Tiffany Pure Lust Band 34

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BAD BOYS VERFÜHREN BESSER von SARAH MAYBERRY

Eine schnelle Nummer am Strand? Eigentlich undenkbar für Elizabeth! Aber sie hatte es auch noch nie mit einem Bad Boy wie Nathan Jones zu tun. Der Australier macht sie derart heiß, dass Elizabeth statt an Benimmregeln nur noch an erregenden Sex mit ihm denken kann …

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  • Erscheinungstag 08.11.2025
  • Bandnummer 34
  • ISBN / Artikelnummer 9783751530774
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Mayberry, Marie Donovan

TIFFANY PURE LUST BAND 34

Sarah Mayberry

1. KAPITEL

Elizabeth Mason starrte auf die Hochzeitsgeschenkeliste in ihrer Hand. Auf teurem Büttenpapier, unter dem grün-goldenen Logo von Harrods, standen die Namen der edelsten Marken: Villeroy & Boch, Royal Doulton, Lalique, Noritake, Le Creuset. Als Wünsche waren zwei Tafelservices aufgeführt – eins für den täglichen Gebrauch, eins für festliche Anlässe –, außerdem Kochgeschirr, Gläser, Besteck, ein Champagnerkübel, verschiedene Utensilien für die Bar, Vasen, Platten, Tischtücher …

Wenn ihre Hochzeitsgäste nur die Hälfte der aufgezählten Sachen schenkten, dann hätten Martin und sie ein Haus voll hochwertiger schöner Stücke für den Start ins Eheleben. Ihr Heim wäre perfekt bis ins kleinste Detail.

Elizabeth presste eine Hand an ihre Brust. Wieder verspürte sie diesen Druck. Als ob ihr die Luft knapp wurde. Sie senkte den Kopf und konzentrierte sich aufs Atmen.

Ein, aus. Ein, aus.

Über Lautsprecher erklang leise Klaviermusik. Ein Verkäufer streifte sie flüchtig im Vorbeigehen und führte eine Kundin zum Royal-Worcester-Porzellan. Elizabeth fühlte, wie ihr ein Schweißtropfen zwischen den Schulterblättern über den Rücken rann.

Sie musste diese Panikattacken in den Griff bekommen. Eigentlich sollte sie glücklich sein. In acht Wochen würde sie heiraten und ein neues Leben beginnen. Das sollte ihr keine Angst machen.

„Diese hier sind wundervoll, Elizabeth.“

Elizabeth sah, wie ihre Großmutter ein Glas aus einer Serie von Waterford Crystal hochhielt. Die auf Hochglanz polierte Champagnerflöte, die genau zu den Gläsern zu passen schien, die ihre Großeltern zu Hause hatten, funkelte im Licht.

„Wirklich schön“, stimmte Elizabeth zu. „Aber ich glaube, Martin mag es lieber moderner. Die Gläser von Riedel haben es ihm sehr angetan.“

Dabei stieg ihr eine verräterische Hitze in die Wangen. Sie war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen. Sie war diejenige, die ein moderneres Design bevorzugte – Martin waren Gläser vollkommen egal. Doch sie brachte es nicht fertig, zu ihrer Meinung zu stehen.

„Sieh dir das Glas bitte genauer an und fühl mal, wie es in der Hand liegt“, forderte ihre Großmutter sie auf und winkte sie heran.

Elizabeth verzichtete darauf, ihren Einwand zu wiederholen. Sie wusste, was sonst passieren würde. Grandma würde natürlich nichts sagen, weil es nicht ihre Art war, Missfallen direkt zu äußern, aber sie würde beleidigt die Mundwinkel herabziehen und für den Rest des Tages reserviert sein. Vielleicht würde sie auch auf ihre Herzschwäche anspielen und nicht zum Dinner erscheinen.

Es war emotionale Erpressung. Darin war Grandma meisterhaft. Im Laufe der Jahre hatte sie Elizabeths Entscheidungen – im Großen wie im Kleinen – manchmal nur mit einem Wedeln der Hand oder der beiläufigen Erwähnung von Kopfschmerzen beeinflusst. Obwohl Elizabeth die Manipulation durchschaute, gab sie immer nach. Es war einfacher so – und ehrlich, war es denn wirklich so schlimm, aus Gläsern von Waterford statt von Riedel zu trinken, wenn es ihre Großmutter glücklich machte?

Statt also auf ihrem Standpunkt zu beharren, ging Elizabeth zu ihrer Großmutter, nahm ihr das Glas ab und pflichtete ihr bei, dass es sehr angenehm in der Hand liege und wie geschaffen für besondere Gelegenheiten sei. Daraufhin wandte sich ihre Großmutter unverzüglich an eine Verkäuferin, um sich nach dem Warenbestand und einer Nachkaufgarantie zu erkundigen.

Elizabeth stand höflich lächelnd daneben. Um sie herum bewegten sich Verkäufer zwischen den Auslagen und unterhielten sich leise und in ehrfürchtigem Ton mit ihren Kunden. Wohin sie auch schaute, überall waren zerbrechliche, kostbare Dinge kunstvoll arrangiert, um selbst die anspruchvollsten Betrachter in Versuchung zu führen.

Ihr Blick fiel auf einen Tisch mit Whiskey-Karaffen aus geschliffenem Glas. Plötzlich hatte sie eine Vision, wie sie den Tisch packte und mitsamt den Karaffen umwarf. Das Bild war so real, dass sie fast schon das Krachen von zersplitterndem Glas und die entsetzten Schreie der umstehenden Leute hörte.

Vorsichtshalber trat sie einen Schritt zurück und verschränkte die Hände ineinander.

Nicht, dass sie befürchtete, sie könnte den Tisch tatsächlich umwerfen. So etwas Ungeheuerliches würde sie niemals tun.

Trotzdem wich sie noch einen Schritt weiter zurück.

Es ist nur Lampenfieber vor der Trauung, redete sie sich ein. Nichts Besorgniserregendes. Jede Braut empfindet so vor ihrer Hochzeit.

Nur, dass dies nicht der einzige rebellische Impuls war, den Elizabeth in letzter Zeit verspürt hatte. Vergangene Woche, beim Lunch der „Friends of the Royal Academy“, hatte sie nur mühsam den Drang unterdrücken können, aus Leibeskräften zu schreien, als der alte Mr. Lewisham sich über die Qualität der Servietten im Coffeeshop der Akademie ausgelassen hatte und darüber, was diese über den „Verfall der Sitten“ aussagte. Und gestern hatte sie sich dabei ertappt, wie sie ihre Schritte vor einem Tattoo-Studio in der Nähe des Bahnhofs King’s Cross verlangsamt hatte, um das archaische Rosenmotiv am Arm des Mädchens hinter dem Tresen zu bewundern. Sie hatte sogar schon einen Fuß über die Ladenschwelle gesetzt, ehe sie wieder zur Besinnung gekommen war und sich daran erinnert hatte, wer sie war.

