Bianca Exklusiv Band 394

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WENN SANTA CLAUS DEN AMOR SPIELT … von MICHELLE MAJOR

Nicht gerade freundlich, aber umwerfend attraktiv: April weiß nicht, was sie von dem Schriftsteller Connor Pierce halten soll, mit dem sie Weihnachten auf der Hütte verbringen wird. Zum Glück ist sie nur die Haushälterin des Machos. Aber warum erwacht in ihr der Wunsch nach mehr?

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KALTER SCHNEE UND HEISSE KÜSSE von TRACY MADISON

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  • Erscheinungstag 08.11.2025
  • Bandnummer 394
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531191
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Major, Meg Maxwell, Tracy Madison

BIANCA EXKLUSIV BAND 394

Michelle Major

1. KAPITEL

„Es ist so weiß hier.“

April Sanders warf einen Blick in den Rückspiegel, während sie die Straße entlangfuhr, die sich den Crimson Mountain hinaufschlängelte. Ihr Blick fiel auf das mürrisch dreinblickende zwölfjährige Mädchen, das aus dem Fenster des Geländewagens starrte.

„Es ist hübsch hier, nicht wahr?“, fragte April hoffnungsvoll. „So friedlich.“ Sie hatte die Berge im Winter lieben gelernt, überraschenderweise besonders an bewölkten Tagen. Die gedeckten Farben brachten eine Stille mit sich, die in April widerklang.

„Es ist weiß“, wiederholte Ranie vom Rücksitz. „Weiß ist langweilig.“

„Ich mag Schnee“, erklärte Ranies fünfjährige Schwester Shay von ihrem Kindersitz aus. So sonnig das Gemüt der Kleinen war, so mürrisch war Ranie.

April konnte Ranie ihre Launen nicht vorwerfen. Die Geschwister hatten miterleben müssen, wie ihre Mutter einen langen Kampf gegen Krebs ausgefochten und diesen schließlich verloren hatte. Danach hatten sie eine Woche auf der Ausziehcouch ihrer Tante verbracht, bevor sie in Colorado bei April gelandet waren.

Selbst das würde – konnte – nicht von Dauer sein. Zumindest war es das, was April sich sagte. Der Gedanke, diese beiden Mädchen aufzuziehen, so wie es Ranies und Shays Mutter in ihrem Testament festgelegt hatte, machte ihr mehr Angst als alles andere, dem sie sich in ihrem bisherigen Leben hatte stellen müssen. Mehr als ihr eigener Kampf gegen Brustkrebs. Mehr als die demütigende Scheidung von ihrem berühmten Hollywood-Direktor-Ehemann. Mehr als sich wieder ein Stück eigenes Leben in dem kleinen Ort Crimson, Colorado, aufzubauen. Mehr als …

„Können wir vor deinem Haus einen Schneemann bauen?“, unterbrach die kleine Shay Aprils dunkle Gedanken.

„Du kannst nicht rausgehen“, warnte Ranie ihre Schwester. „Deine Finger werden erfrieren.“

„Niemandem werden die Finger erfrieren“, bemerkte April rasch, als sie hörte, wie Shay erschrocken nach Luft schnappte. „Ihr habt doch jetzt beide Wintersachen. Inklusive warmer Anoraks und Handschuhe.“

Nachdem sie die Mädchen am Flughafen in Denver abgeholt hatte, war sie mit ihnen zu einem nahegelegenen Sportgeschäft gefahren. April hatte ihnen alles gekauft, was sie für ihren zweiwöchigen Aufenthalt in den Bergen benötigten. „Natürlich können wir einen Schneemann bauen. Sogar eine ganze Familie, wenn ihr möchtet.“

„Wir wollen aber zurück nach Kalifornien.“

April brauchte nicht erneut in den Rückspiegel zu schauen, um zu wissen, dass Ranies finsterer Blick auf ihren Hinterkopf gerichtet war.

„Mom ist mit uns an Weihnachten immer an den Strand gefahren. Warum hat Tante Tracy uns nicht mit nach Hawaii genommen? Warum bist du nicht nach Santa Barbara gekommen? Du hast doch früher selbst in L. A. gelebt. Ich weiß noch, dass du uns oft besucht hast, als ich noch klein war und Mom zum ersten Mal krank wurde.“

Als Erinnerungen an ihre Freundin Jill in April aufstiegen, umklammerte sie das Lenkrad noch fester. Sie gab in der Kurve etwas zu viel Gas und spürte, wie der Wagen leicht ins Schleudern geriet. Sie ignorierte die panischen Aufschreie vom Hintersitz, ging vom Gas runter und brachte den Geländewagen rasch wieder unter Kontrolle.

„Es ist alles in Ordnung“, versicherte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Die Straße ist vereist, aber wir sind bald zu Hause.“ Sie riskierte einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass Ranie über den freien Mittelsitz hinweg Shays Hand ergriffen hatte. Die Mädchen hielten sich fest, als ob ihr Leben davon abhinge.

Der Anblick brach April fast das Herz.

Kurz darauf bog sie in den von Schnee geräumten Zufahrtsweg, der zur Cloud Cabin führte. Die „Wildnis-Erfahrung“, wie es in der Broschüre hieß, war ein Ableger der Crimson Ranch, der bekannten Gäste-Ranch im Tal, und war erst in diesem Herbst eröffnet worden. Die Besitzer waren Aprils beste Freundin, die Schauspielerin Sara Travers, und deren Mann Josh. April war vor drei Jahren mit Sara nach Crimson gekommen; sie waren beide von ihren Leben in Hollywood ausgebrannt und gezeichnet gewesen.

April wusste, dass diese Kleinstadt heilen konnte, wenn man es zuließ. Crimson – und Joshs Liebe – hatte das für Sara getan. April selbst hatte sich noch nicht erlaubt, ein richtiger Teil der Gemeinschaft zu werden.

Sie lenkte den Wagen an den Straßenrand und hielt an. Dann wandte sie sich den jungen Passagieren auf dem Rücksitz zu, die sie argwöhnisch anschauten.

„Es tut mir wirklich leid, dass eure Tante ihre Urlaubspläne nicht mehr ändern konnte.“ Frustration und Wut stiegen in ihr auf, als sie daran dachte, wie gleichgültig Tracy sich ihren Nichten gegenüber verhalten hatte. Sie hatte alles daran gesetzt, die Mädchen nicht mitnehmen zu müssen. „Es tut mir auch leid, dass ich nicht nach Kalifornien kommen konnte. Ich hatte mich schon für einen Job verpflichtet, den ich leider nicht absagen konnte.“

„Ich dachte, du bist Yogalehrerin.“ Ranie entzog Shay ihre Hand. „Wer macht schon Yoga im Schnee?“

„Niemand, den ich kenne.“ April wäre jetzt am liebsten nach hinten gegangen und hätte die beiden unglücklichen Mädchen in die Arme gezogen, um etwas von ihrem offensichtlichen Schmerz zu lindern. „Über Weihnachten kommt ein Gast in die Cloud Cabin. Ich muss dafür sorgen, dass er sich hier wohlfühlt. Er ist Schriftsteller und muss ein Buch zu Ende schreiben. Die Abgeschiedenheit hier in den Bergen soll seiner Konzentration förderlich sein.“

Zeitlich wurde es bereits knapp, die Fahrt zum und vom Flughafen hatte ihre Ankunft an der Cloud Cabin um einige Stunden verzögert. „Ich muss für ihn kochen, den Haushalt machen und …“

Ranie gab einen verächtlichen Laut von sich. „So wie ein Dienstmädchen?“

„Nein, ich sorge und kümmere mich um Menschen“, verbesserte April sie.

„So, wie du dich um uns kümmerst, weil Mommy gestorben ist?“ Shays Stimme klang traurig, aber mitfühlend.

„Ja, das tue ich, Liebes“, flüsterte April. Plötzlich fühlte sich ihre Kehle wie zugeschnürt an. Sie lächelte Ranie an, aber der Blick des Mädchens blieb kritisch, so als ob es wüsste, dass sie von April keine sichere Zukunft erwarten konnten.

