Süße Rache

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Dem kühnen Highlander Galen MacDonald gelingt es, seinem Erzfeind die Braut zu rauben. Kurzentschlossen nimmt er die junge englische Lady Kyla selbst zur Frau - ungeachtet ihrer Ohnmacht. Umso größer seine Überraschung, als die zarte Schöne wieder zu sich kommt. Denn Galen hat sich keineswegs eine wehrlose Maid ins Haus geholt, sondern eine temperamentvolle Wildkatze! Gegen seinen Willen verfällt er zunehmend dem Zauber seiner Angetrauten. Doch dann schlägt sein Rivale zurück …


  • Erscheinungstag 13.04.2021
  • Bandnummer 55
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503020
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Kyla sah die Angreifer als Erste.

Sie lag bäuchlings im hinteren Teil des Pferdewagens, noch im Halbschlaf, aus dem sie unruhig erwachte, als ihr ein Blatt auf die Stirn fiel. Mürrisch zog sie eine Hand unter den Fellen hervor, mit denen sie zugedeckt war, und wischte es fort. Dann versuchte sie, wieder in die Tiefen des heilenden Schlafes hinabzugleiten, doch ihre Schmerzen ließen dies nicht zu.

Sie blinzelte und zwang sich, die Augen zu öffnen. Die Felle, auf denen sie lag, rückten verschwommen in ihr Blickfeld. Sie veränderte etwas ihre Lage, um den wieder heraufziehenden, brennenden Schmerz in ihrem Rücken zu lindern. Fürchterlich, wie dieser Tag schon beginnt, dachte sie verzagt und sehnte sich sogleich nach Morags Salbe. Dieses Wundermittel roch zwar so ekelhaft wie eine Kloake im Sommer, doch kaum rieb Morag sie damit ein, war auch der Schmerz gebannt. Eine Zeit lang wenigstens. Denn sie wirkte jeweils nur einige Stunden, dann musste sie erneut aufgetragen werden. Davon könnte ich jetzt gut ein wenig gebrauchen, seufzte sie im Stillen und drehte sich vorsichtig auf die Seite, um voller Hoffnung einen Blick auf die Frau zu werfen, die neben ihr schlief.

Dabei verrutschte das Fell, und etwas Feuchtes, ein Regentropfen, wie sie zunächst meinte, fiel ihr aufs Gesicht. Gereizt wischte sie ihn fort und war nicht wenig erstaunt, als sie auf einmal Sand zwischen den Fingern spürte. Unwillkürlich schaute sie nach oben, wo ihr Blick auf einige Gestalten fiel, die sich völlig lautlos in der Baumkrone über ihr verbargen und gespannt den Zug unter sich beobachteten.

Kyla wollte gerade den Mund öffnen, um ihre Eskorte zu warnen, als ein lang gezogener, gellender Schrei die Stille zerriss. Er klang so wild und Grauen erregend, dass es ihr eiskalt über den Rücken lief. Fast gleichzeitig erhoben sich an die hundert Stimmen zu einem mächtigen Geheul, und Kylas Gruppe kam gezwungenermaßen zum Stehen.

Mit der Hand seitlich am Wagen nach Halt suchend, sah Kyla verblüfft, wie ein Mann mit einem geschmeidigen Satz vom Baum sprang und direkt zwischen ihr und Morag landete. Die Augen weit aufgerissen, starrte sie ihn an. Ein Sonnenstrahl, der durch die Bäume fiel, wurde von seinem Schwert zurückgeworfen, und im hellen Glanz dieses Lichts schien sein rotbraunes Haar zu erglühen. Kyla ließ ihren Blick über die Gestalt des Mannes gleiten. Er trug, wie in Schottland üblich, einen karierten Rock, der in der leichten Nachmittagsbrise flatterte, und so konnte sie seine nackten Beine bis hinauf zu den Oberschenkeln sehen. Sehr ansehnliche Beine, bemerkte sie mit einem gewissen Interesse, das in ihrer Lage eigentlich völlig unangebracht war. Schlanke Fesseln, muskulöse Waden, wohlgeformte Knie und starke Oberschenkel, registrierte sie wie gebannt, als er plötzlich das Schwert hochriss und dabei erneut einen gellenden Schrei ausstieß.

Wie der Schrei eines Toten, der in die Hölle fährt, dachte Kyla unwillkürlich. Nicht enden wollend und Ohren betäubend, schien sich dieser Schrei direkt durch die Schädeldecke ins Gehirn zu bohren. Ihr Kopf pochte vor Schmerzen, fast so schlimm wie ihr Rücken, und noch schlimmer, als auch das Geheul in den Bäumen wieder anhob. Fast gleichzeitig ließ sich eine Gestalt nach der anderen von den Ästen fallen, und auf der ganzen Lichtung brach Chaos aus, überall erschollen Warnrufe und Schmerzensschreie. Der Kerl aber, der zu ihren Füßen stand, sprang jäh vom Wagen und entschwand ihrem Blick.

Kyla schloss kurz die Augen, biss die Zähne zusammen und hievte sich hoch. Geschwächt von dieser Anstrengung, verweilte sie kurz auf Knien und Händen. Ihre Arme zitterten, der Wagen unter ihr schien zu wanken, doch sie atmete tief durch, und es gelang ihr, langsam in die Hocke zu gehen. Energisch hob sie den Kopf und schaute dann nach hinten, wo sich jetzt das Geräusch von Metall auf Metall mit den Rufen und Schreien vermischte, die die zuvor so stille Lichtung, über die sie gekommen waren, erfüllten.

Schlagartig vergaß Kyla den brennenden Schmerz in ihrem Rücken und das fürchterliche Pochen in ihrem Kopf, als sie begriff, was um sie herum geschah. Sie wurden angegriffen. Doch damit nicht genug. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass dieser wilde Haufen, der sich mit ihrer gepanzerten Eskorte schlug, die Oberhand zu gewinnen schien.

Mehrere Reiter aus Kylas Begleitzug waren bereits zu Boden gestürzt. Die anderen drängten ihre Pferde dichter an den Wagen, um sie zu schützen, doch dabei wurden sie von den reiterlosen Tieren behindert, die, außer sich geraten, wie wild auskeilten.

Kyla unterdrückte die Angst, die ihr schon fast die Kehle zuschnürte, sah sich auf der Lichtung um und nahm wie in Trance wahr, was um sie herum geschah. Viele ihrer Männer waren bereits gefallen, schon etwa ein Drittel von ihnen lag verletzt, zum Teil dem Tode nahe, auf dem morastigen Boden.

Ein kehliger Schrei lenkte ihre Aufmerksamkeit auf einen Hünen von Mann, der, im Kampf mit einem ihrer Ritter, auf den hinteren Teil des Wagens sprang. Ihr blieb nicht eine Sekunde Zeit, sich gegen diesen Stoß zu wappnen, und so fiel sie der Länge nach auf den Bauch, wobei sie, trotz des weichen Fells, auf dem sie lag, mit dem Kinn hart auf dem Boden aufschlug.

Fluchend stemmte sie sich wieder hoch, aber kaum hatte sie den Kopf gehoben, ritt einer ihrer Männer vorbei und drückte ihn energisch wieder hinunter. Er wies sie an, sich ruhig zu verhalten, und warf sich wieder in den Kampf.

Sie protestierte ungehalten, tat aber wie geheißen … zumindest einen Herzschlag lang. Dann setzte sie sich erneut auf.

„Was ist los?“

Die Stimme neben ihr machte Kyla schlagartig bewusst, dass da ja auch noch ihre Begleiterin war. Nur widerwillig wandte sie den Blick vom Kampfgeschehen ab und ließ sich langsam in den Wagen hinuntergleiten. Nachdem sie sich vorsichtig auf die Seite gerollt hatte, musterte sie besorgt das von Falten durchzogene Gesicht der alten Magd, die schon ihr Kindermädchen und, solange Kyla zurückdenken konnte, für sie immer wie eine Mutter gewesen war. Dann log sie: „Mach dir keine Sorgen. Es ist nichts. Schlaf weiter.“

Morags faltige Wangen röteten sich vor Zorn, und ihre schwarzen Augen funkelten. „Ihr lügt, Mädchen. Mich könnt Ihr nicht zum Narren halten!“

Sie wollte sich aufrichten, aber Kyla hinderte sie daran. „Nein, bleib unten.“

„Dann sagt mir, was los ist!“, befahl Morag in scharfem Ton. „Und macht mir nichts vor.“

„Gut“, seufzte Kyla, während sie noch überlegte, wie sie es ihr sagen sollte, ohne sie allzu sehr zu erschrecken. Ihr fiel nichts ein. „Wir werden angegriffen.“

„Was?“ Vor Entsetzen um Atem ringend, kam Morag erneut hoch.

