Verführung in der Karibik

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Eine exklusive Geschäftsreise als Bonus: Susan fliegt mit ihrem Boss, dem Stararchitekten Julian Douglas, auf eine Karibikinsel. Kaum im Paradies unter Palmen angekommen, erfährt Susan entsetzt, was ihr überaus attraktiver Boss von ihr verlangt: Sie soll seine Verlobte spielen!


  • Erscheinungstag 16.04.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514187
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Julian Douglas brauchte eine Frau. Schon morgen. Voller Ärger und Ungeduld trommelte er unablässig mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. Draußen versanken die Zinnen der gemauerten Türme von Edinburgh Castle im zähen, trostlosen Oktobernebel.

Er brauchte eine Frau. Nur wen? Und wie sollte er es anstellen?

Keine Frau, die er kannte, eignete sich zur Ehefrau. Abgesehen davon würde keine von ihnen für ein Wochenende seine liebende Gattin spielen wollen.

Mit schmalen Augen sah er sich in seinem Büro um. Vor fünf Jahren hatte er die düstere, verfallene Etage dieses alten Gemäuers von Grund auf renoviert und zu riesigen, luftigen Räumen umgebaut, die von Tageslicht durchflutet wurden.

Normalerweise beruhigte ihn der Anblick dieser Umgebung, die so viele Erinnerungen für ihn barg, aber heute machte sie kaum Eindruck auf ihn.

Julian hatte den perfekten Auftrag in Aussicht, stand kurz vor dem Abschluss, der einzig und allein auf ihn zugeschnitten war, aber er würde ihn nicht bekommen, solange er keine Ehefrau vorweisen konnte.

Sein Telefongespräch mit einem Architekturkollegen kam ihm wieder in den Sinn.

„Die Hassells wollen ein Luxushotel in Sint Rimbert bauen“, hatte Eric berichtet. „Ökologisch und trotzdem glamourös und hauptsächlich auf Familien ausgerichtet.“

„Familien“, erwiderte Julian tonlos.

„Ja. Sie sind der Überzeugung, das wäre eine Marktlücke, sozusagen Luxus für die Kleinen.“ Er kicherte. „Das ist ein Traumauftrag.“

„Allerdings.“

„Ich würde mich selbst daranmachen, aber sie wollen gleich im neuen Jahr beginnen, und ich bin schon ausgebucht.“ Dann machte er eine nachdenkliche Pause. „Außerdem scheide ich noch aus einem anderen Grund aus. Ich bin nicht verheiratet.“

„Verheiratet?“ Julians Stimme wurde scharf. „Was, zum Teufel, hat das damit zu tun?“

„Offenbar sind die Hassells eine sehr verbundene Familie. Sie möchten als Profi für ihr Resort jemanden, der wie sie Familienwerte schätzt und ihre Visionen entsprechend umzusetzen weiß. Vorzugsweise natürlich einen verheirateten Mann. Selbstverständlich haben sie das nie so offenkundig gesagt, aber man erzählt es sich hinter vorgehaltener Hand.“

„Deshalb habe ich wohl auch noch nichts davon gehört“, bemerkte Julian trocken.

„Exakt“, stimmte Eric lachend zu. „Jeder weiß, dass du für diese Abteilung nicht zu haben bist.“

„Noch nicht.“

„Wieso, was hast du denn vor? Eine Flucht nach Gretna Green?“

Bereitwillig ging er auf Erics Scherz ein. „Keine schlechte Idee.“

„Trotz deines Rufs, so skrupellos bist nicht einmal du“, sagte Eric grinsend.

Nach diesem Telefonat starrte Julian lange in den düsteren Himmel. Er konnte sich nur allzu gut vorstellen, was für Anwärter die Hassells im Auge hatten: vermeintlich glücklich verheiratete Architekten mit einem geregelten Familienleben und dem Kopf voller einfallsloser Designs.

Es war absurd, dass ausgerechnet ein verheirateter Profi die Ideen der Hassells umsetzen sollte. Familiäre Werte hatten nicht den geringsten Einfluss auf die Arbeit – zumindest keinen positiven. Er selbst sollte es wohl wissen. Sein Leben bestand nur aus Arbeit, und was Familie betraf …

Er unterdrückte einen Fluch und ballte frustriert die Hände zu Fäusten. Um jeden Preis wollte er diesen Auftrag an Land ziehen. Es war mehr als nur eine fantastische Herausforderung. Mit dieser Chance konnte Julian endlich beweisen, was in ihm steckte. Er war einfach der beste Mann für den Job, falls er diese Gelegenheit beim Schopfe packte.

