Süße Überraschung für den Milliardär

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Wie konnte Gwen ihm die süßen Folgen ihrer Affäre vorenthalten? Der spanische Milliardär Rio Bardales wird sich ab sofort um sie und das Baby kümmern – natürlich nur aus Pflichtbewusstsein! Denn auch wenn er Gwen mehr als je zuvor begehrt, hat er der Liebe schon lange abgeschworen …


  • Erscheinungstag 16.05.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529556
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die klassische Musik, die aus den Lautsprechern tönte, ging beinah im Lärm der uniformierten Schüler unter, die johlend in die Aula strömten und die Stühle auf dem alten Holzfußboden zurechtrückten.

Obwohl mehrere ihrer Kollegen unwirsch die Stirn runzelten, registrierte Gwen das Tohuwabohu in der alten Tudorhalle kaum. Ihre Gedanken kreisten um ihre kleine Tochter, die keine fünfhundert Meter entfernt in der Kindertagesstätte war. Genau diese Kita hatte damals bei ihrer Entscheidung, die Stelle als Lehrerin hier an der Mere Grange anzunehmen, den Ausschlag gegeben.

Nach einer unruhigen Nacht war Ellie heute Morgen überraschend munter gewesen, ihre Temperatur normal. Als Gwen sich in der Kita von ihr verabschiedet hatte, hatte die Kleine nur ein wenig geklammert, aber Gwen hatte sich trotzdem Sorgen gemacht.

„Es geht ihr gut. Jetzt hör schon auf, dich verrückt zu machen.“

Reumütig lächelnd drehte sich Gwen zu ihrer Freundin Cassie um, Leiterin des Fachbereichs Englisch. „Woher weißt du, was ich denke?“

„Weil du dir ständig Sorgen um sie machst, auch wenn du versuchst, dir nichts anmerken zu lassen. Alleinerziehende haben es eben nicht leicht.“

Gwen senkte den Blick. Cassie wusste mehr über sie als ihre anderen Kollegen, so auch, dass Ellies Vater nicht Brite war und sie nicht zusammen waren.

Ellies Vater … Entschlossen versuchte Gwen, das Gesicht zu verdrängen, das es wieder einmal geschafft hatte, vor ihrem inneren Auge Gestalt anzunehmen. Was vor allem dann passierte, wenn sie in Ellies schöne Augen schaute, die denen ihres Vaters so ähnelten.

Als rechts von ihr ein leiser Aufschrei ertönte, wandte Gwen den Kopf. „Oje! Da muss ich wohl mal nach dem Rechten sehen.“ Ihre Klassenzimmerassistentin Ruth schien größte Mühe zu haben, die zwanzig vor Energie strotzenden Erstklässler zu bändigen.

„Viel Erfolg“, sagte Cassie und fügte hinzu: „Aber beeil dich. Der Direktor hat ausdrücklich betont, dass das ganze Kollegium zusammenkommen soll.“

„Ich glaube kaum, dass ein demütig gebeugter Kopf weniger die Großzügigkeit unserer edlen Sponsorin beeinträchtigt. Bis gleich.“

Gwen bekam den Ausreißer gerade noch rechtzeitig zu fassen, bevor dieser durch einen Notausgang ausbüxen konnte.

„Stopp, Max, hier geht’s lang.“ Kurz legte sie dem Jungen die Hand auf den roten Lockenkopf, bevor sie seine Hand nahm und ihn zurück an seinen Platz führte. „Oh, du sitzt neben William. Das ist aber gar keine gute Idee. Rutsch rüber, Sophie, dann kann Max sich neben dich setzen. Und pass gut auf, dass er auch wirklich sitzen bleibt“, wies sie das Mädchen augenzwinkernd an, bevor sie den Gang hinunter zu Ruth ging. „Jetzt wäre Ihnen fast einer entwischt.“

„Tut mir leid, Miss Meredith“, sagte Ruth, ebenso dankbar wie verlegen lächelnd.

