Verführe mich, Ron

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Weg mit den faden Klamotten! Julie hat es satt, als graue Maus zu gelten. In neuem Outfit bezaubert sie auf Anhieb ihren Traummann Ron. Leider ist der für seinen Frauenverschleiß bekannt. Und eine Eintagsfliege will Julie auch nicht sein …


  • Erscheinungstag 29.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743796
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich könnte das doch übernehmen, Ron … ich meine, wenn es dir recht ist …“

Doch Ronald Maclntyre hörte Juliets zaghaft ausgesprochenen Vorschlag gar nicht. Er war viel zu wütend. Gerade hatte er mit Nachdruck den Hörer auf die Gabel geworfen. Der Teufel sollte diesen „Fachmann“ aus Hollywood holen! Eigentlich hätte dieser bereits gestern in Emerald Gap eintreffen sollen, und heute besaß er die Dreistigkeit, anzurufen und abzusagen.

„Ron …“

Diesmal hörte er es. „Hmm?“ Abwesend blickte er zu Juliet Huddlestone hinüber. Sie führte seine Bücher, und er kannte sie seit ewigen Zeiten. Im Moment war sie gerade an dem Schreibtisch in der Ecke des Raumes mit seiner Lohnbuchhaltung beschäftigt. „Hast du etwas gesagt, Julie?“

Vielleicht sollte ich diesen Kerl vor Gericht bringen? dachte Ron voller Zorn. Es war andererseits nicht seine Art, Konflikte auf dieser Ebene auszutragen. „Ein Mann – ein Wort“, so hieß seine Devise, und mit Leuten, die nicht danach handelten, ließ er sich einfach nicht ein.

Juliet drehte sich auf ihrem Stuhl herum und sah ihm direkt ins Gesicht. „Ich habe gesagt, ich mache es.“

Ron hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon sie sprach, aber es musste wohl wichtig sein, so wie sie ihn mit ihren haselnussbraunen Augen anstarrte. Es war nicht typisch für die schüchterne kleine Juliet Huddlestone, überhaupt jemandem direkt in die Augen zu sehen.

„Alles in Ordnung, Julie?“

„Mir geht’s gut.“ Sie richtete den schmalen Oberkörper auf und knöpfte die Jacke ihres grauen Kostüms zu. „Und ich meine es wirklich ernst.“ Sie sah richtig resolut aus.

„Was denn?“

Julie räusperte sich. „Ich möchte diesen Job übernehmen, ich möchte dieses Jahr das Mittsommer-Festival organisieren.“

Ron sah sie verblüfft an. Schließlich fand er die Stimme wieder. „Das Mittsommer-Festival? Du willst das Fest in diesem Jahr ausrichten?“

Sein ungläubiges Erstaunen verunsicherte sie jetzt doch etwas, doch sie gab nicht auf. „Ja, allerdings.“

Ron fuhr sich durchs Haar. Er mochte Julie schon immer. Seit sie beide Kinder waren, hatte er sich immer ein bisschen um sie gesorgt. Sie zu verletzen war wirklich das Letzte, was er wollte. Sie war so ein liebes Mädchen.

Doch die Juliet Huddlestones dieser Welt waren nicht dafür geboren, Festivals zu managen. Wieder verfluchte er den Mann aus Hollywood, der ihn sitzen gelassen hatte, diesmal, weil er seinetwegen nun gezwungen war, Julies Gefühle zu verletzen.

Ron schüttelte bedauernd den Kopf. „Das ist wirklich lieb von dir, Julie. Aber seien wir ehrlich, als Festivalleiterin wärest du nicht gerade die ideale Besetzung, oder?“

Ron sah, wie das hoffnungsvolle Strahlen aus ihrem Gesicht wich, und hasste sich selbst dafür. Mutlos ließ sie die Schultern sinken und beugte sich wieder über ihre Arbeit.