Gerade als Kyla sich aber anschickte, die alte Frau hinter der Seitenplanke des Wagens wieder in Sicherheit zu bringen, wurde dieser von einem mächtigen Stoß erfasst. Erstarrt vor Schreck, blieben die beiden Frauen zunächst bewegungslos liegen, doch dann drehten sie sich langsam um. Vor ihnen stand ein Ritter, derselbe, der schon einmal auf den Wagen gesprungen war. Und auch jetzt wieder war Kyla wie verzaubert von seinem Anblick. Groß, stark und herrlich anzusehen, wie er so dastand, fast reglos. Schweißgebadet glänzte sein Körper im Sonnenlicht. Der Ritter verharrte kurz in dieser Pose, um sich einen Überblick über das Kampfgeschehen zu verschaffen. Dann schwang er sein Schwert und sprang, so überraschend wie er gekommen war, wieder vom Wagen.

„Gütiger Gott!“ Morag fächerte sich mit ihrer unverletzten Hand etwas Luft zu, dann sackte sie auf den Fellen in sich zusammen. „Wilde!“, knurrte sie böse. „Highlander. Und mit einem von denen will Euch diese Catriona verheiraten. Wenn eure arme Mutter dies wüsste, sie würde sich im Grabe umdrehen.“

„Da hast du recht“, stimmte Kyla ihr nachdenklich zu, doch dann verfinsterte sich ihre Miene, denn Morag stemmte sich erneut hoch, um über den Wagenrand zu schielen.

„Was tust du da?“, zischte Kyla, während sie sich aufsetzte, um Morag herunterzuziehen.

„Will sehen, ob wir gewinnen.“

Kyla wollte soeben erwidern, dass das kaum eine Rolle spielte – selbst wenn Catrionas Männer gewännen, wäre sie trotzdem die Verliererin –, noch bevor sie dies jedoch anmerken konnte, krachten zwei kämpfende Schotten mit solcher Wucht gegen den Wagen, dass beide Frauen auf die gegenüberliegende Seite geschleudert wurden. Gerade als Morag aber wieder den Kopf heben wollte, um den Kampf weiterzuverfolgen, sauste ein Schwert nur knapp über sie hinweg und blieb dann in einer Holzplanke des Wagens stecken. Gleichzeitig hörte man den Schmerzensschrei eines Mannes.

Der Schotte, der vorhin auf den Wagen gesprungen war, schaute mit grimmigem Blick zu ihnen hinunter. „Lasst die Köpfe unten, ihr blöden Weiber!“, brüllte er auf Gälisch.

Als Kyla ihn vor lauter Verwirrung mit aufgerissenen Augen anstarrte, wiederholte der Mann den Befehl auf Englisch. Offensichtlich ging er davon aus, dass sie ihn beim ersten Mal nicht verstanden hatte, sie allerdings wunderte sich darüber, dass er ihr überhaupt einen solchen Befehl erteilte. Er gehörte nicht zu ihrer Eskorte, sondern zu den Angreifern. Was zum Teufel scherte es ihn, ob sie mit dem Leben davonkam oder sterben musste?

Verstört lugte sie erneut über den Wagenrand und sah bestürzt, dass alle ihre Männer gefallen waren, trotz ihrer eisernen Rüstungen und Kettenhemden. Nicht ein einziger war mehr auf dem Schlachtfeld auszumachen. Sogar der Kutscher lag ausgestreckt auf seiner Bank, und seine Schulter blutete entsetzlich. Die wenigen, die noch übrig geblieben waren und sich gegen ihre Gefangennahme wehrten, waren die Schotten, die von ihrem zukünftigen Gatten an die Grenze entsandt worden waren, wo sie Kyla und ihre Eskorte in Empfang genommen hatten.

Die junge Frau schätzte die Zahl ihrer Verteidiger, die sie unter den Kämpfenden entdecken konnte, noch auf etwa fünfzehn. Vierzehn, korrigierte sie sich, als ein weiterer fiel. Dreizehn.

„Was ist?“, krächzte Morag besorgt. Kyla blickte bekümmert auf ihre Begleiterin hinab. Sobald alle ihre Männer besiegt wären, würden die Angreifer ihre Aufmerksamkeit zweifelsohne ihnen zuwenden. Kyla mochte sich gar nicht ausmalen, was dann geschehen würde. Diese Wilden hatten schließlich nicht die geringste Ähnlichkeit mit den Rittern am Hofe ihres Bruders.

Morags Frage sowie ihre eigenen Schmerzen ignorierend, murmelte sie irgendetwas vor sich hin und kletterte über die Seitenplanke des Wagens auf den Kutschbock, neben den wie leblos daliegenden Kutscher. Sie nahm ihm die Zügel aus den kraftlos gewordenen Händen und ließ sie sogleich auf den Rücken der Pferde knallen. Die Tiere, durch den Blutgeruch und den um sie herum tobenden Kampf aufgebracht, waren nur allzu bereit, dieser Aufforderung zu folgen. Sie schnaubten erregt und bäumten sich auf, dann zogen sie an. Ihre Hufe gruben sich tief in den feuchten Boden, als sie den Wagen aus dem Kampfgetümmel zogen.

Eine Bewegung, die sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, veranlasste Kyla sich umzudrehen. Da sah sie, wie der Kutscher, schwer verletzt und kraftlos wie er war, auf Grund der schlingernden Fahrt des Wagens jeglichen Halt verlor und neben ihr von der Bank glitt. Erschrocken hörte sie noch den dumpfen Aufschlag des Körpers, doch dann biss sie die Zähne zusammen und ließ erneut die Zügel knallen, um die Pferde zu größerer Schnelligkeit anzutreiben.

„Verdammt!“ Mühselig schob Morag sich hoch, um aus dem Wagen zu schauen. Sie hatten die Angreifer hinter sich gelassen, und diese schienen ihre Flucht nicht einmal bemerkt zu haben.

Kyla blickte böse auf Morag hinab und drückte sie sanft in den Wagen zurück. „Bleib unten. Du bist doch nicht gesund.“

„Oh, aber Ihr, Ihr seid gesund, was?“, schnaubte die alte Frau grimmig, sank dann aber doch bereitwillig auf die Felle zurück.

Ohne diesen ironischen Worten weitere Beachtung zu schenken, konzentrierte Kyla sich darauf, den Wagen durch den Wald, den sie inzwischen erreicht hatten, zu lenken. Doch sie waren noch nicht weit gekommen, als sie mehrere Pferde erblickte, die ohne Zweifel ihren Angreifern gehörten. Bestimmt haben sie jemanden zur Bewachung der Tiere zurückgelasssen, befürchtete sie, als Morag auch schon einen gellenden Schrei ausstieß. Kyla zuckte zusammen, dann drehte sie sich um und sah eine Gestalt, die von einem der Äste über ihnen heruntersprang.

Er war riesig. Ein wahrer Hüne, der den ganzen Wagen zum Beben brachte, als er dort landete. Ihr Blick fiel auf die glänzende Klinge seines Schwerts, das er in seiner Hand hielt, und sie erschrak zutiefst. Ihre Kinderfrau, die sich einen Arm und einige Rippen gebrochen hatte, war diesem brutalen Kerl hilflos ausgeliefert.

Sie ließ die Zügel fallen, kam blitzschnell auf die Beine und drehte sich um. Ohne zu überlegen griff sie nach ihrem Dolch und sprang nach hinten. Eigentlich erstaunlich, dass sie ihren Gegner dennoch traf, und zwar mit solcher Wucht, dass sie ihn rückwärts vom Wagen beförderte.

Wie dumm von mir, durchzuckte es Kyla, denn es gab nichts, woran sie sich selbst hätte festhalten können. Da war nur der Mann, den sie angegriffen hatte, und so fiel sie mit ihm zusammen vom Wagen, der nun gänzlich führerlos seine wilde Fahrt fortsetzte, mit der kreischenden Morag hinten drauf.