April schaute zu Shay hinüber. „Nur noch ein paar hundert Meter, und wir sind da.“ Sie wandte sich wieder dem Armaturenbrett zu und stellte einen Radiosender ein, den man sogar hier in dieser abgelegenen Gegend empfangen konnte. „Wie wäre es mit ein wenig Musik? Habt ihr ein Lieblings-Weihnachtslied?“

„Rudolph“, rief Shay und klatschte in die Hände.

April lenkte den Wagen wieder auf die Straße und fuhr weiter. „Und du, Ranie?“

„Ich hasse Weihnachtsmusik“, murmelte das Mädchen und fügte dann lauter hinzu: „Aber nicht so sehr, wie ich dich hasse.“

Obwohl die Worte des Mädchens ihr wie ein Dolchstoß ins Herz drangen, ignorierte April sie. Stattdessen drehte sie die Lautstärke des Radios auf, und wenig später tauchte Cloud Cabin vor ihnen auf. Ein Fahrer würde Connor Pierce vom Flughafen in Aspen abholen. Die Tatsache, dass die Fenster der Cabin noch dunkel waren, gab ihr Hoffnung, dass sie wenigstens vor ihm ankommen würde.

April brauchte jedes Quäntchen Glück, damit sie die nächsten zwei Wochen erfolgreich überstehen konnte.

„Keine Kinder.“

Connor Pierce brummte diese beiden Worte, sobald die schlanke Rothaarige in die Küche kam. Vielleicht hätte er damit warten sollen, bis sie ihn entdeckt hätte. So aber zuckte sie erschrocken zusammen, ließ die Einkaufstüte fallen und presste eine Hand gegen ihre Brust.

Sie schaute mit weit aufgerissenen braunen Augen zu ihm hinüber. Eine Frau halb zu Tode zu erschrecken, war eine neue Erfahrung für Connor, aber er konnte es nicht ändern. „Die Mädchen müssen wieder gehen“, fuhr er die Frau an. „Sofort.“

Sie erholte sich schneller, als er es erwartet hätte, und straffte ihre Schultern. „Wer sind Sie?“

Die Tatsache, dass sie trotz seiner schlechten Laune standfest blieb, war ungewöhnlich. Die meisten Leute, die er kannte, hätten schon das Weite gesucht. „Was ist das für eine Frage?“

Ihre Augen verengten sich. „Die Art von Frage, die ich beantwortet haben möchte.“

„Ich bin hier zahlender Gast“, sagte er langsam, jedes einzelne Wort betonend.

„Mr. Pierce?“ Sie schluckte und sah ihn prüfend an.

„Connor.“

„Sie sehen aber nicht wie auf dem Foto auf Ihrer Website aus.“

„Dieses Bild wurde vor langer Zeit gemacht.“ In einer Zeit, als er noch leicht übergewichtig und glücklich und sein Herz noch nicht bei lebendigem Leibe herausgerissen worden war. Als er noch die Augen schließen und keinen Wagen, der in Flammen aufging, sehen konnte und seine Hilflosigkeit nicht wie ein Schraubstock seine Brust umklammerte.

Sie fragte nicht weiter, obwohl er Neugierde in ihren Augen aufblitzen sah. Stattdessen lächelte sie. „Willkommen in Colorado. Es tut mir leid, dass Sie vor mir hier waren.“ Sie bückte sich, um ihre Einkäufe aufzusammeln. „Man hat mir gesagt, dass Sie erst später am Nachmittag ankommen würden.“

Ihr Lächeln überrumpelte ihn genauso wie ihre direkte offene Art. „Ich habe einen früheren Flug genommen.“

Nachdem sie die Einkaufstüte auf den Tresen gestellt hatte, kam sie auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin April Sanders. Ich werde dafür sorgen, dass Sie sich hier wohlfühlen.“

„Ich möchte, dass die Kinder wieder gehen.“ Obwohl es unhöflich war, ergriff er nicht ihre Hand. Sie war hochgewachsen, aber immer noch mindestens zehn Zentimeter kleiner als er. Ihr langes Haar trug sie im Nacken zusammengebunden, und er konnte die zarte blasse Haust ihres Halses über dem Kragen ihrer Daunenjacke sehen. Das Licht in ihren Augen erlosch, als sie die Hand fallen ließ.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Ich habe Sie kommen sehen“, erklärte er und zeigte aus dem Fenster zur Einfahrt. „Sind das Ihre Töchter?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Sie können nicht hierbleiben.“

„Sie bleiben nicht hier. Sie werden mit mir im Nachbarhaus wohnen.“

„Das spielt keine Rolle.“ Als die Mädchen aus dem Geländewagen gestiegen waren, waren ihre Stimmen zu ihm herübergeweht. Die Ältere, deren dunkelblondes Haar zu einem Zopf geflochten war, hatte mit hochgezogenen Schultern und verschränkten Armen den Wald um das Haus betrachtet. Connor hatte ungewollt Sympathie für das Mädchen empfunden. Offensichtlich wollte sie genauso wenig in dieser idyllischen Winterwelt gefangen sein wie er selbst.

Es war das jüngere Mädchen mit dem Lockenschopf, das unerwartete Erinnerungen in ihm hervorrief. Sie hatte einen begeisterten Laut von sich gegeben, als ein einzelnes Streifenhörnchen am Geländewagen vorbeilief. Ihr hohes kindliches Lachen hatte sich in Connors Gehirn gefräst, am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten, um das Geräusch auszusperren. Nichts war schmerzhafter als die Erinnerungen, die dieses Lachen in ihm hervorrief.

Dieses unschuldige Mädchen war gefährlich und bedrohte seine Stabilität. „Ich bin hier, um zu arbeiten.“ Er hielt den Blick weiter auf das Fenster gerichtet. „Ich brauche meine Privatsphäre.“

„Ich werde dafür sorgen, dass Sie sie haben.“

„Die habe ich nicht, wenn Kinder um mich sind.“

Sie hatte sich so leise bewegt, dass er April Sanders erst bemerkte, als sie fast neben ihm stand. Im Licht der Nachmittagssonne sah sie jung und unschuldig aus. Er hatte noch nie etwas Zarteres als ihre Haut gesehen, und er verspürte den plötzlichen Wunsch, mit dem Finger über ihre Wange zu streichen.

Es war ein lächerlicher Gedanke. Connor berührte nie Menschen, wenn er es vermeiden konnte. Zumindest nicht in den letzten drei Jahren. Seit er die kalifornische Küste entlanggefahren und die Hand seiner Frau das letzte Mal gehalten hatte.

Obwohl er wusste, dass es nicht stimmte, hatte er sich selbst davon überzeugt, dass er die Erinnerung an seine Frau und seinen Sohn am ehesten am Leben erhalten könnte, wenn er jeden physischen Kontakt mit anderen Menschen mied. So einen Impuls wie eben hatte er seit Jahren nicht mehr gespürt.

Die Tatsache, dass diese Frau – diese Fremde – in ihm den Wunsch auslöste, sich zu ändern, machte ihm fast so viel Angst wie die Deadline für sein Buch, die wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf hing. Er trat einen Schritt vor.

„Sie können sonst nirgendwohin.“ Ihr Tonfall blieb ruhig, aber der verzweifelte Ausdruck in ihren Augen verriet sie. „Ich verspreche Ihnen, dass sie Sie nicht stören werden.“

Connor lief um April herum, griff nach dem Zettel, der auf dem Tisch lag, und holte sein Handy hervor. „Ich werde Sara Travers anrufen.“

„Nein.“ April riss ihm das Papier mit den Kontaktinformationen der Crimson Ranch aus der Hand. „Das dürfen Sie nicht.“ Die Unverschämtheit ihrer Aktion ließ ihn für einen Moment erstarren.

„Wollen Sie mich gegen meinen Willen hier festhalten?“ Bei diesem Gedanken hätte er fast gelacht, aber sein Lachen war ebenfalls eingerostet. „Ich werde meinen Verleger anrufen, der kann dann Sara kontaktieren. Ich nehme an, sie ist Ihre Chefin?“

„Bitte nicht.“ Ihre Stimme zitterte, und in Connor begannen Alarmglocken zu schrillen.