Ron ging auf ihren Schreibtisch zu, um sie zu trösten. Doch bevor er dazu kam, klopfte es an der Tür.

„Es ist offen“, rief er.

Die Tür flog auf, und der Lärm aus der angrenzenden Küche drang herein. Rons Büro befand sich hinter dem Restaurant, dessen Besitzer er war. Er besaß zudem noch ein Haushaltswarengeschäft in derselben Straße und die Ranch außerhalb der Stadt, die er von den Eltern übernommen hatte. Ron war ein Mann mit vielen Pflichten und zu beschäftigt, um das verflixte Mittsommer-Festival selbst zu organisieren. Aber er würde wohl unter den gegebenen Umständen nicht darum herumkommen.

Die Geschäftsinhaber der Stadt wechselten sich jährlich ab, und dieses Jahr war er an der Reihe, die Aufgabe zu übernehmen. Er hatte es für eine geniale Idee gehalten, einen Fachmann zu bestellen. Na ja, das war eine Pleite geworden.

„Hier sind Sie also! Der Mann hinterm Tresen sagte mir, ich würde Sie hier finden.“ Eine kurvenreiche Brünette stand an der Tür. Sie trug enge Jeans und machte einen Schmollmund wie Lolita. „Erinnern Sie sich an mich?“

Ron war ein höflicher Mann. Er versuchte, taktvoll zu sein, obwohl er sich nicht entsinnen konnte, dieses Mädchen jemals zuvor gesehen zu haben. „Es tut mir leid, aber ich erinnere mich nicht daran, wo wir uns begegnet sind.“ Über ihre Schulter hinweg sah er Elroy, den Barmann, feixen. „Warum kommen Sie nicht herein und machen die Tür zu?“, forderte er die Frau auf.

Sie schloss die Tür und stellte dabei sicher, dass es jeder im Restaurant mitbekam. Als sie Juliet bemerkte, zögerte sie kurz und zuckte dann gleichgültig mit den Schultern. Dann lehnte sie sich aufreizend mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür und seufzte theatralisch. Ihre üppigen Brüste kamen dabei sehr gut zur Geltung.

„Ich hatte gehofft, Sie würden anrufen.“

„Entschuldigen Sie bitte, aber wer sind Sie?“

„Oh, mein Gott, Sie sind wirklich ein typischer Mann!“

„Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind?“

„Ich bin die Lorena! Das steht doch auf dem Streichholzheftchen, das ich der rothaarigen Bedienung für Sie gegeben habe. Letzten Samstag war das. Sie sangen den Garth-Brooks-Song, und ich saß an dem kleinen Tisch ganz hinten in der Ecke. Ich war nicht alleine da, aber ich flüsterte der Kellnerin zu, dass sie Ihnen sagen solle, ich sei völlig frei und ungebunden und in jeder Hinsicht bereit, einen fantastischen Typ wie Sie kennenzulernen.“

„Dann sind wir uns also bis jetzt noch nie begegnet?“

Juliet bekam natürlich alles mit. Vergeblich versuchte sie, wegzuhören, und vergaß dabei fast ihre eigenen Probleme. Der arme Ron musste wieder einmal eine glühende Verehrerin abwehren.

„Na ja, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden“, gab die Brünette zu. „Aber seien Sie ehrlich, Sie haben mich doch gesehen. Ich weiß, Sie haben es auch gefühlt, wie es funkte, als sich unsere Blicke trafen. Es war doch wie ein Blitz aus heiterem Himmel.“

„Tut mir wirklich leid, junge Frau. Ich kann nicht behaupten, dass das auch auf mich zutraf.“

Juliet schüttelte den Kopf. Der arme Ron. Die Frauen verfolgten ihn förmlich. Er konnte ziemlich gut mit Mundharmonika und Gitarre umgehen. Darüber hinaus besaß er eine gute Singstimme mit einem rauchigen Unterton. Manchmal schrieb er sich sogar seine eigenen Songs, und wenn er in der Stimmung war, konnte es sein, dass er abends an der Bar ein paar davon zum Besten gab. Die Frauen beteten ihn dafür an.