„Elizabeth, hörst du mir überhaupt zu?“

Elizabeth schrak zusammen. Sowohl die Verkäuferin als auch ihre Großmutter musterten sie und warteten auf ihre Antwort.

„Entschuldige, Grandma, ich habe geträumt“, sagte sie.

Ihre Großmutter tätschelte ihr liebevoll den Arm. „Komm und sieh dir das Wegdwood-Porzellan an.“

Elizabeth setzte wieder ein Lächeln auf und ließ sich ergeben von Grandma fortführen.

Am frühen Abend kehrte Elizabeth zur georgianischen Stadtvilla ihrer Großeltern in Mayfair zurück. Ihre Großmutter war bereits nach dem Lunch nach Hause gefahren, um ihre Mittagsruhe zu halten, während Elizabeth noch einen Termin mit dem Floristen hatte. Unterwegs hatte sie noch in der Boutique ihrer Freundin Violet hereingeschaut, sodass es bereits sechs Uhr schlug, als sie die Halle betrat. Sie ließ ihre Tasche vom Arm gleiten und zog ihre Handschuhe aus.

Es war Dienstag, was bedeutete, dass Martin jede Minute hereinkommen würde. Er aß jeden Dienstag hier zu Abend. So wie er jeden Mittwoch Squash spielte und sie jeden Freitag zum Dinner ausführte. Wenn sie sich beeilte, hatte sie noch genug Zeit, um sich vor seiner Ankunft frisch zu machen.

Die Haushälterin hatte Elizabeths Post akkurat auf den Tisch in der Halle gestapelt. Elizabeth blätterte die Briefe auf dem Weg zur Treppe rasch durch. Ein offiziell wirkender Umschlag weckte ihre Aufmerksamkeit, und sie blieb stehen. Martin hatte sie gebeten, eine Kopie ihrer Geburtsurkunde anzufordern, damit er die Heiratserlaubnis beantragen konnte. Sie riss den Umschlag auf, um sich zu vergewissern, dass die Urkunde endlich gekommen war. Ein weiterer Punkt, den sie von ihrer Liste streichen konnte.

Sie faltete das Blatt Papier auseinander und überflog die Angaben. Elizabeth Jane Mason, geboren am 24. August 1980, Name der Mutter Eleanor Mary Whittaker, Name des Vaters …

Die Handschuhe entglitten ihren Fingern.

Sam Blackwell.

Wer, zum Teufel, ist Sam Blackwell?

Ihr Vater war John Alexander Mason, geboren am 16. Januar 1942, gestorben vor dreiundzwanzig Jahren beim selben Segelflugzeugabsturz wie ihre Mutter.

Es musste sich um einen Irrtum handeln! Anders konnte es gar nicht sein.

Elizabeth richtete den Blick auf die geschlossene Tür am Ende des Gangs. Mit der Urkunde in der Hand und einem mulmigen Gefühl im Bauch schritt sie darauf zu. Aus dem Arbeitszimmer ihres Großvaters waren Stimmen zu hören, doch zum ersten Mal in ihrem Leben trat sie ohne Anklopfen ein.

„Hier ist etwas verkehrt“, platzte es aus ihr heraus.

„Elizabeth. Ich habe mich schon gefragt, wann du wohl nach Hause kommst“, sagte Martin lächelnd.

Er stand auf und ging zu ihr, um sie zu küssen. Wie immer war er tadellos gekleidet. Der maßgeschneiderte dreiteilige Anzug und die gestreifte Seidenkrawatte saßen perfekt, das dunkle Haar war sorgfältig gescheitelt.

Anstatt ihm ihre Wangen zum Kuss zu bieten, hielt sie ihm die Urkunde hin.

„Schau mal. Da ist ein Fehler. Man hat einen falschen Namen für meinen Vater auf der Geburtsurkunde eingetragen.“

Einen Sekundenbruchteil lang verharrte Martin regungslos. Dann warf er ihrem Großvater einen kurzen, unergründlichen Blick zu, bevor er sich das Papier ansah.

„Ich hatte angenommen, du würdest mir das Dokument direkt ins Büro schicken lassen“, meinte er ruhig, aber in seinem Ton lag unterschwellige Spannung.

Elizabeth musterte erst ihn, dann das ausdruckslose Gesicht ihres Großvaters – und begriff.

Es war kein Irrtum.

„Was ist los?“ Ihre Stimme klang fremd, unsicher und fast schrill.

„Setz dich doch bitte, Elizabeth“, bat ihr Großvater sie.

Sie ließ sich zu einem der schwarzen Ledersessel vor dem gewaltigen Mahagonischreibtisch führen. Ihr Großvater wartete, bis Martin sich in den anderen Sessel gesetzt hatte, bevor er zu sprechen begann.

„Leider ist es kein Fehler. Der Mann, den du als deinen Vater kanntest, John Mason, war in Wahrheit dein Stiefvater. Er hat deine Mutter geheiratet, als du zwei Jahre alt warst.“

Einen Moment lang war nur das Ticken der Uhr zu hören. Elizabeth war sprachlos.

Nach dem Tod ihrer Eltern, mit sieben, war sie am Boden zerstört gewesen. Während der ersten Monate, die sie bei ihren Großeltern gewohnt hatte, hatte sie sich jede Nacht in den Schlaf geweint. Sie hing an den kleinen Andenken an ihre Kindheit: dem Steiff-Teddy, den ihre Eltern ihr zum vierten Geburtstag geschenkt hatten, den Fossilien, die sie bei einem gemeinsamen Ausflug gefunden hatten, der leeren Parfumflasche, die einst den Lieblingsduft ihrer Mutter enthalten hatte.

Doch nun erfuhr sie von ihrem Großvater, dass ihre Eltern nicht beide tot waren, sondern dass es ihr Stiefvater war, der zusammen mit ihrer Mutter gestorben war. Ihr richtiger Vater – der Mann, der auf ihrer Geburtsurkunde eingetragen war – lebte vielleicht noch.