„Sie werden doch jetzt nicht weinen, oder?“

Sie holte tief Luft und blinzelte einige Male. „Auf der Ranch ist Sara meine Chefin, aber sie ist auch meine Freundin. Sie und Josh sind in Urlaub gefahren und ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.“ Aprils Stimme war ruhiger geworden, fast resigniert. „Sie weiß nicht, dass Ranie und Shay hier sind. Wenn Sie es ihr sagen …“

„Wird Sie sie auffordern, die Kinder wieder loszuwerden?“, fragte er mit einem Anflug von Triumph.

„Im Gegenteil. Sie würde wollen, dass ich sie behalte.“

Jetzt wurde er gegen seinen Willen neugierig. „Wer sind diese Mädchen?“ Als April ihn nur anstarrte, legte Connor sein Handy auf den Tisch. „Sagen Sie mir, warum ich die Mädchen dulden sollte?“, forderte er April auf – und konnte selbst nicht glauben, dass er diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zog.

2. KAPITEL

Aprils Gedanken wirbelten wild durcheinander, während Connor die Arme vor der Brust verschränkte. Seine Bizepse wölbten sich unter dem grauen Berkeley T-Shirt. Er war ganz und gar nicht der Mann, den sie erwartet hatte.

Connor Pierce war ein bekannter Schriftsteller – nicht ganz so berühmt wie John Grisham, aber nach den Reviews und Lobeshymnen seiner ersten beiden Bücher zu schließen, könnte er es schaffen, in dessen Fußstapfen zu treten. Sie hatte sich seine Website angesehen, nachdem Sara sie gefragt hatte, ob sie ihr den Gefallen tun könnte, zwei Wochen nach dem Schriftsteller zu sehen.

April hatte Vollzeit auf der Crimson Ranch gearbeitet, als sie und Sara zuerst nach Colorado gekommen waren. Seit dem letzten Jahr nahmen allerdings die Yoga-Kurse, die sie im Gemeindezentrum und in einem Studio auf halbem Weg zwischen Crimson und Aspen gab, den Großteil ihrer Zeit in Anspruch. Da Connor Pierce sich jedoch sehr gesundheitsbewusst ernährte, hatte Sara April gebeten, für ihn zu kochen, da sie neben ihrer Tätigkeit als Yogalehrerin auch diplomierte Ernährungsberaterin war. Bevor ihr Leben in Kalifornien in die Brüche ging, hatte sie Starlets und Stars in Diäten und gesunder Ernährung unterwiesen.

Auf dem Foto seiner Website hatte Connor übergewichtig gewirkt und sie hatte sich gefragt, warum so ein Mann derart spezifische Vorschriften für sein Essen haben würde. Jetzt, wo der Mann vor ihr stand, wurde diese Frage überflüssig. Er war mindestens ein Meter neunzig groß, hatte dunkles Haar, ausdrucksstarke grüne Augen und ein attraktives Gesicht mit scharfen Gesichtszügen. Soweit sie es beurteilen konnte, besaß er kein Gramm Fett am Körper und war in etwa so freundlich wie ein Grizzlybär, der gerade aus seinem Winterschlaf erwacht war.

„Ranie und Shay haben letzten Monat ihre Mutter verloren. Zu ihrem Dad hatten sie nie groß Kontakt. Ihre Mutter Jill war eine langjährige Freundin von mir und hat mir das Sorgerecht übertragen, bevor sie starb.“ Sie atmete tief durch. Sie fühlte sich unbehaglich, etwas so Persönliches mit diesem gefühllosen Mann zu teilen. „Ich kann sie zwar nicht aufziehen, aber …“

„Warum nicht?“

„Sie stellen viele Fragen“, murmelte sie.

Als Antwort zog er nur eine Augenbraue hoch.

Sie nahm die Einkaufstüte und ging zu den Schränken und zum Kühlschrank hinüber, um die Nahrungsmittel zu verstauen. „Die Mädchen haben Verwandtschaft in Kalifornien, bei der sie auf Dauer bleiben sollten. Ich bin nicht die richtige Wahl für sie.“

Sie ignorierte ihre bebenden Finger und fuhr mit ihrer Arbeit fort. „Sie bleiben über die Feiertage bei mir. Ich kann sie nicht wegschicken. Wenn sie solch ein Problem für Sie darstellen, gehen wir wieder. Ich helfe Ihnen sich einzurichten, und Sara wird dann …“

„Sie können bleiben.“

April war gerade dabei, eine Tüte Karotten in das Gemüsefach des Kühlschranks zu legen, hielt bei seinen Worten jedoch inne. Connor stand immer noch mit verschränkten Armen auf der anderen Seite der Küche. Seine grünen Augen gaben keine Gefühle preis.

„Warum?“ Sie schloss die Kühlschranktür und trat zwei Schritte auf Connor zu. „Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?“

„Jetzt sind Sie es, die zu viele Fragen stellt!“ Er fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes Haar. „Sorgen Sie nur dafür, dass die Mädchen ruhig sind und nicht in meine Nähe kommen. Ich bin bereits sieben Monate hinter meiner vorgesehenen Deadline für mein nächstes Buch. Ich habe ich nur noch bis Anfang Januar Zeit, das Manuskript abzuliefern. Wenn ich es nicht schaffe, kündigen sie mir den Vertrag und …“

„Und?“

„Ich bin hier, um zu arbeiten“, wich er aus. „Ich muss mich konzentrieren können.“

Sie nickte. Sie wollte ihr Glück mit diesem rätselhaften Mann nicht herausfordern. „Die Nahrungsmittel, die sie sich gewünscht haben, befinden sich im Vorratsschrank und im Kühlschrank. Das Handynetz weist hier oben oft Lücken auf, aber Ihr und mein Haus haben einen Festnetzanschluss. Wenn Sie nicht anrufen und etwas anderes wünschen, steht das Abendessen um 18 Uhr für Sie bereit. Sie werden noch nicht einmal mitbekommen, dass wir hier sind.“ Sie nahm die leere Stofftasche von der Theke und wollte an ihm vorbeigehen. Doch er hielt sie zurück. Sie schaute auf seine Finger, die ihr Handgelenk umschlossen. Es war seltsam, dass die Berührung eines derart kühlen Mannes sie fast zu verbrennen schien.

„Ich werde wissen, dass Sie da sind“, stieß er hervor. „Halten Sie einfach nur die Mädchen von mir fern.“

„Das werde ich“, versprach sie. Etwas in seiner Stimme sagte ihr, dass mehr hinter seiner Forderung steckte als die Ruhe, die er für seine Arbeit benötigte.

Eine Sekunde später ließ er sie los. Sie verließ das Haus, und die kalte Winterluft schlug ihr entgegen. Sie atmete mehrere Male tief durch, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Sie würde Sara von Ranie und Shay erzählen müssen, aber noch nicht jetzt. Sie fühlte sich noch zu mitgenommen von ihrem Verlust. Sie würde noch eine Weile brauchen, um darüber reden zu können.

Sie lief über die schneebedeckte Einfahrt und machte sich Sorgen, dass sie die Kinder so lange allein gelassen hatte. In dem Häuschen war es ruhig, als sie es durch die Seitentür betrat.

Die Hütte, die für das Personal vorgesehen war, war sehr viel kleiner als Cloud Cabin. Das Gästehaus war für Familienzusammenkünfte oder größere Gästegruppen gebaut worden, die sich einmal abgeschieden in der wilden Natur Colorados erholen wollten. Zu der riesigen Wohnküche standen Connor noch fünf Schlafzimmer, zwei davon Suiten, ein Wohnzimmer sowie ein Fernseh- und Spielzimmer zur Verfügung. Hinzu kamen ein Fitnessraum, ein Dampfbad und eine Sauna im Untergeschoss. Hinter dem Haus befand sich eine große Terrasse mit Feuerstelle und Whirlpool. Allerdings hatte April Schwierigkeiten, sich Connor entspannt im heißen, blubbernden Wasser vorzustellen. Außerdem war es besser, sich ihn nicht mit nacktem Oberkörper vorzustellen, denn trotz seines schroffen Verhaltens fühlte sie sich seltsamerweise zu Connor Pierce hingezogen. Das war eine unheilvolle Kombination.