Gwen lächelte zurück. Obwohl es ihr immer noch schrecklich altmodisch vorkam, wenn die junge Frau, die sogar ein Jahr älter war als sie, sie Miss nannte. Aber das war hier an dieser renommierten, sehr konservativen Privatschule nun mal so üblich. Es gab strenge Hierarchien, die einzuhalten waren, und dass sich die Kolleginnen und Kollegen beim bloßen Vornamen nannten oder gar Beziehungen eingingen, war höchst selten.

Doch Gwen war ohnehin nicht an Beziehungen interessiert. Manchmal überlegte sie, ob ihre Libido vielleicht schon abgestorben war. Aber diese Momente waren selten, und die restlichen neunundneunzig Prozent ihrer Zeit war sie zu erschöpft, um auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden.

Romantik nahm in ihrem derzeitigen Leben einen ausgesprochen niedrigen Stellenwert ein. Woran sich nach den Erfahrungen, die sie mit Ellies Vater gemacht hatte, vielleicht auch nie wieder etwas ändern würde. Im Moment jedenfalls sehnte sie sich vorwiegend nach mehr Schlaf oder etwas mehr Freizeit. Sexuelles Verlangen spielte keine Rolle. Wahrscheinlich hatte sie dieses Kapitel schlicht und ergreifend hinter sich gelassen.

„Alles gut, Ruth.“

„Max schneidet mir dauernd Grimassen, Miss“, beklagte sich Sophie.

„Max!“

Gwens rügender Blick streifte den Rotschopf, der prompt so tat, als ob nichts wäre. Dann schaute Gwen auf den Rest ihrer Schutzbefohlenen, die die ersten zwei Sitzreihen füllten. Sie wartete, bis sie die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Schüler hatte, und legte vielsagend einen Finger an die Lippen. Das Ergebnis als Stille zu bezeichnen wäre übertrieben gewesen, aber immerhin war die Gefahr, dass ein Kind aus der Reihe tanzte, vorerst gebannt.

„Ich frage mich bloß, wie Sie das schaffen“, sagte Ruth bewundernd.

Gwen belohnte ihre Schüler mit einem anerkennenden Nicken und stellte ihnen einen Wandertag in Aussicht, vorausgesetzt, sie hielten durch. Noch ehe sie sich zum Gehen wenden konnte, wurde es leiser, was bedeutete, dass sie es nicht mehr unbemerkt auf ihren Platz schaffen würde. Deshalb setzte sie sich neben Ruth, und dann trat auch schon der Direktor auf die Bühne.

Sobald es still geworden war, begann er mit sonorer Stimme zu sprechen. Gwen, die immer noch mit einem Ohr bei ihrer Klasse war, hörte kaum zu und hoffte, dass sich der Gastredner wenigstens nicht ganz so gern selbst reden hörte wie der Direktor.

„Und jetzt hat Mr. Bardales das Wort.“

Bardales …? Moment mal, hier ging es doch um den Cavendish-Preis, oder? Der Name Bardales war Gwen in einem völlig anderen Zusammenhang bekannt.

Es durchzuckte sie heiß, ihre Lippen begannen zu zittern, und ihr Herz fing an zu rasen. Was war das denn? Ein Panikanfall? Bitte nicht schon wieder!

Ganz ruhig, Gwen. Sehr bewusst und durch leicht geöffnete Lippen atmete sie langsam aus, während sie versuchte, ihre Panik niederzukämpfen.

Sie rieb sich die Oberarme, auf denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte. Sie hasste sich dafür, dass sie so hysterisch reagierte, was ihr zum Glück schon länger nicht mehr passiert war. Zuletzt vor zwei Monaten, als in einem Einkaufszentrum plötzlich ein dunkler Kopf in der Menge aufgetaucht war. Da hatte sie sofort Herzklopfen und einen ganz trockenen Mund bekommen, aber gleich darauf hatte sie den Mann im Profil gesehen und ihren Irrtum bemerkt. Zurückgeblieben war nur die Verärgerung über sich selbst, weil sie immer noch nicht wirklich auf der sicheren Seite war.

