So wie du liebt keine

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Cassie weiß genau: Der superattraktive Werbetexter Charlie Whitman bleibt nie lange bei einer Frau. Also Vorsicht! Aber auch Cassie kann seinem erotischen Charme nicht widerstehen. Vielleicht bleibt er ja doch für immer …


  • Erscheinungstag 03.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743901
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Obwohl er erst seit zwei Tagen bei Woodson & Meyers Advertising, Inc. arbeitete, hätte Charlie Whitman das Drehbuch zur jährlichen Weihnachts-Tanzveranstaltung für Kunden der Werbeagentur schreiben können. Der elegante Ballsaal des Hotels in Manhattan hätte die Kulisse für einen Werbespot bilden können, und die entsprechend schick gekleideten Gäste wirkten wie Fernseh-Versionen ihrer selbst. Alkohol und üppiges Essen gab es kostenlos und reichlich, besonders den Alkohol, und so war es abzusehen, dass am Ende des Abends einige der vornehmen Damen und Herren sturzbetrunken sein würden. Von den bis dahin begonnen Affären ganz zu schweigen. Dies zu prophezeien entsprang nicht Charlies Zynismus, sondern seiner Erfahrung in der Werbebranche, die trotz all ihrer Unberechenbarkeit wenig wirklich Überraschendes bot. Charlie Whitman hingegen zog das Neue und Andere dem Vorhersehbaren vor.

Und dann entdeckte er sie auf der anderen Seite des Ballsaals. Sie hatte dichtes, schulterlanges, honigblondes Haar und blaue Augen. Mit ihrem schlichten roten Kleid stach sie aus dieser aufgedonnerten, juwelenbehangenen Gesellschaft hervor. Außerdem verriet ihr Clipboard, auf dem sie sich zwischendurch Notizen machte, dass sie im Gegensatz zu den Champagner trinkenden Gästen arbeitete.

Wahrscheinlich musste sie die Weihnachtsfeier organisieren, sagte sich Charlie. Ein undankbarer Job.

Sie war in eine ernste Diskussion mit dem befrackten Oberkellner vertieft und bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde. Ärgerlich zeigte sie auf eine schmelzende Eisskulptur, die einst zweifellos ein Schwan gewesen war, allmählich aber zu einer Ente schrumpfte.

Da haben wir ja etwas Neues und Anderes, dachte Charlie. Sie war nicht die eleganteste Frau im Saal, nicht einmal die schönste. Die Werbebranche war nun einmal ein Magnet für Snobs und das weiße Bürgertum, oder zumindest für die, die sich dazu zählten. Aber etwas an dieser Frau fesselte ihn. Er fühlte sich sofort zu ihr hingezogen – was nur Ärger versprach, wie ihm im nächsten Moment klar wurde. Gewöhnlich mied er diesen ernsten Typ Frau. Solche Frauen machten ihn nervös. Trotzdem konnte er sich vom Anblick der Lady in Rot nicht losreißen.

Charlie war zwar neu in der Agentur, nicht jedoch in der Werbebranche, deshalb kannte er die meisten der anwesenden Mitarbeiter wenigstens vom Hörensagen. Diese Frau dagegen war ihm unbekannt. Was sich ändern ließ.

„Wer ist diese Lady mit der elfenbeinfarbenen Haut?“

„Hm?“, erwiderte Joe Mancini, der genüsslich auf einem Hühnerflügel kaute.

Joe, ein stämmiger Mann mit einem mächtigen Schnauzbart, der fast sein Gesicht verbarg, war zwar ein begnadetes Genie, wenn es um Bildmaterial ging, doch wie die meisten Art Directors benutzte er die Sprache, als sei sie ein noch unbekanntes Kommunikationsmittel. Zum Glück für ihre Karriere war für den Umgang mit Worten Charlie, der Werbetexter, verantwortlich. „Na, die Frau in Rot. Dort drüben. Was weißt du über sie?“

Joe spähte über seinen Hühnerflügel und gab rekordverdächtige sechs miteinander in Verbindung stehende Worte von sich. „Oh. Cassie Armstrong. Leitet die Buchhaltung.“ Damit widmete er sich wieder seinem Essen.

