Julia Exklusiv Band 395

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DEM SIEBTEN HIMMEL SO NAH von KELLY HUNTER

Serena hat einen Traum: Sie möchte eine berühmte Fotografin werden. Da haben Männer keinen Platz in ihrem Leben. Bis sie den faszinierenden Piloten Pete trifft. Ehe sie sichs versieht, steckt sie mitten in einer heißen Affäre – mit einem Mann, der vom Heiraten träumt!

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DER KLANG DER VERSUCHUNG von SUSAN STEPHENS

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  • Erscheinungstag 08.11.2025
  • Bandnummer 395
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533973
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kelly Hunter, Heidi Rice, Susan Stephens

JULIA EXKLUSIV BAND 395

Kelly Hunter

1. KAPITEL

Eigentlich war nichts dagegen einzuwenden, den Tag unter einem blau-weiß-gestreiften Sonnenschirm auf einer kleinen griechischen Insel zu verbringen. Serena Comino jedoch saß bereits seit fünf Monaten jeden Tag unter diesem einen Sonnenschirm am Strand, wo sie Vespas an Touristen vermietete, und inzwischen hatte sie wirklich genug davon.

Die zugegeben prächtige Aussicht war immer dieselbe. Zwar kamen mit jeder Fähre neue Touristen, doch sie wollten immer das Gleiche: baden, am Strand liegen, eine Vespa mieten, essen …

Jeden Tag.

Seit fünf Monaten.

In einem Monat würde sie nach Australien zurückkehren. Nach Australien, ja, aber nicht zurück in den Schoß ihrer Familie! Serena schaukelte mit dem klapprigen Regiestuhl so hin und her, dass er nur noch auf den hinteren Beinen stand, und blickte durch ihre Sonnenbrille in den strahlend blauen Himmel. Vielleicht hatte sich in den letzten fünf Minuten ja doch etwas getan. Eine vorüberziehende Wolke, ein Vogel, ein Flugzeug.

Superman.

Nichts dergleichen.

„Und wem verdanke ich das?“, murmelte sie.

„Deinem Vater“, ertönte eine amüsierte Stimme aus der Richtung des Ziegenpfades hinter ihr. Der alte Pfad schlängelte sich vom Dorfrand durch die Hügel, vorbei an dem weiß getünchten Häuschen ihrer Großeltern, bis zur Straße hinter Serena und den Vespas.

„Traurig, aber wahr.“ Sie wandte leicht den Kopf und schenkte Nico, ihrem Cousin väterlicherseits, also griechischerseits, ein Lächeln. Sie und Nico standen vorübergehend im Dienst ihrer zweiundachtzigjährigen Großeltern. Die brauchten allerdings keine Pflege, denn sie waren bemerkenswert fit. Nein, Serena und ihr Cousin waren hier, um die Geschäfte weiterzuführen, die Pappou um keinen Preis aufgeben wollte. Nicos Arbeitstag begann um vier Uhr morgens auf dem Fischkutter und endete gegen Mittag. Serenas begann um neun, endete um fünf oder sechs, und hatte nichts mit Fisch zu tun. Sie hatte noch Glück gehabt. „Ist es schon Mittag?“

„Wenn du eine Uhr tragen würdest, wüsstest du es.“

„Ich kann keine Uhr mehr tragen“, erwiderte sie. „Früher, als ich ein Leben hatte, mich mit Leuten traf, Dinge zu erledigen hatte, da habe ich eine Uhr getragen. Jetzt wäre es einfach zu deprimierend. Was gibt’s zu essen?“

„Griechischen Salat, Calamari und Gigias Pistazien-Baklava.“

Es sprach also doch etwas für kleine griechische Inseln.

Serena schwang nach vorne, sodass die Vorderbeine ihres Stuhls hart auf den Boden prallten, und drehte sich verwundert um, weil Nico sich nicht wie sonst auf den Stuhl neben ihr setzte.

Er war nicht allein. Neben ihm stand ein hoch gewachsener Mann mit pechschwarzem Haar, Adonis-Körper und unwiderstehlichem Lächeln. Serena betrachtete den Fremden eingehend. Kein Superman, befand sie. Superman war glatt rasiert und adrett. Brav.

Dieser Mann war Superman in verrucht.

„Fliegen Sie?“, fragte sie ihn.

„Ja.“

„Ich wusste es doch. Frauen spüren so etwas.“

„Wovon redet sie?“, sagte er zu Nico. Er hatte eine wunderbare Stimme. Tief. Träumerisch. Belustigt. Australisch.

„Ist doch egal“, entgegnete sie. „Was macht das schon?“ Sie lächelte ihn herausfordernd an. Im Gegenzug nahm er seine Pilotenbrille ab und enthüllte Augen so blau wie der Himmel über ihnen. Beeindruckend. Sie blickte ihn über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an, um zu prüfen, ob es an den getönten Gläsern lag.

Nein.

„Rena, das ist Pete Bennett. Pete, meine Cousine Serena. Sie hat ein gutes Herz. Zum Kummer meiner Familie ist der Rest reine Sünde.“

„Serena.“ Pete Bennetts Lächeln war lasziv, sehr lasziv, sein Blick abschätzend, aber nicht unverschämt. Superman für böse Mädchen. So jemand kannte die Frauen. Wusste, wie man sie umwarb, wie man sie verführte. Das war ein Pluspunkt. „Interessante Kombination.“

Serenas Lächeln wurde breiter. „So sagt man.“

Seufzend schob Nico die Lunchbox in Serenas Blickfeld, und als auch das ihre Aufmerksamkeit nicht von dem reizenden Pete Bennett ablenken konnte, verstellte er ihr die Sicht.

„Vielen Dank“, sagte sie murrend und griff nach ihrem Essen.

„Aber gern!“ Alles an ihm, sein Blick und sein Tonfall, warnten sie, mit fremden Männern zu flirten, selbst wenn er sie ihr selbst vorgestellt hatte.

Nico war ein echter Grieche, der die Frauen seiner Familie beschützte. Serena war halb Australierin und in Melbourne aufgewachsen, und der Beschützerinstinkt ihres Cousins amüsierte zu gleichen Teilen, wie er sie nervte. „Tja …“ Der Pilot war wohl kaum zum Vergnügen hier, sondern geschäftlich. Sie stellte die Lunchbox neben den Stuhl und stand auf. „Möchten Sie eine Vespa mieten, Pete Bennett?“ Er sah aus wie ein Mann, der Geschwindigkeit liebte. Nicht dass ein 50-Kubikzentimeter-Zweitakter in dieser Hinsicht viel zu bieten hatte. „Ich könnte Ihnen den zweitschnellsten Roller der Insel anbieten.“

„Was ist mit dem schnellsten?“

„Den fahre ich.“

„Er ist nicht an Motorrollern interessiert“, sagte Nico.

„Sondern?“

Pete Bennett beantwortete die Frage selbst. „Ich brauche ein Zimmer.“

„Tomas’ Zimmer“, ergänzte Nico.

Tomas war der Charter-Hubschrauberpilot, der immer im Gästezimmer hinter dem Haus ihrer Großeltern schlief, wenn seine Passagiere auf der Insel übernachten wollten. „Ich habe den Hubschrauber heute Morgen in aller Frühe landen sehen, und er immer noch da“, erklärte Serena. „Vielleicht braucht Tomas das Zimmer.“

„Wohl kaum. Tomas liegt mit doppeltem Beinbruch im Krankenhaus“, sagte Pete. „Ich bin seine Vertretung.“

„Ach.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Dann können Sie wirklich fliegen. In fünfundvierzig Minuten nach Athen. In fünf Stunden nach Rom. Ich bin beeindruckt. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“

„Hab ich doch“, sagte er. Dann wandte er sich zu Nico: „Wie lang ist sie schon hier?“

„Viel zu lange.“ Ihr Cousin musterte sie mit zusammen gekniffenen Augen. „Sie sollte sich öfter in den Schatten setzen.“

Pete Bennetts Mundwinkel zuckten, und Serena bedachte die beiden Männer ihrerseits mit einem funkelndem Blick. „Der Schatten hat ungefähr die Größe einer Briefmarke. Die Insel hat die Größe eines Briefumschlags. Sie möchte ich sehen, wenn Sie fünf Monate hier sitzen müssten.“

„Ich habe dir angeboten zu tauschen“, sagte Nico. „Ich habe dir angeboten, dass wir uns abwechseln. Ab und zu ein Tag auf dem Boot, aber nein …“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie ist die Tochter eines Melbourner Fischhändlers, deren Familie drei Trawler, sechs Läden und zwei Restaurants besitzt, und mag keinen Fisch.“

„Sie essen keinen Fisch?“, fragte Pete Bennett.

