Sinnliche Umarmung

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Sheriff Ford Maguire versteht sich selbst nicht mehr: Sophie, die neue Kellnerin in Peg's Diner, geht ihm unter die Haut. Obwohl sie gar nicht seinem üblichen Frauentyp entspricht, ist er verrückt nach ihr. Er kann an nichts anderes als an sie, ihren Körper, ihr Lächeln denken. Ford ahnt nicht, was sie vor ihm verbirgt …


  • Erscheinungstag 25.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759131
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Für den Augenblick waren sie sicher.

Sophie Reynolds ließ sich auf das Bett sinken und drückte ihre kleine Tochter Jessamine fest an die Brust. Erschöpft und ängstlich wartete sie ab, bis sich die Schritte vor der Tür entfernt hatten. Erst dann entspannte sie sich.

Das geräumige Zimmer im dritten Stock der freundlichen Pension war zwar nicht gerade das Zuhause, von dem sie immer geträumt hatte, aber es war hell und gemütlich. Alles blitzte vor Sauberkeit, und die gestärkten Spitzengardinen gaben dem Ganzen etwas Anheimelndes. Es gab sogar genügend Platz für ein Kinderbett. Und das Beste war, dass ihre mageren Ersparnisse nicht gleich mit der ersten Mietzahlung aufgebraucht waren.

Katie Jones, die Eigentümerin, mochte in ihrem Alter sein. Sie hatte sie herzlich willkommen geheißen, aber keine unnötigen Fragen gestellt. Sophie hatte sie auf Anhieb gemocht.

Darlene hatte ihr immer wieder eingehämmert: „Benimm dich ganz natürlich, als ob du nicht das Geringste zu verbergen hättest.“ Aber das war leichter gesagt als getan.

Bevor sie Portland verlassen hatte, war sie stundenlang damit beschäftigt gewesen, die wesentlichen Stationen im Leben der Sophie Reynolds auswendig zu lernen. Anschließend hatte sie gemeinsam mit Darlene die Biografie ausgeschmückt. Sie hatten Details dazu erfunden, um alles glaubwürdiger zu machen. Und in einigen Punkten glichen sich ihre Lebensläufe sogar. Sie waren beide achtundzwanzig Jahre alt und Witwen. Nur stammte sie nicht von einer Ranch in Montana.

Darlene hatte sie ununterbrochen abgehört. Jede Einzelheit hatte sie wissen wollen, und es hatte eine ganze Zeit gedauert, bis sie mit dem Ergebnis ihrer gemeinsamen Arbeit zufrieden war. Sie hatte nicht eher Ruhe gegeben, bis Sophie ihren neuen Lebenslauf im Schlaf beherrschte. Aber sie hatte ja recht. Ihre Geschichte musste lückenlos sein. Ein Zögern, ein flüchtiger Blick, eine ausweichende Antwort konnte sie verraten – und dann wäre alles umsonst gewesen.

Darlene war immer eine gute Freundin gewesen, wahrscheinlich die beste, die sie jemals gehabt hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie als ehemalige Drogensüchtige mehr Verständnis für Menschen aufbrachte, die in Schwierigkeiten steckten. Nur ihr verdankte Sophie auch ihren neuen Ausweis und die gefälschte Geburtsurkunde für Jessie.

Schließlich war es soweit. Sie verließ Portland, um im Süden eine neue Existenz zu gründen. Dass sie ausgerechnet in Clover gelandet war, war allerdings Zufall.

„Jetzt sind wir sicher, Jessie“, flüsterte sie. „Hier wird uns niemand finden, das verspreche ich dir. Und wenn doch jemand Verdacht schöpft, ziehen wir einfach weiter.“

Jessie hob den Blick und sah sie aus den unverwechselbaren goldbraunen Augen ihres Vaters an. Sophie stockte der Atem. Wells war seit über einem Jahr tot, doch die Erinnerung war noch so lebendig, als wäre es gestern gewesen.