Charlie hatte auf mehr Informationen gehofft, da in diesem Geschäft normalerweise jeder über jeden Bescheid wusste. „Ich wüsste gern Einzelheiten. Wie ist sie? Mit wem geht sie ins Bett? Was sind ihre intimsten Geheimnisse? Ihre tiefsten Ängste?“

Joe, der inzwischen eine winzige Quiche in seiner Pranke hielt, wirkte sichtlich eingeschüchtert. Trotzdem antwortete er. „Sie leitet das Etat-Management. Ich glaube, sie hat einen Freund. Und sie ist … nett.“

Charlie ignorierte die Erwähnung des Freundes. Ihn beschäftigte eher die letzte Information. Eine Buchhalterin, die nett war? Unmöglich. Wie die meisten Kreativen lebte er in dem Glauben, dass das Etat-Management nur dazu da war, die Kreativabteilung zum Wahnsinn zu treiben und einem kreativen Einfall das Kreative zu nehmen und die Lorbeeren für die Ideen anderer einzuheimsen. Dennoch, ja, Cassie Armstrong sieht nett aus, dachte Charlie. Zumindest von Weitem. Er hatte nur noch eine Frage. „Welchen Etat betreut sie, Joe?“

„Na, unseren. Den von Majik Toys.“

Charlie grinste. Sein Job gefiel ihm immer besser. Ohne groß darüber nachzudenken, was er tat oder vorhatte, durchquerte er den Saal.

„He, wohin willst du?“, rief Joe ihm nach.

„Eine hilflose junge Dame befreien“, erwiderte Charlie gut gelaunt.

Beim Näherkommen hörte Charlie die erhitzte Debatte der beiden Streitparteien: „Wie ich Ihnen schon sagte, Lady, ich mache keine Eisskulpturen. Ich bin der Oberkellner, klar? Ich kümmere mich ums Essen, die Getränke, aber nicht um Eisskulpturen. Das sind die Vorschriften der Gewerkschaft.“

Es folgte Cassie Armstrongs aufgebrachte Entgegnung. „Aber das Eis tropft in meine Vorspeisen. Ich bitte Sie doch lediglich darum, es wegzustellen, bevor es meinen Endiviensalat ertränkt.“

„Ihr Endiviensalat interessiert mich nicht.“

Offenbar handelte es sich hier um eine völlig festgefahrene Situation, der mit Diplomatie nicht mehr beizukommen war. Deswegen mischte Charlie sich in den Streit ein. „Vielleicht darf ich Ihnen eine Lösung vorschlagen?“

Zwei Augenpaare – das eine zornig, das andere kampflustig – richteten sich auf ihn.

„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, fuhr der Oberkellner ihn an.

Gute Frage, dachte Cassandra Armstrong. Wahrscheinlich das Intelligenteste, was er bisher von sich gegeben hat. Denn sie interessierte die Antwort auch. Eigentlich war sie davon ausgegangen, alle Anwesenden zu kennen, doch der große Fremde mit den gewellten braunen Haaren und den lebhaften grauen Augen war ihr völlig unbekannt. An diese Augen hätte sie sich erinnert! Sie hatten etwas unvergesslich Übermütiges.

Mittlerweile war ihr fast jede Lösung des Konflikts recht, aber sie war von Natur aus ein vorsichtiger Mensch. „Sind Sie ein Kunde der Agentur?“, erkundigte sie sich höflich und hoffte inständig, dass er es nicht war.

