So küsst nur Dr. Kennedy

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Starker Kaffee, serviert mit einem süßen Lächeln: Seit Katya in Knightons Coffeeshop arbeitet, freut Dr. Kennedy sich wieder auf jeden Morgen. Doch warum hat die Schöne panische Angst vor Nähe? Behutsam versucht er ihr Geheimnis zu ergründen - und rührt an seinen eigenen Wunden …


  • Erscheinungstag 30.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504997
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Manchmal waren es die kleinen Dinge, die zählten. Eine anständige Tasse Kaffee am Morgen. Das Lächeln einer Frau.

Die Tage, an denen Luke Kennedy morgens mit einer Tasse Kaffee und einem Lächeln begrüßt worden war, waren lange vorbei, und inzwischen vermisste er sie kaum noch. Nein, es ist meine Exfrau, die ich nicht mehr vermisse, korrigierte er sich stumm, während er die Tür zum Coffeeshop aufstieß. Aber am Lächeln der neuen Bedienung im Coffeeshop war etwas, das ihn bedauern ließ, dass er sich für diese schlichten Freuden am Morgen erst anziehen und in die Stadt fahren musste.

„Hallo“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Das Gleiche wie immer?“

„Ja, danke. Einen doppelten, bitte.“

„Ich weiß.“ Sie lächelte kurz. „Sie sind früh dran heute Morgen.“

Luke zuckte mit den Schultern. Er würde sich hüten, ihr zu verraten, dass ihn der Gedanke an ihre strahlenden grünen Augen hellwach gemacht hatte. „Stimmt.“

Sie setzte den Kaffee auf, goss Milch ein und öffnete die Dampfdüse des Milchaufschäumers. Es zischte laut, und die junge Frau schrie auf.

„He!“ Luke eilte um den Tresen herum, doch sie fuhr wie panisch vor ihm zurück. „Haben Sie sich verbrüht?“

Die Hand gegen die Brust gepresst, wich sie noch zwei Schritte vor dem kochend heißen Dampf zurück. Luke stellte die Düse ab, und das Zischen verstummte.

Die grünäugige Schönheit fuhr zusammen, als sie mit dem Rücken gegen das Tresenende stieß, schien sich dann jedoch zu fangen. „Alles okay. Nichts passiert. Danke.“

„Lassen Sie mich mal sehen.“ Er streckte die Hand aus.

Wie ein in die Enge getriebenes Tier starrte sie ihn an. Sie hat Angst vor mir, dachte er. Sofort blieb er stehen und hob beide Hände. „Wollen Sie die Hand nicht unter kaltes Wasser halten?“ Langsam drehte er den Hahn auf.

Sie zögerte. „Ja. Ja, Sie haben recht. Danke.“ Es war klar, dass sie nicht aus ihrer Ecke herauskommen würde. Deswegen blieben ihm nur zwei Möglichkeiten. Die erste und effektivste wäre, einfach ihre Hand zu nehmen und sie unters Wasser zu halten, aber ein Gefühl sagte ihm, er sollte das besser sein lassen. Luke entschied sich für die zweite und ging zurück an seinen Platz vor dem Tresen.

Als er wieder davor stand, hielt sie bereits mit beschämter Miene die Hand ins kalte Wasser. „Verzeihung, ich habe überreagiert.“

Luke sah ihre geröteten Wangen und wie sie verlegen den Blick senkte. In diesem Moment würde er ihr alles verzeihen. „Alles okay? Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

„Irgendjemand muss gestern Abend vergessen haben, die Aufschäumdüse zu reinigen, und als ich sie eingeschaltet habe …“ Anscheinend merkte sie selbst, wie lahm ihre Erklärung klang, wenn man bedachte, dass sie fast die Flucht ergriffen hatte, obwohl er ihr nur hatte helfen wollen.

„Ich habe mich auch erschreckt“, sagte er. Was zwar nicht ganz stimmte, aber sie lächelte, wenn auch immer noch ein bisschen nervös. „Was macht Ihre Hand?“

Er erwartete eine ausweichende Antwort, aber sie zog die Hand aus dem Becken, betrachtete sie prüfend und ließ wieder kaltes Wasser darüberlaufen. „Sieht gut aus. Ein wenig gerötet, aber es tut nicht besonders weh.“

„Am besten kühlen Sie sie noch ein wenig länger.“ Jetzt, da der Tresen wieder zwischen ihnen war, schien sie sich sicherer zu fühlen. Aber warum hatte sie so panisch reagiert?