„Unsinn“, sagte sie. „Ich mag ihn nur nicht fangen und zubereiten, das ist alles. Ihn ausnehmen, wiegen, entgräten und dergleichen. Essen tu ich ihn gern. Hier gibt es oft Fisch.“ Doch zurück zum Geschäftlichen. „Sie wollen also denselben Deal wie Tomas?“

„Natürlich nur, wenn es Ihnen recht ist“, sagte er. „Nico wollte Sie erst fragen.“

„Es ist mir recht.“ Serena warf ihrem Cousin einen kurzen Seitenblick zu. „Du hättest mich nicht fragen brauchen.“

„Er ist viel jünger als Tomas“, sagte Nico achselzuckend.

Allerdings.

„Und Single“, sagte Nico.

Serena spitzte die Lippen. Das wurde ja immer besser.

„Es könnte Gerede geben. Schließlich sind unsere Großeltern verreist, und ich breche morgens sehr früh auf“, fuhr Nico fort.

Da hatte er nicht unrecht. Der ganze Klatsch und Tratsch auf der Insel waren ihr zutiefst zuwider. Seit sie hier war, hatte sie sich nichts zu Schulden kommen lassen, und dennoch wurde alles, was sie tat oder nicht tat, so kritisch beäugt, als bestehe die Gefahr, dass sie jeden Moment Amok liefe. „Lass sie reden.“ Forschend musterte sie Pete. „Angesichts Ihrer Jugend und meiner gefährdeten Ehre sollten wir den Deal allerdings ein wenig abwandeln. Normalerweise mache ich Tomas’ Bett. Sie können Ihres selbst machen.“

„Oh, wie grausam.“ Pete Bennett wandte sich kopfschüttelnd an Nico. „Hast du nicht gesagt, sie hätte ein gutes Herz.“

„Ich habe gelogen“, murmelte Nico. „Sieh es als Warnung. Frauen sind grausam, grausam wie das Meer und noch gnadenloser. Sie sind alle Sirenen, die unschuldige Männer ins Verderben locken.“

Das war sonst gar nicht Nicos Art. Eigentlich war er ein lieber Kerl, der die Frauen verehrte. Der gute Nico. Nachdenklich musterte Serena ihren Cousin. Eigentlich sah er aus wie immer. Dieselben braunen Augen, dasselbe markante, hübsche Gesicht, derselbe muskulöse Körper. Nur die heimliche Traurigkeit in seinem Blick schien noch tiefer als sonst. „Du hast dich wieder mit Chloe gestritten“, folgerte sie. Chloe führte das größte Hotel der Insel und war der einzige Störfaktor in Nicos ansonsten friedlichem Inseldasein.

„Hast du mich etwa streiten hören?“, wandte Nico sich an Pete.

„Nein“, sagte Pete kopfschüttelnd. „Hab ich nicht.“

„Oje“, sagte sie. „Und worüber genau habt ihr euch nicht gestritten?“

Nico runzelte die Stirn. „Das Übliche.“

Es ging also um Chloes Neffen Sam. Ein brisantes Thema. „Ist es schlimm?“

Nico ließ den Blick über das Meer schweifen. „Der Wind nimmt zu. Ich werde heute Nachmittag wohl mit dem Katamaran raussegeln. Wartet nicht mit dem Abendessen auf mich.“

Also war es schlimm. „Ich hebe dir etwas auf“, sagte sie. „Und vergiss nicht, was zu essen, wenn du nach Hause kommst.“

Diesmal erwiderte Nico ihren Blick, und ein Lächeln umspielte seinen Mund. „Morgen besorge ich dir einen neuen Sonnenschirm. Einen größeren.“

Sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. „Und was ist mit unserem Piloten? Soll ich ihn bekochen oder ins Dorf schicken?“ Tomas aß immer mit bei ihnen. Vielleicht hatte Pete der Pilot andere Pläne.

„Ich vertraue ihm.“ Nico warf Pete einen warnenden Blick zu. „Ein Gentleman würde meine Gastfreundschaft nicht ausnutzen.“

„Sind Sie denn ein Gentleman, Pete Bennett?“, wandte Serena sich an ihr Gegenüber.

„Ich kann einer sein“, sagte er, wieder mit diesem lasziven Grinsen, das ihr den Atem verschlug.

„Ich werde mich dezent kleiden“, scherzte sie. Ob Gentleman oder nicht, sie freute sich auf das Essen mit ihm.

„Da bin ich Ihnen wirklich dankbar“, murmelte er.

„Wir essen um sieben“, sagte sie, als zwei mögliche Kunden in der Ferne auftauchten und auf sie zukamen. „Die Küchentür liegt auf der anderen Seite des Hofes, genau gegenüber von Ihrem Zimmer. Der Picknicktisch im Hof ist das Esszimmer.“ Sie lächelte ihm zum Abschied zu, und während sie den Touristen entgegenging, versuchte sie herauszufinden, woher sie kamen. Ihre Markensandalen in Mercedes-Qualität verrieten sie. „Sicher Deutsche“, murmelte sie.

„Holländer“, hörte sie Superman hinter sich.

Sie würden es gleich wissen. „Yassou, guten Tag, goedendag“, begrüßte sie das Pärchen aufgeräumt.

„Goedendag“, erwiderten die beiden, Holländer durch und durch bis zu den deutschen Sandalen.

Mist.

Pete Bennett richtete sich in der Einliegerwohnung hinter dem Häuschen mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes ein, der viel unterwegs war und keinen festen Wohnsitz hatte.

Australien war sein Zuhause, keine Frage. Dort war er geboren und aufgewachsen. Mit Australien verbanden ihn seine Erinnerungen, gute, schlechte und tragische. Doch er hätte nie zugegeben, dass die Erinnerungen ihn aus Australien vertrieben hatten.

Er sprach lieber von Abenteuerlust.

Pete wusch den Schmutz des Tages unter einer lauwarm tröpfelnden Dusche ab und zog lässige Khaki-Hosen und ein weißes T-Shirt an. Wenn diese anbetungswürdige Frau sich dezent kleidete, konnte er das auch. Außerdem hatte er sowieso nichts anderes dabei. Er sah auf die Uhr – kurz vor sieben –, schnappte sich das feuchte Handtuch vom Bett und trat nach draußen, wo zwischen zwei Stangen eine Wäscheleine gespannt war.

Eine Bewegung am Rand des grasbewachsenen Hofes verriet ihm, dass er nicht allein war. Ein kleiner Junge mit schwarzem Haar, großen Augen und einem schmalen, ausgemergelten Gesicht stand in der hintersten Ecke des Gartens. Derselbe Junge, den Nico vorhin am Hafen unter seine Fittiche genommen hatte, ehe die aufgebrachte Chloe aufgetaucht war. „Nico ist nicht hier“, sagte er zu dem Jungen.