In den vierzehn Monaten nach seinem Tode hatte sie genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Hätte sie sich doch bloß auf ihr Studium konzentriert, anstatt mit ihrer Mitbewohnerin zu diesem verfluchten Gershwin-Konzert in Portland zu gehen. Dann hätte sie Wells Manwaring junior niemals kennengelernt. Er hätte ihr niemals von seinem teuren französischen Rotwein angeboten, und sie wäre niemals auf seinen Charme hereingefallen. Wie hatte sie sich nur so blenden lassen können?

Als sie ihn heiratete, hatte sie keinen Zweifel daran, dass sie das Richtige tat. Doch schon bald wurde sie eines Besseren belehrt. Sie hatte alles versucht, an ihrer Ehe festzuhalten. Es war vergebens gewesen.

Am Tage seiner Beerdigung war sie wie betäubt gewesen. Sie stand noch unter Schock, konnte weder essen noch schlafen. Niemals würde sie die Stimme des Priesters vergessen, der Wells und sie kurze Zeit zuvor getraut hatte. Seine Predigt war eine einzige Lobeshymne auf den Verstorbenen. Er lobte Wells’ Großzügigkeit, seinen Einsatz für wohltätige Zwecke und seine Aufopferungsbereitschaft gegenüber seinen Freunden, die so zahlreich zum Abschied erschienen waren. Alle hatten Wells geliebt. Sie war offenbar die Einzige, die seine finstere Seite kannte, seine Depressionen, seine Wutanfälle und seine Eifersucht, mit der er sie immer häufiger quälte.

„Es wird dir ganz sicher in Clover gefallen“, murmelte sie und streichelte Jessie über die Wange. Sie hatte so lange darauf warten müssen, ihr eigenes Kind in die Arme zu schließen, dass sie es jetzt jedes Mal als ein Geschenk empfand.

„Hast du gemerkt, wie warm es draußen war? Dabei haben wir doch schon September. Und schön ist es hier auch.“ Vor allem ist Portland weit weg, fügte sie in Gedanken hinzu.

Jessie brabbelte etwas vor sich hin und gähnte dann laut.

„Zeit fürs Bett, mein Schatz.“ Auch Sophie war müde. Nach mehr als dreißig Stunden Busfahrt war das auch kein Wunder. Sie wollte nur noch schlafen. Alles andere hatte Zeit bis morgen. Zuerst würde sie das restliche Gepäck vom Bahnhof holen, und dann musste sie sich nach einem Job umsehen. Ganz egal, was es war.

„Morgen früh kaufen wir uns zuerst eine Zeitung und sehen die Stellenangebote durch, Jessie.“ Die winzigen Finger des Babys umklammerten den Zeigefinger der Mutter, und es sah sie so vertrauensvoll an, als hätte es jedes Wort verstanden. In diesem Augenblick liebte Sophie das Kind so sehr, dass es wehtat.

Nichts und niemand bedeutete ihr mehr als ihre kleine Tochter. Daran änderten auch die Worte des kaltherzigen Richters in Portland nichts, der beschlossen hatte, ihr das Kind wegzunehmen.

Ohne Jessie war ihr Leben nichts wert. Ohne Jessie gab es für sie keine Hoffnung. Sie wollte gern alles auf sich nehmen. Aber von ihrem Kind konnte sie nichts mehr trennen.

1. KAPITEL

Es war zwanzig nach sechs, ein ungemütlicher Dezembermorgen. Als Sophie einen Luftzug von der Eingangstür spürte, wusste sie, dass Sheriff Ford Maguire gerade Pegs Bistro betreten hatte.

Sie arbeitete jetzt seit ungefähr drei Monaten in dem Bistro, und jeden Morgen um Punkt zwanzig nach sechs kam er durch diese Tür, sah sich mürrisch um und wirkte dabei unglaublich männlich in seiner ständig zerknitterten khakifarbenen Uniform. Sein Gang war voller Energie, und doch schien er niemals wirklich in Eile zu sein. Seine Pistole steckte wie immer lässig im Revolvergürtel, und der goldene Stern glänzte an seiner Weste, direkt oberhalb des Herzens. Er war eine beeindruckende Erscheinung.

