Tiffany Exklusiv Band 96

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BERÜHRT, VERWÖHNT – VERFÜHRT von NANCY WARREN
Alles ausgebucht? In letzter Sekunde ergattert die hübsche Masseurin Emily noch ein Hotelzimmer – inklusive fremdem Mann im Bett. Und so liegt sie plötzlich neben dem sexy Sportler Jonah, der nach seinem Hockey-Match unbedingt eine Massage genießen möchte ...

WEHRLOS UNTER DEINEN HÄNDEN von ISABEL SHARPE
Seltsam – heute scheint Colin bei der Massage ganz steif. Vielleicht mehr warmes Öl auf seinen sexy Sportlerkörper? Sanfteres Streichen über seine nackte Haut? Als Colin sich umdreht und Demi leidenschaftlich an sich zieht, wird ihr klar, warum es für ihn so hart war, sich zu entspannen …

YOGITEE UND HEISSE KÜSSE von KATHY LYONS
Alles versucht Roger gegen den Stress im Job, nichts wirkt – bis er in den sanften Händen der Heilpraktikerin Amber landet. Und mit ihr gemeinsam die sinnlichsten Entspannungsübungen der Welt macht …


  • Erscheinungstag 15.02.2022
  • Bandnummer 96
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507622
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nancy Warren, Isabel Sharpe, Kathy Lyons

TIFFANY EXKLUSIV BAND 96

1. KAPITEL

Schreie rissen Emily Saunders aus dem Schlaf. Angstvolle Schreie wie aus einem Horrorfilm, die sie im Bett auffahren ließen und in Panik versetzten, als sie ihre Umgebung nicht sofort erkannte.

Sie schaltete die Nachttischlampe an und sah, dass es kurz nach fünf Uhr morgens war. Das Bett und der Rest der Hoteleinrichtung brachten ihr wieder in Erinnerung, wo sie war. In Elk Crossing, Idaho, in ihrem Zimmer im Elk Crossing Lodge.

Sekundenlang fragte sie sich, ob die Schreie nicht Teil eines Albtraumes gewesen waren. Aber dann glitt ihr Blick zu dem orangefarbenen Kleid, das in einer durchsichtigen Tüte an der Schranktür hing. Als ihre Cousine Leanne sie gebeten hatte, ihre Brautjungfer zu sein, hatte Emily natürlich Ja gesagt. Wie sie es immer tat.

Aber vielleicht hätte sie den Mut gefunden, die Bitte abzulehnen, wenn sie von dem Kleid gewusst hätte. Das an Kürbis erinnernde Orange war schlimm genug, aber musste auch der Schnitt des Kleids diesem Gemüse ähneln? Emily hatte schon einige hässliche Brautjungfernkleider getragen, aber das hier übertraf sie alle.

Sie wollte gerade das Licht ausschalten, als sie auf dem Gang vor ihrer Tür noch mehr Geschrei vernahm.

Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln, griff sich ihren Morgenmantel und ihren Zimmerschlüssel und öffnete die Tür.

Der Anblick, der sich ihren Augen bot, war … ungewöhnlich.

Eine mollige junge Frau mit beachtlicher Oberweite hüpfte herum, als ob der Teppich des Hotels in Flammen stünde. Sie war es, die das Geschrei veranstaltete.

„Ich habe sie gesehen! Sie sind überall. Sie krabbeln auf mir herum. Igittigitt! Pfui Teufel!“, plärrte sie.

Eine schlankeres junges Mädchen in einem pinkfarbenen Babydoll schrie jetzt auch: „Ich habe etwas gespürt! Ich glaube, sie sind in meinem Haar.“

Beide gerieten völlig außer sich, schüttelten wie wild die Köpfe und hüpften auf und ab wie durchgedrehte Groupies bei einem Rockkonzert.

Emily fragte sich, ob sie auf Drogen waren.

Ein junger Mann in Hoteluniform versuchte vergeblich, die beiden Frauen zu beruhigen. „Bitte, meine Damen, Sie wecken die anderen Gäste auf.“

Ein älteres Paar verfolgte die Szene nicht weniger verblüfft als Emily. Die Frau zog die Schultern hoch, als sie ihren Blick auffing.

Während Emily sich zu erinnern versuchte, was sie über Drogen und Alkoholvergiftungen wusste, öffnete sich eine weitere Tür, und ein großer, muskulöser Mann in Boxershorts trat auf den Gang hinaus. Er musste etwa Anfang Dreißig sein und hatte dunkles Haar und blaue Augen. Sein Blick nahm die Szene in sich auf und blieb vorübergehend auf den wippenden Brüsten der Babydollträgerin haften.

„Sie krabbeln auf mir rum!“, schrie das Mädchen wieder.

Emily schnappte sich den unfähigen Hotelangestellten. „Rufen Sie einen Notarzt an. Diese Frauen brauchen Hilfe.“

Der athletische Mann ging zu den Frauen und führte damit allen auf dem Gang seinen exzellenten Körperbau vor Augen. Sein harter, muskelbepackter Körper erinnerte Emily daran, dass sie schon viel zu lange keinen Sex gehabt hatte. „Wir brauchen keinen Notarzt, sondern einen Kammerjäger“, sagte er mit tiefer Stimme.

Vor Emilys erstaunten Augen zupfte er etwas von der Schulter des molligeren Mädchens und zeigte es dem nervösen jungen Mann in Uniform.

„Bettwanzen.“

Der Hotelangestellte schluckte. „Aber wir sind ausgebucht!“

„Nicht mehr lange.“

Emily entfernte sich von den Mädchen, die wie vom Donner gerührt dastanden. Sie konnte gut verstehen, dass sie so entsetzt aussahen.

Wanzen? Die fehlten ihr gerade noch, nachdem sie von Portland nach Elk Crossing zu einer Hochzeit gefahren war, an der sie lieber gar nicht teilgenommen hätte, um den vorwitzigen Fragen ihrer Verwandten und Freunde nach ihrem fortgesetzten Singlestatus aus dem Weg zu gehen.

Das schlanke Mädchen hob den Arm. „Das juckt so.“ Selbst von der anderen Seite des Gangs konnte Emily kleine rote Pusteln sehen.

Ihre Verärgerung über die nächtliche Störung wich augenblicklich Mitgefühl. „Warten Sie, ich werde nachsehen, ob ich Histamin dabei habe“, sagte sie.

Der Muskelmann nickte ihr anerkennend zu, bevor er sich den beiden Frauen zuwandte, die sich jetzt heftig kratzten.

„Gehen Sie ins Bad, ziehen Sie sich aus und duschen Sie mit heißem Wasser. So heiß es geht. Und ziehen Sie nichts von den Sachen wieder an.“

„Und Sie“, beschied er den Hotelangestellten, „lassen ihnen frische Handtücher und saubere Bademäntel heraufbringen.“

Der junge Mann nickte und trabte los.

Kopfschüttelnd und mit einem „Gott, wie eklig!“, gingen die beiden Frauen wieder in ihr Zimmer.

„Übrigens“, rief der Mann dem Hotelpagen hinterher, der schon halb den Gang hinunter war. „Sie sollten den Hotelmanager holen.“

„Das ist nicht gut“, murmelte Emily, als sie ihre Reiseapotheke aus dem Koffer nahm. Es war schwer genug gewesen, ihrer Familie beizubringen, dass sie für die Dauer der Hochzeitsfestlichkeiten nicht im Gästezimmer von Verwandten übernachten würde. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie mit ihrer großen Verwandtschaft am besten zurechtkam, wenn sie in einem Hotel abstieg. Was für ein Pech, ausgerechnet eins mit einem Ungezieferproblem gewählt zu haben!

Mit dem Histamin ging sie zu dem wanzenverseuchten Zimmer und klopfte an die Tür. Als die schlankere der beiden Frauen öffnete, hielt sie ihr das Päckchen hin.

„Danke. Ich nehme nur ein paar heraus und …“

„Nein, nein, behalten Sie sie nur. Gute Besserung“, sagte Emily und beeilte sich, zu ihrem Zimmer zurückzukommen.

Fünfzehn Minuten waren vergangen, seit sie aufgewacht war. Für eine Sekunde überlegte sie, wieder ins Bett zu gehen, aber dann fiel ihr das winzige Insekt auf dem Finger des muskulösen Mannes ein.

Sie stürzte zu ihrem Bett, riss die Decke herunter und begann zu suchen. Ihr Laken sah blütenweiß aus, und nichts bewegte sich darauf.

Als ihr Haar ihre Wange streifte, ließ das Kitzeln sie zusammenfahren, und unwillkürlich kratzte sie sich im Gesicht. Damit war es entschieden: Nichts könnte sie dazu bringen, noch einmal in das Bett zurückkehren. Für heute war es mit ihrem Schlaf vorbei.

Ihr nächster Weg führte sie ins Bad, wo sie sich auszog und sich von allen Seiten musterte. Keine Wanzen, soweit sie sehen konnte. Und auch keine Pusteln. Erleichtert aufatmend trat sie unter die Dusche, blieb lange unter dem heißen Wasser stehen und wusch sich zweimal gründlich Kopf und Körper.

Ihre Mutter durfte nie von dem Ungeziefer erfahren. Leider waren ihre Eltern schon in Elk Crossing, da ihre Mutter ihrer Schwester bei den Hochzeitsvorbereitungen zur Hand gehen wollte. Und Emily wusste, wie sehr es ihre Mutter wurmte, Leanne als Erste heiraten zu sehen – zumal sie über fünf Jahre jünger war als sie, Emily, die leibliche, ledige Tochter, die nicht einmal einen festen Freund vorweisen konnte.

Natürlich wohnten ihre Eltern bei ihrer Tante, wo Emily sich in der nächsten Woche so selten wie nur möglich sehen lassen wollte. Nicht, weil sie ihre Familie nicht liebte, aber all die mitleidigen Blicke und nicht sehr subtilen Anspielungen waren nur schwer zu ertragen.

Emily untersuchte das Handtuch auf der Stange und schüttelte es kräftig aus, bevor sie sich damit abtrocknete.

Es klopfte an ihrer Tür. In das feuchte Tuch gehüllt, öffnete sie einem verschlafen aussehenden Zimmermädchen. „Es tut uns sehr leid, Ma’am, aber Sie werden Ihr Zimmer räumen müssen.“ Das Mädchen trug Gummihandschuhe und hielt einen großen Eimer in der Hand.

„Kein Problem.“ Als ob sie hier noch eine Minute schlafen würde. „Ich ziehe mich nur schnell an und packe meine Sachen.“

„Hm … das geht nicht.“

„Wie bitte?“

Das Mädchen trat ein und nahm den Deckel von dem Eimer. Erst jetzt sah Emily die schwarze Aufschrift auf dem Eimer: Fundstücke. Damen.

„Das muss ein Scherz sein.“

„Es tut mir wirklich leid. Aber wir müssen alles waschen und auch Ihre Koffer behandeln“, erwiderte die Frau mit einem erzwungenen Lächeln. „Ich bin sicher, dass wir bei den Fundstücken vorübergehenden Ersatz finden.“

„Machen Sie Witze? Außerdem habe ich keine Wanzen hier! Mein Zimmer ist sauber.“

„Ich befolge nur die Anweisungen des Hotelleiters. Wir evakuieren und behandeln diesen ganzen Flügel. Möchten Sie, dass ich ihn anrufe?“

„Nein, nein.“ Emily wusste, dass sie die Plage schnell unter Kontrolle bringen mussten. Schließlich wollte sie ja auch nicht der ahnungslose Überbringer von Bettwanzen auf der Hochzeit ihrer Cousine sein.