„Schämen Sie sich.“ Er machte ein so beleidigtes Gesicht, dass sie fast losgelacht hätte, wäre die Lage nicht so ernst gewesen. „Nein, betrachten Sie mich einfach als neutral.“

Charlie nutzte Cassies Erstaunen und das des Oberkellners, um seinen Vorteil weiter auszubauen. „Hören Sie, Tom“, wandte er sich an den Kellner im Frack. „Ich bin selbst in der Gewerkschaft, deshalb verstehe ich Ihre Loyalität. Aber lassen wir Ihre Gewerkschaftsprinzipien mal beiseite – was würde es kosten, dieses schmelzende Ungetüm verschwinden zu lassen?“

Eine Pause entstand, in der der Oberkellner zwischen Gewerkschaftstreue und Eigeninteressen hin- und hergerissen war. Im Gegensatz zu Cassie war Charlie keineswegs überrascht, dass die Eigeninteressen letztlich die Oberhand gewannen. „Fünfzig Piepen“, murmelte der Kellner.

„Abgemacht.“ Charlie nahm seine Brieftasche und zählte fünfzig Dollar hin, woraufhin der Schwan verschwand.

Während die Eisskulptur sich dann auf dem Weg in die Küche befand, dämmerte es Cassie, dass der Fremde in dreißig Sekunden erreicht hatte, worum sie sich geraume Zeit vergeblich bemüht hatte.

Grinsend wandte sich Charlie an die verblüffte Cassie Armstrong. „Sie schulden mir fünfzig Dollar. Ganz zu schweigen von Ihrer ewigen Dankbarkeit. Aber Sie haben Glück, Sie können Ihre Schulden mit einem Tanz abarbeiten.“

„Bestechung, natürlich! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?!

Er lachte. „Sie sind eben zu nett, und Sie haben Prinzipien. Das sind zwei gravierende Charakterfehler.“

„Kenne ich Sie?“

„Nein, aber Sie werden mich kennenlernen. Und nun zu unserem Tanz.“

Cassie betrachtete den Mann neben sich genauer, und was sie sah, gefiel ihr. Er war groß und schlank und hatte eher etwas anziehend Jungenhaftes, als dass er im klassischen Sinn wie ein Adonis aussah. Er hatte eine ausgeprägte Nase und war nicht gerade muskulös. Aber sein umwerfendes Lächeln und seine lebhaften, intelligenten Augen hatten etwas einzigartig Attraktives. Es waren vor allem diese Augen, die sie faszinierten. Sie versprachen Freude und Lachen, und das konnte sie gebrauchen. Dennoch zog sie es vor, sein verlockendes Angebot abzulehnen.

„Ich kann nicht, tut mir leid. Ich muss mich um die Entrees kümmern und die …“

Er schenkte ihren Worten keine Beachtung, sondern warf ihr Clipboard achtlos auf den Tisch und nahm ihre Hand.

Als die Band fast im gleichen Moment eine schnulzige Version von „You Made Me Love You“ anstimmte, passte Cassie ihre Schritte selbstvergessen denen von Charlie an. Unversehens fand sie sich auf der Tanzfläche wieder, wo sie einen neuen Abwehrversuch startete. „Ich sollte das wirklich nicht tun.“

„Entspannen Sie sich.“ Charlie zog sie an sich. Es war ausgesprochen angenehm, sie in den Armen zu halten. Sie war groß, aber nicht zu groß, schlank, aber nicht zu schlank. Im Unterschied zu den übrigen magersüchtigen Schönheiten um sie herum, wirkte sie gesund und natürlich. „Das hier ist keine Arbeit. Ich sagte Ihnen doch, ich gehöre nicht zu den Kunden.“

Atemlos trat Cassie einen kleinen Schritt zurück. Er hielt sie viel zu nah an sich geschmiegt. „Dann gehören Sie zur Agentur?“ Aber sie kannte doch alle Kollegen.

„Sie sollen sich doch entspannen.“ Er zog sie erneut an sich. „Es ist zu Ihrem eigenen Besten. Betrachten Sie es als eine Art Therapie.“

Sie musterte skeptisch seinen Smoking. „Sie tragen kein Namensschild. Jeder hier ist angewiesen, eines zu tragen.“

„Ich war nie besonders gut darin, mich an irgendwelche Regeln zu halten.“

„Ich verstehe“, murmelte sie verwirrt.