Zu ihrem eigenen Missfallen fiel es Sophie äußerst schwer, diesen Mann nicht zu mögen. Und das, obwohl sie wusste, dass er all das verkörperte, wovor sie sich in Acht nehmen musste. Irgendetwas an ihm berührte sie zutiefst. Vielleicht war es die Art und Weise, wie er sich von den anderen Menschen distanzierte, auch wenn er sich zu ihnen gesellte. Er hatte etwas von dem einsamen Wolf, der in den dunkelsten kältesten Nächten sein Revier bewachte, damit sein Rudel in Sicherheit war.

Aber ganz gleich, wie sehr sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte, sie durfte nicht vergessen, dass er ein Vertreter des Gesetzes war. Aus diesem Grunde musste sie ihn meiden. Leider war das schwierig, solange er regelmäßig jeden Morgen im Bistro auftauchte.

Sophie holte tief Luft, nahm die Kaffeekanne und ging lächelnd auf ihn zu. Es fiel ihr schwer, die Hand ruhig zu halten, sobald er in der Nähe war. Langsam, um etwas Zeit zu gewinnen, füllte sie einen von Pegs großen Bechern und stellte ihn vorsichtig vor Ford auf die Theke.

„Sieht so aus, als gäbe es einen Sturm“, sagte er mit seiner unverkennbaren Baritonstimme, die immer etwas heiser war.

Er legte seinen Stetson neben sich auf einen Barhocker und zog den Reißverschluss seiner Weste auf, bevor er sich in aller Seelenruhe niederließ. Im Gegensatz zu seiner Schwester Lucy, deren makellose helle Haut etwas Madonnenhaftes hatte, wirkte Ford eher, als stammte er in direkter Linie von einem Indianerstamm ab. Er war braun gebrannt und hatte glattes schwarzes Haar. Um seinen Mund lag ein entschlossener Zug.

„Miss Rose Ruth sagt, dass wir einen schrecklichen Winter bekommen“, sagte sie beiläufig und zog einen Block und einen Stift aus der Schürzentasche, um seine Bestellung aufzunehmen. „Sie ist davon überzeugt, dass sie bei ihrem morgendlichen Spaziergang mit Beau gesehen hat, dass sogar die Blätter vor Kälte zitterten.“

Ford hob den Blick und lächelte. Um seine Augen wurden kleine Falten sichtbar. „Beau? Lebt der alte Knabe immer noch?“

Sophie blätterte in ihrem Block, bis sie eine leere Seite gefunden hatte. „Zumindest heute Morgen noch.“

„Er muss mindestens sechzehn sein.“

„Siebzehn. Er hatte gerade Geburtstag.“ Sophie hatte dem alten Basset einen saftigen Knochen geschenkt, weil er Jessie immer so geduldig mit seinen langen weichen Ohren spielen ließ.

Ford drehte sich zur Seite und versuchte seine Beine auszustrecken. Sophie fragte sich jeden Morgen, wieso er sich nicht an einen der Tische setzte. Dort hätte er es viel bequemer. „Was darf ich Ihnen bringen?“

„Rührei mit Schinken“, sagte er nach kurzer Überlegung, und seine Stimme erschien ihr noch aufregender als sonst. Versuchte er etwa, mit ihr zu flirten?

„Kommt sofort“, sagte sie mit berufsmäßiger Freundlichkeit und drehte sich um.