Sie warf einen Blick in den grünen Eimer.

Die Kleidung darin war von der Art, für die man sich nicht die Mühe machen würde, zurückzukehren, falls man sie in einem Hotel vergessen hatte. Ausgeblichene Jogginghosen, alte Sweatshirts, eine pinkfarbene Kunstseidebluse aus den Siebzigern, alte Jeans, Sportsachen, ein geblümtes Hauskleid und eine Handvoll Badesachen.

Emily konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Bei der Vorstellung, zu der heutigen Vorfeier, die aus einem ausgedehnten Lunch bestand, in einem dieser zerknitterten „Fundstücke“ zu erscheinen, obwohl ihre arme Mutter doch immer so mit ihrer erfolgreichen Tochter prahlte, lachte sie, bis ihr die Tränen kamen.

Das Zimmermädchen starrte sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte, was sie nur noch mehr zum Lachen brachte. Schließlich wischte sie sich die Augen ab und dachte: Notfall-Shoppingtrip. „Ich werde meine Tasche brauchen.“

„Nur Ihre Geldbörse. Lassen Sie alles andere im Zimmer. Es tut mir wirklich leid, aber wir müssen verhindern, dass die Plage sich verbreitet.“

So etwas kommt vor, dachte Emily. Aber dann kam ihr ein wirklich schrecklicher Gedanke.

„Mein Brautjungfernkleid! Es ist in einer Plastiktüte, da kann doch nichts passiert sein, oder?“

Das Mädchen betrachtete stirnrunzelnd das Kleid und sah dann Emily an, als fragte sie sich, wieso jemand dieses Kleid würde retten wollen. Und wäre die Hochzeit nicht gewesen, hätte Emily ihr zugestimmt.

„Ich weiß. Es ist affenscheußlich, aber wenn ich das Kleid am Samstag nicht zur Hochzeit meiner Cousine trage, kann ich meinen Namen gleich aus der Familienbibel streichen. Sie verstehen, was ich meine?“

Das Mädchen nickte. „Ich frage den Manager. Er wird wissen, was zu tun ist.“

„Ist die Elk Mall immer noch das einzige Einkaufszentrum hier? Oh, und ich brauche eine Liste anderer Hotels.“

Das letzte Mal war sie vor einigen Monaten zu einer Silberhochzeit in der Stadt gewesen. Ihre Mutter war schon aus Elk Crossing fortgezogen, bevor Emily zur Welt gekommen war, aber im Laufe der Jahre hatte die Familie sie so oft hierher geschleppt, dass Emily die Stadt gut kannte.

Während sie sprach, wühlte das Zimmermädchen in dem Eimer und zog eine glänzende schwarze Polyesterhose, die pinkfarbene Kunstseidebluse und eine giftgrüne Windjacke mit einem Riss in der Tasche heraus.

Emily starrte die zerknitterten Sachen an. „Darf ich wenigstens meine eigene Unterwäsche tragen?“

„Nein. Alles muss desinfiziert werden.“ Das Mädchen schenkte ihr ein sonniges Lächeln. „Aber diese Sachen hier sind alle sauber. Wir waschen sie, bevor sie zu den Fundstücken kommen.“

„Das ist gut zu wissen.“ Besonders, da sie nicht mal Unterwäsche hatte.

„Ach ja, und die Elk Mall ist immer noch das Shoppingcenter. Es gibt jetzt allerdings auch einen Wal-Mart dort“, fügte sie stolz hinzu. „Und wir suchen Ihnen ein anderes Zimmer. In ein paar Stunden müssten wir Sie untergebracht haben.“

„Ich will kein anderes Zimmer in diesem Hotel“, sagte Emily in dem freundlichen, aber bestimmten Ton, den sie bei ihren Massagetherapie-Patienten anwandte, die ihre Übungen nicht machten. „Ich will eine Liste mit anderen Hotels.“

„Die wird Ihnen nichts nützen. Sie sind alle ausgebucht.“

„Alle Hotels in Elk Crossing?“ Die Stadt war so unbedeutend, dass sie nur auf regionalen Landkarten erschien, aber dass sie so klein war, konnte Emily sich nun auch wieder nicht vorstellen. „Ich fahre auch gern ein Stück.“

Das Zimmermädchen schüttelte den Kopf. „Sie werden hier nirgendwo ein freies Bett finden. Selbst die Campingplätze sind belegt. Und ich spreche von einem Umkreis von fünfzig Meilen. Diese Woche findet das Hockeyturnier der über Dreißigjährigen statt, und sie haben alles reserviert.“

Emily strich sich eine feuchte Locke aus der Stirn. „Bitte sagen Sie mir, dass Sie auch ein paar gute Neuigkeiten haben.“

„Sicher. Hier bekommen Sie auf jeden Fall ein anderes Zimmer. Und im Restaurant gibt es Kaffee und Frühstück auf Einladung des Hauses.“

Emily seufzte. Wenn das die guten Neuigkeiten waren, hatte sie wohl kaum das große Los gezogen. „Wann öffnet der Wal-Mart?“

2. KAPITEL

Nur der Gedanke an Bettwanzen brachte Emily aus ihrem Zimmer, nachdem sie sich gezwungen hatte, das „Fundstück“-Outfit anzuziehen. Die Polyesterhose war zu kurz, aber was ihr an Länge fehlte, machte sie an Weite wieder wett, sodass Emily den Bund mit einer Sicherheitsnadel zusammenhalten musste.

Die Bluse dagegen war zu klein, und einen BH für darunter hatte sie nicht, was der einzige Grund war, warum sie schließlich sogar die giftgrüne Windjacke überzog.

Als sie sich in dem bodenlangen Spiegel betrachtete, versuchte sie, den Humor an ihrer Situation zu sehen, aber im Moment war ihr gar nicht nach Lachen zumute. Sie sah aus wie eine Vogelscheuche. Sehr viele ihrer Verwandten lebten in Elk Crossing, und sie hatte auch Freunde hier. Sie musste ihren Stolz und auch den ihrer Mutter bedenken. Niemand durfte sie so sehen.

Der einzige Plan, den sie hatte, war, gleich nach dem Öffnen des Wal-Marts hineinzustürmen, sich irgendetwas zum Anziehen zu schnappen und schnellstens in der Umkleidekabine zu verschwinden. Wenn ihr das gelang, würden ihr größere Peinlichkeiten vielleicht erspart bleiben.

Sie öffnete ihre Tür, schlich auf den Gang hinaus und warf einen letzten Blick auf ihre Kleider, die ordentlich in zwei Stapel für Wäsche und Reinigung aufgeteilt worden waren. Natürlich hatte sie ihre beste Garderobe mitgebracht für die endlosen Hochzeitsfrühstücke, Lunchs, Probeessen und was immer ihre findigen Verwandten sich sonst noch einfallen lassen könnten. Wenn jemand in ihrer Familie heiratete, zogen sie das Ganze gern über mindestens eine Woche hinaus.

Emily ging zum Restaurant hinunter und fand dort etwa ein Dutzend Flüchtlinge aus ihrem Flügel des Hotels, die Kaffee trinkend herumstanden und wie eine Versammlung von Vagabunden aussahen. Als sie eintrat, blickte der muskulöse Typ auf, der das Bettwanzenproblem erkannt hatte, und sah sich interessiert ihr Outfit an. Irgendetwas an seinem Blick machte ihr bewusst, dass sie keine Unterwäsche trug, was auch nicht dazu beitrug, ihre Laune zu verbessern.

Besonders, da er irgendwie einen weiten, marineblauen Pullover und Jeans ergattert hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass seine Jeans seinen Knöcheln nicht näher kamen als die glänzende Polyesterhose den ihren, konnte er als normal gekleidet durchgehen. Sie schenkte sich Kaffee ein und wandte sich ihm zu. „Wie sind Sie an die Kleider gekommen?“

Er schnaubte und hob den Pullover an. Unter den großartigen Muskeln, die sie vorher schon bemerkt hatte, sah sie einen offen stehenden Reißverschluss, und da auch er keine Unterwäsche trug, erhielt sie den Eindruck, dass er nicht nur auf seiner Brust sehr stark behaart war.

„Wenn ich diese Hose schließe, kann ich den Rest meines Lebens Sopran singen“, sagte er und ließ den Pullover wieder herunterfallen. „Sind Sie gebissen worden?“

„Nein. Sie?“

Er schüttelte den Kopf. „Soweit ich das beurteilen kann, hat es nur die beiden Frauen getroffen.“

„Hat man sich um sie gekümmert?“

Er nickte. „Sie haben sie ins Krankenhaus gebracht, weil eine von ihnen eine allergische Reaktion hatte, aber es müsste ihnen schon wieder besser gehen.“

Emily erschauderte.

Eine Bedienung brachte ein Tablett mit Gebäck und Obst aus der Küche.

Während sie sich ein Plunderteilchen nahm, fragte Emily die Bedienung: „Wann öffnet der Wal-Mart?“

„Um sieben.“

„Das wird eine lange Stunde“, seufzte Emily.

Der Vertretertyp, der verwaschene blaue Laufhosen mit der Aufschrift „Dancer“ über dem Gesäß trug, ein rotes Fußballtrikot, das einen Chlorfleck an der Brust hatte, und Turnschuhe an den nackten Füßen, brüllte plötzlich los, während er auf seine neue Garderobe zeigte: „Würden Sie bei diesem Mann eine Versicherung abschließen?“

Seine Bemerkung brach das Eis, und plötzlich lachten all die evakuierten Hotelgäste, begannen Geschichten auszutauschen und sich über ihre schlechte Kleidung zu beklagen.

Um fünf vor sieben parkte Emily ihren Wagen so dicht wie möglich vor den Eingangstüren des Wal-Mart. Kaum wurden sie geöffnet, stürzte sie mit gesenktem Kopf hinein und ging sofort zur Damenbekleidung. Sie schnappte sich einen schlichten schwarzen Rock und ein paar seidene Tanktops und hätte weinen können, wenn sie an all ihre guten Sachen dachte, die derzeit der Gnade des hiesigen Reinigungsbesitzers ausgeliefert waren.

Die Unterwäsche befand sich natürlich in einem anderen Bereich des Ladens, aber auch die fand sie recht schnell und sah sich gerade die BHs an, als eine Stimme sagte: „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Nein, danke“, erwiderte sie, ohne den Kopf zu heben, und hoffte, dass die Frau, deren Stimme ihr irgendwie bekannt vorkam, nun weitergehen würde.

Stattdessen spürte sie eine Bewegung in der warmen Luft, fast so, als hätte sie die Stimme der Frau direkt im Nacken.

„Bist du das, Emily?“

Oh, nein! Ihr schlimmster Albtraum war soeben wahr geworden. Auf einer Liste mit zehn Menschen, denen sie jetzt wirklich nicht begegnen wollte, nahm Ramona Hilcock ungefähr den dritten Platz ein.

„Ramona!“, rief sie mit geheuchelter Begeisterung.

„Ich hätte dich beinahe nicht erkannt“, sagte die Frau und betrachtete sie mit kaum verhohlenem Widerwillen.

