Stürmisches Wiedersehen am Meer

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Ein Gewitter tobt über dem Meer, als es an die Tür von ihrem Cottage klopft. Vorsichtig öffnet Mardie- und steht unvermittelt dem Mann gegenüber, den sie nie vergessen hat! Doch was macht Blake Maddock hier im strömenden Regen und dazu noch mit einem verletzen Collie auf dem Arm? Was hat ihn zurück in das Küstenstädtchen Banksia Bay gebracht, wo er doch in Sydney als Chirurg arbeitet? Und warum - das größte Rätsel von allen - klopft ihr Herz bei diesem stürmischen Wiedersehen so heftig wie damals, als sie in seinen Armen die Liebe kennengelernt hat?


  • Erscheinungstag 17.06.2012
  • Bandnummer 1954
  • ISBN / Artikelnummer 9783864946042
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es war wirklich zum Fürchten. Blitze zuckten am Himmel in der stockfinsteren Nacht, denen heftiges Donnern folgte, und das Heulen des Sturmes hallte in dem großen alten Haus, wie ein unheimliches Echo wider. Und dann fiel auch plötzlich noch der Strom aus.

Ich darf mir keine Horrorfilme mehr anschauen, zumindest nicht an solchen Abenden, an denen der Orkan fast das Dach abdeckt, sagte sich Mardie Rainey und forderte Bounce auf, mit dem Fiepen aufzuhören, während sie aufstand und in der Schublade des Sideboards nach Kerzen tastete.

Im Gegensatz zu ihrem einjährigen Border Collie Bounce, der sich zu fürchten schien, ärgerte sie sich vor allem darüber, dass sie das Ende des spannenden Films verpasste.

Was für eine schreckliche Nacht! Draußen blies der Wind so heftig um den Schornstein herum, dass der Rauch aus dem Kamin nicht mehr abziehen konnte und sich im Wohnzimmer ausbreitete.

Außerdem gab es offenbar auf dem Dach eine undichte Stelle, durch die es hereinregnete, sodass sie einen Eimer in die Ecke an der Außenwand gestellt hatte. Das stete Tropfen, das jetzt allzu deutlich zu hören war, machte sie fast wahnsinnig, und sie beschloss, ins Bett zu gehen.

In dem Moment krachte es irgendwo im Freien ganz fürchterlich.

Bounce blickte zu dem Fenster mit den zugezogenen Vorhängen. Ihm sträubte sich das Fell, und er fing vor Angst an zu winseln.

„Wahrscheinlich ist ein Baum umgestürzt“, erklärte sie traurig, denn sie liebte die alten Eukalyptusbäume, die die Einfahrt säumten. „Darum kümmern wir uns morgen.“

Da Bounce jedoch nicht aufhörte zu winseln, packte sie ihn am Halsband und zog ihn ins Schlafzimmer. „Dir passiert schon nichts“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Zugegeben, so ein heftiges Gewitter macht einem wirklich Angst, besonders nach diesem Horrorfilm, den du dir ja nicht hättest ansehen müssen.“

Bounce presste sich an sie, so als suchte er Schutz. Normalerweise schlief er in seinem Korb in der Küche, doch in dieser schrecklichen Nacht galten andere Regeln. Er durfte ausnahmsweise bei ihr im Zimmer schlafen.

„Hier im Haus sind wir in Sicherheit“, fuhr sie fort. „Glücklicherweise brauchen wir bei dem Wetter nicht vor die Tür zu gehen. Die Leute, die jetzt noch unterwegs sind, tun mir leid.“

Der Augenchirurg Blake Maddock gestand sich ein, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, in Banksia Bay zu übernachten. Doch als er begriffen hatte, dass es sich um ein Klassentreffen und keine Zusammenkunft mehrerer Jahrgänge handelte, er also Mardie nicht wiedersehen würde, hatte er sich entschlossen, noch am selben Abend nach Sydney zurückzufahren. Weshalb er überhaupt gekommen war, konnte er sich selbst kaum noch erklären. Es war jedenfalls sentimentaler Unsinn, Mardie wiederbegegnen zu wollen. Vor fünfzehn Jahren hatte er diese Stadt verlassen, die immer noch so klein und langweilig war wie damals. Die Menschen, die hier lebten, kannten nur zwei Gesprächsthemen: die Fischerei und die Landwirtschaft. Natürlich hatte man ihn gefragt, was er mache und wo er jetzt lebe, die Antwort hatte jedoch kaum jemanden interessiert. Er hatte auch nie bereut, dass er weggegangen war.