Aber Ronald Maclntyre war nicht nur musikalisch und ein begabter Sänger, er war auch ein unglaublich attraktiver Mann.

„Süßer …“ Die Brünette legte eine Hand auf die Hüfte und sah Ron an, als wolle sie ihn am liebsten verschlingen. „Ich kann dich glücklich machen. Du musst mir nur eine Chance geben.“

Juliet konnte die Brünette durchaus verstehen. Die meisten Frauen empfanden das Gleiche bei Rons Anblick. Er schien der Prinz zu sein, von dem jedes Mädchen träumte.

Sein Gesicht musste jeden Bildhauer oder Maler reizen. Er hatte graugrüne Augen mit dichten geraden Brauen. Seine Nase war ganz und gar ebenmäßig, nicht zu groß und nicht zu klein, die Nasenflügel leicht gewölbt, gerade genug, um dem Gesicht eine sinnliche, aber nicht zu weiche Ausstrahlung zu geben. Die Lippen waren fest, aber nicht zu schmal, und er neigte dazu, sie beim Lachen ein bisschen nach rechts zu verziehen. Das Kinn war ausgeprägt, jedoch nicht vorherrschend. Ron besaß volles dunkelblondes Haar, und Juliet fand sogar seine Ohren beeindruckend. Und, was bei einem gut aussehenden Mann vielleicht das Wichtigste war – er machte sich nicht das Geringste aus seinem Äußeren!

Als ob all das nicht genügte, fand sie ihn auch noch ausnehmend sympathisch. Kein Wunder, dass die Brünette immer noch an der Tür lehnte und Ron anhimmelte, während Juliet krampfhaft versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Aber das war nicht so einfach. Wenn sie so über den armen Ron und dessen Probleme mit Frauen nachdachte, konnte sie nicht umhin, eine Gemeinsamkeit zwischen sich selbst und ihm festzustellen. Das war schon merkwürdig. Sie selbst war ja so etwas wie eine graue Maus, jemand, den die anderen – besonders die Männer – kaum wahrnahmen. Ron dagegen war der fleischgewordene Traum einer jeden Frau. Und doch war er immer noch allein, genau wie sie. Unter all den Frauen, die sich ihm zu Füßen warfen, hatte er bis jetzt nicht die richtige für sich finden können. In letzter Zeit tat es Juliet für ihn fast noch mehr leid als für sich selbst.

Achtung Stopp! Juliet erhob im Geiste den Zeigefinger. Ich, Juliet Huddlestone, tue mir nicht selbst leid. Schließlich will ich ab jetzt doch mein Schicksal in die Hand nehmen, und da werden die nächsten dreißig Jahre hoffentlich aufregender verlaufen als die Letzten – so wahr ich hier sitze.

Ja, das hatte sich Juliet Huddlestone zu ihrem dreißigsten Geburtstag vor vier Monaten hoch und heilig geschworen. Zu niemandem hatte sie darüber gesprochen, zum einen, weil niemand sie gefragt hatte, zum anderen, weil es ihr persönliches Geheimnis bleiben sollte.

Juliet hatte bereits einiges unternommen, um sich ihrem Ziel zu nähern, und sie war eisern entschlossen, auf diesem Weg weiterzukommen.

Unwillkürlich richtete sie sich auf. In dem Moment bewegte sich die Brünette, eine Duftspur sinnlich-schweren Parfüms hinter sich lassend – durch den Raum auf Rons Schreibtisch zu.

„Na, komm schon, Süßer“, flötete sie. „Nur wir zwei, eine Flasche Wein und der volle Mond, wie wär’s?“

Ron lehnte freundlich ab. Mit der Routine, die er durch jahrelange einschlägige Erfahrung gewonnen hatte, geleitete er sie zur Tür und verabschiedete sie, bevor sie überhaupt begriffen hatte, dass sie abgeblitzt war.

