Traumprinz mit Vergangenheit

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„Ich bin kein Mann fürs Heiraten.“ Seth darf seiner Traumfrau Amelia nichts vormachen! Obwohl er am liebsten jeden Morgen neben der rotgelockten Schönheit aufwachen würde, fürchtet er: Sobald er ihr die Wahrheit über seine Vergangenheit anvertraut, wird sie ihn nicht mehr wollen!


  • Erscheinungstag 07.11.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520751
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Amelia Miller hob den Kopf, als eine kräftige Windbö die Fensterscheiben in dem alten viktorianischen Haus erzittern ließ. Das Gemäuer hatte während seiner hundertzwanzig Jahre schon wesentlich stärkeren Stürmen standgehalten. Dieser erste Oktoberregen war trotzdem ziemlich heftig.

Sie streckte die Füße näher zu dem künstlichen gasbetriebenen Kamin. Draußen war es um die null Grad. Ihr kleines Hotel – eher eine Frühstückspension – war zum Wochenende hin ausgebucht, und die Gäste, von denen die letzten erst vor wenig mehr als einer Stunde eingetroffen waren, hatten es sich in ihren Zimmern gemütlich gemacht.

In ihrer überschaubaren Welt war alles in bester Ordnung.

Die meisten ihrer Gäste waren Paare und übers Wochenende aus Boise zum Wandern hergekommen. Der Herbst hatte die Hügel bunt angemalt – die Espen und Pappeln leuchteten in diesem Jahr besonders schön. Blieb nur zu hoffen, dass die Naturliebhaber sich vom Regen nicht von ihren Ausflügen abhielten ließen.

Beim Blick auf die Uhr stellte Amelia fest, dass es fast elf war. Sie gähnte, trank den Rest ihres Kräutertees und klappte den Liebesroman zu, in dem sie gerade gelesen hatte. Er erinnerte sie an ihre eigene Jugend: Im Alter von zwanzig Jahren hatte sie sich in einen blendend aussehenden Cowboy verguckt, der wegen des Rodeos in die Stadt gekommen war. Nachdem sie einander gerade einmal zwei Wochen gekannt hatten, hatte sie ihn geheiratet und sich auf das größte Abenteuer ihres Lebens gefreut.

Das Herzklopfen hatte etwa zwei Monate gedauert, die Ehe immerhin zwei Jahre gehalten – vor allem wegen ihrer Hartnäckigkeit, denn so schnell gab Amelia nicht auf. Ihr schöner Cowboy hatte sich leider als cholerischer Typ und noch dazu hinterhältig entpuppt. Als sie ihm den Besuch einer Eheberatung vorgeschlagen hatte, war er gewalttätig geworden. Daraufhin hatte sie ihre Sachen gepackt und war gegangen. Sie musste sich eingestehen, einen schweren Fehler gemacht zu haben.

Mit dreiunddreißig waren ihr dann nicht mehr so viele Illusionen geblieben. Ihr Glück bestand inzwischen aus einem ausgebuchten Hotel und einem Dach, durch das es nicht regnete – so viel zu junger Liebe und den Träumen, die damit verbunden waren …

Sie musste lächeln, als sie an ihre Naivität von damals dachte. Gleichzeitig empfand sie ein Gefühl von Melancholie. Erneut gähnte sie. Es war höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Um halb sechs würde die Nacht für sie schließlich vorbei sein.

Das Läuten der Türklingel erschreckte sie. Amelia schlüpfte in die flauschigen Pantoffeln, band ihren Morgenmantel fester zu und betrat den Korridor. Im Licht der Außenlampen zu beiden Seiten der Eingangstür erkannte sie durch die Butzenscheiben einen einsamen Mann. Den Kopf hatte er gesenkt, als wäre er tief in Gedanken versunken, und die Hände hielt er in den Taschen seines Trenchcoats vergraben, der wiederum vor Nässe glänzte.

„Wer ist da?“, fragte sie durch die geschlossene Tür.