„Warum habt ihr mir das nie erzählt?“

„Weil es nicht notwendig war. Ich will nicht ins Detail gehen, aber Sam Blackwell ist kein Mann, den wir uns in deinem Leben wünschen. John Mason war in jeder anderen Hinsicht dein Vater, deshalb sahen wir keinen Sinn darin, etwas auszugraben, das am besten für immer vergessen bleiben sollte“, erklärte ihr Großvater.

Seine Rede enthielt so viele Annahmen, so viele Urteile. Alle Entscheidungen waren über ihren Kopf hinweg getroffen worden.

Elizabeth ballte die Hände zu Fäusten. „Lebt er noch? Mein richtiger Vater?“

„Ich glaube, ja.“

Sie beugte sich vor. „Wo? Was macht er? Wohnt er in London? Wie kann ich mit ihm in Kontakt treten?“

„Elizabeth, ich weiß, dass dies ein Schock für dich ist, doch wenn du erst einmal in Ruhe über alles nachgedacht hast, wirst du mir sicher zustimmen, dass dein Leben sich dadurch nicht wesentlich verändert“, warf Martin ein.

Fassungslos drehte sie sich zu ihm um. „Du hast es gewusst!“

„Dein Großvater hat es mir anvertraut, nachdem ich um deine Hand angehalten hatte.“

„Du weißt es seit sechs Monaten und hast mir nichts gesagt?“

„Sei Martin nicht böse. Ich hatte ihn darum gebeten, Stillschweigen zu bewahren. Ich hielt es für unnötig, dich wegen nichts in Aufregung zu versetzen“, erwiderte ihr Großvater.

Wegen nichts? Nichts?

„Ich bin dreißig Jahre alt. Ich brauche nicht beschützt zu werden. Ich verdiene es, die Wahrheit zu erfahren. Und dass mein Vater noch am Leben ist, ist nicht nichts. Ganz im Gegenteil!“

Martin bewegte sich sichtlich unbehaglich in seinem Sessel. Ihr Großvater legte die Hände flach auf den Schreibtisch und musterte Elizabeth mit stetem Blick.

„Wir haben getan, was wir für das Beste hielten.“

Dies wäre normalerweise der Punkt, an dem sie klein beigeben würde. Ihre Großeltern hatten sie nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen und alles getan, um ihr eine glückliche Kindheit zu bieten. Sie hatten sie auf die besten Schulen geschickt, jede Schüleraufführung und jeden Elternabend besucht, waren in den Ferien mit ihr nach Frankreich und Italien geflogen – trotz der Herzschwäche und zarten Konstitution ihrer Großmutter. Elizabeth war mit einem starken Gefühl von Verpflichtung ihnen gegenüber aufgewachsen und mit der Entschlossenheit, ihnen nie mehr zur Last zu fallen als unbedingt nötig.

Sie hatte erst in der Schule und später an der Universität ausgezeichnete Leistungen erbracht. Nie war sie abends lange aus gewesen oder betrunken nach Hause gekommen. Sie hatte niemals einen One-Night-Stand gehabt. Selbst ihr zukünftiger Ehemann hatte den Segen ihrer Großeltern, weil er in der Rechtsanwaltskanzlei ihres Großvaters arbeitete.

Sie schuldete ihnen so viel – alles, wirklich. Doch sie schuldete auch sich selbst etwas. Und was ihre Großeltern getan hatten, war falsch.

„Ihr hättet mir die Entscheidung überlassen müssen. Ihr hattet kein Recht, mir das zu verheimlichen.“

Damit ihr in ihrer Wut nicht noch etwas herausrutschte, das ihr hinterher leidtun könnte, stand sie auf und verließ den Raum. Martin eilte ihr nach.

„Elizabeth. Warte.“

Er hielt sie am Ellbogen fest. Sie wirbelte herum und riss sich los.

„Wag es nicht zu sagen, dass ich mich beruhigen soll oder dass es keine Rolle spielt, Martin. Wag es nicht.“

Ihre Brust hob und senkte sich erregt. Er trat einen Schritt zurück, sichtlich getroffen von ihrer heftigen Reaktion.

„Wenn ich es dir hätte erzählen können, ohne das Vertrauen deines Großvaters zu missachten, hätte ich es getan. Glaub mir“, versicherte er ernst.

„Du bist mit mir verlobt, Martin. Findest du nicht, dass du mehr zu mir als zu meinem Großvater halten solltest?“

Er fuhr sich durchs Haar. „Unter normalen Umständen ja, aber dein Großvater und ich haben nicht nur eine persönliche, sondern auch eine geschäftliche Beziehung.“

„Ich verstehe.“ Das tat sie wirklich. Martin hoffte, noch dieses Jahr zum Partner in der Kanzlei aufzusteigen. Da wollte er natürlich keine Unruhe stiften.

Er ergriff ihre Hand. „Elizabeth, wenn wir in Ruhe über alles reden, wirst du bestimmt einsehen, dass alles nur zu deinem Besten geschah.“

Sie lachte ungläubig. „Zu meinem Besten? Woher um alles in der Welt willst du wissen, was zu meinem Besten ist, Martin? Du bist so damit beschäftigt, mir zu sagen, was gut für mich ist, dass du gar nicht merkst, wer ich bin oder was ich wirklich will. Es ist wie mit den furchtbaren Waterford-Champagnergläsern. Niemand interessiert sich dafür, was ich denke, und ich bin so erbärmlich feige, dass ich es auch noch hinnehme.“

Martin runzelte die Stirn. „Welche Champagnergläser? Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

Natürlich wusste er es nicht, aber für sie hing alles unentwirrbar miteinander zusammen: die Wut auf ihre Großeltern und auf Martin, ihre Panik wegen der Hochzeit, das erdrückende Gefühl, das sie jedes Mal überkam, wenn ihre Großeltern eine Entscheidung für sie trafen oder Martin in diesem besänftigenden Tonfall mit ihr redete und sie so behandelte, als bestünde sie aus feinem Porzellan.

„Ich kann das nicht“, erklärte sie entschlossen. „Es ist ein Fehler.“

Es war ihr plötzlich völlig klar.

Martin legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Elizabeth, du steigerst dich da in etwas hinein.“

Seine fürsorgliche Umarmung brachte das Fass zum Überlaufen. Sie stemmte die Hände gegen seine Brust und machte sich von ihm los.