Seit seinem siebten Lebensjahr war er in dem Haus seiner Großtante, das sich außerhalb des Ortes befand, aufgewachsen. Seine Eltern hatten ihn dorthin geschickt, damit er und sie selbst nicht immer wieder an den tragischen Tod seines Zwillingsbruders Robbie erinnert wurden. Als er nach dem Ableben seiner Tante vor zehn Jahren den Nachlass geordnet hatte, hatte er den Brief seines Vaters gefunden.

Wir haben sonst niemanden, der uns in der schwierigen Situation helfen könnte. Seine Mutter hat sich nie für die Zwillinge erwärmen können, doch da sie sich zum Verwechseln ähnlich sahen, kann sie seit Robbies Tod Blakes Anblick nicht mehr ertragen, und sie hat angefangen zu trinken, sodass ihre Freundinnen sie meiden. Die einzige Lösung ist, den Jungen eine Zeit lang bei dir unterzubringen. Wenn wir den Leuten sagen können, er wäre bei Verwandten in Australien, um besser über das schreckliche Unglück hinwegzukommen, würde der Druck etwas nachlassen. Wärst Du bereit, ihn aufzunehmen, bis seine Mutter ihn wieder um sich haben möchte?

Als Entschädigung für ihre Mühe hatte sein Vater ihr ein wahrhaft großzügiges Aktienpaket des Familienkonzerns übertragen. Als er das gelesen hatte, war Blake klar geworden, wie wichtig es für seine Eltern gewesen war, ihn loszuwerden.

Also hatte man ihn als Siebenjährigen ans andere Ende der Welt zu seiner zurückgezogen lebenden Großtante geschickt, die selbst vor vielen Jahren nach dem jähen Ende einer Romanze davongelaufen war. Sie hatte ihn freundlich aufgenommen und so gut und liebevoll behandelt, wie sie konnte. Doch sie war kein fröhlicher Mensch gewesen und hatte ihre tragische Liebesbeziehung offenbar nie ganz überwunden.

Robbie wurde nie erwähnt, und hier in Australien ahnte niemand, dass es ihn überhaupt gegeben hatte.

„Du darfst mit keinem Menschen über deinen Bruder reden“, hatte sein Vater ihm eingeschärft, als er ihn zum Flughafen brachte. „Ich weiß, es war nicht allein deine Schuld, er war genauso dafür verantwortlich wie du. Früher oder später wird deine Mutter das einsehen, und bis dahin wirst du bei deiner Tante leben.“

Seine Eltern hatten ihn nicht mehr in ihrer Nähe ertragen, und so hatte er den Rest seiner Kindheit in Banksia Bay verbracht.

Heute Abend zurückzukommen war keine gute Idee, sagte er sich. Damals war diese Kleinstadt so etwas wie eine Zuflucht für ihn gewesen. Doch das war Vergangenheit. Außerdem hatte er Mardie nicht wiedergesehen. Die Fahrt hätte er sich also sparen können.

Er erinnerte sich noch allzu gut daran, wie sehr er sich an seinem ersten Schultag gefürchtet hatte, als seine sehr schweigsame Großtante ihn begleitet, aber dann sich selbst überlassen hatte. Glücklicherweise war Mardie lächelnd auf ihn zugekommen und hatte mit ihren Sommersprossen richtig niedlich ausgesehen.

