Stille Küsse

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Liebesnächte im Himmelbett hatte Savannah sich ausgemalt. Aber leider hat Mike sie lediglich geheiratet, um sein Millionenerbe anzutreten. Von Liebe steht nichts im Ehevertrag. So schläft sie in ihrer Hochzeitsnacht alleine im Hotel und träumt davon, seinen perfekt trainierten Körper zu spüren. Wie soll sie es aushalten, ein ganzes Jahr lang keusch mit ihm zusammenzuleben?


  • Erscheinungstag 29.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775933
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

In was für verrückte Situationen werden die Special Forces mich wohl noch bringen? fragte sich Michael Remington, während er seine Umgebung musterte. Er befand sich in einem eleganten Anwaltsbüro, das seinen Sitz mitten in San Antonio, Texas, hatte.

Dunkle Holzwände, glänzendes Eichenparkett, komfortable Ledersessel – und die Anwältin zweifellos der dekorativste Teil von alledem. Er betrachtete ihr seidenweiches blondes Haar. Haar, das sie keinesfalls in diesem strengen Knoten verstecken sollte. Schon vom ersten Moment an, als die Dame noch vor ihrem Schreibtisch gestanden hatte, waren Mike ihre fabelhaften langen Beine aufgefallen. Abgesehen davon war sie mit einem Gesicht und einem Körper gesegnet, die jeden Mann sofort ans Schlafzimmer denken ließen – bis er ihre großen blauen Augen sah, eisig und kalt wie ein nordischer Fjord.

Er hörte ihr kaum zu, während sie ihm in ihrem Juristenjargon John Frates’ Testament vorlas. Neben ihm saßen seine Kumpel von den Special Forces: Jonah Whitewolf, ein Komantsche, einer der besten Bombenentschärfer, die Mike kannte, und Boone Devlin, ein Hubschrauberpilot der Sonderklasse.

Nicht lange nachdem sie damals John Frates gerettet hatten, trennten sich die Wege der drei Männer, und bis heute, der ersten Woche im April, hatten sie sich nicht wiedergesehen. Mike freute sich auf ihr gemeinsames Dinner heute Abend – eine Wiedervereinigung, die sie nur John Frates zu verdanken hatten. Leider lebten John Frates und seine Frau nicht mehr. Beide starben bei einem Bootsunfall vor der Küste von Schottland. Es kam Mike sehr seltsam vor, dass er in einem Testament bedacht wurde, nur weil er seine Pflicht getan hatte. Zwar hatten sie John Frates gerettet, als er im kolumbianischen Dschungel als Geisel genommen worden war, aber das war schließlich Teil ihres Auftrags gewesen.

Als er seinen Namen hörte, konzentrierte Mike sich wieder auf die Worte der Anwältin.

„Michael Remington“, las Savannah Clay, ihre Stimme klang energisch und nüchtern, „dem ich auf ewig dankbar sein werde, hinterlasse ich meinen kostbarsten Besitz, die Vormundschaft über meine kleine Tochter, mein Baby Jessie Lou Frates.“

Mike starrte Savannah fassungslos an. Er konnte plötzlich nicht mehr atmen, kalter Schweiß brach ihm aus und er hörte nicht mehr, was die Anwältin noch sagte.

Jessie Lou Frates? Ein Baby? Man hatte ihm die Sorge für ein Baby übertragen? Mike hatte während seiner militärischen Laufbahn lebensgefährliche Situationen durchgestanden, aber nie war er so nervös gewesen wie in diesem Moment. Nur vage nahm er den Rest der Verlesung des Testaments wahr – und schon gar nicht die Fragen seiner Freunde oder die Antworten der Anwältin. Schließlich sah Savannah Clay ihn an.

„Sie sind so still, Colonel Remington. Irgendwelche Fragen?“

Er starrte sekundenlang in ihre blauen Augen – wunderschöne Augen, dachte er flüchtig. „Ja, ich habe sehr viele Fragen. Wenn Sie etwas Zeit haben, bleibe ich noch ein wenig hier, wenn die anderen gegangen sind.“

Seine Freunde protestierten, aber Miss Clay brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Es vergingen weitere dreißig Minuten, bevor sie die Tür hinter ihnen schloss und sich zu Mike umdrehte. Er stand auf und sah sie entschlossen an.