Ford blickte ihr hinterher. Und was er sah, gefiel ihm sehr. Auch wenn sie gut und gern ein paar Kilo mehr auf den Rippen haben könnte, hatte sie eine gute Figur. Das pinkfarbene Hemd, eine Art Uniform, die alle Angestellten in Pegs Bistro trugen, ließ ihre weiblichen Rundungen sehr gut erkennen. Und bei dem Anblick wurde ihm heiß und kalt. Obwohl sein Verstand in der Regel klar und nüchtern arbeitete, musste er sich sehr zurückhalten, wenn er sich bei ihrem Anblick nicht in Träumereien von heißen Sommernächten und kühlen Laken verlieren wollte.

Nicht, dass er mehr von ihr wollte, als sie einfach nur zu betrachten. Während er seinen Kaffee hinunterstürzte, rief er sich selbst zur Ordnung. Sie war überhaupt nicht sein Typ. Kleine Frauen hatten ihn nie besonders interessiert, schon gar nicht, wenn sie so superschlank waren. Seine Traumfrau war groß und üppig, wenn möglich auch noch platinblond mit grünen Augen.

„Sieht fantastisch aus“, sagte er, wobei sein Interesse eindeutig Sophie galt. Sie mochte in Lucys Alter sein. Sechsundzwanzig, siebenundzwanzig. Aber der Ausdruck in ihren Augen ließ sie älter wirken.

„Möchten Sie noch mehr Kaffee, Sheriff?“

„Ja, bitte.“ Er zog den Teller näher und nahm die Gabel zur Hand. „Wo haben Sie eigentlich früher gearbeitet? Stammen Sie aus dieser Gegend hier?“

„Nein …“ Sophie zögerte nur für einen Sekundenbruchteil. „Ich komme aus Billings, Montana.“

Ford bemerkte ihr Zögern. Er bemerkte es, weil es zu seinem Job gehörte, hellhörig zu sein. Wahrscheinlich war es völlig bedeutungslos, aber es konnte ja nicht schaden, ein bisschen nachzuhaken.

„Peg ist eine strenge Chefin, finden Sie nicht?“

„Vielleicht. Aber man weiß bei ihr immer, wo man dran ist.“ Sophies Antwort war ausgesprochen diplomatisch. So etwas erlebte man nicht oft in Clover.

„Ja, Peg ist in Ordnung. Sie hat meiner Schwester und vielen anderen Mädchen in Clover das Servieren beigebracht. Außerdem hat sie ihnen gezeigt, wie man sich ein ordentliches Trinkgeld verdient, ohne gleich seine Tugend zu verlieren.“

„Ob Sie es glauben oder nicht, Sheriff, ich bin über den Punkt hinaus, wo man um seine Tugend bangen muss.“

Ford beobachtete den bitteren Zug um ihren Mund und fragte sich, woher dieser kam. Doch bevor er die Unterhaltung fortsetzen konnte, war Sophie auch schon wieder verschwunden, sammelte das schmutzige Geschirr ein und füllte die Kaffeetassen der übrigen Gäste.

Er rieb sich den Nacken und dachte über ihre Reaktion nach. So kam er nicht weiter. Anscheinend redete sie nicht gern über sich. Gerade er sollte dafür Verständnis haben. Und Sophie sah nicht aus wie jemand, der etwas zu verbergen hatte. Es war lächerlich, in ihr eine Gefahr zu sehen. Das komische Gefühl in der Magengegend, das er immer verspürte, wenn er sie auch nur aus Ferne erblickte, hatte nicht das Geringste mit Angst zu tun. Dennoch war es beängstigend, wie sehr sie ihn verwirrte. Wahrscheinlich hatte er zu lange keinen Sex mehr gehabt.

Er grübelte immer noch vor sich hin, als Abraham Washington auf dem Barhocker neben ihm Platz nahm. „Guten Morgen, Ford. Sieht nach einem ungemütlichen Wintertag aus.“

„Da haben Sie recht, Sir. Scheint bisher der kälteste Tag in diesem Dezember zu sein.“

Abraham Washington war Ende siebzig, und so lange Ford denken konnte, war er der Hausmeister der Highschool von Clover gewesen. Während der alte Mann sich in die Speisekarte vertiefte, beobachtete Ford Sophie, die sich gerade mit einem gut aussehenden Mann unterhielt, den er noch nie in dieser Gegend gesehen hatte. Der typische Geschäftsmann auf der Durchreise, dachte Ford mit einem Blick auf die Krawatte. Wieso ging es ihm auf die Nerven, dass Sophie über eine Bemerkung des Fremden lachte? Er benahm sich ja geradezu wie ein eifersüchtiger Liebhaber.