Sie nickte geistesabwesend. Was ging ihr wohl gerade durch den Kopf? Um sie weiter zu beruhigen, fragte er: „Haben Sie einen Erste-Hilfe-Kasten?“

„Ja, hier unten.“ Mit der freien Hand griff sie unter die Spüle, holte einen kleinen roten Plastikkoffer hervor und stellte ihn auf den Tresen.

Luke öffnete ihn. „Zur Behandlung von Menschen mag ich nicht qualifiziert sein, aber für Erste Hilfe reicht’s.“

„Und wen dürfen Sie behandeln?“

„Tiere. Ich bin Veterinär.“

„Ich habe schon oft genug Verbrühungen gesehen, diese ist wirklich nur oberflächlich. Morgen ist das überstanden.“

„Gut. Und da das nun geklärt ist, lassen Sie mich Ihre Hand verbinden. Das dauert nur eine Minute.“ Sonst konnte er seinen Patienten nicht mit vernünftigen Argumenten kommen. Diese Patientin hier war erfrischend anders. Außerdem rochen Tiere nicht so gut.

Kurz breitete sich verlegenes Schweigen aus, doch dann lachte sie unerwartet. „Also wäre ich mit vier Beinen besser dran?“

„Sehr viel besser. Oder noch besser, wenn Sie gar keine hätten. Mit Schlangen kenne ich mich gut aus.“ Er lächelte sie an und hoffte, dass es beruhigend wirkte.

„Und wie verbinden Sie eine Schlange?“ Sie trocknete sich die Hand ab und kam näher.

„Gaaaanz vorsichtig … Aber der Witz ist uralt.“

Ihre Augen funkelten vergnügt, als sie wieder lachte. Schließlich hielt sie ihm die Hand hin, und Luke berührte sanft ihre Finger. Sie zitterten. Er drehte die Hand um, untersuchte sie auf weitere Verletzungen, aber es war wirklich nur eine leichte Verbrühung. Luke nahm eine Mullbinde aus dem Koffer. „Einen Halstrichter brauchen Sie wohl nicht, oder?“

„Ich glaube, ich kann mich gerade noch beherrschen, nicht am Verband rumzukauen.“

Sie wirkte jetzt viel entspannter als zuvor, beobachtete Luke jedoch aufmerksam. Er konzentrierte sich darauf, ihr sorgsam die Hand zu verbinden, um sich nicht in gefährlichen Gedanken zu verlieren. An ihre smaragdgrünen Augen, den hellen, makellosen Teint, ihr schimmerndes rotbraunes Haar, das zarte Handgelenk …

„So, das dürfte reichen.“ Er war fertig, und sie hob die Hand, betrachtete sie von allen Seiten.

„Sehr ordentlich“, neckte sie. Was sie auch sagte oder tat, Luke fand sie mit jeder Minute anziehender. „Und wo verbinden Sie Ihre Patienten normalerweise?“, fügte sie hinzu.

Es war eine unschuldige Frage, aber Luke machte sich nichts vor. Dies war ein echter Durchbruch. Bislang hatte sie jedes persönliche Wort vermieden, genau wie er auch. Aber ihr fragender Blick bezauberte ihn, und Luke vergaß alle Zurückhaltung.

„Ich habe eine eigene Praxis und engagiere mich in dem neuen Naturschutzgebiet etwas außerhalb des Ortes an der Straße nach Kingston. Zusammen mit ein paar anderen Projekten.“

„Dann haben Sie also viel um die Ohren?“

Luke nickte. Seit Tanya ihn verlassen hatte, vergrub er sich in der Arbeit, um nicht ständig an das plötzliche Ende seiner Ehe denken zu müssen. „Ich habe gut zu tun.“

„Dann sollten Sie jetzt besser Ihren Kaffee bekommen. Ich will die Wirtschaft nicht am Laufen hindern.“ Sie wandte sich zur Kaffeemaschine, errötete leicht, während sie nach Worten suchte. „Sie … werden es doch niemandem erzählen, oder? Es ist das erste Mal, dass ich morgens allein hier bin.“

Luke nickte. Frauen und ihre Geheimnisse. Aber dieses wirkte einfach unschuldig. „Was gibt es denn zu erzählen? Setzen Sie sich, dann mache ich mir den Kaffee selbst.“ Das wäre dann ihr gemeinsames Geheimnis, und darüber musste er lächeln. „Kann ja sein, dass Sie unter Schock stehen.“

Sie lachte und schob ihm einen Pappbecher über den Tresen zu. „Das glaube ich kaum. Aber danke für die Hilfe. Dieser hier geht aufs Haus.“

Fast eine Woche lang hörte Luke kein Wort von ihr. An den Tagen, an denen sie im Coffeeshop war, schien sie immer mit anderen Gästen beschäftigt zu sein, sodass ihre Kollegin ihn bediente. Eines Morgens wurde er jedoch für seine Geduld belohnt.

