Verführung an Bord

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Haley kann es nicht fassen: Eben noch hat ihr dieser Macho von einem Millionär nach einem heißen Flirt eine Abfuhr erteilt. Jetzt sitzt sie allein mit ihm auf seiner luxuriösen Yacht fest. Mit an Bord: Das erregende Verlangen nach einem erotischen Törn.


  • Erscheinungstag 30.11.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753837
  • Seitenanzahl 124
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Vorwärts – in Bugrichtung

Stolz wie ein Pfau schritt Jeb Whitcomb über die provisorische Freiluftbühne. Ein selbstzufriedenes Grinsen lag auf seinem schönen gebräunten Gesicht, und Lachfältchen bildeten sich um seine blauen Augen, als er zum Gouverneur ans Pult trat. Die aufgekrempelten Ärmel seines weißen Oberhemds enthüllten kräftige Unterarme mit Härchen, die einen Ton dunkler waren als die schokoladenbraunen Locken, die ihm verwegen in die Stirn fielen.

„In Anerkennung Ihres persönlichen Einsatzes und Ihrer finanziellen Unterstützung für den Wiederaufbau der Insel St. Michael’s verleihen wir Ihnen den ersten Jeb-Whitcomb-Preis für humanitäre Verdienste“, verkündete Gouverneur Freemont und überreichte Whitcomb die vergoldete Statue.

Im Publikum verdrehte Haley French, ausgebildete Krankenschwester, die Augen. Whitcomb mochte jeden anderen mit seinem Charme einwickeln, aber Haley durchschaute ihn. Er war im Grunde nicht gekommen, um den Bewohnern von St. Michael’s zu helfen – es ging ihm nur darum, sein Ego aufzupolieren. Wo immer eine Kamera war, Jeb Whitcomb stand davor.

Blitzlichter flackerten auf. Reporter stellten Fragen. Die Menge applaudierte.

Ahmaya Reddy, Haleys beste Freundin, stieß sie mit dem Ellbogen an. „Sei nicht unhöflich. Klatsch.“

Halbherzig spendete Haley Beifall, doch sie runzelte die Stirn. „Er ist ein Meister der Selbstdarstellung.“

Whitcomb begann eine Ansprache, die eindeutig aus dem Stegreif kam.

„Er ist ein echter Held“, meinte Ahmaya. „Ohne ihn hätte sich St. Michael’s nicht so schnell erholt.“

„Er ist egozentrisch.“

„Oh, ja klar, Egozentriker widmen ein Jahr ihres Lebens dem Wiederaufbau von Inseln, zu denen sie keinerlei Beziehung haben.“

„Das ist genau der Punkt. Er hat keine Beziehung zu St. Michael’s. Wer salbte ihn zu unserem Retter? Ich stelle seine Beweggründe infrage. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass er immer ein Gefolge um sich hat?“

Ahmaya zuckte mit den Schultern. „Er ist attraktiv, reich und unterhaltsam. Wer würde nicht gern um ihn sein?“

„Eine Insel wiederaufzubauen, die von einem Hurrikan verwüstet wurde, sollte nicht unterhaltsam sein.“

„Das sollte man annehmen, dennoch hat er es irgendwie geschafft, dass alle an einem Strang ziehen. Dafür wird ihm all die Aufmerksamkeit zuteil, ganz zu schweigen von der Auszeichnung. Für seine Fähigkeit, Menschen für eine Sache zu begeistern.“

„Er tut es nur um der Aufmerksamkeit willen. Es schmeichelt seinem Ego.“

„Und wenn schon?“, fragte Ahmaya. Okay, Haley gestand sich ein, dass sie ein wenig streng urteilte, was sonst nicht ihre Art war, doch Jeb Whitcomb schien das Schlechteste in ihr hervorzubringen. „Es kommt auf dasselbe raus“, fuhr Ahmaya fort. „Die Menschen haben wieder Häuser, und dank Jebs Großzügigkeit ist die Grundversorgung wiederhergestellt.“