Unzufrieden wandte er sich seinem Teller zu. Der Tag fing ja gut an, wenn Ford schon von Frauen träumte, die er kaum kannte.

„Guten Morgen, Mr. Washington. Was macht Ihre Gicht heute?“

Ford war so in seine düsteren Gedanken versunken gewesen, dass er Sophie nicht einmal hatte näher kommen sehen. Erst als er jetzt den Blick hob, bemerkte er das warme Lächeln, mit dem sie den alten Abraham bedachte. Ein solches Lächeln hatte ihm noch niemand geschenkt. Seine Laune verschlechterte sich zusehends. Wahrscheinlich trank er zu viel Kaffee. Oder er schlief nicht genug.

Abraham zwinkerte ihr zu. „Heute Morgen geht es mir ganz hervorragend, Miss Sophie.“

„Und was darf ich Ihnen zum Frühstück bringen?“ Sophie zückte den Block. Nicht zum ersten Mal fiel Fords Blick auf den Ringfinger ihrer linken Hand. Sie trug keinen Ehering. Von Lucy, die zufällig bei Sophies Ankunft in Katies Haus war, wusste er jedoch, dass sie eine kleine Tochter hatte.

„Ich glaube, ich nehme heute Morgen die Nummer drei. Und die Eier bitte sehr hart gekocht.“

Sophie sah von ihrem Block auf und bedachte Abraham mit einem vorwurfsvollen Blick. „Sie hatten gestern schon Eier, Mr. Washington. Denken Sie an Ihre Cholesterinwerte.“

Abraham verzog das Gesicht. „Dann eben Pfannkuchen.“

„Zu viel Butter“, gab Sophie zu bedenken.

„Wie kann man nur so schöne blaue Augen haben und so stur sein?“, brummte der alte Mann. „Also dann bringen Sie mir geröstetes Weißbrot.“

„Vollkorntoast wäre besser für Sie.“

Abraham sah Ford unglücklich an. „Okay. Ich nehme den Toast“, gab er notgedrungen nach. „Aber nur mit Pegs köstlicher selbst gemachter Erdbeermarmelade.“

Sophie belohnte seine weise Entscheidung mit einem erneuten Lächeln, das bei Ford ein seltsames Gefühl in der Magengegend hervorrief. Er verspürte auf einmal die unbändige Lust, diesen lächelnden Mund zu küssen. Verwirrt konzentrierte er sich auf seinen Kaffee. Er musste sich zusammenreißen. Sonst würde er noch etwas Unüberlegtes tun.

„Noch mehr Kaffee, Sheriff?“, fragte sie, bevor sie sich wieder den anderen Gästen widmete.

Noch mehr Kaffee, Sheriff? Manchmal hatte er das Gefühl, dass dies die einzigen Worte waren, die sie an ihn richtete. Sie behandelte ihn höflich, aber distanziert. Ihr Lächeln schenkte sie den anderen.

„Nein, danke, Madam.“

Sie nickte ihm kurz zu und verschwand mit einem Tablett Geschirr in Richtung Küche. Und wieder folgte ihr sein Blick, bis sie verschwunden war.

Verflixt. Erneut traf ihn dieses sexuelle Verlangen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Diesmal stärker als zuvor. Er konnte sich nicht dagegen wehren. Hastig trank er seinen Kaffee aus und stand auf.

„Stimmt irgendetwas nicht, Sheriff?“, fragte Abraham und zog die Augenbrauen hoch.