„Wie heißt du?“, hatte sie ihn freundlich gefragt. „Hast du dir etwas zu essen mitgebracht? Wir können uns sonst meine Sardinensandwiches und den Schokoladekuchen teilen, wenn du möchtest.“

Ihr nettes Angebot, das ihm über die Anfangsschwierigkeiten hinweggeholfen hatte, hatte er bis heute nicht vergessen. Doch warum hatte er sie ausgerechnet jetzt wiedersehen wollen? Müde und erschöpft war er aus Afrika zurückgekommen, und er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Das lag natürlich auch an dem Denguefieber, das er gerade erst überwunden hatte. Der Arzt hatte ihm erklärt, es dauere mindestens noch vier Wochen, bis er wieder arbeiten könne. Doch von welcher Arbeit hatte er gesprochen?

Er war nicht gerade in der besten Stimmung und hatte in dem Apartment in Sydney übernachtet, das seiner Großtante gehört hatte. Sie hatte es benutzt, wenn sie in der Stadt hatte einkaufen wollen, und er hatte es behalten, weil alles, was er besaß, darin Platz gefunden hatte. Außerdem war es der einzige Ort, der für ihn so etwas wie ein Zuhause war. Lustlos hatte er die Post durchgesehen, die ihm seit seiner Krankheit nicht nachgeschickt worden war, und die Einladung zu dem Treffen ehemaliger Schüler gefunden.

Dabei war ihm sogleich Mardie eingefallen. Während er sich mit dem Fieber herumquälte, war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Sie hatte ihn bestimmt längst vergessen oder erinnerte sich nur noch undeutlich an ihn. Aus der Kinderfreundschaft hatte sich damals eine Teenagerromanze entwickelt. Doch darüber war sie wahrscheinlich schon lange hinweg. Dennoch hatte er sie wiedersehen wollen und sich entschieden, nach Banksia Bay zu fahren und am selben Abend zurück nach Sydney. Vernünftige Argumente, die dagegen sprachen, hatte er nicht gelten lassen.

Vor vielen Jahren hatte er beschlossen, diesen Ort früher oder später für immer zu verlassen, an den ihn seine Eltern geschickt hatten und wo er mehr oder weniger sich selbst überlassen gewesen war. Doch nach der gerade überstandenen Krankheit und angesichts der Unsicherheit hinsichtlich seiner beruflichen Zukunft erschien ihm der Grund für seine damalige Entscheidung gar nicht mehr so einleuchtend. Die Erinnerungen an Mardie ließen sich einfach nicht mehr verdrängen und standen momentan im Vordergrund bei allem, was er tat.

Also hatte er seinen eleganten Anzug angezogen und die zweistündige Fahrt nach Banksia Bay recht zügig zurückgelegt. Auch die vielen Reden und das fast schon lästige Schulterklopfen sowie die unzähligen Fragen hatte er tapfer ertragen.

„Das ist ja wunderbar, dass du Arzt geworden bist. Hast du keine Lust, nach Hause zurückzukommen und dort zu praktizieren?“, hatten seine früheren Klassenkameraden wissen wollen.

Es war jedoch nicht sein Zuhause, sondern der Ort, an den man ihn nach Robbies Tod verbannt hatte.

Natürlich war Mardie nicht erschienen, weil er fälschlicherweise das Treffen für eine Zusammenkunft der Schüler mehrerer Jahrgänge gehalten hatte. Dementsprechend groß war seine Enttäuschung, denn letztlich war er nur ihretwegen gekommen.

Nach vier Stunden hatte er sich verabschiedet, um nicht allzu spät noch unterwegs zu sein. Dennoch ließen ihm die Gedanken an Mardie keine Ruhe. Wie würde sie reagieren, wenn er sie jetzt noch besuchte? Immerhin war es schon kurz nach zehn.

Vielleicht war es keine gute Idee, sondern nur romantischer Unsinn.

Die Bäume am Straßenrand schienen unter dem orkanartigen Sturm zu ächzen und zu stöhnen, und die Graupelschauer, die fast waagerecht auf die Windschutzscheibe prasselten, erschwerten ihm die Sicht, sodass er nur langsam vorankam.