Charlie wirbelte sie lachend herum. „Ich sehe, Sie sind eine sehr nüchterne Person, deswegen möchte ich einmal nachdrücklich betonen, dass die Werbebranche keine, ich wiederhole, keine ernsthafte Branche ist.“

„Ach, nein?“

„Selbstverständlich nicht. Schließlich hat diese Branche den Weißen Riesen und Meister Propper hervorgebracht.“

Zum ersten Mal seit Stunden musste Cassie herzhaft lachen.

Charlie grinste zufrieden. „Ich wusste, ich würde Sie früher oder später zum Lachen bringen. Wie kam es, dass Sie sich dazu beschwatzen ließen, diese kleine Feier zu leiten?“

Eine sehr gute Frage, dachte Cassie und antwortete insgeheim: auf die gleiche Weise, auf die ich mir so viele andere Verpflichtungen aufschwatzen lasse. Dass sie mit fast dreißig Jahren, einem Magister in Englisch, der sie zum Unterricht in der Sekundarstufe berechtigte, und nach sechs Berufsjahren in der Agentur noch immer nicht die Spielregeln kannte, wurmte sie. Oder andersherum: das Problem bestand darin, dass sich niemand außer ihr an Regeln zu halten schien.

„Man hat sehr überzeugend auf mich eingewirkt“, erklärte sie seufzend.

„Natürlich. Überzeugend zu sein gehört nun mal zur Werbung.“

„Ich weiß.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Aber jetzt sollte ich mich wieder um meine Entrees kümmern.“ Sie versuchte, sich erneut von ihm loszumachen, aber er gab sie nicht frei.

„Ach kommen Sie, nur noch ein bisschen.“

Ihr Widerstand bröckelte. „Nun … also …“

„Entspannen Sie sich. Schauen Sie sich doch mal um. So, wie die Bar belagert wird, könnten Sie denen auch Essig mit einer Kirsche servieren, und sie wären begeistert.“

Cassie musste lachend zugeben, dass er recht hatte. Sie sah zu dem Besitzer eines Fast-Foot-Restaurants, der neben ihr mit einer Medien-Direktorin kunstvolle Bewegungen vollführte, die nichts mehr mit dem Rhythmus der Musik gemein hatten. Ja, die Stimmung wurde deutlich lockerer, und dabei war man erst bei den Aperitifs.

„Die beiden sind verheiratet“, bemerkte sie leise und fügte hinzu: „Aber nicht miteinander.“

„Sie billigen das nicht?“

„Wozu noch heiraten? frage ich mich nur.“

„Das frage ich mich auch immer.“ Er drückte sie dichter an sich. „Was macht eigentlich ein so nettes Mädchen wie Sie an einem Ort wie diesem?“

„Das ist ein banaler, abgedroschener Spruch, wer immer Sie auch sind.“

„Werbung ist ein banales, abgedroschenes Geschäft. Also wiederhole ich meine Frage: was macht ein nettes Mädchen wie Sie an einem Ort wie diesem?“

„Das zeigt nur, wie wenig Sie über mich wissen. Ich bin ebenso weltgewandt und cool wie alle hier.“

„Tut mir leid, aber das nehme ich Ihnen nicht ab. Ihre ganze Erscheinung spricht dagegen. Wissen Sie übrigens, dass Sie sehr ausdrucksvolle Augen haben? Man kann in ihnen alles sehen, was Sie gerade denken und fühlen.“

„Das ist nicht wahr.“ Sie fühlte sich von ihm herausgefordert und versuchte, seinem Blick standzuhalten. Doch das Glitzern in seinen Augen machte sie nervös, und sie sah zu Boden.

Charlie lachte. Nett, dachte er. Joe hat recht. Cassie Armstrong war sogar sehr nett. Ihr duftendes Haar erinnerte ihn an Frühlingsmorgende und unschuldiges Vergnügen. Oder vielleicht doch nicht ganz so unschuldiges Vergnügen. Er ließ seine Hand an ihrem Rücken tiefer gleiten und schmiegte ihren Körper noch dichter an seinen.