Doch er war nicht verheiratet.

Einige Stunden nach dem Telefongespräch mit Eric gelang es Julian, Jan Hassell zu kontaktieren. Und nachdem er ihm seinen Lebenslauf und ein paar Entwürfe gefaxt hatte, bekam er von Hassell sogar eine Wochenendeinladung nach Sint Rimbert, zusammen mit zwei anderen Architekten.

Jetzt war Julian lediglich einen Steinwurf von seiner persönlichen Erfolgschance entfernt. Er brauchte nur noch eine geeignete Frau an seiner Seite, um zu beweisen, dass er über das erwartete, verflixte Familienverständnis verfügte, das für diese Aufgabe so unabdinglich zu sein schien.

Unwirsch kritzelte er ein paar Unterschriften auf die Papiere, die seine Sekretärin ihm vorgelegt hatte, als er plötzlich erstarrte. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er hatte die perfekte Idee – die perfekte Frau.

Nur wusste sie noch nichts von ihrem Glück …

„Ich bin froh, dass es dir so gut geht, Dani“, sagte Susan am Telefon und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Es war albern, sich so niedergeschlagen zu fühlen. Dani war glücklich, genoss ihr Leben an der Universität und tat all die Dinge, die eine Achtzehnjährige tun sollte.

Das hatte Susan sich immer für ihre Schwester gewünscht.

Am anderen Ende der Leitung ertönte dumpfes Männerlachen. „Ich muss gehen“, rief Dani in den Hörer. „Ein paar Freunde kommen heute zum Feiern vorbei.“

„Es ist doch erst fünf Uhr!“ Erschrocken hörte Susan den strengen Unterton in ihrer eigenen Stimme.

„Aber es ist schon Donnerstag, Susan“, erwiderte ihre Schwester lachend. „An der Uni beginnen die Wochenenden eben immer früh!“ Wieder erklang männliches Gelächter, und Dani setzte schuldbewusst hinzu: „Hast du auch Pläne fürs Wochenende? Dein Erstes ganz allein!“

„Ja.“ Erfolglos bemühte sie sich, enthusiastisch zu klingen. „Ja, ich werde …“ In ihrem Kopf war nur Leere. Ein Buch lesen? Baden gehen? Einfach schlafen?

„Die Stadt auf den Kopf stellen?“ Wenn das sarkastisch klingen sollte, verbarg Dani es zumindest gut, trotzdem versetzte diese Bemerkung Susan einen Stich. „Du solltest es wagen, Susan! Bisher hast du viel zu viel Zeit damit verbracht, dich um mich zu kümmern. Genieße dein Leben – oder wenigstens einen Mann!“ Sie kicherte übermütig. „Jemand ruft nach mir, ich muss jetzt gehen.“ Immer noch kichernd legte sie den Hörer auf.

Genieße dein Leben! dachte Susan spöttisch. Leichter gesagt als getan. Für Dani war das natürlich einfach, so unbeschwert, gedankenlos und jung, wie sie war. Sie hatte keinerlei Sorgen, Verbindlichkeiten und Rechnungen, die sie in die Knie zwangen.

Susan seufzte schwer. Sie wollte nicht schlecht über ihre Schwester denken. Denn schließlich hatte Susan freiwillig so hart gearbeitet und ihre eigenen Träume geopfert, um Dani die ihren zu erfüllen.

Jetzt war es endlich so weit, und Susan sollte sich eigentlich für sie freuen. Und das tat sie ja auch, das tat sie wirklich!

Entschlossen stand sie von ihrem Schreibtisch auf. Wenn sie die Stadt vielleicht nicht ganz auf den Kopf stellte, konnte sie doch zumindest versuchen, sich etwas zu amüsieren. Vielleicht einen Abstecher in ein Weinlokal der Rose Street wagen, möglicherweise kam ja auch der eine oder andere Kollege von ihr mit.

Insgeheim hatte sie sogar ein Auge auf einen befreundeten Architekten geworfen: John Soundso. Natürlich kannte er nicht einmal ihren Vornamen, niemand im Büro kannte ihn.