„Er ist sprunghaft.“

„Oh.“ Ahmaya lächelte wissend. „Jetzt verstehe ich.“

„Was verstehst du?“

„Den Grund, weshalb er bei dir aneckt.“

Haley verschränkte die Arme vor der Brust. „Würdest du dir die Mühe machen, mich aufzuklären?“

„Er wird deinen Erwartungen nicht gerecht.“

„Ich habe keine Erwartungen an ihn.“

„Nein?“

„Er bedeutet mir nichts.“

„Ich dachte, ihr zwei hättet …“

„Wir haben es nicht getan“, erwiderte Haley gereizt.

„Aber beinahe.“

Haleys Wangen glühten. Ja, sie hätte beinahe Sex mit Jeb Whitcomb gehabt, als sie beide vor ein paar Monaten im Komitee für den Wiederaufbau des Krankenhauses gearbeitet hatten. Zum Glück war es nicht zum Äußersten gekommen.

„Sekunde mal.“ Ahmaya schnippte mit den Fingern. „Es ist nicht Jeb, der deinen Erwartungen nicht gerecht wurde. Du bist es. Du bist wütend auf ihn, weil du gegen deinen eigenen Moralkodex verstoßen hast, als du …“

„Lass uns nicht mehr über ihn reden, okay?“ Damit Ahmaya endlich den Mund hielt, richtete Haley ihre Aufmerksamkeit demonstrativ auf die Bühne.

Jeb hielt ein Mikrofon in der Hand. Er ging von einem Ende des Podiums zum anderen und riss die Zuhörer mit seiner leidenschaftlichen Vision vom künftigen St. Michael’s mit. Haley wusste, wie gefährlich seine Leidenschaft war. Sie hatte unter ihrem Bann gestanden, wenn auch nur kurz. Jetzt blieb er stehen, schaute ins Publikum und entdeckte sie.

Für einen Moment stockte ihr das Herz, und die Kehle schnürte sich ihr zusammen. Verdammt, sie konnte nicht wegsehen.

Jeb hielt sie mit seinem Blick fest. Seine Stimme nahm einen verführerischen Ton an. Oder vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. „Da heute mein letzter Tag auf St. Michael’s ist, gebe ich eine Party auf meiner Jacht“, verkündete er. „Alle sind herzlich eingeladen.“

Die Menge brach in Jubel aus.

Jeb warf das Mikrofon dem Gouverneur zu und verließ mit schwungvollen Schritten die Bühne. Menschen drängten sich um ihn, schlugen ihm auf den Rücken und versuchten, ihm die Hand zu schütteln, doch er wirkte wie ein Mann auf einer Mission, von der er sich nicht abbringen lassen wollte.

Es dauerte einige Sekunden, bis Haley erkannte, dass er auf sie zusteuerte. Oh, verdammt, nein.

Sie drehte sich auf dem Absatz um. Es sollte nicht schwer sein, im Gewühl zu verschwinden. Sie eilte davon, verhedderte sich aber mit dem Fuß in einem Stromkabel und stolperte. Vergeblich versuchte sie, die Balance zu halten, und landete zum Schluss der Länge nach auf dem Boden. Oh, sie hasste es, sich zu blamieren.

Hinter sich hörte sie ein vertrautes Lachen. Jeb machte sich schon über sie lustig. Bevor sie sich allein aufrichten konnte, umfing er ihre Taille und half ihr sanft hoch.

„Langsam, Baby“, murmelte er, während er sich bückte, um den Dreck von den Knien ihrer Schwesternhose zu klopfen.

Haley riss sich von ihm los und trat zurück, atemlos und sich selbst dafür verachtend. Finger weg, Freundchen! Das Schlimme war, dass sie es nicht lassen konnte, ihm in die Augen zu schauen.

Er stand dicht vor ihr in seinem weißen Hemd, den gebügelten Kakishorts, der Segelmütze und Bootsschuhen. Ein reicher Segler, wie er im Buche stand. Die Welt um sie herum verblasste, und es gab nur noch sie beide.