Die Eisskulptur ist nicht das Einzige, was dahinschmilzt, dachte Cassie und war nicht sicher, ob ihr das, was sie empfand, auch wirklich gefiel. Sie zog es vor, vollkommene Beherrschung zu wahren, zumindest so lange, bis sie wusste, auf was sie sich einließ. Sie war eine Frau, die ihren Verstand gebrauchte und sich nicht kurzerhand in einen Fremden verliebte, selbst wenn er äußerst attraktiv war.

Entschieden trat sie wieder einen Schritt zurück. „Sie haben mir noch immer nicht Ihren Namen gesagt.“

„Wollen Sie immer alles einordnen können?“

„Ja, immer“, antwortete sie bestimmt, und diesmal gelang es ihr, seinem Blick standzuhalten.

Charlie korrigierte seine erste Einschätzung. Hinter ihrem sanften Äußeren war sie offenbar ziemlich zäh. Um ihre Reaktion zu testen, beschloss er, sie ein wenig zu necken. „Das glaube ich Ihnen, Cassie Armstrong, Verwalterin des Majik-Toys-Etats. Es geht das Gerücht, Sie seien nett und hätten einen Freund.“

Sie wirkte entsetzt. „Kenne ich Sie?“ Sie gab sich die Antwort selbst. „Nein, ich kenne Sie nicht. Aber woher wissen Sie so viel über mich?“

„Ein kleines Vögelchen hat es mir zugezwitschert. Ein diskretes.“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung Joe, der noch immer zufrieden allein in einer entfernten Ecke stand.

„Aha!“ Offenbar fiel es ihr jetzt ein. „Sie sind Charlie Whitman, der neue Werbetexter. Ich hätte gleich darauf kommen müssen.“

„Volltreffer, der bin ich, in natura.“

Cassie kniff die Augen zusammen. „Sie werden mir doch wohl keinen Ärger machen, oder?“ Das war eine lächerliche Frage an einen Mann, der einen Oberkellner bestochen und vorgetäuscht hatte, Mitglied der Gewerkschaft zu sein, der sich weigerte, ein Namensschild zu tragen und sie auf der Tanzfläche praktisch verführte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, machte er ein unschuldiges Gesicht. „Ich weiß gar nicht, was Sie meinen.“

„Doch, das wissen Sie. Ich habe nämlich auch ein kleines Vögelchen, das mir Informationen zuzwitschert.“ Nur dass Fran keineswegs diskret gewesen war. „Laut meiner absolut zuverlässigen Quelle sind Sie sehr fähig, allerdings auch eigenwillig, liefern Ihre Arbeit chronisch zu spät ab und befolgen ungern Anweisungen. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie sind der Albtraum einer Etat-Managerin.“ Sie machte eine Pause. „Wie bin ich bis jetzt?“

„Fair“, antwortete er locker.

„Das war noch nicht alles“, fuhr sie fort. „Sie sind überdies bekannt für Ihre Bindungsunfähigkeit. Tatsache ist, dass Sie in den letzten vierzehn Jahren in fünf verschiedenen Agenturen gearbeitet haben, was Ihnen in der Branche den Spitznamen Charlie, der Rastlose, eingebracht hat.“ Sie hätte hinzufügen können, dass er mit seinen sechsunddreißig Jahren noch nie verheiratet war, nicht einmal verlobt, doch sie wollte nicht zu persönlich werden. „Kommt Ihnen das bekannt vor?“

„Nein, keineswegs. Und ich werde Ihnen auch zeigen, warum nicht: Sie wollen jemanden, der keine festen Bindungen scheut? Na schön, heiraten Sie mich und bringen Sie meine Kinder zur Welt.“

Er war so dreist, dass sie lachen musste.