„Haben Sie keine Kundenkarte?“, fragte sie ihn.

Auf einmal schien die Sonne heller zu scheinen. „Bestimmt zwanzig Stück. Sie liegen alle im Handschuhfach meines Wagens. Jede mit einem einzigen Stempel.“

Sie lächelte schwach. „Sieben Stempel reichen für einen Gratiskaffee. Nirgends steht geschrieben, dass sie alle auf einer Karte sein müssen.“

Luke stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tresen ab und beugte sich leicht vor. Sie wich nicht zurück. „Okay, dann nehme ich …“

„Nein, nein, nein!“ Olenka, die Geschäftsführerin, die den Lagerbestand überprüft hatte, tauchte hinter dem Tresen auf und funkelte ihn an. „Kein Kätzchen, kein Gratiskaffee!“

„He, das ist Erpressung, Olenka“, beschwerte er sich.

„Richtig erkannt. Katya gibt Ihnen keinen Kaffee aus, bis mein Kind ein Kätzchen von Ihnen bekommen hat.“

Katya. Sie trug kein Namensschild wie die anderen, und Luke hatte versucht, Namen zu finden, die zu ihrem Lächeln passten. Dieser war genau richtig, und der Klang ließ sein Herz schneller schlagen. Katya.

„Haben Sie gehört?“ Olenka drohte ihm mit dem Zeigefinger.

„Natürlich. Und es bleibt bei nächster Woche, Gratiskaffee hin oder her. Die Natur nimmt sich ihre Zeit, man kann sie nicht antreiben.“

Olenka lachte resigniert, dann wandte sie sich in ihrer Muttersprache an Katya.

„Tak!“ Schulterzuckend blickte Katya ihn an. „Sieht so aus, als müssten Sie ihn diese Woche selbst bezahlen.“

„Schon in Ordnung.“ Luke warf Olenka einen amüsierten Blick zu. „Ich hole ihn mir in der nächsten Woche.“

Katya machte ihm einen Kaffee, genauso wie er ihn liebte, stellte ihn auf den Tresen und drückte einen Stempel auf eine Kundenkarte, die sie unter den Tresen legte. „Ich behalte sie hier, sonst vergessen Sie sie wieder.“

„Gut.“ Eine Frage hatte er noch, bevor er gehen musste. „Sie sprechen Polnisch?“

Sie nickte. „Mein Vater …“ Katya verstummte, als hätte sie schon zu viele Informationen preisgegeben.

„Okay. Mein Vater ist Schotte.“ Er lächelte, nahm seinen Kaffee und verschwand nach draußen, ehe sie antworten konnte.

Katya schaute ihm nach. Er hatte breite Schultern, sah stark aus, aber das sprach nicht unbedingt gegen ihn. Der Mann, der ihre berufliche Karriere ruiniert und dafür gesorgt hatte, dass sie nicht als Krankenschwester, sondern als Patientin ins Krankenhaus kam, war längst nicht so beeindruckend gewesen. Die Augen zählten, und die dunklen Augen dieses Mannes waren voller Freundlichkeit.

„Er heißt Luke.“ Auch Katya selbst wurde beobachtet. Olenka stieß sich von der Tür zum Lagerraum ab, die daraufhin hinter ihr ins Schloss fiel.

„Peter bekommt also ein Kätzchen geschenkt?“ Absichtlich ignorierte Katya Olenkas Bemerkung. Der Mann sah gut aus, aber sein Name war unwichtig. Sie brauchte nur zu wissen, dass er seinen Latte mit doppeltem Espresso trank.

„Ja, das wünscht er sich schon so lange. Und jetzt ist er alt genug, um sich allein um das Tier zu kümmern.“ Olenka war wieder ins Polnische verfallen. Obwohl Katya in London geboren worden war und Olenka aus Polen stammte, sprachen sie beide gern polnisch miteinander. Es erinnerte Katya an ihren Vater und Olenka an ihre Heimat.