Warum war ihm Mardie auf einmal so wichtig? Als er Banksia Bay den Rücken gekehrt hatte, war sie sechzehn und er siebzehn gewesen. Wahrscheinlich war sie längst verheiratet und hatte Kinder.

Jedenfalls konnte er nicht einfach bei ihr auftauchen, ohne sie wenigstens vorher anzurufen. Ihre Telefonnummer hatte er in all den Jahren nicht vergessen. Da ihr Haus an der Ausfallstraße nach Sydney lag, würde er ja sehen, ob sie noch Licht anhatte. Wenn ja, konnte er immer noch überlegen, was er machen wollte.

Genug der Sentimentalitäten mahnte er sich schließlich und konzentrierte sich auf das Fahren, das bei dem Regen und dem Sturm sowieso seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Und dann hatte sich die ganze Sache von selbst erledigt, denn Mardies Haus lag in völliger Dunkelheit da, als er es passierte. Vielleicht war sie auch inzwischen ausgezogen und wohnte jetzt woanders.

In dem Moment musste er scharf bremsen, weil vor ihm ein Hund mitten auf der Straße stand. Normalerweise wäre es kein Problem gewesen, den Wagen zum Stehen zu bringen, doch auf dem regennassen Belag fanden die Reifen keinen Halt. Vergebens versuchte er, das Auto unter Kontrolle zu bekommen, während er auf den Baum am linken Grünstreifen zuschoss.

Bounce saß zitternd neben dem Bett, zuckte bei jedem Donner zusammen und knurrte leise, wenn die Blitze seltsame Schatten ins Zimmer warfen.

Mardie ließ sich in die Kissen sinken. „Wenn das Gejammer nicht aufhört, verbanne ich dich in die Küche“, drohte sie ihm.

Im selben Moment donnerte es direkt über dem Haus, und Bounce sprang auf das Bett. Sie umarmte ihn und versuchte, ihn zu beruhigen.

„Wir fürchten uns doch nicht vor einem Gewitter“, erklärte sie betont forsch, als hätte sie ihr eigenes Unbehagen im Griff.

Bei dem nächsten Schlag, der unmittelbar auf den Blitz folgte, schien das ganze Haus zu beben, und dann hörte sie irgendetwas krachen. Das war kein umstürzender Baum, sondern eher ein Auto, das irgendwo auf etwas geprallt ist, sagte sie sich und richtete sich auf.

Ob es ihr passte oder nicht, sie musste sich hinauswagen in die Dunkelheit, den entfesselten Naturgewalten trotzen und nachsehen, was passiert war und ob jemand Hilfe brauchte.

Die berstende Wundschutzscheibe hatte Blake trotz der Airbags leicht an der Stirn verletzt. Er war jedoch froh, dass er so glimpflich davongekommen war. Glücklicherweise hatte er eine Limousine gemietet, die den Insassen größtmögliche Sicherheit bot.

Da ein Scheinwerfer noch funktionierte, konnte er erkennen, was geschehen war. Er war frontal gegen einen Baumstamm geschlittert, und der gesamte Innenraum war etwas zusammengedrückt worden. Regen drang ins Innere, und Blake stieg rasch aus, denn es war nicht auszuschließen, dass der Wagen anfing zu brennen.

Dann kümmerte er sich um den völlig durchnässten Hund, der ihm bis zu den Knien reichte. Winselnd schmiegte er sich an seine Beine, als suchte er Schutz.

Eigentlich hätte Blake wütend auf ihn sein müssen, doch stattdessen kniete er sich neben ihn, umarmte ihn und spürte, wie sehr er zitterte. Wir beide sind mit den Nerven völlig fertig, dachte er und nahm das Tier an dem Plastikhalsband, um sich mit ihm von dem Auto zu entfernen, falls es explodierte, was bei dem Regen jedoch eher unwahrscheinlich war. Jeder Funke wurde ausgelöscht, ehe er Schaden anrichten konnte.

