Zärtliche Küsse im Mondschein

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Er hat ihr verziehen und endlich verstanden, dass sie ihn nie betrogen hat! Lyric ist überglücklich, als sie eine Einladung auf Trevors Farm erhält! Doch kaum kommt sie an, ist der sonst so charmante Trevor abweisend und kühl. Wieso wollte er Lyric dann überhaupt bei sich haben?


  • Erscheinungstag 21.11.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520775
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Lyric Gibson plagten Kopfschmerzen. Sie bemühte sich, ihre Stirnfalten zu entspannen und die Schultern herunterzuziehen. Es gelang ihr auch, solange sie sich gut darauf konzentrierte, doch sie hielt ja nach Straßenschildern Ausschau. Von daher musste sie das Kopfweh einfach ertragen.

„Meinst du, wir sind dran vorbeigefahren?!“, fragte ihre Großtante Fay Gibson ein bisschen quengelig.

Lyric zuckte zusammen. Nun gesellten sich auch noch Schuldgefühle zum Gefühlschaos in ihrem Inneren. Sie hätte für die Nacht in Boise einen Zwischenstopp einlegen sollen. Ihre Tante war achtundsechzig Jahre alt und normalerweise fröhlich und sehr geduldig. Doch nach der langen Fahrt war sie wohl einfach müde.

In Boise war es jedoch erst früher Nachmittag gewesen – nicht ganz vier Uhr. Also waren sie durch die Stadt hindurchgefahren. Der nördlich gelegene Gebirgsort Lost Valley war schließlich innerhalb nur einer Stunde zu erreichen, und sie hatten das Städtchen auch problemlos gefunden.

Die Seven Devils Ranch, ihr eigentliches Ziel, lag westlich von Lost Valley und sollte in weniger als einer Autostunde erreichbar sein. Also hätten sie spätestens um sechs dort ankommen sollen.

Jetzt zeigte die Uhr halb neun.

Lyric hatte keine Ahnung, ob sie näher an ihrem Ziel waren als vor einer Stunde. Sie war sich nicht mehr sicher, wo sie sich überhaupt befanden Die Landstraßen von Idaho sahen alle gleich aus, und offensichtlich war sie ein paarmal falsch abgebogen. Oder auch mehr als ein paarmal.

Vielleicht musste sie überhaupt diese ganze Fahrt als einen Fehler betrachten. Sie war erst sehr verblüfft gewesen, als ihre Großtante sie dazu eingeladen hatte. Dann war sie richtig begeistert gewesen. Und jetzt war sie einfach nur unsicher.

„Es wird bald dunkel“, sagte Tante Fay. Dann gab sie einen ungeduldigen Laut von sich. „Tut mir leid, Lyric. Ich weiß, dass du dir meinetwegen Sorgen machst. Aber das wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mich verfahre und im Auto schlafen muss.“

Lyric schaffte es, zuversichtlich zu klingen, während sie lachte. „Wir finden schon hin, Tantchen. Wir müssen ja ganz in der Nähe sein. Wir sind an einem Schild vorbeigekommen, das besagt: Der Berggipfel namens Der Teufel liegt in dieser Richtung.“ Sie deutete nach Westen. „Und die Dalton-Ranch soll in Sichtweite der Bergspitze liegen. Wir nehmen einfach die Route mit der besten Aussicht.“

Ein Schauder überlief sie, als sie an den dunkelhaarigen, blauäugigen, hochgewachsenen, gut aussehenden Cowboy dachte. Er hatte ihr von der Ranch seiner Familie und der fantastischen Aussicht erzählt, von kristallklaren Bächen und Seen, von der majestätischen Weite des Landes.

Und wie sie sich danach gesehnt hatte, die Berge und Täler mit ihm zusammen zu erkunden. Aber das Schicksal hatte dazwischengefunkt.

Trevor Dalton hatte ihrer hastigen, unzusammenhängenden Erklärung zugehört. Zuerst ungläubig, dann mit wachsendem Ärger. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte er genickt, als ob er sie verstand. Doch dann war er gegangen. Ohne ein Wort und ohne einen Blick zurück.