„Ich übernehme kein Baby“, sagte er. „John Frates hat mir gegenüber nie ein Baby erwähnt.“

„Soviel ich weiß, hat er Sie angerufen“, erwiderte sie ruhig.

„Er hat mich vor einigen Jahren angerufen und gesagt, dass er geheiratet hätte, dass er und seine Frau ihr Testament aufsetzten und dass er mir etwas hinterlassen wollte, aber er sagte nichts von einem Baby.“

Savannah Clay musterte Mike mit einem Blick, der wohl ihre Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Worte ausdrücken sollte. „Als Jessie geboren wurde, haben John und seine Frau ihr erstes Testament geändert.“ Sie durchquerte den Raum und nahm wieder hinter ihrem Schreibtisch Platz. Trotz des Schocks, den er gerade erlitten hatte, bemerkte Mike den aufregenden Schwung ihrer Hüften. Sie machte eine Handbewegung. „Bitte setzen Sie sich.“

„Ich kann unmöglich die Verantwortung für ein Baby übernehmen“, wiederholte Mike und fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis sie ihn endlich begriff.

„Das Testament trifft alle nötigen Vorsorgen. Sie werden das Haus in Stallion Pass bekommen, ein Treuhandvermögen für Jessie sowie eins für die täglichen Ausgaben – und morgen werden zudem eineindrittel Million Dollar auf Ihr Privatkonto eingezahlt“, sagte sie so geduldig, als müsste sie einem kleinen Kind etwas erklären.

„Lassen Sie bloß nichts auf mein Konto überweisen“, fuhr Mike sie an. „Hören Sie mir überhaupt zu? Ich will diese Vormundschaft nicht übernehmen.“

„Die Frates hatten keine Verwandten“, sagte Savannah. „Es gibt sonst niemanden, der die Kleine nehmen könnte. Sie ist doch erst fünf Monate alt.“ Savannahs Wangen waren rot angelaufen, was sie nur noch schöner aussehen ließ, aber Mike versuchte, das zu ignorieren. Sie sprach langsam und deutlich, so als wäre er taub oder zu dumm, um zu verstehen, was sie ihm sagen wollte. „Sie wird sonst in ein Waisenhaus kommen.“

„Tut mir sehr leid, aber das wird sie wohl müssen“, antwortete Mike gereizt. „Das ändert nichts an meiner Einstellung. Es gibt sehr viele Kinder, die in einem Waisenhaus aufwachsen müssen, aber ich übernehme auch keins von denen.“

Wut blitzte in den Tiefen ihrer blauen Augen auf. „John Frates hatte eine hohe Meinung von Ihnen, und er setzte sein ganzes Vertrauen in Sie.“

„Das ist sicherlich sehr schmeichelhaft, und ich weiß das zu schätzen, aber der Mann war nur dankbar, weil wir ihm das Leben gerettet hatten. Es ändert nichts an meinem Entschluss.“

„Sehen Sie sich das an.“ Sie holte einen Umschlag hervor und kam dann um den Schreibtisch herum, schob einen Stuhl dicht neben seinen, und Mike erhaschte einen Hauch ihres verführerischen Parfüms. Als sie sich setzte und die Beine übereinanderschlug, wurde er kurz abgelenkt, und sein Blick ging wie von selbst zu ihren wohlgeformten Beinen.

Savannah holte ein Foto heraus und legte es ihm auf ein Knie. Der flüchtige Kontakt war höchst elektrisierend. „Das ist Jessie“, sagte sie.

Von dem Foto lächelte ihn ein Baby mit dunklen Locken, glänzenden blauen Augen und rosigen Wangen an.

„Sie ist bezaubernd, aber meine Meinung ändere ich nicht.“

„Darf ich fragen, warum nicht?“ Savannah drehte sich halb zu ihm um. Ihre Knie berührten sich fast, und Mike spürte die enorme Anziehungskraft dieser sehr attraktiven, wenn auch ziemlich ärgerlichen Frau.

