Unsere Liebe heilt alle Wunden

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Also wirklich! Dr. Ben Richardson verdreht die Augen, als er die attraktive Schwangere entdeckt, die in der Bucht vor Melbourne ihre Yogaübungen macht. Dieser esoterische Ich-heiße-den-Tag-willkommen-Kram ist nichts für ihn. Doch als sie plötzlich schmerzverzerrt das Gesicht verzieht, eilt er ihr sofort zur Hilfe. Und obwohl er sich geschworen hat, nie wieder sein Herz zu riskieren, bezaubert ihn die hübsche Unbekannte so, dass er wieder Hoffnung fasst. Kann sie vielleicht seine Wunden heilen?


  • Erscheinungstag 17.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506410
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Unsere Liebe heilt alle Wunden

Carol Marinelli

Unsere Liebe heilt alle Wunden erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

© 2009 by Carol Marinelli
Originaltitel: „One Tiny Miracle..."
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe Julia Ärzte zum Verlieben
- by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Nicole Lacher

Umschlagsmotive: GettyImages_Kiuikson

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751506410

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Ein neuer Tag.

Ein neuer Anfang.

Noch einer.

Mit gesenktem Kopf ging Ben Richardson den Strand entlang, zu gedankenverloren, um den herrlichen rosafarbenen Himmel über dem glatten Wasserspiegel der Port-Philip-Bucht wahrzunehmen. In zwei Stunden trat er seine Stelle als Assistenzarzt in der Notaufnahme des Bay View Hospital in Melbourne an. Lampenfieber hatte er nicht – schließlich hatte er schon viele neue Anfänge erlebt.

Dies war sein vierter Job in den drei Jahren seit Jennifers Tod … Nein, fast vier Jahre war es nun her. Das Datum rückte wieder näher, und Ben graute davor. Er versuchte, nicht daran zu denken. Nicht ständig zu überlegen, was wäre, wenn … Hätte sich sein Leben nicht so dramatisch verändert und wäre er am Melbourne Central Hospital geblieben, hätte er jetzt die ersten Bewerbungen für Chefarztposten abgeschickt. Aber er hatte nicht bleiben können – dafür gab es zu viele Erinnerungen.

Sechs Monate lang hatte Ben es probiert. Dann war ihm klar geworden, dass er die Klinik verlassen musste, in der er mit seiner Frau gearbeitet hatte. Er hatte in sich hineingelauscht und akzeptiert, dass es nie wieder wie früher sein würde. Nie wieder wie früher sein konnte. Also war er nach Sydney gezogen. Eine Weile hatte sich das richtig angefühlt, doch nach 18 Monaten war Ben unruhig geworden und hatte das Krankenhaus gewechselt. Dort war es dasselbe in Grün gewesen. Tolle Klinik, tolles Team …

Aber ohne Jen funktionierte es einfach nicht.

Deshalb war er nach Melbourne zurückgekehrt, allerdings an den Stadtrand. Es gefiel ihm, wieder in der Nähe seiner Familie und Freunde zu sein.

Nein, der erste Tag im neuen Krankenhaus machte ihn nicht nervös – diesmal freute er sich sogar darauf. Er war bereit für den Neuanfang und wollte endlich einen Schritt nach vorn machen.

Es war höchste Zeit.

Ben hatte eine Wohnung am Strand gemietet und sich vorgenommen, jeden Morgen einen flotten Spaziergang zu machen oder zu joggen. Schon am dritten Tag nach seinem Einzug hatte er allerdings die Schlummertaste des Weckers gedrückt.

Jetzt lief er schneller, bis er schließlich joggte. Er war so groß und muskulös, dass man ihm auf den ersten Blick gar nicht die Geschicklichkeit zutraute, die er tatsächlich besaß. Bald erreichte er sein Ziel. Jenes Haus, das er seit Wochen im Auge hatte.

Gegen Ende seiner Zeit in Sydney war er nach Melbourne gereist, um mehrere Wohnungen in der Nähe des Krankenhauses zu besichtigen. Er wollte sich unbedingt festlegen, bevor er die neue Stelle antrat – mit dem Hintergedanken, dass er vielleicht länger blieb, wenn er eine Immobilie kaufte.

