher, was ich zum Tee anziehen sollte“, sagte Signe, die keine Ahnung hatte, welche Garderobe man von den Gästen der Garritys erwartete. Sie hoffte nur, in ihrem beigefarbenen Kostüm nicht völlig deplatziert zu wirken.

„Sie sehen perfekt aus“, beruhigte sie Gabriella.

„Ein Glück.“

„Mr. Amherst ist leider auf Geschäftsreise, und Mr. Styles und Detective Perez sind bisher noch nicht eingetroffen. Ich sage Ihnen Bescheid, sobald sie da sind. Der Tee ist in einer Stunde fertig. Vielleicht möchten Sie vorher in Ruhe auspacken.“

„Ja, danke“, murmelte Signe.

Kaum war Gabriella aus dem Zimmer, atmete Signe tief durch und holte den braunen Umschlag hervor, den sie mitgebracht hatte. Sie eilte zum Fenster und sah hinunter auf die Terrasse.

Er war da! James stand praktisch direkt unter ihrem Fenster und plauderte mit seinem Onkel Harold. Das hätte sie sich ja denken können! Ihre Gefühle waren ihm vollkommen gleichgültig. Er wusste, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als herzukommen, und hatte ihre stumme Bitte, er möge nicht hier sein, natürlich ignoriert.

Sie wandte sich vom Fenster ab. Das Gästebett mit der weißen Tagesdecke war ihrem zu Hause nicht unähnlich – jenem Bett, in dem sie mit James die wunderschönsten Stunden ihres Lebens verbracht hatte. Sie glaubte beinahe, seine Berührungen zu spüren.

Wie magisch angezogen, musste sie wieder hinunter zu James sehen. Wenn er doch bloß nicht so atemberaubend attraktiv wäre! Er musste im Wasser gewesen sein, denn sein Haar war noch feucht. Und obwohl es relativ kühl war, trug er ein offenes weißes Hemd und schwarze Bermudas, die ihm knapp bis zum Knie reichten.

Sie wünschte, seine Stimme wäre nicht ganz so oft auf ihrem Anrufbeantworter gewesen. Immer wieder hatte er angerufen und sie gebeten, ihn erklären zu lassen, warum er ihr verschwiegen hatte, wer er war. Signe hatte neben dem Telefon gehockt und nicht abgenommen.

Selbst der gigantische Strauß tropischer Blumen hatte sie nicht erweichen können, ebenso wenig wie tags darauf seine Stimme hinter ihrer verschlossenen Tür: „Ich weiß, dass du da bist, Signe, und ich verstehe auch, dass du wütend auf mich bist. Aber bitte lass mich rein, damit wir über alles reden können.“

Sie hatte auf der anderen Seite der Tür gestanden und die Luft angehalten, damit er sie nicht bemerkte. Immerhin deutete seine Hartnäckigkeit darauf hin, dass er sie wohl nicht benutzt hatte. Er wollte sie zurück, also mochte er sie tatsächlich.

Doch das durfte nicht sein. Sie sah hinüber zur Auffahrt, wo ihr Mietwagen parkte. Hoffentlich hatte James nicht gesehen, wie sie angekommen war. Normalerweise fuhr sie nie irgendwo allein hin, deshalb hatte sie eine volle Stunde gebraucht, um ihren Führerschein zu finden, der glücklicherweise nicht abgelaufen gewesen war.

Dann hatte sie sich einen Kleinwagen gemietet, der ungefähr auf halber Strecke zwischen der Stadt und den Hamptons endlich aufgehört hatte, bei jedem Schalten einen Sprung zu machen und entweder ohrenbetäubend aufzuheulen oder auszugehen.

Sie sah hinaus auf den frisch gemähten Rasen, der sich bis zu einem kleinen Hügel hinzog, hinter dem der Strand lag. Vom Zimmer aus konnte man das Meer sehen, jedoch war nirgends eine Spur von Louise und ihren Söhnen zu entdecken. Wellen schlugen an den Strand und versprühten einen dichten grauen Nebel, in dem bei genauerem Hinsehen leuchtend blaue Flecken zu sehen waren.

„Unheimlich“, flüsterte Signe. Die Farben schienen verstörend unecht, wie Technicolor.

In gewisser Weise passte das seltsame Lichtspiel zu dem, was sie jetzt vorhatte. Signe riss den Umschlag auf und schüttete den Inhalt aufs Bett: eine Glocke, ein Buch und eine Kerze, dann eine Hand voll Stroh und etwas, das die Hexen aus der West Fourth Street als „Liebesstöckchen“ bezeichnet hatten. Es war ein Bündel getrockneter Kräuter, das vor allem nach Salbei roch. Sie sollte es verbrennen.

Dabei durfte das Objekt ihrer Zuneigung, sprich: James, nicht weiter als hundert Meter von ihr entfernt sein. Da er zur Zeit keine fünfzehn Meter Luftlinie weg war, war die Gelegenheit günstig. „Schmiede das Eisen, solange es heiß ist“, flüsterte sie.

Sie suchte sich eine passende Stelle auf dem roten Plüschteppich, an der sie das Stroh kreisförmig auslegte, mit der Kerze und dem Zauberbuch in der Mitte. Angeblich stammte das Stroh aus dem Besen einer Hexe, die so berühmt war, dass die Frauen in dem Laden Signe nicht einmal den Namen verraten wollten. Sie waren wohl davon ausgegangen, sie wüsste, von wem die Rede war.

Signe stellte sich in den Kreis und schlug das Buch an der markierten Stelle auf. Anschließend holte sie einen Essteller aus ihrem Koffer, den sie zum Schutz mit Alufolie eingeschlagen hatte, stellte ihn in die Kreismitte, legte das Kräuterbündel darauf und zündete es an.

„Klasse, das riecht genau wie Marihuana“, murmelte sie nervös. Sie rauchte zwar keines, war aber schon auf genügend Partys gewesen, um den Geruch sofort wiederzuerkennen. „Ah, die Glocke.“

Nachdem sie die Glocke vom Bett geholt und sich wieder in den Kreis gestellt hatte, schloss sie die Augen, wie es die Anleitung vorschrieb, und atmete zehnmal tief ein. Dann öffnete sie die Augen wieder und nahm die Glocke, die sie dreimal kräftig läutete. Dabei erschrak sie, denn die Frauen hatten ihr nicht gesagt, wie laut die Glocke war. Das nicht und auch nicht, dass der Rauch so schlimm würde.

Signes Augen brannten, sie musste husten, und aus dem Kräuterbündel stieg immer noch dicker Qualm auf. Sollte sie das Fenster öffnen, ehe sie weitermachte? Nein. James und Harold würden den Rauch sehen, und dann brach bestimmt die Hölle los.

Sie musste sich eben beeilen. Mit einer Hand wedelte sie den Qualm vor ihrem Gesicht weg, läutete die Glocke noch dreimal und begann ihren Spruch: „Diese Glocke nehme fort den Zauber gesprochen an anderem Ort.“

So weit, so gut. Nur konnte sie praktisch nichts mehr sehen. Und, was noch schlimmer war, sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie den Zauber wirklich aufheben wollte.

Er hatte ihr vielleicht nicht gleich gesagt, wer er war, weil er nicht wollte, dass sie ihn nur seines Geldes wegen mochte. Und er schien sie wirklich zu lieben. Sollte sie das nicht überglücklich machen? Er hatte gelogen, na und? Einige Frauen vergaben ihren Männern weit schrecklichere Sachen. Die Hexen aus New Jersey hatten ihr ein paar Beziehungsdramen beschrieben, die einem das Blut gefrieren ließen.

James hatte nichts weiter verbrochen, als in einem Punkt zu lügen. Und sie wusste nicht einmal, warum er ihr nicht gesagt hatte, wer er war. Dafür war sie sicher, dass ihm an ihr lag.

Andererseits musste sie der Wahrheit ins Auge sehen. Ihr Zauberspruch war die Ursache für den fantastischen Sex, und das wiederum bedeutete, absolut gar nichts zwischen ihr und James war, nun ja, natürlich.

Die Versuchung war groß, den Zauber nicht rückgängig zu machen, aber dann würde sie für immer mit dem Gefühl leben müssen, dass der weltweit tollste Liebhaber sie gar nicht wirklich liebte, sondern bloß verhext war.

Angestrengt blinzelte sie durch den dichten Rauch, läutete nochmals die Glocke und sagte: „Mit drei Tönen ruf ich dich. Vom alten Zauber befreie mich.“ Ihr war zum Heulen, aber sie musste das hier zu Ende bringen.