So, wie sie sich auch jetzt wieder über sich selbst ärgerte, als sie den Kopf in den Nacken legte und Ausschau nach dem Grund für ihren Panikanfall hielt.

Und prompt erlebte sie einen Flashback, dem zu entkommen schlicht unmöglich war. Plötzlich wurde die Zeit um drei Jahre zurückgedreht, und Gwen war wieder in New York.

Die Bar war ebenso cool und elegant wie die Gäste, und Gwen auf ihrem hohen Barhocker passte bestens hier rein. Sie war cool, elegant und gehörte dazu. Oder zumindest sah sie so aus, und allein darauf kam es an. Bald würde sie sich auch nicht mehr wie eine Schauspielerin fühlen, die eine Rolle spielte. Schließlich war sie erst seit drei Monaten in New York, und ein echtes Zugehörigkeitsgefühl entwickelte sich bekanntlich nicht über Nacht. Deshalb hatte sie beschlossen, sich auf das Positive zu konzentrieren, nämlich darauf, dass sie mit ihrem Fünfjahresplan einen super erfolgreichen Start hingelegt hatte.

Sie hatte kaum einen Monat gebraucht, um sich einzuarbeiten, stets darauf bedacht, einen guten Eindruck zu machen. Dafür tat sie, was sie auf der Universität auch getan hatte, um einen vorzeigbaren Abschluss zu bekommen: Sie konzentrierte sich voll und ganz auf ihre Arbeit. Zwar gab es Leute, die es sich leisten konnten zu feiern und trotzdem gute Noten bekamen, aber Gwen hatte gewusst, dass sie nicht zu ihnen gehörte. In New York war ihr jedoch schon nach wenigen Wochen klar geworden, dass sie hier auf diese Weise nicht weiterkommen würde. Einfach nur ein paar Überstunden zu machen reichte nicht, jetzt galt es, nach Büroschluss in feuchtfröhlicher Atmosphäre auch noch zu netzwerken.

Als sie zum ersten Mal mit in die Bar gegangen war, war sie in ihrem Businessdress noch unangenehm aufgefallen, aber inzwischen hatte sie sich zu einer Art Expertin entwickelt, was den gleitenden Übergang vom Tag in den Abend anbelangte. Mittlerweile reichten ihr fünf Minuten, um sich auf der Damentoilette entsprechend umzustylen.

Wie alles in ihrem Leben war auch das nur eine Frage der Organisation. Zuerst das Make-up auffrischen, einen neuen Lippenstift in einem knalligen Rot auftragen, den Pferdeschwanz lösen, sodass ihr das Haar in glänzenden Wellen über den Rücken fiel. Anschließend tauschte sie die diskreten Ohrstecker gegen ein Paar Art-déco-Kristalltropfen aus.

Den maßgeschneiderten Blazer, den sie tagsüber bei den Meetings getragen hatte, verstaute sie ordentlich gefaltet zusammen mit ihren halbhohen Pumps in ihrer großen Designertasche. Dann peppte sie ihr schlichtes schwarzes Kleid mit einem Art-déco-Pendant in Übergröße auf, dazu spitze schwarze Stiefeletten. In maximal zwei Minuten war die Sache erledigt.

Es war ganz erstaunlich, wie weit man mit guter Organisation kommen konnte, und Gwen war unglaublich fokussiert. Sie ließ sich nicht ablenken und plante jeden Schritt im Voraus. Wer Beachtung finden wollte, musste fleißig sein und einen Schnellstart hinlegen. Irgendwann hatte sie auf der Damentoilette zufällig ein Gespräch mit angehört und sich gefragt, wer diese ehrgeizige Person wohl sein mochte, über die da hergezogen wurde.

Bis ihr Name gefallen war.

„Du bist doch bloß neidisch, Trish, weil Gwen das Gesicht und den Körper hat, um sich hochzuschlafen.“

Erst war sie verletzt zusammengezuckt, doch dann hatte sie spöttisch den Mund verzogen, schließlich war hier so etwas normal. Die Wut, die sie damals verspürt hatte, war inzwischen verraucht, obwohl sie merkte, dass sie sich allein bei der Erinnerung daran immer noch verspannte. Sie legte sich eine Hand in den Nacken und drehte den Kopf von links nach rechts, um ihre Schultermuskulatur zu lockern.