„Es wird ihm guttun, Verantwortung zu übernehmen. Was für ein Kätzchen ist es denn?“

Olenka zuckte mit den Schultern. „Lucazs meint, sie haben von allem etwas. Es sind sieben, Pjotr soll sich nächste Woche eins aussuchen. Lucasz hat recht, die Natur lässt sich nicht antreiben.“

„Hattest du nicht gesagt, dass er Luke heißt?“ Katya wechselte absichtlich ins Englische.

„Ich mag ihn. Es ist ein Kompliment.“ Prüfend sah Olenka sie an. „Und du?“

„Er scheint nett zu sein. Aber ich kenne ihn eigentlich kaum.“

Mit einer Geste tat Olenka Katyas Bemerkung ab. „Ein Blick reicht, um zu wissen, ob man einen Mann mag oder nicht.“

Das hatte Katya früher auch einmal geglaubt. „Ich verlasse mich nicht auf den ersten Eindruck, Ola. Meine Menschenkenntnis ist nicht die beste.“

Olenka schüttelte den Kopf. „Nur weil du dich ein einziges Mal getäuscht hast, muss das doch nicht immer so sein.“

„Mir reicht es.“ Sie hatte dem Patienten helfen wollen und im Leben nicht damit gerechnet, dass es so fürchterlich enden würde. Seitdem war ihr Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit zutiefst erschüttert.

Olenka stöhnte frustriert. „Du musst ihn ja nicht unbedingt anfassen, aber ansehen kannst du ihn schon.“

Das war ja das Problem. Sie ertappte sich immer öfter dabei, dass sie ihn berühren wollte. „So gut sieht er nun auch wieder nicht aus.“

„Bist du blind?“

Die Türglocke am Eingang rettete Katya. Sie drehte sich um und lächelte freundlich den Mann an, der hereingehastet kam. Der erste Kunde von vielen, die sich ab halb neun Uhr morgens hier drängten. Jetzt war keine Zeit mehr, über Lukes leicht zerzauste Locken oder seine freundlichen Augen nachzudenken. Oder darüber, ob er mit seinen breiten Schultern jemanden beschützen könnte. Wahrscheinlich schon.

Aber mich nicht.

2. KAPITEL

Gehorsam saß Peter am Ecktisch des Coffeeshops, einen Becher heißen Kakao und ein Computerspiel vor sich. Katya ließ ihn kurz aus den Augen, um zwei Frauen zu bedienen, die sich nicht entscheiden konnten, welches Getränk die wenigsten Kalorien hatte, und als sie dann wieder zu Peter hinüberblickte, saß Luke ihm gegenüber.

„Möchten Sie etwas trinken?“, rief sie.

„Der Kakao sieht gut aus.“ Er stand auf.

„Bleiben Sie ruhig sitzen, ich bringe Ihnen einen.“ Katya gab sich besonders viel Mühe, einen cremigen Kakao zu zaubern, und bestreute ihn reichlich mit Schokoladenraspeln. Als sie Luke den Becher brachte, lächelte er sie dankbar an.

„Was bekommen Sie dafür?“

„Der geht aufs Haus.“ Katya gestattete sich ein Lächeln. „Ich habe gehört, heute warten die Kätzchen auf Besucher.“

„Ja. Peter hat mir erzählt, dass er sie fotografieren will …“ Er unterbrach sich, als Peter, der in seinem Rucksack gewühlte hatte, ihm seine neue Kamera hinschob. Luke inspizierte sie von allen Seiten. „Ein wirklich schöner Apparat, Peter. Damit kannst du super Aufnahmen machen.“

„Die hat Tante Katya mir zum Geburtstag geschenkt“, verriet er Luke stolz. „Aber sie ist nicht meine richtige Tante.“

„Nein?“

„Nein. Sie ist nicht die Schwester meiner Mutter, nur ihre Cousine.“ Peter zählte an seinen Fingern ab, wie immer, wenn er etwas exakt erklären wollte. „Aber ich sage Tante zu ihr.“

„Wie schön.“ Luke nickte und hatte sichtlich Mühe, ernst zu bleiben.

„Sie will mir mit dem Kätzchen helfen. Tante Katya wohnt bei uns.“

Jetzt kannte Luke nicht nur ihren Namen, sondern wusste auch, wo sie lebte und wer ihre Familie war. Aber Katya konnte Peter nicht böse sein. Der Junge sollte nicht ängstlich werden.