Signe stellte die Glocke neben die Kerze und nahm das gefaltete Blatt aus dem Buch, auf dem ihr Zauberspruch aus den Catskills stand. Sie las ihn durch, bevor sie mit tränenerstickter Stimme den Gegenzauber verlas:

Der Zauber, der gesprochen,

er ward durch nichts gebrochen.

Mein Plan ging auf,

doch in der Dinge Lauf,

ward magisch Leidenschaft erzeugt,

die Menschenwille unfair beugt.

Drum gebet, Geister, Garrity frei,

dass er mir nicht mehr verfallen sei.

Kehrt um meinen Spruch,

führt herbei den Bruch.

Die Liebe ende, die magisch begann,

der Zauber versieg, es versage der Bann.

Lasst mich an einem Zeichen sehen,

dass ihr erhöret habt mein Flehen.

Signe wartete. Dem Zauberspruch nach sollte sie irgendein Zeichen erhalten, aber es passierte nichts.

Dann regnete es ihr plötzlich auf den Kopf. Vielmehr goss es buchstäblich auf sie herab, während gleichzeitig ein furchtbar durchdringender Ton von über ihr erklang. Blinzelnd und prustend sah sie nach oben. „Was zum …“

Sie strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht und stolperte Richtung Fenster, das sie durch den dichten Qualm nicht sehen konnte. In dem Moment, da sie es aufriss, gab es einen Donnerknall, gefolgt von einem Regenguss.

Signe war verwirrt. Hatte sie sich nur eingebildet, sie wäre drinnen gewesen, während sie in Wahrheit draußen im Regen gestanden hatte? Nein, das war ausgeschlossen. Aber wie konnte es in ihrem Zimmer regnen?

Ja, natürlich. In diesem Haus gab es selbstverständlich ein Rauchmeldesystem und eine Sprinkleranlage. Mit ihrem kleinen Feuer hatte sie den Alarm ausgelöst.

Hektisch wedelte Signe den Qualm zum Fenster raus. Es roch wirklich wie feinstes Marihuana. Sie musste es schaffen, den Gestank aus dem Zimmer zu bekommen, bevor die anderen kamen.

Zu spät. Ihre Tür wurde aufgerissen. Draußen stand eine Menschenmenge! Durch den sich auflösenden Qualm erkannte Signe James, seine Eltern, seinen Bruder, Christine, Harold und Louise. Sie verkniff sich die Frage, ob sie sonst noch jemanden erwarteten.

Stattdessen rief sie über den schrillen Alarmton hinweg: „Tut mir Leid, Louise, ich kann das erklären. Und ich werde selbstverständlich für die Reinigungskosten aufkommen.“

„Schon wieder die Kellnerin“, sagte George. „Sie raucht im Hause meiner Schwester Marihuana, noch dazu, wo jeden Moment Detective Perez hier sein kann. Wahrscheinlich werden wir alle wegen illegalen Drogenbesitzes verhaftet werden.“

„Das ist Salbei“, rief Signe. „Wirklich, Louise, es ist nur Salbei.“

James bedeutete den anderen per Handzeichen, auf dem Flur zu warten, kam herein und schloss die Tür hinter sich. „Was geht hier vor, Signe?“

Sie hatte das ungute Gefühl, er würde ihr wohl nicht glauben, wenn sie ihm sagte, sie wäre Kettenraucherin und hätte es ihm bisher verschwiegen. Am liebsten wollte sie zu ihm rennen und sich in seine Arme werfen.

Doch er stand ja nun nicht mehr unter dem Zauber. Egal, wie sie für ihn empfand, er konnte sie gar nicht mehr lieben.

Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Auch wenn alles mit einem Zauberspruch begonnen hatte, ihre Leidenschaft war echt gewesen, ebenso echt wie ihre Gefühle. Sie liebte ihn, und das hatte nichts mit Zauberei zu tun.

„Zwischen uns war alles Lüge. Dagegen musste ich etwas tun“, flüsterte sie verzweifelt.

11. KAPITEL

„Das war es nicht, Liebes“, sagte James. Er ging zur Sprinkleranlage und kippte den Schalter um, woraufhin es plötzlich sehr still im Zimmer wurde. „Verdammt, Signe, …“, begann er.

„Wag es nicht, mich zu verfluchen“, fuhr sie ihm ins Wort. „Ich war nicht diejenige, die gelogen hat.“

Er blieb unter der Sprinkleranlage stehen. „Ich habe die ganze Woche versucht, dich zu erreichen.“

„Und ich hatte meine Gründe, nicht mit dir zu sprechen.“

„Welche?“

„Selbstschutz.“

„Du weißt, dass ich dich nie willentlich verletzen würde.“

Sie richtete sich kerzengerade auf. Soeben hatte sie im Haus seiner Schwester ein Feuer gelegt, und nun stand sie bis auf die Haut durchnässt da. Jetzt wollte sie wahrscheinlich mittels ihrer Körperhaltung signalisieren, dass sie noch einen Funken Selbstachtung übrig behalten hatte. „Du hast mich schon einmal belogen.“

Er hatte ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt. War das bereits eine Lüge? „Glaubst du wirklich, dass ich dich benutzen wollte? Meinst du, ich habe dir absichtlich verschwiegen, wer ich bin?“

„Ja, denn sonst hättest du es mir wohl gesagt.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe versucht, mit dir zu reden. Ich war bei deiner Wohnung.“

„So?“

Als wenn sie das nicht wüsste! Er hatte mitbekommen, dass sie von innen durch den Spion gesehen hatte, während er vor der verschlossenen Tür stand und auf sie einredete.

Es war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn gewesen. Bisher hatten die Frauen immer gewusst, dass er ein Garrity war, und ein Anruf oder ein Blumenstrauß hatten genügt, um sie wieder friedlich zu stimmen. Aber Signe war anders. Und genau deshalb wollte er sie unbedingt zurückgewinnen. Er ging auf sie zu.

„Keinen Schritt näher“, sagte sie streng.

Statt stehen zu bleiben ging er ganz langsam weiter. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, vielmehr durch die spärlichen Reste davon, die der Friseur ihm gelassen hatte. Und alles ihretwegen! Der Haarschnitt, die Anzüge, die Blumen. Und es hatte ihm nicht einmal etwas ausgemacht – noch nicht mal, als seine Mutter sich so sichtlich über seine Wandlung freute.

Er hatte sogar angefangen, über eine Heirat nachzudenken, und das ihm, dem überzeugten Junggesellen!

„Warum bist du wütend auf mich? Das kann doch nicht allein wegen meines Namens sein, oder?“

„Nein. Mich machen deine Lügen wütend, nicht, wer du bist“, sagte sie. Sie war sichtlich nervös. „Du bist zu Diane gekommen und hast so getan, als wolltest du unbedingt an dem Programm teilnehmen. Dabei warst du bloß da, weil du mich wiedersehen wolltest.“

„Woraus ich nie einen Hehl gemacht habe.“

„Und du bist gar kein Wildhüter.“

„Bin ich wohl.“

„Egal, darum geht es nicht.“

„Worum denn dann?“

„Darum, dass ich …“

Sie sprach nicht weiter. Wollte sie gerade sagen, dass sie sich in ihn verliebt hatte? Konnte sie es nicht aussprechen, weil sie glaubte, er hätte ihr die ganze Zeit etwas vorgemacht? Wie konnte sie das denken?

„Darum, dass du Gefühle für mich entwickelt hast?“ beendete er den Satz für sie.

„Wie schön, dass du wenigstens nicht anmaßend bist“, entgegnete sie verbittert. „Aber okay, ich gebe es zu, dass du mir nicht gleichgültig warst.“

Dem traurigen Glanz in ihren Augen nach zu urteilen, war da noch viel mehr. „Ich war dir nicht gleichgültig, obwohl du die ganze Zeit meintest, du wärst zu gut für mich?“

„Das meinte ich nicht, wie du sehr wohl weißt. Aber über das Thema haben wir bereits ausführlich gesprochen.“

Er ging auf sie zu und blieb unmittelbar vor ihr stehen. „Ich jedenfalls bin froh, dass wir uns begegnet sind, und mir ist egal, ob es Zufall oder sonst was war, was uns zusammengebracht hat.“

Er hatte gehofft, heute mit ihr reden zu können. Und er hatte ihr ein Geschenk mitgebracht, sozusagen als Friedensangebot. Sicher würde sie davon begeistert sein, und er konnte es kaum erwarten, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie den Geschenkkarton öffnete.