Die Mädchen waren nicht in der Küche, also ging April die Treppe hoch ins obere Stockwerk. In dem kleinen Haus gab es nur zwei Schlafzimmer, die sich auf dem schmalen Flur gegenüberlagen.

Die Häuser waren Ende des Sommers fertiggestellt worden und hatten im Herbst erst wenige Menschen beherbergt. Man hatte eigentlich keine Gäste im Winter erwartet. Bei den hiesigen Schneeverhältnissen war es nicht einfach, hier hinaufzugelangen. Aber wahrscheinlich war es gerade dieser Umstand gewesen, der Connor reizvoll erschienen war – oder zumindest kam die Abgeschiedenheit seinem Verleger ganz gelegen, der unbedingt sein Buch wollte. April wusste, dass Connors erstes Buch bereits verfilmt wurde, und sie konnte sich vorstellen, wie viel Druck auf dem Verleger wie auch dem Schriftsteller lastete, einen weiteren Bestseller zu produzieren.

Die Tür des zweiten Schlafzimmers war geschlossen, und sie musste ihr Ohr an das Holz pressen, um die Stimmen dahinter wahrzunehmen. Beide Mädchen schauten auf, als sie nach kurzem Klopfen eintrat. „Ihr wart so ruhig, dass ich schon geglaubt habe, ihr würdet schlafen.“

Ranie rollte mit den Augen. „Ich bin zwölf. Ich mach doch keine Nickerchen mehr.“

Shay lächelte. „Ich schon manchmal, aber nicht heute. Mommy hat immer viel geschlafen.“

April erinnerte sich, wie sehr die Chemotherapie ihre Freundin mitgenommen hatte. „Was macht ihr?“

Shay hielt ein seltsames Gebilde aus Wolle hoch. „Ich stricke mit den Fingern. Ich kann dir einen Schal machen, wenn du willst.“

„Oh gern.“ April setzte sich auf den Rand des Doppelbettes. „Wer hat euch das Stricken beigebracht?“

„Mommy hat es Ranie beigebracht, und Ranie hat es mir gezeigt.“ Shay wies auf ihre Schwester. „Sie ist gut. Sie kann auch mit Nadeln stricken.“

April legte sanft eine Hand auf Ranies Knie. „Darf ich es sehen?“

Das Mädchen erhob sich abrupt und schob, was sie in der Hand gehalten hatte, rasch in ihre Reisetasche. „So gut bin ich auch wieder nicht. Meine Reihen sehen nicht ordentlich aus. Es war nur etwas, das ich gemacht habe, wenn ich Mom Gesellschaft geleistet habe.“

Die ständige Zurückweisung des Mädchens verletzte April, aber sie gab sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. Erschwerend kam hinzu, dass Ranie Jill so ähnlich sah. „Eure Mom hat mir einmal einen Pullover zu Weihnachten geschenkt“, erzählte sie Shay. Sie wusste, dass auch Ranie zuhörte, auch wenn diese so tat, als würde sie sie ignorieren. „Ich habe ihn hier, falls ihr ihn mal sehen wollt.“

„Mommy machte die besten Pullover.“ Shay zog die Finger aus ihrem Machwerk. „Ich mach noch so viel falsch.“

April wollte nach der roten Wolle greifen, doch Ranie kam ihr zuvor und nahm ihrer kleinen Schwester das Strickwerk aus der Hand. „Du wirst immer besser, Shay. Ich werde die letzten Reihen aufdröseln, und dann kannst du weiterstricken.“

Shay strahlte. „Ranie ist die Beste. Sie kann dir das Stricken auch beibringen.“

„Das wäre schön.“

„Hast du nichts zu tun, April?“, fragte Ranie und schwang mit einer Kopfbewegung ihren langen Zopf über die Schulter. „Musst du nicht für diesen Schriftsteller arbeiten?“

„Ich habe noch etwas Zeit“, erwiderte April gelassen. „Hättet ihr gern einen kleinen Snack, bevor ich mit der Zubereitung des Abendessens beginne?“

Shay krabbelte zum Fenster und schaute hinaus. „Können wir jetzt einen Schneemann bauen?“

April dachte an das Versprechen, das sie Connor Pierce gegeben hatte. „Mr. Pierce muss ein Buch schreiben und braucht deswegen viel Ruhe. Ich weiß, dass es Spaß macht, im Schnee zu spielen, aber …“

„Ich kann ganz leise sein“, versicherte Shay ihr, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. „Ich und Ranie mussten leise sein, als Mommy krank war.“

„Ranie und ich“, verbesserten April und Ranie sie zur gleichen Zeit.

Als April dem älteren Mädchen zulächelte, wandte es sich sofort ab. April seufzte. Mit ihrem mürrischen Hausgast dort drüben und diesen beiden unglücklichen Mädchen hatte sie die längsten zwei Wochen ihres Lebens vor sich. „Vielleicht ist es besser, wenn wir etwas im Haus machen.“

„Er will uns nicht hier haben“, stieß Ranie anklagend hervor. „Deswegen sollen wir ruhig sein. Er will uns nicht.“

April hätte Connor Pierce in diesem Moment am liebsten gegens Schienbein oder in einen anderen Körperteil getreten. „Er muss sich konzentrieren“, sagte sie ausweichend. Die Mädchen hatten schon so viel verloren, und jetzt befanden sie sich auch noch in einem fremden Bundesstaat mit einer Frau, die zwar die Freundin ihrer Mutter gewesen war, aber bis vor Kurzem nicht wirklich viel mit ihnen zu tun gehabt hatte. „Es ist nicht wegen euch.“

„Wir können also hinaus in den Schnee gehen?“ Shay sah April erwartungsvoll an. „Es ist so langweilig, wenn wir immer im Haus bleiben müssen.“

April spürte den Blick beider Mädchen auf sich und presste ihre Finger gegen ihre Schläfen. Sie sollte sofort Sara anrufen und jemand anderen für diesen Job finden. Doch dann müsste sie Pläne für Weihnachten für sich und die Mädchen machen. Die Arbeit lenkte sie ab, sodass sie sich nicht um ihr eigenes Leben kümmern musste. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie es wäre, wenn Ranie und Shay Teil ihrer Welt wären. Was wäre, wenn es sich gut anfühlte? Was wäre, wenn sie dann etwas beginnen wollte, was von Anfang an zum Misslingen verdammt wäre?

Ein abgelegenes Haus in den Bergen und dieser schroffe Gast mochten vierzehn Tage lang eine Qual sein, aber zumindest bot diese Situation Sicherheit vor unsinnigen emotionalen Fragen. Trotzdem konnte sie nicht erwarten, dass die beiden Mädchen sich zwei Wochen lang in der kleinen Hütte aufhalten würden. Und Connor konnte das auch nicht.

„Holt die Sachen, die wir für den Schnee gekauft haben. Die Einkaufstüten sind unten im Flur“, sagte sie nach einem Moment. „Solange wir keinen Krach machen, können wir im Schnee spielen, so lange wir wollen.“

„Mommy hat sich gern ausgeruht“, bemerkte Shay. Für ihr Alter lag viel zu viel Verständnis in ihrem unschuldigen Blick. „Manchmal hat sie Kopfschmerzen von der Medizin bekommen. Darum wissen wir, wie man leise ist.“ Sie schlang kurz ihre Ärmchen um Aprils Hals, bevor sie vom Bett stieg und aus dem Zimmer lief.