Sie selbst dagegen hatte jedes Recht der Welt, vorsichtig zu sein. Nervös drehte sie sich um und kehrte hinter den Tresen zurück. Dort, in ihrem eigenen Bereich, setzte sie ein freundliches Gesicht auf, bereitete Kaffee zu und nahm das Geld der Kunden entgegen. Sie fühlte Lukes Blick auf sich ruhen, beachtete ihn aber nicht. Olenka wäre mit der Arbeit im Büro sicher bald fertig, und dann würden die drei sowieso schnell verschwinden. Peter konnte es kaum erwarten, sich sein Kätzchen auszusuchen.

Katya folgte Lukes SUV über den holprigen Schotterweg, der zu einer großen Backsteinscheune führte, die hoch auf einem Hügel etwas abseits der Straße thronte. Sie wurde offensichtlich gerade renoviert, wie Katya feststellte, als der SUV auf einem freien Platz davor anhielt, auf dem zwei grün gestrichene Container standen.

Olenka hatte Probleme mit einem ihrer Lieferanten und Katya gebeten, Peter beim Aussuchen des Kätzchens zu helfen. Obwohl sie lieber im Wagen sitzen geblieben wäre, folgte Katya Luke und Peter am Haupteingang vorbei zu einer Tür, die sich im Untergeschoss des in den Hang gebauten Gebäudes befand. Sie gingen hinein. Der große Raum war unterteilt, die Ziegelmauer von der alten Farbe befreit.

Peter entdeckte die Kätzchen sofort und hockte sich mit leuchtenden Augen zu ihnen, um sie zu streicheln.

„Welche gefällt Ihnen, Katya?“, fragte Luke.

„Die kleine mit dem schwarzen Fleck über dem Auge, die so aussieht wie ein Pirat.“ Das winzige Wesen wagte sich nicht aus dem mit Kissen und einem alten Teppich ausgelegten großen Karton heraus.

„Sie sieht nicht nur so aus. Leider ist sie auf dem Auge blind.“

„Ist sie so zur Welt gekommen?“

„Nein, sie wurden alle ausgesetzt. Jemand fand sie und brachte sie hierher. Das Kätzchen hatte eine Augeninfektion. Das eine Auge konnten wir retten, aber bei dem anderen war der Sehnerv infiziert. Da war nichts mehr zu machen.“

„Es wird schwierig sein, ein Zuhause für die Kleine zu finden.“

Luke sah sie merkwürdig prüfend an, und Katya wandte den Blick ab. „Sie hat ein Zuhause.“

„Das ist schön.“ Katya musste nicht fragen, wo. Sie blickte sich um. „Sie renovieren gerade?“ Der warme Gelbton der nackten Ziegelsteine verlieh dem Raum einen rustikalen Charme, und die Vorstellung, dass sie schon bald wieder mit Putz und Farbe bedeckt sein würden, gefiel ihr nicht.

„Ja. Ich habe die Kätzchen hierhergebracht, weil es oben nach Farbe riecht.“ Er öffnete eine Tür in der Trennwand, dahinter lag ein schmaler Flur mit einer Treppe ins Obergeschoss. „Peter, magst du einen Moment allein bleiben? Wir gehen kurz nach oben.“

„Ja, klar.“ Den Jungen interessierte im Moment nur die putzige Katzenschar. Katya lächelte, zuckte mit den Schultern und folgte Luke. Sorgfältig schloss sie die Tür hinter sich, damit die Kätzchen nicht Reißaus nehmen konnten.

Die Treppe führte in die große Eingangshalle im Erdgeschoss. Rechts befand sich eine Tür, und links kam man durch einen breiten Durchgang in einen großen Raum. „Gefällt es Ihnen?“

Die warme Abendsonne fiel auf die Steine und Dachbalken. „Das ist ja riesig hier. Und Sie haben die Mauer unverputzt gelassen!“

„Die Steine sind zu schön, als dass ich sie wieder unter Farbe und Verputz verschwinden lassen möchte. Sie sind neu verfugt worden, und dann habe ich sie versiegeln lassen …“ Nachdenklich blickte er auf die Wände. „Das war zwar teurer, als sie einfach zu verputzen, aber ich denke, es hat sich gelohnt.“

