Tausend Sterne über der Wüste

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Scheich Aziz al Bakir und seine pikanten Geheimnisse: Olivia, seine schöne Haushälterin in Paris, kennt sie alle. Kein Wunder, dass sie schockiert ist, als der Wüstenprinz sie um einen Gefallen bittet. Nein - erpresst! Sie soll seinem Volk die verschwundene Verlobte vorspielen …


  • Erscheinungstag 12.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504430
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich brauche Sie, Olivia.“

Olivia Ellis verbot sich, auf Scheich Aziz al Bakirs Worte mit irgendeiner Gefühlsregung zu reagieren. Natürlich brauchte er sie. Um seine Bettwäsche zu wechseln, sein Silber zu polieren und sein Pariser Stadthaus auf der Île de la Cité in Schuss zu halten …

Das erklärte allerdings nicht, warum er sie plötzlich in den königlichen Palast von Kadar beordert hatte. Nicht einmal acht Stunden war es her, dass Olivia in Paris aufgebrochen war. Einer von Aziz’ Männern hatte sie aufgefordert, ihn unverzüglich im königlichen Jet nach Siyad zu begleiten, der Hauptstadt von Kadar. Erst vor wenigen Wochen war Aziz hier zum König gekrönt worden.

Olivia war nur sehr widerstrebend mitgekommen. Ihr gefiel ihr ruhiges Leben in Paris, der morgendliche Kaffee mit der Concierge, die mit Gartenarbeit verbrachten Nachmittage. Dieses Leben war zwar nicht besonders aufregend, aber sie war zufrieden damit – oder zumindest so zufrieden wie sie eben sein konnte …

„Wofür brauchen Sie mich, Eure Hoheit?“, fragte sie. Sie hatte den endlosen Flug nach Kadar damit verbracht, sich Argumente zurechtzulegen, warum sie in Paris unabkömmlich war. Sie musste dorthin zurück, sehnte sich nach der Sicherheit und Vertrautheit ihres dortigen Lebens.

„Nennen Sie mich Aziz.“

Olivia hatte nicht vor, sich von seinem charmanten Lächeln einwickeln zu lassen. Sie hatte oft genug beobachtet, wie er seine zahlreichen weiblichen Gäste herumbekam, hatte Spitzenunterwäsche von der Treppe gesammelt und den Frauen Kaffee eingeschenkt, wenn sie morgens mit zerzaustem Haar und geschwollenen Lippen aus seinem Schlafzimmer gekommen waren.

Sie selbst war völlig immun gegen den „Gentleman-Playboy“, wie die Klatschpresse ihn zu nennen pflegte. Der Spitzname war ein Widerspruch in sich, wie Olivia fand, aber sie musste zugeben, dass er nicht unberechtigt war. Aziz hatte Charisma. Das bekam man vor allem dann zu spüren, wenn er einem seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. So wie ihr jetzt.

„Und … Sie wünschen?“, fragte sie geschäftsmäßig, so als ginge es um die Gästeliste für eine Dinnerparty. Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr die fremde und exotische Umgebung sie einschüchterte. Und dass Aziz sie verunsicherte.

Er war zweifellos ein schöner Mann. Olivia hatte kein Problem damit, das zuzugeben. Schließlich würde auch niemand bezweifeln, dass Michelangelos Davidstatue ein tolles Kunstwerk war. Manchmal war Schönheit einfach unbestreitbar.

Aber selbst wenn sie eingestehen musste, dass Aziz ziemlich umwerfend aussah, brachte Olivia ihrem Arbeitgeber keinerlei tieferen Gefühle entgegen. Ihm nicht und auch niemandem sonst auf der Welt. Sie war dazu einfach nicht mehr fähig …

Verstohlen musterte sie sein tintenschwarzes Haar, das ihm verwegen in die Stirn fiel. Seine grauen Augen, die manchmal wie Silber funkelten. Seine überraschend vollen Lippen, die er gerade zu einem äußerst gewinnenden Lächeln verzog.

Und was seinen Körper anging … der war absolut perfekt – wohlproportioniert, muskulös und ohne ein Gramm Fett zu viel.

Aziz wandte sich nachdenklich zum Fenster, sodass er halb mit dem Rücken zu Olivia stand. Dass er ihre Frage nicht beantwortete, machte sie zunehmend nervös. „Sie sind jetzt seit sechs Jahren bei mir angestellt, stimmt’s?“, fragte er.