„Macht nichts“, sagte der Junge achselzuckend und schob die Hände in die Taschen seiner zerschlissenen Badeshorts. „Ich habe Sie gesucht.“

Pete warf das Handtuch über die Leine und befestigte es mit einer Wäscheklammer, während er sich fragte, was der Kleine ausgerechnet von ihm wollte. Früher oder später würde er schon damit herausrücken. Oder er würde einfach wieder dorthin verschwinden, wo er hergekommen war. „Du hast mich gefunden.“

„Sie haben ja gesehen, was vorhin los war“, sagte der Junge nach einer verlegenen Pause. „Ich dachte, vielleicht können Sie mal mit meiner Tante reden.“ Das Wort Tante klang aus seinem Mund, als verübelte er ihr das Verwandtschaftsverhältnis mit jeder Faser seines Körpers. „Sie wissen schon …“, fuhr das Kind fort, als er schwieg. „Chloe. Es ist doch nichts Schlimmes dabei, dass ich beim Fischen mithelfen möchte. Sie sollte sich freuen, dass ich selbst Geld verdienen will.“

„Wie alt bist du, Junge?“

Das Kind runzelte die Stirn. „Elf.“

Er war klein für einen Elfjährigen. Doch die Augen waren älter. Pete dachte an die temperamentvolle Chloe, die den armen Nico am Nachmittag zur Schnecke gemacht hatte, nachdem sie Zeugin davon geworden war, wie der Jungen beim Entladen des Tagesfangs half. Er erinnerte sich, wie stoisch Nico geschwiegen, wie verschwörerisch er dem Jungen zugezwinkert hatte. „Warum sollte deine Tante auf mich hören?“ Und warum machte sie ihm Vorschriften und nicht seine Eltern? „Ich bin ein Fremder.“

Das Kind zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“

„Warum bittest du nicht Nico, mit ihr zu reden. Er kennt dich. Er kennt dich und deine Tante.“ Und die Hintergründe. „Ich nehme an, du willst auf Nicos Boot arbeiten?“

Der Junge nickte. „Sie hört nicht auf Nico. Sie meckert nur mit ihm rum.“

Das hatte er gesehen.

„Sie dagegen … Sie sind neutral.“

„Stimmt genau.“

„Vielleicht hört sie auf einen Außenstehenden.“

Pete fuhr sich mit der Hand über den Nacken und hoffte, der Himmel würde ihm einen Hinweis darauf geben, wie er sich am besten verhalten sollte. Der Junge erinnerte ihn an seinen kleinen Bruder nach dem Tod ihrer Mutter. Er hatte dieselbe Mischung aus Trotz und Verletzlichkeit ausgestrahlt, und das rührte Pete und weckte Erinnerungen, die er am liebsten vergessen hätte. „So wie ich es sehe, solltest du erst noch ein paar Jahre zur Schule gehen.“

Der Junge blickte finster drein.

„Vielleicht kannst du deiner Tante vorschlagen, dass du in deiner Freizeit auf dem Boot helfen darfst. Du bist doch nicht auf den Kopf gefallen.“

„Vielleicht.“

„Sag ihr, du gehst nächste Woche brav zur Schule – kein Schwänzen zur Mittagszeit, wenn die Boote einlaufen –, wenn sie dich nächstes Wochenende für Nico arbeiten lässt. Wenn er damit einverstanden ist. Du sagst deiner Tante, du hättest noch nicht mit ihm darüber geredet, kapiert? So hältst du seinen Kopf aus der Schlinge.“

„Kapiert“, sagte der Junge.

„Andererseits kann Nico wahrscheinlich auf sich selbst aufpassen, also mach dir keinen Kopf, wenn sie glaubt, das sei auf seinem Mist gewachsen. Er wird es genießen, ihr zu erzählen, dass er nichts damit zu tun hat.“ So. Er hatte getan, was er konnte. Mehr als er je vorgehabt hatte.

„Tja, also …“ Der Junge blickte verlegen zur Seite. „Vielen Dank.“

„Gern geschehen.“

Pete sah dem Jungen nach, als er den felsigen Hang zum Dorf hinab verschwand. „Hey Junge …“ Der Junge kam schlitternd zum Stehen und sah sich um. Zögernd, misstrauisch und so verdammt verletzlich, dass es Pete schier das Herz brach. „Ich bin in den nächsten Wochen öfter hier. Lass mich wissen, wie es läuft.“

Der Junge nickte, dann war er verschwunden.

Pete war noch einige Schritte von seiner Unterkunft entfernt, als er Serenas Blick auf sich spürte. Noch einen Schritt später entdeckte er sie in der Küchentür, halb verborgen von der Fliegentür. „Sie können jetzt rauskommen“, sagte er und reckte den Kopf in ihre Richtung. „Sie hätten uns ruhig Gesellschaft leisten können.“

„Was? Und Ihre gute Arbeit zunichte machen? Auf keinen Fall!“ Lächelnd und ohne einen Anflug von Schuldbewusstsein trat sie aus der Küche, die pure Versuchung, von den Spitzen ihrer nackten Füße über den weißen Volantrock, das ärmellose rosa Stretchtop, das mehr zarte Haut entblößte aus bedeckte, bis zur schokoladenfarbenen Lockenpracht, die ihr bis zur Taille reichte. Pete Bennett kannte viele Frauen, sehr viele Frauen. Schöne, geistreiche, intelligente Frauen, doch keine hatte je einen derart ungetrübten Sexappeal und so eine schwindelerregende Wirkung auf ihn gehabt wie die hübsche Brünette, die vor ihm stand. Sie flanierte – es gab kein anderes Wort dafür – zu einem kleinen silbernen Wasserhahn im Garten und begann Wasser in den darunter stehenden Eimer zu füllen, ehe sie ihm durch ihre langen, dunklen Wimpern einen Seitenblick zuwarf. „Er heißt Sam.“

Pete nickte. „Und wo ist sein Vater?“

„Auf seiner Geburtsurkunde steht: Vater unbekannt.“

„Und seine Mutter?“

„Sie starb vor einem Jahr in einem Wohnheim in Athen an Hepatitis C. Soweit wir wissen, hat Sam sich ganz allein um sie gekümmert.“

Das war hart. Verdammt hart für ein Kind. „Ist diese Chloe, die ihn heute Nachmittag am Hafen abgeholt hat, seine richtige Tante?“

„Ja.“

„Und wo war sie, als ihre Schwester krank wurde?“

„Sie klingen ziemlich voreingenommen.“

„Vielleicht bin ich das“, sagte er sanft. Kein Wunder, bei der Geschichte.

„Ich mag es, wenn ein Mann Gefühle zeigt.“

„Wir wollen doch nicht übertreiben“, sagte er trocken.

Serena drehte den Wasserhahn zu, nahm den Eimer und schlenderte zu einem Kräuterbeet neben der Küchentür. „Chloe war hier und hat das Hotel geführt. Sie hatte seit anderthalb Jahren nichts von ihrer Schwester gehört.“

„Dann standen sie sich wohl nicht sehr nahe.“

„Sie sind schon wieder voreingenommen“, erwiderte sie.

„Na ja.“

„Aber das gefällt mir an Ihnen.“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wo war ich stehen geblieben?“

„Bei Tante Chloe.“

„Ach ja. Laut Chloe verschwand ihre Schwester vor etwa zwölf Jahren nach Athen. Von den Eltern verstoßen und im dritten Monat schwanger. Da war sie sechzehn. Chloe war damals dreizehn und versuchte zu vermitteln. Vergeblich. Ihre Eltern blieben hart, und ihre Schwester wollte weder Chloes Mitleid noch ihre Ersparnisse. Die Familie zerbrach.“

„Wie kam der Junge hierher?“

„Chloes Schwester hatte sie als nächste Verwandte angegeben.“ Serena zuckte die Schultern. „Chloe liebt Sam, aber sie wird nicht mit ihm fertig. Sein Leben lang wurde Sam zurückgewiesen, er ist voller Misstrauen gegen die ganze Welt. Er hat einen starken Unabhängigkeitsdrang. Sie dagegen ist überbesorgt. Sie will ihn auf keinen Fall enttäuschen. Die beiden geraten ständig aneinander.“

„Und was hat Nico damit zu tun?“

Serena kicherte. Während sie den Kräutern Wasser gab, hellte ihre Miene sich auf. „Der ist zwischen die Fronten geraten: zwischen einen Jungen, der unbedingt erwachsen werden will, und eine Frau, in die er über beide Ohren verliebt ist.“

Pete fuhr sich mit der Hand durch sein dunkles Haar. „Kein Wunder, dass er segeln gegangen ist.“

„Sie unterschätzen meinen Cousin. Ich wette, noch bevor der Sommer zu Ende ist, gehören die Herzen der beiden ihm.“

„Das wäre schön.“ Und sie war es auch. „Verraten Sie mir, was Sie heute tragen würden, wenn es sich nicht um ein rein platonisches Abendessen handelte?“

„Auf jeden Fall Lippenstift.“

Den brauchte sie nicht.