Der Körper des Hünen dämpfte Kylas Sturz. Dennoch war der Aufprall so heftig, dass sie einen Augenblick auf dem Mann liegen bleiben musste, um überhaupt wieder Atem holen zu können. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Laub über ihnen und ließ die Spitze des Dolches, der ihr aus der Hand gefallen war, aufleuchten. Es gelang ihr, nach ihm zu greifen, doch im selben Moment drehte sie dieser Bär von einem Mann mit lautem Gebrüll von sich weg auf den Rücken, sodass ihr vor Schmerz die Luft wegblieb. Keuchend stach Kyla mit ihrem Dolch blind auf ihn ein. Zu ihrer Erleichterung ließ der Kerl fluchend von ihr ab. Sofort nutzte Kyla ihre Chance und rollte sich von ihm fort auf den Bauch. Als der Schmerz, der sie dabei durchbohrte, wieder etwas nachließ, seufzte sie erleichtert auf. Noch tanzte alles vor ihren Augen, als sie den Mann ansah, wie er dasaß und sie seinerseits erstaunt musterte, da er begriff, dass sie ihn tatsächlich an der Seite verletzt hatte. Soweit sie das beurteilen konnte, war die Wunde jedoch nicht allzu tief, und wenn sich erst einmal seine Verblüffung über ihren Angriff gelegt hätte, würde er sich zweifellos erneut auf sie stürzen.

Kyla wandte den Kopf und schaute sich um. Ihr Blick fiel auf einen herabgefallenen Ast, der unweit ihrer rechten Hand lag. Er hatte keine Blätter mehr und durch die lange Zeit, die er nun schon Wind und Wetter ausgesetzt war, war seine braune Farbe verblasst. Der Ast war relativ dick, fast so dick wie ihr Oberarm, doch dort, wo sie ihn greifen konnte, verjüngte er sich. Sie streckte den Arm aus, umfasste das Holz mit festem Griff und zog es zu sich heran. Fast gleichzeitig kam sie hoch, zunächst auf alle viere, dann stützte sie sich mit beiden Händen auf den Ast und richtete sich auf.

Doch als sie den Ast mit noch zittrigen Armen hochhob und sich ihrem Gegner zuwandte, erkannte dieser augenblicklich ihre Absicht. Sofort sprang er auf, aber Kyla holte schon zum Schlag aus und traf ihn am Kopf. Krachend splitterte der Ast und brach auseinander. Einen kurzen Moment lang befürchtete Kyla, dass sie mit diesem Schlag nur den Zorn des Mannes weiter geschürt habe, doch dieser sank, wie vom Donner gerührt, mit einem gurgelnden Laut zurück ins Gras.

Kyla fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, da plötzlich drangen Morags Schreie an ihr Ohr. Sie kehrte ihrem Gegner den Rücken und eilte hinter dem Wagen her, der seine Fahrt ohne sie fortgesetzt hatte. Fast blieb ihr das Herz stehen, als sie sah, wie eine weitere Gestalt sich unmittelbar vor dem Gespann zu Boden fallen ließ. Die Pferde bäumten sich auf, der Wagen kippte zur Seite, und Morag wurde hinausgeschleudert. Ihr Schrei ließ Kyla das Blut in den Adern stocken. Der Wagen richtete sich wieder auf, und die Pferde kamen, ängstlich mit den Hufen stampfend, zum Stehen.

Kyla hatte jetzt nur Augen für Morag, die auf dem Boden lag. Die Anwesenheit des anderen Mannes spielte für sie im Moment keine Rolle. Sie stürzte zu ihr hin, der Dolch glitt ihr aus den zitternden Händen, sie fiel auf die Knie und berührte die Wangen der Frau. „Morag? Morag!“

Das Zucken von Morags Augenlidern erschien Kyla als das schönste Geschenk der Welt. Schluchzend nahm sie den schwachen Körper in ihre Arme und sandte ein stilles Dankgebet zum Himmel.

Erst dann erinnerte sie sich wieder an diesen anderen Wilden. Sie sah auf und stellte erstaunt fest, dass er noch sehr jung, ja fast noch ein Knabe war. Er schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit, sondern schaute erwartungsvoll an ihr vorbei.

Als sie seinem Blick folgte, verstand sie, warum er sie nicht beachtete. Der Kampf war vorüber. Mit grimmigen Gesichtern näherten sich die Ritter. Schnell legte sie Morag wieder auf den Boden, packte den Dolch, den sie hatte fallen lassen, erhob sich und ging zwischen der Frau auf dem Boden und den näher kommenden Männern hin und her. Doch auch diese beachteten sie kaum. Stattdessen eilten sie zu ihrem Kameraden, den Kyla niedergestreckt hatte, und bildeten einen Kreis um ihn, sodass er vor fremden Blicken geschützt war.

Kyla umklammerte mit ihrer verschwitzten Hand entschlossen den Dolch und ließ ihren Blick über das Gelände schweifen. Dass es kein Entkommen gab, war offensichtlich, auch weil sie nicht ohne Morag fliehen würde. Ihren Mann stehen und kämpfen war das Einzige, was ihr blieb. Sie wünschte, es wäre nicht so. Nicht im Entferntesten hatte sie je daran gedacht, auf diese Weise zu sterben, und schon gar nicht, so jung zu sterben.

Langsam wandten sich die Männer nun Kyla zu. Mit Furcht erregenden Mienen kamen sie näher. Dann stellten sie sich im Halbkreis um sie herum auf und musterten sie eingehend.

Kyla hatte zunächst erwartet, dass die Männer sie unverzüglich angreifen würden, da sie sich alle gleichzeitig in ihre Richtung bewegt hatten. Und so war es etwas zermürbend für sie, dass sie einfach nur so dastanden und sie ansahen und dann auf Gälisch über sie redeten, ohne zu ahnen, dass sie die Sprache verstand.

„Hübsches Mädchen“, meinte einer und zog damit ihren argwöhnischen Blick auf sich. Er war groß. Du lieber Himmel, alle waren sie groß! Kyla selbst war nicht gerade klein, aber diese Männer schienen Riesen zu sein. Wie ein Wald ragten sie vor ihr auf: breitschultrig, gesund, stark und Furcht einflößend.

„Ja, hübsch, aber etwas mickrig.“ Der Mann, der das sagte, schien ihr Anführer zu sein. Kyla war aufgefallen, dass die anderen ihm den Vortritt ließen und er ihnen stets vorausging. Es war derselbe Mann, der hinten auf den Wagen gesprungen war und später dann ‚blödes Weib‘ zu ihr gesagt und ihr befohlen hatte, sich zu ducken. Er gehörte zu den Größten in der Gruppe. Auch schien er einer der Stärksten zu sein, obwohl der Mann direkt neben ihm, der sie als Erster als ‚hübsch‘ bezeichnet hatte, noch ein gutes Stück größer war. Du liebe Güte, wahrhaftig ein Riese! dachte sie mit einem Stirnrunzeln und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Anführer zu. Ihr wurde klar, dass die anderen mit ihm einer Meinung waren, und die war nicht gerade schmeichelhaft.

„Reichlich mickrig.“

„Ein ziemliches Häuflein Elend.“

„Nur Haut und Knochen.“

„Ganz schön zerbrechlich.“

„Und bleich wie der Tod, sie schwankt wie ein Rohr im Wind. Ich glaube nicht, dass sie den Weg zu uns nach Hause überlebt, und wenn, dann bestimmt nicht unsere harten Winter …“

Der Anführer nickte nur, zum Zeichen, dass er all diesen Beobachtungen der Männer, die Kyla weiter finster anstarrten, zustimmte. Doch dann hellte sich die Miene eines dunkelhaarigen Mannes, der hinter dem Anführer stand, plötzlich auf. „Vielleicht ist sie das gar nicht. Vielleicht haben wir den falschen Zug angegriffen.“

Sogleich blickten alle etwas hoffnungsvoller drein, aber der Anführer schüttelte den Kopf. „Nein, Duncan. Es waren die MacGregor, zusammen mit den Engländern, gegen die wir gekämpft haben. Mindestens zwei von ihnen habe ich erkannt.“

Kyla seufzte ebenso enttäuscht wie die Männer. Einen kurzen Augenblick hatte sie gehofft, ihre Freiheit wieder zu erlangen; wenn sie sich geirrt hätten, hätten sie mit Sicherheit jegliches Interesse an ihr verloren. Aber hätten sie sie deswegen am Leben gelassen? Wie auch immer, es waren nun mal in der Tat die MacGregor, die ihren Trupp begleitet hatten. Zwanzig Clansmänner waren an der Grenze zu ihnen gestoßen, eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme, die Kyla damals noch für völlig überflüssig gehalten hatte, da doch vierzig von Catrionas Leuten sie eskortierten. Ihr war jetzt klar, wie sehr sie sich geirrt hatte. Die Engländer in ihren Rüstungen waren langsam und unbeweglich. Sie waren diesen Wilden nicht gewachsen und hatten es deshalb dem MacGregor-Trupp überlassen, sie zu schützen. Kyla nahm an, dass diese Männer hier es auf sie abgesehen hatten, obwohl sie sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen konnte, warum. Es sei denn, schon die ganze Verlobung wäre nur ein Vorwand gewesen, sie von der Burg fortzulocken und umzubringen. Ein Vorhaben, das man ihrer gerissenen Schwägerin durchaus unterstellen konnte.