„Alles in Ordnung. Aber die Pflicht ruft.“

Bevor er das Bistro verließ, legte er ein paar Geldscheine neben seinen leeren Teller auf die Theke. Wie immer war das Trinkgeld viel zu hoch. Aber er konnte sich sehr gut vorstellen, dass eine junge Witwe, die für sich und ihr Baby sorgen musste, etwas Unterstützung gebrauchen konnte. Außerdem was das wohl das Mindeste, was ein Mann für eine Frau tun konnte, mit der er am liebsten sofort ins Bett gehen wollte. Und von diesem Entschluss konnte ihn nichts auf der Welt abbringen.

Mit lachenden braunen Augen sah Jessie dem Löffel hinterher, der sich lustig hin und her bewegte und schwungvolle Kreise drehte, bevor er sich ihrem Mund näherte.

„Brumm, brumm“, brummte Sophie, ein Flugzeug nachahmend, das gleich im Mund ihrer Tochter landen würde.

„Brumm, brumm“, echote Jessie eifrig, lachte und klatschte in die Hände.

Geschickt und lachend schob Sophie ihr eine Ladung Erbsenpüree in den Mund.

„Mist!“, murmelte sie kurz darauf frustriert. Jessie hatte die kleine Stirn entschlossen in Falten gelegt und prustete los. Sophie konnte gerade noch den Teller mit dem Gemüse abstellen und ein Geschirrtuch ergreifen, um somit zu verhindern, dass der grüne Brei auf dem Fußboden landete.

Sophie und Miss Fanny sahen sich über Jessies blonden Lockenkopf hinweg an. „Du meine Güte. Es ist erstaunlich, wie dieses Kind Gemüse hasst“, sagte Miss Fanny sorgenvoll.

Frances Beaulieue Bedford war einst als die schönste Frau der weiteren Umgebung von Clover bekannt gewesen. Nun, mit ihren über siebzig Jahren, war sie das letzte lebende Mitglied von zwei der vier Gründerfamilien der kleinen Stadt. Die alte Frau hatte eine tragische Vergangenheit. Mit achtzehn Jahren hatte sie John Raymond Hampton IV geheiratet. Er kam genau wie sie aus einer der angesehensten Familien und war ihre einzige große Liebe. Leider war ihr Glück nur von kurzer Dauer gewesen, da Johnny Ray im Zweiten Weltkrieg fiel.

Nach seinem Tod hatte Fanny sich vom wirklichen Leben zurückgezogen. Sie hatte nicht nur ihr Hochzeitskleid eingemottet, sondern auch ihr Herz. Fünfzig Jahre lang hatte sie den Kindern anderer Leute Klavierstunden gegeben, und jetzt verbrachte sie ihre Zeit damit, unentgeltlich dort zu helfen, wo Not am Mann war.

Als sie hörte, dass Sophie eine Betreuerin für ihre kleine Tochter suchte, hatte sie sich sofort angeboten. Eine Betreuerin, die auch noch dazu im gleichen Haus wohnte – besser konnte man es wohl nicht treffen. Was sie nicht wissen konnte, war, dass die dritte Mitbewohnerin, Miss Rose Ruth Adamson, die ebenfalls ihre Unterstützung hatte anbieten wollen, sich nun zurückgesetzt fühlte. Dieses Dilemma war schnell gelöst. Die beiden alten Damen kamen überein, sich bei der Betreuung einfach abzuwechseln. Auf diese Weise waren sie alle zufrieden. Ganz besonders Sophie, für die es nicht besser hätte laufen können.

Keiner von ihnen war es allerdings bisher gelungen, Jessie dazu zu bewegen, Gemüse zu essen. Im Augenblick schob die Kleine den letzten Rest Erbsenpüree mit der Zunge heraus.