Das war vor fast einem Jahr gewesen.

Sie hatte gewartet, weil sie sicher gewesen war, dass er ihr schreiben würde. Doch er hatte sich nicht gemeldet – nicht einmal, als sie ihm ihrerseits einen Brief geschrieben hatte, der ihr Verhalten besser erklärt hatte. Schließlich begrub sie alle Hoffnung. Dann war aus heiterem Himmel die Einladung auf die Ranch gekommen. Das musste doch etwas bedeuten.

Sie schob Vorfreude und Zweifel beiseite, um sich darauf zu konzentrieren, die richtige Straße zu finden. Sie wollte nicht noch einmal falsch abbiegen.

„Ich sehe eine Staubwolke!“, sagte sie, während sie durch ihre Autofahrerbrille diesem willkommenen Hinweis auf ein anderes Fahrzeug entgegenblickte. Ihre Sorgenfalten legten sich ein bisschen. „Wir können das Auto anhalten und nach dem Weg fragen.“

„Der fährt furchtbar schnell. Sei bloß vorsichtig. Vielleicht ist das ein Viehdieb oder so!“

Bei dem Ratschlag warf Lyric ihrer Tante einen teils amüsierten, teils genervten Blick zu.

Viehdiebe?! Als ob das im Augenblick für sie eine Rolle spielte.

Sie fuhr langsamer, um das entgegenkommende Fahrzeug an der Kreuzung aufzuhalten. „Im Augenblick würde ich dem Teufel höchstpersönlich gegenübertreten, wenn der uns bloß mit dem Weg helfen könnte.“

Ihre Tante lachte. Die ältere Frau war wie eine Großmutter für Lyric und ihre beiden jüngeren Brüder. Tante Fay hatte nie geheiratet, aber sie hatte Lyrics Vater – ihren Neffen – vor vielen Jahren bei sich aufgenommen, nachdem dessen Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren.

„Oh!“, rief die alte Frau in diesem Moment.

Lyric riss das Lenkrad nach rechts, als der Truck mit irrem Tempo aus der Seitenstraße geschossen kam und sie beinahe gerammt hätte. Sie spürte, wie der kompakte Kombi einen großen Felsen schrammte, als sie in einen flachen Graben neben der Straße geschleudert wurden. Die hinteren Reifen rutschten zur Seite. Lyric lenkte in die Schleuderbewegung hinein und nahm den Fuß von der Bremse. Das Heck des Autos schleuderte auf dem losen Schotter hin und her. Als die Reifen wieder Halt fanden und sie das Auto wieder unter Kontrolle hatte, türmte sich vor ihnen ein eingezäunter Steinhaufen auf.

„Oh, nein!“, platzte es aus ihr heraus.

Mit einem lauten Krachen stießen sie mit den Steinen zusammen. Vorne im Fahrzeug entfalteten sich auf beiden Seiten sofort die Airbags. Lyric machte sich noch Sorgen um ihre Tante, als der Airbag ihr Gesicht traf, ihr ein paar Sekunden den Atem nahm und die Brille schmerzhaft gegen ihre Nase presste.

Obwohl sie benommen und erschrocken war, dachte Lyric daran, den Motor auszustellen. Dann kämpfte sie sich aus dem zusammensackenden Airbag und drehte sich zu ihrer Tante. Nachdem sie den Kunststoffbeutel zur Seite geschoben hatte, untersuchte Lyric das Gesicht der älteren Frau auf Verletzungen.

„Tante Fay?“, fragte sie.

Die andere Frau antwortete nicht und bewegte sich auch nicht.

„He, Sie da drinnen, geht’s Ihnen gut?!“, fragte ein Mann.

„Meine Tante“, sagte Lyric, „ich glaube, sie ist verletzt.“ Sie löste den Sitzgurt und griff nach dem Handgelenk ihrer Tante, um den Puls zu fühlen.