„Gut, am besten, wir packen sie jetzt auf den Wagen und machen uns auf den Weg.“ Die Stimme des Anführers riss Kyla aus ihren Gedanken. Er schien allerdings nicht besonders versessen darauf zu sein, nun auch zur Tat zu schreiten. Im Gegenteil, erst einmal verlagerte er lediglich sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Doch das genügte schon: Kyla nahm sofort wieder ihre Lauerhaltung ein. Denn was auch immer geschehen würde, kampflos würde sie auf gar keinen Fall aufgeben.

„Vorsicht mit ihrem Dolch. Die Klinge ist scharf. Damit hat sie mir einen ganz schönen Kratzer verpasst.“

Kylas Blick wanderte hinüber zu jenem Mann, den sie zuvor mit einem Riesen verglichen hatte. Entsetzen stieg in ihr hoch, als sie jetzt erstmals seine Gesichtszüge stärker wahrnahm als seine Körpergröße. Auf ihn hatte sie eingestochen und ihn hatte sie niedergeschlagen, doch er stand da, riesig und stark. Nichts an ihm deutete darauf hin, dass sie ihn verletzt hatte, außer dass da etwas Blut auf seinem Hemd und dem karierten Überwurf zu sehen war. Nicht gerade viel, ging es ihr, angewidert von seinem Anblick, durch den Kopf.

Kyla presste die Lippen aufeinander und stellte sich breitbeinig hin, die Knie leicht gebeugt, so wie sie es bei ihrem Bruder im Nahkampf gesehen hatte.

Der Anführer legte den Kopf etwas zur Seite, betrachtete sie kurz und meinte dann auf Englisch: „Lasst den Dolch lieber fallen, Mädchen, sonst tut Ihr Euch noch weh.“

Entschlossen schob Kyla das Kinn vor. Der Anführer kam langsam auf sie zu, doch sie war bereit. Zumindest glaubte sie das.

Langsam, wie schlendernd, machte er zwei Schritte, dann einen schnellen Ausfallschritt. Im selben Moment ergriff er ihr Handgelenk, riss ihren Arm in die Höhe, entwand ihr behände den Dolch – mit einer Leichtigkeit, die Kyla beschämte – und warf ihn dem Mann zu, den sie angegriffen hatte.

Kyla schrie auf vor Wut und trat nach seinen Beinen. Und noch lauter schrie sie, als er sie einfach hochhob und wie einen Sack Weizen auf seine Schultern legte.

„Beruhigt Euch!“ Mit einem kräftigen Klaps auf ihr Hinterteil unterstrich der Mann seinen Befehl, und das verschlug Kyla tatsächlich für einen Moment die Sprache. „Wir tun Euch nichts, und der Alten auch nicht.“

Kyla hatte sich schnell wieder gefasst. Laut fluchend trommelte sie mit ihren Fäusten auf den breiten Rücken des Mannes ein, doch es nützte nichts. Da sah sie, wie einer der Männer sich neben Morag niederkniete, und unvermittelt hielt sie inne. Doch der Kerl schien begriffen zu haben, wie schlecht es der alten Frau ging. Vorsichtig hob er sie hoch, und Kyla hätte vor Erleichterung fast geweint, als sie sah, wie er mit Morag auf den Armen hinter ihnen herkam.

Als der Wüstling, auf dessen Schulter sie lag, schließlich stehen blieb, wusste Kyla, dass sie am Wagen angelangt waren. Sie versuchte, sich gegen das Bevorstehende zu wappnen, aber keine noch so gute Vorbereitung hätte sie wirklich rüsten können für das, was nun unweigerlich auf sie zukam. Nicht dass er besonders roh gewesen wäre, doch er ahnte nun mal nichts von ihrer Verletzung, und so ließ er sie, wie befürchtet, einfach flach auf den Rücken fallen. Ihr war, als fiele sie auf ein Nagelbrett. Der Schmerz raubte ihr den Atem, nicht einmal für einen Aufschrei blieb ihr genügend Luft. Lichter tanzten vor ihren Augen, dann wurde um sie herum alles schwarz.

2. KAPITEL

Der alten Frau geht es sehr schlecht.“

Galen sah Tommy MacDonald, den Mann, der neben ihm ritt, erstaunt an. Tommy war einer seiner Vertrauten und sein Cousin. „Wie kommst du darauf?“

„Ich habe sie mir genau angeschaut, bevor ich sie in den Wagen gelegt habe. Sie hat sich den Arm und ein oder zwei Rippen gebrochen.“

Galen runzelte die Stirn. „Und warum erzählst du mir das?“

Nachdenklich ließ Tommy seinen Blick über die Bäume wandern. „Für die Dienerschaft ist es normal, im Wagen zu reisen, aber adelige Damen sitzen für gewöhnlich zu Pferde. Es sei denn, sie haben Schmerzen oder sind verletzt.“

Die Miene seines Herrn verdüsterte sich, ohne dass er jedoch etwas sagte, und so fügte Tommy hinzu: „Die alte Frau roch nach Kräutern. Nach Heilkräutern, nehm ich an. Ich frage mich nur … Riecht das Mädchen auch so?“

Galen blickte überrascht auf. „Ja, in der Tat.“

Tommy nickte. „Und jetzt schläft es. Es schläft schon die ganze Zeit, seit Ihr es in den Wagen gelegt habt.“

„Und?“

„Das ist doch seltsam für ein Mädel, dessen Eskorte aufgerieben und das selbst gerade erst entführt wurde. Vor allem, nachdem es zuerst so viel Kampfgeist bewiesen hat.“

„Kampfgeist?“, erwiderte Galen verblüfft.

„Ja, finde ich schon. Immerhin hat es sich, selbst nur mit einem Messer bewaffnet, dreißig Männern entgegengestellt. Da braucht man schon einiges an Kampfgeist und ziemlich viel Mut, oder nicht?“, bemerkte Tommy.

„Doch, du hast recht.“ Der Anführer der MacDonald schien auf einmal ausgesprochen erleichtert. Ihm war nur aufgefallen, wie schmächtig das Mädchen war, aber nicht, wie erbittert es sich und die alte Frau verteidigt hatte. „Sie hat wirklich Kampfgeist“, sagte er, und diese Erkenntnis stimmte ihn wieder etwas zuversichtlich. Denn seit er seine zukünftige Braut vor einigen Stunden erstmals zu Gesicht bekommen hatte, hatte er wegen dieses Überfalls nur noch mit sich gehadert.

Dabei schien sein Vorgehen, als er sich dieses zurechtlegte, wirklich vernünftig zu sein. Neun Monate zuvor waren seine Frau und das Kind, mit dem sie damals schwanger war, von MacGregor getötet worden. Galens Herz schrie nach Vergeltung, und Vergeltung forderten auch seine Männer, und so wartete er nur auf den richtigen Zeitpunkt. Da hatte ihn die Kunde von MacGregors bevorstehender neuerlicher Vermählung erreicht – ausgerechnet mit einer Engländerin, aber auch MacGregor selbst war ja ein halber Engländer.

Trotzdem: Engländerin hin oder her, dieser Überfall oder gar sie zu töten, waren nicht so einfach zu rechtfertigen. Was seiner Frau und seinem Kind widerfahren war, hatte schließlich nichts mit ihr zu tun. Die Engländerin war genauso unschuldig wie seine Frau. Dennoch verlangte es ihn nach Rache, und deshalb hatte er beschlossen, diese Frau lediglich zu entführen und dann zu heiraten. Auf diese Weise konnte er an MacGregor Vergeltung üben und gleichzeitig gegenüber der Frau Ritterlichkeit walten lassen. Diese Vorstellung beruhigte ihn, und zuletzt war er sogar davon überzeugt, ihr damit regelrecht einen Gefallen zu tun. Denn es war allgemein bekannt, dass MacGregor mit Frauen ziemlich hart umsprang. So waren beispielsweise auch hinsichtlich der Todesursache seiner ersten Frau einige Fragen offen geblieben. War es wirklich eine schwere Geburt gewesen, an der sie gestorben war, oder hatte er sie derart brutal geschlagen, dass sie zunächst eine Frühgeburt erlitt und dann verstarb?

MacGregors Braut zu rauben schien Galen zum damaligen Zeitpunkt die ideale Lösung zu sein. Er selbst würde wieder zu einer Ehefrau kommen, bald gäbe es Erben für seinen Besitz, und auch seine Rachegelüste gegenüber MacGregor würden durch diesen Überfall gestillt.