„Du musst dein Gemüse essen, Liebling“, sagte sie mit einschmeichelnder Stimme, dann sah sie Hilfe suchend zu Fanny. „Sie hat früher nie so schlecht gegessen.“

Sophie nahm die Kleine besorgt auf den Arm und drückte sie an sich. Es war so tröstlich, ihre Wärme zu spüren. Wochenlang hatte sie sich danach gesehnt. Ihre Trauer war unendlich tief gewesen, und Darlene hatte sich schon ernsthafte Sorgen um ihre Gesundheit gemacht. Erst als sie den Plan gefasst hatte, Jessie zu sich zu holen, ging es ihr besser.

Angst und Entschlossenheit standen in ständigem Widerstreit. Und dann war es so einfach gewesen, sich Zugang zum Haus der Manwarings zu verschaffen. Anita und Wells senior waren auf einer politischen Galaveranstaltung gewesen, und das Kindermädchen hatte ferngesehen. Erst am nächsten Morgen wurde Jessies Fehlen bemerkt, und zu dem Zeitpunkt hatte Sophie schon drei Bundesstaaten durchquert.

Sie wusste, dass ihre Schwiegereltern Geld und Macht einsetzen würden, um ihre Enkeltochter zurückzubekommen. Aber sie würde es nicht zulassen. Ihr Kind sollte nicht in dieser sterilen freudlosen Umgebung aufwachsen.

Als Sophie aufsah, begegnete sie Miss Fannys traurigem Blick. „Wenn mein Johnny Ray 1941 nicht in den Krieg gezogen wäre, hätten wir ein ganzes Haus voller Kinder gehabt. Er wollte mindestens neun, damit er eine eigene Baseballmannschaft gründen konnte.“

Sophie lächelte die alte Frau, die ihr von der ersten Sekunde an mit so viel Freundlichkeit begegnet war, mitfühlend an. „Ihr Johnny Ray war bestimmt ein toller Mann, Miss Fanny. Kein Wunder, dass Sie ihn so geliebt haben.“

„Tante Peg erinnert sich noch an ihn. Auch wenn sie damals noch ein Kind war“, sagte Katie. „Sie meinte, er und Lucys Vater waren die beiden bestaussehenden Männer von Clover.“

Fanny schürzte kaum merklich die Lippen. „Wobei ich sagen würde, dass Johnny vielleicht noch etwas attraktiver war als Buchanan Maguire. Ich finde übrigens, dass Ford seinem Vater von Jahr zu Jahr ähnlicher sieht. Er hat das rebellische Wesen seines Vaters geerbt. Außerdem scheint er vor nichts und niemandem Angst zu haben.“

„Stimmt“, sagte Katie. „Vielleicht ist er ja gerade deshalb der ideale Sheriff. Aber ich bin nicht der Meinung, dass er nach seinem Vater kommt. Buchanan Maguire war der unfreundlichste Mann, der mir je begegnet ist.“

„Das liegt nur dran, dass er die falsche Frau geheiratet hat. Bevor er Susannah kennengelernt hat, war er ein toller Mann. Alle Mädchen waren hinter ihm her.“

Katie sah nicht besonders überzeugt aus. „Was sagen Sie dazu, Sophie? Gefällt Ihnen der letzte Maguire-Mann?“

„Er gibt immer ziemlich viel Trinkgeld“, entgegnete Sophie ausweichend.

„Daran tut er gut“, lachte Katie. „Wofür sollte er sonst sein Geld ausgeben? Er interessiert sich doch nur für sein altes klappriges Flugzeug.“ Sie trank einen Schluck Tee. „Ich frage mich manchmal, ob er die Sache mit der Air Force verwunden hat.“

Sophie wollte nicht neugierig erscheinen, dennoch konnte sie sich nicht zurückhalten. „War Ford … ich meine, Sheriff Maguire bei der Air Force?“

„Nein, aber es war immer sein größter Wunsch.“ Katie stand auf und knipste das Deckenlicht an. „Er hat Tag und Nacht für die Aufnahmeprüfung gelernt. Leider hat es dann doch nicht geklappt.“

„Er muss furchtbar enttäuscht gewesen sein, dass er nicht bestanden hat“, meinte Sophie mitfühlend.