„Und wahrscheinlich ein Kleid.“

„Schulterfrei?“

Unbedingt.

„Kurz?“

„Nein. Eher etwas Längeres. Bis kurz übers Knie. Ein edles Kleid.“

„Welche Farbe?“

„Für Sie? Blau. Damit Sie bei meinem Anblick an etwas denken, das Sie lieben. Den Himmel.“

„Sie sind gut“, sagte er bewundernd.

„O ja, das bin ich.“ Und ihr Lächeln gab ihr recht. „Und Sie? Wohin hätten Sie mich ausgeführt, wenn es sich nicht um ein rein platonisches Abendessen handeln würde?“

„Wohin ich Sie ausführen würde?“ Da brauchte er nicht lange überlegen. „Zum Trevi-Brunnen in Rom. Ich würde Ihnen ein Eis kaufen und Ihnen einen glänzenden Penny geben, damit Sie ihn in den Brunnen werfen und sich etwas wünschen können. Und dann würden wir spontan in eine kleine Trattoria oder ein elegantes Restaurant gehen und alle im Raum, mich selbst eingeschlossen, würden Gott von ganzem Herzen für bildschöne Sirenen in himmelblauen Kleidern danken.“

„Sie sind aber auch nicht schlecht“, erklärte sie sehnsüchtig.

„Danke. Man tut, was man kann.“

„Das kann man wohl sagen“, murmelte sie und stellte den Eimer zurück unter den Wasserhahn. „Sie interessieren mich. So viel steht fest. Nur eines verstehe ich nicht ganz. Etwas, das nicht zu Ihrem sorglosen und äußerst anziehenden Image passt.“ Sie sah ihn neugierig an. „Was Sie zu Sam gesagt haben … Wie Sie zugehört und ihm geholfen haben … Wie Sie ihn gebeten haben, wiederzukommen.“ Sie drehte sich um und ging zurück zur Tür, mit einem Hüftschwung, der ihn völlig aus dem Konzept brachte. „Das war nett.“

2. KAPITEL

NETT? Nett? Man hatte Pete Bennett schon so einiges vorgeworfen, besonders die Frauen, die ebenso schnell kamen, wie sie wieder gingen, aber nett war noch nicht dabei gewesen. Es hörte sich irgendwie nicht nach einem Kompliment an. Na ja, er konnte schon gelegentlich nett sein. Daran war ja auch nichts auszusetzen. Aber irgendwie klang nett zu sehr nach ernsten Absichten. Und die hatte er keinesfalls.

Nein. Er musste dieser anbetungswürdigen Frau unbedingt jegliche Illusion nehmen, dass er nett sei. Er lockerte die Schultern, um sich von dem Zauber zu befreien, in den sie ihn versetzt hatte und der ihm noch immer die Sinne vernebelte, und folgte ihr in die Küche.

Die Küche bestand aus Kühlschrank, Spüle, einer Regalwand voll frischer Lebensmittel und einem kleinen Tisch. Schlicht, gemütlich und – wie Serena fand – ganz dem Essen gewidmet. Sie hatte vorhin ein großzügig mit Knoblauch und Oregano gewürztes Hühnchen in den Ofen geschoben, sowie ein halbes Dutzend Kartoffeln mit Salzkruste. Ein knuspriges Brot und ein Salat standen auf dem Tisch bereit. Serena stammte aus einer Familie von Köchen, Gastronomen und Feinschmeckern. Kochen war zwar nicht ihre Leidenschaft, aber in ihrer Familie galt es als unentschuldbar, wenn jemand nicht gut kochen konnte.

Pete war ihr in die Küche gefolgt und lehnte im Türrahmen. Nach dem gefährlichen Glitzern in seinen Augen zu urteilen, hatte er seine Nettigkeiten für heute aufgebraucht. Und das war Serena nur recht. Nett war sicher ein Pluspunkt, aber sexy, amüsant und kurzweilig reichten ihr völlig.

„Vielleicht finden Sie mich neugierig“, sagte er, „aber wenn Sie keine Lust haben, Vespas zu vermieten, warum tun Sie es dann?“

„Für die Familie“, murmelte sie, nahm ein Stück Feta aus dem Kühlschrank und legte es neben ein höllisch scharf aussehendes Küchenmesser auf den Tisch. „Alle Enkelkinder absolvieren hier eine sechsmonatige Schicht. Jetzt bin ich eben dran.“

„Was passiert, wenn alle Enkelkinder durch sind? Geht es dann wieder von vorn los?“

„Rein theoretisch sind dann die Urenkel an der Reihe. Bedauerlicherweise ist der älteste derzeit sechs, und Nico und ich sind die letzten Enkelkinder. Ich glaube, alle haben gehofft, dass wenigsten einer von uns sich in die Lebensart hier verlieben und für immer bleiben würde. Vielleicht ja Nico“, sagte sie nachdenklich.

„Sie nicht?“

„Nein. Noch ein Monat, dann bin ich weg.“

„Wohin?“

„Nun ja, das richtet sich nach den Jobs.“ Und ihren Chancen, diese zu ergattern. „Ich bin Fotografin. Studiert habe ich aber Sprachen und im Nebenfach Politik.“

Er schien nicht überrascht. Wegen ihres hübschen Gesichts glaubte man leicht, sie stehe auf der anderen Seite der Kamera. Und so mancher fand, bei ihrem Körper sei Köpfchen überflüssig. „Im Moment arbeite ich an einer Postkarten-Serie für die griechische Tourismusbehörde, aber wenn ich meine Pflicht hier getan habe, würde ich gern als Fotojournalistin für eine Nachrichtenagentur arbeiten.“

„Sie werden Ihre Sache sicher gut machen“, sagte er.

„Ach ja?“ Sie konnte ihre Verwunderung nur schwer verbergen. Üblicherweise reagierten die Menschen anders auf ihre Pläne.

„Natürlich. Mit Ihrer Schönheit fallen Sie auf, mit Ihrer Klugheit erkennen Sie eine gute Story und mit Ihrer Menschenkenntnis werden Sie die Informationen aus den Leuten herauskitzeln. Eine gute Wahl für jemanden mit Ihren besonderen Fähigkeiten.“

Serena schnitt das Brot, den Käse und reichte ihm beides mit einem Lächeln. „Damit haben Sie sich auf jeden Fall eine Vorspeise verdient. Vielleicht sogar einen Nachtisch.“

Er lächelte. „Die Konkurrenz ist groß. Sie werden eine gehörige Portion Ehrgeiz brauchen. Wollen Sie diesen Job wirklich machen, Serena?“

So sehr, dass sie seit fünf Monaten jeden Monat die Stellenanzeigen der internationalen Zeitungen nach freien Stellen studierte. „Glauben Sie mir, am Ehrgeiz hapert es nicht. In der Vergangenheit haben mich familiäre Verpflichtungen zurückgehalten, aber damit ist es vorbei. Diesmal ziehe ich es durch.“

„Sobald Sie diese Insel verlassen haben“, folgerte er.