Ramona war auf der Highschool eine Freundin ihrer jüngeren Cousine Leanne gewesen. Emily hatte sie als Klatschtante und Vorsitzende des Nähclubs in Erinnerung. Sie nähte immer noch, und da sie ihr Outfit betrachtete, als müsse sie sich jedes Detail einprägen, wäre Emily jede Wette eingegangen, dass sie heute auch noch gerne klatschte.

„Bist du zu Leannes Hochzeit hier?“

„Hmm.“

„Oh, gut. Ich nehme mir heute früher frei, um an dem Lunch teilnehmen zu können. Natürlich arbeite ich nur Teilzeit hier, um die Musik- und Golfstunden der Jungen zu bezahlen. Und es bringt mich aus dem Haus.“ Wieder glitt ihr Blick über Emilys Kleider. „Und du? Deine Mom sagte, du hättest ein eigenes Geschäft? Läuft es gut?“

„Ja. Bestens.“

Sie könnte Ramona von den Wanzen erzählen, was ihren Aufzug erklären würde, aber dann würden sich die Neuigkeiten schneller herumsprechen als ein Internetgerücht, und sie würde heute Nacht auf der Couch einer Verwandten enden. Deshalb hielt Emily den Mund und sagte nichts.

„Du bist Masseuse, sagte Leanne.“ Ramona sprach das Wort Masseuse in einem Ton aus, der ihm etwas Anzügliches gab.

„Massagetherapeutin“, berichtigte Emily sie. „Ich leite eine Wellnessklinik.“ Bevor Ramona noch mehr sagen konnte, fragte sie: „Kannst du mir die Umkleidekabine zeigen?“

„Klar. Komm mit.“

Dankbar zog Emily sich in den kleinen Raum zurück, wo sie feststellte, dass alles passte. Sie zahlte und war erlöst von Ramonas Gegenwart – zumindest bis zum Lunch.

Ihre neuen Kleider entsprachen vielleicht nicht ganz ihrem üblichen Niveau, aber sie waren hübsch und sauber, und abgesehen von dem Wal-Mart gab es im Einkaufszentrum auch eine Boutique für Accessoires und ein halbwegs gutes Schuhgeschäft. Not mochte erfinderisch machen, aber bei solch begrenzten Möglichkeiten … Trotzdem hatte sie ihr Bestes getan, den schwarzen Rock mit einem Seidenschal als Gürtel aufgepeppt und dem türkisfarbenen Top mit billigem, aber passendem Modeschmuck ein bisschen Pfiff gegeben.

Und es war immer gut, sich zu einem guten Preis neue Unterwäsche zuzulegen, sagte sie sich, als sie sich auf den Weg zum Lunch bei ihrer Tante machte.

Jonah Betts schoss den Puck ins Netz und sah ihn einschlagen wie einen Marschflugkörper. Der Aufprall des Pucks gegen das schwarze Netz, das Aufleuchten der Torlichter waren fast wie guter Sex, was wirklich großartige Erfahrungen anging.

Er stieß seine behandschuhte Hand in die Luft, und seine Mannschaftskameraden kamen zu ihm herüber, um zu gratulieren.

Die einwöchigen Ausscheidungsspiele der Old-Timers Hockey League waren eins der Highlights seines Jahres. Jonah hatte immer sehr viel Energie gehabt, und kein Sport motivierte ihn mehr als Eishockey. Er liebte das Scharren der Schlittschuhe auf dem Eis, die Schnelligkeit, den Mannschaftsgeist und das Zusammenspiel.

Als die anderen ihm auf den Helm schlugen oder sich auf ihn warfen, lachte er nur. Beim Eishockey gehörte das nun mal dazu. Morgen würden sie richtig spielen, und als Mannschaftsführer der Titelverteidiger würde er so manch einen das Fürchten lehren.

Nach ein paar Bier und Pizza, um den Sieg der Portland Paters über die Georgetown Geezers zu feiern, warf Jonah seine Sporttasche auf den Rücksitz seines Geländewagens und fuhr zu seinem Hotel zurück. Zum Wanzenlodge. Er glaubte nicht, dass er gebissen worden war und fragte sich, wie es den beiden Frauen ergehen mochte, die ihn heute Morgen mit ihrem Geschrei geweckt hatten.

Da seine Sporttasche im Wagen gewesen war, hatte er sie nicht an die Schädlingsbekämpfer abgeben müssen. Aber heute Nacht konnte er sie dort nicht lassen, weil er seine Ausrüstung im Warmen trocknen lassen musste. Unterwegs hatte er schnell noch einen Jogginganzug, Jeans, T-Shirts, Socken und Unterwäsche gekauft, um mit allem versorgt zu sein. Seine Tasche über der Schulter und seinen Schläger in der Hand, betrat er das Hotel.

„Wie geht’s?“, fragte er eine der beiden gestresst aussehenden Empfangsdamen.

„Es war ein anstrengender Tag“, erwiderte sie mit einem gequälten Lächeln. „Vielen Dank für Ihre Geduld, Sir.“ Ihre Antwort ließ darauf schließen, dass nicht jeder so verständnisvoll gewesen war.

„Solange Sie ein Bett für mich haben, kein Problem. Mein Name ist Jonah Betts.“

„Es hat ein wenig gedauert, aber ich habe ein Zimmer für Sie gefunden.“ Sie blickte auf. „Nummer 318. Es ist das letzte, fürchte ich. Normalerweise wird es nicht vermietet, aber der Probleme wegen …“ Sie seufzte. „Es tut uns leid.“

„Das ist nicht Ihre Schuld.“ Er nahm seinen Schlüssel entgegen. „Aber warum vermieten Sie es normalerweise nicht?“

„Das Dach hat ein kleines Leck, Sir. Aber ansonsten ist das Zimmer sehr bequem und hat zwei schöne, breite Betten.“

„Solange es ein Bett und einen Fernseher hat, ist alles bestens.“

Sie lachte erleichtert. „Oh ja. Sie haben einen Fernseher, Filme, was Sie wollen.“

Jonah nickte. „Schönen Tag noch.“

Er hoffte, dass es auch einen Kühlschrank gab in Zimmer 318; am besten noch mit einem kalten Bier drin. Er hätte fragen sollen. Aber da er schon im dritten Stock war, ging er über den Gang zur letzten Tür.

Mit seiner Schlüsselkarte öffnete er und ging hinein.

Eine Frau schrie auf.

Herrje. So hatte sein Tag begonnen, da musste er nicht auch noch so enden.

Er ließ seine Tasche fallen und wandte sich der Frau zu, die aufgeschrien hatte. Sie war sofort wieder verstummt und starrte ihn jetzt stattdessen böse an.

Es war die Frau von heute Morgen. Die hübsche von der anderen Seite des Gangs. Sie trug einen Pyjama, der so neu war, dass er noch die Falten der Verpackung zeigte. Er war blau und wie ein Herrenschlafanzug geschnitten, was ihre weiblichen Rundungen nur unterstrich.

Abgesehen davon hatte sie langes braunes Haar, große dunkle Augen und einen Mund, der wie dazu geschaffen war, freche kleine Geheimnisse zu flüstern.

„Hi“, sagte er. „Was tun Sie hier?“

„Ich glaube, Sie haben das falsche Zimmer.“

Er warf einen Blick auf seine Schlüsselkarte. „Komisch, dass der Schlüssel funktionierte. Ich habe 318.“ Er überprüfte die Nummer an der Tür. 318.

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich. Ich habe 318.“

Er blickte sich in dem Zimmer um. Es war gar nicht so schlecht. Gemütlich, könnte man wohl sagen, mit seinen beiden breiten Betten, die wenig Platz für anderes ließen. Es gab noch einen kleinen Schreibtisch mit einer Lampe, ein Mansardenfenster, ein Bad und einen etwas merkwürdigen Vorhang aus weißer Zeltplane, wo die vierte Wand sein müsste.

Jonah ging zu dem Vorhang und zog ihn weit genug zurück, um die Eimer sehen zu können. Mindestens ein halbes Dutzend Fünfzig-Liter-Behälter, wie sie für Lebensmittel für Großküchen benutzt wurden. Also nicht nur ein kleines Leck im Dach, wie ihm gesagt worden war.

„Die Rezeptionistin sagte, dass das Zimmer wegen des undichten Dachs normalerweise nicht vermietet wird“, bemerkte er.

„Ja, das sagte man mir auch.“ Die Frau wandte sich wieder den neuen Kleidern zu, die vor ihr lagen, um die Preisschildchen abzuschneiden. „Sie gehen besser wieder runter und lassen sich ein anderes geben.“

Jonah zuckte mit den Schultern. „Sie sagten, es sei das letzte.“

„Ich war aber zuerst hier.“

„Ich rufe unten an und lasse jemanden heraufkommen.“

Wieder warf sie ihm einen erbosten Blick zu. „Wozu? Das Zimmer ist besetzt.“

Jonah war nie in der Armee gewesen, aber er wusste, dass es nicht leicht war, ein Terrain zurückzuerobern, wenn man es einmal verlassen hatte. Deshalb schenkte er ihr sein charmantestes Lächeln, das bei Frauen für gewöhnlich ziemlich wirksam war. „Es war bestimmt nur ein Belegungsfehler.“ Bevor sie weitere Einwände erheben konnte, griff er nach dem Telefon und bat darum, den Manager hinaufzuschicken.

Zum Glück mussten sie nicht lange warten. Die Frau befasste sich weiter mit ihren Preisschildern, während er beim Telefon wartete, bis es an der Tür klopfte. Als Jonah öffnete, stand ein dezent gekleideter Mann um die Fünfzig mit einem routinierten Lächeln auf dem Gang. „Was können wir für Sie tun, Sir?“

Das Lächeln des Hotelchefs verblasste, als die Frau vortrat und die Tür weit aufriss. „Sie haben uns scheinbar im gleichen Zimmer eingetragen. Ich glaube, wir haben ein Problem.“

Und sie hatte recht. Der Manager, zwei Empfangsdamen und der Computer bestätigten, was Jonah schon von dem Moment an, als die Frau geschrien hatte, klar gewesen war. Er und die Dame in dem blauen Schlafanzug hatten das allerletzte Zimmer im Hotel bekommen.

„Aber das ist unmöglich“, widersprach Emily. Ihr vollständiger Name war Emily Saunders. Das hatte er herausgefunden, als sie die Buchungen durchgegangen waren. „Ich kann mir nicht mit einem wildfremden Mann ein Zimmer teilen.“

„So wild bin ich gar nicht, wenn Sie mich erst mal kennenlernen“, versuchte er zu scherzen.

Sie warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass sie ihre Lage nicht einmal ansatzweise komisch fand.

„Es tut mir leid, Miss Saunders. Wir haben keine anderen Zimmer mehr.“

„Aber ich hatte ein Einzelzimmer reserviert.“

„Ich auch“, warf Jonah ein.

„Sie werden selbstverständlich den vollen Preis ersetzt bekommen“, versprach der Manager sogleich, was das Problem aber nicht löste.