Der Makler hatte ihm ein typisches Junggesellenappartement in einem Neubau am Strand gezeigt, mit beeindruckendem Blick auf die Bucht und die City von Melbourne. Das Appartement war hell und komfortabel. Ben konnte sich gut vorstellen, mit Verwandten oder Freunden auf dem großen Balkon zu sitzen.

Eigentlich hatte diese Immobilie alles, was das Herz begehrte, und er war drauf und dran gewesen, sie noch am selben Tag zu kaufen. Doch dann hatte er das Nachbarhaus gesehen. Es war schon älter und ragte weiter auf den Strand hinaus als der Appartementkomplex. Der Garten grenzte direkt an den Strand und glich einer wuchernden Oase. Alles wirkte ganz anders als das Appartement mit dem schicken Bodenbelag und den durchsichtigen Wänden des Balkons, auf dem Ben gerade stand.

Statt den Blick auf den Strand zu genießen, hatte er sich dabei ertappt, wie er den Garten seines möglichen neuen Nachbarn betrachtete. Eine hohe Weide warf Schatten über den größten Teil. Daneben standen eine Rutsche, eine Schaukel und ein Trampolin, doch am meisten hatte Ben das Boot interessiert. Ein Mann um die 40 war dabei gewesen, die Außenseite mit einem Schlauch abzuspritzen. Er hatte aufgeblickt und gewunken, als Ben mit dem Makler auf den Balkon gekommen war. Ben hatte zurückgenickt. Dann war ihm bewusst geworden, dass der Mann gar nicht ihn, sondern den Makler meinte.

„Bin gleich bei dir, Doug!“, rief der Makler und setzte sich an den Glastisch, um den Kaufvertrag aus seinem Aktenkoffer zu ziehen.

„Dann steht es also zum Verkauf?“, fragte Ben.

„Wie bitte?“

„Das Haus nebenan – ist es zu verkaufen?“

„Noch nicht“, antwortete der Makler mit einem unverbindlichen Lächeln. „Setzen Sie sich, Dr Richardson, dann gehen wir das Kleingedruckte durch.“

„Aber es kommt auf den Markt?“, bohrte Ben.

„Vielleicht, allerdings entspricht es überhaupt nicht Ihren Vorstellungen. Man muss jede Menge Arbeit in das Haus stecken. Es hat noch die erste Küche, und der Garten ist ein wahrer Dschungel.“

Ben hörte nicht zu. Der Makler befürchtete, dass ihm der schon sicher geglaubte Abschluss entglitt. „Dieser Appartementkomplex wird regelmäßig gewartet, verfügt über ein Fitnessstudio und einen Pool“, betonte er die Vorteile für den großen, schroff aussehenden Single mit Doktortitel. Er war davon überzeugt, dass Ben in erster Linie Komfort suchte.

Falsch.

Ben kam nämlich gerade zu dem Schluss, dass es fantastisch wäre, viel Arbeit in ein Haus zu stecken.

Hier könnte ich mich austoben. Reparaturen erledigen, die Bohlen auf der Terrasse ölen … Und wie wäre es mit einem Boot? Soll ich in meiner knappen Freizeit nicht lieber ein Haus auf Vordermann bringen und durch die Bucht schippern, statt in einem schnörkellosen Appartement zu sitzen oder im Pool Bahnen zu ziehen?

Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit interessierte sich Ben für etwas anderes als seine Arbeit. Er konnte sich schon fast eine Zukunft vorstellen, eine richtige Zukunft … Also ging er das Risiko ein und unterschrieb den Kaufvertrag zum unverhohlenen Ärger des Maklers nicht. Stattdessen lagerte er seine Möbel ein und mietete eine preiswerte möblierte Wohnung am anderen Ende der Straße, um zu warten, bis das Haus zum Verkauf stand.

Im Grunde kann ich nur gewinnen, überlegte Ben, als er an diesem Morgen über den Strandpfad auf die Vorderseite des Hauses zuging. Seit seinem Besichtigungstermin war der Immobilienmarkt zusammengebrochen, und die Bauunternehmer wurden die Luxusappartements schwer los. Der Preis war schon um mehrere Tausender gesunken. Wenn sich also mit dem Haus nichts tat, konnte Ben immer noch den Makler anrufen.

Plötzlich blieb er stehen und starrte auf ein Schild mit dem Wort Versteigerung.