Ranie starrte April immer noch finster an, und April bemühte sich, unbeschwert zu klingen. „Ich ziehe mir auch noch etwas anderes an. Mein Pullover und meine Jacke sind warm, aber nicht warm genug, wenn wir eine Weile draußen bleiben wollen.“

„Es liegt an mir, nicht wahr?“

April wandte sich Ranie zu. „Was meinst du?“

„Dieser Schriftsteller will mich nicht in seiner Nähe haben.“ Ranie sprach so leise, als redete sie zu sich selbst. „Meine Schwester kann es nicht sein. Shay liebt jeder.“

„Dass er Ruhe braucht, hat doch nichts mir dir zu tun. Mit keiner von euch beiden.“ April wagte es, eine Hand auf Ranies Rücken zu legen, und war überrascht, als das Mädchen nicht zurückzuckte. „Er ist hier, um zu arbeiten.“

„Tante Tracy hat Shay einen Badeanzug gekauft“, murmelte Ranie und ließ sich langsam aufs Bett nieder.

„Für eine Reise in den tiefsten Winter in Colorado?“

Das Mädchen umfasste den Rand ihres Shirts so fest, als wollte sie es zerreißen. „Sie wollte Shay mit ihrer Familie mit nach Hawaii nehmen.“

April schüttelte den Kopf. „Nein, deine Tante sagte mir, dass sie die Reise nur mit deinem Onkel Joe und den Jungs machen wollte.“

„Tyler und Tommy nerven“, warf Ranie ein.

April lächelte leicht. „Ich kann mir vorstellen, dass neunjährige Zwillinge anstrengend sein können.“

„Tante Tracy hat sich immer ein kleines Mädchen gewünscht. Ich habe gehört, wie Mom vor ihrem Tod mit ihr gesprochen hat. Mom hat sich gewünscht, dass wir bei Tracy leben, aber meine Tante wollte nur Shay haben.“ Die Stimme des jungen Mädchens war brüchig geworden. „Sie wollte mich nicht.“

„Oh, Ranie, nein, da irrst du dich“, flüsterte April, obwohl sie ahnte, dass das Mädchen die Wahrheit sagte. Jills Schwester war genau der Typ Frau, der gefühllos genug war, um nur eines der beiden Mädchen nehmen zu wollen. Aber wie konnte April sie verurteilen, wenn sie selbst noch nicht einmal bereit war, eines der Mädchen aufzuziehen?

Allerdings war ihr zumindest klar, dass die Schwestern zusammenbleiben mussten. „Ich habe mit deiner Tante gesprochen, bevor sie in den Urlaub fuhr. Wir haben Anfang Januar ein Treffen mit einem Anwalt vereinbart. Ihr bleibt nur über die Feiertage bei mir. Eure Tante wird euch danach zu sich nehmen. Dann seid ihr wieder in Kalifornien und …“

„Sie will mich nicht“, stieß Ranie bitter hervor. „Niemand will mich, seit Mom gestorben ist. Dieser Schriftsteller auch nicht.“

„Es liegt doch nicht an dir!“ April ertrug es fast nicht, das Mädchen so unglücklich zu sehen.

„Du lügst!“ Ranie begann, auf und ab zu gehen. „Jeder liebt Shay, nur mich eben nicht.“

„Connor Pierce ist etwas zugestoßen, das es schwierig für ihn macht, sich in der Gegenwart von Kindern wohlzufühlen.“

„Was ist passiert?“ Ranie kam wieder zu ihr, die Hände fest verschränkt. Dieses hübsche, unglückliche Mädchen hatte so viel erlitten. April hätte es gern in die Arme gezogen, aber sie hielt sich zurück. Sie hätte Ranie normalerweise nichts Persönliches über Connor erzählt, aber sie durfte sie nicht in dem Glauben lassen, dass niemand sie mochte. Außerdem wäre Ranie durch dieses Wissen wahrscheinlich eher bereit ihr zu helfen, Shay möglichst von Connor fernzuhalten.

April blickte in Ranies klare blaue Augen. „Seine Frau und sein Sohn starben vor einigen Jahren bei einem Autounfall. Der Junge war erst fünf Jahre alt.“

„Shays Alter“, flüsterte Ranie bestürzt.

Gut. Diese Nachricht war Schock genug. April würde nichts weiter erläutern müssen. Nicht die Bilder, die sie von dem ausgebrannten Wagen gesehen hatte, in dem Connors Familie umkam. Nicht die Artikel, in denen stand, dass er zur Zeit des Unfalls auch im Wagen gesessen, aber hinausgeschleudert worden war.

Sie hoffte, dass er bewusstlos gewesen war. Die Vorstellung, dass er seine eigene Familie sterben gesehen hatte, war zu grausam.

Connor schaute erneut auf die Uhrzeit auf seinem Handy. Als er 18 Uhr las, sprang er vom Schreibtischsessel auf, lief zur Tür, hielt inne … und stakste dann wieder zurück.

Er wusste, dass April in der Küche war. Er hatte sie vor dreißig Minuten kommen hören. Seitdem hatte er immer wieder auf die Uhr geschaut. Minuten, in denen er hätte schreiben können, aber die Datei, die auf seinem Laptop aufgerufen war, war leer.

So leer wie sein Leben.

Als sein Verleger vorschlug, dass er für zwei Wochen in ein abgelegenes Gästehaus fahren sollte, um sein Manuskript zu Ende zu schreiben, hatte er nicht widersprochen. Er hatte dem Mann nicht erklären wollen, dass das „Ende“ noch in weiter Ferne lag und er tatsächlich noch über die Hälfte des Buches schreiben musste. Er hatte eingesehen, dass eine andere Umgebung ihm guttun könnte.

So ist es doch bei Schriftstellern, nicht wahr? Ein ruhiges Haus im Wald, eine idyllische Umgebung – was wäre besser, um die Kreativität in Fluss zu bringen? Was Connor begriffen hatte, aber nicht zugeben wollte, war die Tatsache, dass etwas in ihm zerbrochen war. Dort, wo einst die Ideen entstanden, befanden sich nur noch Schuld und eine tiefe Trauer. Jedes Gefühl, jede Imagination, mit der er ein Manuskript schreiben könnte, war gestorben.

Er schloss den Laptop und ging die Treppe hinunter. Der Duft, der von der Küche zu ihm drang, war verlockend. Das war ungewohnt für ihn. Seit Langem aß Connor nur noch, um sich gesund und seinen Körper fit zu halten. Es ging um Vitamine, Mineralien und Proteine; nicht um Genuss. Seine Mahlzeiten waren unkompliziert und langweilig.

Doch an April gab es nichts Unkompliziertes oder Langweiliges wurde ihm in dem Moment bewusst, als er in die Küche trat und sie sich ihm zuwandte.

„Wie läuft es mit dem Schreiben?“, fragte sie lächelnd, als ob sie Freunde wären. Sie trug ein langärmliges Shirt, das ihren Busen und ihre schmale Taille betonte, und schwarze Yogahosen. April war schlank und besaß die natürliche Grazie einer Tänzerin. Wie jemand, der sich seines Körpers bewusst war. Sie trug ihr Haar immer noch zurückgebunden, aber einige Locken hatten sich gelöst und umrahmten jetzt zart ihr Gesicht.

„Ich konnte die Kinder draußen spielen hören“, sagte Connor und sah, wie ihr Lächeln erlosch. Das war mittlerweile aus ihm geworden. Ein Mann, der Wärme und Freude schneller aus einem Raum vertreiben konnte als ein arktischer Wind.

„Wir waren extra auf der anderen Seite unserer Hütte, und die Mädchen waren nicht laut“, bemerkte sie und holte einen Teller aus dem Schrank.

„Ich habe sie trotzdem gehört.“

Sie blickte über die Schultern. „Haben Sie das Ohr gegen das Fenster gepresst?“

Er öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder. Er hatte nicht sein Ohr, aber die Fingerspitzen gegen das Glas gedrückt, bis sie vor Kälte brannten. Die Stimmen und das Lachen der Kinder waren nur zu ihm vorgedrungen, wenn er angestrengt gelauscht hatte. „Warum waren sie draußen? Es ist eiskalt hier oben in den Bergen.“

„Shay wollte im Schnee spielen.“ April holte ein Backblech aus dem Ofen und stellte es auf den Herd. „Die Mädchen kommen aus Kalifornien. Der Schnee ist etwas Neues für sie.“

„Willkommen im Club“, murmelte er und zuckte zusammen, als sie nach etwas in Folie Gewickeltem griff, das auf dem Blech lag, und es fluchtend wieder fallen ließ. Sie schüttelte die Hand und griff dann nach Topflappen.