„Ich möchte die Hochzeit absagen.“

Martin blinzelte, dann griff er wieder nach ihr. „Das meinst du nicht ernst. Du bist nur aufgeregt.“

Sie hielt ihn auf Abstand. „Violet rät mir schon seit Monaten, einmal innezuhalten und darüber nachzudenken, was ich tue. Sie hat recht. Ich will dies alles nicht. Ich habe das Gefühl zu ersticken.“

„Violet. Ich hätte mir denken können, dass sie etwas damit zu tun hat. Welchen Unfug hat sie dir nun wieder eingeredet? Wie herrlich es ist, sich als oberflächliche Schlampe durchzuschlagen? Oder vielleicht, wie man sich möglichst schnell eine Leberzirrhose antrinkt?“

Er hatte Violet nie gemocht, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihre beste Freundin hatte ihn von Anfang an nicht ausstehen können.

„Nein. Sie hat mich nur darauf hingewiesen, dass ich in diesem Jahr dreißig werde und immer noch das Leben führe, das meine Großeltern für mich bestimmt haben.“

„Was für ein hanebüchener Unsinn.“

Elizabeth musterte ihn, wie er da in seinem feinen Maßanzug und makellos weißen Oberhemd vor ihr stand. Er verstand sie nicht. Vielleicht konnte er es auch nicht.

Sie wusste von seiner Kindheit, von der Armut und den Opfern, die seine alleinerziehende Mutter aus der Arbeiterschicht hatte bringen müssen, um ihn auf die Universität schicken zu können. Das Leben mit ihr, Elizabeth, als seiner Ehefrau wäre die Erfüllung all seiner Bestrebungen. Die hoch bezahlte Stellung in einer renommierten Anwaltskanzlei, eine Frau aus gutem Hause, der Urlaub an der französischen oder italienischen Riviera, die Mitgliedschaft in all den richtigen Herrenklubs.

„Wir können nicht heiraten, Martin. Du weißt nicht, wer ich bin“, sagte sie leise. „Wie könntest du auch? Ich weiß es ja nicht einmal selbst.“

Sie drehte sich um und ging.

„Elizabeth. Können wir nicht wenigstens in Ruhe darüber reden?“

Sie ging einfach weiter. Ihre Großeltern würden außer sich sein, wenn sie hörten, dass sie die Hochzeit abgesagt hatte. Sie würden mit allen Tricks versuchen, sie zur Vernunft zu bringen. Und sie war so daran gewöhnt, sich zu fügen, dass sie fürchterliche Angst hatte, am Ende doch noch auf sie zu hören und Martin zu heiraten. Sie sah sich schon all die teuren Haushaltswaren von Harrods in ihrem ehelichen Heim auspacken.

Sie brauchte Zeit für sich. Zum Nachdenken. Um alles zu verarbeiten. Irgendwo, wo sie ihre Ruhe hatte. Sie dachte an Violets Apartment über deren Geschäft und verwarf den Gedanken sogleich wieder. In Violets hektischer Welt würde sie kaum Ruhe und Frieden finden. Außerdem würden ihre Großeltern sie dort zuerst suchen. Dann erinnerte sie sich daran, was sie zu Martin gesagt hatte – Ich weiß ja nicht einmal selbst, wer ich bin –, und wusste, was sie zu tun hatte.

Sie würde zu ihrem Vater gehen. Wo immer er stecken mochte. Sie würde ihn aufspüren, mit ihm reden und bei der Gelegenheit herausfinden, wer Elizabeth Jane Mason wirklich war und was sie wollte.

Vier Tage später ließ Elizabeth die Scheibe ihres Mietwagens herunter und atmete gierig die frische Luft ein. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Sie war nun schon beinahe dreißig Stunden um die halbe Welt gereist. Jetzt rauschte die fremdartige Gestrüpplandschaft Australiens an ihr vorbei, während sie von Melbourne Richtung Südwesten nach Phillip Island fuhr, einer kleinen Insel in der Western Port Bay.

Während der vergangenen Tage hatte sie sich in einem Hotelzimmer in Soho verkrochen, bis Violet über einen Cousin bei der Polizei in Erfahrung gebracht hatte, dass Sam Blackwell sich auf Phillip Island im australischen Bundesstaat Victoria aufhalten sollte. Daraufhin hatte Elizabeth sofort ein Zimmer in einem Hotel vor Ort gebucht und sich ins Flugzeug gesetzt.

Mit ihren Großeltern hatte sie nur kurz telefoniert, um ihnen zu versichern, dass es ihr gut ging, und sie zu bitten, ihre Entschluss, die Hochzeit abzusagen, zu verstehen. Ihr Großvater hatte natürlich versucht, sie umzustimmen, doch sie hatte das Gespräch abgebrochen.

Künftig würde sie sich von niemandem mehr in ihre Entscheidungen hineinreden lassen.

Vor ihr tauchte die San Remo Bridge auf. Elizabeth überquerte einen breiten Streifen Wasser, dann war sie endlich auf der Insel. Der Gedanke, ihren Vater zu treffen, zum ersten Mal in sein Gesicht zu sehen und vielleicht eine Ähnlichkeit zwischen ihnen beiden zu entdecken, verscheuchte ihre Müdigkeit.

Sie konnte nicht sagen, was sie sich von dieser Begegnung versprach. Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit? Näheres über ihre Herkunft? Einen Ersatz für die Eltern, die sie so früh verloren hatte?

In Wahrheit konnte sie sich kaum an ihre Mutter und ihren Vater – beziehungsweise den Mann, den sie als ihren Vater kannte – erinnern. Ihre Mutter war ihr als stets ein wenig traurig, ihr Stiefvater als zurückhaltend im Gedächtnis geblieben. Dennoch hatte der Verlust ihrer Eltern eine Lücke in ihr Leben gerissen, die ihre Großeltern bei aller liebevollen und umsichtigen Fürsorge nicht hatten füllen können.

Elizabeth umklammerte das Lenkrad fester und sprach sich in Gedanken Mut zu, als sie in die von Bäumen umsäumte Hauptstraße von Cowes einbog, dem größten Ort auf der Insel. Es war sehr gut möglich, dass ihr Vater gar nichts von ihrer Existenz wusste. Deshalb sollte sie ihre Erwartungen an die erste Begegnung nicht zu hoch schrauben, sondern realistisch sein. Sie waren Fremde. Obwohl sie dieselbe DNS hatten, war das noch lange kein Grund zu glauben, dass sie spontan eine besondere Verbindung zueinander spüren würden.

Trotzdem zog sich ihr Magen vor Nervosität zusammen, als sie um die Ecke bog und vor einem hellen Bungalow mit dem architektonischen Charme eines Schuhkartons hielt. Mit dem tiefen Vorsprung über der schmucklosen Betonterrasse, Schiebefenstern aus Metall und dem fleckigen braunen Rasen machte das Haus nicht gerade einen ansprechenden Eindruck.