„Ich bin ledig. Ich liebe meine Freiheit, und ich weiß nichts über Kinder“, antwortete er. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für ein Baby in meinem Leben. Ich bin kurz davor, für die CIA zu arbeiten und werde ständig unterwegs sein. Ich kann mich nicht mit einem Baby belasten.“

„Das ist unglaublich egoistisch von Ihnen, Colonel Remington. Sie weisen ein großzügiges Einkommen, ein Zuhause, ein wundervolles Baby ab, und alles nur, weil Sie Ihre Freiheit lieben?“

„Jetzt haben Sie’s endlich begriffen“, entgegnete er. Sie besaß die schönsten Augen, die er je gesehen hatte, und die unglaublichsten Beine. Trotzdem konnte er es kaum erwarten, von ihr und dieser ungewollten Erbschaft fortzukommen.

„Sie sind ledig. Gibt es eine Frau in Ihrem Leben?“ Sie gehörte offenbar zu der Sorte, die nicht so leicht lockerließ.

„Zurzeit nicht.“

„Das wundert mich nicht“, meinte sie kühl, und Mike wurde allmählich wütend.

„Hören Sie, Miss Clay, mit Ihnen wird einem auch nicht gerade warm ums Herz. Offensichtlich sind Sie auch nicht liiert, und das überrascht mich genauso wenig.“

Zu seinem Erstaunen lachte sie. Was für ein schönes Lächeln, was für strahlende Augen. Jetzt kam sie ihm sogar noch begehrenswerter vor. Mike hätte fast mit den Zähnen geknirscht. Attila, der Hunne, in der Verkleidung einer verführerischen jungen Frau. „Ah, ich mache Sie nervös“, stellte sie zufrieden fest. „Sie verlieren Ihre kühle Reserviertheit. Das bedeutet, dass Ihr schlechtes Gewissen sich bemerkbar macht.“

„Ganz und gar nicht“, widersprach er, konnte seinen Blick jedoch nicht von ihrem strahlenden Lächeln losreißen. Es raubte ihm regelrecht den Atem.

Sie sah auf ihre Uhr. „Es ist spät. Essen Sie mit mir zu Abend, dann können wir ausführlich über das Thema sprechen“, verkündete sie und stand auf.

„Nein danke“, entgegnete er. Savannah zog ihre Jacke aus und befreite ihr Haar aus der Spange. Ihr blondes langes Haar fiel auf eine cremefarbene Bluse, die sich eng an verführerische Rundungen schmiegte. Mike vergaß sekundenlang seine Feindseligkeit.

„Schlagen Sie oft eine Einladung zum Essen aus? Oder haben Sie Angst, dass ich Sie doch noch überreden könnte?“, fragte Savannah.

Er hob die Augenbrauen. Am liebsten hätte er ihr einen Klaps auf ihren niedlichen Po gegeben. Wenn er auch nur einen Funken Verstand hätte, würde er ihr zustimmen und sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen. Aber sie stand da mit ihrem goldblonden Haar, dem herausfordernden Glitzern in ihren blauen Augen und einer Figur, die jeden Mann alle Probleme dieser Welt vergessen machen konnte.

„Nein, Einladungen von so schönen Frauen schlage ich nicht aus“, sagte er gelassen und stand auf. „Aber meine Meinung werden Sie nie ändern.“

„Nie ist eine ganz schön lange Zeitspanne, Colonel.“

„Na schön, da wir zusammen zu Abend essen werden, sollten wir Förmlichkeiten beiseitelassen. Ich heiße Mike, Savannah.“

„Gut“, willigte sie ein und sah Mike geheimnisvoll lächelnd an. „Setzen Sie sich, Mike. Geben Sie mir nur ein paar Minuten.“

Sie kommandierte Leute herum wie ein Feldwebel. Sehr viel höflicher, aber mit der gleichen Autorität und absoluten Überzeugung, dass man ihr gehorchen würde. Mike schlenderte durch das Büro und sah sich um, nicht weil er wirklich neugierig war, sondern aus Eigensinn, weil sie ihm befohlen hatte, sich zu setzen.