Selbst während der Wochenendplan allmählich in ihrem Kopf Gestalt annahm, wusste Susan schon, dass sie ihn niemals in die Tat umsetzen würde. Sie traute sich nicht und hatte obendrein gar keine Ahnung, wie sie es anstellen sollte.

Seufzend griff sie nach ihrer Handtasche. Jetzt musste sie nur noch sichergehen, dass ihr Boss ihre Dienste heute nicht mehr benötigte, dann konnte sie nach Hause gehen. Allein, einsam, so wie jeden Tag.

Sachte klopfte sie an Julian Douglas’ Tür.

„Herein.“

Sein scharfer Tonfall ließ sie zusammenzucken. Julian Douglas war nur etwa eine Woche pro Monat im Edinburgh-Büro, und Susan musste zugeben, dass ihr die restlichen drei Wochen weitaus angenehmer waren. Seine barsche, dominante Art war via E-Mail oder Kurznachricht wesentlich besser zu ertragen als von Angesicht zu Angesicht.

Sie öffnete die Tür. „Mr. Douglas? Ich wollte gerade gehen, es sei denn, Sie brauchen mich noch?“

Julian stand am Fenster und hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben. „Sie brauchen?“, wiederholte er gedehnt und schien über diese Frage nachzudenken. Dann sah er Susan beinahe feindselig an. „Um offen zu sein, das tue ich.“

„In Ordnung.“ Geduldig wartete sie auf weitere Instruktionen. Sie war es gewohnt, Überstunden zu machen, wenn Julian in der Stadt war.

„Verfügen Sie über einen gültigen Reisepass?“

Verwirrt blinzelte sie ein paar Mal. „Ja …“

„Gut.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich habe einen geschäftlichen Termin und benötige eine Sekretärin, die mich begleitet.“

Susan nickte, so als hätte sie derartige Termine schon öfter wahrgenommen. Aber in den zwei Jahren, die sie bereits für Douglas Architectual Designs arbeitete, hatte sie Julian niemals begleitet, nicht einmal auf eine der Baustellen. Er zog es vor, die meisten Ortstermine allein wahrzunehmen. Außerdem würde er wohl eher eine seiner Londoner Assistentinnen mitnehmen und kein einfaches Mädchen aus der Provinz.

„Wo soll es denn hingehen?“, erkundigte sie sich zaghaft.

„Wir reisen morgen Abend ab in Richtung holländische Antillen, Rückflug ist dann am Montag. Es handelt sich um einen äußerst wichtigen Auftrag.“ Er zog die Stirn in Falten und sah Susan direkt in die Augen. „Verstehen Sie das?“

Wieder nickte sie, und ihre Gedanken überschlugen sich. Die Antillen lagen in der Karibik, und das bedeutete mindestens acht Stunden Flug dorthin. Wenn Julian nur wegen eines potenziellen Auftrags so weit reiste, musste es sich um eine ernste Angelegenheit handeln.

Susan hatte sich schnell wieder im Griff. „Kann ich etwas tun, um diese Reise vorzubereiten?“

„Ja, buchen Sie die Tickets.“ Er schob ihr ein paar Unterlagen entgegen. „Hier steht alles drin, was Sie wissen müssen. Morgen werde ich nicht im Büro sein, und das bedeutet, wir treffen uns erst am Flughafen. Erste-Klasse-Lounge. Die Infos können Sie mir per SMS schicken.“

Mit geübtem Blick überflog Susan die Papiere und verkniff es sich, weitere Fragen zu stellen. Dabei hätte sie nur zu gern gewusst, was sie beispielsweise einpacken sollte – und vor allem, warum er ausgerechnet sie für diesen Job ausgewählt hatte.

Energisch schob sie ihre Neugier beiseite. „Ist das alles?“

Sein Blick wurde etwas entspannter, und seine Mundwinkel umspielte ein leises Lächeln. Susan bekam den Eindruck, dass sie genau das tat, was er von ihr erwartete – und es gefiel ihr nicht besonders.

„Ja, das ist alles.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, widmete er sich wieder seiner Arbeit.

Susan schlich aus seinem Büro und kehrte mit wackligen Knien an ihren Schreibtisch zurück.

Ich fliege in die Karibik, dachte sie fassungslos und gab sich für einen Moment den traumhaften Bildern in ihrer Fantasie hin: weiße Sandstrände, bunte Cocktails, tropische Wälder, lachende Menschen und sanfte Abendbrisen. Es war, als würde ein großes, unerwartetes Abenteuer vor ihr liegen …

Wer konnte schon wissen, was geschah oder wem sie dort möglicherweise begegnete? Das Wichtigste war: Sie hatte Pläne für dieses Wochenende, gigantische Pläne!