Kein Vergleich mit den eleganten historischen Villen in Mayfair. Elizabeth wischte sich ihre plötzlich feuchten Hände an der Hose ab.

Sie hatte keine Ahnung, was für ein Mensch ihr Vater war. Welche Art von Leben er führte. Wie er reagieren würde, wenn seine verlorene Tochter auf seiner Schwelle auftauchte.

Ihr Großvater hatte offensichtlich keine hohe Meinung von Sam Blackwell. Elizabeth fragte sich, warum, und war nahe daran gewesen, vor ihrer Abreise eine Erklärung von ihm zu verlangen, doch nach einigem Hin und Her hatte sie sich dagegen entschieden. Sie würde mit ihrem Vater reden und sich ihre eigene Meinung über ihn bilden.

Dazu musste sie allerdings endlich den Mut aufbringen, aus dem Auto zu steigen und an seiner Tür zu klingeln.

Tu es einfach, Elizabeth.

Sie rührte sich immer noch nicht. Diese Begegnung bedeutete ihr so viel. Es war eine Chance, sich mit jemandem zusammengehörig zu fühlen. Eine Chance, wieder einen Vater zu haben.

Seit sie die Hochzeit hatte platzen lassen, war ihr Leben wie auf den Kopf gestellt, und sie hatte keine Ahnung, was als Nächstes passieren würde. Ein erschreckender Gedanke. Aber sie weigerte sich, ihren Entschluss zu bedauern. In Wahrheit hatte sie Martin nie so geliebt, wie eine Frau den Mann lieben sollte, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Sie hatte ihn gern. Sie bewunderte seine vielen guten Eigenschaften. Er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Doch er machte sie auch wütend und ließ sie sich sehnen nach … etwas, das sie nicht einmal benennen konnte.

Elizabeth holte tief Luft. Es wurde Zeit, mit dem Grübeln aufzuhören und zur Tat zu schreiten.

Sie nahm all ihren Mut zusammen, stieg aus dem Wagen und trat in die heiße Sonne Australiens.

2. KAPITEL

Nathan Jones wachte auf und dachte einen Moment lang an gar nichts. Für einen Sekundenbruchteil fühlte er nichts, wusste er nichts, erinnerte er sich an nichts.

Es war für ihn der beste Teil des Tages.

Dann wurde er richtig wach, und alles war wieder da: die Erinnerungen, die Schuld, die Scham, die Angst. Erdrückend und erbarmungslos.

Er starrte an die Decke und fragte sich, weshalb er das alles überhaupt noch auf sich nahm, tagein, tagaus. Sein Leben war so gut wie freudlos und voller Schmerz.

Nach einer Weile zwang er sich, sich aufzurichten und die Beine über die Bettkante zu schwingen. Schließlich hatte er keine andere Wahl. Er war nicht der Typ, der einfach alles hinwarf. Auch wenn ihm der Gedanke manchmal äußerst verlockend erschien.

Sein Kopf dröhnte. Nathan atmete tief durch. Es würde schon bald vorbeigehen. In den vergangenen vier Monaten hatte er genug Erfahrungen mit Kopfschmerzen gesammelt, um wenigstens so viel zu wissen.

Entscheidend war, dass er die Nacht durchgeschlafen hatte. Dafür nahm er den Brummschädel gern in Kauf.

Er stand auf und fuhr sich durchs Haar, dann nahm er das Handtuch vom Fußende des Bettes und wickelte es sich um die Taille. Auf dem Weg zur Tür fuhr er sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Er brauchte etwas zu trinken. Und vielleicht etwas zu essen. Wobei er sich in Bezug auf das Essen noch nicht sicher war.

Die grelle Mittagssonne blendete ihn, sobald er aus der Studiowohnung in den Hof trat. Mürrisch hielt er sich den Unterarm vors Gesicht. Sah so aus, als ob es wieder ein grässlich schöner Tag werden sollte.

Er ging zum Haupthaus und betrat die Küche. Der Fußboden war sandig unter seinen nackten Füßen. Nathan lächelte in sich hinein. Sam würde bei seiner Rückkehr garantiert einen Anfall bekommen. Wohl kaum jemand achtete so sehr auf Ordnung wie er. Sammy war ein richtiger Saubermann.

Nathan nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, legte den Kopf in den Nacken und trank gierig. Dann stellte er die fast leere Flasche auf den Tresen. Er wollte gerade unter die Dusche gehen, als es an der Haustür klopfte.

Er runzelte die Stirn. Er erwartete niemanden und wollte auch nicht unbedingt jemanden sehen. Das war der Sinn seines Aufenthalts auf der Insel – Abgeschiedenheit. Ruhe und Frieden. Abstand.

Er ging in den Flur und konnte durch das Glas in der Tür eine Silhouette erkennen. Während er im Hintergrund blieb und noch überlegte, ob er aufmachen sollte oder nicht, hob die Gestalt die Hand und klopfte noch einmal.

„Komme“, rief er und war sich dabei bewusst, dass er sich wie ein alter Griesgram anhörte.

Er zog die Tür auf und sah eine große, schlanke Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen und dunkelblauen Augen vor sich. Ihr hellblondes Haar hatte sie zu einer Frisur aufgesteckt, die ihn an Grace Kelly und andere Filmstars der goldenen Zeit erinnerte.

„Ja?“, fragte er noch schroffer. Wahrscheinlich, weil er nicht damit gerechnet hatte, eine so schöne Frau vor sich zu haben.

Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Dabei schweifte ihr Blick von seinem Gesicht über seine Brust, seinen Bauch und tiefer, dann wieder hinauf zu seiner Brust. Schließlich richtete sie den Blick auf einen Punkt direkt hinter seiner rechten Schulter und räusperte sich.

„Verzeihen Sie die Störung. Ich suche Sam Blackwell. Mir wurde gesagt, dass er hier wohnt.“

Ihre Stimme war hell, ihre Aussprache glasklar mit einem vornehmen Akzent, wie er ihn mit Mitgliedern des britischen Königshauses in Verbindung brachte.

„Die Adresse stimmt, aber Sam ist nicht da“, erwiderte er.

„Können Sie mir sagen, wann er zurückkommt?“ Sie schaute kurz und nervös auf seine Brust, bevor sie den Blick wieder auf den Punkt hinter seiner rechten Schulter fixierte. Bei ihrer Verlegenheit hätte man fast glauben können, dass sie noch nie zuvor eine nackte Männerbrust gesehen hatte. Vor sechs Monaten noch hätte ihm ihre Verwirrung wahrscheinlich geschmeichelt – schließlich war sie sehr attraktiv.