Er trat näher. „Sie sollten die Finger unter kaltes Wasser halten.“

„Es ist alles in Ordnung“, erwiderte sie, biss sich aber auf die Unterlippe. „Nehmen Sie bitte Platz. Ihr Abendessen wird gleich …“

Ohne weiter nachzudenken, drehte er den Wasserhahn auf, ging zu April hinüber, umfasste ihr Handgelenk und zog sie vor die Spüle. Aus irgendeinem Grund konnte er nicht aufhören, diese Frau zu berühren. Er schob ihren Ärmel hoch und hielt ihre Hand unter das laufende kalte Wasser. „Je nachdem, wie schlimm die Verbrennung ist, könnten Sie Blasen bekommen.“

„Ich habe gedankenlos gehandelt, aber ich denke, so schlimm ist es nicht“, sagte sie leise.

Die Wärme ihres Körpers irritierte und faszinierte ihn zugleich. Sie duftete leicht nach Lavendel, und Connor konnte sich vorstellen, wie sie in Südfrankreich in einem Lavendelfeld stand und ihr rotes Haar in dem violetten Blütenmeer aufflammte. Was für Gedanken für einen Mann, dessen Realität so grau geworden war!

„Wir sollen auf Nummer sicher gehen.“

Er wollte nicht darüber nachdenken, warum er weiterhin ihr Handgelenk hielt und warum sie ihre Hand nicht zurückzog. Sie würde keine Blasen bekommen. Die Hitze der Folie hatte höchstens eine Verbrennung ersten Grades hervorgerufen. Wenn überhaupt. Das bedeutete … Er sah ihren Blick, sanft und verstehend, und ließ sie rasch los, als ob er sich selbst verbrannt hätte.

„Was wissen Sie über mich?“, presste er hervor.

Sie ließ sich Zeit mit der Antwort, drehte zuerst das Wasser ab und trocknete ihre Hände, bevor sie ihn wieder anschaute. „Nur, was ich in alten Berichten im Internet gelesen habe.“

Er hielt sich am Rand der Granittheke fest. „Und was haben Sie gelesen?“ Er hatte bewusst nie einen dieser Artikel gelesen.

„Ihre Familie war vor drei Jahren mit Ihnen auf einer Promotion-Tour Ihres letzten Buches. Es gab einen Autounfall. Ein anderer Fahrer kam auf die falsche Fahrbahn und fuhr frontal in Ihren Wagen hinein. Sowohl Ihre Frau als auch Ihr Sohn kamen dabei ums Leben.“

„Wir hätten alle drei sterben müssen“, flüsterte er.

„Sie wurden aus dem Wagen geschleudert. Das hat Ihnen das Leben gerettet.“

Sie widersprach ihm nicht, und er war ihr dankbar dafür. Er konnte die allgemeinen Überlegungen, warum er – und nicht Margo oder Emmett – überlebt hatte, überhaupt das ganze Gerede über Schicksal und Bestimmung, nicht mehr hören. Das war einer der Gründe, warum er so viele Kontakte abgebrochen hatte.

Connor wusste, dass das alles Unsinn war. Wenn es einen Sinn in dieser Tragödie hätte geben sollen, dann hätte er sterben und hätten seine wunderschöne Frau und sein unschuldiger Sohn überleben sollen. Soweit es ihn betraf, war alles andere Blasphemie.

„Leider“, entgegnete er, um sie zu schockieren. Er hatte sich in den Monaten nach dem Unfall verzweifelt gewünscht und dafür gebetet, dass er ebenfalls sterben könnte. Sein Lebenssinn war ihm genommen worden, und er war nicht stark genug gewesen, um seine Frau und seinen Sohn retten zu können. Er war so in seiner Trauer aufgegangen, dass sie ihn verschluckt hatte. Der Schmerz war ein Teil von ihm geworden – wie Gliedmaßen oder ein lebenswichtiges Organ –, und er stieß jeden und alles weg, der ihn lindern wollte.

Sein Leid hätte ihn fast zerstört, doch schließlich war Connors Lebenswille stärker gewesen, als sein Wunsch zu sterben. Aber um den Schmerz unter Kontrolle zu bekommen, hatte er wichtige Teile von sich selbst ausschalten müssen – seine Gefühle und die Verbindung zu allen Menschen, denen er durch seine Schwäche Schaden zufügen könnte.

Wahrscheinlich hatte er damit auch seine Kreativität blockiert. Die Fähigkeit, Geschichten zu erfinden, war so sehr Teil von ihm gewesen, dass er dieses Talent als selbstverständlich hingenommen hatte. Doch jetzt, wo er nicht mehr im Besitz dieser Gabe war, wusste er nicht, wie er sie zurückbekommen konnte.

April streifte ihn, als sie an ihm vorbeiging. Die Berührung riss ihn aus seinen Gedanken. April stellte ihm sein Essen auf den Tisch, den sie für ihn gedeckt hatte, und beugte sich vor, um eine Kerze, die in der Mitte stand, anzuzünden.

„Das ist nicht nötig“, meinte er schroff.

„Ich zünde für alle Gäste Kerzen an.“ Sie straffte sich. „Hätten Sie gern Wein zum Essen?“

„Nur Wasser, aber Sie müssen mich nicht bedienen.“

„Doch, das muss ich“, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns. „Das ist mein Job.“

„Warum fragen Sie mich nicht über den Unfall aus?“

Sie sah ihn prüfend an, und ein leichtes Rot überzog ihre Wangen. „Wollen Sie darüber reden?“

Er schüttelte den Kopf.

„Deswegen nicht“, erklärte sie schlicht und ging zurück zum Kühlschrank, um ihm sein Wasser zu holen.

Die Tatsache, dass sie ihn nicht bedrängte, rief in Connor das Bedürfnis hervor, ihr mehr zu erzählen. Sobald Menschen ihm Fragen stellten, ob es nun sein Verleger, sein Therapeut, eine seiner Schwestern oder seine Mutter war, machte Connor dicht.

Jedoch war der Wunsch, April Details von diesem Albtraum zu berichten, fast überwältigend. Ein Schmerz durchzuckte seine Brust und erinnerte ihn daran, warum er so lange geschwiegen hatte. Über Margo und Emmett zu reden, lud den Schmerz erneut ein. Das konnte Connor unmöglich zulassen, wenn er weiter funktionieren wollte.

„Ich werde nach den Mädchen sehen“, sagte sie, nachdem sie ihm eine Flasche Wasser auf den Tisch gestellt hatte.

„Was ist, wenn ich Sie bitten würde, bei mir zu bleiben, während ich esse?“

Sie schwieg und schaute ihn mit diesen warmen schokoladenfarbenen Augen an. Es lag ein Ausdruck in ihnen, den er nicht verstand. Es war kein Mitleid oder Misstrauen, wie er es erwartet hätte. Wenn er es nicht anders wüsste, hätte er auf Verlangen getippt. Aber wieso? Er hatte einer Frau wie April, die so voller Leben war, nichts zu bieten. Die Dunkelheit in ihm würde ihr Licht auslöschen, bis sie nur noch ein Schatten ihrer selbst wäre.

„Dann würde ich bleiben“, beantwortete sie seine Frage.