Innerhalb weniger Sekunden war auch Blake völlig durchnässt und überlegte, was er jetzt so fernab jeder Zivilisation als Nächstes machen sollte. Die kleine Hafenstadt Banksia Bay hatte er längst hinter sich gelassen, und nach Sydney waren es noch zwei Stunden.

Zwar hatte er einen Mantel und einen Schirm im Auto, aber die nützten ihm auch nicht mehr, sein Anzug war sowieso ruiniert. Er zog sein Handy hervor, doch es funktionierte nicht. Offenbar befand er sich in einem Empfangsloch.

Der schwarz-weiße Hund, der aussah wie ein Border Collie, winselte jämmerlich und blieb dicht neben ihm. Der arme Kerl war total abgemagert, wie Blake merkte, als er ihn streichelte.

„Uns wird schon nichts passieren, außer dass wir noch nasser werden, was allerdings kaum möglich ist“, versprach er dem verängstigten Tier und blickte sich um auf der Suche nach Mardies Haus.

Doch die ganze Umgebung lag in tiefer Dunkelheit da. Auch das Haus, das damals seiner Großtante gehört und das er nach deren Tod verkauft hatte, musste hier irgendwo in der Nähe liegen. Man hatte ihm an diesem Abend erzählt, es wäre zu einem privaten Wellnesscenter umgebaut worden, der neue Besitzer hätte jedoch kürzlich Konkurs angemeldet.

Er beschloss, sich auf den Weg zu Mardies Haus zu machen. Was für eine Ironie des Schicksals, dass er nun keine andere Wahl hatte, als sie aus dem Schlaf zu klingeln, nachdem er vergeblich gehofft hatte, ihr zu begegnen.

Noch während er sich umsah, erhellte ein Blitz sekundenlang die dunkle Nacht, und er entdeckte das alte Farmhaus der Raineys.

„Ob Mardie wohl verheiratet ist und Kinder hat?“, fragte er den Hund. „Oder wohnen jetzt vielleicht Fremde dort?“ Trotz des Regens und der misslichen Lage, in der er sich befand, musste er lächeln. „Ich habe die ganze Fahrt nur wegen Mardie unternommen und habe sie immer noch nicht gefunden.“

Nicht nur das Handy funktionierte hier nicht, daran hatte sie sich ja schon gewöhnt, sondern jetzt konnte Mardie noch nicht einmal mehr über das Festnetz telefonieren. Jedenfalls war die Leitung tot.

Also musste sie handeln. Was für eine grauenhafte Situation, dachte sie, während sie sich die Regenjacke anzog, den wasserdichten Seemannshut, Südwester genannt, aufsetzte und in die Gummistiefel schlüpfte.

Da Bounce sich weigerte, das Schlafzimmer zu verlassen, forderte sie ihn auf: „Dann pass gut auf das Haus auf.“ Zwar wäre es ihr lieber gewesen, er hätte sie begleitet, doch wenn er Angst hatte, brachte es ihr nichts. Außerdem brauchte sie wahrscheinlich einen Krankenwagen und keinen Hund.

Mit der Taschenlampe in der Hand eilte sie über den Flur. Sie hatte gar keine andere Wahl, sie musste nachschauen, ob jemand verletzt war. Außer ihr wohnte hier weit und breit niemand, der hätte helfen können.

Entschlossen öffnete sie die Haustür – und glaubte zu träumen, denn sie stand Blake Maddock gegenüber.

Es überraschte sie, dass sie ihn nach fünfzehn Jahren überhaupt wiedererkannte. Mit siebzehn war er der bestaussehende Junge der ganzen Schule gewesen mit seiner imposanten Gestalt, dem dunklen Haar und der gebräunten Haut. Doch anders als damals, als man ihn noch als etwas schlaksig hätte bezeichnen können, war er jetzt ein überaus attraktiver erwachsener Mann.