„Glauben Sie mir etwa nicht?“

„Tut mir leid, ich mag zwar nett sein, aber ich bin nicht blöd. Sie sind einfach nicht der Typ, der heiratet.“

„Aber wie wäre es mit einer billigen, heißen und abstoßend bedeutungslosen Affäre, bei der wir am nächsten Morgen beschämt nebeneinander aufwachen und uns in der Agentur wochenlang aus dem Weg gehen?“

„Das klingt, als hätten Sie damit Erfahrung.“

Er schüttelte den Kopf. „Keineswegs, so stelle ich es mir nur vor. Was halten Sie davon?“

„Aus Ihrem Mund klingt das wirklich verlockend, aber ich bin kein Typ für Affären.“

Er seufzte aus tiefstem Herzen. „Sie sind nicht leicht zufriedenzustellen. Also, ich starte einen letzten Versuch. Was halten Sie von einem kleinen Nachttrunk nach dem Tanz?“

Seine Dreistigkeit verblüffte sie nicht mehr. Doch etwas in seiner Miene machte sie neugierig. „Bitten Sie mich um ein Rendezvous?“

„Das war eigentlich meine Absicht. Was sagen Sie dazu?“

Cassie war viel zu überrascht, um etwas zu sagen. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie Charlie Whitmans Typ sein könnte oder er ihrer. Dennoch klang sein Angebot sehr reizvoll.

Er unterbrach ihre Gedanken. „Ich habe Sie nur um einen kleinen Nachttrunk gebeten, nicht um eine lebenslange Beziehung. Wie lautet also Ihre Antwort?“

„Ich bin schon verabredet.“

„Ach, das Gerücht über den Freund stimmt also.“

Eigentlich hätte sie jetzt sofort erwidern können, dass Jeff Paulson nicht direkt ihr Freund war, doch sie ging die Dinge lieber ruhig an, wägte erst ab, bevor sie etwas wagte. Abgesehen davon ließen Charlies Fragen ihr gar keine Chance, diesen Punkt zu klären.

„Sie sind doch nicht verheiratet, Armstrong, oder?“

„Natürlich nicht.“

„Verlobt?“

„Nein.“

„In festen Händen? Mit Freundschaftsringen? Tut mir leid, aber falls es sich um einen Ring aus dem Kaugummiautomaten handelt, den ihr euch im Alter von vier Jahren geschenkt habt, zählt es nicht.“

Sie musste sich auf die Lippe beißen, um nicht zu lachen. „Ich möchte mich einfach nicht mit zwei Männern gleichzeitig verabreden.“

Charlie hob eine Braue. „Mal sehen, ob ich das alles richtig verstanden habe: Sie leben in dieser Stadt, einem Sündenpfuhl, Sie arbeiten in einer Branche, in der jeder mit jedem ins Bett geht und in der Ehebruch nicht als Laster, sondern als Sport gilt. Aber Sie gehen nur mit einem Mann zurzeit aus. Stimmt das im Wesentlichen?“

„Grob zusammengefasst, ja. Außerdem gehe ich gewöhnlich nicht mit Leuten aus, mit denen ich zusammenarbeite.“

„Selbstverständlich nicht.“ Er schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. „Sie sind in der Tat eine Frau mit Prinzipien, Cassie Armstrong. Das wird Sie eines Tages in Schwierigkeiten bringen.“

Ist schon passiert, dachte sie. Die Tanzfläche war bis auf sie und Charlie leer, selbst die Band war verschwunden, und sie hatte weder den Schluss des Songs mitbekommen, noch dass das Dinner serviert wurde.

„Verflixt!“ Rasch löste sie sich aus seinen Armen. „Meine Entrees! Die habe ich ganz vergessen! Ich muss gehen.“

Nur widerstrebend ließ Charlie sie gehen und sah ihr lächelnd nach, als Cassie davoneilte. „He, Armstrong“, rief er ihr nach. „Nehmen Sie’s nicht so ernst.“

Aber Cassie war bereits verschwunden.

Trotz – oder wegen – Cassies Sorge verlief der Abend reibungslos. Sogar der Präsident der Agentur gratulierte ihr persönlich zu ihrer vorzüglichen Arbeit. Allerdings war der Gute zu diesem Zeitpunkt schon schwer betrunken und würde am nächsten Morgen wahrscheinlich nichts mehr davon wissen. Dennoch fand Cassie es sehr zufriedenstellend, ihren Job gut erledigt zu haben.

Charlie Whitman sah sie nur noch zweimal an diesem Abend. Beim ersten Mal suchte sie ihn auf.