Juliet war mit der Arbeit fast fertig, als ein Schatten über ihren Schreibtisch fiel. „Julie?“

Sie hob den Kopf und zuckte zusammen, als sie direkt in Rons schöne Augen sah, mit denen er sie mitfühlend anblickte.

Juliet verfluchte sich für ihre angeborene Schüchternheit. „Alles in Ordnung, Julie?“

Juliet wusste, was er meinte. Er wollte wissen, ob sie es akzeptierte, dass er das Organisieren des Mittsommer-Festivals nicht als den richtigen Job für sie ansah. Sie dachte nach. Im Grunde hatte er wohl recht. Sie hatte ja wirklich in ihrem ganzen Leben noch nie eine leitende Funktion ausgeübt. Manche Menschen wurden schon als Führernaturen geboren. Das waren die, die immer im Rampenlicht standen. Andere schienen dazu bestimmt zu sein, nie aus dem Hintergrund hervorzutreten. Juliet wusste durchaus, zu welcher Kategorie sie gehörte.

Doch bevor sie Ron zustimmen konnte, gebot ihr eine innere Stimme Einhalt. So blieben die Worte ungesagt. Nein, so einfach kam sie an ihrem Schwur nicht mehr vorbei. Wenn sie wirklich mehr von ihrem Leben haben wollte, musste sie sich ein Herz fassen und danach greifen. Also gab sie sich einen Ruck.

„Ich … ich kann es, Ron. Gib mir die Chance!“

Rons Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. Während er nach Worten suchte, blickte er auf seine Stiefelspitzen. „Julie, ich glaube, du hast dich nicht wirklich ernsthaft mit der Sache befasst, oder?“

„Oh ja, das habe ich. Bitte gib mir die Chance.“

Ron löste sich von der Betrachtung der Stiefel und sah Juliet in die Augen. Sie konnte an seiner Miene ablesen, dass sie sich seiner Ansicht nach hoffnungslos überschätzte.

Juliet erwiderte den Blick und hatte plötzlich eine Empfindung, die für sie absolut neu war. Sie spürte Ärger. Woher nahm Ron eigentlich diese hundertprozentige Sicherheit, dass es zur Katastrophe kommen musste, wenn sie das Festival organisieren würde? Es mochte ja sein, dass sie nicht gerade zu den Führerpersönlichkeiten gehörte, aber sie war andererseits auch nicht ganz und gar unqualifiziert. Schließlich besaß sie die notwendigen organisatorischen Fähigkeiten. Außerdem war sie bisher immer in irgendeiner Weise an dem Festival beteiligt gewesen. Sie wusste daher, was zu tun war.

„Julie“, begann Ron von Neuem. „Lass uns realistisch sein. Du wärst nicht nur für das Ausrichten der Eröffnungsparade verantwortlich, sondern auch für die Gestaltung des Gold Rush Balls und für die Mittsommer-Revue. Wie willst du das denn anstellen, wenn du schon mit mir so leise sprichst, dass ich ständig nachfragen muss?“

Juliet fühlte sich wieder ganz klein. Er hatte ja recht. Sie würde es nicht schaffen. Nicht so eine verhuschte Maus wie sie. Nie im Leben!

Andererseits meldete sich ihr Widerspruchsgeist. Wer hatte denn im letzten Monat an einem Selbstsicherheitstraining teilgenommen und dabei gelernt, wie man weiß, was man will, und es auch bekommt? Wer besuchte seit April heimlich in Auburn einen Rhetorikkurs? Wer hatte dort inzwischen schon dreimal frei vor der Gruppe gesprochen und jedes Mal eine höhere Punktzahl erreicht? Ich – Juliet! sagte sie sich.