„Was ist mit dem Foyer?“, fragte sie. „Gibt es dort nicht ein Sofa oder irgendwas, worauf er schlafen könnte?“

„Tut mir leid. Wie Sie sich vielleicht erinnern werden, haben wir nur Polstersessel im Foyer.“

„Dann besorgen Sie ihm einen Schlafsack.“

Jonah war ein verträglicher Mensch, aber das ging ihm zu weit. Er musste auch an seine Mannschaft denken. „Ich habe morgen einen wichtigen Tag“, sagte er, „und brauche meinen Schlaf. Übernachten Sie doch auf dem Boden im Foyer!“

Sie trat dicht vor ihn, und dass sie ihm nur bis an die Schulter reichte, schien sie nur noch wütender zu machen. „Ich habe morgen auch einen wichtigen Tag.“

„Ich nehme an einem Eishockeyturnier teil.“

„Und ich bin Brautjungfer bei einer Hochzeit.“

„Herzliches Beileid.“

So wie sich ihre Augen weiteten, schien sie ihm merkwürdigerweise sogar zuzustimmen. „Aber das ist ja lächerlich. Es muss doch noch einen anderen Platz für Sie geben.“

Er hatte das Hotel nicht ohne Grund gebucht. Er war zu alt, um die Nacht mit einer Hockeymannschaft zu verbringen und sich die ganze Nacht Geschichten anzuhören. Auch die meisten anderen waren zu alt dazu, was für sie jedoch kein Hinderungsgrund war. Und da sie Frauen und Kinder zu Hause hatten, brauchten sie die männliche Gesellschaft vermutlich mehr als er.

„Es gibt niemanden, bei dem ich übernachten kann. Und Sie? Können Sie nicht bei jemandem von der Hochzeit bleiben?“

Sie blinzelte erschrocken und schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen.“

Jonah zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht ideal, aber wir werden uns wohl für ein paar Nächte das Zimmer teilen müssen. Es hat zwei Betten, und ich schnarche nicht.“

Sie verschränkte die Hände unter ihren Brüsten, und er versuchte, nicht darauf zu achten. „Es ist nicht, ob Sie schnarchen oder nicht, was mich beunruhigt.“

„Und ich habe auch keine unsittlichen Anträge im Sinn“, sagte er, um sie auch bezüglich seines Charakters zu beruhigen. Sie war eine gut aussehende Frau, und hätten sie beide das Zimmer mit gewissen Absichten genommen, wäre das etwas anderes, aber so war es ja nun nicht.

Wenn er sie dazu bringen konnte, ihn als platonischen Mitbewohner zu betrachten, würden sie miteinander auskommen. „Hören Sie …“, er zeigte auf den Hockeyschläger an der Wand, „… ich spiele zwei, drei Spiele am Tag. Ich werde nur zum Schlafen hier sein und dann sicher zu müde, um an Frauen zu denken.“

Sie zog eine Augenbraue hoch, als hielte sie das für ziemlich unwahrscheinlich, was es ja auch war. Er könnte tot sein und würde immer noch an Frauen denken. Deshalb spielte er seinen stärksten Trumpf aus. „Sie können mir vertrauen. Ich bin ein Cop.“

Doch selbst das beeindruckte sie nicht. „Und was werden Sie tun? Die Bettwanzen verhaften?“

„Sie erschießen, dachte ich.“ Sekundenlang wurde ihr Mund weicher, und sie lächelte beinahe, bevor sie sich zusammennahm und wieder der Tür zuwandte.

„Sie sehen also gar keine Möglichkeit, diesen Mann zu zwingen, mein Zimmer zu verlassen?“, fauchte sie die drei nervösen Hotelangestellten an.

Der Manager atmete tief ein. „Der Computer funktionierte nicht, und man hat Ihnen dasselbe Zimmer zugewiesen. Sofern nicht einer von Ihnen bereit ist zu gehen …“ Er sah von einem zum anderen, aber beide blieben stur. „Es tut mir wirklich leid.“

„Können Sie mir wenigstens sagen, wann ich meine Kleider zurückbekomme?“

„So bald wie möglich. Wir haben höchste Eile angeordnet.“

Sie wandte sich wieder Jonah zu. „Ich habe Pfefferspray dabei. Das werde ich unter mein Kissen legen.“

„Hey, es ist doch besser, ein Zimmer mit mir zu teilen als mit Bettwanzen.“

„Bilden Sie sich ja nichts ein.“

3. KAPITEL

Nachdem Emily ihre neuen Sachen eingeräumt hatte, holte sie ihren Nagellack heraus. Morgen würden sie mit dem Papierrosenfalten im Hause ihrer Tante weitermachen, und später, wenn die Gäste von außerhalb da sein würden, fand ein großes Überraschungsessen statt.

Es war ein merkwürdiger Tag gewesen, und nun sollte sie auch noch ihr Zimmer mit einem großen, verschwitzten Hockeyspieler teilen?

Sie versuchte ihn zu ignorieren, als er seine Sporttasche auf seine Seite des Zimmers schleppte. Wenigstens nahm er das Bett neben dem Vorhang, sodass sie der Tür und auch dem Bad am nächsten war.

Als er sich in seiner Ecke eingerichtet hatte, bemerkte er: „Es gibt hier weder eine Minibar noch einen Kühlschrank.“

„Nein. Das Zimmer wird ja auch normalerweise nicht vermietet.“

Er brummte etwas und ging hinaus, um kurz darauf mit einem Kübel Eis zurückzukehren.

Aus seiner Sporttasche nahm er ein Sixpack Budweiser heraus. Vielleicht spürte er ihren Blick auf sich, denn plötzlich sah er auf.

Seine blauen Augen zwinkerten, als hielte er das Ganze für einen wunderbaren Scherz. „Ein Bier?“, fragte er und schenkte ihr sein Muskelmannkalendergrinsen, als glaubte er, sie habe es beim ersten Mal vielleicht übersehen.

Da sie schon hier miteinander festsaßen, konnten sie auch versuchen, miteinander auszukommen, und deshalb nickte sie. Zu ihrer Überraschung brachte er ihr die Dose und öffnete sie sogar, als sie hilflos auf ihre feuchten Nägel blickte. „Ein Glas für Sie?“

„Nein, danke.“

Er nickte und ging zurück zu seinem Bett, stopfte sich ein paar Kissen in den Rücken und öffnete seine eigene Bierdose.

„Sind Sie wirklich Polizist?“

Statt einer Antwort zog er seine Dienstmarke aus der Tasche. Emily erhob sich, um sie sich genauer anzusehen. Die Marke verriet ihr, dass er tatsächlich bei der Polizei war und aus Oregon kam. „Sergeant Jonah Betts“, las sie laut.

Er streckte ihr die Hand hin. „Sehr erfreut, Miss Saunders.“

Das war so absurd, dass sie lachen musste. „Ebenfalls.“ Sie schüttelten sich die Hand. Sein Händedruck war fest und warm, und sie bemerkte, dass er darauf achtete, nicht ihre frisch lackierten Nägel zu berühren. „Und Sie können mich Emily nennen.“

„Schön. Wie war Ihr Tag, Emily?“

Sie kehrte zum Schreibtisch zurück und lackierte ihren kleinen Fingernagel, während sie antwortete. „Es war ein sehr merkwürdiger Tag. Und nicht nur wegen der Wanzen heute Morgen. Ich war bei Wal-Mart in Klamotten, in denen ich lieber nicht gesehen worden wäre.“

Er nickte verstehend. „Ich erinnere mich. Das war wohl nicht Ihr üblicher Look heute Morgen.“

„Nein. Und natürlich lief ich jemandem über den Weg, den ich vor Jahren kannte, einer Frau mit einem großen Mundwerk, die eine Freundin der Cousine ist, die morgen heiratet.“ Emily schraubte das Nagellackfläschchen zu und blies auf ihre Fingerspitzen. „Sie sah mich in dem entzückenden Outfit und konnte die Geschichte nicht für sich behalten. Beim Lunch heute Mittag bot mein Dad mir an, mir Geld zu leihen, meine Mutter meinte, sie könne sich an den Kosten für mein Brautjungfernkleid beteiligen, und meine Tante will mich mit meinem Cousin dritten Grades Buddy zusammenbringen, der Kieferorthopäde ist.“

„Warum haben Sie der neugierigen Verwandtschaft nichts von den Bettwanzen erzählt?“

„Weil ich in diesem Hotel wohne, um nicht irgendwo bei Verwandten einquartiert zu werden. Meine Familie feiert große Hochzeiten, deshalb würde ich das Wohn- oder Gästezimmer nicht einmal für mich allein haben. Es wäre wie eine einwöchige Pyjamaparty auf miserablen Matratzen mit Leuten, die ich fast nicht kenne.“

„Und da haben Sie stattdessen mich gewählt.“

„Sie würden sich nicht geschmeichelt fühlen, wenn Sie meine Familie kennen würden“, erwiderte sie seufzend. „Außerdem zieht morgen vielleicht jemand aus, und dann bekomme ich ein anderes Zimmer. Aber in einem dieser Wohnzimmer? Da würde ich die ganze Woche festsitzen.“

„Was tun Sie beruflich?“

„Ich bin Massagetherapeutin und führe eine Wellnessklinik. Wir beschäftigen Naturheilkundler, einen Chiropraktiker, eine Ernährungsberaterin und einen auf traditionelle chinesische Medizin spezialisierten Arzt. Wir sind ein super Team.“

„Cool“, sagte er, doch seinem Ton war zu entnehmen, dass er von alternativer Medizin nicht sehr viel hielt.

„Es macht mir Spaß.“

„Und da Ihre Tante Sie mit Cousin Buddy zusammenbringen will, sind Sie noch Single, nehme ich an?“

„Und das sehr gern“, informierte sie ihn. Nach einem Tag voller Mitgefühl für ihren Junggesellinnenstatus war sie ziemlich streitbar.

Er hob so schnell die Hände, dass sie das Bier in seiner Dose schwappen hörte. „Hey, ich bin auch Single. Ich weiß, wovon Sie reden.“

Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu. Ob auch Männer unter diesen ungenierten Anspielungen zu leiden hatten? „Versucht Ihre Familie auch bei jeder Gelegenheit, Sie mit irgendjemand zu verkuppeln?“

Er trank einen Schluck Bier und nickte. „Mehr meine Freunde. Ich bin der Letzte von uns, der noch ein freier Mann ist. Und daran wird sich auch nichts ändern.“

Emily hob ihr Bier zu einem Toast. „Auf die Freiheit.“

Beide tranken. „Möchten Sie fernsehen?“, fragte er dann.

„Klar.“ Alles, was sie von der kommenden Woche ablenken würde, war ihr mehr als recht.

Während sie eine zweite Schicht Nagellack auftrug, begann er durch die Kanäle zu zappen. Schließlich fand er einen mit Nachrichten, und Emily ging gerade zu ihrem Bett, um den Fernseher sehen zu können, als es klopfte.

„Was ist denn nun schon wieder?“

„Könnten Sie bitte …?“ Sie war näher an der Tür, aber ihre Fingernägel waren noch nicht trocken. „Vielleicht haben sie noch ein Zimmer gefunden.“

Er rappelte sich auf und ging zur Tür.

„Haben Sie ein orangefarbenes Zelt bestellt?“, fragte er Emily, während er ungläubig das Kleid anstarrte, das ein Zimmermädchen in der Hand hielt.

„Mein Kleid!“, rief Emily und sprang auf. „Ist es sauber?“

„Ja. Wir haben es in den großen Gefrierschrank gehängt. Die Schädlingsbekämpfer hatten uns dazu geraten. Alles, was darauf war, müsste jetzt vernichtet sein.“

„Schade, dass das nicht auch auf das Kleid zutrifft“, bemerkte Jonah trocken.