„Eindeutig. Es sieht fantastisch aus!“ Katya stellte sich in die Mitte des Raums und drehte sich langsam um sich selbst, um alles auf sich wirken zu lassen. „Wozu ist dieser Raum gedacht?“

„Für den öffentlichen Teil des Hauses. Kleine Ausstellungen, Lesungen, Aktivitäten für Kinder.“ Mit dem Daumen deutete er zum Flur. „Der Bürobereich ist dort hinten, und meine Praxis kommt nach unten, wo Peter gerade ist.“

Luke wirkte begeistert und sichtlich stolz auf das, was er bislang geschafft hatte. Katya erinnerte sich an Zeiten, als sie ebenfalls in ihrer Arbeit aufgegangen war, und auf einmal empfand sie eine deprimierende Leere in sich, die ihr die Luft abschnürte.

„Möchten Sie sich die Büroräume ansehen?“ Seine Stimme klang weich, so als hätte er ihre düstere Stimmung wahrgenommen. „Noch sind sie nicht fertig, aber …“

„Ja, sehr gern.“ Katya bemühte sich um ein strahlendes Lächeln. Vielleicht würde auch sie eines Tages etwas finden, an dem ihr Herz hing und bei dem nicht die Gefahr bestand, dass sie scheiterte. Bis dahin würde sie Kaffee ausschenken und Kunden anlächeln.

Luke wusste nicht, was er gesagt oder getan hatte, dass sie auf einmal so traurig aussah. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie wären bei Peter geblieben, aber es war zu verlockend, ihr sein Herzensprojekt zu zeigen. Und nun konnte er nicht einfach wieder mit ihr hinuntergehen, ohne sie zumindest kurz herumgeführt zu haben.

Aber sie schien es nicht eilig zu haben, sondern schaute sich in Ruhe um, inspizierte die halb fertigen Büros, die Küche und das winzige Bad und wanderte durch den großen Hauptbereich.

„Er ist wirklich riesig.“

„Ja, ich plane verschiebbare Wände, damit er bei Bedarf in drei kleinere Räume unterteilt werden kann.“ Luke versuchte, alles mit ihren Augen zu sehen, denn ihre Einschätzung war ihm auf einmal sehr wichtig.

„Die Aussicht ist auch wundervoll.“ Sie stützte sich auf einer der Fensterbänke ab und blickte auf die weite grüne Landschaft. „Und sie wird noch schöner, sobald erst diese Container verschwunden sind.“

Die Container waren seit zwei Jahren sein Zuhause. „Die bleiben noch eine Weile“, antwortete er unbehaglich.

„Aber sicher kommen sie doch weg, wenn Büroräume und Praxis fertig sind, oder?“

Die Frage war ihm sichtlich unangenehm. „Ich wohne darin.“

Katya errötete leicht. „Oh! Ich dachte …“ Ihr Blick wurde misstrauisch. „Ich dachte, Sie kommen auf dem Weg von Ihrem Zuhause zur Praxis im Coffeeshop vorbei.“

„Das stimmt auch. Meine Praxis ist immer noch unten im Ort.“ Er zuckte mit den Schultern. Ich habe sie nur gemietet und ziehe in wenigen Wochen hierher. Das alles ist Teil eines Fünfjahresplans.“

„Ich verstehe.“ Sie nickte. „Und wann wollen Sie ständig hier wohnen?“

„Das hat momentan nicht oberste Priorität. Ich habe das Land vor zwei Jahren gekauft und jeden Penny in den Umbau gesteckt. Dort drüben will ich mir ein Haus bauen, aber das muss warten.“ Er deutete auf die von Bäumen beschattete und mit Brombeergestrüpp überwucherte Stelle, wo es irgendwann stehen sollte. „Und bis dahin habe ich keinen Mangel an frischen Brombeeren.“

„Wirklich ein Projekt, für das man Geduld braucht.“ Katya reckte den Hals, um den künftigen Bauplatz zu betrachten, und blickte wieder auf die Container. „Wird es dort im Winter nicht zu kalt?“

Kalt, wenig heimelig, aber praktisch. Er verbrachte kaum Zeit in den klobigen Metallboxen, und bisher hatte es ihm nichts ausgemacht. Ein Zuhause war es ohnehin nicht. „Kommt darauf an, wie viele Socken ich übereinanderziehe.“

Sie lächelte. Freundlich und warmherzig. Ein Lächeln, das auch einen Container zu einem Zuhause machen konnte. „Es ist wirklich wunderschön hier, Luke. Und wenn es erst einmal richtig fertig ist …“

Wie gern hätte er sie in die Arme gezogen. Nein, richtig fest gedrückt. Festgehalten. Aber er erinnerte sich nur zu gut an das letzte Mal, als er ihr zu nahe gekommen war. Wenn sie nun wieder in Panik geriet? Was für ein Mann wäre er dann? Einer, vor dem eine Frau Angst haben musste? Rasch wandte er sich ab, stieß gegen die Werkbank und streckte Halt suchend die Hand aus.