„Ich kann schon laut sprechen, wenn ich will“, sagte sie. „Ich arbeite daran.“

Ron musterte sie. Es war ihm unverständlich, wieso sich die scheue, ängstliche Julie eine solche Aufgabe aufhalsen wollte und auch noch so beharrlich darauf bestand. Da kam ihm eine Idee, wie er sie ein für alle Mal davon abbringen könnte.

„Na gut“, sagte er und stand auf.

Juliet schaute ungläubig auf. „Du bist einverstanden?“

Er hob die Schultern. „Das kann ich nicht allein entscheiden.“

„Was heißt das?“

„Du kannst ja heute Abend um sieben vor der Versammlung der Geschäftsleute sprechen, wenn du willst.“ Er hatte den Satz wie nebenbei hingeworfen, aber er wusste, die Wirkung würde niederschmetternd sein. Juliet konnte niemals vor eine Versammlung treten und eine Rede halten.

Ron setzte eine unbeteiligte Miene auf und begann, den Schreibtisch aufzuräumen. Aus ihrer Ecke kam kein Laut. Für einen Moment herrschte völliges Schweigen. Ohne sie anzusehen, war er sicher, dass sie jetzt wieder diesen völlig verschreckten Ausdruck im Gesicht hatte, wie immer, wenn sie dazu aufgefordert wurde, etwas zu tun, das die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte. Ron hatte jedes Mal Mitleid mit ihr, denn er wusste, dass sie schreckliche Qualen wegen ihrer Schüchternheit litt.

Aber im Moment war es sicher besser für sie, einen Augenblick zu leiden, als sich weiter in diese verrückte Idee hineinzusteigern!

„Ich meine, wenn du lernen willst, dir Gehör zu verschaffen, kannst du doch ebenso gut sofort damit anfangen, oder?“

Erleichtert ließ sich Ron in den Ledersessel fallen. Das hatte er doch noch ganz gut hingekriegt. Bei der Aussicht, vor all diesen Leuten auftreten zu müssen, würde Julie ganz schnell einen Rückzieher machen.

Er sah ihr jetzt wieder ins Gesicht, innerlich darauf vorbereitet, eine völlig zerknirschte, am Boden zerstörte Juliet zu sehen. Er brauchte mehrere Sekunden, um zu begreifen, was er stattdessen entdeckte: Ihr Kinn war energisch vorgestreckt, die Lippen lagen fest aufeinander. Sie sah – tatsächlich, sie sah entschlossen aus. Und als sie den Mund öffnete, traute Ron seinen Ohren nicht.

„In Ordnung“, sagte sie. „Ich werde um sieben Uhr vor der Versammlung sprechen.“

„Was die Mittsommer-Revue betrifft, die wird diesmal besonders interessant ausfallen.“ Juliet sprach mit ruhiger, klarer Stimme. „Für den musikalischen Teil werden wie immer die Barbershop Boys und die Schulchöre sorgen. Aber darüber hinaus möchte ich einige unserer Lokalgrößen für die Show gewinnen. Jake könnte beispielsweise ein paar von seinen Gedichten vortragen.“

Jake, ein bärtiger, raubeinig wirkender Genosse, der eigentlich gar nicht wie ein Poet aussah, saß in der ersten Reihe. Sie zwinkerte ihm zu. „Jake ist ja, wie die meisten von Ihnen wissen, sozusagen unser Stadtschreiber. Außerdem soll ein kleiner Sketch über die Gründung von Emerald Gap durch eine Handvoll Goldsucher im Jahr 1852 aufgeführt werden. Und dann haben wir da noch die Geschichte der Maria Elena Roderica Perez Smith. Sie lebte als Wäscherin im Ort und wurde im Frühjahr 1856 gehängt, weil sie einen Mann erstach, von dem sie belästigt worden war. Melda Cooks hat über den Stoff ein Theaterstück geschrieben.“

Ganz hinten, wo das Licht der Scheinwerfer nicht hinreichte, saß Ron auf einem der schäbigen alten Theatersitze und wunderte sich, was nur mit Julie Huddlestone geschehen war.