Doch das war vor sechs Monaten gewesen.

„Sam kommt erst im neuen Jahr zurück“, antwortete er. „Versuchen Sie es nach dem fünften oder sechsten Januar.“

Er begann, die Tür zu schließen.

„Im neuen Jahr? Aber bis dahin vergeht fast noch ein ganzer Monat!“ Zum ersten Mal sah sie ihm richtig in die Augen. Ihr Blick war fassungslos und vielleicht auch ein bisschen enttäuscht.

Sein Bauchgefühl riet ihm, die Fremde fortzuschicken. Er hatte genug eigene Probleme.

„Ich kann es nicht ändern, tut mir leid“, sagte er stattdessen schon etwas verbindlicher.

Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. Bei der Bewegung sprang ihre Leinenbluse auf, sodass er einen Blick auf cremefarbene Spitze und Seide in ihrem Ausschnitt erheischen konnte.

„Haben Sie eine Telefonnummer, unter der ich ihn erreichen kann?“

„Nehmen Sie es mir nicht übel, doch die werde ich nicht einfach so an irgendjemanden herausgeben.“

Sie blinzelte. „Ich bin nicht irgendjemand, das versichere ich Ihnen.“

„Wenn Sie Ihre Handynummer und eine Nachricht bei mir hinterlassen wollen, richte ich sie ihm gern aus.“

Sie runzelte die Stirn. „Das ist keine Angelegenheit, die sich mit einer Nachricht regeln lässt.“

Nathan zuckte mit den Schultern. Wenn sie seinen Vorschlag nicht annehmen wollte … „Dann müssen Sie eben warten, bis Sam wieder in der Stadt ist.“

„Ich bin Tausende von Meilen gereist, um ihn zu sehen, Mr. …?“ Sie hielt inne und wartete, dass er seinen Namen nannte.

„Nate. Nathan Jones.“

„Ich bin Elizabeth Mason.“

Sie streckte die Hand aus. Nach kurzem Zögern schüttelte er sie. Ihre Finger waren kühl und schlank, ihre Haut fühlte sich sehr weich an.

„Ich muss wirklich dringend mit Sam Blackwell sprechen“, fuhr sie fort und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn wohl umstimmen sollte.

„Wie ich schon sagte, hinterlassen Sie Ihre Nummer, und ich werde dafür sorgen, dass er sie bekommt.“

Sie zog ihre fein geschwungenen Brauen zusammen. „Vielleicht können Sie mir wenigstens verraten, wo er ist, wenn Sie mir seine Nummer nicht geben wollen.“

„Hören Sie, Miss Mason, worum es sich auch handeln mag, falls Sam Ihnen Geld schuldet oder sonst etwas, ich kann nicht mehr tun, als ihm eine Nachricht von Ihnen ausrichten. Das war’s, Ende der Diskussion.“

„Ich bin nicht hier, um Schulden einzutreiben.“ Die Vorstellung schien sie zu schockieren.

„Was auch immer. Entweder Sie nehmen meinen Vorschlag an, oder Sie lassen es bleiben.“

Als sie ihn daraufhin nur anstarrte, zuckte er mit den Schultern. „Schön“, meinte er und fing wieder an, die Tür heranzuziehen.

„Er ist mein Vater. Sam Blackwell ist mein Vater“, platzte es da aus Elizabeth Mason heraus.

Das allerdings ließ ihn innehalten.

Sam hatte nie eine Tochter oder überhaupt ein anderes Familienmitglied erwähnt. Nathan runzelte die Stirn. „Sam weiß nicht, dass Sie kommen, richtig?“

„Richtig.“ Sie lachte nervös. „Ich habe sogar den Verdacht, dass er nicht einmal weiß, dass es mich gibt. Unter diesen Umständen war es natürlich unglaublich dumm von mir, einfach ins Flugzeug zu steigen, um ihn aufzusuchen, aber ich habe nicht einmal daran gedacht, dass er gar nicht hier sein könnte …“

Nathan wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als ihre Stimme brach und ihr Tränen in die Augen stiegen.

Du hättest die Tür schließen sollen, als du noch die Chance dazu hattest, Kumpel.

Sie legte den Kopf in den Nacken und blinzelte einige Male. Nathan durchdachte und verwarf eine Reihe von möglichen Reaktionen, bevor er widerwillig die Tür weit öffnete.

„Kommen Sie rein.“

Sie sah ihn dankbar an und trat ein. Er führte sie in die Küche.

„Möchten Sie vielleicht ein Glas Wasser?“

„Ja, bitte.“

Er winkte sie zu einem der Stühle mit den zerschlissenen Kunststoffbezügen, die um den Tisch standen, nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit frischem Leitungswasser.

„Danke“, sagte sie, als er ihr das Glas reichte. „Ich verliere sonst nicht so leicht die Fassung. Es war nur ein sehr langer Flug, und außerdem ging es in letzter Zeit bei mir ziemlich drunter und drüber. Ich hätte wirklich gründlicher überlegen sollen, bevor ich einfach …“ Sie schüttelte den Kopf. Die Hand mit dem Glas zitterte. „Entschuldigung. Ich rede zu viel. Das ist normalerweise auch nicht meine Art.“

Sie lächelte schwach und wirkte dabei so verletzlich, so verloren und verwirrt.

Eine innere Stimme warnte Nathan. Er konnte keine Komplikationen gebrauchen.

„Hören Sie, ich möchte nicht in irgendwelche Familienstreitigkeiten hineingezogen werden.“

Ihr Lächeln schwand. „Dergleichen haben Sie nicht zu befürchten, Mr. Jones. Ich habe Ihnen lediglich meine Situation erklärt.“

„Nun, auch davon möchte ich lieber nichts wissen.“

„Selbstverständlich.“ Die Stuhlbeine scharrten auf dem Linoleumfußboden, als sie abrupt aufstand. „Wenn Sie mir nun bitte die Nummer meines Vaters geben, werde ich Sie keinen Moment länger belästigen.“

Nathan griff nach dem Block und Kugelschreiber neben dem Telefon und schob ihr beides über den Tresen hin. „Geben Sie mir Ihre Nummer, und ich sorge dafür, dass Sam sie bekommt“, wiederholte er. Auch wenn sie schön war und vielleicht sogar einen tollen Po unter der zerknitterten Leinenhose hatte, würde er sie nicht ohne Weiteres auf seinen alten Freund hetzen.

Ungläubig starrte sie ihn an. „Sie stellen sich immer noch stur? Nach allem, was ich Ihnen gerade erzählt habe?“

„Sam ist mein Freund.“

Sie presste die Lippen zusammen und hob das Kinn. „Na schön. Vielen Dank für das Wasser.“ Steif wandte sie sich in Richtung Tür.