„Du brauchtest überhaupt keinen Kurs in richtigem Benehmen, hast mir gegenüber aber so getan, als ob du keinen Schimmer von gar nichts hättest. Du hast mich sogar glauben lassen, du hättest keine Ahnung von Kunst!“

„Habe ich auch nicht.“

Sie wischte sich ein paar Tropfen von der Stirn und starrte ihn an, als suchte sie nach irgendetwas in seinem Gesicht.

„Nur weil meine ganze Familie kunstbegeistert ist, muss ich mich damit doch noch lange nicht auskennen, Signe“, sagte er. „Na ja, du hast natürlich Recht. Sie haben mich von klein auf in die Museen und Galerien geschleppt. Aber mir hat es nie Spaß gemacht – bis ich mit dir zusammen da war.“

Immer noch betrachtete sie ihn seltsam prüfend. „Warum kann ich dir nicht glauben?“

„Aus Angst?“

„Wovor sollte ich Angst haben?“ fragte sie und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht.

„Vor mir, meiner Familie, meinem Vermögen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Aber wir müssen nicht so leben wie die anderen.“

Sie öffnete den Mund, als wollte sie ihm widersprechen, schloss ihn jedoch gleich wieder. Erst jetzt wurde ihm klar, wie unvorstellbar für ihn ein Leben ohne sie war. Er sah das Make-up, das sie extra für seine Familie aufgelegt haben musste und das von dem Sprinklerwasser verschmiert war. Am liebsten hätte er ihr angeboten, es mit dem Zipfel seines Hemds wegzuwischen, doch dies war wohl kaum der richtige Moment.

„Vielleicht hatte ich Angst“, sagte sie schließlich. „Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig.“

Er verstand nicht, was sie damit sagen wollte. Eines jedoch wusste er sicher: Er wollte sie endlich wieder in seinen Armen halten, wollte sie küssen und ihre Nähe spüren. Stattdessen stützte er sich mit einem Arm im Fensterrahmen ab, so dass sein Kopf fast direkt über Signes war. „Und wie ich diesen Kurs in richtigem Benehmen brauchte“, sagte er.

„Warum? Du bist ein Garrity.“

„Ja, aber einer mit schulterlangen Haaren und obendrein ein Wildhüter.“

„Das war deine Entscheidung.“

„Stimmt. Zwischen meinem Vater und mir herrscht allerdings eine stille Übereinkunft, dass ich die Firmenleitung übernehme, falls mein Bruder Mist baut. Ich denke, das solltest du wissen. Ich habe einen Abschluss in Ökologie und einen in Betriebswirtschaft, beide übrigens aus Harvard – mein Vater ist Yale-Absolvent, und ich wollte auf diese Weise meine Rebellion zum Ausdruck bringen.“

Er lächelte. „Die langen Haare kamen später, und dann der Job als Wildhüter. Außerdem möchte ich wirklich gern mein Buch zu Ende schreiben. Und sollte ich jemals erwägen, einen Bürojob zu machen, wird es wohl am ehesten etwas im Umweltschutz sein.“ Er seufzte. „Aber ich begreife trotzdem nicht, inwiefern all das deine Gefühle für mich beeinflusst.“

„Es beeinflusst alles! Du hast mir nicht gesagt, wer du bist und woher du kommst. Was wir hatten, basierte auf einer Lüge. Und das ist nicht mal das Schlimmste.“

Was konnte noch schlimmer sein? Er war verrückt nach ihr und zugleich sicher, dass sie ihn verlassen würde, so wie sie ihn ansah. Aber gerade das liebte er an ihr, ihr Rückgrat, das auch seiner Mutter so imponiert hatte.

„Gibst du wenigstens zu, dass wir mehr als eine Affäre hatten?“ flüsterte er. Er dachte an den Moment vor der Bibliothek, als sie kurz davor gewesen waren, eine gemeinsame Zukunft für möglich zu halten. Und in dem Augenblick war sein Vater aufgetaucht.

„Ja. Zumindest dachte ich das.“

Er sah sie an. „Willst du nicht wissen, warum ich dir die Wahrheit zunächst verschwiegen habe?“

Sie schluckte. „Bist du sicher, dass dir an mir liegt?“

„Ja!“ Wie konnte sie das fragen?

Sie blickte ihn misstrauisch an. „Jetzt? Ich meine, in diesem Moment?“

Worauf wollte sie hinaus? „Ja“, antwortete er, doch sie schien ihm nicht zu glauben.

„Bist du sicher?“

„Warum?“

„Fühlst du wirklich etwas?“

„Ja.“

Im Grunde fand er es schon ermutigend, dass sie überhaupt wissen wollte, was er empfand. Lächelnd hob er einen Hemdzipfel an ihre Wange. „Du hast da Make-up“, sagte er und begann, ihr sanft die verlaufene Farbe abzuwischen.

Für den Bruchteil einer Sekunde sah es aus, als wollte sie ihn abwehren, doch dann legte sie den Kopf in den Nacken. Er ließ sich Zeit. Wie hatte er es vermisst, sie zu berühren.

„So“, sagte er schließlich und legte eine Hand unter ihr Kinn, so dass sie ihn ansehen musste. „Möchtest du nicht wissen, warum ich dir nicht gesagt habe, wer ich bin?“

Sie schien unentschlossen, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wollte sie im Moment überall lieber sein als hier. „Warum?“

„Weil es nicht immer leicht ist, ein Garrity zu sein“, begann er. „Du glaubst nicht, wie viele Frauen sich einem an den Hals werfen, sich gegenseitig schlecht machen und alle Register ziehen, nur damit man mit ihnen ausgeht. Und dabei mögen sie dich vielleicht nicht mal.“

Er fuhr sich durchs Haar. „Am College war’s besonders schlimm. George genoss die Flirts und das Umgarntwerden. Damals bekam er auch den Spitznamen ‚der göttliche Garrity‘. Ihm war egal, aus welchen Gründen die Frauen mit ihm ausgingen. Na ja, auf jeden Fall störte er sich nicht daran, dass sie es vor allem auf sein Geld abgesehen hatten. Vielleicht deshalb nicht, weil er selbst den Wohlstand über alles stellt.“

Signe hörte ihm aufmerksam zu, und er fuhr fort: „Ich habe gesehen, wie du sie im Restaurant beobachtet hast, die Show, die sie aufgeführt haben. Du warst dabei, wie sie sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Und alles nur für Dad. Er sitzt da und redet so gut wie überhaupt nicht, während sich alle überschlagen, um Eindruck auf ihn zu machen. Und weißt du, warum?“

Sie blickte ihn mit großen Augen an und schüttelte den Kopf.

„Geld. Das Garrity-Vermögen. Jeder will sich seinen Teil davon sichern.“ Er strich ihr über die Wange und seufzte. „Du solltest sie mal sehen, wenn es irgendwelche Zwistigkeiten gibt. Sofort geht das Getuschel los, wer wohl aus dem Testament gestrichen wird, oder was wer tun sollte, um die Gunst meines Vaters zurückzugewinnen. Ehrlich, Signe, ich kann es nicht mehr ertragen. Und ebenso wenig ertrage ich die Gespräche darüber, welche Kunstwerke nach unserem Tod an welche Galerien gehen sollen. Vor lauter Traditionsbewusstsein haben die meisten von uns den Bezug zur Gegenwart verloren. Aber ich will in der Gegenwart leben. Und was die Frauen betrifft …“

Er sprach nicht weiter, sondern betrachtete Signes dunkle Augen, deren Blick so schwer zu deuten war. Zu gern wüsste er, was sie gerade dachte. Ob sie, wie er, daran glaubte, dass sie wieder dort weitermachen könnten, wo sie aufgehört hatten, als seine Familie über sie hereingebrochen war?

„Was ist mit den Frauen?“ fragte sie, und ihre Stimme klang seltsam matt.