Lächelnd las er, dass die Auktion in wenigen Wochen bevorstand. Am kommenden Wochenende durfte man das Haus besichtigen. Auf dem Rückweg zum Strand nahm jetzt auch Ben den prächtig gefärbten Himmel und die Morgenstille wahr. Möwen schaukelten wie Enten auf dem ruhigen Wasser, bis ein Hund auf sie zulief und sie verscheuchte.

Und dann sah Ben sie. Die Frau stand bis zu den Knien in der Bucht, spreizte die Beine und streckte die erhobenen Arme zum Himmel. Nachdem sie kurz in dieser Position verharrt hatte, ließ sie die Arme langsam sinken.

Und begann von vorn.

Ben verdrehte die Augen. Er war durchtrainiert und versuchte halbherzig, diesen Zustand zu erhalten. Vor allem, indem er jeden Tag gefühlte 1000 Meilen durch die Notaufnahme lief und ins Schwimmbad ging. Doch dieser esoterische Ich-heiße-den-Tag-willkommen-Kram oder was auch immer die Frau gerade praktizierte …

Also wirklich!

Andererseits musste Ben ihr Selbstbewusstsein bewundern. Irgendetwas an ihr ließ ihn lächeln.

Plötzlich drehte sie sich um, und sein Lächeln verschwand, weil sie sich krümmte. Ben registrierte ihren Babybauch. Offenbar hatte sie Schmerzen. Er ging etwas schneller – wollte nicht übertreiben, denn vielleicht gehörte diese Position ja auch zu ihren Übungen. Nein, als sie jetzt aus dem Wasser kam, noch immer vorgebeugt, wirkte sie nicht, als fühle sie sich gut. Er joggte zum Ufer und blickte auf einen dunklen Lockenkopf, weil die Frau beide Hände auf die Knie stützte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt.

„Ja“, stöhnte sie. Dann blickte sie auf. Sie hatte bernsteinfarbene Augen, trug große silberne Ohrringe und biss die Zähne zusammen. „Verflixtes Yoga.“

„Haben Sie eine Wehe?“ Statt vorzupreschen und der Frau eine Hand auf den Bauch zu legen, stellte er sich lieber erst vor. „Mein Name ist Ben, ich bin Arzt.“

„Ich heiße Celeste.“ Sie atmete aus und richtete sich langsam auf. „Und ich habe keine Wehe, sondern Seitenstechen.“

„Sicher?“

„Ganz sicher.“ Sie streckte sich, zog eine Grimasse und rieb sich die Seite. „Blöder esoterischer Kram!“

Ben grinste, genau wie sie. „Mein Frauenarzt sagt, dass Yoga mich und das Baby entspannt, aber wahrscheinlich bringt es uns eher um.“

Er erstarrte. Hier stand er am Strand an einem wunderbaren, warmen Morgen, und es kam wieder hoch – wie fast jeden Tag und jede Nacht. Nicht mehr ständig, aber zu oft, wenn man berücksichtigte, dass fast vier Jahre vergangen waren.

„Hauptsache, es geht Ihnen wieder gut“, meinte er knapp und wollte gehen, als die Frau beide Hände auf ihren Bauch presste und langsam ausatmete. „Das ist kein Seitenstechen“, erklärte Ben streng.

„Nein.“ Sie kniff die Augen zusammen, und diesmal legte Ben doch eine Hand auf ihren Bauch. Er spürte eine leichte Kontraktion und nahm die Hand erst weg, als er sicher war, dass es sich nur um eine Vorwehe handelte.

„Das Baby übt bloß für seinen großen Tag.“ Celeste lächelte. „Ehrlich, mir geht es gut.“

„Wirklich?“

„Hundertprozentig.“

„Wenn die Vorwehen stärker werden oder …“

„Gleichmäßiger, ich weiß, ich weiß.“ Sie lächelte breit. Im inzwischen hellen Sonnenschein konnte er ihre Sommersprossen erkennen. Sie hatte wirklich ein unglaubliches Lächeln … „Vielen Dank jedenfalls“, sagte sie.

„Kein Problem.“

Celeste wandte sich um und ging den Strand entlang, in die Richtung, die auch Ben ansteuerte. Er behielt sie im Auge, um sicherzugehen, dass sie nicht noch einmal Schmerzen bekam, doch alles schien in Ordnung zu sein. Sie trug weiße Shorts und ein enges weißes Top. Ihr ganzer Körper schien aus Kurven zu bestehen. Ben war verlegen, als sie sich umdrehte.