Am Nachmittag hatte sie ihn im Büro völlig aus der Fassung gebracht, als sie einfach zusagte, vor der Versammlung zu sprechen. Dann hatte sie ihn um alle Unterlagen gebeten, die für den „Fachmann“ aus Hollywood bestimmt gewesen waren, und war in ihr eigenes Büro gegangen.

Sie musste dann stundenlang telefoniert haben, denn alle Personen, deren Mitwirkung sie ankündigte, saßen in der ersten Reihe, lächelten und nickten, als wollten sie Julie bis ans Ende der Welt folgen.

Und warum sollten sie das nicht? Zugegeben, Julie hatte am Anfang ein bisschen unsicher gewirkt. Als sie das Podium betrat und auf die vielen Gesichter blickte, hatte sie einen Moment wieder diese verängstigte Miene gemacht. Sie fasste sich aber sehr schnell, und dann – hatte sie sich einfach großartig gehalten!

Indessen fuhr Juliet fort zu sprechen. „Für den großen Ball am Samstag habe ich mir etwas Besonderes vorgestellt. Es könnte ein echter Kostümball werden. Wir möchten die einheimischen Besucher motivieren, in historischer Verkleidung zu erscheinen …“

Drunten im Zuschauerraum konnte Ron nicht aufhören, sich zu wundern. Er war natürlich erleichtert, denn es sah ganz danach aus, als ob Julie die Versammlung von sich überzeugt hätte, und damit war er, Ron, aus der Verantwortung entlassen.

Andererseits überkam ihn Unruhe, als er Julie dort im Bühnenlicht stehen sah und sich fragen musste, ob er sie überhaupt je richtig eingeschätzt hatte. Dabei kannten er und Juliet sich von klein auf. Sie waren im selben Alter und hatten dieselbe Schule besucht.

Ron musste lächeln, als er sich an ihren ersten Tag im Kindergarten erinnerte. Die Betreuerin, Miss Oakleaf, hatte sie nacheinander nach den Namen gefragt, und Julie hatte keinen Ton herausgebracht.

Dies entsprach auch genau dem Bild, das sich Ron von Julie machte: Danach war sie scheu und zurückhaltend, sichtlich verschreckt, sobald ihr die geringste Aufmerksamkeit zuteilwurde. Es hatte ihn schon erstaunt, dass sie es in dem Massenbetrieb eines staatlichen Colleges ausgehalten hatte. Jedenfalls war sie dort nicht gescheitert, sondern mit Abschluss nach Emerald Gap zurückgekommen und hatte ihr Büro eröffnet. Ron hatte ihre Dienste sofort in Anspruch genommen, genau wie mindestens die Hälfte aller Geschäftsleute in der Stadt. Es ging ihr finanziell gut, aber immer blieb sie scheu und zurückhaltend. Jedenfalls bis jetzt.

Plötzlich fiel Ron ein, dass Juliet seit einigen Wochen statt eines sparsamen braunen Kleinwagens einen roten Sportwagen fuhr.

Und da war noch etwas! Vor drei Monaten wollte er sein Gästehaus vermieten, und Juliet zeigte Interesse. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, zu fragen, weshalb sie es vorzog, in einer kleinen Zweizimmerhütte fünfzehn Meilen außerhalb der Stadt zu leben, statt in ihrem eigenen großen Haus. Er war einfach froh gewesen, so rasch eine vertrauenswürdige Mieterin zu bekommen. Jetzt begann er sich doch zu wundern …

Doch bestand wenig Aussicht, dass er jemals Juliets Beweggründe herausfinden würde. Sie lebten zwar jetzt nur einen Steinwurf voneinander entfernt, doch hätten es genauso gut Hunderte von Meilen sein können, denn privat hatten sie nie etwas miteinander zu tun.