Nachdem sie die notwendigen Reisevorbereitungen veranlasst hatte, schlüpfte Susan in ihren Mantel. Sie flog in die Karibik … mit Julian Douglas!

Einen Augenblick lang versuchte sie sich auszumalen, wie sich so ein Wochenende an der Seite ihres Chefs anfühlen würde. Zusammen in einem Flugzeug, in einem Hotel, am Strand.

Entspannte er sich vielleicht sogar in so einer traumhaften Atmosphäre? Oder war er verkrampft und kurz angebunden – wie sonst auch?

Wie er wohl aussieht, wenn er tatsächlich mal lächelt? überlegte sie, aber dieser Gedanke war einfach zu abwegig. Sie hatte Julian Douglas niemals gut gelaunt erlebt, aber das war in diesem Moment auch vollkommen gleichgültig. Sie würde für ihn Notizen machen und ihm seine Unterlagen hinterherschleppen – mehr erwartete er schließlich nicht von ihr.

Trotzdem war die Vorstellung, mit diesem Mann ein exotisches Wochenende zu verbringen, reizvoll und unheimlich aufregend. Nachdem ihr soziales Leben auf dem Nullpunkt angekommen war, weil Susan sich mit Leib und Seele nur um ihre Schwester gekümmert hatte, war es nun an der Zeit, eine ganz neue Ära zu beginnen. Und den Anfang machte Susan an diesem Wochenende in der Karibik – wenn das kein Glücksfall war!

Sie unterdrückte ein hysterisches Lachen und verspürte plötzlich unbändige, mädchenhafte Freude. Drei Tage in Sint Rimbert, und mit einem Mal schien alles möglich zu sein! Sie tat genau das, was Dani von ihr erwartete, und packte das Leben bei den Hörnern. Es war der Neuanfang von … irgendetwas Tollem. Auch wenn Julian Douglas dabei war, würde sie sich dennoch amüsieren, interessante Menschen kennenlernen und neue Orte sehen.

Leichtfüßig durchquerte sie auf dem Heimweg die Altstadt von Edinburgh und steuerte auf das georgianische Stadthaus zu, das inmitten aufwendig renovierter Häuser schäbig und heruntergekommen wirkte. Es sah wie ein Unkraut zwischen bildschönen Rosenstöcken aus. Leider fehlte Susan das Geld für neue Fenster, einen neuen Fassadenanstrich und für die Beseitigung der zahllosen anderen Makel, aber immerhin war dies ihr Zuhause. Ein Heim voller Erinnerungen, das sie um jeden Preis erhalten wollte.

Im Vorflur fiel ihr auf, wie still und trostlos die Atmosphäre war, seit Dani zur Universität ging.

„Mit achtundzwanzig Jahren schon ein Gluckensyndrom“, murmelte sie spöttisch, um sich selbst aufzuheitern. Dann stellte sie das Küchenradio laut und ging nach oben, um sich umzuziehen.

Er hatte eine Frau gefunden. Julian wusste, dass er nun keine Fehler machen durfte. Es war ein schwieriges Unterfangen, solch eine Täuschung aufrechtzuerhalten.

Trotzdem war er sicher, seine Sekretärin fest im Griff zu haben. Jemandem wie ihr war am besten mit Einschüchterung beizukommen. Miss Chandler war eine dieser typischen unglücklichen Personen, die ihr Leben lang von anderen benutzt wurden, ob sie es nun wollte oder nicht.

Nutze die Menschen aus, oder sie werden dich ausnutzen. Julian bevorzugte stets Ersteres.

Obwohl er froh war, seine Wahl in Bezug auf eine angebliche Ehefrau getroffen zu haben, konnte er sich nicht entspannen. Schließlich hatte er die Situation noch immer nicht völlig unter Kontrolle.

Würde seine Sekretärin als Ehefrau überzeugen? Noch hatte er ihr nicht eröffnet, was genau von ihr erwartet wurde. Das wollte er erst im Flugzeug tun, wenn es kein Zurück mehr für sie gab.

Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Wenn sie Skrupel hatte, würde er ihr einfach Geld anbieten. Niemand lehnte die Aussicht auf leicht verdientes Bares ab.