Nicht nur sein schwarzes Haar war völlig durchnässt, sondern auch sein eleganter dunkler Anzug.

Sekundenlang glaubte sie zu träumen. Schließlich begriff sie, dass es keine Erscheinung war. Blake Maddock stand wirklich und wahrhaftig vor ihr auf der Veranda.

„Mardie?“, fragte er vorsichtig.

Vor lauter Verblüffung war sie sprachlos. Erst als ihr bewusst wurde, dass er sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, nahm sie sich zusammen. „Ja. Hallo“, antwortete sie und trat hinaus.

Und dann bemerkte sie den Hund neben ihm. Dass er einen besaß, war eigentlich genauso unglaublich wie die Tatsache, dass dieser Mann, der damals ihr bester Freund gewesen war, so unvermutet hier auftauchte.

Sie sah ihn an, nahm seine Hände, und er erwiderte ihren Blick mit einem angedeuteten Lächeln. Wie gut erinnerte sie sich an dieses leicht ironische Lächeln.

Plötzlich wurde seine Miene ernst. Er zog Mardie in die Arme und drückte sie so fest an sich, als hätte er sie genauso sehr vermisst wie sie ihn.

Er ist noch größer, als ich ihn in Erinnerung habe, und er ist bis auf die Haut nass, dachte sie, während sich ein Gefühl tiefer Freude in ihr ausbreitete.

„Blake“, flüsterte sie. Und dann blitzte und donnerte es wieder um sie her. Das war bestimmt keine Nacht, um draußen auf der Veranda zu stehen und sich umarmen zu lassen.

Er löste sich etwas von ihr und hielt sie so fest an den Händen, als wollte er sie gar nicht mehr freigeben. „Ich hatte einen Unfall und habe meinen Wagen zu Schrott gefahren“, erklärte er.

Sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen und fragte: „Wo? Und wieso bist du überhaupt hier?“

„Ich war auf dem Klassentreffen.“

Davon hatte sie gehört. Der Besitzer der Metzgerei, Tony Hamm, hatte es organisiert, wie ihre Freundin Kirsty ihr berichtet hatte, als sie ihr an diesem Morgen zufällig im Supermarkt über den Weg lief.

Mardie hatte sich nicht erkundigt, ob Blake Maddock kommen würde, obwohl sie es gern erfahren hätte. Jetzt wusste sie es, denn er stand jetzt sogar vor ihr. Als ihr seine Verletzung auf der Stirn auffiel, konzentrierte sie sich auf das Naheliegende.

„Wir sollten deine Wunde versorgen“, sagte sie.

„Ach, das ist nur ein Kratzer, es ist nicht schlimm.“

„Wirklich nicht?“

„Nein.“

Das Wiedersehen nach fünfzehn Jahren brachte sie durcheinander. Sie hatte das Gefühl, ihre Emotionen würden völlig außer Kontrolle geraten.

„Komm herein, bei dem Unwetter sollten wir nicht hier draußen stehen bleiben.“ Sie ließ ihn an sich vorbei ins Haus gehen. „Gibt es noch mehr Verletzte? Vielleicht in dem an dem Unfall beteiligten Wagen?“

„Es war sonst niemand darin verwickelt.“ Seine volle, tiefe und etwas raue Stimme ließ sie insgeheim erbeben. „Ich bin mit dem Auto gegen einen Baum geprallt.“

„Wie hast du das denn geschafft?“ Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.

„Ich habe nicht zu viel getrunken, falls du das meinst“, erklärte er leicht belustigt. „Zu dem Essen wurden Tony Hamms selbst gebrautes Bier und Elsie Sarlings selbst hergestellter Chardonnay serviert. Bei der Auswahl fiel es mir nicht schwer, mich mit Mineralwasser zu begnügen.“

Ihre Anspannung löste sich etwas, und sie lächelte. Einem ehemaligen Schulfreund in der schwierigen Situation zu helfen war selbstverständlich und völlig harmlos. „War der Baum umgestürzt und lag auf der Straße?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

„Nein.“ Er seufzte. „Dieser Hund hier stand plötzlich auf der Fahrbahn. Ich wollte ihm ausweichen, und dabei passierte es.“

Oh nein, und das so spät am Abend, dachte sie voller Mitgefühl. „Behindert dein Wagen jetzt den Verkehr?“ Sie war stolz darauf, wie ruhig und sachlich ihre Stimme klang.