In dem Moment lachte Juliet. Es war nur ein ganz kurzes Lachen, aber es klang sehr anziehend. Ihr helles, glatt auf die Schultern fallendes Haar glänzte im Schein des Lichts.

Ron rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her und versuchte, die langen Beine bequem zu platzieren, ohne Aufsehen zu erregen.

Juliet machte einen Scherz und erntete leises Gelächter aus dem Zuschauerraum.

Ja, sie ist offensichtlich dabei, sich gründlich zu verändern, dachte Ron. Meine stille und gründliche Buchhalterin kommt mehr aus sich heraus. Was mag sie nur dazu bewogen haben, nach all den Jahren?

Vielleicht sollte er sie einmal zum Essen einladen? Schließlich waren sie Freunde, und was wäre dabei, ab und zu einen Abend gemeinsam zu verbringen? Sie könnten sich über die alten Zeiten amüsieren und sich dabei vielleicht näher kennenlernen.

Abrupt richtete sich Ron auf. Verdammt, was war nur los mit ihm? Er hatte über Juliet nachgedacht, aber vielleicht sollte er besser über sich selbst nachdenken? Wieso interessierte er sich plötzlich für eine Frau, der er das erste Mal begegnet war, als sie beide noch Windeln trugen?

Ron beschloss, einfach nicht mehr an Juliet zu denken. Er blickte wieder nach vorn zur Bühne – und sah sie dort. Plötzlich war es ihm nicht möglich, still zu sitzen. Nervös legte er die Beine über die Rückenlehne des Stuhles vor ihm. Andrea Oakleaf sandte ihm prompt einen ihrer berühmten vernichtenden Blicke. Er nahm die Beine also wieder herunter, ließ von nun an die Füße auf dem Boden und versuchte, seine Gedanken mehr oder weniger unter Kontrolle zu halten.

Juliet hatte ihre Rede beendet. Sie verließ das Rednerpult unter dem Beifall der Zuhörer, setzte sich auf einen Klappsitz links davon und stellte sich den Fragen der Anwesenden. Sie wusste auf alle eine Antwort. Es war unglaublich.

Babe Allen betonte, dass Juliet natürlich nicht dasselbe Honorar erwarten könne, das man für den Fachmann aus Hollywood vorgesehen habe. Juliet hatte mit einer solchen Bemerkung schon gerechnet, lächelte zuckersüß und sagte, sie betrachte die Arbeit als ehrenamtlich, vorausgesetzt, der gesamte ursprünglich vorgesehene Betrag werde für den neuen Stadtpark am Ende der Commercial Street verwendet.

Es war so … erstaunlich einfach. Und es machte Spaß. Sie gebrauchte einfach ihren Verstand und sagte, was sie dachte. Und das ergab Sinn. Man hörte ihr zu. Es war wunderbar.

Nachdem sie offiziell gewählt worden war, ging Juliet nochmals kurz zum Pult, um sich zu bedanken und um ihre freiwilligen Helfer – die sie noch am selben Nachmittag rekrutiert hatte – zu einer kurzen Absprache in den Vorraum zu bitten.

Es dauerte nicht lange, bis alle versammelt waren. Jake, der Poet, der beim Emerald Gap Magazin arbeitete, würde sich um das Gestalten von Plakaten und Zeitungsannoncen kümmern, in denen Freiwillige für die Show und das Theaterstück gesucht wurden. Reva Reid wollte gleich am nächsten Tag damit beginnen, die Anzahl und die Ausstattung der Wagen für die Eröffnungsparade aufzulisten. Ein „Froschrennen“ würde, so versprachen die zuständigen Helfer, bis Dienstagabend unter Dach und Fach sein. Dann wollten sie sich alle wieder treffen. Andrea Oakleaf erklärte sich bereit, die behördliche Erlaubnis für das Abschlusspicknick im Pine Grove Park einzuholen. Burt Pandley versprach, bis nächsten Freitag mindestens zwölf weitere Teilnehmer für die Kunsthandwerksmesse aufzutreiben, die im oberen Stockwerk der Stadthalle während des ganzen Festivals stattfinden sollte.