Außer der Tatsache, dass sie Engländerin war, fand er diese Lösung wirklich ideal … bis zu dem Moment, als er gewahr wurde, wie schmächtig sie war und wie zerbrechlich sie aussah. Da fragte er sich, ob er nicht doch einen schweren Fehler gemacht hatte. Tommys Bemerkung, dass die Engländerin einiges an Kampfgeist gezeigt hätte, befreite ihn dann aber von seinen Zweifeln, die immerhin eine ganze Weile an ihm genagt hatten. Sie mochte ja klein sein, aber wenn sie wirklich Kampfgeist hatte … Mit dem richtigen Kampfgeist konnte man mangelnde Körpergröße und Kraft schließlich ganz gut ausgleichen.

„Wisst Ihr, Herr, ich glaube, er hat recht.“

Galen schrak aus seinen Gedanken hoch und warf dem Mann, der schon den ganzen Nachmittag an seiner Seite ritt, einen Blick zu. Er hatte Duncans Gegenwart völlig vergessen.

„Doch, in der Tat, sie hat Kampfgeist“. Bei diesen Worten hellte sich Duncans Miene auf, und Galen wurde klar, wie besorgt sie alle um ihn waren. Auch seinen Leuten war es also nicht egal, was für eine Frau er heiraten würde.

„Wer hat Kampfgeist?“ Angus, den diese Worte neugierig gemacht hatten, trieb sein Pferd an Duncans Seite.

„Die Engländerin.“ Aber Angus schien dies zu bezweifeln, und so wiederholte Duncan, was Tommy bereits angemerkt hatte. „Sie war absolut entschlossen, es mit uns allen aufzunehmen, mit nichts weiter bewaffnet als mit diesem kleinen Messer. Sie wich und wankte nicht, nur um die Alte zu beschützen. Und sie hat sogar Robbie den Riesen mit dem Dolch attackiert.“

„War nur ’n kleiner Kratzer“, knurrte Robbie und gab seinem Pferd die Sporen, um mit den anderen vier auf gleicher Höhe zu reiten. Auch einige andere Männer schlossen nun auf, um das Gespräch mithören zu können.

„Hat aber ganz schön geblutet“, beharrte Duncan. „Ihre ganze Hand war voll Blut. Und auf deinem Hemd sieht man’s auch noch.“

Erstaunt sah Robbie an sich herunter und fluchte. „Da wird Aelfread sich mal wieder ganz schön aufregen. Sie steigert sich immer gleich rein, noch bevor ich ihr überhaupt klarmachen kann, dass nichts ist.“

Die Männer schmunzelten belustigt. Robbies Frau war nicht gerade groß, trotzdem schüchterte sie diesen baumlangen Kerl offensichtlich ganz schön ein. Allerdings besaß sie, zugegebenermaßen, ein ziemlich hitziges Temperament.

„Magst recht haben“, murmelte Angus in Gedanken versunken, ohne auf Robbie einzugehen. „Vielleicht war es tatsächlich Kampfgeist, was die Engländerin gezeigt hat. Ich dachte zuerst, es war einfach nur Dummheit, aber vielleicht war es ja auch Kampfgeist.“

„Nun denn“, erwiderte Duncan bedächtig, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, „vielleicht war es ja auch Dummheit, kühn war es alle Mal.“

Die Männer stimmten ihm zu, wenn auch eher verhalten. Doch Galen bekräftigte Duncans Worte: „Ja, es war kühn. Und es war auch kühn von ihr, so einfach mit dem Wagen zu fliehen. Nach allem, was man sonst so hört, hätten die meisten feinen englischen Damen an ihrer Stelle wohl eher nichts unternommen, sondern nur herumgejammert: ‚Weh mir … Weh mir …!‘“

Jetzt pflichteten ihm die Männer schon etwas lebhafter bei, und so fügte Galen gleich noch hinzu: „Ja, sie ist wirklich beherzt. Und ich bin mir fast sicher, dass sie auch noch ein weiteres Mal versuchen wird, zu entkommen. Vielleicht sogar gerade jetzt, wo wir miteinander reden.“

Sofort brachten die Männer ihre Pferde zum Stehen und schauten sich erwartungsvoll nach dem Wagen mit den beiden Frauen um. Auch Galen.

Der Mann auf dem Kutschbock blickte ihnen neugierig entgegen. Als er sie erreicht hatte, hielt er an, und sogleich scharten sich alle um den Wagen, um nach den Frauen zu sehen. Der Kutscher verrenkte sich fast den Hals, weil auch er mitkriegen wollte, was nun geschah, doch verwirrt musste er festzustellen, dass alle ganz offensichtlich enttäuscht darüber waren, die zwei Frauen schlafend vorzufinden.

„Na ja, vielleicht ist sie völlig erschöpft von ihrer ganzen Kühnheit“, murmelte Duncan nach einer Weile verlegen unter den vielen kritischen Blicken, die die anderen ihm zuwarfen. Doch da beugte sich Tommy zum Wagen hinunter und legte der Frau vorsichtig die Hand auf die Stirn. Erst jetzt fiel Galen auf, wie rot ihre Wangen waren, so rot wie eine englische Rose, bemerkte er im Stillen für sich.

„Fieber?“, fragte er besorgt.

„Ja.“ Tommy richtete sich auf, dann schwang er sich in den Wagen. Sogleich wachte die alte Frau auf und schaute erstaunt in all die Gesichter über ihr, dann wanderte ihr Blick zu ihrem Schützling. Da sah sie den Mann, der sich über die junge Frau beugte, und erschrak.

„Lass sie in Ruhe, du elender Schuft!“, herrschte sie ihn an und versuchte, sich trotz der Schmerzen hochzustemmen.

„Reg dich nicht auf, Alte. Ich tu ihr nichts.“ Tommy würdigte die Dienerin keines Blickes, sondern konzentrierte sich ganz auf ihre Herrin. Sie hatte hohes Fieber, ihre Wangen glühten. „Sie ist krank.“

Morag richtete sich auf, von Schmerzen durchzuckt, um selbst die Stirn des Mädchens zu befühlen. „Gebt mir den Beutel mit meinen Heilkräutern.“

„Wo ist er?“, fragte Galen, glitt vom Pferd und stieg zu ihnen in den Wagen.

„Dort in der Ecke.“

Tommy stand näher bei den Säcken, die weiter vorne aufeinander gestapelt waren. Während er sie durchsuchte, kniete Galen sich neben die Fiebernde und legte ihr ebenfalls die Hand auf die Stirn. Mit sorgenvoller Miene registrierte auch er das Fieber. „Was hat sie?“

Gerade wollte die Dienerin antworten, da öffnete das Mädchen die Augen. Mit glasigem Blick betrachtete es Galen. „Johnny? Johnny. Es tut so weh. Es brennt. Mach, dass es aufhört.“

Galen blickte einen Moment in ihre vom Fieber gezeichneten Augen und wandte sich dann, sichtlich erbost, an die Alte. „Wer zum Teufel ist Johnny?“

„Der Balsam wirkt nicht mehr“, murmelte Morag besorgt, und gleichzeitig machte sie sich Vorwürfe, dass sie nicht schon, noch bevor sie eingeschlafen waren, daran gedacht hatte. „Legt sie auf den Bauch.“

Galen zögerte, tat dann aber, wie befohlen. Seine Fragen hob er sich für später auf.

„Hast du den verdammten Beutel gefunden?“, herrschte Morag nun Tommy an, der gerade den letzten Sack durchsuchte.

„Ja.“

„Öffnet ihr das Gewand!“, befahl sie und griff nach dem Sack.

Die beiden Männer blickten sich etwas ratlos an, dann zog Galen ein Messer aus dem Stiefel und schnitt das Gewand einfach auf. Erstaunt blickte er auf die Bandagen, die dabei zum Vorschein kamen.

„Die Verbandstücher“, murmelte Morag, während sie den Beutel durchwühlte. Kyla stöhnte.

Behutsam legte Galen den Verband frei, der ihren ganzen Rücken bedeckte und mehrmals um ihren Körper gewickelt war. Die einzige Möglichkeit, ihn abzunehmen, ohne das Mädchen aufzusetzen, bestand darin, ihn genauso aufzuschneiden wie das Gewand. Ohne zu zögern, machte er sich an die Arbeit. Angesichts der Wunde, die nun zum Vorschein kam, fluchte er vor Entsetzen, und als das Mädchen erneut aufstöhnte, erschrak er und hielt inne. Die meisten seiner Männer waren von ihren Pferden gestiegen und verfolgten aus unmittelbarer Nähe gespannt das Geschehen. Auch ihnen entfuhren Ausrufe des Entsetzens, doch Galen nahm sie kaum wahr. Erschüttert blickte er auf den Rücken des Mädchens.