„Ganz genau.“

„Dann sind Sie diesen Monat also noch ein freier Mensch, mal abgesehen von den Vespas, den Postkartenfotos und Ihren Großeltern.“

„So ist es.“ Er war wirklich bezaubernd. „Und meine Großeltern sind gerade zu Besuch bei der Familie auf dem Festland. Sie sind heute Morgen abgereist und kommen erst in zwei Monaten zurück. Und Sie?“

„Ich werde Tomas vertreten, bis er wieder auf die Beine kommt. So sechs bis acht Wochen. Vielleicht auch länger.“

„Und dann?“

Er zuckte die Schultern. „Ein australisches Bergbauunternehmen will, dass ich in Papua Neu-Guinea einen Charterflugbetrieb übernehme. Sie haben mir ein gutes Angebot gemacht.“

„Sie tingeln also durch die Welt“, erwiderte sie trocken. „Von einem Job zum nächsten.“

„Wer weiß, wozu es gut ist“, sagte er leise.

„Haben Sie je daran gedacht, sesshaft zu werden?“

„Meinen Sie, mich irgendwo niederzulassen oder eine Familie zu gründen?“

„Beides.“

„Nein.“

Serena schloss die Augen und betete still. Dieser Mann war perfekt für eine kurze Affäre.

„Haben Sie gerade geseufzt?“, fragte er und betrachtete sie forschend. „Ich könnte schwören, dass ich etwas gehört habe.“

„Nicht von mir.“ Von wegen. „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten? Wasser? Wein?“ Sie deutete auf das Glas Weißwein, das bereits auf dem Tisch stand. „Ich habe mir schon etwas eingeschenkt.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete sie den Kühlschrank. Sie musste sich ablenken, um das Seufzen auf ein Minimum zu beschränken. Wasser, Wein, sie nahm beides und stellte es vor ihm auf den Tisch. „Bedienen Sie sich.“

Er nahm zwei Gläser aus dem Regal und füllte beide mit Wasser. Er nahm sich ein weiteres Glas, ein Weinglas diesmal. Als er sich Wein einschenkte, bemerkte sie seine langen, schlanken Finger um den Flaschenhals … Finger, die aussahen, als könnten sie einer Frau jede erdenkliche Lust verschaffen, von einem federleichten Streicheln bis zum gekonnten festen Druck an genau den richtigen Stellen.

„Da war das Geräusch schon wieder“, sagte er.

„Vielleicht war es die Katze.“

Pete betrachtete die Katze, die sich in der Küchenecke eingerollt hatte und tief und fest schlief. „Meinen Sie diese Katze?“

„Ja“, antwortete Serena mit vollkommen ernsthafter Miene, und Petes Bewunderung für sie stieg ins Unermessliche. „Genau die.“

Sie aßen am Picknicktisch im Hof, hinter sich das in die Hügel eingebettete Häuschen, vor ihnen das weite Meer, blau wie die Hoffnung.

„Wie viele Brüder haben Sie eigentlich?“, fragte Pete zwischen zwei Bissen des köstlichen Brathähnchens. Bei so einem leckeren Essen konnten einem schon Zweifel kommen, ob es sich nicht doch lohnte, eine Frau zu haben, die einen jeden Abend zu Hause erwartete.

Serena hielt zwei Finger hoch, und er lächelte. Zwei Brüder und ein überbesorgter Cousin, das ging ja noch.

„Das Lächeln habe ich genau gesehen“, sagte sie finster. „Und wenn Sie glauben, mit denen fertig zu werden, täuschen Sie sich. Es sind immerhin Halbgriechen. Und schließlich sind wir eine Großfamilie: Ich habe außerdem zwei Schwager, einen Vater, drei Onkel und ein halbes Dutzend Cousins in meinem Alter oder älter. Nico ist von denen noch der toleranteste.“

„Aha.“ Das war eine lange Liste an Beschützern. Zweifellos hatte sie die Armen in ihrer Jugend wahnsinnig gemacht. „War bestimmt nicht leicht für Ihren ersten Freund.“

„Sie machen sich keine Vorstellung“, murmelte sie. „Ich dachte, er kommt damit klar. Er hatte ein sehr cooles Auto und einen Ruf als Bad Boy. Und ein Lächeln, das den Himmel auf Erden versprach … Sie warteten im Vorgarten auf ihn, als er mich abholen wollte. Mein Vater und mein Onkel.“ Sie schien gleichermaßen belustigt und verärgert. „Als er kam, nahmen sie gerade den Fisch aus, den sie am Morgen gefangen hatten. Mit fünfundzwanzig Zentimeter langen Ausbeinmessern.“

„Klingt plausibel“, sagte Pete. „Obwohl ich verstehe, wenn Sie die Messer etwas melodramatisch finden.“

„Es war ein zwei Meter großer Hai.“

„Oh.“ Sein Lächeln wurde breiter.

„Wagen Sie ja nicht zu lachen!“

„Zu Befehl, Ma’am. Aber ich bin beeindruckt.“

„Wir haben es nicht mal bis ins Kino geschafft. Der arme Junge ist mit mir zu einem Burger-Drive-Through gefahren, hat mir Pommes und einen Milchshake spendiert und mich nach einer halben Stunde wieder zu Hause abgeliefert. Er ist wahrscheinlich noch immer auf der Flucht.“

„Also, ich hätte Ihnen auch einen Burger spendiert.“ Er füllte ihr Wein nach und nahm sich noch eine Scheibe von dem frisch gebackenen Brot. „Ich habe drei Brüder, einen Vater und eine Schwester. Hallie ist die jüngste.“

„Keine Mutter?“

„Nein. Sie starb, als ich klein war. Mein Vater hat es nicht verkraftet und sich vollkommen zurückgezogen. Meine Brüder und ich haben Hallie groß gezogen. Sie würde Ihnen bestimmt gefallen. Sie könnten Geschichten mit ihr austauschen. Mein jüngster Bruder war sehr kreativ, wenn es darum ging, ihre hartnäckigen Verehrer zu vergraulen. Inzwischen arbeitet er bei Interpol. Der Hai hätte ihm auch gefallen.“

„Sind Sie sicher, dass Sie keine griechischen Vorfahren haben?“

„Keinen einzigen.“

„Und was halten Sie von Vertrauen und Ehre?“

„Sie meinen Nicos Vertrauen, dass ich Sie nicht verführe?“

Sie nickte.

„Es bringt mich beinahe um.“

Ihr Blick ging ihm durch und durch. „Aber Sie halten sich daran.“

„Nur mit Mühe.“ Das Essen hatte Petes kulinarischen Appetit mehr als gestillt. Die Dämmerung brach herein, und schwerer Jasminduft lag in der Luft. Er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass seine Ehre keine Drachme wert war, wenn er sich nicht bald verabschiedete. „Schließen Sie die Augen“, sagte er. „Versuchen Sie sich an den Bad Boy mit eigenem Auto und sein viel versprechendes Lächeln zu erinnern.“

„Warum?“ Doch sie tat, worum er sie bat. Sie saß mit dem Rücken zum Tisch, hatte die Ellbogen hinter sich aufgestützt und lehnte den Kopf zurück, als sonne sie sich im Mondlicht.

„Konzentrieren Sie sich“, murmelte er. „Sie waren im Kino und sind auf dem Weg nach Hause. Im Radio läuft Musik, die Fenster sind offen, der Wind spielt in Ihrem Haar, und Ihr junger Verehrer denkt nicht mehr an die Tranchierkünste Ihres Vaters. Er ist jung und leichtsinnig, genau wie Sie.“

Sie schürzte die Lippen. „Und dann?“

„Er hält vor Ihrem Haus.“

„Macht er den Motor aus?“

„Nein. Er ist ja nicht verrückt. Er will sich notfalls schnell aus dem Staub machen können.“

Ihre Augen waren noch immer geschlossen. „Wo ist der Hai?“

„Ihr Vater und Ihr Onkel verstauen den Rest gerade im Gefrierschrank. Das Timing ist perfekt.“

„Wofür?“, flüsterte sie.