„Besser nicht bewegen!“, befahl der Mann.

Er kam um den Kombi herum und öffnete die Beifahrertür. Er nahm der bewusstlosen Frau die Brille ab – das Gestell war wie durch ein Wunder nicht zerbrochen – und steckte es in die Tasche. Dann untersuchte er die Frau. Dabei strahlte er beruhigend aus, genau zu wissen, was er zu tun hatte.

Lyric beobachtete, wie er sanft mit den Händen über Tante Fays Kopf und über ihren Hals fuhr, wo er innehielt, um ihren Puls zu überprüfen. Dann machte er weiter und tastete ihre Schultern und Arme ab. Seine Finger waren lang und schlank. Bis zu den hochgekrempelten weißen Hemdsärmeln war seine Haut gleichmäßig gebräunt. Ein Hut verdeckte den Großteil seines Gesichts. Er beugte sich tiefer ins Auto hinein und untersuchte die Knie und Beine der älteren Dame.

Lyric musterte sie ebenfalls und bemerkte rote Stellen, die andeuteten, dass sich dort bald Blutergüsse bilden würden.

Er hob den Kopf. „Ms. Gibson?!“, sagte er. „Können Sie mich hören? Können Sie die Augen aufmachen?“

Lyric setzte das Herz für einen Moment aus und fing dann an, umso heftiger zu schlagen. Wie die Heldin in einem melodramatischen Film schnappte sie nach Luft, als sie ungläubig den Mann anstarrte.

„Trevor?!“

Da drehte er sich zu ihr. Seine Augen, die sie blau wie der Sommerhimmel kannte, wirkten dunkel wie die Nacht im schwindenden Licht des Sonnenuntergangs. „Ja.“

Sie starrten sich schweigend an. Tausend Fragen und Erinnerungen lähmten sie. Eines war sicher – sein Blick hieß sie nicht willkommen.

Tante Fay machte die Augen auf. „Wo ist meine Brille?“

„Hier“, sagte Trevor. Er setzte der älteren Frau vorsichtig das dünne goldene Gestell auf.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Lyric und sah ihre Tante forschend an.

„Mir ging’s schon mal besser“, sagte sie. Dann schenkte sie dem Mann ein Lächeln. „Hallo, Trevor. Wie geht es dir?“

„Mir geht’s gut … Abgesehen davon, dass ich mich wie ein echter Mistkerl fühle. Normalerweise ist hier nicht viel Verkehr.“

„Da bin ich mir sicher“, stimmte ihre Tante trocken zu.

„Lass mich mal einen Blick auf den Schaden an eurem Wagen werfen. Dann schauen wir, ob er anspringt. Es sind nur ein paar Meilen bis zur Ranch.“ Er hielt inne und sah Lyric an. „Wie seid ihr überhaupt hier draußen gelandet?“

„Ich fürchte, wir sind einmal so richtig falsch abgebogen.“

Er nickte. Seine Miene war grimmig, aber ansonsten ausdruckslos. Nachdem er eine Taschenlampe aus seinem Truck geholt hatte, betrachtete er die Vorderseite des Kombis. „Die Stoßstange ist ziemlich zerbeult, und die Front ist leicht eingedrückt. Aber sonst sieht alles okay aus. Der Kühler scheint noch intakt zu sein. Ich sehe kein Leck. Lass den Motor mal an. Dann sehen wir, ob das Auto noch fährt.“

Lyric drehte den Schlüssel um. Der Motor sprang sofort an. Trevor trat wieder vors Fahrzeug. Er nickte ihr zu und deutete so an, dass alles gut aussah.

„Stoß zurück“, sagte er und kam an ihr Fenster. „Halt die Räder gerade.“

Vorsichtig setzte sie auf die Straße zurück. Trevor schob das Auto an, als ein Reifen auf dem Schotter durchdrehte.