Eine beängstigend tiefe Wunde zog sich von der linken Schulter bis hinunter zur rechten Hüfte. Zweifellos stammte sie von einem Schwert. Ein Wunder, dass dieses zarte Geschöpf überhaupt noch lebt, dachte Galen, als er die vielen Nadelstiche zählte und den Faden maß, der ihre porzellanweiße Haut überspannte. Der Schnitt schien bereits einige Wochen alt und auch schon ein wenig verheilt zu sein, doch noch keinesfalls so weit, dass sie damit hätte reisen dürfen, geschweige denn herumfuchteln, um mit dem Dolch in der Hand eine alte Frau zu verteidigen. Erstaunlich, dass die Wunde nicht aufgeplatzt war.

„Es muss höllisch wehtun.“

Galen warf seinem Cousin einen Blick zu, dann seinen Männern, die immer noch um den Wagen versammelt waren. Alle nickten fast ehrfurchtsvoll.

„Nun, jetzt wissen wir, warum sie nicht erneut versucht hat zu fliehen“, murmelte Duncan, und Angus ergänzte: „Ein Wunder, dass sie schon beim ersten Mal überhaupt die Kraft dazu hatte.“

„Das war nicht Kraft. Das war ihr Widerstandsgeist“, gab Morag ihnen kurz angebunden zu verstehen und bemühte sich, den kleinen Lederbeutel, den sie aus dem Sack gefischt hatte, zu öffnen. „So wie damals, als sie sie niedergestreckt haben. Nur ihr Widerstandsgeist hielt sie am Leben. Gott segne sie. Den hat sie von ihrer Mutter, einer Ferguson“, fügte sie stolz hinzu.

„Sie ist keine Engländerin?“ Tommy nahm der alten Frau den Beutel aus der Hand, mit dem sie sich abquälte, und öffnete ihn für sie.

„Zur Hälfte. Ihre Mutter war eine Ferguson. Wie ich. Lord Forsythe war Engländer.“

Überrascht blickte Galen sie an. Das Mädchen war also gar keine Engländerin, zumindest floss nicht nur englisches Blut in seinen Adern. Ebenso gut war sie eine Schottin, wenn auch aus den Lowlands, aber immerhin. Das sprach für sie. Er musterte erneut ihr vom Fieber gerötetes Gesicht, und erst jetzt stellte er fest, dass er noch immer nicht ihren Namen wusste. Er hatte ihren Trupp angegriffen und sie in seine Gewalt gebracht, alles in der Absicht, sie zu heiraten, doch wer sie eigentlich war, davon hatte er keine Ahnung, er kannte noch nicht einmal ihren Namen. Für ihn war sie bislang schlicht die Frau, die MacGregor zu heiraten gedachte, eine Engländerin, und Letzteres stimmte so gar nicht, wie er jetzt wusste, denn sie hatte ja auch schottische Vorfahren. „Wie heißt sie?“

„Kyla. Da, nehmt.“

Galen wandte sich um und blickte verständnislos auf den Lederbeutel, den Morag ihm entgegenhielt.

„Verrührt etwas davon mit Wasser. Dann träufelt es über die Wunde.“

Galen nahm den Beutel, schaute hinein und verzog das Gesicht ob des Geruchs, der ihm entgegenschlug.

„Was ist das?“

„Heilkräuter. Zum Reinigen der Wunde. Sie hat sich entzündet.“ Und schon wieder mehr zu sich selbst gewandt, fügte sie hinzu: „Ich hab sie gewarnt. Man kann eine Wunde reinigen und verbinden, so viel man will, doch das hilft überhaupt nichts, wenn man anschließend im Dreck übernachtet. Aber diese Schlange von einer Engländerin wollte ja nicht auf mich hören. Es kümmert sie wenig, ob meine Kleine stirbt oder nicht, sie wollte sie nur los sein.“

„Wer wollte sie loswerden?“ Duncan lehnte sich über den Rand des Wagens und reichte seinem Herrn einen Wasserschlauch zum Anrühren der Tinktur.„Forsythes neue Gemahlin.“

„Kylas Stiefmutter?“

„Nein, ihre Eltern sind tot. Johnny, ihr Bruder, ist jetzt der Herr … noch“, fügte sie erbost hinzu. „Denn wenn es nach dem Willen dieser Schlange geht, lebt er bestimmt nicht mehr lange.“

„Johnny?“ Beim Klang dieses Namens öffnete Kyla die Augen, blickte um sich und stöhnte leise: „Johnny?“

„Nein, Mädchen. Er ist nicht hier. Schlaft weiter.“ Die Alte versuchte Kyla zu beruhigen, aber diese ließ sich nicht beirren.

„Wir müssen Johnny helfen, Morag. Noch bevor er überhaupt wieder gesund werden kann, wird ihn Catriona auf seinem Krankenlager ersticken“, sorgte sie sich.

„Ihr könnt im Augenblick nichts für ihn tun. Ruht Euch aus. Wir kümmern uns jetzt um Eure Wunde.“ Morag sah Galen an, der die Kräuter und das Wasser bereit hielt. Sie holte eine Holzschale aus ihrem Sack, schob sie zu ihm hinüber und wies ihn an: „Mach dich an die Arbeit, Junge. Die Wunde muss gereinigt werden.“ Sie wartete, bis er tat, wie ihm geheißen, bevor sie ihren Sack nach einem zweiten Beutel und einer Schale durchwühlte, die sie Tommy reichte. „Vermisch das auch mit Wasser. Das betäubt den Schmerz, wenn wir mit dem Reinigen fertig sind.“

„Sollten wir sie nicht betäuben, bevor wir die Wunde reinigen?“, fragte einer der Männer etwas besorgt. „Es wird fürchterlich wehtun.“

„Nein, erst die Wunde säubern und danach den Rücken betäuben“, beharrte Morag. Dann zog sie ein Stück Leder aus dem Sack und rückte näher zu ihrer Schutzbefohlenen heran. „Kyla, mein Kind. Wir müssen die Wunde wieder reinigen.“

Verwirrt blickte das Mädchen hoch. Angst und Schrecken spiegelten sich auf seinem Gesicht, doch schließlich öffnete es schicksalsergeben den Mund, und Morag schob ihm vorsichtig das Leder zwischen die Zähne.

Dann richtete sich die alte Frau unbeholfen auf, um zu sehen, ob alles bereit war, und nickte.

Galen zögerte. Die Medizin, die sie ihn mischen ließ, würde höllisch brennen, da war er sich sicher. Ihm selbst hatte man schon unzählige Male mit solchen Mitteln die Wunden gereinigt, und die Vorstellung, einer Frau derartige Schmerzen zuzufügen, war ihm unerträglich. Doch es half nichts, es musste sein. Er seufzte, holte tief Luft und träufelte die Tinktur über die Wunde.

Er hatte mit allem gerechnet: mit hysterischen Schreien und damit, dass sie sich aufbäumen und wie wild um sich schlagen würde. Er war darauf gefasst, sie festhalten zu müssen, und auch die anderen rechneten damit. Tommy hielt sich bereit, sie zu bändigen, und die Männer standen über den Rand des Wagens gebeugt, die Hände ausgestreckt, um sofort eingreifen zu können. Doch sie alle hatten sich geirrt. Die zarte englische Frau, die Galen erbeutet hatte, versteifte sich nur, ihr Körper wurde so hart wie die Klinge, die sie verletzt hatte, und außer einem leisen Wimmern und dem Knirschen des Leders zwischen ihren Zähnen war nichts zu hören.

Galen wäre es anders lieber gewesen. Es war ihm unerträglich, Zeuge dieses stillen Leidens zu sein. Hätte sie geschrien und getobt, wären sie zumindest alle so sehr mit ihr beschäftigt gewesen, dass sie die Qualen, die sie litt, nicht derart mitempfunden hätten. Doch so konnten sie nur tatenlos verfolgen, wie die Medizin in die Verletzung eindrang und die Entzündung buchstäblich herausbrannte.

Fast unmittelbar nachdem Galen die reinigende Tinktur auf die Wunde geträufelt hatte, machte Tommy Anstalten, die schmerzlindernde Salbe aufzutragen. Doch Morag hielt ihn zurück. Die Männer richteten sich auf und beobachteten nun, wie die junge Frau, die ihnen so zerbrechlich erschienen war, gegen ihre Schmerzen ankämpfte. Ihr Gesicht, zunächst kreidebleich, verfärbte sich, erst grau und dann bläulich. Schweißperlen liefen ihr über die Wangen, ihre Hände verkrallten sich in das Tuch, auf dem sie lag und das sie, von Schmerzen gepeinigt, zu zerreißen drohte. Allein dies mit anzusehen war schon eine Qual, und alle atmeten erleichtert auf, als Morag Tommy schließlich mit einer stummen Geste anwies, die von ihm zubereitete Salbe aufzutragen.