„Nein, er steht direkt vor dem Baum am Straßenrand.“

Dann brauche ich wenigstens jetzt nicht mit dem Traktor zur Unfallstelle zu fahren und das Wrack wegzuschaffen, damit nicht noch mehr geschieht, schoss es ihr durch den Kopf. Irgendwie fühlte sie sich bei Blakes Anblick zurückversetzt in die Vergangenheit, und sie mahnte sich, sich zusammenzunehmen. Also betrachtete sie den Hund, das war sicherer. Es war ein schwarzer Border Collie mit einigen weißen Flecken, und er war genauso durchnässt wie Blake. Außerdem zitterte er am ganzen Körper und viel heftiger als Bounce vorhin.

Das offensichtlich verängstigte Tier berührte sie zutiefst. Als Hundefreundin konnte sie keinen dieser Artgenossen leiden sehen. Sie kniete sich neben ihn und streichelte ihn.

„Hallo, mein Lieber, was hast du denn bei dem Sturm und Regen mitten auf der Straße gemacht?“, sprach sie sanft auf ihn ein. Als sie das Plastikhalsband entdeckte, wusste sie, woher er kam. „Oh nein, du armer Kerl.“

„Weißt du, wem er gehört?“, fragte Blake.

„Er ist offenbar herrenlos“, erwiderte sie. „Vorige Woche war der Kleintransporter des Tierheims in einen Unfall verwickelt, und dabei sind mehrere Vierbeiner entlaufen. Seitdem taucht immer wieder einer irgendwo auf. Man kann sie an den Halsbändern erkennen.“

Warum der Border Collie überhaupt dort abgegeben worden war, konnte sie nicht nachvollziehen. Diese Arbeits- und Hütehunde waren bei den Farmern sehr beliebt, und die Besitzer gaben sie freiwillig nicht wieder her.

„Mardie, ich stecke in echten Schwierigkeiten“, unterbrach Blake ihre Gedanken, und sie wandte ihm ihre Aufmerksamkeit wieder zu. „Wäre deine Mutter damit einverstanden, dass ich meine Klamotten bei euch trockne und Hilfe herbeitelefoniere?“

Die Erwähnung ihrer Mom weckte Erinnerungen an die letzte Begegnung mit ihm hier bei ihr zu Hause in der Küche.

„Komm mit mir nach Sydney“, hatte er sie gebeten, während er sie innig umarmte und immer wieder leidenschaftlich küsste. „Du bist intelligent und bekommst bestimmt ein Stipendium. Dann studieren wir zusammen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du hier glücklich bist.“

Sie hatte sich an ihn geschmiegt, sich seinen Zärtlichkeiten hingegeben und hätte am liebsten Ja gesagt. Und als er dann noch die Hand unter ihre Bluse geschoben und sie zärtlich berührt hatte, hätte sie alles für ihn getan.

Doch plötzlich war ihre Mutter hereingekommen und schrecklich wütend geworden, was sehr selten vorkam.

„Blake, du gehst jetzt am besten nach Hause“, forderte sie ihn auf. „Mardie und ich müssen morgen früh aufstehen, weil die Schafe geschoren werden sollen.“

Mardie hatte jedoch auch die Angst und Besorgnis ihrer Mutter gespürt. Offenbar hatte sie Blakes Worte gehört. Trotz ihrer erst sechzehn Jahre begriff Mardie, dass die Verantwortung für die Farm letztlich auf ihren Schultern lag.