„Okay“, rief er ihr zu, als sie es geschafft hatte. „Fahr mir nach.“

Nachdem er den Truck gewendet hatte, folgte sie ihm. Dabei blieb sie weit genug zurück, um nicht an seiner Staubwolke zu ersticken. Keine fünf Minuten später hielten sie vor einer Anbindestange vor einem weitläufigen Ranchhaus. Der mittlere Teil des Hauses bestand aus massiven Holzbalken, die Flügel rechts und links waren modernere Anbauten aus Stein und Holz.

Trevor hupte. Dann stieg er aus dem Truck und kam zur Beifahrertür des Kombis. „Pass auf beim Aussteigen“, sagte er zu Tante Fay. „Vorsichtig, stütz dich auf mich. Tut dir irgendwas weh?“

„Ich bin mir nicht ganz sicher“, sagte die ältere Frau. „Im Augenblick bin ich wie betäubt.“

Ganz sanft und fürsorglich führte er Lyrics Tante zum Haus. Die Tür ging auf, und ein älterer Mann streckte den Kopf heraus. Sein Haar glänzte silbern in dem Licht, das aus dem Raum hinter ihm kam. Er war so groß wie Trevor und hatte den gleichen schlanken, hochgewachsenen Körperbau.

Ein völlig Fremder hätte auf einen Blick erkennen können, dass die beiden verwandt waren. Der Mann musste Trevors Onkel sein, Nick Dalton.

„Was ist passiert?“, fragte Mr. Dalton.

„Ein Unfall“, sagte Trevor. Rasch erklärte er, dass er den Kombi auf der Landstraße geschnitten hatte und Lyric deswegen in den Graben gefahren war.

Der ältere Mann kam auf die Veranda.

„Mein Gott“, sagte er. „Fay, bist du das?“

„Ja, Nick“, antwortete die Tante und schenkte ihm ein Lächeln. Sie hielt sich an Trevors Arm fest und humpelte auf die Veranda zu.

„Ich hatte euch schon für heute abgeschrieben.“ Nur mit Socken an den Füßen eilte der ältere Herr zu ihr und stützte sie von der anderen Seite, indem er einen Arm um ihre Taille legte. „Ruf Beau an!“, befahl er seinem Neffen. „Er ist Arzt“, erklärte er Lyrics Tante.

„Gehen wir erst einmal ins Haus“, schlug Trevor ungeduldig vor.

Lyric folgte ihnen und fühlte sich dabei fast wie ein streunender Hund, der darauf hoffen musste, aufgenommen zu werden. Allmählich hatte sie sehr gemischte Gefühle über ihren Besuch hier entwickelt. Trevor schien nicht begeistert zu sein, sie zu sehen.

Als sie sich im Haus befanden und Tante Fay sich in einen Sessel setzen musste, um noch einmal untersucht zu werden, blieb Lyric in der Tür stehen. Sie fragte sich, was sie jetzt tun sollte.

Endlich bemerkte sie der ältere Mann. „Alles klar?“

Lyric nickte. Sie musste sich räuspern, um sprechen zu können. „Ja. Ich denke schon“, fügte sie hinzu. Auf einmal merkte sie, dass ihre Knie wehtaten – als ob ihr Körper gerade erst wieder zum Leben erwacht war und sie jetzt an Schmerzen erinnerte, von denen sie gar nichts gewusst hatte.

„Nicholas?“

Der ältere Dalton drehte sich zur Tante um und nahm deren Hand. „Mach dir keine Sorgen, Fay. Wir kriegen dich im Nu wieder hin. Trevor, hast du Beau schon angerufen?“, fragte er seinen Neffen mit einem strengen Blick.

Lyric spürte, wie Trevor sie mit einem zusammengepressten Mund ansah. Sein starker, gelenkiger Körper hatte eine abweisende Haltung. Lyric fühlte sich furchtbar benommen und verwirrt.

Trevor wandte sich ab. „Bin gerade dabei.“ Er ging in die Küche. Eine Minute später hörte sie, wie er die Situation Nicks Neffen schilderte, der Arzt war.