„Haben Sie nicht etwas vergessen?“, fragte er und tippte mit dem Stift auf den Block.

Sie drehte sich um. Ihre Nasenflügel bebten vor Ärger, als sie ihm den Stift aus der Hand riss und ihren Namen und ihre Telefonnummer in eleganter, geschwungener Handschrift notierte. Danach ließ sie den Kugelschreiber fallen und hob ihr Kinn noch höher.

„Ich finde selbst hinaus, danke“, sagte sie ungeheuer würdevoll.

„Wo wohnen Sie?“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angehen sollte.“

„Falls Ihr Handy aus irgendeinem Grund nicht funktionieren sollte, könnte ich Sie trotzdem erreichen“, erklärte er mit dem letzten Rest an Geduld. Er hatte schließlich nicht darum gebeten, dass Miss Mason ihre Probleme bei ihm ablud.

„Es wird schon funktionieren.“

Der Blick, mit dem sie ihn maß, war so arrogant, ihre Kopfhaltung so gebieterisch, dass er genug hatte.

„Auch gut. Machen Sie mir aber keinen Vorwurf, falls ich Sie dennoch nicht erreichen kann.“

Ein Muskel in ihrer Wange zuckte. Nathan hatte fast den Verdacht, dass sie mit den Zähnen knirschte.

„Ich wohne im ‚Isle of Wight‘“, antwortete sie schließlich.

„Ich werd’s mir merken.“

Unschlüssig blieb sie noch eine Sekunde lang stehen, ehe sie zur Haustür schritt. Dort drehte sie sich kurz um und warf ihm durch den langen Flur einen kühlen Blick zu.

„Übrigens, Mr. Jones, dort, wo ich herkomme, ist es Sitte, sich anzuziehen, bevor man Besuch empfängt.“

Sie war so hochnäsig, so würdevoll, dass Nate sich nicht zurückhalten konnte – er lachte schallend. Als er sich wieder gefangen hatte, war sie schon fort.

Das Lächeln schwand langsam von seinen Lippen. Es war lange her, dass er so herzhaft gelacht hatte. Sehr lange.

Aus unerfindlichen Gründen ging er ans Wohnzimmerfenster und schob den Vorhang beiseite. Trotz ihrer unnahbaren Art hatte Elizabeth Mason einen sexy Hüftschwung. Nathan schaute ihr fasziniert nach.

Sie stieg ins Auto, fuhr aber nicht los. Stattdessen blieb sie reglos sitzen, den Kopf gesenkt.

Wahrscheinlich überlegt sie, was sie als Nächstes tun soll, dachte er.

Er sagte sich, dass es ihn nichts anging, doch er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Und er konnte auch nicht aufhören daran zu denken, wie ihre Hand gezittert hatte. Wie verloren und verstört sie unter der stolzen Fassade gewirkt hatte.

„Verdammt.“

Er holte Boardshorts aus der Wäsche, zog sie schnell an und ging über den heißen Betonweg zu Elizabeths Auto. Sie sah ihn nicht kommen und schreckte zusammen, als er an die Beifahrertür klopfte. Zögernd ließ sie die Scheibe herunter.

„Sam ist bis zum Start der Regatta in Sydney und wird frühestens an Silvester in Hobart sein“, sagte er. „Aber wenn er erfährt, dass Sie hier sind, wird er bestimmt sofort zurückkommen.“

„Regatta? Welche Regatta?“

„Die Sydney-Hobart-Regatta.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Davon habe ich schon gehört. Ist die nicht sehr gefährlich?“

„Sam ist ein erfahrener Segler. Einer der besten.“

„Ist das seine Hauptbeschäftigung? Segeln?“

„Er heuert meistens als Bootsmann an, und manchmal übernimmt er für die Besitzer die Überführungen ihrer Yachten in andere Häfen.“

Nathan trat einen Schritt zurück, um zu signalisieren, dass die Frage-Antwort-Stunde damit beendet war. Der Rest war eine Sache zwischen Vater und Tochter.

„Ich melde mich, sobald ich mit Sam gesprochen habe“, versprach er.

Sie nickte, startete den Wagen und fuhr los.

Nathan schaute ihr nach, bis sie um die Ecke gebogen war. Gewissensbisse plagten ihn. Er hätte ihr mehr helfen sollen. Sie hatte einen weiten Weg hinter sich auf der Suche nach einem Mann, von dem sie nichts wusste. Er hätte Sam sofort anrufen sollen, ihm erzählen sollen …

Er hielt inne. Wie kam er dazu, für Elizabeth Mason den Ritter in glänzender Rüstung zu spielen? Hilflose Mädchen aus der Gefahr zu retten war schließlich nicht seine Stärke. Er brauchte sich ja nur daran zu erinnern, was mit dem letzten Mädchen passiert war, das auf seine Hilfe vertraut hatte.

Sein Nacken verspannte sich. Ein schmerzhaftes Pochen hinter Stirn und Augen begann. Sein Herz raste, Schweiß brach ihm aus allen Poren.

Olivia. Verdammt noch mal.

Nathan starrte auf den vertrockneten Rasen, bis er sich wieder im Griff hatte. Dann kehrte er ins Haus zurück. Auch wenn er normalerweise versuchte, nicht vor vier Uhr nachmittags zu trinken, ging er direkt in die Küche und holte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank. Er trank sie schnell aus, schloss die Augen und wartete darauf, dass der Alkohol ihn von innen wärmte. Wodka würde natürlich schneller wirken, wie alle anderen hochprozentigen Getränke. Nathan war sich nicht sicher, warum er an Bier als Therapie seiner Wahl festhielt. Vielleicht wegen der Illusion, dass er immer noch einen Rest von Selbstbeherrschung hatte?

Wie auch immer. Der Druck auf seiner Brust ließ nach, und er griff mit weniger Hast nach dem zweiten Bier.

Später würde er vielleicht ein wenig herumtelefonieren und hören, wer zum Surfen zu den Summerlands oder einem der anderen Strände fuhr und ihn mitnehmen könnte. So würde er die Zeit totschlagen, bis er in den Pub gehen und anfangen konnte, sich wieder bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken.

Dann hätte er wieder einen Tag überstanden. Hipp, hipp, hurra.