Obendrein war es mehr als offensichtlich, dass Miss Chandler ein kleines Extragehalt gut gebrauchen konnte. Ihre Erscheinung sprach hinsichtlich ihrer Kleider und ihres kosmetischen Aufwands Bände!

Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Er stellte sich vor, wie sie mit einem kleinen Koffer voller schmuckloser Outfits am Flughafen auftauchte – mit den Kleidern einer Sekretärin, nicht mit denen einer Ehefrau.

Dieses Problem musste er sofort aus der Welt schaffen. Mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen griff er nach seinem Mantel und eilte aus dem Büro.

Wegen des lauten Radios hörte sie das Klopfen an der Tür zuerst nicht – erst als das Geräusch zu einem heftigen methodischen Krach anschwoll.

Susan legte ihr Küchenmesser beiseite, stellte die Musik leiser und eilte mit klopfendem Herzen zur Tür.

Wer hämmert derart heftig gegen eine Wohnungstür, schoss es ihr durch den Kopf. Polizei oder vielleicht ein Betrunkener?

Durch das schmale Fenster am Flur erkannte sie Julian, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Mit bebenden Händen fuhr sie sich durch die Haare und schloss dann auf.

„Mr. Douglas?“ Unsicher sah sie ihn an und wunderte sich über seinen finsteren, abweisenden Gesichtsausdruck. Trotz seiner Grabesmiene war er ein ausgesprochen attraktiver Mann, das wusste sie bereits seit dem ersten Tag, den sie für ihn gearbeitet hatte.

„Ich muss mit Ihnen sprechen. Kann ich hereinkommen?“

Sie nickte, obwohl sie sich in ihrem alten T-Shirt und mit den Tomatensoßenflecken an den Händen nicht gerade präsentabel fühlte.

Der Flur ihres Elternhauses war endlos lang, doch Julian schien diesen Platz allein durch seine Persönlichkeit vollständig auszufüllen. Susan fühlte sich klein und überflüssig, erst recht, als sie bemerkte, wie er einen abschätzenden Blick über die marode Einrichtung schweifen ließ. Aus der Küche ertönte ein zischendes Geräusch, und mit einer murmelnden Entschuldigung rannte Susan fort, um ihre Tomatensoße vom Herd zu retten – leider zu spät.

Als sie sich wieder umwandte, stand Julian beinahe direkt hinter ihr und betrachtete mit ausdruckslosem Gesicht die erbärmliche Szene, wie sie den übergekochten Topf mehr schlecht als recht zu reinigen versuchte.

Sie lief dunkelrot an. „Entschuldigen Sie, ich war gerade dabei, mir etwas zu kochen“, verteidigte sie sich und schaltete das Radio ganz aus. „Möchten … möchten Sie vielleicht mitessen?“

Wortlos starrte er sie an und zog nur leicht eine Augenbraue hoch. Susan biss sich auf die Unterlippe. Schließlich wusste sie durch ihre Arbeit im Büro, dass er nur in erstklassigen Restaurants zu dinieren pflegte, vorzugsweise mit einer atemberaubenden Schönheit an seiner Seite.

Was tat er dann um diese Uhrzeit bei ihr?

Am liebsten hätte sie sich gleich noch einmal entschuldigt. „Darf ich Ihnen wenigstens den Mantel abnehmen?“

Noch immer sah Julian sie auf eine Art an, die Susan äußerst unangenehm war. Eigentlich hatte er ihr nie zuvor große Aufmerksamkeit geschenkt. Sie war lediglich jemand, der Unterlagen heranschaffte und das Telefon beantwortete. Und jetzt betrachtete er sie plötzlich, als müsste sie irgendeine Prüfung bestehen. Nur welche?

„In Ordnung“, sagte er abrupt und ließ seinen Mantel über die breiten Schultern gleiten. Dann reichte er ihn ihr. „Hängen Sie ihn weg, und dann müssen wir reden!“

Ich kenne diesen Mann eigentlich überhaupt nicht, dachte sie, als sie im Flur stand. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, was er von mir will …

„Ich habe ein paar wichtige Details ausgelassen, die unsere Reise betreffen“, begann er, nachdem sie in die Küche zurückgekehrt war. „Ich muss nach Sint Rimbert, um mich für einen ausgesprochen wichtigen Auftrag zu bewerben. Jan Hassell, dem beinahe die ganze Insel gehört, hat sich dazu entschlossen, ein Luxusresort zu bauen. Und natürlich ist es sehr wichtig für ihn, dass der Architekt seiner Wahl sich entsprechend präsentiert.“ Er machte eine Pause und sah sie erwartungsvoll an.