„Amelia? Ich bin’s, Seth Dalton.“

Seth Dalton! Der Junge, bei dessen Anblick sie als Sechzehnjährige immer Herzklopfen bekommen hatte. Er war der älteste der Dalton-Brüder, die nach dem frühen Tod ihrer Eltern von ihrem Onkel Nick und dessen Frau Milly aufgenommen worden waren. Seltsamerweise klopfte Amelias Herz auch jetzt schneller, als sie die Tür öffnete.

„Bei diesem Wetter schickt man ja keinen Hund vor die Tür!“, begrüßte sie ihn. Nachdem er seinen Regenmantel auf der Veranda ausgeschüttelt hatte, kam er ins Haus.

Er schloss die Tür, stellte seinen Rucksack ab und hängte den Mantel an einen Haken. „Ja, schrecklich“, pflichtete er ihr mit einem müden Lächeln bei.

„Ähm … Hatten wir eine Verabredung?“

„Nein. Ich wollte zur Ranch, bin aber später als geplant aus der Stadt zurückgekommen. Es war so viel Verkehr auf der Straße … und dazu dieses Unwetter. Ich habe fast drei Stunden auf der Autobahn gestanden. Deshalb bin ich hierhergekommen.“

Mitfühlend schnalzte sie mit der Zunge.

„Ich hoffe, du hast noch ein Zimmer für mich. Ich bin nämlich vollkommen erledigt“, fuhr er fort.

„Eigentlich sind wir ausgebucht. Die Leute wollen alle den Herbst hier genießen.“

„Oh! Und was ist mit dem Einzelzimmer?“

„Auch besetzt. Vor etwa einer Stunde ist dir ein Wanderer zuvorgekommen.“

Enttäuscht sah er sie aus seinen dunklen Augen an. „Na ja, dann werde ich wohl doch noch weiterfahren müssen“, sagte er seufzend.

Nicholas Dalton, der seine Neffen bei sich aufgenommen hatte, nachdem seine beiden jüngeren Brüder vor rund zwanzig Jahren bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen waren, wohnte auf dem Familienbesitz der Daltons, etwa dreißig Meilen von der Kleinstadt Lost Valley entfernt. Auf den gewundenen Landstraßen würde die Fahrt bei diesem Wetter mindestens eine Stunde dauern. Vielleicht war die Straße sogar unpassierbar, und Seth würde zum zweiten Mal an diesem Abend stranden.

Amelia warf einen Blick ins Wohnzimmer mit seinen Tischen und Stühlen und einem Sofa vor dem Kamin. „Nun ja, du könntest auf der Couch schlafen, wenn dir das reicht“, bot sie an.

„Das reicht mir vollkommen!“, antwortete er sofort.

Lächelnd zeigte er seine Zähne, deren strahlendes Weiß in starkem Kontrast zu seinem schwarzen Haar und der dunklen Haut standen. Seths Mutter war eine Latina gewesen, und er hatte ihr gutes Aussehen geerbt.

Mit einem Meter achtzig war er ein wenig kleiner als seine Cousins, aber er hatte einen ausgesprochen muskulösen Körper. Während seiner Schulzeit war er Quarterback in der Footballmannschaft gewesen und hatte seinem Team so manchen Sieg beschert. Die Mädchen waren ganz verrückt nach Seth gewesen – inklusive Amelia.

Sie schloss die Tür hinter ihm und führte ihn ins Wohnzimmer. „Möchtest du duschen?“, fragte sie. „Oder wenigstens deine Haare trocknen? Im Bad ist ein Föhn …“

„Das Angebot nehme ich gern an.“

Während er sich im Bad aufhielt, bereitete sie ihm das Bett auf dem Sofa vor. Als sie hörte, dass der Föhn im Badezimmer ausgeschaltet wurde, ging sie in die Küche, machte heißen Kakao und wärmte ein paar Muffins in der Mikrowelle auf. Kurz darauf kam sie mit einem Tablett in der Hand ins Wohnzimmer zurück.