„Ich verfolge Sie nicht – ich wohne da hinten“, erklärte er.

„Ach so.“ Sie ging langsamer. „Wo denn?“

„Im Block am Ende der Straße.“

„Und seit wann?“

„Seit dem Wochenende.“

„Dann sind wir Nachbarn.“ Wieder lächelte sie. „Celeste Mitchell. Ich wohne in Nummer 3.“

„Ben, Ben Richardson. Nummer 22.“

„Sie haben das ruhige Ende erwischt.“ Celeste verdrehte die Augen.

„Sind Sie sicher?“ Er grinste. „An den letzten beiden Abenden war es ganz und gar nicht ruhig. Streit, Party …“

„Verglichen mit meinen Nachbarn ist das gar nichts.“

Sie erreichten die Wohnanlage. Der Komplex war nicht gerade eine Zierde. Irgendwann würde ihn jemand abreißen und Luxuswohnungen oder ein Hotel bauen. Vorläufig boten die Wohnungen aber noch niedrige Mieten und Zugang zum Strand. Hier lebten Rucksacktouristen, die für einige Wochen bleiben wollten, und ein paar ständige Mieter, zu denen Celeste vermutlich gehörte.

Nr. 3 hob sich von den übrigen Wohnungen ab – der schmale Grasstreifen auf der Vorderseite war frisch gemäht, und auf der kleinen Veranda standen Töpfe mit Sonnenblumen. Celeste hatte ein Zuhause daraus gemacht.

„Nochmals danke.“ Sie lächelte übermütig. „Und sollten Sie jemals Zucker brauchen …“

Er lachte. „Weiß ich, wen ich fragen kann.“

„Eigentlich wollte ich sagen, dass Sie es woanders probieren müssen. Der Arzt hat mich auf Diät gesetzt.“

Ben verabschiedete sich und ging in seine Wohnung. Er schaltete den Wasserkocher ein und blickte sich in dem düsteren Raum um. Auf dem Weg ins Bad fragte er sich, ob die launenhafte Dusche heute heißes oder kaltes Wasser ausspucken würde.

Hoffentlich ist es bei ihr netter als bei mir, dachte er. Seltsam, dass ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss, aber er hoffte halt, es möge so sein, mehr nicht. Von außen sah ihre Wohnung blitzsauber aus. Vielleicht hatte ihr Mann die Fassade gestrichen. Ben wünschte Celeste, dass der Vermieter bei ihr hübschere Möbel deponiert hatte als bei ihm, obwohl auch das nicht den Krach von Nachbarn wettmachen konnte.

Nach der Dusche hörte er wieder seine Nachbarn streiten. Er konnte die Versteigerung kaum erwarten.

Er machte Kaffee und lächelte, während er Zucker hineinrührte.

Celeste brauchte keine Diät – sie war kurvig, das schon, aber sie war ja auch schwanger. Ben dachte an ihren hübschen runden Po, den er am Strand vor sich hatte hin- und herwippen sehen. Das Bild stieg so klar vor ihm auf, dass er zusammenzuckte.

Vermutlich war Celestes Blutzuckerspiegel erhöht. Sie musste etwa im siebten Monat sein.

Ben zwang sich, nicht mehr an Celeste zu denken – bis er aus der Garage fuhr und sich in seinem eleganten Geländewagen etwas mulmig fühlte, weil seine neue Bekannte ihre Sonnenblumen goss und ihm zuwinkte.

Widerstrebend winkte er zurück. Ben winkte Nachbarn ungern zu. Und trotz seiner Bemerkung klingelte er auch nicht mal eben, um Zucker zu borgen oder einen Plausch zu halten. Hätte Celeste nicht sichtlich Schmerzen gehabt, wäre er weitergegangen und allein geblieben – so, wie es seine Art war.

Als er vorbeifuhr, fühlte Celeste, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie winkte möglichst lässig.

Er. Ist. Umwerfend.

Atemberaubend! Gut 1,90 Meter groß, mit breiten Schultern, den muskulösen Beinen eines Rugbyspielers und etwas längeren braunen Haaren. Eine Strähne war ihm über die Augen gefallen, als er auf Celeste hinabgeschaut hatte. Das hatte gereicht, um in ihr den Impuls zu wecken, die Finger in seinen Haaren zu vergraben. Und erst diese grünen Augen … Warum zum Teufel habe ich bei der Arbeit nie mit Ärzten wie ihm zu tun?