„Ich verstehe“, entgegnete sie tonlos, obwohl das eine glatte Lüge war.

„Tun Sie das? Dann dürfte Ihnen wohl auch klar sein, dass ich nicht mit einer Sekretärin anreisen kann, die nur eine zweitklassige Garderobe besitzt.“

Susan zuckte merklich zusammen. Es war beschämend, dass sie offenbar nicht über die notwendige Ausstattung für eine solche Dienstreise verfügte. „Sie könnten mir sagen, was ich mitbringen soll“, schlug sie halbherzig vor.

Julian schüttelte den Kopf. „Meines Wissens besitzen Sie keine Kleider dieser Art.“

Stolz hob sie ihr Kinn. „Wenn ich Ihnen nicht modisch genug bin, finden Sie sicherlich im Büro eine andere Kraft, die Ihren hohen Anforderungen entspricht.“

„Mit Sicherheit“, gab er zu, „aber ich will Sie mitnehmen.“

„Nun, ich werde tun, was ich kann“, antwortete sie ausweichend. „Gibt es sonst noch etwas, das Sie mit mir besprechen wollen, Mr. Douglas?“

„Wir sollten zum Du übergehen“, sagte er unumwunden.

„Wieso?“ Susan war verblüfft, fasste sich aber im nächsten Augenblick wieder. „Aber wenn Sie … wenn du es wünschst, warum nicht?“ Schließlich war er ihr Vorgesetzter und konnte die Regeln nach Belieben festsetzen, sogar in ihrem eigenen Haus. „Ist das alles?“

„Nein.“ Sein starrer Blick raubte ihr langsam, aber sicher die Selbstkontrolle.

Richtig erschüttert war sie aber erst, als er sich ohne ein weiteres Wort zu verlieren umdrehte und auf die Treppe zusteuerte.

„Was soll das? Wo willst du hin?“, rief sie irritiert und folgte ihm.

„Nach oben“, erwiderte er ungerührt und stieg mit langen Schritten die Treppe hinauf. Im Obergeschoss öffnete er ein paar Türen, die zu unbenutzten Schlafzimmern führten. „Das hier ist ein wahres Mausoleum“, murmelte er. „Warum lebst du hier allein?“

„Es ist mein Zuhause“, antwortete sie scharf und baute sich entschlossen vor ihm auf. Sein übergriffartiges Verhalten ging jetzt langsam wirklich zu weit. „Was willst du eigentlich hier, Julian? Einmal abgesehen davon, sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufzuführen?“ Für wenige Sekunden vergaß sie, dass sie mit ihrem Arbeitgeber sprach.

„Ich will mich vergewissern, ob du über eine adäquate Garderobe verfügst.“

Und ehe Susan sich’s versah, standen sie in ihrem Schlafzimmer vor dem ungemachten Bett. Sie konnte kaum fassen, was Julian sich ihr gegenüber herausnahm. Stumm und wütend sah sie dabei zu, wie er einen prüfenden Blick in ihren Kleiderschrank warf.

„Wie ich es mir gedacht habe“, brummte er.

Susan holte tief Luft. „Ich entspreche nicht dem Bild der Frauen, mit denen du dich laut der einschlägigen Presse umgibst, das wissen wir wohl beide. Und jetzt möchte ich, dass du aus meinem Haus verschwindest! Die Tatsache, dass ich für dich arbeite, gibt dir nicht das Recht, hier in meinen Sachen herumzuschnüffeln.“

„Ich gehe“, lenkte er ein. „Aber du kommst mit mir!“

„Wie bitte?“ Sie schnappte nach Luft. „Warum sollte ich das tun?“

„Du hast keine passenden Sachen, also kaufen wir dir welche.“

Autor

Kate Hewitt
<p>Aufgewachsen in Pennsylvania, ging Kate nach ihrem Abschluss nach New York, um ihre bereits im College angefangene Karriere als Schauspielerin weiter zu verfolgen. Doch ihre Pläne änderten sich, als sie ihrer großen Liebe über den Weg lief. Bereits zehn Tage nach ihrer Hochzeit zog das verheiratete Paar nach England, wo...
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