Während er ein Gemälde betrachtete, rief er im Hotel an, in dem er und seine beiden Freunde abgestiegen waren, und ließ sich mit Boone verbinden. „Ich muss heute Abend mit dieser Anwältin über meine Erbschaft reden“, erklärte er, „also kann ich nicht mit euch essen. Das Ganze ist völlig verrückt. Ich kann mich doch nicht um ein Baby kümmern.“

„Du hast ein Gesicht gemacht, als hätte jemand auf dich geschossen“, sagte Boone.

„So habe ich mich auch gefühlt“, gab Mike trocken zu.

„Ich glaube, wir sind alle drei in einer Art Schockzustand, Mike. Keiner von uns hat so etwas erwartet. Lass uns ein anderes Mal darüber reden. Wie wär’s mit Frühstück um acht Uhr im Hotelrestaurant?“

„Gut“, sagte Mike. „Bis dann also. Sag Jonah Bescheid, okay?“

„Klar.“

Mike stellte sein Telefon aus und spazierte weiter in Savannahs Büro herum. Vor einigen Stunden hatte er das zweistöckige Gebäude betreten, über dessen Eingang mit goldenen Buchstaben stand: „Slocum und Clay, Rechtsanwälte.“

Mike war durch die Eingangstür in einen geräumigen Warteraum getreten und hatte der hübschen dunkelhaarigen Dame an der Rezeption gesagt, dass er eine Verabredung mit S. T. Clay hätte. Sie hatte ihm den Weg gewiesen und ihm versichert, dass er erwartet würde. Also war Mike den Flur hinuntergegangen, hatte an die erste Tür zu seiner Rechten geklopft und sie geöffnet. Die hochgewachsene Blondine in dem Büro hatte sich zu ihm umgedreht und gelächelt. Ihre blauen Augen waren faszinierend.

„Entschuldigen Sie, ich suche das Büro von S. T. Clay. Sind Sie seine Sekretärin?“

„Ich bin S. T. Clay“, hatte sie erwidert, kam ihm entgegen und reichte ihm die Hand. „Savannah Clay.“

Er stutzte. „Oh, ich hatte einen Mann erwartet.“

„Nun, Sie werden mit einer Frau vorlieb nehmen müssen“, sagte sie kühl. „Und Sie müssen Colonel Remington sein.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte er und legte den Kopf ein wenig schief.

„John Frates hat mir eine knappe Beschreibung von Ihnen allen gegeben. Er sagte, Sie wären ein direkter, dominierender Typ.“

Sie schüttelten sich kurz die Hand. Mike erwartete einen festen Griff, und sie enttäuschte ihn auch nicht.

„Ich war sicherlich direkt“, erwiderte er gelassen und amüsiert. „Ich glaube allerdings nicht, dass ich die Situation dominiere.“

„Und das werden Sie in meinem Büro auch nicht“, konterte sie genauso gelassen und deutete ein Lächeln an. „Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich bin gleich wieder zurück.“ Sie hatte den Raum verlassen, und er war zu einem der Ledersessel gegangen. Die Dame hatte ihm schon bei ihrer ersten Begegnung eine ganze Menge über sich enthüllt. Und er nahm an, dass niemand ein dominierenderer Typ sein konnte als sie.

Nach einer Weile kam Savannah zurück, und Mike erhob sich. „Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich musste einige Anrufe erledigen“, entschuldigte sie sich, und sie verließen ihr Büro. Als sie den Flur entlanggingen, kam ein stattlicher, sonnengebräunter blonder Mann aus seinem Büro heraus, an seiner Seite eine hübsche rothaarige Frau.