Doch warum glaubte Blake, sie wäre hier nicht glücklich? Sie liebte Banksia Bay und ihr Zuhause. Und Blake liebte sie auch von ganzem Herzen. Er konnte es jedoch kaum erwarten, von hier wegzukommen und in Sydney Medizin zu studieren.

Und wie stellte er sich das mit der Beihilfe vor? Und was sollte sie studieren? Natürlich fertigte sie gern kleine Kunstwerke an, aber das nahm Blake sowieso nicht ernst.

Schon damals war ihr klar gewesen, dass sie kaum gemeinsame Interessen hatten und getrennte Wege gehen würden.

„Du kannst mir schreiben“, schlug sie verzweifelt vor.

„Komm nach Sydney, sobald du die Schule beendet hast, und bewirb dich an derselben Universität wie ich um einen Studienplatz. Ich warte auf dich“, entgegnete er.

„Ich glaube nicht, dass ich das machen kann. Lass uns in Kontakt bleiben und einander schreiben“, bat sie ihn.

„Meinst du wirklich, wir könnten einfach nur Freunde sein?“ Er blickte sie ungläubig an, während ihre Mutter sich in das Wohnzimmer zurückgezogen und darauf gewartet hatte, dass er sich verabschiedete. „Dafür sind wir schon viel zu weit gegangen.“

An dieses Gespräch erinnerte sie sich jetzt noch sehr genau, auch an ihre Verzweiflung und sein Ultimatum, ihm nach Sydney zu folgen. Eine reine Freundschaft reichte ihm nicht. Er hatte alles oder nichts gewollt.

Obwohl es ihr fast das Herz brach, hatte sie sich gegen ihn entschieden. Doch nun war er wieder da. Er war erwachsen geworden, hatte sich verändert und war trotzdem immer noch der Blake, den sie gekannt hatte. Er betrachtete sie aufmerksam und ahnte offenbar, was in ihr vorging. „Ist deine Mutter …?“, begann er.

„Es geht ihr gut“, unterbrach sie ihn.

„Schläft sie?“

„Die meisten Leute sind um diese Zeit im Bett“, antwortete sie ausweichend. Nachdem sie Blake so viele Jahre nicht gesehen hatte, war sie nicht bereit, ihm zu verraten, dass sie ganz allein im Haus wohnte. Sollte er doch glauben, was er wollte.

„Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe“, entschuldigte er sich.

„Ich war noch wach. Erst hörte ich einen Baum umstürzen und dann den Aufprall. Ich wollte gerade nachschauen, ob jemand Hilfe braucht.“

„Könntest du vielleicht das Licht anknipsen?“

„Der Strom ist ausgefallen, wir müssen uns mit Kerzen und einer Taschenlampe begnügen. Bist du wirklich nicht ernsthaft verletzt?“

„Nein, bestimmt nicht“, versicherte er.

„Okay, dann lass uns nicht länger hier im Flur herumstehen.“

Als er sich umdrehte und sie dabei leicht streifte, hatte sie das Gefühl, ihn mit allen Sinnen zu spüren, und erbebte. Was für eine dumme Reaktion! Sie war doch kein Teenager mehr. Wahrscheinlich lag es nur daran, dass es fast Mitternacht war und ein schreckliches Unwetter tobte.

Den Jungen, den sie damals geliebt hatte, gab es nicht mehr. Er war jetzt ein erwachsener Mann. Sie musste also vernünftig sein und sich zusammennehmen.

„Darf der Hund mit ins Haus?“, fragte er.

„Selbstverständlich. Vierbeiner sind hier immer willkommen, auch herrenlose und durchnässte. Geh schon in die Küche, dort ist es warm. Ich ziehe rasch meine Jacke aus und hole Handtücher.“

Mit der eingeschalteten Taschenlampe in der Hand eilte sie ihm voraus und zündete in der Küche eine Kerze an, die sie auf den Tisch stellte.

Fast pausenlos zuckten nun die Blitze am Himmel, sodass der ständige Wechsel zwischen Helligkeit und Dunkelheit kaum zu ertragen war.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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