„Na ja, im College bin ich immer in die Bars im Ort gegangen, wo keine Studenten waren. Ich zog mir alte Jeans und ein T-Shirt an, und wurde ich angesprochen, gab ich einen falschen Namen an. Ich stellte mich als Joe Smith oder Kevin Jones vor, und so lernte ich, was es hieß, einfach ich selbst zu sein. Damals beschloss ich, der Garrity-Konkurrenzkampf könnte gut und gern ohne mich stattfinden. Versteh mich nicht falsch, ich komme damit klar, wer ich bin, und ich weiß sehr wohl, was es bedeutet, aber ich will mehr.“

„Du willst mehr sein als ein Garrity?“

Er nickte. „Ich will ein eigenes Leben.“

„Und deshalb hast du mir nicht gesagt, wer du bist?“

Sie verstand immer noch nicht. „Begreif doch, Signe. Mit dir war es wie in alten Collegetagen. Dass du nicht wusstest, wer ich war, hat alles so perfekt gemacht, so viel echter. Ich wollte dir nichts vormachen, sondern nur, dass du mich erst mal richtig kennen lernst, bevor meine ganze Familie sich auf dich stürzt.“

Allmählich begriff er gar nichts mehr. Je länger er redete, umso erschrockener sah Signe ihn an. Und in ihren Augen spiegelte sich ein so tiefer Schmerz, dass es ihm fast das Herz brach. „Verdammt“, fluchte er leise. „Du ahnst nicht, was du mit mir angestellt hast, Signe.“

„Das ist ja das Problem, James“, sagte sie. „Ich fürchte, ich ahne es sehr wohl.“

Sie blickte über seine Schulter hinweg ins Zimmer. Er folgte ihrem Blick und entdeckte ein merkwürdiges Kreisarrangement in der Mitte des Bodens. Wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um einen magischen Zirkel. Mittendrin befanden sich eine Kerze, eine Glocke und ein paar gebündelte Kräuter, aus denen ein dünnes Rauchfähnchen aufstieg. Daneben lag ein dickes schwarzes Buch, dessen Titel in Goldlettern gedruckt war: Quellensammlung für Hexen.

Als er gerade darauf zugehen wollte, flüsterte sie: „Ich kann alles erklären.“

„Was kannst du erklären?“

„Dass du nichts mehr für mich empfindest. Du bildest es dir bloß ein. Vielleicht fühlt es sich für eine Weile sogar noch so ähnlich an, doch das sind nur die Nachwirkungen.“

Wovon redete sie denn? Er beugte sich hinunter und hob das Buch auf. Dabei flatterte ein Blatt heraus. Ihre Handschrift erkannte er sofort. Er fing das Papier ab, ehe es auf dem Teppich landete. Am Rand war eine Notiz: „Auf James anwenden.“

Ein Pfeil zeigte auf einen Zauberspruch. „Ja, vielleicht erklärst du es mir“, sagte er, auch wenn er nicht sicher war, ob er ihre Erklärung wirklich hören wollte.

Nachdem er die ersten Zeilen gelesen hatte, war er zunächst verwundert. Dann wurde er unsagbar wütend.

Hört, ihr Geister, meine Bitte,

die mich treibt in eure Mitte,

ist eine Nacht voll Sinnlichkeit,

mit einem Mann, der mich erfreut.

Von ihm stammt dieses seid’ne Tuch,

das unterstütze meinen Spruch.

Macht, dass mich Garrity begehrt …

Sie hatte also die ganze Zeit gewusst, dass er ein Garrity war. Er bekam kaum noch Luft. Ja, und er hatte sie begehrt. Deshalb dachte sie wahrscheinlich, der Zauber hätte gewirkt. Und er begehrte sie noch.

Wie wollte er sie je vergessen, wenn ihre Affäre jetzt endete? Und wenn nicht, wie konnte er ihr jemals verzeihen, dass sie ihn von Anfang an betrogen hatte? Kein Wunder, dass sie sich schuldig fühlte. Er las weiter:

… und falls uns Leidenschaft beschert,

so möge er zur Frau mich wählen.

Helft mir, Geister, ihr könnt’s befehlen.

„Ich hatte dir von dem Zauber erzählt“, sagte sie leise.

Aber wie war sie an ein Tuch von ihm gekommen? Dafür hätte sie ziemlich tief in seinen Schubladen graben müssen. Verwirrt blickte er wieder in das Buch. Dann erst sah er, dass der eine Vers im Buch markiert war.

Die Liebe ende … der Zauber versiege. Nicht genug damit, dass sie gewusst hatte, wen sie verzaubern wollte, nein, jetzt, da er sich in sie verliebt hatte, wandte sie sich ab und wollte die Sache rückgängig machen.

„Du wolltest den Zauber zurücknehmen?“ fragte er verwundert. Er konnte nicht fassen, wie wenig ihr die gemeinsame Zeit bedeutet hatte. „Du wolltest, dass alles vorbei ist?“

Sie nickte.

Offenbar fühlte sie sich nicht einmal schlecht dabei, ihn auf diese seltsame Art abzuweisen. Er glaubte allerdings nicht an Zauberei und Hexerei. Kein bisschen. Hatte er nie und würde er auch nie. Zugegeben, er hatte sich manchmal wie verzaubert gefühlt, aber das hatte einzig damit zu tun, dass große Leidenschaft eine eigene Magie haben konnte.

„Das meinte ich, als ich sagte, deine Lüge wäre nicht das Schlimmste.“

Er hatte Mühe, seine Wut im Zaum zu halten. „Ich hätte ahnen müssen, dass du es direkt auf mich abgesehen hattest.“

Wie war sie dazu fähig gewesen, ausgerechnet sie, Signe, die so unschuldig wirkte? „Du wusstest die ganze Zeit, dass ich ein Garrity bin“, sagte er vorwurfsvoll und ging auf sie zu.

Sie öffnete den Mund und sah ihn entsetzt an. „Du verstehst das alles falsch!“ rief sie.

„Tu ich das?“ fragte er verbittert. „Du warst verdammt gut, so unschuldig, süß und aufrichtig, wie du getan hast.“

„Ich war aufrichtig“, sagte sie.

„Ach ja? Und mich Idioten hat’s fast zerfressen vor Schuldgefühlen seit dem Abend bei Gilda’s.“ Er fühlte einen nahezu unerträglichen Schmerz. Am liebsten wollte er sie für jeden Moment bestrafen, den er einsam im Bett gelegen und sich nach ihr verzehrt hatte. „Ich habe mir Vorwürfe gemacht, weil ich dir nicht alles gesagt habe, weil ich dachte, du würdest mich wirklich mögen.“

„Das tu ich doch!“ hauchte sie.

„Ich bildete mir sogar ein, du wärst in mich verliebt.“

„Bin ich auch!“

„Und der Sex mit dir, war das Beste, das Atemberaubendste und Faszinierendste …“

„War er! War er! Aber doch nur wegen des Zaubers!“ unterbrach sie ihn. „Nichts davon war echt, James. Deshalb musste ich den Zauber rückgängig machen.“

Er hörte ihr kaum zu. „Und jetzt, nachdem du mir das Gefühl gegeben hast, ein verlogener Schuft zu sein, jetzt stellt sich heraus, dass du gelogen hast.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein!“

„Du wusstest doch, mit wem du dich eingelassen hast.“

„Ich dachte, du wärst ein Wildhüter.“

Allmählich drangen ihre Worte zu ihm durch. Hatte sie gesagt, sie wäre in ihn verliebt?

Als er sie gerade fragen wollte, ließ ihr Blick ihn verstummen. Sie war kreidebleich und sah ehrlich verzweifelt aus. Im Stillen verfluchte er sich dafür, ihr das angetan zu haben. Ein Teil von ihm wollte gar keine weiteren Erklärungen hören, sondern sie in die Arme nehmen und notfalls diesen albernen Spruch aus dem Zauberbuch herunterbeten und sogar die stinkenden Kräuter verbrennen, wenn damit nur alles wieder wie vorher war.

„Ich habe nicht dich mit einem Zauber belegt, James“, sagte sie mit zitternder Stimme.

„Aber hier steht ‚Garrity‘. Wer soll das denn sonst sein, wenn nicht ich?“

„Ich meinte … deinen Bruder.“

Ihm stockte der Atem. „Das erklärt das Seidentuch“, sagte er kopfschüttelnd. Sein Bruder ging niemals ohne seidenes Taschentuch aus dem Haus. „Wieso mein Bruder?“

Sie wurde rot, und James konnte ihr nicht mal verdenken, dass ihr die Sache schrecklich peinlich war. Niemand, der halbwegs bei Verstand war, würde George Garrity mit einem Zauber belegen – es sei denn, es ging der betreffenden Dame um Geld und nichts als Geld.

Gut, Frauen wie Christine, die nicht eben zu den Hellsten ihres Geschlechts gehörten, bewunderten arrogante Schnösel wie George und investierten freiwillig zwei Jahre harte Arbeit, damit er ihnen endlich einen Antrag machte. Aber Signe? Ein Mann wie George passte überhaupt nicht zu ihr, und dass sie nur hinter seinem Geld her war, sah ihr nicht ähnlich.

„George?“ murmelte er ungläubig.