„Ach hier sind Sie!“ Sie traf ihn an der Bar an. „Ich habe schon überall nach Ihnen gesucht.“

Seine Augen funkelten. „Und ich dachte schon, ich interessiere Sie nicht.“

Sie steckte ihm ein Namensschild an. „Wagen Sie nicht, es wieder abzunehmen“, warnte sie ihn.

„Ja, Darling“, erwiderte er gehorsam – und legte die Hände um ihre Taille.

Er lachte, da sie instinktiv eine weniger intime Distanz zu ihm einlegte und zurückwich.

„Entspannen Sie sich, Armstrong. Wenn es nach dem Alkoholpegel der Anwesenden ginge, könnten Sie hier nackt auf dem Tisch tanzen, und niemand würde es bemerken.“ Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht. „Sie würden nicht zufällig …“

„Hören Sie auf, mich dauernd auf den Arm zu nehmen. Ich bin auch so schon nervös genug.“

„Okay, ich werde mich anständig benehmen.“

Sie wünschte, ihm glauben zu können und atmete tief durch. „Sie sitzen neben Vince Bertolli, dem Präsidenten von Majik Toys, obwohl ich nicht weiß, was mich geritten hat, Sie ausgerechnet dort zu platzieren. Ich kannte Sie eben noch nicht.“ Die Vorstellung von dem frechen Charlie Whitman neben dem ruppigen Selfmademan beunruhigte sie sehr.

Sie sah ihn streng an. „Das will ich auch stark hoffen.“

Er grinste. „Ich werde ein Vorbild an Benehmen sein und vor Intelligenz und Charme nur so sprühen. Großes Pfadfinder-Ehrenwort.“

„Sie waren bei den Pfadfindern?“ Das konnte einen an der Zukunft der Pfadfinder Amerikas zweifeln lassen.

„Grundgütiger, nein. Ich werde ganz ich selbst sein.“

Genau das befürchtete sie ja. Als sie dann am Kopfende der Tafel saß, versuchte sie, sich auf ihr Hühner-Cordon-Bleu und die Unterhaltung um sie herum zu konzentrieren, ertappte sich jedoch immer wieder dabei, dass sie in Charlies Richtung schaute. Doch ihre Sorge war offenbar unbegründet. Der Spielzeugmagnat schien von Woodson & Meyers neuem Werbetexter ganz überwältigt zu sein. Sie beobachtete verblüfft, wie sich ihr normalerweise permanent grimmiger Kunde vor Lachen über eine Bemerkung Charlies ausschüttete. Wenn ich etwas gesagt habe, hat er noch nie so gelacht, dachte Cassie halb bewundernd, halb neidisch. Nicht dass sie in Bertollis Gegenwart schon allzu viele witzige Bemerkungen gemacht hätte. Seine bissige Art eines typischen Brooklyners hatte sie bisher viel zu sehr eingeschüchtert. Charlie Whitman dagegen schien nichts und niemanden zu fürchten, und sie beneidete ihn um diese natürliche Selbstsicherheit. Vielleicht lag das Geheimnis seines Erfolges aber auch darin, dass es ihm schlicht egal war, was andere von ihm dachten. Nun, das würde die Zukunft zeigen.

Bei ihrer letzten Begegnung an diesem Abend war es Charlie, der Cassie aufsuchte. „Meinen Glückwunsch“, sagte er grinsend. Seine Stimme hallte in dem fast leeren Ballsaal wider. Bis auf das Reinigungspersonal des Hotels und eine Handvoll Nachzügler war niemand mehr dort. „Sie haben die Party überstanden, und ich glaube, es haben sich nur zwei Leute übergeben. Ein Erfolg auf der ganzen Linie. Wie fühlen Sie sich, Champion?“

Cassie lachte matt. „Stehend k. o., wenn Sie die Wahrheit wissen wollen. Wenn jemand im nächsten Jahr auch nur das Wort ‚Weihnachtsfeier‘ erwähnt, bremsen Sie mich.“ Sie war so müde, dass es ihr schwerfiel, ihren Mantel anzuziehen, deshalb nahm sie dankbar Charlies Hilfe an. Dann drehte sie sich zu ihm. „Und wie gefiel Ihnen Ihr neuer Kunde?“