So viele Leute waren der Hochzeit wegen in der Stadt, dass das Überraschungsdinner an jenem Abend in der Masonic Hall abgehalten wurde, wo auch der Hochzeitsempfang stattfinden sollte. Emily wusste, dass sie in den nächsten zwei Tagen viele Stunden mit dem Schmücken des turnhallengroßen Saals verbringen würde, den ihre Tante unbedingt in eine Art Rosengarten verwandeln wollte.

Da sie nicht in der Stadt lebte, wurde von Emily nicht erwartet, Essen mitzubringen, aber sie hielt trotzdem an einem Feinkostladen an und kaufte einen großen Becher Kartoffelsalat. Sie hätte auch Wein mitgenommen, aber Onkel Bill hatte voller Stolz verkündet, er habe genug für die ganze Woche gemacht. Onkel Bill war ein netter Mann und einer ihrer liebsten Verwandten, aber seinen Wein würde sie eher als Nagellackentferner benutzen, als das Zeug zu trinken.

Als sie eintrat, kam ihre Tante auf sie zugeeilt. „Oh, Emily, ich bin so froh, dass du da bist. Cousin Buddy ist schon ganz gespannt auf dich.“ Sie nahm den Kartoffelsalat entgegen und senkte ihre Stimme. „Er ist dieser sehr erfolgreiche Kieferorthopäde, von dem ich dir erzählt habe“, sagte sie und winkte einem Mann zu, der bei Emilys Eltern stand. Sie scheuchten ihn auch gleich in ihre Richtung, und das so unauffällig-auffällig, dass sie fast wie Schmierenkomödianten wirkten.

Emily hatte sich keine großen Illusionen über einen Mann gemacht, der sich mit über dreißig Jahren noch Buddy nannte, und sie wurde auch nicht enttäuscht. Ihr Cousin dritten Grades kam mit einem Gesichtsausdruck zu ihr herübergeschlendert, der besagte: „Ta-da! Heute ist dein Glückstag, Mädchen.“ Er war mittelgroß, hatte dünnes blondes Haar und trug eine Brille mit runden Gläsern, hinter denen blassblaue Augen mit selbstzufriedenem Blick die Welt betrachteten.

„Emily, das ist Cousin Buddy.“ Also wirklich! An der Art, wie sie es sagte, konnte man das unausgesprochene ‚Sie ist auch noch Single‘ heraushören.

„Hallo“, sagte sie und streckte im selben Moment ihre Hand aus, als Buddy sich zu einem Kuss vorbeugte. Schnell drehte sie den Kopf, sodass seine Lippen auf ihrer Wange landeten und dort einen feuchten Abdruck hinterließen, der sich anfühlte, als hätte ihr ein Hund über das Gesicht geleckt. Es schüttelte sie kurz.

„Ich lasse euch zwei allein, damit ihr euch kennenlernen könnt“, sagte ihre Tante und eilte davon, nachdem sie Emilys Eltern den erhobenen Daumen gezeigt hatte.

Buddy ist bestimmt ein netter Kerl, dachte Emily, und er gehörte zur Familie. Deshalb setzte sie ein Lächeln auf und tat so, als bemerkte sie nicht, wie alle sie und Cousin Buddy beobachteten, als ob sie die Stars einer besonders aufregenden Seifenoper wären. „Ich habe dich noch nie bei Familienhochzeiten gesehen“, sagte sie, um Konversation zu machen.

„Nein. Ich war immer zu beschäftigt mit der Praxis und meinem regen gesellschaftlichen Leben. Aber ein Mann kommt im Leben an einen Punkt, wo er einsieht, wie wichtig eine eigene Familie ist. Und da ich ein paar Wochen nichts zu tun hatte, dachte ich, ich komme und besuche all die Leute, die ich seit meiner Kindheit nicht gesehen habe.“

„Wie schön.“

„Wer möchte Wein?“ Onkel Bill kam mit einem Tablett voller Gläser. „Der weiße ist ein Chardonnay, der rote ein Infidel.“

„Danke.“ Buddy nahm einen Rotwein.

„Später vielleicht“, sagte Emily zu Onkel Bill.

Buddy trank einen Schluck, und als ihm nicht die Tränen in die Augen schossen, sagte Emily: „Ich glaube, er meinte Zinfandel, aber verlassen würde ich mich nicht darauf. Onkel Bills Wein ist normalerweise ziemlich schwer.“

Buddy warf ihr einen anzüglichen Blick zu. „Ich mag meinen Wein wie meine Frauen. Stark und wohlschmeckend.“

Ach, du liebe Güte.

„Leanne“, rief Emily einer an ihnen vorbeieilenden Frau zu. „Wie geht es unserer Braut?“

„Hey, Em. Oh, gut, du hast Buddy schon kennengelernt. Komm und setz dich zu uns.“

„Gern.“ Sie begleitete ihre Cousine zu einem der langen Tische, und Buddy folgte ihr.

Einmal abgesehen von ihrem Geschmack in Brautjungfernkleidern war Leanne Emilys Lieblingscousine. In Derek schien sie den für sie idealen Mann gefunden zu haben. Die beiden kannten sich seit dem College, und inzwischen war Derek Wirtschaftsprüfer, vollkommen vernarrt in seine Frau und überhaupt die Art von Mann, den man anrufen konnte, wenn man mitten in der Nacht eine Reifenpanne hatte. Sie hatten vor, sich in Elk Crossing niederzulassen, wo Leanne bereits als Kindergärtnerin arbeitete.

An ihrem Tisch, wo hauptsächlich die Freunde des Brautpaars saßen, ging es hoch her, nachdem alle von Onkel Bills Wein getrunken hatte. Emily hielt sich aus bitterer Erfahrung an Wasser, und auch Leanne rührte keinen Alkohol an.

Fast während des gesamten Dinners sprach Buddy über seine Praxis, seine cleveren Geldanlagen und schwelgte in Erinnerungen an jedes teure Auto, das er einmal besessen hatte. Dabei sprach er ordentlich Onkel Bills Wein zu, von dessen Alkoholgehalt Emily sich ziemlich sicher war, dass er fast dem eines Rums entsprach.

An Emilys anderer Seite saß eine Frau von Anfang Zwanzig, die mit Leanne befreundet war. Emily war Kirsten ein paar Mal begegnet und mochte sie. Sie war hübsch, klug und lustig, nur beruflich hatte sie ein bisschen Pech gehabt. Die quirlige Blondine war nach Elk Crossing gekommen, um bei dem örtlichen Radiosender zu arbeiten, und dummerweise war sie schon umgezogen, ehe sie entdeckte, dass der Sendeleiter ein sexistischer Rüpel war. Sie war daher nur drei Monate geblieben und verdiente sich nun ihren Lebensunterhalt als Empfangsdame und Bedienung in einem der besten Restaurants der Stadt.

Alle hatten erwartet, sie würde wieder fortziehen, aber sie war geblieben. Nun kellnerte sie, um Geld zu verdienen, und ging mit einem Mann aus, den niemand für gut genug für sie hielt. Er hatte unter anderem auch die schlechte Angewohnheit, sie zu versetzen – wie heute Abend, weshalb sie allein erschienen war.

Emily war froh, Kirsten zum Reden zu haben und sich nicht mit Buddy beschäftigen zu müssen.

„Wie geht’s denn so?“

„Gut.“ Kirstens blondes Haar geriet in Bewegung, als sie nickte. „Das Restaurant ist okay, aber ich muss etwas anderes finden.“ Etwas an Kirstens wehmütigem Ton ließ Emily sich fragen, ob sie ihr das in zehn Jahren nicht immer noch erzählen würde.

Fast wünschte sie, sie hätte etwas von Onkel Bills „Wein“, um die Courage aufzubringen, dieser Frau, die sie kaum kannte, ein bisschen Mut zu machen. Nicht nur, weil sie einen Job ohne Zukunft hatte, sondern auch, weil sogar Emily, die nicht hier lebte, wusste, dass Kirstens sogenannter Freund ihr alles andere als treu war.

Jemand forderte Derek zum Wetttrinken heraus, und Kirsten rief: „Nein, sie sollten lieber Frischverheiratet spielen!“

Dann schlug sie ihren Moderatorinnenton an, und ihr ganzer Körper veränderte sich, sobald sie in die Rolle schlüpfte. „Derek und Leanne, wir werden euch jetzt ein paar Fragen übereinander stellen. An euren Antworten werden wir erkennen, wie viel ihr übereinander wisst oder zu wissen glaubt.“

Gelächter und Gejohle begleitete die erste Frage, die Kirsten stellte. „Was ist Dereks bevorzugtes Küchengerät, und warum?“

Nicht Leanne, sondern Dereks Freund Don wusste darauf die Antwort zuerst, bevor Kirsten ihn korrigierte: „Ein Vibrator ist kein Küchengerät, Don“, erinnerte sie ihn. „Du bist disqualifiziert.“

„Sie bewahrt ihn in der Küche auf!“, rief er. „Ich habe ihn gesehen.“

„Das war mein Mixstab!“, protestierte Leanne mit hochrotem Gesicht.

„Okay, okay“, sagte Kirsten, als die Pfiffe verstummten. „Jetzt eine ernstere Frage für Derek. Was ist Leannes Lieblingsfilm?“

„Star Wars“, erwiderte er prompt.

Wieder Gelächter. „Das ist deiner“, widersprach Leanne.

„Ich dachte, es wäre auch deiner.“

„Nein. Das ist ‚Vom Winde verweht‘.“

„Wisst ihr, was mein Lieblingsfilm ist?“, fiel Buddy ein.

„Was?“

„21.“

„Ist das nicht der Film über diese Kids, die in Las Vegas absahnen?“, fragte Derek.

„Ja. Er basiert auf einer wahren Geschichte. Diese Kids erfanden ein mathematisches System, um in den Casinos zu gewinnen. Sie waren brillant.“

„Dann bist du also auch ein Spieler?“, fragte Leanne.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, dass Leute mit überdurchschnittlicher Intelligenz auch überdurchschnittliche Erfolge erzielen können. Das nenne ich nicht Spielen“, erklärte er mit schon etwas schwerer Zunge.

„Und was ist mit dir, Emily?“, wollte Derek wissen. „Was ist dein Lieblingsfilm?“ Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Derek sie und Buddy in eine Art Kompatibilitätsspiel zu verwickeln versuchte. Wenn ja, würde sie ihnen allen nur zu gern beweisen, dass sie und dieser selbstverliebte, geldgierige Zahnarzt nicht unterschiedlicher sein könnten.

„Mein Lieblingsfilm ist ‚Wall Street‘, weil er zeigt, wie Gier Menschen zerstört“, erklärte sie mit einem frostigen Lächeln.

Leanne nahm sie beiseite. „Wall Street? Das ist noch nicht dein Lieblingsfilm!“

„Buddy geht mir auf die Nerven. Er redet nur von Geld. Und wen interessiert schon sein Mercedes Cabrio? Das Leben hat mehr zu bieten als das.“

Leanne seufzte. „Er versucht dich zu beeindrucken. Ich wette, dass er ein netter Kerl ist, wenn du ihn erst mal richtig kennenlernst.“

„Aber er ist nicht mein Typ.“

„Ich will dich nur so glücklich sehen, wie ich es mit Derek bin.“ Sie umarmte Emily schnell. „Wir alle wollen das.“

„Ich weiß. Und bitte erinnere mich nicht daran, dass ich nicht jünger werde, denn das haben deine Mom und meine mir schon oft genug erklärt. Einunddreißig ist nicht alt. Ich bin nur anspruchsvoll, mehr nicht.“

„Ich weiß.“

Leider hatte Buddy nicht zugehört, als sie ihm zu erklären versucht hatte, dass Onkel Bills selbstgemachter Wein fast nur aus purem Alkohol bestand. Und da Leanne ihr ein leises Schuldbewusstsein eingeflößt hatte, holte Emily ihm einen Kaffee zu seinem Tiramisu. Aber er ignorierte beides und trank noch mehr von dem roten Fusel, rückte näher an sie heran und flüsterte ihr mit undeutlicher Stimme dummes Zeug ins Ohr. Er war schon so betrunken, dass sie nur hoffen konnte, er möge bald vom Stuhl kippen.