„Ich kannte ihn kaum“, verteidigte sie sich.

„Soll das eine Entschuldigung sein?“ Er schüttelte den Kopf. „Was hast du dir …“

„Davon versprochen?“

Er nickte.

Sie wich ein Stück zur Seite, als wollte sie bei der nächstbesten Gelegenheit davonlaufen, doch er fasste ihre Schulter. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Dann hast du in der Nacht in der Hütte gedacht, ich wäre …“

George? Keiner von ihnen brachte den Namen heraus. „Nicht wirklich“, sagte sie hastig. „Als du, nun, als du mich berührtest, dachte ich gar nicht mehr an ihn. Genau genommen habe ich seit dieser Nacht nie wieder an ihn gedacht. Als hätte ich überhaupt nie für ihn geschwärmt. Aber verstehst du denn nicht? Der Zauber hat dich zufällig getroffen. Und das ist das Problem.“

James sah sie an, war sich jedoch sicher, dass nichts, was sie jetzt sagte, die Situation wirklich bessern könnte. Und dennoch hoffte er im Stillen, sie würde lauthals loslachen und ihm sagen, dass das Ganze bloß ein Scherz war. Leider tat sie es nicht.

„Dein Bruder kam regelmäßig ins Met“, begann sie. „Jeden Mittag. Und er flirtete mit mir.“

Sie benetzte sich die Lippen. Offensichtlich brauchte sie Zeit, um sich zu überlegen, was sie als Nächstes sagte. „Das war, bevor er Christine heiratete. Na ja, wahrscheinlich war es so oder so egal. Ich meine, beim Dinner hat er mich nicht mal erkannt.“

James fühlte sich wie betäubt. Er sah hilflos mit an, wie sich ihr Mund bewegte. „Und?“

„Du hörst mir gar nicht richtig zu“, flüsterte sie unglücklich. „Ich schätze, er funktioniert.“

„Wer funktioniert?“

Sie starrte ihn an, als wäre er ein kompletter Idiot. „Der Gegenzauber. Nachdem der Zauber, der für deinen Bruder gedacht war, auf dich wirkte, musste ich doch etwas tun! Nichts von dem, was zwischen uns geschehen ist, war echt.“

Er konnte nicht so schnell folgen. „Du warst in meinen Bruder verliebt?“ Wie wollte er jemals eine Frau respektieren, die sich von George angezogen fühlte?

„Ich war“, betonte Signe.

„Und jetzt bist du es nicht mehr?“

„Natürlich nicht!“ rief sie entrüstet, was wiederum für sie sprach. „Also, nichts gegen deinen Bruder, aber, nun ja, wenn er mittags im Met war, schien er eigentlich ganz nett. Er hat bei mir einen Kaffee getrunken und mit mir geflirtet. Und er sieht sehr gut aus.“

James nickte.

„Er war auch bei der Halloweenparty, auf der ich servierte“, fuhr sie fort. „Du weißt schon, die Party, auf der die Statue von deinem Onkel gestohlen wurde. Na ja, und er war charmant, sympathisch, wohlhabend, eben ein …“

Da war er wieder, der Fluch, der auf James lastete. „Eben ein Garrity.“

Sie sah ihn nicht an, als sie weitersprach: „Ja. Trotzdem habe ich das mit dem Zauberspruch bloß zum Spaß gemacht. Ich glaube normalerweise nicht an solche Sachen. Und meine Freundinnen und ich waren nur in die Catskills gefahren, weil Diane überlegte, diese Reisen mit anzubieten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass dein Bruder tatsächlich in meinem Bett liegen würde.“

„In meinem Bett“, korrigierte er sie.

Er fragte sich gerade, wie es nun weitergehen sollte, als sie einen Automotor hörten. Signe war sichtlich erleichtert und drehte sich um. James sah ebenfalls aus dem Fenster.

„Das sind Perez und Styles“, sagte Signe. „Sie müssen zusammen hergefahren sein.“

Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da warf sie sich halb aus dem Fenster. James begriff nicht, was sie vorhatte, packte sie aber instinktiv in der Taille und versuchte, sie zurück ins Zimmer zu zerren. „Bleib hier, Signe. Da draußen gießt es in Strömen.“

„Ich bin schon nass“, erwiderte sie und wehrte seine Hände ab. Wäre er nicht so wütend gewesen, hätte es ihm vielleicht nichts ausgemacht, aber jetzt machte es ihn halb rasend. Seit Tagen sehnte er sich danach, sie endlich wieder anzufassen, und nun berührten seine Hände ihre Haut, und er wollte sie am liebsten an sich pressen, den albernen Streit vergessen und sie einfach festhalten.

„Stopp!“ schrie sie. „Stehen bleiben, ihr zwei!“ Atemlos drehte sie sich zu James um. „Ich kenne die beiden. Ich habe sie an dem Abend gesehen.“

„Wen?“ fragte er und versuchte weiter, sie wieder ins Zimmer zu ziehen. „An welchem Abend?“

Styles und Perez kamen die Einfahrt herauf, also konnte sie die beiden nicht meinen. Er blickte über Signes Schulter nach unten. Da waren seine Neffen. Was konnte Signe von ihnen wollen?

„Rührt euch nicht von der Stelle!“ brüllte sie hinunter. „Sie heißen Steven und Charles, stimmt’s?“ fragte sie James.

Er nickte und fragte sich, ob sie dieses Theater inszenierte, um von ihrem Streit abzulenken. Doch ehe er etwas erwidern konnte, schubste sie ihn energisch weg. „Geh mir aus dem Weg, James“, befahl sie und rannte an ihm vorbei aus dem Zimmer.

Er sah aus dem Fenster. Bevor er hinter ihr herrannte, wollte er sehen, worum es bei diesem Aufruhr ging. Detective Perez und Edmond Styles waren noch auf dem Weg zur Haustür, während Steven und Charles Richtung Strand rannten.

Von hinten sahen die beiden Jungen fast gleich aus. Auch wenn Charles elf und Steven dreizehn war, waren sie ungefähr gleich groß. Sie waren beide schon zum Tee umgezogen, trugen blaue Bundfaltenhosen und Blazer. Beim Rennen flatterten ihnen ihre Krawatten, für die sie ohnehin noch zu jung waren, wie James fand, nach hinten über die Schultern.

Nun kam Signe die Frontveranda hinunter gerannt und setzte ihnen nach. Sie verlor einen Schuh, wovon sie sich allerdings nicht aufhalten ließ. „Stehen bleiben!“ schrie sie. „Bleibt sofort stehen!“

Steven hatte etwas in der Hand. Und Charles, der ein Stück hinter ihm war, fuchtelte wild mit den Armen, als wollte er es ihm abnehmen. Es war etwas Dunkles. Eine Holzfigur? „Was zum …“, raunte James.

12. KAPITEL

„Stehen geblieben!“ schrie Signe. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass James sie einholte, rannte aber unbeirrt weiter. Der Regen klatschte ihr ins Gesicht, und ihre Kleider klebten ihr am Körper. „Sie haben die Statue“, rief sie atemlos.

Die beiden Jungen waren auf dem Hügel, wo die Dünen begannen.

„Ich weiß“, sagte James. „Ich habe sie gesehen.“

Signe hatte Seitenstiche, ihre Lungen drohten zu platzen, aber sie rannte weiter, inzwischen ohne Schuhe, nur auf ihren Seidenstrümpfen. Sie blickte über ihre Schulter nach hinten, wo Detective Perez und Edmond Styles aus dem Wagen sprangen und ihnen hinterherrannten. Sie mussten die Statue ebenfalls erkannt haben.

„Die Kinder sind zu schnell!“

„Nicht für mich.“ James sprintete los. Er war also nur ihretwegen langsamer gelaufen, dachte Signe gerührt.

Sein offenes weißes Hemd flatterte wie ein Segel hinter ihm her. Darunter konnte sie die gebräunte Haut sehen, und prompt wurde ihr heiß. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass sie hier wegkam. Wann immer sie James ansah, musste sie daran denken, wie sehr sie sich nach seiner Nähe verzehrte. Es tat so unglaublich weh, ihn aufgeben zu müssen. Und dennoch blieb ihr nichts anderes übrig.

Sobald die Eros-Statue in Sicherheit war, konnte sie in ihren Mietwagen steigen und verschwinden. Sie brauchte nicht einmal mehr zum Tee mit Jacqueline Garrity zu bleiben, da sie ja schon vollständig rehabilitiert war.