Unverzüglich folgte er dieser Aufforderung. Und woraus auch immer dieser Balsam bestehen mochte, er tat seine Wirkung. Kaum hatte Tommy ihn aufgetragen, seufzte Kyla erleichtert auf und sackte in sich zusammen. Völlig erschöpft lag sie nun, kraftlos wie eine Stoffpuppe, auf ihrem Tuch.

„Da.“ Morag hielt Galen einen frischen Verband hin und gab ihm Anweisungen, wie er ihn anlegen sollte. „Und dann lass sie auf dem Bauch liegen und deck sie zu!“

„Und was ist mit dir?“, fragte Galen barsch, nachdem er alles wie geheißen für das Mädchen getan hatte.

Die Anteilnahme, die sich hinter seinem rauen Ton verbarg, überraschte Morag. Dennoch ging sie nicht auf seine Frage ein, sondern legte sich auf ihr Fell. „Ich muss mich ein wenig ausruhen.“

Schweigend sah er sie an, dann wanderte sein Blick zu der Frau neben ihr. Sie schien eingeschlafen zu sein. „Woher hat sie diese Verletzung?“

„Was habt Ihr mit ihr vor?“

Galens Miene verfinsterte sich. „Es steht dir nicht zu, das zu fragen.“

Morag zuckte nur mit der Schulter und wandte sich von ihm ab. Solange sie keine Antwort auf ihre Frage bekäme, würde er auch nichts von ihr erfahren.

Galen seufzte ungeduldig. „Es wird ihr nichts geschehen. Ich beabsichtige, sie zu heiraten.“

Verwundert musterte Morag ihn von oben bis unten. Er war hoch gewachsen, gut gebaut, muskulös. Seine Gesichtszüge waren fein geschnitten. Er wirkte stark und anziehend. Natürlich war sein Haar eine Spur zu rötlich, als dass sie ihn als wirklich gut aussehend bezeichnet hätte. Sie konnte rote Haare nicht ausstehen. Dennoch, alles in allem hätte es ihre Kleine schlechter treffen können. Vor allem, wenn er tatsächlich der war, für den sie ihn auf Grund seiner doch ziemlich roten Haare hielt. „Seid Ihr Galen der Rote?“

Bei dieser Frage hob er unwillkürlich den Kopf, sein Körper straffte sich, dann sagte er hochmütig: „Ich bin Galen MacDonald. Anführer des MacDonald-Clans.“

Die Alte nickte bedächtig, und auf ihrem von Falten durchzogenen Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab. „Ich nehme an, als Chief der MacDonald habt Ihr es nicht nötig, die Braut eines anderen zu rauben, um eine Frau zu bekommen. Also habt Ihr Kyla aus einem ganz bestimmten Grund gewählt.“

Galen blickte verärgert drein, doch dann erwiderte er kühl: „Aus Rache will ich mich mit ihr vermählen. MacGregor ist schuld am Tod meiner Frau und meines Kindes, deswegen habe ich seine Braut in meine Gewalt gebracht. Nun wird sie die Mutter meiner, nicht seiner Kinder sein.“

Morag seufzte ergeben. Highlander waren bekannt für ihre Fehden. Und wie es aussah, war Kyla mitten in eine solche hineingeraten. Immerhin, nach allem, was sie über MacGregor und seine Gewalttätigkeit wusste, hatte ihr Schützling mit MacDonald das bessere Los gezogen … So lange jedenfalls, wie er seine Rachegelüste gegenüber diesem MacGregor nicht an dem Mädchen ausließ. Sie würde sich etwas einfallen lassen müssen, um das zu verhindern.

Galen gab Morag mit einer Geste zu verstehen, dass er nun nicht weiter gewillt war, über seine Angelegenheiten mit ihr zu reden. Sie schob also fürs Erste ihre Überlegungen, wie sie ihn dazu bringen könnte, Kyla zu verschonen, beiseite und begann stattdessen, von der Kühnheit ihrer Herrin zu erzählen. „Kyla, ihr Bruder und seine junge Gemahlin machten ein Picknick im Wald von Forsythe. Sie wurden angegriffen. Johnny wurde von einem Schwert durchbohrt, und Kyla wurde jene Verletzung beigebracht, die Ihr gesehen habt, sowie einige blaue Flecken.“

„Und die junge Gattin?“

„Hat keinen Kratzer abbekommen“, antwortete Morag trocken. Kurz hielt sie inne, bevor sie hinzufügte: „Kyla wäre wahrscheinlich nichts passiert, wenn sie ihrem Bruder nicht zu Hilfe geeilt wäre. Sie hatten ihn schon schwer verletzt und wollten ihm gerade den Kopf abschlagen. Da warf sie sich schützend über ihn. Deshalb diese Wunde auf ihrem Rücken. Die Angreifer ließen die beiden einfach liegen, sie meinten wohl, sie würden bald sterben. Ich glaube, Kyla wäre auch gestorben. Aber da sie noch bei Bewusstsein war, hat sie mitbekommen, wie diese Schlange von Catriona, Johnnys Frau, die Angreifer für ihre Dienste entlohnte, sie gab ihnen einen Beutel, prall gefüllt mit Münzen.“

Galen und Tommy fluchten, Duncan indes blickte die alte Frau fassungslos an. „Die Gattin bezahlte für ihrer beider Tod?“

„Nein.“ Die Antwort klang zunächst etwas unsicher, doch dann schüttelte die Alte energisch den Kopf. „Nein, nicht für beide. Nur für Johnny. Eigentlich war nicht geplant, dass Kyla an dem Tag dabei war. Aber Johnny hat sie im letzten Augenblick eingeladen. Ein Glück für ihn. Wenn er das alles überlebt, hat er es ihr zu verdanken.“

Zustimmendes Gemurmel war rundum zu hören, und alle Augen richteten sich auf die junge Frau. Die Männer erinnerten sich wieder an den Anblick der Wunde auf ihrem Rücken, und manch einer sah im Geiste den Kopf eines Unbekannten über irgendeine Lichtung rollen.

„Sie hat ihm das Leben gerettet, da gibt es nichts dran zu rütteln“, donnerte Robbie.

„Ja. Trotzdem ist es ein Wunder, dass sie überlebt hat“, brummelte Angus. „Sie hat wirklich Kampfgeist, genug für zehn Männer.“

„Widerstandsgeist, Trotz“, wiederholte Morag, „und Wut. Sie war so wütend, als sie mitkriegte, dass Catriona diesen Anschlag geplant hatte, und nur diese Wut hielt sie am Leben.“

Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann wandte sich Galen zu der alten Frau: „Und deine Wunden?“

Morag seufzte. „Nachdem die gedungenen Mörder weg waren, ritt Catriona zur Burg zurück und schickte Männer aus, die Toten zu holen. Als sie zurückkehrten, war sie gerade dabei, ihre Trauergewänder herauszusuchen. Ich ließ die Geschwister in Kylas Gemach legen, um sie besser pflegen zu können. Wir waren alle so beschäftigt damit, die Wunden der beiden zu versorgen, dass ich ganz vergaß, Lady Forsythe die Nachricht zu überbringen, dass ihr Mann noch am Leben sei. Als sie schließlich fragte, wohin man ihn gebracht habe, sagte man ihr lediglich, er sei in Kylas Gemach. Es war ein ziemlicher Schlag für sie, die beiden lebend vorzufinden“, berichtete Morag sachlich. „Lady Forsythe liebt keine Überraschungen.“

„Sie hat dich geschlagen.“ Angewidert schüttelte Duncan den Kopf, als er diese Vermutung aussprach.