Doch statt wegzutreten, wurde er anlehnungsbedürftig.

Er schob seinen Stuhl noch näher, sodass ihre Knie gegeneinander stießen. Emily rückte ihren wieder weg, aber Buddy legte einen Arm um sie, und sie war überzeugt, dass sie seinen Schweiß durch den Wollstoff seines teuren Sakkos spüren konnte.

Sie schüttelte den Arm ab, aber darauf legte er die Hand auf ihren Schenkel und flüsterte: „Lass uns von hier verschwinden, Emily.“

„Vergiss es.“

„Ach, komm, ich will dir etwas zeigen.“

„Und ich bin sicher, dass ich es nicht sehen will.“

Er kicherte. „Du bist nicht auf den Mund gefallen. Das gefällt mir an reiferen Frauen.“

Sie sah sich Hilfe suchend um, aber niemand schien es zu bemerken, weil alle mit sich selbst beschäftigt waren. Alle bis auf ihre Eltern, die mit hoffnungsvollen Blicken Buddys Zudringlichkeiten verfolgten.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte Emily zu ihm. „Ich habe Kopfschmerzen.“ Vielleicht war es unhöflich, so früh aufzubrechen, aber sie hatte genug. „Es war nett, dich kennen…“

Sein Mund schnitt ihr die Worte ab. Sein großer, schlabberiger, nach schlechtem Wein schmeckender Mund. Er küsste sie, als wäre sie eine Luftmatratze, die er aufzublasen versuchte. Wie ein Saugnapf presste sich sein Mund auf ihren, und als sie ihn an den Schultern packte und ihr Gesicht zurückriss, war ein widerliches, schmatzendes Geräusch zu hören.

Empört blickte sie sich nach ihrer Familie um, damit sie kamen und ihr halfen, diesen betrunkenen Schwachkopf loszuwerden. Aber stattdessen ertappte sie ihre Eltern dabei, wie sie einen Handschlag tauschten, und ihre Tante, die sich das Ganze wohl schon als Verdienst anrechnete, lächelte nur breit.

Emily sprang auf und steuerte den Ausgang an, zu schnell, um von jemandem eingeholt zu werden. Auf dem Weg zog sie ein Papiertuch aus der Tasche und wischte sich den Mund ab. Bah.

4. KAPITEL

„Hi, Emily. So früh schon wieder da?“, begrüßte sie eine tiefe Stimme, als sie die Tür zu Zimmer 318 aufstieß. „Hatten Sie einen schönen Abend?“

„Fragen Sie lieber nicht.“

Jonah, der sich ein Hockeyspiel im Fernsehen ansah, blickte auf. „Wow, Sie sehen ganz schön wütend aus. Was ist passiert?“

„Cousin Buddy ist passiert. Er betrank sich, schmiss sich an mich ran und …“ Da Emily sich außerstande sah, die ganze widerliche Episode zu beschreiben, beschränkte sie sich auf ein: „Puh.“

„Verstehe. Möchten Sie ein Bier?“

„Unbedingt.“

Er öffnete eine kalte Dose und gab sie ihr.

„Danke.“ Sie trank einen großen Schluck und hoffte, dass er Buddys Geschmack auslöschen würde. „Wieso sind Sie hier? Ich dachte, Sie würden heute Abend mit Ihren Jungs einen trinken gehen.“

Er zeigte auf sein Bein, und erst jetzt sah sie die Eispackung auf seinem Oberschenkel.

„Oh, oh.“

„Ich habe mir etwas gezerrt. Tut höllisch weh.“

„Wie lange haben Sie die Eispackung schon drauf?“

„Keine Ahnung. Vierzig Minuten oder so?!“

„Dann nehmen Sie sie jetzt erst mal runter.“

„Können Sie irgendetwas für mich tun? In professioneller Hinsicht, meine ich?“

„Das kommt darauf an. Wenn Sie einen Muskelriss haben, leider nicht. Wenn es nur ein Krampf oder eine Zerrung ist, ja. Soll ich es mir mal ansehen?“

Jonah nickte.

Das Zimmertelefon klingelte. Jonah griff hinüber und nahm ab. „Ja?“ Eine Pause. Dann blickte er betreten auf. „Nein, Sie haben das richtige Zimmer. Sie ist hier“, sagte er und reichte Emily den Hörer.

„Hallo?“

„Wer war das?“, fragte Leanne.

Verdammt. „Warum hast du mich nicht auf meinem Handy angerufen?“

„Ich musste Derek meins leihen, weil sein Akku leer war. Ich bin bei meiner Mom und konnte mich nicht an deine Nummer erinnern.“ Ihre Stimme wurde leise und vertraulich. „Ich nehme an, du bist beschäftigt. War das Buddy? Habe ich euch bei etwas unterbrochen?“

„Nein! Es war nicht Buddy. Er ist ein widerlicher Trinker, der sich nur für seine Autos und fabelhaften Aktiengewinne interessiert. Habe ich dir gesagt, was er mir über seinen Wertpapierbestand erzählt hat?“ Emily dachte, wenn sie über Buddy weiterredete, würde Leanne vielleicht den Mann vergessen, der sich am Telefon gemeldet hatte.

Aber da irrte sie sich.

„Wenn nicht Buddy bei dir ist, wer dann?“

„Das ist … ein bisschen kompliziert“, begann Emily und suchte nach einer Erklärung, die nicht das Wort Bettwanzen mit einschloss.

„Ich höre.“

„Er heißt Jonah.“

„Schöner Name. Und?“

„Und er ist …“ Jonah sah halb schuldbewusst, halb belustigt aus, als er ihr zuhörte. „Er ist …“ Was? Auf die Schnelle kam ihr nur eine Idee, die ihr halbwegs glaubwürdig erschien. „Er ist mein Freund“, sagte sie schnell.

Sie wusste nicht, wer überraschter war, sie oder Jonah.

Oder Leanne. „Dein Freund?“

„Ja.“ Emily drehte sich ein wenig, um ihren brandneuen Freund nicht ansehen zu müssen. „Er heißt Jonah.“

„Das sagtest du bereits. Was ich wissen will, ist, warum du nicht gesagt hast, wenn du einen Freund hier in der Stadt hast. Und wieso hast du ihn heute Abend nicht mitgebracht?“

„Das ist kompliziert.“ Sie trommelte mit ihren Fingernägeln auf die Bierdose und fragte sich, wie sie eine solch lächerliche Geschichte hatte erfinden können „Er ist zu dem Hockeyturnier hier, deshalb konnte er nicht mitkommen.“

„Und warum hast du mir nichts von ihm erzählt?“

Emily spürte die Hitze, die ihr in die Wangen stieg. Sie wünschte, ihr Zimmerkamerad möge sich für fünf Minuten diskret zurückziehen, aber er hatte sogar den Fernseher leiser gestellt, um besser zuhören zu können. Er schien genauso fasziniert von ihren Ausführungen zu sein, wie Leanne es war.

„Ich schätze, ich wollte ihn mit niemandem teilen.“ Nachdem Emily sich auf eine Erklärung festgelegt hatte, war es einfacher, sie auszuschmücken. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, einen Freund vor ihrer Verwandtschaft zu verstecken – falls sie wirklich einen hätte. „Du weißt, wie die Familie ist. Dad würde ihn nach seinen Absichten fragen, Mom würde schon Gästelisten für die Hochzeit anlegen, und Tante Alice würde ihn nach seiner Zeugungsfähigkeit fragen.“ Ein ersticktes Auflachen ertönte hinter ihr. „Deshalb behalte ich mein Privatleben für mich.“

„Wow. Aber mir hättest du es sagen können.“ Leanne klang ein bisschen eingeschnappt. „Wie lange seid ihr schon zusammen?“

„Nicht sehr lange.“

„Na, dann weiß ich jetzt zumindest, warum du heute Abend so schnell verschwunden bist.“

„Ja. Du weißt ja, wie es zu Beginn einer Beziehung ist.“

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Jonah sich zurücklehnte und ihr Dilemma sichtlich zu genießen schien. Sie entdeckte sogar eine gewisse Spekulation in seinem Blick.

Leanne seufzte. „Du meinst, wenn er dir einfach nicht mehr aus dem Kopf geht und du die ganze Zeit an Sex denkst?“

„Mmhh“, stimmte Emily mit gedämpfter Stimme zu. „Die ganze Zeit.“

„Und wie ist der Sex?“

Die ganze Situation war so absurd, dass Emily kichern musste. Sie wandte sich zu Jonah um und sagte laut: „Meine Cousine möchte wissen, wie der Sex ist.“

Sein Grinsen war prompt und wölfisch. Und die Art, wie er sie ansah, machte Emily bewusst, wie unklug es war, einen Wolf zu necken. „Sag ihr, er ist fabelhaft.“

Emily verdrehte die Augen. Leanne kicherte am anderen Ende der Leitung. „Ich will diesen Mann kennenlernen, wenn du nicht zu beschäftigt damit bist, fabelhaften Sex mit ihm zu haben.“

„Das wirst du sicher.“

„Auf jeden Fall doch auf der Hochzeit, oder?“

„Nun … das kommt auf seine Hockeyspiele an.“

„Oh nein, du bringst ihn auf jeden Fall mit. Sag es ihm.“

„Okay.“

„Jetzt sofort. Oder gib ihn mir, dann sage ich es ihm selbst.“

Emily verdrehte die Augen und wünschte, sie wäre daheim in Portland. Doch da die ganze Situation Jonahs Schuld war – schließlich hatte er den Hörer abgenommen –, reichte sie ihm nun mit einem süffisanten Lächeln das Telefon weiter. „Leanne möchte sichergehen, dass du zur Hochzeit kommst.“

Amüsiert beobachtete Jonah, wie sich seine Mitbewohnerin um Kopf und Kragen redete, um seine Anwesenheit in ihrem Zimmer zu erklären. Eine ungeschicktere Lügnerin hatte er noch nie gesehen. Darüber konnte er fast den Schmerz in seinem Bein vergessen.

„Du kannst aufhören zu grinsen“, fauchte sie, als sie das Gespräch beendete. „Das war alles deine Schuld.“

Er lehnte sich wieder an seine Kissen, ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. Dieses hübsche Gesicht war jetzt stark gerötet, und auch ihre Lippen sahen irgendwie voller aus. Vielleicht waren sie wie Pinocchios Nase. Wenn sie log, schwollen sie an. Oder vielleicht war es auch das Gerede über Sex, das daran schuld war.