James verschwand über den Hügel, und Signe beschleunigte. Rennen war immer noch besser als das beschämende Gespräch mit James im Gästezimmer. Nun wusste er, dass sie darauf aus gewesen war, sich einen reichen Mann zu angeln. Wie wollte sie sich damit herauswinden, bei dem ganzen Zauber hätte es sich um einen Scherz unter Freundinnen gehandelt?

Und James’ Familie hatte sie beim Zauberversuch erwischt, glaubte sogar, sie würde Marihuana rauchen. Um ein Haar hatte sie Louises Gästezimmer abgebrannt. Und die Krönung war, zu sehen, wie unsagbar verletzt James war, als er den Gegenzauber fand.

Was hätte sie denn tun sollen? Natürlich glaubte sie eigentlich nicht an Hexerei, aber der erste Zauber hatte gewirkt. Dass sie ausgerechnet in James’ Bett gelandet war, war ein bisschen zu viel Zufall, oder? Und dass sich das falsche Bett als das letztlich richtige erwies, doch wohl auch. Warum sah er denn nicht ein, dass sie gar keine andere Wahl hatte? Sie musste ihre Liebe widerrufen.

Denn Liebe war es doch gewesen, oder nicht? Sie lief über den Hügel und sah James, der vor den beiden Jungen stand, die Hände in die Hüften gestemmt. Die beiden keuchten und krümmten sich. Steven hielt immer noch die Statue fest.

„Gebt sie mir“, befahl Signe außer Atem und nahm Steven die Figur ab. Sie war unglaublich erleichtert, als sie das teure Stück endlich sicher in den Händen hielt.

„Ist es das, für das ich es halte?“ rief Detective Perez.

Signe drehte sich um. Zusammen mit Edmond Styles kam er die Düne hinunter, dicht gefolgt von George, Harold, Jacqueline und Louise.

„Ich wollte sie zurückgeben“, begann Steven. „Aber Charles hat mich nicht gelassen.“

„Du hast sie geklaut“, entrüstete sich sein kleiner Bruder und sah hilflos zu den Erwachsenen. „Und du hast den Alarm ausgestellt. Hat er wirklich, Mom!“

„Ich wollte sie zurückgeben.“

„Ich habe die beiden auf der Party gesehen“, mischte sich Signe ein und sah zu Perez und Styles. „Sie waren da.“ Mit George, wie ihr jetzt klar wurde. Er musste sie mitgebracht haben. „Und als ich sie vom Fenster aus sah, erkannte ich sie wieder. Ich wusste ja nicht, dass sie Ihre Söhne sind, Mrs. Amherst.“

„Tja, jetzt wissen Sie’s“, sagte Louise. „Und ihr zwei dürft uns erklären, was ihr euch dabei gedacht habt.“

„Er dachte, sie macht ihn potent“, sagte Charles. „Und ich musste ihm schwören, keinem was zu sagen, dabei wusste ich doch, dass die Figur Onkel Harold gehört.“

Alle Augen richteten sich auf Steven, der ähnlich peinlich berührt schien wie Signe vorhin im Gästezimmer.

Sie traute sich nicht, James anzusehen. Was musste er von ihr denken? Welche Frau würde einen Zauber aussprechen, um Sex mit einem Mann zu haben, noch dazu mit einem oberflächlichen Schnösel wie George? Und dann, wenn sie mit dem falschen Bruder im Bett landete, das halbe Haus niederbrennen, um alles wieder rückgängig zu machen?

Ein Donnergrollen riss sie aus ihren Gedanken.

„Ich bin potent“, wehrte sich Steven.

„Und wieso hast du die Potenz-Statue gestohlen?“ fragte sein kleiner Bruder, der vor Wut zitterte. Sicher hatte sein großer Bruder ihm die übelsten Strafen angedroht, falls er ihn verpetzte. „Ich wollte sie ihm wegnehmen und sie zurückgeben. Ich wusste doch nicht, was ich machen soll, weil ich nicht petzen wollte. Aber er hat sie gestohlen, damit er Mädchen kennen lernt.“

Der Dreizehnjährige wurde nun genauso leuchtend rot wie die Streifen auf seiner Krawatte, die der amerikanischen Flagge nachempfunden war. „Nein, Charles spinnt doch. Er …“

„Er dachte, wenn er die Statue hat, geht dieses Mädchen aus seiner Klasse, diese Alice Pennington, mit ihm aus“, unterbrach ihn Charles.

«Alice Pennington?» fragte Louise.

Steven erzählte widerwillig, um wen es sich handelte. „Erst mochte sie mich auch, und dann hat sie nur noch mit einem der anderen Jungen geredet. Aber das hat mir gar nichts ausgemacht, ehrlich. Sie ist ja bloß ein doofes Mädchen, und …“

„Deshalb hat er die Statue unter sein Bett gelegt“, unterbrach ihn Charles erneut. „Und da hab ich sie gefunden. Aber als ich sie runterbringen und Mom geben wollte, hat er sie mir weggerissen.“

„Und mich hat man des Diebstahls beschuldigt“, sagte Signe matt.

Die beiden Jungen sahen sie an. „Haben Sie nicht auf der Party bedient?“ fragte Charles unsicher.

„Ja, ich glaube schon“, sagte Steven. „Dann waren Sie die, mit der Onkel George geredet hat, und da, na ja, da haben Sie nicht hingeguckt, und ich konnte den Alarm abstellen.“

Bis auf James schienen die Garritys ein ausgesprochen löchriges Gedächtnis zu haben, wenn es um Bedienungspersonal ging. „Ja, das war ich“, bestätigte Signe.

„Tut uns Leid“, murmelte Charles.

„Ich hoffe, Sie haben keinen Ärger gekriegt“, fügte Steven hinzu.

„Ich habe meinen Job verloren.“

„Ach was, das war doch bloß ein Irrtum!“ verkündete Jacqueline, die als Einzige von allen einen Schirm bei sich trug. „Schließlich ist Signe eine gute Freundin der Familie.“

Edmond Styles rang die Hände. „Davon hatte ich ja keine Ahnung, Signe, ich meine, Miss Sargent. Warum haben Sie mir denn nicht gesagt, dass Sie eine persönliche Bekannte der Garritys sind? Ich hoffe, Sie vergeben mir das kleine Missverständnis.“

Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich Signes und James’ Blicke, und in ihr zog sich alles zusammen. Sie konnte nicht erkennen, was in ihm vorgehen mochte. Sie jedenfalls sehnte sich nach seiner Umarmung, nach jener besonderen Nähe, die sie nur mit ihm erlebt hatte.

Sie wandte sich ab. „Keine Sorge“, sagte sie zu Edmond Styles. „So gut sind wir auch wieder nicht befreundet. Wir haben uns erst kürzlich kennen gelernt.“

Dann trat sie einen Schritt vor und überreichte die Statue den beiden Männern. „Hier. Einer von Ihnen sollte sie besser in Sicherheit bringen.“

„Das wäre dann wohl ich“, sagte Detective Perez, der die Statue neugierig betrachtete und dabei mit seinem dünnen Schnauzbart spielte. „Ich werde dafür sorgen, dass sie sicher ins Museum zurückgelangt. Ich habe Sie unterschätzt, Miss Sargent. Vielen Dank, dass Sie das wertvolle Objekt wiederbeschafft haben.“

„In einem Punkt allerdings haben Sie mich zu Recht verdächtigt“, erwiderte Signe leise, so dass nur er es hören konnte. „Die drei Katzen waren meine Freundinnen.“

Er lächelte. „Dachte ich mir.“

„Sehr gut“, rief Harold begeistert, der Signe eine seiner riesigen Pranken auf die Schulter legte, als wäre sie ein langjähriger Sportsfreund von ihm aus Harvard. „Tolle Vorstellung. An dem Abend bei Gilda’s wäre ich im Traum nicht drauf gekommen, dass Sie undercover arbeiten.“

Signe beschloss, dass es zu lange dauern würde, die Familie darüber aufzuklären, welche Rolle sie tatsächlich in dem Ganzen spielte. Und sie wollte auf keinen Fall erklären, dass all das wahrscheinlich nie geschehen wäre, hätte sie nicht per Zauberspruch bewirken wollen, dass George mit ihr schlief.