„Das duftet ja köstlich!“, sagte er. Nach dem Duschen hatte er nur eine Jogginghose angezogen, und beim Anblick seines nackten Oberkörpers pochte Amelias Herz so heftig, als wäre sie noch der Teenager, der für Seth geschwärmt hatte.

„Ich dachte mir, dass du nach der langen Fahrt vielleicht hungrig bist“, meinte sie.

„Eigentlich nicht, aber jetzt schon.“

Bildete sie es sich nur ein, oder klang seine Stimme tatsächlich tiefer und geheimnisvoller? Sie stellte das Tablett auf den Tisch und ließ sich in ihren Lieblingssessel sinken. Ehe er sich ebenfalls setzte, streifte er ein Sweatshirt über. Unvermittelt wurde Amelia sich bewusst, wie intim die Situation war. Es war schon sehr spät, und der Regen trommelte mit unverminderter Kraft gegen die Fensterscheiben. Doch in ihrem Wohnzimmer war es ausgesprochen gemütlich.

Schweigend tranken sie ihren Kakao, während Amelia ihren späten Gast aus den Augenwinkeln beobachtete. In dieser Gegend von Idaho eilte den Daltons ein gewisser Ruf voraus. Das wusste sie von ihren Großeltern, bei denen sie aufgewachsen war, nachdem ihre Eltern sich getrennt hatten. In Idaho hatte Amelia auch die Highschool besucht, da sie weder zu ihrer Mutter noch zu ihrem Vater ein gutes Verhältnis gehabt hatte. Obwohl ihre Großeltern sich liebevoll um ihre Enkelin gekümmert hatten, war Amelia sich manchmal wie ein Waisenkind vorgekommen – Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Resignation waren häufige Begleiter in ihrer Jugend gewesen.

Amelia riss sich zusammen. Warum gab sie sich denn solch trüben Erinnerungen hin? Vielleicht lag es am Sturm und am Regen. Sie schaute auf und bemerkte, dass Seth sie aufmerksam betrachtete, sodass sie unwillkürlich errötete. Hoffentlich merkte er nichts davon. Sollte er etwas von ihrer Reaktion mitbekommen haben – was bei ihrer hellen Haut durchaus möglich war, die sie wie die rötlichen Haare von ihrer Großmutter geerbt hatte –, dann ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er war eben ein echter Gentleman.

Seth schaute sich im Zimmer um. „War das nicht einmal ein richtiger Kamin?“, fragte er mit Blick auf den Gasofen, dessen Flammen ein offenes Feuer imitierten. „Ich habe die Schornsteine einmal jährlich gereinigt, als deine Großeltern noch lebten.“

„Ich …“ Sie musste sich räuspern, um die Heiserkeit aus ihrer Stimme zu vertreiben. „Ich habe in diesem Sommer einen Gasofen einbauen lassen. Der Kamin hat einfach zu viel Schmutz gemacht, mit der ganzen Asche und so, und dann musste ich immer das Holz besorgen und stapeln … Doch auf das Feuer wollte ich trotzdem nicht verzichten – besonders nicht an kalten Abenden wie diesen.“

Er nickte verständnisvoll. Mit halb geschlossenen Augen betrachtete er das Feuer, das fast natürlich wirkte. Seth hatte schwere Lider – die Mädchen in der Schule sprachen immer von seinem Schlafzimmerblick –, und die roten und gelben Flammen verliehen seinem Gesicht etwas von einem Freibeuter.

Er hatte ein markantes Kinn und ausgeprägte Wangenknochen. Seine Lippen waren wohlgeformt, und sein Lächeln war unwiderstehlich. Die Naturkrause in seinem Haar versuchte er dadurch zu verbergen, dass er es immer besonders kurz geschnitten trug. Als er noch zur Schule ging, hatte er schulterlange Locken gehabt. Oft hatte sie sich bei dem Wunsch ertappt, mit den Fingern durch seine Mähne zu fahren.