„Dafür.“ Mit seinen Lippen streifte er ganz sanft ihren Mund, eine flüchtige Berührung, mehr nicht. Eigentlich wollte er es dabei belassen, sich verabschieden, schnell fort vom Ort der Versuchung, doch ihre Augen blieben geschlossen, und ehe er zum Nachdenken kam, waren seine Lippen wieder auf den ihren, fragend, fordernd, denn diesmal, diesmal wollte er eine Reaktion.

Die bekam er.

Serena spielte mit, weil sie selbst es so wollte. Weil sie neugierig darauf war, was dieser Mann mit dem Schlafzimmerblick und dem gefährlichen Lächeln an so einem Abend, in so einem Moment, bei so einem Kuss zu bieten hatte.

Eine Menge.

Sein wilder, köstlicher Geschmack jagte ihr Schauer über den Rücken. Sein Kuss war so fest und selbstverständlich, dass sie ihn instinktiv erwiderte und ihm mit Lippen und Zunge folgte wie bei einem Tanz, der so alt war wie die Menschheit selbst. Sie wollte mehr, berührte mit der Hand seine Wange, seinen Nacken, tauchte tief in seinen Kuss ein, als wollte sie den verwegenen Abenteurer, den Gefahrensucher in ihm ergründen. Und sie fand, was sie suchte.

Der Kuss wurde immer leidenschaftlicher.

Er murmelte etwas, das klang wie Protest, fühlte sich an wie eine Kapitulation, und überwältigte sie.

Als der Kuss vorbei war, waren ihre Sinne vernebelt. Während ihr Puls noch raste, löste sie ihre Hand scheinbar träge von seinem Hals. Sie lehnte sich zurück, stützte die Ellbogen auf den Tisch und beobachtete, wie er, genau wie sie, nach dem Kuss erst langsam wieder zur Besinnung kam. Er gab sich keine Mühe zu verbergen, wie schwer es ihm fiel.

Das gefiel ihr an ihm. Es gefiel ihr sogar sehr.

„Er wird einige Herzen brechen, wenn er so küsst“, murmelte sie.

„Du auch.“

Sie seufzte behaglich. „Sag ihm, er soll mich noch einmal küssen.“

„Nein. Sonst ist er verloren. Außerdem ist das Licht auf der Veranda gerade angegangen, und es ist höchste Zeit für mich.“

„Kommt er wieder?“

„Den wirst du so schnell nicht los. Für dich ist es der erste Kuss, für ihn vielleicht der dritte, aber von diesem Moment an wird ein Teil von ihm immer dir gehören.“

Sie lächelte geschmeichelt.

„Danke für das Essen“, sagte er leise. „Serena?“

„Was?“

„Heute Abend werde ich Nicos Vertrauen nicht missbrauchen, aber nächstes Mal wenn wir uns sehen, lade ich dich zum Essen ein. Und am Ende des Abends gehörst du mir. Ich werde in den nächsten Wochen viel von deiner Zeit beanspruchen.“

Seine Arroganz gefiel ihr. Gefiel ihr sehr.

„Und noch etwas, Serena.“ Er stand vor ihr und blickte auf sie herab wie ein dunkler Engel, der soeben vom Himmel gefallen war. „Mir ist es schnuppe, wie groß der Hai ist.“

3. KAPITEL

Pete Bennett lebte für das Fliegen. Nichts konnte daran etwas ändern. Nichts hatte je etwas daran geändert. Er war am glücklichsten mit einer Hand am Schalthebel und der anderen am Steuerknüppel des Hubschraubers, der auf die kleinste Berührung reagierte. Und Tomas’ Jet Ranger gehörte zu seinen Favoriten. Er war kein Seahawk – die Ausstattung war zum rein zivilen Gebrauch –, aber er flog sich geschmeidig, und Pete war in der Nähe des Meeres. Das reichte ihm fürs Erste.

Manchmal, wenn er dicht über dem Wasser flog, erinnerte er sich an gefährlichere Flüge und Missionen. Tja, so war das Leben. Er bemühte sich, so gut er konnte, die Geister der Vergangenheit zu vergessen und sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag.

Inselhopping mit zwei Touristen an Bord, die auf einer verschlafenen griechischen Insel übernachten wollten. Das war besonders deshalb reizvoll, weil er dann Serena wiedersah. Serena, die jede unbequeme Erinnerung aus seinem Körper vertreiben würde.

Um drei Uhr nachmittags landete er in Sathi, dem malerischen Hafen von Varanissi, half seinen Passagieren beim Aussteigen und brachte sie ins Hotel. Ihre Taschen und seine eigene trug er lässig über die Schulter geschwungen.

Während sie eincheckten und sich für den nächsten Morgen verabredeten, war die gestrenge Chloe nirgends zu sehen. Dieses Glück war ihm mit dem Jungen Sam nicht beschieden. Das Kind drückte sich seit seiner Ankunft in der Hotelhalle herum. Als Pete aufbrechen wollte, lief der kleine Sam ihm nach.

„Bleiben Sie nicht hier?“, sagte er.

Pete schüttelte den Kopf. „Ich übernachte bei Nico. In Tomas’ Zimmer.“

„Ach so.“

„Und Sam …“

„Ja?“

„Du kannst ruhig Du zu mir sagen.“

Sam schien zu überlegen, ob er dieses Angebot annehmen konnte. Dann lächelte er. „Ich wollte auch gerade dorthin. Zu Nico. Und ich kenne eine Abkürzung, soll ich sie dir zeigen?“

Pete war den Weg schon mit Nico gegangen. Doch bevor er das einwerfen konnte, ahnte Sam offenbar, was er sagen wollte. Resignation huschte über sein Gesicht, dann reckte er das Kinn und wandte den Blick ab. Wie zum Teufel war es möglich, dass ein Kind so bauernschlau und zugleich so verletzlich war, fragte sich Pete. Er wusste es nicht, aber es ging ihm unter die Haut. „Na gut“, sagte er und freute sich diebisch, dass er Sam überraschte. „Ich wollte eigentlich erst Serena Hallo sagen. Komm doch mit. Ich freu mich über Gesellschaft.“ Das war nicht gelogen. Wenn Sam dabei war, lief er weniger Gefahr, Serena sofort an sich zu ziehen, wenn er sie sah.

Und wenn er an seine wilden Fantasien mit ihr dachte, war das wahrscheinlich besser so.

Vier Tage. Vier endlose Sommertage. So lange wartete Serena schon darauf, dass der verdammte Hubschrauber über die Insel flog und landete, und dann musste sie noch eine weitere geschlagene Stunde Geduld haben, ehe der Pilot sich bei ihrem brandneuen blauen Sonnenschirm neben dem Vespaschuppen blicken ließ. In der Zwischenzeit hatte Serena die Erinnerung an Pete Bennetts Küsse mindestens tausend Mal vor ihrem inneren Auge ablaufen lassen, und jede Faser ihres Körpers schrie nach mehr.

Doch er war nicht allein. Neben ihm lief Sam her, misstrauisch und still zwar, aber er war da. Sie konnte es also vergessen, sich hier und jetzt in Supermans Arme zu werfen.

„Hey Matrose“, sagte sie lächelnd zu Sam, der für morgen einen Tag auf Nicos Boot ausgehandelt hatte. Morgen war Samstag, und Chloe hatte es erlaubt, wenn er dafür die ganze Woche zur Schule ging. „Ich habe eine Nachricht für dich. Nico sagt, er holt dich morgen früh um halb fünf ab. Und ich spreche aus Erfahrung, wenn ich dir rate, pünktlich zu sein, denn die Flut wartet auf niemanden, und Nico auch nicht. Du sollst einen Pullover überziehen und einen Sonnenhut mitbringen. Um die Arbeitshandschuhe sollst du dir keine Sorgen machen. Er hat welche gefunden, die dir passen.“

Serena sah, wie Sams Gesicht leuchtete, ein flüchtiges Grinsen, das ebenso schnell verschwand, wie es gekommen war, aber sie hatte es gesehen, und auch die Heldenverehrung für ihren Cousin. „Aber erstmal habe ich hier eine Vespa, die stottert und zischt, und ich brauche jemanden, der ein bisschen damit hin und her fährt, um zu sehen, ob etwas kaputt ist.“

„Was krieg ich dafür?“, sagte Sam.