„Sehen wir uns am Montag?“ fragte Edmond Styles verlegen. „Sie werden dann selbstverständlich direkt Ihre neue Stelle im Archiv antreten, die ich Ihnen ja schon in Aussicht gestellt hatte. Sollte Ihnen diese Position nicht zusagen …“

Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass er sich gezwungen fühlte, ihr einen Job nach ihrem Wunsch zu bieten. Andererseits hatte sie hart für eine Chance am Metropolitan Museum gearbeitet, und sie hatte an jenem Abend keinen Fehler gemacht. Sollte sie da alles sausen lassen? „Danke, Mr. Styles. Mit der Stelle im Archiv wird ein Traum für mich wahr. Ich freue mich sehr darauf, wieder für Sie zu arbeiten.“

Er sah erleichtert aus. „Am Montag dann.“

„So, und jetzt wollen wir endlich zum Tee gehen“, sagte Jacqueline.

„Ach, Mrs. Garrity“, begann Signe und reichte James’ Mutter die Hand. „Es hat mich wirklich sehr gefreut, Sie zu sehen, aber ich muss zurück in die Stadt. Ich hoffe, Sie werden das verstehen.“

Jacqueline sah enttäuscht aus. „Ich wünschte, Sie könnten bleiben.“ Sie machte eine vornehme Pause. „Es wäre schön, wenn Sie noch ein wenig mit James plaudern könnten, aber wenn Sie natürlich in die Stadt müssen …“

„Ja, ich muss leider“, bestätigte Signe.

So wütend und verletzt James vorhin ausgesehen hatte, musste sie abfahren. Hier war sie nicht mehr willkommen. Nach allem, was sie getan hatte, wie konnte er ihr da noch in die Augen sehen? Mit einem schmerzhaften Kloß im Hals drehte sie sich um, um sich von James zu verabschieden.

Aber er war fort.

Zwanzig Minuten später saß Signe in ihrem Mietwagen. Ihr Gepäck hatte sie achtlos auf den Beifahrersitz geworfen. Unsicher hielt sie das Lenkrad mit beiden Händen. Sie war eine ausgesprochen ungeübte Fahrerin, und der strömende Regen machte ihr die Sache nicht gerade leichter.

Sie fingerte an den Schaltern und Knöpfen herum, bis sie endlich den Regler für die Scheibenwischer gefunden hatte. „Aha“, murmelte sie.

Sie fühlte sich entsetzlich. Als sie zum Haus zurückgekommen war, hatte sie James nirgends entdecken können. Dabei hatte sie insgeheim gehofft, er würde sie anflehen zu bleiben. Wie kindisch von ihr.

Da er nicht kam, sie nicht in seine Arme nahm und ihr nicht die nassen Sachen vom Leib riss, um sie zu lieben, wie nur er sie lieben konnte, hatte sie die nassen Kleider anbehalten und war verschwunden.

Jetzt fror sie. Und sie hatte sich verfahren. Sie war eben an einer Weggabelung vorbeigekommen, an der sie sich gewiss zwischen Strand und Stadt hätte entscheiden müssen, aber leider hatte sie die Schilder nicht lesen können.

Mittlerweile war sie ziemlich sicher, dass sie die falsche Richtung gewählt hatte, doch es gab nirgends eine Wendemöglichkeit. Außerdem hatte sie das ungute Gefühl, dass mit dem Wagen etwas nicht stimmte. Sie kannte sich mit Autos nicht aus, aber sie hörte immer wieder ein seltsam quiekendes Geräusch. Konnte das der Motor sein? Oder vielleicht die Heizung, die sie auf höchste Stufe gestellt hatte?

Der Regen klatschte gegen die Windschutzscheibe, Signe bibberte vor Kälte, und ihr war zum Heulen. Aber sie würde nicht um einen Mann weinen, nicht einmal um einen Garrity, und schon gar nicht, nachdem sie alles vermasselt hatte.

Was immer geschah, sie war und blieb Signe Sargent, das einzige Kind der Minneapolis-Sargents, die sie ewig lieben würden, ganz gleich wie sehr sie sich zum Idioten machte. Wenigstens das konnte ihr niemand nehmen.

Ihre Woche mit James war reine Magie gewesen. Ein Zauber. Eine Fantasie. Und nun war sie vorbei. Sei dankbar für das wunderbare Zwischenspiel. Ihr blieb die Erinnerung an die Spaziergänge durch Manhattan, an die Nächte in ihrem Bett. Sie blinzelte und redete sich ein, die Tränen wären eine Begleiterscheinung der Panik, weil sie sich verfahren hatte. Sie wollte endlich hier weg.

Weiter vorn war ein Straßenschild. Hektisch wischte sie sich die Wange mit dem Handrücken, mit dem sie zuvor die beschlagene Scheibe gewischt hatte. Wenigstens konnte sie sich so einreden, die Feuchtigkeit käme von der Autoscheibe und nicht von ihren Tränen. Dieser verdammte Regen war an allem schuld. Auch daran, dass sie das Schild nicht erkennen konnte.

Und das Auto gab wahrscheinlich gleich seinen Geist auf. Das quiekende Geräusch wurde beständig lauter. Demnächst würde sie einsam und verlassen am Straßenrand stehen und über ihr Handy den Pannendienst rufen müssen. Sie sah es bildlich vor sich, wie sie an der Straße stand, noch nasser und noch kälter, als sie jetzt schon war. Und während ihr Mietwagen repariert wurde, saß sie in den Hamptons fest, konnte kein Hotelzimmer bekommen und musste zu Louise zurückkehren.

Nein, sie durfte nicht hysterisch werden. Sie musste sich auf irgendetwas anderes konzentrieren als das Quieken oder die Tatsache, dass sie James wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Wenigstens war sie nun nahe genug an dem Schild, um die Aufschrift entziffern zu können. Leider war darauf ein Pfeil in Fahrtrichtung abgebildet, neben dem nur ein Wort stand: Strand.

Das war eindeutig ein schlechtes Zeichen.

Sie bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung zur Stadt. Weiter vorn konnte sie schemenhaft ein kleines Häuschen erkennen. Eine Touristeninformation wäre jetzt gewiss zu viel verlangt gewesen, zumal die Strände in dieser Gegend sämtlichst privat waren. „Bitte hör auf“, flehte sie das lauter werdende Quiekgeräusch an. Angestrengt versuchte sie, durch den Regen genauere Umrisse auszumachen. „Eine Gartenlaube?“

Davor befand sich eine kleine Parkbucht. Ein Glück. Dort würde sie halten und sich erst mal sammeln. Eventuell konnte sie sich trockene Sachen anziehen, damit ihr nicht mehr so erbärmlich kalt war. Vorausgesetzt es war niemand in der Nähe.

Stand da jemand? Hoffentlich war es jemand, der ihr sagen konnte, wie sie in die Stadt kam. Sie fuhr auf den kleinen Parkplatz. In dem Moment krachte ein Donner herunter, und ein Blitz fuhr über den dunklen Himmel. Es war eines dieser lauten und heftigen Gewitter, bei denen sie früher ängstlich ins Bett ihrer Eltern gekrochen war.

Ja, da stand wirklich jemand in der Laube. Signe fuhr möglichst dicht heran. Doch kaum hatte sie den Motor ausgestellt, überkam sie Angst. Was, wenn ein Perversling in der Gartenlaube stand? Sie griff nach ihrem Handy.

Ach was, nun wurde sie schon paranoid. In New York zu leben ließ einen den Glauben an das Gute im Menschen verlieren. Signe atmete tief durch und drehte sich um, in der Hoffnung, auf dem Rücksitz einen Schirm zu finden.

Ein Karton?

In der Mitte der Rückbank stand ein Pappkarton, etwa doppelt so groß wie ein Schuhkarton. Sie hatte ihn vorher gar nicht bemerkt. Verwundert holte sie ihn nach vorn und stellte ihn auf den Beifahrersitz.

Als sie den Deckel abgenommen hatte, brach sie in Tränen aus. In dem Karton saß eine winzig kleine Bengalkatze, hellbraun mit dunkelbraunen Tigerstreifen. Dahinter steckte James, keine Frage. Das kleine Kätzchen war in ein flauschiges Handtuch gekuschelt und blickte Signe furchtbar beleidigt an, als wäre es zutiefst enttäuscht, ausgerechnet bei ihr gelandet zu sein. So wie das Kätzchen sie anguckte, sollte man beinahe meinen, Signe wäre der gemeinste Mensch auf der ganzen weiten Welt.

„Daher kommt das Quieken. Ach, du armes kleines Ding“, sagte Signe schluchzend, nahm das Kätzchen aus dem Karton und streichelte das winzige Fellknäuel, bis es zu schnurren begann und das Köpfchen reckte, damit sie es unterm Kinn kraulen konnte.