Der Gedanke ließ sie noch stärker erröten. Glücklicherweise betrachtete er noch immer das Feuer. Er nahm einen Schluck von seinem Kakao, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Den Becher hielt er mit beiden Händen umklammert, als wollte er die Finger daran wärmen. Dabei schien er tief in Gedanken versunken.

Ihre Haut kribbelte – als würden seine Finger sie berühren und nicht den Becher. Plötzlich spürte sie einen Hunger und eine Begierde auf diesen Mann, die sie selbst zutiefst schockierten. Unvermittelt sprang sie auf. „Gute Nacht!“, stieß sie hervor.

Überrascht schaute er hoch. Ohne ein weiteres Wort floh Amelia in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie den Schlüssel herumdrehen sollte, fand dies dann aber doch zu albern. Er würde wohl kaum in ihr Schlafzimmer kommen.

„Gute Nacht!“, hörte sie ihn rufen. „Ich wünsche dir süße Träume.“

Träume? Sie dachte es höhnisch, als sie ein paar Minuten später ins Bett stieg. Lange genug hatte sie schon geträumt. Es reichte für ein ganzes Leben. Sie besaß ein kleines Hotel, das sie selbst eingerichtet hatte und das ausgesprochen gut lief. Wer brauchte da noch Träume?

Jeder. Der Wind flüsterte an der Fensterscheibe. Es klang ein wenig traurig und einsam.

Unwillkürlich musste sie an eine andere Zeit denken – als sie sechzehn gewesen war und bis über beide Ohren verliebt …

Seth stellte die Gasflamme im Kamin ab und machte es sich auf der Couch gemütlich. Wider Erwarten war sie sehr bequem. Er stopfte sich das Kissen unter den Kopf und dachte an die Frau im Nebenzimmer.

Während des Duschens war seine Libido erwacht – kein Wunder, das Bad duftete nach allen möglichen weiblichen Nuancen, nach Shampoo, Puder und Parfüm. Die Kerzen, die sie auf den Rand der Badewanne gestellt hatte und die fast heruntergebrannt waren, regten seine Fantasie zusätzlich an. Er stellte sich Amelia in der Wanne vor, die üppigen roten Locken umrahmten ihr schönes Gesicht, die Kerzenflammen brachten ihre helle Haut zum Schimmern und ließen sie aussehen wie Pfirsichblüten.

Allein bei dem Gedanken reagierte sein Körper sofort. Gut, dass Amelia nicht im Zimmer war. Die verräterische Beule unter der Bettdecke wäre ihr bestimmt nicht entgangen – und ihm äußerst peinlich gewesen.

Fast kam er sich wieder vor wie siebzehn, als er seine Gefühle auch nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Amelia war ein Jahr jünger – von ihr war er vom ersten Anblick an fasziniert gewesen.

Und er erinnerte sich an jenes Herbstfest im Gemeindezentrum, als wäre es gestern gewesen. Amelia hatte draußen im Halbschatten gestanden …

„Amelia!? Was tust du denn hier draußen? Du wirst dich erkälten.“ Wie der Held in einem Roman hatte er seine Jacke ausgezogen und ihr über die Schultern gelegt. Die kühle Nachtluft fand er erfrischend.

„Danke“, murmelte sie, „aber mir geht es gut. Wirklich.“ Sie gab ihm die Jacke zurück.

Nach dem schnellen Tanz spielte die Band eine langsame Nummer. Er streckte die Hand aus. „Möchtest du tanzen?“

Sie schüttelte den Kopf und zog sich tiefer in den Schatten zurück. Ihre Ablehnung faszinierte ihn mehr, als dass sie ihn vor den Kopf stieß. „Komm. Wir gehen besser hinein, ehe uns einer der Anstandswauwaus sieht und uns zum Schuldirektor schickt, weil wir uns in den Büschen herumtreiben.“

Doch sein Humor verfing bei ihr nicht. „Nein, danke“, lehnte sie ab. „Ich denke, ich gehe nach Hause.“

Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und lief über den Schulparkplatz. Sie hatte nur einen dünnen Schal um die Schultern drapiert. Er versuchte, sich an ihre Adresse zu erinnern. Richtig – sie wohnte auf der anderen Seite der Stadt in einem einstöckigen weißen Haus bei ihren Großeltern.