Amüsiert musterte er sie mit seinen hellblauen Augen. Es war auch sein Humor, der sie schwach gemacht hatte. Sie würde nicht darauf hereinfallen. Nicht noch einmal. Nie. Auf keinen Fall. Neihein! Endlich verließ er die Insel. Juhu! Sie würde ihn nie wiedersehen müssen.

„Du kommst doch zu meiner Party, oder?“ Er streichelte leicht ihren Oberarm.

Niemals.

„Ohne dich wäre es keine richtige Party“, fuhr er fort.

„Ich muss mir die Haare waschen“, log sie. Vielleicht sollte sie sich wirklich die Haare waschen. Und den Mann in ihrem Kopf gleich mit rausspülen.

„Du brauchst nur ein paar Nadeln zu lösen.“ Seine Finger glitten von ihren Schultern zu ihrem Haar, das zu einem festen Knoten zusammengesteckt war. Die Geste war viel zu intim. Er zupfte Klemmen heraus, eine nach der anderen, und ihre Locken fielen weich auf ihre Schultern. „So, viel besser.“

Haley zuckte zurück. Ihr Puls pochte hart. Oh nein. Du darfst das nicht mögen.

Seine Augen funkelten. Er wusste, dass er sie in Verlegenheit brachte, und machte sich lustig darüber.

„Ich nehme es mit dem Haarewaschen sehr genau. Es steht bei mir täglich auf dem Programm.“ Trotzig hob sie das Kinn.

„Ich weiß“, erwiderte Jeb. „Du liebst deine Regeln.“

Was bildete er sich ein, so zu tun, als ob er sie kennen würde? Nur weil sie beinahe miteinander … Egal, was sie beinahe getan hätten. Haley war entschlossen, es zu vergessen. Es ärgerte sie nur, dass er derjenige gewesen war, der den Stecker gezogen hatte.

„Ich muss los.“ Sie drehte die Fußspitzen von ihm weg, aber aus irgendeinem Grund bewegte sie sich nicht weiter.

„Ich hätte wissen müssen, dass du nicht zu meiner Party kommst“, meinte er. „Prüde kleine Lady.“

„Nur weil ich nicht an deinem Bacchanal teilnehmen möchte, heißt das nicht, dass ich prüde bin.“

„Bacchanal?“ Er klang belustigt.

„Ein Fremdwort. Schlag es im Lexikon nach.“

„Du bist feige.“

Sie straffte die Schultern. „Ich habe vor nichts Angst.“ Pass auf. Lügnern wachsen die Nasen.

„Ich widerspreche. Du hast Angst davor, dich zu amüsieren.“

Haley schnaubte. „Meine und deine Vorstellungen von Amüsement gehen völlig auseinander.“

„Ich weiß. Selbstgeißelung ist wirklich nicht meine liebste Freizeitbeschäftigung.“

Sie verzog die Lippen, entschlossen, sein Lächeln nicht zu erwidern. „Nun, ich wünsche dir eine schöne Party und gute Reise.“

„Wirst du mich vermissen, wenn ich fort bin?“ Er lehnte sich näher. Sein Grinsen wurde noch breiter.

Die ganze Nacht. „Nicht im Geringsten.“

„Ich vermute, das habe ich verdient.“

„So ist es.“

Er zwinkerte ihr zu. „Ich werde dich vermissen.“

„Weswegen?“

„Du bist die Einzige auf der Insel, die mir auf die Zehen tritt.“

Nein, Sir. Sie würde sich nicht von diesem Mann einwickeln lassen. „Du willst, dass man dir auf die Zehen tritt? Trag Sandalen.“

Jeb warf den Kopf zurück und lachte schallend. „Und ich liebe deinen Humor.“

„Es war nicht meine Absicht, komisch zu sein.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du bist außerdem die Einzige, die mich nicht mag, und ich weiß nicht, warum.“