„Oh, er hat mit Bravour bestanden. Es war eine kleine Sensation. Ich war damals erst elf Jahre alt, aber ich erinnere mich sehr gut daran, wie aufgeregt er war, als das Telegramm gekommen ist. Er hat Lucy und mich durch das Wohnzimmer gewirbelt, bis uns allen dreien schwindelig war.“

Sophie dachte an einen Mann mit grauen Augen, die niemals zu lächeln schienen, und um dessen Mund ein strenger Zug lag. Es fiel er schwer, sich vorzustellen, wie dieser Mann ausgelassen im Zimmer herumtanzte. „Was ist denn passiert?“, fragte sie, obwohl sie wusste, dass es sie eigentlich nichts anging.

Katie und Miss Fanny sahen sich an. „Kurz nachdem Ford seinen Highschoolabschluss in der Tasche hatte, geschah etwas Fürchterliches. Fords Vater hat seine Frau, deren Liebhaber und anschließend sich selbst erschossen. Daraufhin hat Ford seinen Traum aufgegeben, um sich um Lucy zu kümmern.“ Fanny seufzte tief. Die Erinnerung an das Geschehene machte sie traurig. „Ford hat die Leichen gefunden.“

Sophie merkte nicht einmal, dass sie Katie anstarrte. Doch dann räusperte sie sich. „Ich … ich hätte nicht fragen dürfen“, stammelte sie verlegen und drückte automatisch Jessie fester an sich. Plötzlich wurde ihr die große Küche zu eng. Fords tragische Geschichte weckte Erinnerungen, die sie vergessen wollte …

„Wir sind hier in Clover, meine Liebe. Wir leben sozusagen davon, neugierig zu sein. Es ist unsere liebste Freizeitbeschäftigung. Hier kann keiner seine Geheimnisse lange für sich behalten. Ich würde Ihnen jedoch empfehlen, die Geschichte Ford und Lucy gegenüber nicht zu erwähnen. Seit jenem Tag haben sie nämlich kein Wort mehr darüber verloren.“

Trotz der Wärme, die in der Küche herrschte, fröstelte Sophie. „Natürlich nicht“, entgegnete sie eine Spur zu hastig. „Jeder Mensch hat schließlich das Recht auf eine Privatsphäre.“ Wenn die beiden Frauen wüssten, wie sehr sie selbst darauf bedacht war, ihre eigene Privatsphäre zu schützen.

Katie starrte gedankenverloren vor sich hin. „Als Teenager habe ich mich unsterblich in ihn verliebt. Ich habe jede Nacht wach gelegen und gebetet, dass er in mir doch endlich etwas anderes als die Freundin seiner kleinen Schwester sehen sollte. Ich hatte das Gefühl, dass ich die einzige Frau wäre, die ihn die Vergangenheit vergessen lassen könnte.“

„Und? Wie ist es ausgegangen?“, fragte Sophie beinahe widerstrebend.

„Er behandelt mich immer noch wie eine kleine Schwester, und ich habe mich schnell in jemand anders verliebt.“ Katie stand auf und ging zur Spüle.

2. KAPITEL

In der Regel ging es mittwochs in Pegs Bistro eher ruhig zu, doch am letzten Mittwoch vor Weihnachten war so viel zu tun, dass Sophie gegen acht Uhr abends nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand. Hinzu kam, dass sie auch noch die Schicht ihrer Kollegin Evangeline übernommen hatte, weil eines ihrer fünf Kinder überraschend krank geworden war.

Aber jetzt hatte sie es beinahe geschafft. Der letzte Gast war zwanzig vor acht gegangen, sodass sie schon mit dem Aufräumen anfangen konnte. Die Tische waren abgewaschen, und das schmutzige Geschirr lag im Geschirrspüler.

Autor

Paula Detmer Riggs
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