„Nein, nicht geschlagen. Sie hat mich nur geschubst. Aber in ihrem Zorn versetzte sie mir einen solch kräftigen Stoß, dass ich über einen Stuhl fiel. Meine Knochen sind nicht mehr so kräftig wie früher. Hätte ich gewusst, dass sie diesen Überfall geplant hatte, wäre ich vorsichtiger gewesen. Aber ich hegte nicht den geringsten Verdacht, bis Kyla es mir auf dem Weg hierher erzählt hat.“

Galen schwieg eine Weile, dann sagte er: „Dann hat diese Catriona also Kylas Vermählung mit MacGregor arrangiert, um zu verhindern, dass das Mädchen irgendjemandem erzählt, was es gesehen hat?“

Morag schüttelte den Kopf. „Catriona weiß nichts davon, dass Kyla sie bei der Bezahlung der Angreifer beobachtet hat. Sie wollte sie einfach nur loswerden, egal wie. Sie nahm in Kauf, dass Kyla unterwegs sterben könnte. Zudem ist es für Catriona einfacher, ihren Gatten umzubringen, wenn Kyla fort ist.“

„Und du hast das zugelassen?“, platzte Duncan heraus. „Du schaust zu, wie sie einfach deinen Herrn umbringt?“

„Bis zur zweiten Nacht unserer Reise wusste ich nichts davon“, fuhr Morag ihn an. „Kyla war so lange bewusstlos. Als sie schließlich wieder zu sich kam und es mir erzählen konnte, hatten wir uns schon zu weit entfernt, als dass wir etwas hätten tun können. Die Eskorte, die uns auf Geheiß von Catriona begleitete, bestand ausschließlich aus ihren eigenen Männern, alles Männer, die sie mitgebracht hat, als sie sich mit Kylas Bruder vermählte. Sie waren ihr treu ergeben. Keiner von ihnen hätte geglaubt, was das Mädchen gesehen und gehört hatte, und erst recht wäre keiner umgekehrt, um Lord Forsythe zu warnen.“

„Kennst du jemanden, dem du eine Nachricht schicken könntest, damit er ihm zu Hilfe kommt?“, fragte Galen ruhig.

Morag dachte kurz nach. „Lord Shropshire, ein guter Freund, der in der Nähe lebt. Er könnte die Dinge im Auge behalten, wenn man ihn darum bittet. Falls es nicht schon zu spät ist.“

Galen nickte und blickte dann auf seine künftige Braut hinunter. „Ich brauche etwas von ihr, das er wieder erkennt.“

„Wofür?“, fragte Morag.

„Sie ist nicht in der Verfassung, eine Nachricht zu schreiben. Wenn ich auch ein oder zwei Mal am englischen Hof mit Lord Shropshire gesprochen habe, gibt es für ihn keine Veranlassung, meiner Behauptung Glauben zu schenken, dass diese Nachricht tatsächlich von Lady Kyla kommt, ohne einen Beweis dafür zu haben. Wir brauchen irgendeinen persönlichen Gegenstand von ihr, der ihn davon überzeugt, dass wir ihn nicht in eine Falle locken wollen.“

Morag schwieg nachdenklich, dann bückte sie sich und schob Kylas Haare beiseite, sodass sie ihr das Medaillon vom Hals nehmen konnte. „Das wird er wieder erkennen. Sie hat es immer schon getragen. Es gehörte einst ihrer Mutter, und ihr Herz hängt sehr daran; sie muss es unbedingt zurückbekommen.“

„Sie wird es zurückbekommen“, versicherte Galen ihr ruhig, und das Gemurmel der Männer um sie herum bekräftigte sein Versprechen.

„Lasst mich die Botschaft überbringen, Mylaird.“ Duncan sah Galen entschlossen an. „Ich versichere, das Amulett unbeschadet zurückzubringen.“

Mit einem Nicken willigte Galen ein und reichte Duncan das Medaillon. Er warf einen kurzen Blick auf die verwundete Frau, die er bald heiraten würde, wandte sich dann ab und sprang vom Wagen. „Ich schreibe jetzt die Nachricht, die du ihm übermitteln wirst.“

3. KAPITEL

Die alte Frau möchte mit Euch reden.“

Als Galen Tommys Worte vernahm, drehte er sich mit sorgenvollem Blick nach dem Wagen um. Nun war es schon drei Tage her, dass sie die Braut von MacGregor entführt hatten, und noch immer waren sie nicht zu Hause. Er hatte dem Kutscher befohlen, nicht zu schnell zu fahren, um den Frauen unnötige Erschütterungen zu ersparen, und so waren sie nur sehr langsam vorwärts gekommen. Außerdem musste Kylas Wunde immer wieder versorgt werden, gerade vor einer halben Stunde erst hatten sie deshalb wieder angehalten, ein letztes Mal, so hatte Galen gehofft. Denn sie waren nur noch zwanzig Minuten von der Küste entfernt und damit auch von dem Schiff, das sie auf seine Insel bringen würde. Sobald die junge Frau dort in seiner Obhut wäre, würde sie sicherlich gesund werden.

Wegen des hohen Fiebers war sie die meiste Zeit gar nicht richtig bei Bewusstsein, sie stöhnte und seufzte und redete oftmals ganz wirr. Galen hatte sich selbst um sie gekümmert und dabei ihren Worten gelauscht. In ihrem Fieberwahn schien sie irgendwelche zurückliegenden Ereignisse noch einmal zu durchleben, und meist hielt sie ihn dann für ihren Bruder. So war sie während dieser letzten drei Tage zusammen mit ihm in einem Fluss geschwommen, sie hatte ihn beim Schach geschlagen und bei einem Pferderennen besiegt … all dies, ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen.

Galen war ganz angetan von jenem Witz und Esprit, der aus ihren Worten herausklang. Seinen Männern ging es nicht anders, und so verbrachten sie viel Zeit in ihrer Nähe und wachten über ihre zukünftige Herrin. Seinen Gesprächen entnahm er, dass sie ihr Temperament und ihren Mut bewunderten. Besorgt nahmen sie sich ihrer an, wie ein Haufen alter Weiber.

Doch auch er selbst war besorgt. Das Fieber war immer mal etwas heruntergegangen, doch dann wieder gestiegen, und meist höher gestiegen, als es zuvor war. Galen war erleichtert, dass sie nun bald seine Burg erreichten, in wenigen Stunden würden sie dort ankommen, das hatte er auch der alten Dienerin gesagt. Wenn Morag ihn also jetzt rufen ließ, musste es der jungen Frau schlechter gehen.

Mit klopfendem Herzen ritt Galen zum Wagen. Ein einziger Blick auf Kyla bestätigte all seine Befürchtungen.

„Es ist das Fieber“, erklärte ihm Morag völlig überflüssigerweise.

„Sieht aus, als würde sie frieren“, murmelte Angus, der wie die anderen auch näher herangekommen war. „Sollten wir sie nicht zudecken?“

„Nein, keine zusätzliche Wärme! Wir brauchen etwas zum Abkühlen, und zwar schnell – ich fürchte, sie wird das sonst nicht ganz unbeschadet im Kopf überstehen.“ Erschrocken blickten alle auf Morag, doch diese bemerkte nur trocken: „Nicht dass sie vorher nicht auch schon etwas daneben war.“

„Was sagst du da?“, fuhr MacDonald sie an.

Ein verschmitztes Lächeln huschte über Morags Gesicht: Diese Behauptung war Teil ihres Plans, den sie zum Schutz ihrer Kleinen ausgeheckt hatte. Welcher Mann wollte schon eine Irre zur Frau? Und welcher Mann gar einen Erben von einer Verrückten? MacDonald würde Kyla also in Ruhe lassen, bis sie gesund genug wäre, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. So lange würden MacDonald und seine Männer dem Mädchen nichts zu Leide tun. Wenn Kyla später MacDonald dann wirklich heiraten wollte, konnte Morag immer noch alles aufklären.

„Was willst du damit sagen, dass sie früher auch schon etwas daneben war?“, fragte MacDonald in scharfem Ton.

Morag wartete ein wenig mit der Antwort. „Nun ja, das ist in ihrer Familie erblich, ich meine der Wahnsinn, väterlicherseits natürlich. Schlechtes englisches Blut“, fügte sie hinzu. „Ihre Großmutter ist mit dreißig verrückt geworden. Das deutete sich aber schon viel früher an, als sie etwa so alt war wie Kyla jetzt. Auch bei meiner Kleinen gibt es leider schon Anzeichen dafür. Und das Fieber beschleunigt zweifelsohne das Fortschreiten der Krankheit.“

„Was ist mit ihrem Bruder?“, fragte Duncan. „Hat er ebenfalls den Verstand verloren?“

Morag zögerte. Zu behaupten, Kyla sei verrückt, war eine Sache, eine andere, ihren Herrn als wahnsinnig zu bezeichnen. Schließlich schüttelte sie den Kopf und meinte: „Nein, es ist ein Leiden, das nur an die Frauen vererbt wird.“

Einen Augenblick herrschte Schweigen, bis Kyla mit einem Stöhnen die Blicke aller auf sich zog. Mit grimmiger Miene fragte MacDonald: „Was brauchst du zum Kühlen?“

„Ein Bad. Wasser, so kalt wie möglich.“

Autor

Lynsay Sands
Bekannt ist die kanadische Autorin Lynsay Sands für ihre historischen sowie übernatürlichen Geschichten, die sie mit ihrem speziellen Humor ausstattet. Sie hat eine Buchreihe über die Familie Argeneau verfasst, dabei handelt es sich um eine moderne Vampirfamilie. Für ihre über 30 Bücher hat sie bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. Ihr erstes...
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