Er verzog leicht den Mund. „Weil es Ihr Job ist?“

Sie wich seinem Blick nicht aus. „Weil Sie mich darum gebeten haben.“

Emotionen durchfuhren ihn wie ein Blitzschlag und zwangen ihn, auf Distanz zu gehen, obwohl er ihr eigentlich nahe sein wollte. Das Gefühl war so ungewohnt und befremdend, dass er das Besteck auf seinen Teller legte und dann sein Wasserglas aufnahm. „Ich werde in meinem Zimmer essen. Ich muss an einer wichtigen Szene arbeiten.“

„Sie können den Teller später einfach vor die Tür stellen“, sagte sie sanft. Was brauchte es, um eine Frau wie April aus dem Gleichgewicht zu bringen? „Ich werde später aufräumen.“

„Gut.“ Er bedankte sich absichtlich nicht für das Essen, das besser duftete als alles, was er in den letzten Jahren zu sich genommen hatte. Seine Unhöflichkeit war ein weiterer Schutzschild, und er brauchte so viele davon, wie er aufbauen konnte, wenn er dem widerstehen wollte, was April in ihm hervorrief.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen betrat April das Gästehaus noch vor Sonnenaufgang. Die Mädchen schliefen noch, und sie hatte in aller Frühe ein Blech Zimtschnecken vorbereitet, die sie später in den Backofen schieben würde. Sie musste dem mürrischen Gast das Frühstück zubereiten, aber sie wollte Connor dabei auf keinen Fall über den Weg laufen. Der vergangene Abend war ihr mehr unter die Haut gegangen, als sie zuzugeben bereit war.

Connor Pierce war arrogant, unhöflich und mochte es offensichtlich, andere einzuschüchtern. Aber der Schmerz, den sie in seinen Augen gesehen hatte, als er über den Unfall sprach, der das Leben seiner Frau und seines Sohnes gekostet hatte, hatte sie zutiefst berührt. Und dazu kam noch, dass seine tatsächliche Berührung ein tiefes Verlangen in ihr weckte. Ihre Reaktion auf ihn war nicht nur unpassend, sondern auch gefährlich. Sie musste wachsam sein und sich schützen.

Glücklicherweise war er gestern Abend nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen, als sie zurückgekehrt war, um die Küche aufzuräumen. Sein leerer Teller hatte in der Spüle gestanden, aber ansonsten war es still im Haus gewesen. Nur das Licht, das aus seinem Fenster fiel, war ein Hinweis darauf gewesen, dass Connor noch nicht geschlafen hatte.

April war dankbar für die Distanz, denn sie war sich nicht sicher, ob sie ihm nicht doch noch Fragen über seine Familie gestellt hätte. Es gab keinen Zweifel daran, wie sehr ihn der Verlust getroffen hatte, und sie könnte einen Rat gebrauchen, wie sie Ranie und Shay durch ihr Leid führen könnte. Auch sie hatten jemanden, den sie liebten, verloren, auch wenn die Umstände andere gewesen waren.

April hatte nach ihrer Scheidung zu wissen geglaubt, was es bedeutete, ein gebrochenes Herz zu haben. Erst später war ihr klar geworden, dass ihr Leid eher etwas mit Demütigung und Zurückweisung statt mit Liebe und Verlust zu tun gehabt hatte.

Sie legte ihr Handy, das sie trotz schlechtem Empfang immer dabeihatte, um für die Mädchen erreichbar zu sein, auf die Ablage, machte Kaffee, heizte den Backofen vor und holte ein Muffinblech hervor, in dessen Öffnungen sie die zuvor in ihrer Hütte zubereitete Eiweiß-Gemüse-Mischung füllte. Sie arbeitete zügig und leise. Ihr Ziel war es, alles zuzubereiten und dann wieder zu verschwinden, bevor Connor wach wurde.

„Sie sind aber früh auf.“

April zuckte zusammen, als sie seine tiefe Stimme hinter sich hörte. „Wenn Sie wollen, dass ich einen Herzinfarkt bekomme, ist das der richtige Weg“, stieß sie hervor.

„Sie sind leicht zu erschrecken“, erwiderte er. „Und es sind die einzigen Male, wo ich Sie aus der Fassung gebracht habe.“

„Sie sollten sich nicht von hinten an Leute anschleichen. Das ist …“ Die letzten Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie sich umdrehte und ihn nur mit Trainingsshorts bekleidet in der Küche stehen sah. Seine breite, muskulöse Brust glänzte vor Schweiß.

Sie glänzte. Im wahrsten Sinn des Wortes. Oha …

„Im Untergeschoss ist ein Fitnessraum“, erklärte er und fuhr sich mit einem weißen Handtuch über Gesicht und Brust. April schaute ihm fasziniert zu, und ihr Mund wurde trocken. Sie hatte geglaubt, seit ihrer Scheidung gegen Männer immun zu sein. Viele ihrer Freundinnen in Crimson waren mit gut aussehenden Männern liiert, aber sie hatte für ihre Bekanntschaften nie mehr als Zuneigung empfunden, die man auch einem Bruder entgegengebracht hätte.

Was sie für Connor fühlte, war anders und sehr gefährlich.

„Brauchen Sie etwas?“, fragte sie und verabscheute sich dafür, dass sie so atemlos klang.

„Eine Dusche.“

Aus seinem Mund hörten sich die beiden Worte wie eine Einladung an. April spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Sie griff nach dem Muffinblech und schob es rasch in den Backofen. „Das Frühstück ist in zwanzig Minuten fertig. Stehen Sie immer so früh auf?“

„Ich schlafe nicht viel.“

„Hält etwas Sie davon ab? Hat die Muse Sie geküsst?“, fügte sie rasch hinzu, um klarzustellen, dass sie sich auf sein Schreiben bezog, aber er lächelte, als ob er die Frage anders verstanden hätte.

„Noch nicht“, antwortete er. „Aber dafür bleibt mir ja noch genug Zeit.“

Sie verstand nicht, warum seine Stimmung heute Morgen so anders war. Er war entspannt und locker und wirkte ganz anders als der harte, verbitterte Mann, den sie gestern kennengelernt hatte.

„Trainieren hilft mir“, erklärte er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. „Es gleicht aus.“

„Ich unterrichte Yoga“, sagte sie und öffnete den Geschirrspüler, um ihn auszuräumen. „Das hat auf mich dieselbe Wirkung.“

„Geben Sie auf der Crimson Ranch Kurse?“ Er kam näher und setzte sich an die Kochinsel. Connor schien sich nicht bewusst zu sein, welche Wirkung sein nackter Oberkörper auf sie hatte, und sie versuchte ihre Reaktion zu ignorieren. Selbst wenn dieser Mann kein Gast wäre, wäre er nichts für sie.

Sie goss ein Glas Wasser ein und stellte es vor ihn. „Während der Sommermonate unterrichte ich auf der Ranch. Aber ich biete auch regelmäßig Kurse im Gemeindezentrum und in einem Studio an.“

„Machen Sie Yoga schon lange?“ Er nahm einen großen Schluck Wasser. Ein Tropfen lief dabei über sein Kinn, seinen Hals und dann über die harten Muskeln seiner Brust. Er wischte ihn weg und suchte dann ihren Blick. April brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass er auf eine Antwort wartete.

„Fast fünfzehn Jahre.“ Sie konzentrierte sich auf das Ausräumen des Geschirrspülers, während sie sprach. „Ich hatte früher sehr viel Tanzunterricht und hatte mir dabei einige Verletzungen zugezogen. Yoga hat mir geholfen, wieder gesund zu werden. Ich hatte in Kalifornien mein eigenes Studio.“ Sie hatte es geliebt und ihren Erfolg langsam, aber mit viel Enthusiasmus aufgebaut. Letzten Endes war auch das Opfer ihrer Krankheit und dann ihrer Scheidung geworden.

„Und jetzt sind Sie angestellt?“

April sah ihn prüfend an. Connor war etwas zu scharfsinnig. Die Frau, die das Studio außerhalb von Crimson besaß und bei der sie angestellt war, hatte es ihr schon einige Male angeboten. Marty war schon weit über siebzig und wollte in die Nähe ihrer erwachsenen Kinder und deren Familien ziehen, wollte ihre Kunden nicht an einen großen Konzern verlieren. Bisher hatte April immer abgelehnt.

„Auf diese Weise bin ich flexibler“, antwortete sie.

„Reisen Sie?“

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Korb mit den Bestecken. „Nein.“

„Haben Sie eine große Familie?“

Sie schüttelte den Kopf. Es gefiel ihr nicht, in welche Richtung diese Unterhaltung ging.