Lyric hatte außer Trevor noch keinen von den Daltons kennengelernt, aber sie hatte von allen gehört. Ihre Tante Fay war eine Cousine und die beste Freundin von Milly Dalton gewesen, der Frau von Nick, Trevors Onkel. Milly war vor vielen Jahren bei einem Autounfall gestorben. Ihre gemeinsame Tochter, die dreijährige Tink – oder Theresa, wie sie eigentlich geheißen hatte –, war vom Unfallort entführt worden und nie wiedergefunden worden.

Bei dem Gedanken überlief Lyric ein Schauder. Beunruhigt merkte sie, wie ihr die Knie weich wurden. „Es tut mir leid“, sagte sie, „aber …“

Die Worte waren kaum lauter als ein Flüstern.

Sie versuchte es noch einmal. „Es tut mir leid, aber …“

„Fang sie auf!“, sagte eine Stimme, die aus weiter Ferne kam, während sich das Zimmer um Lyric herum verdunkelte.

Lyric blinzelte heftig, als sich starke Arme um sie legten. Ich kenne diese Arme, diese Umarmung.

Sie schmiegte das Gesicht in den sauberen Stoff des weißen Hemds. Dann atmete sie tief ein und nahm den Geruch von maskulinem Aftershave, im Sonnenschein getrockneter Wäsche und noch einer weiteren Note in sich auf – einem schwachen Duft, den sie instinktiv erkannte. Ja, sie kannte diesen Mann.

Sie entspannte sich, als er sie hochhob. Sie legte die Arme um seine Schultern und schloss die Augen. Sicherheit, sie fühlte sich in Sicherheit. Zu Hause, endlich zu Hause.

„Hier“, sagte Trevor und setzte Lyric auf dem Ledersofa ab. „Lieg bloß still!“, befahl er, als sie sich aufsetzen wollte. Er nahm ihr die Autofahrerbrille ab. Dann zuckte er zusammen, als er die roten Stellen an ihrer Nase und unter ihren Augen erkannte. Ihm wurde klar, dass der Airbag sie heftig getroffen haben musste. Er legte die Brille auf den Beistelltisch.

Eine Erinnerung regte sich – wie er ihr die Brille abgenommen hatte, während sie lachend protestiert hatte, weil sie nichts mehr sehen konnte. Wie er ihr dann vorgeschlagen hatte, die Augen zu schließen. Und dann die Küsse … Küsse, heißer als geschmolzener Stahl … das Feuerwerk in seinem Kopf … der Schock über die Macht der Leidenschaft zwischen ihnen … und die Gefühle, die Freude, in ihr seine andere Hälfte gefunden zu haben und sie im Arm zu halten …

„Hol Eis“, sagte der Onkel. „Fay braucht etwas zum Kühlen für ihr Gesicht und die Knie.“

„Lyric auch“, meinte Trevor.

Seine Kehle schnürte sich zu, nachdem er den Namen gesagt hatte. Letzten Herbst hatte er sich geschworen, ihn nie wieder auszusprechen.

Er fluchte in sich hinein, als er in die Küche ging und ein paar Erste-Hilfe-Eisbeutel aus dem Gefrierschrank nahm. Die Ranch hatte immer einen ordentlichen Vorrat davon da, um für das gelegentliche Auskeilen eines widerborstigen Pferdes oder einer störrischen Kuh gewappnet zu sein.

Zusammen mit Geschirrtüchern und Wäscheklammern trug er die Eisbeutel ins Wohnzimmer.

„Wann kommt Beau?“, fragte sein Onkel.

„Der kommt nicht. Er und die Hebamme sind bei einer schwierigen Geburt. Er hat gesagt, wir sollen morgen früh in die Praxis kommen, weil nichts gebrochen ist und es keine blutenden Wunden gibt und weil beide bei klarem Verstand sind.“

„Hmm“, machte Onkel Nick missbilligend.