Er beschloss, ihr hinterherzulaufen. So schnell wollte er sich nicht geschlagen geben.

„Dein Kleid sieht toll aus“, meinte er, als er sie eingeholt hatte. „Ich habe Jennifer Rinquest sagen hören, dass sie dich darum beneidet.“

„Es gehört meiner Großmutter“, antwortete Amelia so ernst, wie sie immer war. „Der Stoff ist so gewebt, dass er mal bronzefarben und mal violett erscheint – je nachdem, wie das Licht darauf scheint.“

„Interessant.“

„Ja.“

Den Parkplatz hatten sie hinter sich gelassen. Um Mitternacht war die Mainstreet menschenleer, auch Autos fuhren keine mehr. Lang erstreckten sich die Schatten zwischen den Straßenlaternen, und sie wurden noch länger, als Seth und Amelia in die Straße einbogen, in der ihre Großeltern wohnten.

Er fragte sich, warum sie so schweigsam war. Die meisten Mädchen redeten doch gern, hatte er festgestellt. Er fühlte sich in Amelias Gesellschaft nicht unwillkommen, obwohl sie es nicht darauf anlegte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Etwas Geheimnisvolles umgab sie – so, als lebe sie an einem Ort und zu einer Zeit, die nur für sie allein bestimmt waren.

Als eine Windbö ihm ihren Duft in die Nase wehte, spürte er unvermittelt ein Verlangen, das ihn erschreckte. Erneut schien sie seine Reaktion nicht zu bemerken. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Vielleicht hatte sie nur deshalb nicht getanzt, weil sie es nicht konnte.

„Möchtest du, dass ich dir das Tanzen beibringe?“

„Nein, danke. Ich war in der Tanzschule“, erwiderte sie in dem beiläufigen Ton, der nichts über ihre Gefühle verriet.

Aber er ließ nicht locker. „Hast du dir etwa das Bein gebrochen?“

Sie hatten das Haus ihrer Großeltern erreicht. Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Nein.“

Er grinste unbeholfen. „Entschuldige. Ich habe mich nur gefragt, warum ich dich nicht habe tanzen sehen.“

„Niemand hat mich aufgefordert.“

Ihre Ehrlichkeit machte ihn sprachlos. Sie ließ sich auf die altmodische Schaukel fallen, die von der Verandadecke hing, und er setzte sich neben sie. „Du hattest keine Begleitung?“

Sie zögerte. „Meine Großmutter hat einen Jungen, der weiter unter auf der Straße wohnt, gebeten, mit mir hinzugehen. Sobald wir im Gemeindezentrum angekommen waren, ist er verschwunden.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es war mir egal. Ich habe eine Weile zugesehen, es war ganz interessant. Und dann habe ich beschlossen, wieder nach Hause zu gehen.“

Sie musste sich fast vier Stunden dort aufgehalten haben – lange genug, damit ihre Großeltern sich nicht über ihre frühe Rückkehr wunderten. Er legte einen Arm um ihre Schultern. Seine Finger berührten ihre nackte Schulter, die nur zum Teil von einer Jacke bedeckt wurde. Die Haut fühlte sich kalt an. Seth zog Amelia näher an sich.

„Du wirst dich erkälten.“

„Ich werde niemals krank.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Er ließ sich von ihrer abweisenden Haltung nicht verunsichern, sondern berührte ihre Wange, fuhr mit dem Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf. Und dann küsste er sie.

Der Kuss war überwältigend, schockierend, beunruhigend, verwirrend – als ob rings um sie herum die Sterne vom Himmel fielen.