Eines allerdings stimmte: Sie war ehrgeizig und wollte unbedingt Erfolg, auch wenn sie im Leben nicht auf die Idee gekommen wäre, sich hochzuschlafen. So etwas von ihr zu behaupten war schlicht gemein. Aber sie würde es ihnen schon noch zeigen.

„Du guckst so wütend!“ Louise, die bis zu Gwens Eintritt in die Firma die Neue in der Finanzabteilung gewesen war, musterte sie forschend. „Trinkst du auch noch was?“

Gwen hielt die Hand über ihr halbvolles Glas und schüttelte lächelnd den Kopf. Als sie sich abwandte, erhaschte sie in der verspiegelten Wand hinter der Bar einen Blick auf sich selbst. Ihre dicken kastanienbraunen Locken glänzten wie Seide. Die Unsummen, die ich bei diesem Starfrisör gelassen habe, waren eine gute Investition, dachte sie, während sie noch einen Schluck Wein trank. Heute Abend wollte sie es bei diesem einen Glas belassen, da sie mehr als das prickelnde Gefühl, hier in dieser aufregenden Stadt zu sein, gar nicht brauchte.

Gwen musste sich vorbeugen, um verstehen zu können, was die Kollegin neben Louise zu ihr sagte.

„Alle finden deinen schottischen Akzent so süß.“

Soll mir recht sein. Gwen setzte ein Lächeln auf. Obwohl sie keine Schottin, sondern Waliserin war. Aber es war zu laut hier, als dass sie dieses Missverständnis hätte aufklären können, auch wenn es sich anfühlte, als würde sie ihre walisischen Wurzeln verraten.

„Nicht hingucken jetzt, aber der Typ da drüben lässt dich nicht aus den Augen.“ Mit dem Kopf deutete Louise auf die Rauchglasscheibe, die die Bar von der Straße abschirmte. „Gwen! Nicht hinschauen, habe ich gesagt!“

„Mach ich doch gar nicht.“ Gegen eine Romanze zur richtigen Zeit war nichts einzuwenden, doch Gwen konnte sich derzeit keine Ablenkung leisten. Trotzdem war es natürlich ein gutes Gefühl, wenn jemand bemerkte, wie viel Mühe sie sich mit ihrem Outfit gegeben hatte.

Louise trank einen Schluck von ihrem Cocktail und seufzte, dann reckte sie den Hals, um einen Blick über Gwens Schulter zu werfen. „Der Mann ist wirklich absolut … oh, mein Gott!“ Sie keuchte und flüsterte aufgeregt: „Achtung, er kommt!“

Bevor sie ihn sah, hörte Gwen seine Stimme, tief, leicht heiser, mit einem samtigen Unterton und einem ganz feinen, umwerfenden Akzent. Sie bemerkte, dass ihre Lippen, die sie gerade zu einem schwachen Lächeln verzogen hatte, anfingen zu zittern, während sie heftig erschauerte.

Dieselbe Stimme riss Gwen jetzt aus ihren Erinnerungen an die Szene in der New Yorker Bar. Aus den Erinnerungen an den Moment, in dem ihr Fünfjahresplan wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen war. Jetzt saß sie in der Aula der Mere Grange, wo Rio Bardales, Milliardär und Erbe des Bardales-Imperiums, seine Zuhörerschaft um den kleinen Finger wickelte. Um den kleinen Finger dieser kräftigen braunen Hand, die Gwen plötzlich wieder so deutlich vor Augen stand. Diese Hand mit den eleganten schlanken Fingern, die über helle Haut geglitten waren … ihre Haut … Sie keuchte und blinzelte heftig, um die unerwünschten Bilder aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Alle klatschten, bis auf Gwen, die erstarrt dasaß. Sie wusste, dass sie so schnell und so weit wie möglich davonlaufen sollte, aber sie war wie gelähmt.