„Ja, richtig.“

„Ich war mit Ihrer Arbeit immer sehr zufrieden.“

Olivia verkrampfte sich unwillkürlich. Das klang verdächtig nach einer Entlassung. Aber ich fürchte, ich muss Ihnen mitteilen, dass ich für Ihre Dienste keinerlei Verwendung mehr habe …

Sie holte tief Luft. „Freut mich zu hören, Eure Hoheit.“

„Bitte nennen Sie mich Aziz.“

„In Anbetracht Ihrer neuen Position wäre es äußerst unangemessen, Sie beim Vornamen zu nennen.“

„Auch wenn ich es befehle?“ Er drehte sich wieder zu ihr um und hob spöttisch eine Augenbraue. Offensichtlich machte er sich über sie lustig.

Olivia presste missbilligend die Lippen zusammen. „Wenn Sie es befehlen, werde ich natürlich gehorchen“, antwortete sie kühl. „Ich werde mein Bestes tun, Sie künftig beim Vornamen zu nennen.“

„Sie haben immer schon Ihr Bestes gegeben, Olivia. Und genau deshalb brauche ich Sie.“

Olivia wurde immer unbehaglicher zumute. Wofür zum Teufel konnte er sie hier in Kadar brauchen? Diese Ungewissheit war ihr sehr unangenehm. In den letzten sechs Jahren hatte sie endlich so etwas wie Ruhe und bescheidenes Glück gefunden. Sie hatte schreckliche Angst, das wieder zu verlieren. Sich zu verlieren.

„Sie halten mein Haus in Paris tadellos in Schuss“, fuhr Aziz fort. „Hier jedoch habe ich eine etwas anders geartete Aufgabe für Sie. Keine Sorge, sie wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.“

Olivia hatte immer noch keine Ahnung, was er von ihr wollte. Immerhin würde es nicht lange dauern, was hieß, dass sie bald nach Paris zurückkehren konnte. „Das hoffe ich, Eure … Aziz.“

Er lächelte befriedigt. „Sehen Sie? Sie haben eine rasche Auffassungsgabe.“

Olivia ersparte sich einen Kommentar und ignorierte das ihr sehr unangenehme Aufflackern von … was auch immer Aziz’ Kompliment in ihr auslöste.

In Paris hatten sie sich immer nur über banale organisatorische Dinge unterhalten, sodass Olivia bisher nie das ungefilterte Charisma des Gentleman-Playboys zu spüren bekommen hatte. Außerdem fühlte sie sich fremd in dieser prachtvollen Umgebung. Kein Wunder, dass sie so nervös war. Sie setzte ein professionelles Lächeln auf. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.“

„Ich möchte Sie bitten, sich einen Moment zu gedulden.“ Aziz schenkte ihr ein weiteres charmantes Lächeln, bevor er zu seinem antiken Schreibtisch ging und auf einen Knopf drückte. Kurz darauf hörte Olivia ein Klopfen an der Tür.

„Herein“, sagte Aziz, und ein älterer Mann betrat den Raum.

„Eure Hoheit?“

Aziz lehnte sich lässig gegen den Schreibtisch. „Was sagen Sie zu ihr, Malik? Ist sie geeignet?“

Der Fremde musterte Olivia eingehend. „Ihr Haar …“

Aziz winkte ab. „Das wäre schnell erledigt.“

„Und die Augen?“

„Nicht nötig.“

Malik nickte langsam. „Sie hat etwa die gleiche Größe.“

„Sehe ich genauso.“

Der Mann drehte sich wieder zu Aziz um. „Ist sie diskret?“

„Absolut.“

„Dann wäre es machbar.“

„Es ist nicht nur machbar, Malik, es führt kein Weg daran vorbei. Ich gebe in einer Stunde eine Pressekonferenz.“

Malik schüttelte den Kopf. „Die Zeit reicht nicht.“

„Sie muss reichen. Sie wissen, dass ich nicht noch größere Unruhen riskieren kann.“ Aziz presste die Lippen zusammen und sah plötzlich gar nicht mehr wie der gut gelaunte, sorglose Playboy aus, den Olivia aus Paris kannte. „Wenn auch nur das kleinste Gerücht durchsickert, könnte das einen Bürgerkrieg auslösen.“

„Also gut, Eure Hoheit, ich werde alles Nötige vorbereiten lassen.“

„Danke.“

Nachdem Malik sich zurückgezogen hatte, drehte Olivia sich zu Aziz um. „Was zum Teufel ist hier los?“

„Ich muss mich für das Gespräch eben entschuldigen. Vermutlich sind Sie jetzt verwirrter denn je.“

„Allerdings“, erwiderte Olivia schärfer als beabsichtigt. Es hatte ihr nicht gefallen, wie die beiden Männer in ihrer Anwesenheit über sie gesprochen hatten … so als sei sie ein Stück Vieh. Sie war vielleicht Aziz’ Haushälterin, aber deshalb war sie noch lange nicht sein Eigentum. Außerdem hatte sie nicht die Absicht, je wieder einen anderen Menschen über sich oder ihr Leben bestimmen zu lassen.