„Dann bin ich also jetzt dein Freund?“

„Tut mir leid. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.“

„Das war gar nicht mal so schlecht“, erwiderte er schmunzelnd. „Das dürfte zumindest Buddy den Zahnarzt von deinem Mund fernhalten.“

Emily stöhnte. „Was für ein blödes Wortspiel. Und du kennst meine Familie nicht. Sie werden nicht locker lassen.“

Er hörte die Panik in ihrem Ton. „Bin ich so unvorzeigbar?“

„Nein, natürlich nicht.“ Nüchtern sah sie ihn an. „Wenn du dich rasierst und anständige Sachen anziehst, wärst du sicher präsentabel genug. Aber sie haben diese reizende Angewohnheit, wenn man dreißig und noch Single ist, einen unbedingt verheiraten zu wollen. Und das egal mit wem.“

„Verstehe. Aber sieh doch mal das Gute an der Sache. Ich kann dein Alibi sein. Du willst nicht heiraten, und ich will nicht heiraten. Und da wir nicht wirklich ein Paar sind, wird niemand dich zu irgendetwas drängen.“

„Du scheinst ja nicht sehr verstimmt darüber, plötzlich eine Freundin an der Backe zu haben.“ Sie knabberte jetzt an ihrer vollen Unterlippe – was er nur zu gerne für sie übernehmen würde, dachte er. Man lernte einen Menschen schnell kennen, wenn man auf engem Raum zusammenlebte, und er fing an, die Frau in dem Bett neben seinem zu mögen.

„Ich kann darin gewisse Vorteile erkennen“, antwortete er.

Sofort wurden ihre Augen schmal, und sie hörte auf, an ihrer Unterlippe zu nagen.

„Nicht solche Vorteile“, sagte er schnell. „Ich dachte, wenn ich mich bereit erkläre, dich zu der Hochzeit zu begleiten, würdest du dich meiner vielleicht erbarmen und mir eine Massage geben – oder zwei.“ Und da sie immer noch nervös zu sein schien, fügte er hinzu: „Ich verspreche dir auch, dass ich dich nicht belästigen werde.“

Sie wirkte nicht unbedingt erleichtert. Für ihn war es keine Selbstverständlichkeit, einer begehrenswerten Frau, die das Zimmer mit ihm teilte, zu versprechen, sie in Ruhe zu lassen. Doch statt dankbar auszusehen, wirkte sie geradezu … verärgert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie gekränkt war. Sie war eine attraktive Frau, der es sicher nicht an männlicher Bewunderung fehlte. Aber da er selbst am besten wusste, dass er von Frauen keine Ahnung hatte, fuhr er fort.

„Du bist eine schöne Frau. Und unter anderen Umständen würde ich alles tun, um dich in mein Hotelzimmer zu bekommen. Doch da du gegen deinen Willen hier bist, gebe ich dir mein Wort, dass ich nichts versuchen werde.“

Sie nahm brandneue Joggingsachen aus dem Schrank und verschwand damit im Bad. Als sie zurückkam, trug sie den flauschigen grauen Anzug, und sie hatte auch ein paar Handtücher und ein Fläschchen Öl dabei.

Jonah tat sein Bestes, um sich auf CNN zu konzentrieren und nicht daran zu denken, dass seine Prinzipien seinem Sexleben manchmal sehr im Wege standen. „Du hältst es also für ausgeschlossen, dass wir beide jemals Sex miteinander haben könnten?“, fragte sie.

„Nein.“ Sie war so sexy, dass er wünschte, er hätte den Mund gehalten. Eine Frau kam mit einer Flasche Massageöl auf ihn zu, und er hatte versprochen, sie nicht anzurühren? Er musste den Verstand verloren haben. „Ich habe nur gesagt, dass ich dich nicht belästigen werde.“

Sie setzte sich neben ihn auf das Bett und hob sein Bein an, um ein Handtuch darunter zu legen. „Ist das nicht das Gleiche?“

„Keineswegs.“ Als sie ihm jetzt so nahe war, konnte er ihre Haut riechen und sehen, dass ihre Augen nicht nur braun waren, wie er gedacht hatte, sondern auch gold und grün gesprenkelt waren. Als sie ihre Hand auf seinen Schenkel legte und vorsichtig den Muskel untersuchte, sagte er: „Aber ich habe nicht das Geringste gegen Annäherungsversuche deinerseits.“

Ihre Finger hielten inne, ihre Augen wurden groß.

Er blickte grinsend zu ihr auf. „Jederzeit.“

5. KAPITEL

Tag Drei der Hochzeitsvorbereitungen nähert sich dem Ende, dachte Emily erleichtert, als sie in ihrem Hotelzimmer saß und Platzkarten für die Feier schrieb.

Heute hatte sie sich mit ihrer Mutter zum Lunch getroffen. Sie liebte ihre Mom, aber „der schöne lange Lunch zu zweit“ war getrübt worden von den enthusiastischen Bemerkungen ihrer Mutter über Cousin Buddy und ihrer etwas wehmütigen Vorfreude auf Leannes Hochzeit.

Emily steuerte die Unterhaltung geschickt um gefährliche Punkte herum, hatte aber trotzdem nicht vermeiden können, dass die Geschichte der ‚verrückten‘ Tante Hilda wieder einmal zur Sprache kam, die nie geheiratet hatte und heute zusammen mit sieben Katzen auf einem verrottenden Hausboot lebte. „Sie hat immer nur Katzenfutter gekauft. Ich sage nicht, dass Hilda es isst, aber man muss sich doch wundern.“ Sie schüttelte den Kopf. Dachte sie wirklich, dass Emily die Geschichte noch nie gehört hatte? „Zumindest braucht sie sich nicht um Mäuse zu sorgen.“

Und so ging es mehr oder weniger weiter bis zum Kaffee, als das von Emily so sorgfältig gesteuerte Gespräch gegen einen Eisberg stieß und die Augen ihrer Mutter sich mit Tränen füllten. „Du weißt, wie gern ich Leanne habe, und ich bin wirklich froh für sie und meine Schwester“, sagte sie. „Aber es würde mir das Herz brechen, wenn sie zuerst Großmutter würde.“

Für den Rest des Tages hatte Emily sich mit Gewissensbissen geplagt und geglaubt, sie müsse ihre Mutter irgendwie entschädigen, weshalb sie sich schließlich erboten hatte, die Platzkarten zu schreiben.

Die wundervolle Stille im Zimmer wurde von einem abrupten Türknallen und einer Reihe krachender Geräusche unterbrochen.

„Was machst du?“ Der Lärm veranlasste Emily, sich umzudrehen, und sie sah Jonah gerade noch mit seiner Hockeyausrüstung behängt ins Zimmer stolpern.

„Entschuldige, ich versuche, leise zu sein“, sagte er und schlug die Tür hinter sich zu, wobei so etwas wie ein Polster auf den Boden fiel. Als er sich danach bückte, krachten zwei Hockeyschläger an die Wand. „Es sieht nach Regen aus. Da wollte ich die Sachen nicht im Wagen lassen.“

„Na großartig. Dieses Zimmer ist ja auch noch nicht voll genug, nicht wahr?“

Zweifelnd blickte er hinter sein Bett. „Ich könnte die Sachen hinter den Vorhang stellen, aber da ist es bestimmt noch feuchter als in meinem Wagen.“

„Gib nichts auf mein Gerede. Ich bin nur ein bisschen boshaft heute. Frag mich nicht, warum.“

Er schleppte die Schläger, Tasche, Polster, zwei Paar Schlittschuhe und eine Spieleruniform zu seinem Bett und türmte sie zu einem unordentlichen Stapel auf.

Emily wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und versuchte, die unverkennbaren Geräusche eines sich ausziehenden Manns zu ignorieren.

„Ist es okay, wenn ich jetzt dusche?“, fragte eine tiefe, angenehme Männerstimme.

„Ja. Natürlich.“

Er trat hinter sie, und sie spürte, wie er innehielt. „Was ist das?“

„Kalligraphie.“

„Das weiß ich“, sagte er zu ihrem Erstaunen. „Aber was ist das?“

„Ich schreibe die Platzkarten für die Hochzeit.“

„Sie brauchen einen Gast von außerhalb dafür? Zwei Tage vor der Hochzeit?“

Emily legte ihren Stift hin. „Offensichtlich bist du noch nie eine Brautjungfer gewesen.“ Sie wünschte, sie hätte sich nicht umgedreht, denn nun war sie auf Augenhöhe mit Jonahs fabelhaften Bauchmuskeln und dem Bund seiner grauen Trainingshose. Sie konnte ihn sogar riechen. Er roch wie ein Sportler, nach sauberem Schweiß und hartem Training. Wenn sie mit ihren Händen über seinen Körper striche, würden sich seine Muskeln noch ganz warm und locker von der Anstrengung anfühlen.

„Gut geraten.“ Er klang belustigt.

„Zu meinen Aufgaben gehört es, bei all den kleinen Details zu helfen.“ Sie blickte auf den Stapel Karten, die noch darauf warteten, beschrieben zu werden, und log schamlos: „Es macht mir auch gar nichts aus.“

„Aha. Wenn ich dir das mal glauben soll.“

„Sicher. Ich verpasse nur ein weiteres Überraschungsessen. Und die Auswahl der peinlichen Baby- und Kindheitsfotos, die mit einem Projektor bei der Rezeption gezeigt werden sollen. Die Kärtchen auszufüllen ist mir ehrlich lieber.“

„Sobald ich umgezogen bin, gehe ich mit ein paar der Jungs eine Pizza essen. Möchtest du mitkommen?“

Emily war aufrichtig erstaunt über das Angebot. „Vielen Dank“, sagte sie lächelnd, „aber wenn ich nicht weitermache, werde ich nie fertig. Außerdem habe ich Joghurt und ein paar Müsliriegel, falls ich hungrig werde. Das genügt.“

„Wie du meinst.“ Dann ging er ins Bad, und kurz darauf hörte sie die Dusche rauschen.

Drei Platzkarten später kam er wieder heraus, frisch rasiert und nach Shampoo und Seife duftend. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er nur ein Handtuch um die Taille trug, und dass das Haar seiner Unterschenkel dunkel war und seine großen Füße feuchte Spuren auf dem Teppich hinterließen.

Als er an ihr vorbei war, erlaubte sie sich einen raschen Blick auf seine Hinteransicht, mit der Begründung, dass eine schwer arbeitende Kalligraphin ab und zu eine kleine Belohnung brauchte. Sie war froh über die Feststellung, dass sein Rücken glatt und unbehaart war. Seinen Muskeln nach zu schließen tat er mehr als Hockeyspielen, um in Form zu bleiben.

„Was macht dein Bein?“

„Ich habe die Dehnübungen gemacht, die du mir empfohlen hast. Danach ging es ganz gut heute.“

„Gut. Dann mach sie weiter. Mindestens dreimal täglich.“

„Ja, Doc.“

Zwei Minuten später war er auf dem Weg zur Tür. „Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?“

„Nein. Aber ich wünsche dir viel Spaß.“

„Na schön. Bis später dann.“

Emily strich einen Namen auf der Liste durch und versuchte, sich nicht zu ärgern, als sie mit dem nächsten weitermachte. Vielleicht wäre es ganz lustig gewesen, mit einer Gruppe Hockeyspieler Pizza essen zu gehen. Na ja, das war eher fraglich, aber vielleicht wäre sie ja gern zum Joggen oder ins Kino gegangen. Doch nichts davon war möglich, solange sie mit ihrer Schönschreibarbeit an diesen Schreibtisch gefesselt war.

„Du hast so eine schöne Handschrift“, hatte ihre Tante ihr geschmeichelt, als sie ihr die Aufgabe übertragen hatte.