Trevor ignorierte Lyric, die jetzt so steif wie eine alte Jungfer dasaß, und kümmerte sich um ihre Tante. Mit den Geschirrtüchern und den Wäscheklammern befestigte er Eisbeutel über den Knien und riet der älteren Dame, sich einen weiteren Beutel aufs Gesicht zu legen.

Als er fertig war, ging er zu Lyric. „Für deine Nase“, sagte er und gab ihr einen eingewickelten Eisbeutel. Dabei bemerkte er, dass sie die Brille schon wieder aufgesetzt hatte. Er konnte nicht anders, als einen verstohlenen Blick auf ihre linke Hand und den nackten Ringfinger zu werfen. Dann zwang er sich dazu, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Er kniete sich hin und krempelte behutsam ihre Hosenbeine hoch.

Er zuckte zusammen, als er die aufgeschürfte Haut an ihren Knien und die roten Flecken sah, die auf stärkere Blutergüsse hindeuteten als diejenigen, die ihre Tante erlitten hatte. Als Fahrerin war Lyric natürlich näher am Armaturenbrett gesessen. Das bedeutete, dass sie heftiger dagegen geknallt war.

Bei einer Körpergröße von eins fünfundsechzig hatte sie sich immer klein und zierlich in seinen Armen angefühlt, doch üppig. Nach seiner Rückkehr auf die Dalton-Ranch war er monatelang aufgewacht, um festzustellen, dass er das Kopfkissen an sich gedrückt hielt. Er wusste, dass er dann von ihr geträumt hatte – davon, wie sie sich angefühlt hatte, wenn sie sich an ihn geschmiegt hatte.

Dabei hatten er und Lyric nie miteinander geschlafen. Sie war ja auch die ganze Zeit mit einem anderen verlobt gewesen, während sie seine Zärtlichkeiten genossen hatte.

Er fluchte innerlich und zwang die Erinnerung in die ramponierte Blechdose mit seiner Vergangenheit zurück. Darüber war er hinweg. Er war über sie hinweg und über diese wilden Gefühle, die er für Liebe gehalten hatte. Eine untreue Frau stand keineswegs auf seinem Wunschzettel.

Rasch fixierte er die Eisbeutel an ihren Knien und ging dann auf Abstand zu ihrer glatten Haut, ihrem warmen Körper, dem würzigen Duft ihres Puders und ihres Parfüms.

„Habt ihr zwei schon zu Abend gegessen?“, fragte Onkel Nick.

„Ja“, antwortete Lyric.

„Nein“, sagte ihre Tante gleichzeitig. „Lyric hatte es so eilig herzukommen, dass sie nicht anhalten wollte. Also haben wir in einem Schnellrestaurant in Boise einen Salat gegessen. Das ist jetzt Stunden her.“

„Wenn ich mich recht erinnere, magst du Schokoladenkuchen mit Eis“, sagte Onkel Nick. Sein Blick war ganz weich, und seine Augen leuchteten.

Lyrics Tante nahm den Eisbeutel von der Nase und grinste den älteren Mann an. „So was in der Art hast du nicht zufällig da, oder?“

„Also, nun ja, ich schätze schon.“ Er erhob sich und lächelte strahlend. „Ladys, bleibt einfach nur sitzen. Trevor und ich kümmern uns um alles.“

Trevor unterließ es, wegen des galanten Benehmens seines Onkels mit den Augen zu rollen. Wenn der alte Mann noch mehr strahlt, könnten wir jede Menge Stromkosten sparen.