Aziz hob einlenkend die Hände. „Tut mir leid, aber es hätte keinen Sinn gehabt, dieses Gespräch fortzusetzen, wenn Malik Sie nicht abgesegnet hätte.“

„Mich abgesegnet?“

„Ja. Wenn er Sie nicht für geeignet halten würde.“

„Wofür geeignet?“

Aziz seufzte. „Ich nehme an, Sie wissen nichts von den Bedingungen im Testament meines Vaters?“

„Nein.“

Er neigte den Kopf – eine völlig alltägliche Geste, die bei ihm jedoch äußerst anmutig wirkte. „Eigentlich müsste sich das inzwischen herumgesprochen haben.“

„Ich schenke dem Gerede der Leute keinerlei Beachtung.“ Elena ignorierte die Medien. Sie las noch nicht mal Klatschmagazine.

Aziz hob die Augenbrauen. „Aber Sie wissen doch, dass ich mit Königin Elena von Thallia verlobt bin?“

„Ja, selbstverständlich.“ Die Verlobung war letzte Woche öffentlich bekanntgegeben worden. Olivia wusste auch, dass die Hochzeit schon in den nächsten Tagen stattfinden sollte, hier in Kadar.

„Sie haben sich doch bestimmt schon gefragt, warum Königin Elena und ich uns so überstürzt verlobt haben.“ Aziz musterte sie aufmerksam.

Olivia zuckte die Achseln. „Das hängt sicherlich mit Ihrer neuen Position als Scheich zusammen.“

Aziz lachte bitter – etwas, das völlig untypisch für ihn war. „Kann man wohl sagen.“ Er presste die Lippen zusammen. „Mein Vater hat meine Entscheidungen nie gebilligt“, fuhr er nach einer Weile fort. „Ich habe den Verdacht, dass er mit seinen Forderungen in seinem Testament dafür sorgen will, dass ich in Kadar bleibe und mich an die Traditionen halte.“ Er zuckte die Achseln. „Oder er wollte mich einfach nur bestrafen, wer weiß?“ Sein Tonfall klang gleichgültig, aber Olivia sah für einen Moment so etwas wie Schmerz in seinen Augen aufflackern.

Diese Reaktion weckte ihre Neugier, doch sie verdrängte dieses Gefühl rasch. Aziz’ Beziehung zu seinem Vater oder zu sonst jemandem interessierte sie nicht, genauso wenig seine Emotionen. „Was für Forderungen?“

„Wenn ich Scheich bleiben will, muss ich innerhalb von sechs Wochen nach dem Tod meines Vaters heiraten.“ Aziz verzog verbittert das Gesicht.

Olivia hatte ihn noch nie so erlebt. „Er ist doch schon vor über einem Monat gestorben.“

„Richtig, Olivia. Sein Tod liegt genau fünf Wochen und vier Tage zurück. Und meine Hochzeit mit Königin Elena von Thallia ist für übermorgen angesetzt.“

„Wo liegt dann das Problem?“

„Ganz einfach“, sagte Aziz gefährlich sanft. „Elena ist verschwunden.“

„Verschwunden?“

„Ja. Sie wurde vorgestern von einem Rebellen entführt.“

Einen Augenblick fühlte sich Olivia wie erstarrt, doch sie hatte sich schnell wieder im Griff. „Ich … hätte nicht damit gerechnet, dass so etwas in einem zivilisierten Land passieren kann.“

„Sie wären überrascht, was überall passieren kann, wenn Macht im Spiel ist. Wie schnell Menschen dann intrigieren und Lügen verbreiten.“ Abrupt wandte er sich ab. Er wirkte plötzlich fast defensiv.

Wieder beschlich Olivia das Gefühl, dass sich eine sehr persönliche Geschichte hinter seinen Worten verbarg. In den sechs Jahren ihrer Anstellung bei Aziz hatte sie ihn immer nur so wahrgenommen, wie er sich ihr gegenüber gegeben hatte – als charmanten, unbekümmerten Playboy. Doch er schien Geheimnisse zu haben. Abgründe.