Es war schon nach neun Uhr, als Juliet endlich das Gebäude verließ. Die Nacht war mondlos und mild. Die Luft schien still zu stehen. Juliet verharrte einen Moment am Ausgang und gab sich dem süßen Gefühl des Triumphes hin. Genüsslich sog sie die Nachtluft ein und roch den Duft der Pinienwälder, die die Stadt umgaben.

Wie malerisch die Broad Street bei Nacht aussah, mit den altmodischen Gaslampen und den aus Klinkersteinen erbauten Häusern! An der Ecke schräg gegenüber konnte sie die Lichter von Rons Restaurant sehen.

Wo war Ron eigentlich? Er hatte in der ersten Reihe gesessen, als sie den Saal betrat. Dann hatte er ihr viel Glück gewünscht, sie kurz vorgestellt und war verschwunden.

Danach hatte sie überhaupt nicht mehr an ihn gedacht, vor lauter Aufregung – und Angst – wegen ihres bevorstehenden Auftritts.

Juliet lächelte. Sie würde ihn sowieso bald sehen. Da sie für ihn arbeitete und auf seiner Ranch lebte, begegneten sie sich fast täglich. Sie freute sich schon darauf, ihm eine lange Nase zu machen, weil er nicht an sie geglaubt hatte. Er würde ein bisschen verlegen sein, das wusste sie, und dann lächeln und den Mund dabei ein kleines bisschen nach rechts verziehen …

Juliet schauderte. Dabei war die Nacht so mild! Merkwürdig, dass sie überhaupt daran dachte, über Ron zu triumphieren. Sie war doch gar nicht der Typ, der so etwas nötig hatte.

Bis jetzt nicht. Aber nach diesem erfolgreichen Abend hatte sie das Gefühl, sie könnte alles sein. Und was wäre schon dabei, einen Freund ein bisschen zu necken?

„Toller Auftritt, Juliet!“

Sie zuckte zusammen, als hätte sie jemand auf frischer Tat ertappt. „Oh.“ Jetzt lachte sie nervös auf. „Du hast mich vielleicht überrascht, Jake.“

Jakes faltiges Gesicht wurde noch faltiger, als er ihr belustigt zulächelte. „Du hast uns überrascht, Mädchen. Das war wirklich super.“

„Lieb von dir. Danke.“

„Dir muss man danken“, sagte Jake. „Wir können im Ort schon lange eine gute Organisatorin gebrauchen.“

„Ich werde mein Bestes geben.“

Jake nickte zum Abschied und ging zu seinem Wagen.

2. KAPITEL

Julie wandte sich um und schlenderte zu ihrem Auto, das sie vor Rons Restaurant geparkt hatte. Noch einmal blieb sie stehen und genoss den Augenblick. Dies war ein besonders glücklicher Moment in ihrem Leben, und sie wollte ihn so lange und so tief wie möglich auskosten.

Der Anblick des kleinen eleganten Sportwagens erhöhte noch den Genuss. Er war feuerrot und hatte ziemlich viele PS. Julie bekam jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn sie tankte, was ziemlich oft nötig wurde. Es war eben kein vernünftiges Auto, außerdem war es nicht gerade neu. Juliet hatte es aus zweiter Hand, und der Vorbesitzer hatte schon einige Meilen mit ihm zurückgelegt. Aber der Verkäufer hatte ihr versichert, es sei in bestem Zustand. Sie hatte es sowieso nicht aus praktischen Erwägungen heraus gekauft.

Juliet hatte es einfach haben wollen. Für sie war dieses Auto ein Symbol für das neue Lebensgefühl, sie hätte sich im Moment keinen schöneren Anblick vorstellen können.

Autor

Christine Rimmer
Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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