„Erfahrung“, sagte sie trocken und gab ihm einen Helm. „Der Motorroller, den du testen sollst, ist vielleicht der zweitschnellste auf der Insel.“

„Tante Chloe hat es also geschluckt?“, fragte Pete, während sie Sam dabei zusahen, wie er den Helm aufsetzte, den Motorroller startete und langsam am Zaun entlangtuckerte. „Das soll der zweitschnellste Roller der Insel sein?“

„Ehrlich gesagt, nein. Nicht mehr. Vielleicht war er das vor dreißig Jahren mal.“ Inzwischen war er der langsamste, den sie vermietete. „Und Chloe hat vor zwei Tagen nachgegeben, nachdem sie zwei weitere Male in das Büro des Schuldirektors bestellt worden ist.“ Bergab lief die Vespa wie geschmiert, doch bergauf stotterte sie ungesund. „Ich glaube, das gute Stück braucht neue Zündkerzen.“

„Entweder das oder ein anständiges Begräbnis“, meinte Pete.

„Hier werden alte Sachen nicht einfach entsorgt“, sagte sie. „Außerdem wird es höchste Zeit, dass du dich mal wieder blicken lässt.“

Pete Bennett lächelte. „Hast du mich vermisst?“

„Vielleicht. Hast du mich vermisst?“

„Natürlich. Was glaubst du, wie viele anbetungswürdige Frauen ich kenne?“

„Wie bitte?“

„Schon gut. Ich wollte schon viel eher zurückkommen“, murmelte er. „Leider kennen nicht viele Menschen diese Insel. Es ist höchste Zeit für dein Postkarten-Projekt.“

„Ich arbeite daran.“ Neugierig musterte sie seine Reisetasche. „Bleibst du über Nacht?“

Er nickte. „Wann bist du hier fertig?“

„Die letzte Vespa sollte um fünf wieder hier sein, spätestens um halb sechs“, sagte sie. „Warum? Was hast du vor?“

„Ich würde gern auf den Berg steigen.“

„Welchen Berg?“ Sie folgte seinem Blick zu dem Berg, der hinter ihnen aufragte. „Ach, der Berg.“ Sie war schon oben gewesen. Es war kein leichter Aufstieg. „Das ist ein ziemlich hoher Berg.“

„Sam sagt, es führt ein Weg hinauf.“

„Na ja, das stimmt. Den gibt es. Wenn man eine Ziege ist.“

„Und dass man von dort oben die ganze Insel überblicken kann.“

Das ließ sich nicht leugnen.

„Nimm deine Kamera mit. Du kannst den Sonnenuntergang fotografieren.“

Sie war genau seit fünf Monaten und vier Tagen hier. Mittlerweile hatte sie einfach alles fotografiert, und zwar so oft, dass es ihr bald zu den Ohren hinauskam. Auch den Sonnenuntergang. „Ich brauche schon etwas mehr Anreiz.“

„Bewegung hält fit.“

„Ich glaube, du musst noch einiges über Frauen lernen.“

„Komm schon, Rena. Wolltest du nie den Himmel berühren?“

Er besaß die Seele eines Dichters. Und das Lächeln eines Teufels. Serena konnte keinem von beidem widerstehen. „Na gut. Ich gebe mich geschlagen. Wir steigen auf den Gipfel und berühren den Himmel.“

Sein Lächeln versprach mehr, viel, viel mehr, und sie wusste, dass er sie nicht enttäuschen würde. „Du wirst es nicht bereuen“, murmelte er.

„Ich bereue nie etwas.“

Bis sie das letzte Motorrad in den Schuppen geschoben hatten, war es halb sechs, und Serena hatte Sam nach Hause geschickt. Und es ging auf sechs zu, bis sie gemeinsam die Kühltasche und die Geldkassette zum Haus gebracht hatten. Es war noch früh genug, um bei Tageslicht auf den Gipfel zu kommen, aber für den Abstieg würde es nicht mehr reichen. Serena packte eine Fackel und zwei Wasserflaschen in eine kleine Segeltuchtasche und schwang sie über die Schulter. „Fertig?“

Mit einer galanten Geste, die ihm so selbstverständlich war wie das Atmen, nahm Pete ihr die Tasche ab. „Du gehst voran.“

Sie führte ihn hinter dem weißen Häuschen über die Asphaltstraße zu dem Ziegenpfad. Wenn es etwas gab, woran sie sich auf Varanissi gewöhnt hatte, dann war es Bergsteigen. Seit ihre Beine nicht mehr protestierten, genoss sie es sogar. Sie war gesund. Fit. Dennoch hatte sie irgendwie das Gefühl, dass Pete mit seinem lässigen Schritt und ruhigen Atem sie jederzeit überholen konnte, wenn er wollte. Sie beschleunigte ihren Schritt.

Eine gute Stunde später waren sie am Ziel: ein trostloses Plateau, dass zu drei Seiten steil abfiel. Doch was das steinige, karge Plateau an Schönheit vermissen ließ, machte der Panoramablick über das Dorf und den Hafen mehr als wett.

Die Insel hatte Charme. Das ließ sich nicht leugnen. Und die Menschen hier waren sympathisch.

Doch die Welt hatte mehr zu bieten, und Serenas Träume zogen sie fort. Auch Pete Bennett hatte große Träume. Sie spürte die Rastlosigkeit in ihm, das brennende Verlangen voranzukommen, immer weiter … zu laufen, zu fliegen. „Du liebst es, hier oben zu sein, nicht wahr?“

„Ja“, sagte er einfach und blickte in den Himmel. „Es ist fast so gut wie zu fliegen.“

„Warum Hubschrauber?“, fragte sie. „Warum fliegst du keine Flugzeuge?“

„Ich kann beides“, sagte er. „Aber Hubschrauber reagieren empfindlicher, es sind sensiblere Maschinen als Flugzeuge. Bei Flugzeugen geht es um Kraft. Bei Hubschraubern um Finesse.“

„Du fliegst auch Flugzeuge?“

Er lächelte verschmitzt. „Ich fliege alles, Serena.“

„War es schon immer dein Traum, zu fliegen?“

„Seit ich auf dem Schoß meiner Mutter den Piloten der Royal Australian Air Force in Richmond bei ihren Touch-and-Go-Manövern zugesehen habe.“

„Was ist Touch-and-Go?“

„Man landet das Flugzeug, setzt die Räder auf und startet dann durch, ohne anzuhalten. Was ist mit dir?“ Er deutete auf die Kamera um ihren Hals. „Wolltest du auch schon immer Fotografin werden?“

„Nicht immer. Ich habe einiges ausprobiert. Restaurants geführt und eingerichtet, eine Marke für unsere Läden entwickelt, Artikel für Zeitschriften geschrieben. Aber ich komme immer wieder zu meiner Kamera zurück. Ich möchte mit meinen Bildern Geschichten erzählen.“ Sie trank einen Schluck Wasser und sah Pete zu, wie er dasselbe tat. Er stillte seinen Durst auf dieselbe Art, wie er den Berg hinaufgestiegen war: mühelos und genießerisch. „Du hast deine Kindheit also hauptsächlich am Zaun der benachbarten Militärbasis verbracht. Und dann? Wie bist du Pilot geworden?“

„Ich wollte eigentlich zur Air Force, aber eines Tages fand ich mich zufällig auf einem Deck voller Navy Seahawks wieder, und da war es um mich geschehen. Das war es, was ich wollte.“

„Du warst bei der Navy?“ Das schien überhaupt nicht zu seinem sorglosen Bad-Boy-Image zu passen. „Und die Disziplin? Die ganzen Regeln und Vorschriften? Pflichterfüllung und so weiter?“

„Was soll damit sein?“ Er sah sie fragend an.