Sie erwiderte seine Berührung nicht, öffnete nicht einmal ihre Arme. Aber ihre Lippen … Himmel, diese Lippen fühlten sich wunderbar weich an. Zuerst zögerte sie, dann bewegte sie die Lippen, erwiderte seinen Kuss, öffnete den Mund, ließ ihn ihre Zunge liebkosen. Einen solchen Kuss hatte er noch nie erlebt – und er hatte schon eine Menge Mädchen geküsst, seitdem er im vergangenen Jahr Co-Kapitän seiner Footballmannschaft geworden war. Nie im Leben hätte er mit einer solchen Reaktion gerechnet, dafür erschien ihm Amelia viel zu distanziert.

Als er sich von ihr löste und ihr Gesicht betrachtete, schlug sein Herz noch schneller. Im Mondlicht schimmerte ihre Haut wie Elfenbein. Er küsste Amelia erneut und zog sie näher zu sich, bis sie halb auf der Schaukel lagen und er die Weichheit ihres Körpers spürte. Zum ersten Mal wurde ihm klar, dass ihm die Küsse nicht reichen würden.

Ihre Brüste drückten hart gegen seinen Oberkörper, und er schob ein Bein zwischen ihre Oberschenkel. Dabei geriet die Schaukel ins Schwanken, und fast wären sie zu Boden gefallen.

Sie klammerten sich aneinander, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Können wir woanders hingehen?“, fragte er.

„Es gibt ein Kutscherhaus“, murmelte sie und drückte einen Kuss auf seine nackte Brust. Jetzt erst merkte er, dass sie sein Hemd aufgeknöpft hatte. Er nahm ihr Gesicht in seine zitternden Hände und schaute ihr in die Augen. In ihrem Blick lag Verletzlichkeit und Vertrauen, und schlagartig wurde ihm klar, dass er dieses Vertrauen nicht missbrauchen durfte. Obwohl er nichts lieber getan hätte, als mit ihr …

„Ich habe einige Pläne“, sagte er heiser. „Ich gehe aufs College. Und hinterher will ich Jura studieren. Das dauert Jahre …“

Ihre Miene und ihre Haltung änderten sich innerhalb von Sekundenbruchteilen. Mit einem Mal war ihre Leidenschaft verschwunden. Ihr gesunder Menschenverstand und eine reservierte Haltung gewannen die Oberhand. Ihren Sinneswandel empfand Seth wie einen Messerstich.

Sie setzte sich kerzengerade hin und richtete das Oberteil ihres altmodischen Kleids, um die bloße Haut zu bedecken, die er eben noch geküsst hatte.

„Ich weiß“, erwiderte sie tonlos. „Macht nichts. Danke fürs Nachhausebringen.“

Und damit verschwand sie. Er hörte, wie das Schloss von innen zuschnappte, und sah ihrer Silhouette durch die Butzenscheiben der Tür nach, bis sie im Korridor verschwand und das Licht erlosch. Er sollte sie erst im nächsten Frühjahr wiedersehen, und bei ihrem Treffen verhielt sie sich ihm gegenüber so kühl und distanziert, als hätte es diesen Abend auf der Veranda niemals gegeben.

Nach der Highschool hatte auch er die Stadt verlassen, um einen Ferienjob anzunehmen, ehe er im Herbst zu studieren begann. Seitdem war er nur noch selten zu Hause gewesen …

Unruhig wälzte Seth sich auf dem Sofa hin und her. Die Erinnerungen an damals hatten sein Begehren noch intensiver werden lassen, und der Gedanke daran, dass Amelia nur wenige Schritte entfernt von ihm in ihrem Bett lag, ließ ihn erst recht kein Auge zutun. Der attraktive Teenager von einst war zu einer wunderschönen Frau geworden. Der Blick ihrer Augen war immer noch kühl, und die roten Locken rahmten ihr Gesicht wie damals an jenem zauberhaften Abend nach dem Herbstfest. Inzwischen bedauerte er es, dass sie nicht weitergegangen waren, als Leidenschaft und Begierde sie überwältigen wollten und sie dennoch so unschuldig gewesen waren, wie er es nie mehr erlebt hatte. Aber vielleicht war es besser so. Beide hatten noch einen weiten Weg zurückzulegen, ehe sie ernsthaft an eine Beziehung denken konnten.