Spöttisch verzog sie die Mundwinkel. „Nicht jeder muss dich mögen. Warum kümmert es dich, ob ich dich mag oder nicht?“

„Weil ich dich mag.“

„Du magst jeden.“

„Stimmt“, sagte er und trat einen Schritt näher. „Aber nicht so sehr wie dich.“

Haley hob die Hand hoch wie ein Stoppschild. „Du magst nicht mich. Du magst die Herausforderung.“

Seine kristallblauen Augen glitzerten. „Ich muss zugeben, ich genieße die Herausforderung wirklich. Je mehr du dich sträubst, desto mehr will ich dich …“ Es entstand eine lange Pause, die ihr Herz rasen ließ, bis er hinzufügte: „… auf meiner Party.“

„Da kannst du warten, bis du schwarz wirst.“

Jeb lachte laut und zeigte dabei seine geraden weißen Zähne. Das war das Problem mit dem Mann. Er war zu perfekt, und jede Frau wollte ihn. So wie die platinblonde mit den falschen Wimpern, die sich gerade von der Seite an ihn heranpirschte.

„Dein ergebenes Publikum wartet.“

„Wie bitte?“

Sie deutete mit einem Kopfnicken zu der Frau.

Jeb warf der Blondine nur einen flüchtigen Blick zu, ehe er Haley wieder anschaute. „Komm zu meiner Party.“

„Ich glaube nicht. Mein Haar braucht sehr lange, bis es trocken ist.“

Sie durfte ihn nicht merken lassen, wie sehr er ihr unter die Haut ging. Wenn er wüsste, dass er eine Hauptfigur in ihren sexuellen Fantasien war, würde er Oberwasser bekommen. Sie wollte nicht so sein wie all die anderen Frauen, die ihn anhimmelten.

Ja, er sah gut aus. Ja, er war reich. Ja, er hatte Charme. Das waren genau die Gründe, weshalb sie nicht interessiert war. Jeb Whitcomb war ein sehr oberflächlicher Mann.

„Es ist das letzte Mal, dass du mich je sehen wirst.“ Ein betrübter Ausdruck glitt über sein Gesicht. „Willst du mir nicht Lebwohl sagen?“

„Lebwohl.“ Sie winkte kurz.

„Ohne dich wird auf der Party etwas fehlen.“

„Du wirst mich nicht vermissen.“

Er neigte den Kopf. Sein Blick durchdrang sie wie Laserstrahlen. „Ah, verstehe, aber da irrst du dich.“

„Es wird nicht passieren, Whitcomb.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ein Mann darf träumen, oder?“

„Solange es ein Traum bleibt.“

Er streichelte ihren Handrücken. Ein Schauer durchrieselte sie. „Ich werde dich vermissen, Haley.“

„Ich dich nicht.“

„Aua.“ In gespieltem Schmerz presste er eine Hand an seine Brust. „Vor dir muss man sich hüten.“

„Vergiss das nur nie.“

Die Blondine trat an ihn heran und räusperte sich. „Mr Whitcomb, ich bin vom ‚Metropolitan Magazine‘ und möchte einen Artikel über Sie schreiben.“

Jeb drehte sich zu der Frau um. „Ja?“

Während ihre Hand noch von seiner Berührung kribbelte, nutzte Haley die Ablenkung aus und verschwand in die Menge. Großartig. Sie fühlte sich wie ein James-Bond-Martini – geschüttelt, nicht … Ach, wem wollte sie etwas vormachen?

Sie war geschüttelt und gerührt.

Mit zielstrebigen Schritten stolzierte Haley davon. Ihr honigfarbenes Haar wehte über ihre Schultern, und die blaue Schwesternhose spannte über ihrem sexy Po.

Jeb grinste, rieb sich den Nacken und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Wow, das Fahrgestell kannst du jederzeit bei mir parken. Er neigte den Kopf zur Seite und ließ seinen Blick über ihre schmale Taille und die kurvigen Hüften schweifen.