Und in ihrem Kopf hallte endlos ein einziger Gedanke wider: Das kann nicht sein, das kann einfach nicht wahr sein.

„Er sieht aus wie ein Filmstar.“ Ruths bewunderndes Flüstern schleuderte sie zurück in den Strudel der Erinnerungen, gegen den sie machtlos war. Damals hatte Rio auch einen Anzug getragen, der allerdings gewirkt hatte, als hätte er darin geschlafen. Was seinem atemberaubenden Aussehen jedoch keinen Abbruch getan hatte. Schlank und hochgewachsen, durchtrainiert, mit breiten Schultern und langen, eleganten Gliedern strahlte er eine natürliche Eleganz aus. Seine wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge waren anziehend genug, um jede Unterhaltung ins Stocken zu bringen. Die Augen, mandelförmig und fast schwarz mit langen dichten Wimpern, lagen zwischen dunklen Augenbrauen und ausgeprägten Wangenknochen, am energischen Kinn die Andeutung eines Grübchens. Am Ende aber war es sein atemberaubend sinnlicher Mund gewesen, der den Totalschaden in ihrem Nervensystem angerichtet hatte.

Gwen wurde schwindlig, als das alte Bild in ihrem Kopf von dem Bild des Mannes, der da vorn auf der Bühne stand, überlagert wurde. Jedes einzelne seiner Worte jagte ihr einen Schauer über ihre plötzlich viel zu heiße Haut.

Für sie fühlte es sich an, als müsste für jeden offensichtlich sein, was da gerade passierte, aber seltsamerweise fiel niemandem etwas auf. Jetzt füllte ein anerkennendes Lachen den gewölbeartigen Raum. Rio war charmant und unterhaltsam. Und wenn Hautkontakt im Spiel war, noch so viel mehr …

Sie biss die Zähne zusammen, presste die Lippen aufeinander, um den Schrei zurückzuhalten, der in ihrer Kehle aufstieg, und schloss die Augen. Denk nicht daran, Gwen … Doch zu spät. Erinnerungen daran, wie er zum ersten Mal ihren BH geöffnet und sie, ohne ihren Blick loszulassen, fest an seine nackte Brust gezogen hatte, überfluteten sie, und sie erschauerte.

Unzählige Eindrücke stürmten auf Gwen ein, wobei ihr ganz schwindlig wurde: die Wärme seiner Haut, sein sauberer Geruch, das lustvolle Kribbeln, als sich ihre harten Brustwarzen gegen seinen nackten muskulösen Brustkorb pressten.

Und sein Blick, der sie keine Sekunde losließ. Das Verlangen, das in seinen Augen loderte, ließ sie dahinschmelzen und ihre innere Stimme verstummen, die ihr riet, ihn zu warnen, dass sie noch Jungfrau war.

Aber warum sollte sie? Was wäre so schlimm daran, wenn sie ihre Unerfahrenheit für sich behielte? Vor allem da er ja bis jetzt nichts bemerkt zu haben schien? Plötzlich erkannte sie sogar Vorteile darin, mit einem Fremden zu schlafen: Man war einander nichts schuldig, auch keine Erklärungen. Ironischerweise war es genau das, worauf er sie wenige Tage später mit eisiger Stimme hinwies. In einem vor Verachtung triefenden Ton, den sie nie, niemals vergessen würde. „Ich schulde dir nichts, geschweige denn irgendwelche Erklärungen. Wir hatten Sex miteinander, mehr nicht.“

Die brutalen Worte trafen sie wie ein Vorschlaghammer, wobei jede einzelne zornig hervorgestoßene Silbe ihren Schmerz vergrößerte. Sie stand da, nur in seinem Hemd, das sie sich auf dem Weg ins Bad übergeworfen hatte, weil sie es immer noch nicht schaffte, sich so selbstverständlich splitternackt zu bewegen wie er. Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt und töricht, und plötzlich war ihr eiskalt.