„Warum ist es Ihnen dann wichtig, flexibel zu sein?“

Wie sollte sie das erklären? Sie hatte ihm die Antwort gegeben, die sie allen gab, und bisher hatte sie nie jemand in Frage gestellt. Außer Connor.

April liebte Colorado und das Städtchen Crimson. Sie war dankbar für diesen Neubeginn und die Freunde, die ihr zur Seite standen. Aber trotzdem fehlte etwas. Etwas in ihr war zerbrochen und das hinderte sie daran, sich so auf diese Stadt und ihre Menschen einzulassen, wie Sara und andere Freundinnen es in den letzten Jahren getan hatten.

Für April stand zu viel auf dem Spiel. Wenn auch dieser Neustart fehlschlug und sie noch einmal alles verlor, würde sie das nicht überleben. Es war einfacher und weniger riskant, die Rolle der Haushälterin und der hilfreichen Freundin zu spielen. Diese Rollen erlaubten ihr, Teil der Gemeinschaft zu sein, ohne sich komplett mit Leib und Seele einzusetzen.

Zu viel zu geben – zu viel zu fühlen – machte sie empfänglich für Schmerz. Und davon hatte sie genug für ein ganzes Leben gehabt.

„Warum kümmert Sie das?“, fragte sie, steckte das leere Besteckkörbchen in den Geschirrspüler und schloss die Tür der Maschine. Es ärgerte sie, dass dieser Mann instinktiv ihren wunden Punkt getroffen hatte, aber sie konnte weder ihre Reaktion auf ihn ändern noch die Anziehung, die sie spürte, leugnen. Sie konnte nur versuchen, beides zu ignorieren.

Er schob das leere Glas über den Küchenblock. „Ich wollte mich nur ein wenig unterhalten“, sagte er und erhob sich. „Schließlich sind wir beide alleine hier und …“

Sie schüttelte den Kopf. „Wir sind nicht allein. Drüben im Haus sind zwei wundervolle, traurige Mädchen, die sich kaum wagen, einen Laut von sich zu geben, damit sie keinen Ärger bekommen.“

„Sie gehören nicht hierher.“ Die Wärme, die bisher in seiner Stimme gelegen hatte, war urplötzlich verschwunden.

„Sie gehören nirgendwo hin“, erwiderte sie. „Und diese Tatsache macht es nicht leichter. Ich dachte, Sie würden das verstehen und …“

„Ich bin hier, um zu arbeiten.“ Er trat einen Schritt zurück. „Und nicht, um Therapeut für trauernde Waisen zu spielen.“

„Und wie kommen Sie mit dem Schreiben voran?“ April spürte, wie Wut in ihr aufstieg. „So ganz allein in diesem abgelegenen Haus in den Bergen?“

Sie dachte, dass er jetzt die Küche verlassen würde. Seine leise Antwort überraschte sie. „Ich bin immer allein.“

Gerade hatte er sie so weit in Rage versetzt – eine Rage, die die starke Anziehung in Schach würde halten können –, da tat er es wieder. Er ließ ein wenig Verletzlichkeit durch den Panzer scheinen, den er um sich herum aufgebaut hatte, und schon war sie bereit, ihm sein Verhalten zu verzeihen.

April verstand das Wort „allein“. Sie kannte die Leere, die Einsamkeit mit sich brachte, aber ebenso die Sicherheit, die sie bot. Sie wollte nicht, dass sie dieses Wissen mit Connor teilte. Es war eine Wahrheit, die sie mit niemandem in ihrem Leben geteilt hatte. Und das sollte auch so bleiben, alles andere war viel zu gefährlich.

„Das müssen Sie aber nicht“, sagte sie leise, und die Worte waren ebenso für ihn wie für sie. Sie wollte sie glauben, obwohl die Angst, die in ihr lauerte, genau das vereiteln wollte.

„Doch, das muss ich!“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich gehe jetzt duschen.“

„Das Frühstück steht bereit, wenn Sie fertig sind. Ich werde …“

„Stellen Sie es einfach neben den Herd“, fuhr er sie an. „Ich muss nicht bedient werden.“

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er hielt eine Hand hoch. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde mich bei niemandem beschweren. Es lenkt mich ab, wenn Sie im Haus herumrennen. Kochen Sie einfach nur, ich hole es mir dann schon. Ich bin daran gewohnt, für mich selbst zu sorgen.“

Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern verließ die Küche.

April stieß verzweifelt die Luft aus. Die ganze Sache lief gerade gründlich schief. Sara hatte immer noch Verbindungen zu Hollywood und nahm Angebote an, wenn es die richtigen waren. Das Studio, das die Filmrechte an Connors Buch hatte, waren wichtige Kontakte von Sara, weswegen sie überhaupt erst eingewilligt hatte, Cloud Cabin über die Feiertage zu öffnen. Sie hatte April gebeten, einzuspringen und für ihn zu sorgen, weil April eine besondere Gabe besaß, wenn es darum ging, sich um Menschen zu kümmern. Ihnen zu helfen und beizustehen. Es war ein Talent, das sie auf der Ranch und bei ihren Yogastunden einsetzte. Sie kam selbst mit den schwierigsten Gästen zurecht.

Aber April kam nicht mit Connor zurecht, und das war schlimm für sie. So schroff und verletzend er sein konnte, er war hier Gast, und er hatte eine große Tragödie in seinem Leben erfahren müssen.

Sie sollte Mitgefühl für ihn empfinden. Aber sie wusste, dass Connor Mitgefühl hasste. Ihr war es nicht anders ergangen, als sie gegen ihren Brustkrebs ankämpfte. Die mitleidigen Blicke von Frauen, von denen sie angenommen hatte, dass sie ihre Freundinnen seien, hatten sie unglaublich belastet. Diese sogenannten Freundinnen hatten zwar am Anfang die richtigen Worte benutzt, waren aber schnell verschwunden, als die Chemotherapie ihr die Kräfte raubte, ihr Haar ausfallen ließ und den größten Teil ihrer Würde nahm. Nur Sara war an ihrer Seite geblieben, hatte sie zu den Behandlungsterminen gefahren und ihr geholfen umzuziehen, als Daniel während ihrer zweiten Chemo die Scheidung eingereicht hatte.

Der Timer am Backofen riss sie aus ihren Gedanken. Sie holte die Eiweiß-Muffins heraus und stellte sie auf ein Gitter, damit sie abkühlen konnten. Dann deckte sie den Tisch, goss ein Glas Saft ein und schnitt eine halbe Melone auf. Connor mochte niemanden wollen, der für ihn sorgte, aber das war nun einmal ihre Aufgabe hier. Sie würde sich um diesen Mann kümmern, ob er es nun wollte oder nicht.

Mit zum Klopfen erhobener Hand stand Connor vor der schweren Eichentür und holte so tief Luft, dass die eiskalte Luft in seinen Lungen brannte. Er hieß den leichten Schmerz willkommen, denn physischer Schmerz half ihm, sich lebendig zu fühlen. Deswegen trainierte er auch so viel und so lange, bis sein Körper erschöpft war. Connor hatte sich geschworen, nie mehr schwach zu sein. Denn seine Schwäche war der Grund gewesen, warum Margo und Emmett gestorben waren.

Was er jetzt vorhatte, war ver...

Autor

Meg Maxwell
<p>Melissa Senate hat viele Romane für Harlequin Enterprises und andere Verlage geschrieben, inklusive ihres ersten veröffentlichten Romans „See Jane Date“, der für das Fernsehen verfilmt wurde. Unter dem Pseudonym Meg Maxwell war sie auch Autorin von sieben in der Harlequin Special Edition-Reihe erschienenen Büchern. Ihre Romane werden in über fünfundzwanzig...
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Tracy Madison
<p>Die preisgekrönte Schriftstellerin Tracy Madison ist in Ohio zu Hause, und ihre Tage sind gut gefüllt mit Liebe, Lachen und zahlreichen Tassen Kaffee ... Die Nächte verbringt sie oft schreibend am Computer, um ihren Figuren Leben einzuhauchen und ihnen ihr wohlverdientes Happy End zu bescheren. Übrigens bekommt Tracy Madison sehr...
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