Er folgte ihm in die Küche und half dabei, die Leckereien zurechtzumachen. Mit einem Blick in Richtung Wohnzimmer sagte er leise: „Du hast gewusst, dass sie kommen, oder?“

Onkel Nick bejahte mit einem Nicken, während er Eiscreme auf Untertassen löffelte. „Fay und ich sind jahrelang in Kontakt geblieben. Sie hat erzählt, wie einsam der letzte Winter war. Da hab ich ihr gesagt, sie soll im Frühling herkommen. Doch sie hat es nicht geschafft, bis ihre Nichte endlich Zeit hatte, sie herzufahren.“

„Du hättest auch mir Bescheid sagen können.“

Augen, die so blau waren wie seine eigenen, richteten sich auf ihn. „Hab ich doch. Letzten Monat, gleich nachdem wir die Sache mit Roni und Adam hingebogen haben. Ich erinnere mich ganz deutlich, dass ich es beim sonntäglichen Abendessen erwähnt habe, als alle hier waren.“

Im Mai hatte Roni, seine verwaiste Cousine und das einzige Mädchen in der Familie, Adam geheiratet. Dessen jüngere Schwester Honey wiederum war mit Trevors älterem Bruder Zack verheiratet.

Trevor seufzte. Die Familienbande wurden langsam kompliziert, nachdem seine zwei Brüder Travis und Zack und seine beiden Cousins Seth und Beau und seine Cousine Roni innerhalb von nur vierzehn Monaten geheiratet hatten.

Fünf Hochzeiten.

Er war jetzt der einzige Junggeselle unter den sechs Kindern, deren Eltern vor dreiundzwanzig Jahren bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen waren. Sein Vater Jed und sein Onkel Job waren Zwillinge gewesen, genau wie er und Travis. Onkel Nick, der älteste der drei Dalton-Brüder, und Tante Milly hatten alle sechs Kinder aufgenommen.

Als Trevor dem älteren Mann, der sich wie ein verliebter Teenager aufführte, einen Blick zuwarf, versetzte ihm das einen Stich ins Herz. Onkel Nick wirkte jetzt zwar ganz gesund, aber im letzten Frühling hatte er einen Herzinfarkt erlitten und seither ein paar Schwächeanfälle gehabt.

Trevor stieß noch einen Seufzer aus. Sein Onkel hatte die Cousine seiner verstorbenen Frau einladen wollen – Fay Gibson –, da gab es nichts, was er dagegen tun konnte. Warum aber Lyric ihre Tante unbedingt hatte begleiten müssen, dies konnte er nicht begreifen.

Er zwang ein hoffentlich freundliches Lächeln auf sein Gesicht, trug zwei Teller in das andere Zimmer und gab Lyric einen davon, während sein Onkel den anderen der Tante anbot. Dann setzte sich Nick neben Fay und fragte sie nach der Reise und allem anderen, was in letzter Zeit los gewesen war.

Trevor setzte sich ans andere Ende des Sofas, auf dem Lyric saß. Die nächsten fünfzehn Minuten sagte keiner von ihnen ein Wort.

„Trevor, würdest du die Teller in die Küche tragen und den Kaffee holen?“ Onkel Nick wandte sich an Fay. „Ich habe eine Kanne entkoffeinierten Kaffee aufgesetzt. Der sollte jetzt fertig sein. Ich kann nämlich einfach nicht schlafen, wenn ich abends normalen Kaffee trinke.“

„Oh, ich habe das gleiche Problem“, sagte sie.

Trevor begegnete Lyrics Blick, und sie lächelten sich spontan an, während das ältere Paar sich über das Altwerden und die Veränderungen unterhielt, die das so mit sich brachte.

Lyrics Augen erinnerten ihn an ein braunes Samtkleid, das seine Tante Milly immer gerne getragen hatte. Als kleines Kind hatte ihm gefallen, wie sich die Schattierung änderte, wenn man die Faser glatt strich. Die Augen von Lyric waren auch so – sie änderten die Farbe von Braun zu Gold, je nachdem, wie das Licht sich in den goldenen Flecken um die Pupille brach.

Autor

Laurie Paige
Laurie Paige lebte mit ihrer Familie auf einer Farm in Kentucky. Kurz bevor sie ihren Schulabschluss machte, zogen sie in die Stadt. Es brach ihr das Herz ihre vierbeinigen Freunde auf der Farm zurück lassen zu müssen. Sie tröstete sich in der örtlichen Bibliothek und verbrachte von nun an ihre...
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