Sie beschloss, nicht um den heißen Brei herumzureden. „Du scheinst mir einfach nicht der Typ dafür zu sein.“

„Dann sieh noch mal genau hin“, erwiderte er deutlich kühler.

Gute Idee. Exzellente Idee. Sie nahm die Schutzkappe von der Kamera und betrachtete ihn durch das Objektiv. „Okay, jetzt sehe ich es.“ Doch nur, weil er es zuließ. Mit diesem Aspekt seiner Persönlichkeit hielt der Playboy Pete Bennett lieber hinterm Berg. Sie machte ein Foto, und dann noch eins. „Wie lange warst du in der Navy?“

„Bei der regulären Staffel? Sieben Jahre.“

„Und dann?“

„Dann wechselte ich zum Seenotrettungsdienst.“

„Für wie lange?“ Seine Miene ermutigte sie nicht gerade, weiter zu fragen.

„Acht Jahre.“

Er wandte den Blick ab, ganz in sich gekehrt, doch es gelang ihr, mit der Kamera einen tief sitzenden Schmerz in seinem Gesicht einzufangen. Sie war neugierig, warum ein Mann, der fünfzehn Jahre gedient hatte, nun Touristen über die Inseln flog und ernsthaft erwog, für ein Frachtunternehmen in Papua Neu-Guinea zu arbeiten. Niemand würde so einen Job grundlos aufgeben. Oder doch? „Fehlt es dir?“

„Fehlt mir was?“

„Die sturmgepeitschte See. Der Adrenalinstoß, wenn man gegen die Elemente kämpft. Ziemlich heldenhaft.“

„Ich bin kein Held, Serena. Ganz im Gegenteil. Wenn du das in mir siehst, muss ich dich bitter enttäuschen“, sagte er leise.

„Danke für die Warnung“, erwiderte sie trocken. „Weißt du, mein Vater ist Fischer in vierter Generation. Meine Brüder sind Fischer. Meine Cousins sind Fischer. Ich weiß, nach wem sie Ausschau halten, wenn sie in stürmischer See unterzugehen drohen und auf ein Wunder hoffen. Ich glaube, du bist ähnlich.“

„Das war einmal.“ Der unbekümmerte Charmeur war verschwunden, ersetzt durch einen verschlossenen Krieger. Hatte sie den Filou unwiderstehlich gefunden, so nahm ihr der Krieger vollends den Atem. „Mach deine Fotos“, sagte er, doch das hatte sie längst, und diese Bilder würden bestimmt nicht für Ansichtskarten taugen.

„Komm her“, sagte sie leise, und er erwiderte ihren Blick vorsichtig und aus unergründlichen Gründen verletzt. Seine dunklen Augen trotzten ihrem forschenden Blick. Er würde ihre Fragen nicht beantworten, doch für heute war es sowieso genug. Das Geheimnis eines guten Interviews war, das Vertrauen seines Gegenübers zu erlangen. Wenn man nicht weiterkam, musste man sich zurückziehen und später aus einer anderen Richtung angreifen.

Er machte einen Schritt auf sie zu, stand mit verschlossener Miene vor ihr, die Hände in den Taschen. „Näher“, sagte sie, legte eine Hand an seine Brust und küsste ihn sanft auf die Lippen. „Das ist dafür, dass du dich verpflichtet hast, dein Land zu verteidigen – auch wenn der Grund dafür ein paar Navy-Hubschrauber waren.“ Wieder berührte sie seine Lippen und ließ sich diesmal etwas mehr Zeit. Sein Blick verdunkelte sich. „Und das ist dafür, dass du dein Leben riskiert hast, um andere zu retten, tagein, tagaus, acht Jahre lang.“ Sie ließ die Hand zu seiner Schulter gleiten, und diesmal war ihr Kuss mehr als ein Flüstern. Sie spürte, wie er den Kuss erwiderte, und bemerkte zufrieden, wie die Hitze des Kusses den dunklen Schatten aus seinem Blick vertrieb.

„Und wofür war das?“, murmelte er.

„Für das Abendessen“, sagte sie und schlenderte zum südlichen Rand des Plateaus. „Du lädst mich doch bestimmt ein, oder?“

Er führte sie in ein kleines Restaurant oben in den Bergen. Dorthin, wo der Fischeintopf angeblich so gut schmeckte wie nirgendwo sonst und die Luft so dünn war, dass er tief durchatmen musste, wann immer Serena ihn ansah. Sie trug ein cremefarbenes tief dekolletiertes Kleid mit zarten Trägern. Vorn war es mit kleinen Knöpfen besetzt, die es ihm fast unmöglich machten, sich zu konzentrieren, und ihr Blick forderte ihn heraus, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen. „Umwerfendes Kleid für ein erstes Rendezvous.“ Seine Lippen berührten ihr Haar, als er ihr den Stuhl zurechtrückte. „Aber es ist nicht blau.“

„Du dachtest, ich würde das blaue tragen?“, sagte sie mit verschmitztem Lächeln.

„Ich habe mich sogar darauf gefreut“, sagte er.

„Tut mir leid, dass ich dich enttäusche.“

„Das hast du nicht. So habe ich noch etwas, auf das ich mich freuen kann.“

„Ich spare es mir auf“, sagte sie.

„Wofür?“

„Für den Trevi-Brunnen.“

Gute Antwort. Er war ein Meister der Verführung. Er liebte das Spiel, die Jagd und die Verfolgung. Besonders gefiel es ihm, wenn seine Beute ihm den Kampf ansagte.

„Leider sind meine Möglichkeiten, dorthin zu kommen, im Moment eher begrenzt“, fügte sie seufzend hinzu. „Und du bist doch bei Tomas’ Charterfirma sicher auch nicht abkömmlich. Zu deinem Glück habe ich eine andere Idee.“ Sie lehnte sich zurück und lächelte. „Es hat nicht mit einem Brunnen zu tun und auch nicht mit einem blauen Kleid, aber dafür mit Wasser.“ Doch bevor sie mehr verriet, wechselte sie lächelnd das Thema. „Erzähl mir von deiner Familie.“

„Habe ich doch schon“, sagte er.

„Ich möchte aber noch mehr über sie erfahren.“

Gewöhnlich redete er nicht über seine Familie. Doch hier, an diesem Ort, lehnte er sich entspannt zurück und begann zu erzählen. „Mein Vater wohnt in Sydney. Er ist Wissenschaftler – ein Experte für altertümliche chinesische Keramik. Meine Schwester ist verheiratet und lebt in London. Sie hat die Leidenschaft für Keramik von unserem Vater geerbt. Dann ist da noch Tristan, der für Interpol arbeitet. Er hat letztes Weihnachten geheiratet und wohnt jetzt wieder in Sydney.“ Bei dem Gedanken schüttelte Pete...

Autor

Heidi Rice
<p>Heidi Rice wurde in London geboren, wo sie auch heute lebt – mit ihren beiden Söhnen, die sich gern mal streiten, und ihrem glücklicherweise sehr geduldigen Ehemann, der sie unterstützt, wo er kann. Heidi liebt zwar England, verbringt aber auch alle zwei Jahre ein paar Wochen in den Staaten: Sie...
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Susan Stephens
<p>Das erste Buch der britischen Schriftstellerin Susan Stephens erschien im Jahr 2002. Insgesamt wurden bisher 30 Bücher veröffentlicht, viele gehören zu einer Serie wie beispielsweise “Latin Lovers” oder “Foreign Affairs”. Als Kind las Susan Stephens gern die Märchen der Gebrüder Grimm. Ihr Studium beendete die Autorin mit einem MA in...
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