„Troy, Liz. Ich gehe mit einem Klienten zum Essen aus“, sagte Savannah. „Das ist Colonel Remington. Mike, darf ich Ihnen meinen Partner Troy Slocum vorstellen und Liz Fenton, eine Mitarbeiterin.“

Mike gab beiden die Hand. Troy Slocum strahlte in seinem dunkelblauen Anzug Erfolg und Selbstvertrauen aus. „Sie sind also der fantastische Colonel Remington, von dem John Frates so viel hielt.“

„Ich glaube nicht, dass ‚fantastisch‘ das passende Wort ist, aber es kommt sicherlich manchmal vor, dass man eine gewisse Begeisterung in einem Menschen weckt, dem man das Leben gerettet hat. Ich habe nur meine Pflicht getan“, sagte Mike zurückhaltend. Er fragte sich, warum er diesem Mann nicht traute, er kannte ihn doch überhaupt nicht. Aber sein Instinkt täuschte ihn nur selten.

„Wenn ihr beide uns entschuldigen wollt, Liz und ich müssen zu einer Konferenz“, sagte Troy abrupt und wandte sich ab.

„Habe ich dem Mann irgendetwas getan?“, fragte Mike leise.

„Achten Sie nicht auf Troy. Obwohl er absolut keinen Grund dazu hat, ist er eifersüchtig auf den Erfolg anderer Leute.“

Mike stellte fest, dass es ihm Spaß machte, Savannah zu betrachten. Was er so unauffällig wie möglich tat, während sie auf die Straße traten. Er wies auf seinen Mietwagen vor dem Gebäude.

„Ich werde fahren“, sagte Savannah und holte ihre Schlüssel heraus. „Ich weiß, wohin wir wollen.“

Mike stellte sich einen Moment vor, sie würde ihm auch noch die Tür aufhalten, aber das tat sie dann doch nicht. Stattdessen hielt er ihr die Fahrertür auf, sie schlüpfte hinter das Lenkrad, und Mike erhaschte wieder einen lohnenden Blick auf ihre aufregenden Beine.

„Erzählen Sie mir aus Ihrem Leben, Colonel“, sagte sie, als sie sich in den Verkehr einfädelte.

„Mike. Sie erinnern sich?“

„Mike also. Erzählen Sie mir von Ihrem Leben.“

„Ich habe kürzlich das Militär verlassen, also wird sich mein Leben ziemlich verändern. Ich vermute, dass Sie schon einige Dinge über mich wissen.“

„Stimmt. Sie sind sechsunddreißig Jahre alt, wurden in Montana geboren und sind zur Air Force Academy gegangen, bevor sie dem Militär beitraten. Sie sind ledig, und Sie haben einen jüngeren Bruder, der Sam heißt und in San Jose lebt. Und Sie haben einen weiteren jüngeren Bruder, der Jake heißt und in West Texas lebt. Ihre Eltern sind nach Kalifornien gezogen. Das wär’s ungefähr. Viele Dinge sind noch offen.“

„Nicht sehr viele“, äußerte Mike und sah Savannah beim Fahren zu. Das Fenster war heruntergekurbelt, und der Fahrtwind spielte mit ihrem goldblonden Haar. Sie wusste, dass er sie beobachtete, aber es störte sie offensichtlich nicht im Geringsten. „Warum erzählen Sie mir nicht ein wenig von sich, Savannah? Ich weiß über Sie nur, dass sie die Anwältin der Frates’ sind.“

„Ich habe in Stanford studiert und ging dann für mein Anwaltsdiplom an die Texas University. Und ich habe drei Schwestern und drei Brüder.“

„Eine große Familie. Und Sie sind die Älteste?“

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Wie kommen Sie darauf?“

„Sie sind der dominierende Typ“, zitierte er sie ironisch.

Sie ignorierte ihn einfach. „Nein, ich bin die vierte. Ich wurde in Stallion Pass geboren.“

„Der Ort, aus dem John Frates stammt“, sagte Mike.

„Stimmt. Dort habe ich ihn auch kennengelernt.“ Dann blieb sie eine Weile stumm und konzentrierte sich aufs Fahren. Minuten später parkte sie und führte Mike in ein Restaurant mit karierten Tischdecken, romantischen Kerzen und dem Duft frisch gebackenen Brots. „Ich hätte Sie vorher fragen sollen, mögen Sie italienisches Essen?“

„Natürlich.“ Er zog einen Stuhl für sie hervor.