Sie reckte das Kinn, klammerte sich verzweifelt an den letzten Rest Stolz, der ihr geblieben war. „Ich … ich … das dachte ich auch nicht.“ Was ja irgendwie stimmte. Sie wusste, dass ein paar leidenschaftliche Nächte noch lange keine Beziehung waren.

Auf einmal kam es ihr unfassbar naiv vor, dass sie auch nur eine Sekunde lang geglaubt hatte, etwas Besonderes für ihn zu sein. Und das nur, weil er irgendwann gesagt hatte, dass er mit ihr den besten Sex seines Lebens gehabt hätte.

Aber er hatte es nicht versäumt, seinen Standpunkt noch einmal mit brutaler Ehrlichkeit klarzumachen.

„Wir sind kein Paar. Du hast kein Recht, mich zu verhören.“

Es war nicht nötig, die Kälte in seinen Augen, die Arroganz, die er bei seinen Worten ausstrahlte, noch mit einem Fingerschnippen zu unterstreichen. Sie wusste auch so, dass er wollte, dass sie verschwand. Nicht nur aus seinem Bett, sondern auch aus seinem Leben.

„Mit wem ich schlafe, geht dich nichts an, geschweige denn, dass es dir zusteht, meine Korrespondenz zu durchwühlen.“

Gwen versuchte, ihm verständlich zu machen, dass sie das gar nicht getan hatte, es gelang ihr jedoch nicht. Vor allem weil es ja stimmte, sie hatte dieses Schreiben gelesen, wenn auch nur aus Versehen. Sie hatte das Blatt zusammen mit einem Papierstapel vom Fußboden aufgehoben, den sie im Vorbeigehen mit dem Ellbogen umgestoßen hatte. Als sie versucht hatte, alles wieder akkurat hinzulegen, war ihr Blick an einem Brief hängen geblieben. Und dann hatte sie unbewusst begonnen zu lesen …

„Ich war einfach nur überrascht, dass du ein Kind hast, das ist alles.“ Sie konnte spüren, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. „Bist du mit der Mutter zusammen? Oder … verheiratet?“

Er hob eine Augenbraue. „Und wenn? Würde das etwas ändern?“

In diesem Moment hätte sie ihn am liebsten geohrfeigt. Sie konnte keiner Fliege etwas zuleide tun, aber jetzt musste sie ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihn nicht zu schlagen.

Offenbar gehörte er zu den Männern, die auf einem Vaterschaftstest bestanden, wenn sie erfuhren, dass sie ein Kind gezeugt hatten.

Erneut zog er eine dunkle Braue nach oben und musterte Gwen verächtlich. Sie hatte früher schon verächtliche Blicke gesehen, aber ihr gegolten hatten sie noch nie.

„Was geht dich das eigentlich alles an?“, fragte er, nachdem sie schwieg.

„Gar nichts“, sagte sie tonlos, während der Beweis in Gestalt eines DNA-Tests zu Boden flatterte. „Außerdem besagt dieser Test ja nur, dass du ein Kind gezeugt hast, aber Vater zu sein bedeutet mehr als ein Code auf dem Papier. Deshalb kann ich nur hoffen, dass dieses Kind noch einen anderen Menschen in seinem Leben hat, der keinen Beweis dafür braucht, dass es zu ihm gehört.“

Sie stieß einen verächtlichen Laut aus, streifte sich sein Hemd ab, ließ es angewidert zu Boden fallen und ging.

2. KAPITEL

Rio ließ das höfliche Lachen abebben, bevor er fortfuhr. Seine Mutter, für die er hier einsprang, absolvierte solche Veranstaltungen im Schlaf und war untröstlich gewesen, dass sie verhindert war. Was man als Beweis dafür sehen konnte, dass es tatsächlich Leute gab, die sich gern an ihre Schulzeit erinnerten. Langsam ließ er den Blick über die Gesichter der Schüler gleiten, die zu ihm aufschauten.

Waren darunter einsame Kinder, die sich in den Schlaf weinten, sobald das Licht ausging? Nicht, dass er auf dem englischen Internat, auf das man ihn geschickt hatte, traumatisiert worden wäre. Nein, aber man hatte ihn vielleicht zum Verstummen gebracht.