„Emily ist so eine große Hilfe“, hatte ihre Mutter ihrer Tante beigepflichtet. „So zuverlässig.“

Vielleicht war sie es leid, zuverlässig zu sein. Der Gedanke, den ganzen Stapel Karten in den Papierkorb zu werfen, brachte ein Lächeln auf ihr Gesicht, aber da sie so etwas natürlich niemals tun würde, streckte sie ihre verkrampften Finger und machte sich wieder an die Arbeit.

Und als Jonah zwei Stunden später zurückkehrte, war sie noch immer nicht fertig.

Die Tür öffnete sich krachend. Zuerst dachte Emily, er sei betrunken, aber dann begann sie einzusehen, dass Jonah einfach nur ein geräuschvoller Mensch war und es vermutlich nichts gab, was er leise tat. „Bist du immer noch dabei?“ Selbst seine Stimme klang unnötig laut in dem so stillen Zimmer.

„Es sind nur noch zehn“, sagte sie und registrierte plötzlich den ganz erstaunlichen Geruch, der mit ihrem Zimmerkameraden hereingekommen war. Ihr lief schon das Wasser im Mund zusammen, bevor ihr Verstand die Quelle des Geruchs erkannte.

Als sie sich umdrehte, hielt er ihr eine viereckige Schachtel hin. „Für dich.“

Hätte er ihr Rosen – nein, Diamanten – mitgebracht, hätte sie nicht dankbarer sein können.

„Das ist das Schönste, was ich je gesehen habe“, seufzte sie. Als er die Schachtel auf den Schreibtisch stellen wollte, protestierte sie jedoch entsetzt. „Nein! Es darf kein Fett auf die Karten kommen. Stell sie auf das Bett. Ich wasche mir nur die Hände und bin gleich wieder da.“

Als sie zurückkam, hatte er ihr ein Bier geöffnet und es auf den Nachttisch zu der Pizzaschachtel gestellt.

Emily benutzte ein Handtuch aus dem Bad als Serviette und öffnete die Schachtel. Ihr Magen knurrte.

„Ich wusste nicht, was du magst, deshalb habe ich von allem etwas genommen.“

„Wunderbar.“ Sie nahm das erste Stück, biss hinein und verdrehte entzückt die Augen. Käse, Knoblauch, Tomatensauce, Pilze, Schinken, ein Streifen grüner Paprika. „Oh, mmh. Mmmh“, stöhnte sie erfreut und ertappte Jonah dabei, wie er ihren Mund anstarrte. Für eine Sekunde brannten ihre Lippen geradezu von seinem Blick, aber dann wandte er sich ab, griff nach seiner eigenen Bierdose und nahm einen tiefen Schluck daraus.

„Wie waren die Spiele heute?“, fragte sie, um die jähe Spannung zwischen ihnen aufzulockern.

„Wir haben zwei gespielt. Eins war leicht zu gewinnen, das andere schwierig. Und ich habe mir noch ein paar andere gute Spiele angesehen.“

„Wie schön für dich.“

„Und du? Was hast du heute getan, außer wie ein mittelalterlicher Mönch an deiner Kalligraphie zu sitzen?“

„Wir waren shoppen und haben etwas für Leannes Junggesellinnenabschied morgen Abend gekauft. Danach war ich mit den Mädchen beim Lunch.“

„Also war’s ein schöner Tag?“

„Ja.“

Da die Pizza zu viel für sie war, bot sie ihm die Hälfte an und war kaum überrascht, als er die Stücke verputzte, als hätte er noch nichts gegessen.

„Ich kann nicht glauben, dass du zweimal zu Abend isst und nicht dick wirst“, bemerkte sie.

„Das war kein Abendessen, sondern nur ein kleiner Snack vor dem Zubettgehen.“ Er lehnte sich mit dem letzten Stück zurück und sagte: „Außerdem habe ich einen hervorragenden Stoffwechsel.“

Emily wischte sich die Finger ab und warf die leere Schachtel in den Mülleimer. Dann wusch sie sich gründlich die Hände. „Ich werde die letzten zehn Karten noch schreiben, bevor ich schlafen gehe.“

„Okay. Dann werde ich fernsehen.“

Bald waren beide in ihre jeweiligen Beschäftigungen vertieft. Emily versah gerade das T in Patricia mit einem Schnörkel, als ein lautes plötzliches Geräusch sie so erschreckte, dass ihr der Stift aus der Hand fiel und das Wort Patricia fast völlig unter einem Tintenfleck verschwand.

Das Geräusch kam wieder, lauter jetzt und eindringlich wie Trommeln. Als ob sich Straßentrommler in ihrem Zimmer eingerichtet hätten.

„Was …?“

Jonah stellte den Ton ab und verzog das Gesicht. „Ich sagte dir doch, dass es Regen geben wird.“ Dann zog er den Vorhang zurück, und sie sah schon die Wassertropfen von dem Leck im Dach in die Eimer fallen.

„Oh nein! Das glaube ich nicht.“

Sie mochte das Trommeln von Regen auf einem Dach, wenn man mit einem guten Buch im Bett lag und es warm und trocken hatte. Aber sie hatte noch nie versucht, es sich bei Regen, der durchs Dach in Plastikeimer tropfte, im Bett bequem zu machen.

„Wie lange regnet es hier für gewöhnlich?“, fragte Jonah.

„Das kann Tage dauern. Und Nächte“, erwiderte Emily mit einem vielsagenden Blick.

Es gelang ihr, die Karten fertig zu machen, dann putzte sie sich die Zähne, zog im Bad ihren Pyjama an und ging dann, schon viel weniger verlegen als in der Nacht zuvor, in das Zimmer zurück. Sie gewöhnte sich bereits an Jonah. Wie eigenartig.

Er ging nach ihr ins Bad und kam in Shorts zurück, die er bestimmt nur ihretwegen angezogen hatte.

Sie legten sich in ihre jeweiligen Betten, und nach einer höflichen Rückfrage schaltete Emily das Licht aus.

In der Dunkelheit kam ihr das Tropfen des Regens in die Plastikeimer sogar noch lauter vor, und so drehte sie dem Vorhang den Rücken zu, legte sich ein Kissen über das Ohr und schloss die Augen. Doch das nervige Geräusch war immer noch zu hören, und schließlich legte sie sich auf den Rücken, starrte zu den Dachbalken über ihr und hoffte, dass die undichten Stellen nicht auf diesen Teil des Zimmers übergriffen.

An Jonahs Atem und seinen unruhigen Bewegungen merkte sie, dass auch er anscheinend keinen Schlaf fand.

„Jonah?“

„Ja?“

„Kannst du auch nicht schlafen bei dem Lärm?“

Er lachte leise. „Keine Chance. Es ist, als wäre man unter Beschuss.“

Sie machte große Augen und drehte sich auf die andere Seite, wo er im Dunkeln kaum mehr als ein grauer Schatten war. „Warst du das schon mal?“

„Unter Beschuss? Ich bin seit zwölf Jahren Polizist. Natürlich war ich das.“

„Hast du schon mal …“ Sie unterbrach sich.

Sie hörte, wie er ihr das Gesicht zuwandte. „Jemanden getötet?“ Er wartete einen Moment, aber sie antwortete nicht. „Das wolltest du doch wissen? Das fragt sich jeder. Aber nein, zum Glück noch nicht. Einmal war ich nahe dran, aber ich hatte nicht gut gezielt, und der Kerl kam zu schnell auf mich zu.“ Er sagte es ganz nüchtern, doch das Bild, das er in Emily heraufbeschwor, war schrecklich. „Wir schossen beide gleichzeitig. Ich erwischte ihn in der rechten Brust. Er hatte eine gebrochene Rippe und verlor ein wenig Blut, aber das war alles. Seine Kugel traf mich am linken Arm, was mir eine männliche und interessante Narbe einbrachte. Eines Tages werde ich sie dir zeigen.“

Ein kleiner Schauer durchlief sie bei seinen Worten. Natürlich konnte sie die Narbe sehen, wenn er nur mit einem Handtuch oder Shorts bekleidet an ihr vorbeiging, aber dass er sie ihr zeigen wollte, klang nach etwas viel Intimerem. Und sie wusste nicht, was sie erwidern sollte. Oh ja, ich kann es kaum erwarten? Du zeigst mir deine und ich dir meine? Nicht, dass eine Blinddarmnarbe mit einer Schussverletzung konkurrieren konnte, aber das war die Einzige, die sie hatte.

Emily legte sich auf die Seite und stützte den Kopf in ihre Hand. Das hier war fast wie eine Pyjamaparty, nur ohne andere Mädchen und Pediküren. Und es lag eine eigenartige Spannung in der Luft, ein unterschwelliger gegenseitiger Reiz, den sie jedoch zu ignorieren gedachte.

„Wolltest du schon immer Polizist sein?“

„Ich denke schon. Wahrscheinlich habe ich als Kind zu viele Cop-Serien gesehen. Erinnerst du dich an Hill Street Blues? Das sah ich als kleiner Junge schon mit meinen alten Herrschaften.“ Er lachte. „Das muss man sich mal vorstellen – sich seinen Beruf nach einer Fernsehserie auszusuchen.“

„Das kommt bestimmt sehr häufig vor. Kannst du dir vorstellen, wie viele Kinder CSI-Ermittler werden wollen, wenn sie erwachsen sind?“

„Such dir nur die Stadt aus, und schon ist alles klar.“ Er lachte wieder und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Und du? Wie bist du zu deinem Job gekommen?“

„Durch einen Eignungstest.“

„Wirklich?“

„Ja. Ich bin unternehmerisch, arbeite gern mit Menschen, bin durchtrainiert und an Anatomie interessiert. Ich wollte auch mal Ärztin werden.“ Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln, obwohl er es nicht sehen konnte. „Aber das Studium war mir zu lang. Physiotherapie war besser. Ich arbeite mit Partnern, die ich respektiere, und jeder hat sein eigenes Spezialgebiet. Da wir alle Mitbesitzer sind, ist es kein Problem, wenn einer von uns Urlaub braucht. Das ist ideal für mich.“

Eine Weile lagen sie still da und lauschten dem Regen, der sich so anhörte, als könnten sie sich auf tagelanges schlechtes Wetter einstellen.

„Eins verstehe ich nicht“, sagte Jonah.

„Was?“

„Du bist klug genug, dein eigenes Geschäft zu führen, energisch genug, um Urlaub zu nehmen, wenn du ihn brauchst, wieso lässt du dich dann also so von deiner Familie tyrannisieren?“

„Wie kannst du das sagen? Du kennst meine Familie ja nicht einmal.“ Sie gab sich wirklich Mühe, empört zu klingen, was aber gar nicht leicht war, da er recht hatte.

„Schon vergessen, dass ich Polizist bin? Es gehörte zu meiner Ausbildung, Menschen zu beobachten. Und die Indizien, die ich durch meine Beobachtungen über dich gesammelt habe, sind faszinierend.“

„Faszinierend?“ Obwohl er sie nach so kurzer Bekanntschaft analysierte, war es schön zu wissen, dass er sich die Mühe machte.

Autor

Nancy Warren
Nancy Warren hat mehr als 20 erotische und witzige Liebesromane mit großem Erfolg veröffentlicht. Ihren großen Durchbruch hatte sie im Jahr 2000, als sie den Harlequin Blaze-Wettbewerb für bisher unveröffentlichte Autoren gewann. Daraufhin erhielt sie sogleich den Auftrag, drei Romane zu verfassen. Es folgten weitere Preise bei etlichen Wettbewerben. Zudem...
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