Als sie sich gesetzt und ihre Bestellung aufgegeben hatten, betrachtete er Savannah wieder. Das scheint deine Lieblingsbeschäftigung geworden zu sein, dachte er treffend. „Und jetzt erzählen Sie mir mehr über sich und Stallion Pass in Texas. Sie machen nicht den Eindruck eines Kleinstadtmädchens.“

„Bin ich aber. Ich liebe Stallion Pass. John Frates’ Familienunternehmen haben Stallion Pass zu dem gemacht, was es heute ist. Sicher gibt es dort auch andere Unternehmen und Familien, aber die Frates waren sehr wichtig für die Stadt. John besaß eine Ölfirma, Frates Oil, die er letztes Jahr verkaufte. Er hatte zum Schluss nur noch das Haus, das Sie erhalten haben, die Pferderanch und die Viehranch …“

„Zwei Ranches?“

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Haben Sie nicht zugehört, als ich das Testament verlesen habe?“

„Um die Wahrheit zu sagen, nein“, gab Mike zu. „Nachdem Sie mir einfach so verkündeten, dass ich ein Kind geerbt hätte, muss ich einen Schock bekommen haben und habe nichts anderes mehr mitbekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas überhaupt gesetzlich erlaubt ist.“

„Natürlich ist es legal, einen Vormund einzusetzen. John hat Ihnen vielleicht nichts darüber gesagt, aber ich weiß, dass er es vorgehabt hatte.“

„Dann sagen Sie mir, was die anderen bekommen haben. Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass einer von ihnen die kleine Jessie nehmen könnte?“

„Dazu kommen wir noch“, entgegnete Savannah kühl. „Jonah Whitewolf hat die Viehranch bekommen. Er kann damit tun, was er möchte – sie verkaufen, behalten oder verpachten.“

„Ich schätze, Jonah wird sie verkaufen wollen. John Frates hätte das alles mit uns besprechen sollen.“

„Ich glaube kaum, dass er damit gerechnet hat, ihm und seiner Frau könnte etwas zustoßen. Boone Devlin erbt die Pferderanch, die im ganzen Land berühmt ist für ihre Rennpferde.“

Mike schüttelte den Kopf. „Boone und eine Pferderanch. Er ist auf einer Farm aufgewachsen und konnte es nicht abwarten, von dort zu verschwinden. Der Mann ist verrückt nach Flugzeugen. Er wird seinen Flugcharterservice bestimmt nicht an den Nagel hängen. John Frates hätte mit uns über alles Sprechen müssen und sein Erbe an Leute verteilen sollen, die mehr damit anfangen können.“

„Sie ziehen schon wieder voreilige Schlüsse.“

„Vielleicht, aber ich kenne diese Jungs besser als mich selbst. Wir wussten zwar, dass Frates gut betucht war, aber dass er so reich war, konnten wir uns natürlich nicht vorstellen.“

„Die Frates’ waren sehr reich, und als John die Ölfirma verkaufte, kam noch eine riesige Summe dazu.“ Savannah beugte sich vor, und das Kerzenlicht spiegelte sich in den Tiefen ihrer Augen. Einen Moment lang hatte Mike das Gefühl, in ihnen zu ertrinken. Sein Blick ging unwillkürlich zu ihrem Mund, und er fragte sich, ob sich hinter dieser herrischen Fassade eine zärtliche, leidenschaftliche Frau verbarg. Wie würde es sich anfühlen, sie in die Arme zu nehmen? Er beugte sich ebenfalls vor.

„Sind Sie jemals verliebt gewesen, verehrte Anwältin?“

Falls die Frage sie überraschte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie lächelte nur dünn. „Vielleicht ein Mal auf dem College, aber seitdem nicht mehr.“

„Haben Sie keinen Freund?“

„Nein“, antwortete sie amüsiert. „Wollen Sie mich um ein Rendezvous bitten?“

Er lächelte, und dann mussten sie beide lachen. „Habe ich mir gedacht“, sagte sie. Sie legte die Hand auf sein Handgelenk, und die Berührung ging ihm durch und durch. Er hielt unwillkürlich den Atem an.