Sein Puls ging schneller. Trotz der kühlen Meeresbrise strömte eine sengende Hitzewelle durch seinen Körper. Jeb atmete tief aus und versuchte sich zu sammeln. Die Wahrheit war, er würde Haley wirklich vermissen. Er genoss die Wortgefechte mit ihr. Sie war frech und mutig und ließ sich von niemandem etwas vormachen.

Es gab nur einen Menschen, der ihn auf dieselbe Weise herausgefordert hatte: seine Exfreundin Jackie Birchard. Von den Dutzenden Freundinnen, die er gehabt hatte, war Jackie die Einzige, die ihn verlassen hatte. Damit stach sie aus der Menge heraus – die einzige Frau, die sich nicht von seinem Charme beeindrucken ließ.

Das heißt, bis er Haley getroffen hatte. Zu schade, dass sie nichts miteinander gehabt hatten, auch wenn sie verdammt nah daran gewesen waren.

Lächelnd erinnerte er sich. Er hätte sie herumgekriegt, wenn er gewollt hätte. Als sie sich vor ein paar Monaten bei Sonnenaufgang am Strand geküsst hatten, waren die Funken geflogen. Es war ganz anders gewesen als alles, was er je zuvor empfunden hatte, und das sollte schon etwas heißen.

Haley hatte ihn ebenso stark begehrt wie er sie, vielleicht sogar noch mehr, obwohl sie es wahrscheinlich nie zugeben würde. Aber – Überraschung, Überraschung – er hatte einen Rückzieher gemacht, ehe sie beide völlig die Kontrolle verloren.

Er hatte aus zwei Gründen aufgehört: erstens, weil er wusste, dass Haley es am Morgen danach bereut hätte. Sie legte großen Wert aufs Protokoll, stellte hohe Ansprüche an sich selbst und andere. Zweitens, weil er Jackie beweisen wollte, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Er war kein selbstverliebter Playboy ohne Grundsätze. Er konnte sich beherrschen.

Egal, wie schwer es ihm gefallen war, den Kuss zu beenden und Haley fortzuschicken.

Ach, man kann nicht alles haben, oder? dachte Jeb. Es wurde Zeit, weiterzuziehen. Seine Arbeit auf St. Michael’s war getan. Er hatte sein Ziel erreicht und beim Wiederaufbau der Insel mitgeholfen. Jetzt konnte er mit erhobenem Haupt nach Hause zurückkehren.

„Also, Mr Whitcomb, das Interview”, sagte die blonde Journalistin mit einem strahlenden Lächeln.

Er erwiderte ihr Lächeln, drehte sich um und führte sie weg, doch er konnte nicht widerstehen, Haley einen letzten Blick über die Schulter zuzuwerfen.

Sie blieb stehen und schaute sich um.

Ihre Blicke trafen sich.

Erwischt. Leugne es, so viel du willst, Süße – du willst mich. Frech zwinkerte er ihr zu.

Ihre Wangen röteten sich. Sie runzelte die Stirn, senkte den Kopf und schritt davon, während Jeb der Nacht, die sie nie erlebt hatten, nachtrauerte.

Haley lag ausgestreckt auf ihrem Bett im Zwei-Zimmer-Bungalow, den sie sich mit Ahmaya teilte. Sie aß Oreos, wobei sie die Kekse auseinanderdrehte und die weiße Füllung abknabberte, bevor sie die dunklen Hälften verschlang. Oreos waren ihre Seelentröster, wenn sie gestresst oder gereizt war. Die Nachteile von Stressabbau mittels Zuckerdröhnung waren ihr durchaus bewusst, doch in solchen Momenten war es ihr egal.

Das Quartier war einfach und klein, aber um einiges komfortabler als das Zelt, in dem sie nach dem Hurrikan Sylvia gehaust hatten. Haley versuchte, nicht an Jeb zu denken, aber er schoss ihr immer wieder in den Sinn.

Warum?