Nun, da war er nicht der Einzige …

„Wissen Sie, wo dieser … dieser Rebell Königin Elena gefangen halten könnte?“, fragte sie.

„Vermutlich irgendwo in der Wüste.“

„Lassen Sie sie denn nicht suchen?“

„Natürlich.“ Aziz erwiderte ihren besorgten Blick gereizt. „Aber ich war vor fünf Jahren zuletzt hier und habe auch vorher so wenig Zeit wie möglich in diesem Land verbracht. Das Volk kennt mich nicht.“ Er verzog das Gesicht. „Deshalb sind die Einheimischen mir gegenüber nicht loyal. Und solange ich mich nicht als Scheich bewähre, wird sich daran auch nichts ändern.“

„Ich weiß nicht, worauf Sie hinaus…“

„Ich will darauf hinaus, dass es nicht leicht ist, Königin Elena in der Wüste zu finden“, fiel er ihr ungeduldig ins Wort. „Elenas Entführer wird von den Beduinenstämmen unterstützt. Deshalb muss ich gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, bis ich sie finde.“

„Was für Vorsichtsmaßnahmen?“, fragte Olivia, der immer unbehaglicher zumute wurde. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass Aziz sie irgendwie in seine Probleme mit hineinziehen wollte.

Als er ihr wieder ein charmantes Lächeln schenkte, spürte Olivia zu ihrem Entsetzen, dass sie körperlich auf ihn reagierte. Verdammt, er war wirklich ein attraktiver Mann. Ein begehrenswerter Mann.

Blinzelnd verdrängte sie ihre völlig unangemessene instinktive Reaktion. Sie hatte geglaubt, zu solchen Empfindungen gar nicht mehr fähig zu sein, aber ihr Körper sah das anscheinend anders. Gott sei Dank war ihr Verstand stärker als ihre niederen Instinkte. „Eure Hoheit …“

„Aziz.“

Aziz. Von was für Vorsichtsmaßnahmen reden Sie?“

„Es ist absolut notwendig, dass niemand von Elenas Entführung erfährt, damit die angespannte politische Lage nicht vollends eskaliert. Ein Teil der Bevölkerung hält nämlich zu dem Rebellen namens Khalil, der sie entführt hat.“

Die Wut in Aziz’ Stimme war nicht zu überhören. Wer mochte dieser Khalil sein? „Warum hält das Volk zu ihm? Sie sind doch der rechtmäßige Thronfolger.“

„Danke für diesen Hinweis, aber ich fürchte, so einfach ist die Situation nicht.“

„Inwiefern? Und vor allem, was hat das mit mir zu tun?“

„Da die Öffentlichkeit nicht wissen darf, dass meine Braut verschwunden ist“, erklärte Aziz und sah sie direkt aus silberfarbenen Augen an, „brauche ich einen Ersatz.“

Olivia hatte das Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. „Einen Ersatz?“, wiederholte sie mit erstickter Stimme.

„Ja, Olivia.“

„Aber …“

„Und da kommen Sie ins Spiel“, fiel Aziz ihr aalglatt ins Wort. Seine Augen funkelten. „Ich brauche Sie – als meine Braut.“

2. KAPITEL

Aziz stellte zu seiner Belustigung fest, dass seine sonst so unterkühlte und tüchtige Haushälterin aussah, als würde sie gleich hyperventilieren – oder in Ohnmacht fallen. Sie riss die schönen schieferblauen Augen auf, und ihre vollen Lippen formten ein hübsches O.

Er konnte mal wieder nicht umhin zu bemerken, dass sie eine Schönheit war, wenn auch auf eine sehr kühle, zurückhaltende Art. Sie trug das glatte karamellbraune Haar wie immer im Nacken zusammengefasst, hatte dunkelblaue Augen, wunderbar seidige Haut und sinnliche Lippen. Nichts davon betonte sie mit Make-up. Nicht dass sie es nötig gehabt hätte, schon gar nicht jetzt, da sie heftig errötete.

„Ich bin nicht sicher, worauf Sie hinauswollen, Eure Hoheit, aber worum auch immer es geht, ich mache nicht mit.“

„Sie haben schon wieder vergessen, mich Aziz zu nennen.“

Olivias Augen blitzten für einen Moment wütend auf – so kurz, dass Aziz es fast übersehen hätte. Sieh mal einer an, dachte er, sie hat ja doch Temperament. Er hatte sich schon öfter gefragt, ob sich hinter ihrer reservierten Oberfläche nicht viel Leidenschaft verbarg.