„Sagen Sie mir bitte eins.“

„Was immer Sie wollen“, entgegnete er heiser, und fragte sich jetzt doch, wie es sein mochte, ein richtiges Rendezvous mit ihr zu haben.

„Wenn John Frates Sie angerufen und gefragt hätte, ob Sie der Vormund für die kleine Jessie sein wollten, was hätten Sie ihm geantwortet?“

Jeder Gedanke an ein erotisches Stelldichein war sofort vergessen, so überrascht war Mike. „Das kann ich nicht beantworten, weil er nicht angerufen hat.“

„Sie wollen die Frage nicht beantworten, weil Sie nämlich zugestimmt hätten, wenn John Frates Sie um Ihre Hilfe gebeten hätte.“

„Nein, verdammt noch mal“, fuhr er sie an und entzog ihr seine Hand. „Legen Sie mir nicht irgendwelche Worte in den Mund. Sind Sie Prozessanwältin?“

„Gelegentlich.“

Mike konnte sich gut vorstellen, wie sie mit genau dem gleichen selbstgefälligen Ton einen Zeugen festnagelte. Sie holte wieder das Bild aus ihrer Tasche. „Sehen Sie sich bloß dieses süße Baby an. Wie können Sie es nur zurückweisen? Sie würden alles nötige Geld haben und könnten fünf Kindermädchen engagieren, wenn Sie wollten.“

„Sie glauben also, dass ein Dad, der sein Baby ständig an Kindermädchen abgibt, besser ist als ein Kinderheim?“

„Ja, natürlich! Im Pflegeheim würde sie ständig herumgeschubst werden. Wenn Sie die Kleine aber übernehmen, würden Sie für sie sorgen und für sie verantwortlich sein“, antwortete Savannah hitzig. „Hinter dieser egoistischen Fassade muss doch ein Herz existieren. John hat so viel von Ihnen gehalten, und er irrte sich selten in seiner Einschätzung anderer Menschen.“

„Geben Sie es endlich auf. Ich nehme das Baby nicht.“ Mike fragte sich, wie oft er das noch würde sagen müssen.

Savannah steckte das Foto wieder ein und lehnte sich zurück, während Mike einen Schluck Wein nahm. Er wünschte, er hätte etwas Stärkeres bestellt. Als das Essen kam, aß er ohne besonderen Appetit, obwohl seine Lasagne vorzüglich war. Er war dankbar, dass Savannah ihm wenigstens während des Essens nicht zusetzte, aber es ärgerte ihn immer noch, dass sie ihn egoistisch genannt hatte.

Sobald sie ihr Mahl beendet hatten, bezahlte Savannah die Rechnung und fuhr Mike zu seinem Hotel.

„Sie haben ihr Bestes getan“, stellte er fest, bevor er ausstieg. „Tut mir leid, aber Sie müssen die Erbschaft woanders an den Mann bringen.“

„So einfach ist das nicht. Können Sie morgen in mein Büro kommen, damit wir die Einzelheiten ausarbeiten?“

„Natürlich.“ Er war kurz unschlüssig und dachte, was für eine schöne Frau sie doch war und dass sie so dicht neben ihm saß. Sein Blick wanderte wieder zu ihrem Mund, aber er war nicht so lebensmüde, sie zu küssen. „Gute Nacht.“

„Ich weiß nicht, wie Sie in der Lage sein können, ruhig zu schlafen.“

„Ich werde sogar sehr ruhig schlafen, danke für Ihre Sorge. Mischen Sie sich immer so in das Leben anderer Leute ein?“, fragte er gereizt.

„Natürlich nicht. Das hier ist eine Ausnahme“, erwiderte sie und betrachtete ihn aufmerksam. „Ich denke immer noch, dass John sich nicht in Ihnen getäuscht haben kann. Er muss etwas in Ihnen gesehen haben, das mir entgangen ist.“

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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