Ja, er war wohlhabend, attraktiv und selbstbewusst, allerdings auch sehr von sich eingenommen und viel zu freigebig mit der Verteilung seiner Sympathien. Man stelle sich nur vor! Er hatte sie „Baby“ genannt und ihr die Haarnadeln aus dem Knoten gezogen, während sie dagestanden und es einfach zugelassen hatte. Ein Schauer überlief sie, und sie umarmte sich selbst.

Ahmaya, die sich für die Party stylte, drehte sich vor der verspiegelten Kleiderschranktür. „Was hältst du von diesem Rock?“

„Zu kurz.“

„Perfekt“, raunte Ahmaya.

„Du willst ihn trotzdem anziehen?“

„Ja. Wenn du findest, dass er zu kurz ist, hat er genau die richtige Länge.“

Haley setzte sich auf. „Du findest, dass ich prüde bin?“

„Ja, irgendwie schon.“ Ahmaya fuhr sich durch ihr glattes schwarzes Haar.

„Ich bin nicht prüde“, widersprach Haley trotz des mulmigen Gefühls in ihrem Bauch. War sie prüde? Sie wollte es nicht sein, aber sie hatte gewisse Prinzipien und wollte keine Kompromisse schließen.

„Beweise es.“

„Was?“

„Beweise, dass du nicht prüde bist.“

„Ich brauche nichts zu beweisen.“

„Du fluchst nicht.“

„Na und?“

„Wer prüde ist, flucht auch nicht.“

„Ich habe einen großen Wortschatz und komme ohne Flüche aus. Ist das falsch?“

„Prüde.“

„Was?“ Haley hob die Hände. „Ich soll fluchen wie ein Seemann, um zu beweisen, dass ich nicht prüde bin? Na schön.“ Sie gab ein paar sehr bildliche Flüche von sich.

Ahmaya machte ein überraschtes Gesicht. „Ich hatte keine Ahnung, dass du solche Wörter kennst.“

„Ich bin Krankenschwester und habe noch viel schlimmere gehört. Ich finde Fluchen nur so unkultiviert.“

„Manchmal …“, Ahmaya grinste, „… macht es Spaß, unkultiviert zu sein.“

„Wenn du das sagst.“

„Prüde.“

„Sind wir wieder bei dem Thema?“

„Es ist der Kern deines Wesens.“

„Ich glaube nicht, dass prüde das richtige Wort ist. Zurückhaltend, wenn du willst, aber nicht prüde.“

„Hmm.“ Ahmaya schlüpfte in Stilettos mit schwindelerregend hohen Absätzen. „Beweise es.“

„Das habe ich gerade getan.“

„Nicht durch Fluchen, sondern indem du mit mir zu Jebs Party gehst. Ich brauche eine Begleitung.“

„Ruf Jessie an. Ich bin sicher, sie kommt gern mit.“

„Sie kann nicht, weil sie die zweite Schicht hat.“

„Ahmaya, ich will da nicht hin.“

„Aber du bist diejenige, die ein Auto hat.“

„Der Jachthafen ist nur eine halbe Meile entfernt. Du kannst mit dem Fahrrad fahren.“

„Hiermit?“ Ahmaya machte eine ausholende Handbewegung über ihr sexy Outfit. Sie hatte recht. In Jimmy-Choo-Schuhen radelte es sich nicht gut. Ahmaya sank vor Haley auf die Knie und presste die Handflächen aneinander. „Bitte, bitte, bitte. Ich übernehme dafür den ganzen Monat die Überprüfung der Notfallwagen.“

Haley seufzte. „Du weißt, dass Partys nicht mein Ding sind.“

„Im Ernst, es ist großartig, dass du so selbstlos bist und Menschen hilfst, doch du kannst nicht rund um die Uhr arbeiten oder an die Arbeit denken. Du musst auch mal entspannen. Lass dein Haar herunter.“

Die Bemerkung erinnerte Haley daran, wie Jeb ihren Knoten gelöst hatte. Sie unterdrückte einen Schauer. Er hatte die Haarnadeln behalten. Es würde ihm recht geschehen, wenn sie auf seiner Party auftauchte und die Rückgabe ihres Eigentums verlangte.