Die scharfe Klinge des Klappmessers, das dort lag, fuhr ihm in den Daumen wie durch Butter. Luke zuckte zurück, und dann floss auch schon Blut.

„Verdammt!“ Ein paar Tropfen fielen durch eine schmale Lücke zwischen den Plastikplanen hindurch auf das unbehandelte Dielenholz. Luke hielt die verletzte Hand über eine leere Farbdose und bückte sich, um den Schaden mit der anderen zu beheben.

Als Nächstes fühlte er Katyas Hand auf seiner, dann, wie etwas um die klaffende Wunde im Daumenballen gewickelt wurde. „Machen Sie sich deswegen keine Sorgen“, sagte sie.

„Es wird ins Holz sickern.“ Luke fluchte unbeherrscht, als die Plane unter seinen Füßen wegrutschte und noch mehr Blut auf die Dielen tropfte.

„Und Sie machen es nur noch schlimmer“, erklärte sie entschieden. „Was passiert ist, ist passiert. Kommen Sie, um alles andere kümmern wir uns später.“ Sie zog ihn mit sich, und ihre grünen Augen blitzten strafend, als er sich dagegen wehren wollte.

„He, das ist meine Stoffprobe!“, protestierte er verspätet, weil er erst jetzt sah, womit sie ihm provisorisch die Hand verbunden hatte.

„Diese Farbe wollen Sie für hier nehmen?“ Sie hob die Brauen. Mochte sie vorhin zurückhaltend, fast schüchtern gewesen sein, so war davon nicht mehr das Geringste zu merken. Katya bestimmte selbstbewusst und ruhig, wo es langging.

„Nein. Inzwischen finde ich etwas Helleres doch besser.“

„Gut, dann brauchen Sie den Stoff ja nicht mehr.“ Als Luke versuchte, sich aus ihrem Griff zu lösen, um seinen Daumen zu inspizieren, verdrehte sie die Augen. „Lassen Sie das, und kommen Sie mit.“

Sie schob ihn die Treppe hinunter und drückte ihn in einen abgewetzten Sessel, den die Handwerker während ihrer Pausen benutzten.

„Peter?“ Aber Peter war gerade damit beschäftigt, sich von Kätzchenkrallen zu befreien, die sich in seinem Pullover verhakt hatten. „Peter, holst du bitte die rote Tasche aus meinem Wagen?“, rief sie.

„Nicht nötig.“ Luke gab sich noch nicht geschlagen. „Ich muss sehen, dass ich die Blutspritzer aus dem Holz bekomme, ehe es zu spät ist.“

Doch da hatte er keine Chance. Strafend sah sie ihn an. „Es ist bereits zu spät, Luke. Vielleicht bekommen Sie sie mit Essig wieder raus. Wenn nicht, versuchen Sie es mit ein wenig Bleichmittel.“

„Dann gehe ich besser und …“ Er sprach nicht weiter, als sie mit dem Daumen ihrer freien Hand wackelte.

„Sehen Sie das hier?“

„Klar. Ich habe mich nur geschnitten und mir nicht den Arm gebrochen.“

„Ja, am Daumen.“ Schalkhaft lächelte sie ihn an. „Gerade Sie sollten doch wissen, dass die meisten Handgriffe ohne ihn unmöglich sind.“

„Es ist ein Mythos, dass wir die einzige Spezies mit einem opponierbaren Daumen sind. Viele Tiere besitzen ihn. Gibbons, Menschenaffen, Riesenpandas …“

„Mag sein. Aber es wäre schade, wenn Sie nicht mehr zupacken könnten.“ Sie hob das Stoffstück an. „Es scheint nicht mehr zu bluten. Ist der Daumen irgendwo taub?“

„Nein.“ Luke bewegte ihn.

Autor

Annie Claydon

Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...

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