„Wer, der alte Vince?“ Charlie zuckte die Schultern. „Nicht schlecht für jemanden, der wie ein Mafiaboss aussieht. Es ist nicht meine Absicht, ihn zu verunglimpfen, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, wie er jemanden ein Angebot macht, dem man sich nicht verweigern kann.“

Schau an, dachte sie. Charlie Whitman ist ein scharfsinniger Mann. „Und das ist gewöhnlich jemand aus der Werbeagentur, die er gerade für sich arbeiten lässt. Er könnte Ihnen, was feste Bindungen angeht, glatt Konkurrenz machen. Vince hat in den letzten fünf Jahren drei Agenturen gekündigt. Ich fürchte, wir werden uns ranhalten müssen. Da wir gerade davon sprechen: haben Sie mein Memo erhalten über die in zwei Wochen fälligen Anzeigenvorschläge für die Printmedien?“

„Wahrscheinlich.“ Charlie betrachtete Cassies angespanntes Gesicht. „Ganz zu schweigen von der Auswahl an Strategiekonzepten, dem demografischen Profil für alle zwölf Produkte der Reihe und den Anzeigenplänen fürs nächste Jahr.“ Bis auf die langweiligen Titel hatte er sie allerdings nicht gelesen, was er jedoch für sich behielt. „Ich bin erst seit zwei Tagen hier, und Sie haben mich schon unter einem Papierberg begraben. Sie sind eine echte Arbeitsbiene.“

„Die Arbeit geht nun einmal vor.“

„Arbeit mag ja ganz schön sein, Cassie Armstrong, aber Sie machen sich zu viel Sorgen.“

Sie wollte sich schon verteidigen, besann sich dann aber eines Besseren. „Sie haben recht“, gestand sie. „Und heute Abend bin ich zu müde, um mir weiter Sorgen zu machen. Morgen ist auch noch ein Tag.“

Sie sieht wirklich erschöpft aus, dachte er, und das berührte ihn. Was völlig untypisch für ihn war. Auf dem Weg durch die Lobby hinaus in die kalte, klare Dezembernacht fragte er sie dann: „Soll ich Sie nach Hause fahren?“

„Vielen Dank, aber …“

„Das soll kein Annäherungsversuch sein, Armstrong, sondern lediglich ein Angebot, Sie nach Hause zu fahren.“

„In diesem Fall …“ Der Vorschlag klingt harmlos genug, dachte Cassie. „Wo steht Ihr Wagen?“

„Komisch, das wollte ich Sie auch gerade fragen.“

Sie starrte ihn an. „Soll das etwa heißen …“ Trotz ihrer Müdigkeit musste sie lachen. „Sie sind wirklich dreist, aber das wissen Sie vermutlich längst.“

Charlie bemerkte, dass eine Böe ihre vollen Haare zerzauste. „Man hat nur wenig Zeit, einen Eindruck zu vermitteln, deshalb sollte er denkwürdig sein.“

Sie lachte. „Keine Angst, das war er.“

„Ich schlage einen Kompromiss vor. Wir könnten uns ein Taxi teilen. Jeder bezahlt natürlich für sich selbst.“ Er grinste. „Ich möchte ja nicht gegen eins Ihrer hehren Prinzipien verstoßen.“

Cassie musste sich insgeheim gestehen, dass sie diesen Mann, den sie gerade erst kennengelernt hatte, bereits mochte – vielleicht schon zu sehr. Zögernd willigte sie ein. „Einverstanden … Ich wohne in der Upper East Side.“

„Das hätte ich mir denken können, dass Sie in so einem Upperclass-Viertel wohnen.“ Er musterte sie von oben herab. „Ich dagegen bin ein Down-Town-Typ. Mir liegt SoHo – natürlich bevor es schick war, dorthin zu ziehen.“

Autor

Susan Worth
Mehr erfahren