„Du bist die langweiligste Siebenundzwanzigjährige, die ich kenne.“ Schmollend schürzte Ahmaya die Lippen.

Aua! Das tat weh. Dabei betrachtete Haley ihre Selbstdisziplin eigentlich als Stärke, nicht als Fehler.

„Ein bisschen Feiern wird dich nicht umbringen. Alle werden dort sein. Sieh es als eine Gelegenheit zum Netzwerken an.“ Ahmaya klimperte mit ihren langen dunklen Wimpern. „Ach, bitte, bitte!“

„Oh, na schön, aber ich bleibe nur auf einen Drink, und dann bin ich weg.“

„Du wirst sehr langsam trinken, nicht wahr?“

„Eine Stunde. Ich werde eine Stunde bleiben. Wenn du dann genug hast, kannst du mit mir zusammen gehen. Wenn nicht, musst du sehen, wie du nach Hause kommst.“

Ahmaya lächelte zufrieden und streckte die Hand aus. „Abgemacht.“

Seufzend schlug Haley ein.

„Jetzt“, sagte ihre Freundin, „müssen wir ein sexy Outfit für dich finden.“

„Nein, das müssen wir nicht. Jeans und T-Shirt sind gut genug.“

Ahmaya machte ein entgeistertes Gesicht. „Halt den Mund. Es ist eine Party. Du wirst nicht aussehen wie ein Bauerntölpel.“

„Ich bin mit dem Roten Kreuz hierhergekommen, um zu arbeiten. Ich habe Schwesternkleidung und Jeans, und das war’s.“

„Okay.“ Ahmayas Augen funkelten. „Aber ich habe Partykleidung. Meine Schwester hat mir letzten Monat ein großes Paket geschickt.“

„Du trägst Größe vierunddreißig.“

„Du bist nicht viel dicker als ich. Ich wette, dir passt mein blaues Ann-Taylor-Loft-Kleid mit Spaghettiträgern. Es fällt groß aus, und Blau ist deine Farbe.“ Ahmaya wühlte in ihrem Schrank, fand das Kleid und warf es Haley zu. „Es ist für meinen Geschmack ohnehin ein wenig zu schlicht. Dürfte genau deine Richtung sein.“

„Ich bin nicht so sehr für Blumenmuster. Zu mädchenhaft.“

„Keine Ausreden. Probier es an.“

Unwillig zog Haley ihre Schwesternhose aus und schlüpfte in das Kleid. Es schmiegte sich um ihre Kurven und reichte bis zum halben Oberschenkel. Haley zog am Saum. „Es ist zu kurz.“

„Du hast sensationelle Beine. Warum hast du solche Angst, sie zu zeigen?“

„Ich habe keine Angst. Ich will nur nicht aussehen wie ein Flittchen.“

„Willst du damit sagen, dass ich wie ein Flittchen aussehe?“

„Das Kleid ist bei dir nicht so eng, außerdem bist du fünf Zentimeter kleiner als ich.“

„Zelebriere deinen Körper, Haley. Ich beneide dich.“

„Es ist oben rum zu eng.“

„Es ist perfekt. So muss ein sexy Kleid sitzen.“

„Ich brauche einen trägerlosen BH.“

Ahmayas Augen blitzten auf. „Geh ohne.“

„Meine Brustwarzen werden sich abzeichnen.“

„Ich habe Nippies, die du tragen kannst. Keine Ausreden mehr.“

„Was sind denn Nippies?“

„Meine Güte, lebst du hinterm Mond? Das sind Abdeckpads für Brustwarzen.“

„Ich lebe auf einer von einem Hurrikan verwüsteten Insel. Mein Interesse gilt mehr den täglichen Grundbedürfnissen als modischen Fragen.“