Elizabeth starrte auf die abbröckelnde Farbe an der Decke. Gelächter und Stimmengewirr drang durch das offene Fenster herein. Sie hatte während der vergangenen drei Stunden versucht zu schlafen, aber in ihrem Hotelzimmer gab es nur einen alten Ventilator, der vergeblich gegen die Hitze kämpfte. Obwohl sie nur in Unterwäsche auf dem Bett lag, schwitzte sie wie in einer Sauna. Einer lauten Sauna, dank der Tatsache, dass das Fenster sich direkt über dem Biergarten befand.

Sie war so müde, dass sie eigentlich schlafen können müsste, doch ihre Gedanken kreisten unaufhörlich nur um das eine. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Bleiben und warten, bis ihr Vater nach Hause kam? Nach Sydney fahren und versuchen, ihn dort irgendwie aufzuspüren? Oder etwa kleinlaut nach England zurückkehren?

Sie hasste die Vorstellung, dass sie den weiten Weg umsonst gemacht haben könnte, aber der Gedanke, zu warten und ihr Vertrauen allein in Nathan Jones zu setzen, erfüllte sie schlichtweg mit Verzweiflung.

Sie schnaubte und warf sich auf den Rücken. Jedes Mal, wenn sie an Nathan Jones dachte, regte sie sich aufs Neue über seine gleichgültige Art auf.

„Blöder Strandgammler“, murmelte sie.

Genau das war er. Offensichtlich hatte er sich gerade erst aus dem Bett gerollt, als er ihr mittags die Tür geöffnet hatte, das kurze schwarze Haar zerzaust, die hellblauen Augen blutunterlaufen. Im Vorbeigehen hatte sie sogar einen Hauch von abgestandenem Bier an ihm gerochen.

Was die Art betraf, wie er nur mit einem ausgefransten Handtuch um die Hüften seinen lächerlich durchtrainierten Körper zur Schau gestellt hatte …

Elizabeth drehte sich auf die Seite, beunruhigt über die Bilder, die ihr immer wieder durch den Kopf schwirrten. Nathans tiefbraune breite Schultern. Seine leicht behaarte Brust. Die muskulösen Oberarme.

Sie setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante.

An Schlaf war vorläufig nicht zu denken.

Sie ging über den abgenutzten Teppich zu den Einkaufstaschen, die sie von ihrem kurzen Bummel in der Main Street mitgebracht hatte. Bis sie im Hotel eingecheckt hatte, war ihre Leinenbluse völlig durchgeschwitzt gewesen. Sie hatte für einen Sommer gepackt, wie sie ihn aus England kannte – auf die australische Hitze war sie nicht vorbereitet gewesen. Schnell hatte sie begriffen, dass sie ein paar leichtere Sachen brauchte, wenn sie die nächsten Tage überstehen wollte, ohne verrückt zu werden. Also hatte sie sich ein gelb-rotes Sommerkleid und einige helle Tops gekauft. Nichts davon entsprach ihrem eigentlichen Stil – maßgeschneidert, elegant –, aber die luftigen Teile waren bei diesem Wetter viel passender.

Nun zog sie das Kleid an und betrachtete sich im fleckigen Spiegel an der Rückseite der Badezimmertür. Der Rock war ein wenig kürzer, als ihr lieb war – knapp kniefrei –, und das Oberteil mit den Nackenträgern bedeutete, dass sie keinen BH tragen konnte. Dafür war der Baumwollstoff herrlich kühl im Vergleich zu ihren anderen Kleidungsstücken.

Sie steckte ihr Haar wieder zu einem Knoten hoch und sah auf die Uhr. Erst sechs. Der ganze Abend lag noch vor ihr, lang und leer.

Vielleicht könnte sie die Main Street noch etwas gründlicher erkunden, solange es hell war. Oder an der Hafenmole oder am Strand spazieren gehen.

Sie trat ans Fenster, um es zu schließen, bevor sie den Raum verließ. Dabei fiel ihr Blick auf das fröhliche Treiben im Biergarten. Dutzende von Gästen in Shorts, Badekleidung oder bunten Sommersachen waren um die Tische versammelt, tranken Bier und Wein und lachten.

Bisher hatten entweder ihre Großeltern oder Martin im Urlaub die Auswahl der Hotels und Restaurants bestimmt. Sie hatten stets noble Häuser ausgesucht, in denen es diskret und leise zuging – ganz anders als hier.

Da erklang schallendes Gelächter, und sie ertappte sich dabei, dass sie lächelte.

Wenn Violet hier wäre, würde sie sich dazusetzen und sich amüsieren, flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr.

Elizabeth runzelte die Stirn, zog das Fenster zu und verriegelte es.

Sie war nicht Violet. Sie konnte nicht einfach nach unten gehen, einen Drink bestellen und sich unters Volk mischen. Das passte einfach nicht zu ihr.

Wer sagt das? Ich dachte, du wolltest herausfinden, wer du wirklich bist, was du wirklich willst? Gehört dazu nicht auch, dass du mal etwas Neues ausprobierst?

Elizabeth musste zugeben, dass ihre innere Stimme recht hatte. Wenn sie sich selbst finden wollte, dann sollte sie allmählich zu suchen beginnen. Sie musste ihre alten Verhaltensmuster durchbrechen.

Entschlossen schnappte sie sich ihre Handtasche und den Zimmerschlüssel und ging nach unten in die Bar, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Nervös blieb sie einen Augenblick lang am Eingang stehen, ein wenig eingeschüchtert von dem Lärm und dem Gedränge. Der Geruch von Bier, gebratenem Fleisch und Sonnenmilch hing in der Luft, und der Teppichboden war klebrig von verschütteten Drinks und voller Sand, der vom Strand mit hereingeschleppt worden war.

Es ist nur ein Pub, sagte sie sich, und es sind nur Menschen. Nichts, wovor man Angst haben müsste.

Sie atmete tief durch und bahnte sich den Weg durch die Menge an den Tresen.

„Was kann ich dir bringen, Love?“, fragte die Barkeeperin.

„Ich nehme Pimm’s und Limonade, danke.“

Die Frau runzelte die Stirn. „Pimm’s. Meine Güte, das habe ich seit Jahren nicht ausgeschenkt.“ Sie drehte sich zu dem Mann um, der am anderen Ende des zerschrammten Holztresens arbeitete. „Trev, haben wir Pimm’s, was meinst du?“

„Pimm’s? Keine Ahnung. Ich schau’ hinten nach.“ Der Barkeeper musterte Elizabeth neugierig.

„Nur keine Umstände, es ist schon in Ordnung“, versicherte Elizabeth verlegen. Sie kam sich richtig dumm vor. Natürlich hatten sie hier kein Pimm’s. Schließlich war sie nicht in England.

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