Er kannte Olivia seit sechs Jahren, hatte sie in dieser Zeit jedoch nur ein paar Mal im Jahr gesehen und daher kaum einen Blick hinter ihre Fassade werfen können. Einmal jedoch war ihm ein Seidentuch in kräftigen Rottönen an ihr aufgefallen …

Ein anderes Mal hatte er sie in der Küche laut und kehlig aus vollem Herzen lachen hören.

Und als er eines Abends mal etwas zu früh nach Paris zurückgekommen war, hatte sie so schön und traurig Klavier in seinem Wohnzimmer gespielt, dass ihm fast die Tränen gekommen waren. Nie würde er ihren damaligen Gesichtsausdruck vergessen. Olivia war offensichtlich eine Frau, die gelitten hatte. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, hatte er sich damals unbemerkt wieder davongeschlichen.

Welche Geheimnisse sie wohl hinter ihrer kühlen Fassade verbarg?

Er beobachtete, wie ihre Brust sich unter ihren beschleunigten Atemzügen hob und senkte. Sie trug eine weiße Bluse, die auch nach dem stundenlangen Flug von Paris faltenfrei saß, und dazu eine schwarze Hose und flache Schuhe. Aziz wusste, dass sie neunundzwanzig war, doch sie kleidete sich so konservativ wie eine Frau mittleren Alters. Wenn auch relativ schick. Ihre Kleidung war zwar spießig, aber gut geschnitten und qualitativ hochwertig.

Sie schien ihre Emotionen wieder völlig unter Kontrolle zu haben. Gut so, genau so jemanden brauchte er.

Fragte sich nur, warum er dann ein kleines bisschen enttäuscht war …

„Ich werde mich mal etwas klarer ausdrücken: Sie müssen meine Braut spielen, ein Double für Königin Elena, bis ich sie finde.“

„Wozu brauchen Sie ein Double?“

„Ich möchte vor der Öffentlichkeit verbergen, dass Königin Elena verschwunden ist. In einer Stunde gebe ich eine Pressekonferenz. Anschließend werden wir gemeinsam auf dem Balkon des Palastes erscheinen.“

Olivia schürzte die Lippen. „Und dann?“

Er zögerte einen Moment. „Das ist alles.“

„Wirklich?“ Skeptisch sah sie ihn an. „Für ein so kurzes Spektakel könnten Sie doch bestimmt auch eine Einheimische finden, oder?“

„Ich wollte jemanden, den ich kenne und dem ich vertraue. Ich war schon seit Jahren nicht mehr im Land und weiß daher nicht, auf wen ich mich hier verlassen kann.“

Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich sehe noch nicht mal wie Königin Elena aus. Sie hat dunkles Haar. Außerdem stimmt es nicht, dass wir etwa gleich groß sind. Sie ist viel kleiner als ich.“

„Wegen ein paar Zentimetern wird sich niemand Gedanken machen.“

„Und was ist mit meinem Haar?“

„Das werden wir färben.“

„In der nächsten Stunde?“

„Wenn es sein muss.“

Olivia starrte ihn so lange stumm an, dass Aziz allmählich nervös wurde. Natürlich war ihm bewusst, dass sein Anliegen extrem ungewöhnlich war, aber er brauchte Olivias Zustimmung. Er brauchte sie. Er kannte keine andere Frau, die so diskret und so beherrscht war. Was vermutlich nicht gerade für sein Privatleben sprach, aber er hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Ihn interessierte nur eins: den Thron von Kadar zu behalten, auch wenn im Volk viele seinen Herrschaftsanspruch anzweifelten.

Sogar er hatte lange daran gezweifelt. Er hatte immer halb und halb damit gerechnet, dass sein Vater ihn genauso enterben würde wie zuvor Khalil …

„Was ist, wenn ich Nein sage?“, fragte Olivia schließlich.