„Was du nicht sagst. Kannst du nicht ein einziges Mal keine Spaßbremse sein?“

Das traf Haley. „Bin ich das wirklich?“

„Ja, irgendwie schon. Nicht jeder lebt nach deinem Arbeit-Arbeit-Arbeit-Credo. Weißt du, manchmal brauchen Menschen etwas Vergnügen, um sich von den schlimmen Dingen, die passiert sind, abzulenken. Jeb hat das völlig verstanden.“

Der Kommentar ihrer Freundin brachte Haley ins Grübeln. Es war nicht das erste Mal, dass ihr vorgehalten wurde, sie würde sich zu sehr auf ihre Arbeit konzentrieren und immer alles nach Lehrbuch machen müssen. Ja, sie war von Natur aus sehr vorsichtig und hatte hohe moralische Standards. Was war schlecht daran?

„Haley, wenn du nicht jede Minute des Tages perfekt bist, geht die Welt nicht unter“, sagte Ahmaya in weicherem Ton. „Bitte versuch einfach, dich heute Abend zu amüsieren. Versprichst du mir das?“

Haley wollte wirklich dazugehören. Wollte, dass Menschen sie mochten. „Ich werde es versuchen, aber der Hauptgrund, weshalb ich nicht gehen möchte, ist, dass Jeb Whitcomb dort sein wird.“

„Natürlich wird er dort sein. Es ist seine Party.“

„Er ist so selbstgefällig. Er glaubt, dass ihm alle Frauen zu Füßen liegen.“

„Die meisten tun es.“

„Ich nicht.“

„Möchtest du ihn richtig leiden lassen?“

Der Gedanke reizte sie. „Wie könnte ich das tun?“

„Geh hin und sieh toll aus. Zeig ihm, was er nie haben wird. Reib’s ihm unter die Nase.“

Hmm. Das gefiel ihr. Kleine Sadistin. „Okay, ich tu’s.“

„Juhu!“ Ahmaya klatschte in die Hände. „Darf ich dich schminken?“

Haley wollte erst ablehnen – Ahmaya neigte dazu, es mit dem Make-up zu übertreiben –, doch sie überlegte es sich schnell anders. Sie war entschlossen, zu beweisen, dass sie ein Partygirl wie alle anderen sein konnte, selbst wenn sie es hassen würde.

Aber vor allem wollte sie Jeb Whitcomb eine Auf-Nimmerwiedersehen-Verabschiedung geben, die er nicht vergessen würde.

2. KAPITEL

Killen – das Flattern eines Segels, das zu schwach getrimmt ist

Jeb war in seinem Element. Er liebte es, Partys zu geben, liebte Menschenmengen. Leute um sich zu haben war für ihn ein Lebenselixier.

Die Sonne war noch nicht einmal untergegangen, und die Stimmung war schon sehr ausgelassen. Menschen tanzten zu Wang Chungs Partyhit „Everybody Have Fun Tonight“, der Barkeeper eiferte Tom Cruise im Film „Cocktail“ nach. Die Jacht quoll über, Gäste strömten über die Laufplanke hinaus und über das Dock. Das Catering-Personal tischte köstliche Häppchen auf – Frühlingsrollen mit Garnelen, Thai-Hähnchen-Spieße, Blätterteigpasteten mit Hummer, Mini-Yorkshire-Puddinge mit Roastbeef und Meerrettich, Pilze mit Krabbenfüllung. Japanische Papierlampions und Kerzen sorgten für stimmungsvolles Licht. Die Luft roch nach Meer, und es war windstill.

Autor

Lori Wilde

Lori Wilde wollte schon immer Autorin werden. Sie machte eine Ausbildung zur Krankenschwester und konnte in dieser Zeit auch nebenbei ihrer Leidenschaft zu schreiben nachgehen. Ihr erstes Buch hat sie 1994 veröffentlicht.

Sie arbeitete 20 Jahre als Krankenschwester, doch ihre große Liebe ist die Schriftstellerei. Lori Wilde liebt das Abenteuer....

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