Im nächsten Moment hörte Celeste damit auf, 24 und Single zu sein. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie Männern für mindestens ein Jahrzehnt abgeschworen hatte und in wenigen Wochen ein Baby bekam.

Komisch, aber vorübergehend war ihr das entfallen. Mit Ben am Strand zu schlendern und sich zu unterhalten – einen Moment lang hatte sie vergessen, dass sie ein Kind erwartete, und sich wie eine normale Frau gefühlt. Natürlich war sie das. Es gab nichts Weiblicheres oder Normaleres als eine Schwangerschaft. Aber vorhin war sie eine Frau gewesen, der ein ausgesprochen sexy Mann gefiel, die rot anlief und in seiner Gegenwart alle möglichen falschen Dinge sagte.

Celeste hatte vermutet, sie würde sich während der Schwangerschaft zu keinem Mann hingezogen fühlen. Sich hormonell abschotten, Männer nicht mehr attraktiv finden, nicht flirten oder auch nur einen zweiten Blick riskieren. Sechs Monate war es in der Tat so gewesen …

Und so wird es auch bleiben, befahl sie sich.

Nicht, dass sie sich Gedanken darüber machen musste. Ein strammer Fußtritt ihres Babys erinnerte sie daran, dass sie keine Wahl hatte – sie war kaum eine Kandidatin für eine heiße Romanze.

2. KAPITEL

„Was machst du denn hier?“ Meg, die Stationsschwester, schüttelte den Kopf, als Celeste zur Übergabe an die Spätschicht erschien und ihr einen Zettel gab.

„Mit geht es gut genug, um zu arbeiten. Gestern war ich noch einmal beim Frauenarzt.“

Meg überflog die Bescheinigung, mit der Celestes Arzt sie für arbeitsfähig erklärte. „Du warst ziemlich erschöpft, als ich dich letzte Woche nach Hause geschickt habe. Ich habe mir ernsthaft Sorgen um dich gemacht.“

„Jetzt bin ich wieder in Ordnung – nach den freien Tagen und der Woche, in der ich krankgeschrieben war.“ Da Meg skeptisch dreinblickte, erläuterte Celeste: „Mein Blutzuckerspiegel war erhöht, aber seit zehn Tagen halte ich Diät. Ich habe mich ausgeruht, Yoga und Strandspaziergänge gemacht. Es geht mir fantastisch – manche Frauen arbeiten fast bis zur 40. Woche!“

„Nicht in der Notaufnahme. Du wirst jedenfalls bestimmt nicht so lange arbeiten. In der wievielten Woche bist du doch gleich?“

„In der 30. Und der Arzt meint, es geht mir gut.“

Dagegen konnte Meg schlecht etwas sagen, abgesehen davon, dass hier nicht der richtige Ort dafür war. Sie zeigte an die Tafel und erläuterte den Krankenschwestern den Zustand der einzelnen Patienten. „Wenn die Wachstation öffnet, kann Celeste dort die Stellung halten.“

„Das muss nicht sein.“ Celeste fühlte sich schuldig, weil man ihr die leichteste Schicht zuteilte, doch Meg warf ihr einen warnenden Blick zu.

„Ich habe nicht so viele Schwestern, als dass ich um deine Schwangerschaft herumplanen könnte. Wenn dein Frauenarzt findet, dass du normal arbeiten kannst, und du ihm zustimmst, muss ich das akzeptieren. Ich teile nur die Arbeit ein.“

Celeste nickte, doch unabhängig von Megs entschiedenem Ton wusste sie, dass ihre Kolleginnen sie schonten. Zum x-ten Mal, seit sie von der Schwangerschaft erfahren hatte, meldete sich ihr schlechtes Gewissen.

Herauszufinden, dass sie ein Kind erwartete, war schlimm genug gewesen, aber die Folgen waren gigantisch.

Ihre Eltern redeten nicht mehr mit ihr, vor allem, weil sie sich weigerte, den Namen des Vaters zu nennen. Aber wie hätte sie das tun können? Ihr Freund war verheiratet, und seine Frau arbeitete in der Verwaltung jenes Krankenhauses, in dem auch Celeste damals angestellt gewesen war. Sobald sie das wusste, hatte sie sich so geschämt, dass sie kündigen wollte, obwohl niemand etwas von ihrer Affäre ahnte. Als alles hoffnungslos ausgesehen hatte, war die Zusage für das Weiterbildungsprogramm vom Bay View Hospital am anderen Ende der Stadt gekommen.

Zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung hatte Celeste noch kein Baby erwartet. Vielleicht wäre es anständig gewesen, den Platz abzusagen. Doch mit einer derart unsicheren Zukunft brauchte sie ein geregeltes Einkommen, und bei einer alleinerziehenden Mutter machte sich jede Zusatzqualifikation gut. Außerdem beendete der Umzug weg von Eltern und Freundeskreis die ständigen Fragen.

Der Preis, den Celeste dafür zahlen musste, war Einsamkeit.

Und ihre Kolleginnen mussten Rücksicht nehmen – obwohl sie es abstritten.

„In Bett 7 liegt Matthew Dale, 18 Jahre alt“, erklärte Meg. „Geringfügige Kopfverletzung. Ist beim Joggen gestolpert, war aber nicht bewusstlos. Er soll entlassen werden. Ben sieht gerade nach ihm.“

„Ben?“, fragte Celeste.

„Der neue Assistenzarzt. Hat heute Morgen angefangen. Da kommt er gerade.“ Meg winkte ihn heran. „Was passiert mit dem Patienten in Bett 7, Ben?“

„Ich behalte ihn noch hier. Tut mir leid, dass ich die Wachstation so früh geöffnet habe, aber …“ Er brach ab, als er Celeste entdeckte. Aus irgendeinem Grund grüßte er sie nicht, sondern fuhr mit seinen Anweisungen für den Patienten fort. Obwohl Celeste ihm keine Erklärung für ihre Anwesenheit schuldete und es keinen Grund für ein schlechtes Gewissen gab, machte es sich schon wieder bemerkbar.

Sie fühlte sich fast, als hätte man sie ertappt.

Wobei wohl, fragte sie sich, als sie zur Wachstation ging und ein Bett für Matthew machte. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt – das muss ich schließlich tun.

Zehn Schwangerschaftswochen lagen noch vor ihr, und die Krippe nahm das Baby erst auf, wenn es sämtliche Impfungen hatte. Stieg Celeste jetzt aus, würde sie fast sechs Monate nicht arbeiten können.

Die Panik, die nie weit entfernt war, stieg in ihr hoch.

Wie soll ich bloß zurechtkommen?

Sogar mit der Vollzeitstelle war die Miete nur schwer aufzubringen. Celeste musste für den Kinderwagen und das Babybett sparen, weil ihre Eltern sie nicht unterstützten. Ein paar winzige Kleidungsstücke und Windeln hatte sie schon gekauft, aber sie brauchte noch so viel mehr. Dazu kam ihr schrottreifes Auto …

Ängstlich dachte sie an all die scheinbar unüberwindlichen Hürden. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Das war jedoch keine Hilfe, denn sobald sie aufhörte, Angst zu haben, fühlte sie sich restlos erschöpft.

Sie nahm das Laken und hätte sich gern selbst in das Bett gelegt, die Decke über den Kopf gezogen und nur noch geschlafen, zugenommen, Babyzeitschriften gelesen, Tritte im Bauch gespürt und sich ausgeruht.

„Geht es Ihnen besser?“ Beim Klang von Bens Stimme fuhr Celeste zusammen.

„Ich hatte nur Seitenstechen“, antwortete sie einen Tick zu scharf. „Und bevor Sie fragen: Ich bin durchaus in der Lage zu arbeiten. Ich habe es satt, dass die Leute andeuten, ich solle nicht hier sein. Schwangerschaft ist keine Krankheit, wissen Sie?“

„Ich wollte nur höflich sein.“ Ben schaute sie erstaunt an. „Smalltalk mit meiner Nachbarin machen.“

Celeste wusste, dass sie über das Ziel hinausgeschossen war. „Tut mir leid – es war nicht ganz leicht, den Arzt zu überzeugen, dass ich wieder arbeiten kann, und hier verhört Meg mich wie eine Straftäterin. Das ist einfach …“

„Unnötig.“

„Genau. Ich werde das Baby ja wohl kaum einem Risiko aussetzen.“

„Gut.“

Sie wartete auf das „Aber“, auf eine der Standpauken, die man ihr in letzter Zeit oft hielt, doch Ben sagte nichts weiter. Jedenfalls nichts über ihren Zustand.

Autor

Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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