Aziz schenkte ihr wieder sein charmantestes Lächeln. „Warum sollten Sie?“

„Weil die Idee völlig verrückt ist?“, fragte sie ohne jede Spur von Humor zurück. „Weil jeder Paparazzo mit einem Teleobjektiv sofort herausfinden wird, dass ich nicht Königin Elena bin? Noch nicht mal der Gentleman-Playboy wird sich da rauswinden können.“

Belustigt schüttelte Aziz den Kopf. „Sollte es so weit kommen, werde ich allein die Verantwortung dafür übernehmen.“

„Glauben Sie etwa, man würde mich ungeschoren davonkommen lassen? Man wird meinen Namen in den Dreck ziehen und in meinem Leben und meiner Vergangenheit herumwühlen.“ Sie sah so aus, als würde diese Vorstellung ihr körperliche Qualen bereiten. „Nein!“

„Nur, wenn man herausfindet, wer Sie sind“, antwortete Aziz. „Aber niemand kennt Sie hier.“

„Glauben Sie nicht, das könnte sich schnell ändern?“

„Vielleicht, aber es hat keinen Zweck, sich Gedanken über Dinge zu machen, die vielleicht nie eintreffen. Da draußen gibt es keine Journalisten. Das Land gewährt der Presse aus dem Ausland schon seit Jahren keinen Zutritt mehr, und ich habe diese Verordnung noch nicht abgeschafft.“

„Und was ist mit der heimischen Presse?“

„Die ist königstreu. Ich habe befohlen, keine Fotos zu knipsen, und man wird sich daran halten. Mein Vater war kein Anhänger der Pressefreiheit. Sein Gesetz gefällt mir zwar nicht, aber in diesem Fall kommt es mir sehr gelegen.“

Forschend sah sie ihn aus schieferblauen Augen an. „Sie wollen also neue Gesetze einführen, jetzt, wo Sie Scheich sind?“

Sie klang ein bisschen skeptisch. Aziz konnte das gut nachvollziehen, auch wenn es ihn ein bisschen kränkte. Bisher hatte er sich mit nichts hervorgetan als im Umgang mit Zahlen und dem Feiern von Partys. Jemand wie Olivia sah nur seinen hedonistischen Lebensstil, erst recht, weil sie diejenige war, die hinterher die Spuren beseitigen musste. Er konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen, seine Fähigkeiten als Herrscher infrage zu stellen. „Ich habe es mir zumindest vorgenommen.“

„Und dann wollen sie ausgerechnet mit so einer lächerlichen Maskerade anfangen?“

„Ich fürchte, mir bleibt nichts anderes übrig.“ Bittend sah er sie an, doch Olivia blieb ungerührt. „Es ist für einen guten Zweck, Olivia. Ich will stabile politische Verhältnisse im Land schaffen.“

„Warum hat Khalil Königin Elena überhaupt entführt? Und wie hat er das überhaupt geschafft? Wurde sie denn nicht bewacht?“

Aziz spürte, dass er wütend wurde. Er wusste selbst nicht, auf wen – auf Khalil, weil er seine Braut entführt hatte, oder auf sein Personal, das die Bedrohung nicht rechtzeitig erkannt hatte? Vielleicht war er auch nur wütend auf sich selbst …

„Khalil ist der illegitime Sohn der ersten Frau meines Vaters“, erklärte er kurz angebunden. „Er wurde sieben Jahre lang als Thronfolger großgezogen, bis mein Vater erfuhr, dass er nicht sein Sohn war. Er hat ihn und seine Mutter verbannt, doch Khalil erhebt nach wie vor Anspruch auf den Thron.“

„Verbannt? Wie schrecklich!“ Olivia schüttelte bestürzt den Kopf.

„Er wuchs im Luxus bei einer Tante in den USA auf. Mitleid ist da völlig unangebracht.“

Olivia sah Aziz aufmerksam an. „Sie scheinen nicht viel für ihn übrigzuhaben.“

Aziz zuckte nur die Achseln. Was er für Khalil empfand – falls er überhaupt Gedanken an ihn verschwendete –, war zu kompliziert, um es jemandem zu erklären. Es war eine Mischung aus Wut und Neid, Trauer und Verbitterung. Eine gefährliche Mischung.

„Mein Mitgefühl hält sich tatsächlich in Grenzen, vor allem in Anbetracht der Entführung meiner Braut und der Unruhen, die Khalil hier ausgelöst hat.“

„Warum glaubt er eigentlich, einen Anspruch auf den Thron zu haben?“

Autor

Kate Hewitt
<p>Aufgewachsen in Pennsylvania, ging Kate nach ihrem Abschluss nach New York, um ihre bereits im College angefangene Karriere als Schauspielerin weiter zu verfolgen. Doch ihre Pläne änderten sich, als sie ihrer großen Liebe über den Weg lief. Bereits zehn Tage nach ihrer Hochzeit zog das verheiratete Paar nach England, wo...
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