James hatte die Katze gewiss als Friedensangebot gedacht. Und trotz allem, was inzwischen geschehen war, hatte er sie in ihrem Auto gelassen.

„Magic“, flüsterte Signe. „So werde ich dich nennen.“ Das Kätzchen bedeutete, dass James sie immer noch mochte, dass er ihr verziehen hatte. Deshalb hatte er ihr ein Haustier geschenkt, das für sie da sein konnte, wenn er fort war. Hatte er denn nicht begriffen, dass Signe eigentlich gar nicht fortwollte? Sie war eine solche Idiotin gewesen! Sie musste ihn um Verzeihung bitten.

Sie sah durch die Windschutzscheibe, auf die der Regen niederprasselte, so dass sie die Umgebung wie durch einen Schleier wahrnahm. Immerhin konnte sie erkennen, dass es sich bei der Person in der Laube um einen Mann handeln musste. Bestimmt konnte er ihr den Weg sagen – zu den Garritys.

Sie blickte auf das Kätzchen in ihrer Hand und beschloss, dass sie auf keinen Fall einfach in die Stadt zurückfahren konnte. Dass James ihr dieses entzückende Fellbündel geschenkt hatte, musste ein Zeichen sein.

„Du wartest hier“, flüsterte sie und setzte das lautstark protestierende Kätzchen in den Karton zurück. „Ich muss ganz kurz aussteigen und nach dem Weg fragen. Ich komme gleich wieder, versprochen.“

Sie stieg aus und hielt ihre nasse Jacke vorn zusammen, während sie durch den strömenden Regen zu der Gartenlaube rannte. „Entschuldigen Sie“, rief sie schon von weitem, „Entschuldigung, ich habe mich verfahren.“

Eilig lief sie die Stufen hinauf und stellte sich unter das Dach. „Sir, ich …“

Ganz langsam drehte James Garrity sich um. Signe hörte auf zu atmen, und neue Tränen stiegen ihr in die Augen. Mit ihm hatte sie hier wahrlich nicht gerechnet. Das war pure Magie, und dabei hatte sie überhaupt keinen Zauber ausgesprochen. Er hatte hinaus aufs Meer gesehen, die Hände auf die Brüstung gestützt.

Wortlos wartete Signe, bis er sich ganz zu ihr umgedreht hatte. Dann sagte sie nur: „James.“

„Ich dachte, du wärst abgefahren.“

„Bin ich auch. Ich habe das Kätzchen gefunden.“

„Gefällt sie dir?“

„Und ob!“ Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr sie sich darüber freute. Sie ging einen Schritt auf ihn zu. „Nachdem ich das Kätzchen gefunden hatte, wollte ich umkehren und zu Louise zurückfahren. Aber ich habe mich verirrt.“

Er sagte nichts, sondern nahm sie in die Arme. Sie schmiegte sich an seine Brust, und auf einmal war ihr überhaupt nicht mehr kalt. Seine Stimme klang heiser, als er schließlich sprach. „Du hast dich nicht verirrt, Signe. Du bist genau da, wo du hingehörst.“

In seinen Armen. O ja, und sie wollte nirgendwo anders sein. Trotzdem war alles ein bisschen verwirrend. War James nicht vorhin noch im Haus gewesen? „Wie kommst du hierher?“

„Ich habe eine Abkürzung genommen. Mit dem Jeep.“

Sie hatte keinen Wagen in der Parkbucht gesehen. Aber eigentlich hatte sie auch nicht darauf geachtet. „Und was machst du hier?“

„Ich komme oft her, wenn ich in Ruhe nachdenken will. Mein Vater hat die Laube vor Jahren gebaut, und ich mochte diesen Ort immer besonders gern.“

Dann befand sie sich nach wie vor auf dem Garrity-Anwesen? Sie hatte es noch nicht mal geschafft, ihr Grundstück zu verlassen? James strich mit dem Daumen über ihre Wange bis hinunter zu ihrem Kinn. Dann hob er es leicht an, damit sie ihn ansah. Er zögerte einen Moment, bevor er sie küsste.

Sein Kuss fühlte sich wunderbar an. Erst jetzt wurde Signe bewusst, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte.

„Und worüber hast du nachgedacht?“ fragte sie hinterher.

„Über dich.“

Es war zu schön, um wahr zu sein. Magisch eben. Ihr Herz drohte, vor lauter Glück zu explodieren. „Ich wollte den Zauber nicht rückgängig machen. Ich wollte dich nicht verletzen, wirklich, ich dachte nur …“

„Und ich dachte, du wolltest nicht, dass ich Gefühle für dich habe.“

„Nein“, flüsterte sie, „das war es nicht.“

Er sprach nicht gleich, und für einen Moment hörte man nichts als das Rauschen der Wellen und das wasserfallähnliche Strömen des Regens. Kein einziges anderes Geräusch außer jenen, die die Kräfte der Natur machten. Als wären sie beide die einzigen Menschen auf der Welt.

„Ich dachte darüber nach, wie wenig ich wollte, dass du wegfährst“, sagte er leise.

„Aber ich habe deinen Bruder mit einem Zauber belegt, und als ich ihn umkehrte, musstest du ja denken, ich hätte keine echten Gefühle.“

„Nein, mir ist klar geworden, dass du sehr wohl echte Gefühle für mich hegen musstest. Sonst wäre es dir nicht so wichtig gewesen, die Zauberwirkung rückgängig zu machen.“

„Und? Glaubst du, dass all das hier echt ist?“

„Mit uns?“

„Ja.“

Er sah sie an, und seine Augen funkelten vor Lust. Signe wurde abwechselnd so heiß und kalt, dass sie glaubte, es nicht länger aushalten zu können. Ganz gleich, welche oberflächlichen Differenzen sie haben mochten, die Leidenschaft, die sie teilten, ließ sie jedes Hindernis überwinden.

Einen nach dem anderen öffnete sie die Knöpfe ihrer Bluse. Anschließend löste sie den Frontverschluss ihres BHs, und dann schmiegte sie sich an seine Brust.

„Warum sollte ich dir nicht vergeben?“ fragte er mit rauer Stimme, küsste sie und glitt mit den Händen ihre Schenkel hinab. „Ich habe dich so schrecklich vermisst. Und ich habe das hier vermisst.“ Er schob ihren Rock nach oben und zog ihren Slip hinunter. „Ich brauche dich.“

„Ich dich auch“, hauchte sie atemlos. Ihr war schwindlig vor Verlangen. „Ich weiß nicht, was es ist, ob es die Nachwehen des Zaubers sind oder vielleicht, weil ich vorhin die Eros-Statue angefasst habe“, sagte sie, während sie ungeduldig seinen Reißverschluss öffnete.

„Egal, was es ist, Hauptsache, ich hab dich wieder“, erwiderte er, bevor er sie wieder küsste.

Er hob sie hoch. Instinktiv legte Signe die Hände um seine Schultern und schlang die Beine um seine Hüften, bereit für eine leidenschaftliche Vereinigung, die nicht weniger stürmisch sein sollte als die Natur, die sie umgab. „Und es macht dir nichts aus, dass alles mit einem Zauberspruch begann?“

Er schüttelte den Kopf. „Mir ist nur wichtig, wie alles ausgeht“, sagte er. „Außerdem glaube ich nicht an Zauberei.“

Sie sah ihm in die Augen. Wie konnte er diesen Zauber leugnen? „Wirklich nicht?“

„Nein, wenigstens nicht an die Sorte mit den Kerzen und den Zaubersprüchen.“

„Und an welche Sorte dann?“

„An diese“, sagte er und drang in sie ein, während um sie herum ein krachender Donnerschlag niederging. Sie schrie auf vor Wonne.

Er hatte Recht. Wie es angefangen hatte, tat nichts zur Sache. Es kam nur darauf an, wie es weiterging. Und sein Kuss verriet ihr, wie es für sie beide weitergehen würde: Für immer.

– ENDE –

IMPRESSUM

Erotische Spiele erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2002 by Leslie Kelly
Originaltitel: „Naturally Naughty“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY
Band 8 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG , Hamburg
Übersetzung: Monika Paul

Umschlagsmotive: sakkmesterke / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733779191

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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Autor

Leslie Kelly
Leslie Kelly ist als Romance-Autorin bekannt für ihre zauberhaften Charaktere, die geistreichen Dialoge und ihren frechen Humor. Das hat ihr 2006 den Romantic Times Award und weitere Award-Nominierungen eingebracht. Seit Erscheinen ihres ersten Buches 1999 hat sie mehr als dreißig sexy-freche Liebesgeschichten für Harlequin geschrieben.

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