Er war Anwalt geworden, wie er es vorgehabt hatte. Sie hatte geheiratet, sich scheiden lassen, war nach Lost Valley zurückgekehrt und hatte eine gut florierende Frühstückspension eröffnet, nachdem ihre Großeltern vor sieben Jahren kurz nacheinander gestorben waren. Er hatte ihr bei den Erbschaftsangelegenheiten mit anwaltlichem Rat geholfen.

Amelia hatte sich in den vergangenen Jahren ziemlich verändert. Sie war zugänglich und offen geworden, ganz und gar nicht mehr der schüchterne Teenager von einst. Sie hatte sogar in einem Musical mitgewirkt, das im Sommer aufgeführt worden war. Die Verletzlichkeit ihrer Jugend, die ihn so sehr an ihr fasziniert hatte, war verschwunden und einem gesunden Selbstbewusstsein gewichen. Sie war zu einer Frau geworden, die genau wusste, was sie wollte.

Seth überlegte, in welcher Beziehung sie sich sonst noch geändert haben mochte. Über diesen Gedanken schlief er ein.

2. KAPITEL

So leise wie möglich öffnete Amelia die Tür. Es war sechs Uhr. Um diese Zeit begann sie gewöhnlich mit ihrer Arbeit.

Vorsichtig betrat sie das Wohnzimmer und lief auf Zehenspitzen über den Teppich, um Seth nicht aufzuwecken. Einen Arm hatte er übers Gesicht gelegt, der andere hing halb überm Sofa. Die Decke war hinunter auf seine Knie gerutscht, sodass sie seinen nackten Oberkörper sehen konnte. Außerdem bemerkte sie die Beule in seiner grauen Jogginghose.

Sie war … schockiert? Überrascht? Irritiert? Als hätte sie noch nie zuvor einen erregten Mann gesehen. Diesen hier noch nicht! Eine Stimme wisperte in ihrem Ohr, obwohl Amelia und Seth einander schon geküsst und berührt hatten. Aber das war lange her …

Als sie weitergehen wollte, stolperte sie über einen Schuh, den er neben dem Sofa abgestellt hatte. Obwohl sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten, landete sie auf dem Körper ihres Gastes.

Noch im Halbschlaf legte er die Arme um sie und drückte sie fest an sich. Die Beule, die sie zuvor nur gesehen hatte, drückte nun hart und kräftig gegen ihren Unterleib.

Er riss die Augen auf, und sie schaute ihn an, als wäre er ein Raubtier, das sie jeden Moment verschlingen würde. „Entschuldige bitte!“, stammelte sie. „Ich bin gestolpert …“ Die Stimme versagte ihr.

Er schaute sie an und lockerte seinen festen Griff. „Du bist aber früh auf“, sagte er grinsend.

„Ich stehe immer um halb sechs auf.“ Jetzt klang ihre Stimme gepresst und abweisend. „Wenn du mich bitte loslassen …“

Er nahm die Arme von ihrem Rücken und setzte sich aufrecht hin. Sie stand auf und zog ihren Pullover über ihre Hose. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor und schob seinen Schuh beiseite, der die Ursache ihres Falls gewesen war. Dabei knickte sie mit dem anderen Fuß um. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Knöchel.

Autor

Laurie Paige
Laurie Paige lebte mit ihrer Familie auf einer Farm in Kentucky. Kurz bevor sie ihren Schulabschluss machte, zogen sie in die Stadt. Es brach ihr das Herz ihre vierbeinigen Freunde auf der Farm zurück lassen zu müssen. Sie tröstete sich in der örtlichen Bibliothek und verbrachte von nun an ihre...
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