Da er und sein Zwillingsbruder Roman sich gegenseitig unterstützt hatten, hatte er nie unter der Art Isolation gelitten, die viele andere Kinder erdulden mussten. Trotzdem würde er seine Kinder nie auf ein Internat schicken. Falls er jemals Kinder haben sollte, was extrem unwahrscheinlich war.

Als er spürte, dass das Handy in seiner Tasche vibrierte, widerstand er der Versuchung, die Anekdote abzukürzen, die er gerade zum Besten gab. Nichts an seiner Rede deutete darauf hin, dass er auf Autopilot geschaltet und nur einen einzigen Gedanken im Kopf hatte: nämlich den, wie er am schnellsten hier rauskam. Statt an seine Rede dachte er an das Rettungspaket, das er gerade für einen Freund geschnürt hatte. Jake war ihm so dankbar, dass Rio fast ein schlechtes Gewissen hatte. Dabei war es für ihn ein Leichtes gewesen zu helfen. Der Name Bardales war vertrauenswürdig und öffnete bei Banken Türen, die Leuten wie Jake, der zwar ein Technologiegenie war, aber kein milliardenschweres Unternehmen im Rücken hatte, verschlossen blieben.

Nachdem endlich alle Lobeshymnen verklungen waren und der Direktor der Schule seinen Monolog beendet hatte, beobachtete Rio lächelnd, wie ein großes Mädchen mit Locken, die so rot leuchteten wie ihr Gesicht, unter tosendem Beifall auf die Bühne kam.

Er überreichte ihr den Pokal, auf dem ihr Name eingraviert war, und einen Umschlag, der eine eher praktische Anerkennung in Form eines Schecks enthielt.

„Herzlichen Glückwunsch, Clarice. Sobald meine Mutter wieder mobiler ist, wird sie sich freuen, Sie kennenzulernen.“

Bis dahin würde seine normalerweise höchst umtriebige Mutter voraussichtlich eine nervige Patientin sein, frustriert von dem Gipsverband, den sie als Erinnerung von einem kürzlichen Skiurlaub mitgebracht hatte.

Er wich einen Schritt zurück und begann ebenfalls zu klatschen, als die Schülerin ans Mikrofon trat. „Vielen Dank, Mr. Bardales. Ich fühle mich sehr geehrt und wünsche Ihrer Mutter gute Besserung.“

Letztere betonte gern, dass das Zusammensein mit jungen Menschen sie jung hielt. Aber Rio fühlte sich in diesem Raum inmitten so vieler vor Idealismus strahlender Gesichter alt und sehnte sich nach einem kleinen Schuss jugendlicher Rebellion. Falls es hier irgendwelche Freigeister gab, tarnten sie sich gut.

Es fiel ihm schwer, seinen Zynismus zu kaschieren, während er den Blick erneut über die Schüler schweifen ließ und sich fragte, wie lange es wohl dauern mochte, bis es der realen Welt gelungen war, all diesen jugendlichen Idealismus auszumerzen.

Ein unterdrücktes Auflachen riss ihn aus seinen Gedanken. Rio verkniff es sich, mit den Augen zu rollen, als ihm zu seinem Schrecken klar wurde, dass er mit gerade mal einunddreißig Jahren alle Charaktermerkmale eines griesgrämigen alten Mannes aufwies. Was für die Zukunft nichts Gutes verhieß.

Schnell senkte er den Blick. Vielleicht brauchst du einfach nur mal wieder einen freien Tag. Oder eine Nacht mit einer schönen, intelligenten Frau, die sich nicht für sein Seelenleben interessierte, sondern sich einfach nur an seinem Körper erfreuen wollte.

Noch ehe er in angenehmen Fantasien versinken konnte, entstand am Rand seines Blickfelds Bewegung.

Endlich ein kleiner Aufstand! Rio konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während er beobachtete, wie ein Knirps aus der zweiten Reihe einen entschlossenen Fluchtversuch wagte.

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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