Verführung unter goldener Sonne

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Wie verzaubert fühlt sich Francesca von dem Fremden, als sich ihre Blicke zufällig treffen. Aber hat sich der charmante Milliardär Carlo Carlucci wirklich gleich in sie verliebt? Francesca spürt, es gibt einen anderen Grund für den Heiratsantrag, den er ihr spontan macht …


  • Erscheinungstag 10.10.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759568
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Francesca stoppte die Vespa an einer Ampel und stellte den Fuß auf den Boden, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihre langen Beine waren gebräunt, und sie trug Riemchensandaletten. Es war ein herrlicher Tag und noch sehr früh. Fast hatte sie das Gefühl, als hätte sie den Corso für sich. Das kommt in dieser verrückten Stadt selten vor, dachte sie und warf den Kopf zurück, sodass ihr das lange goldbraune Haar in weichen Wellen über den Rücken fiel. Dann schloss sie die braunen Augen und hielt das Gesicht in die Sonne, um die warmen Strahlen zu genießen, die die Stadt in das für Italien so typische goldfarbene Licht tauchten.

Francesca lächelte strahlend. Das Leben war einfach perfekt. Sie lebte in einer der schönsten Städte der Welt, und in wenigen Tagen würde sie sich offiziell mit dem wunderbarsten Mann überhaupt verloben. In einem Monat würden Angelo und sie sich dann in einer hübschen kleinen Kirche am Albaner See das Jawort geben. Die Flitterwochen wollten sie in Venedig verbringen.

Und sie war überglücklich. Francesca seufzte zufrieden, während sie darauf wartete, dass die Ampel auf Grün schaltete. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie den schnittigen roten Sportwagen, der nun neben ihr hielt, gar nicht bemerkte. Erst als der Fahrer das Verdeck herunterließ und Musik von Puccini erklang, nahm sie ihn wahr.

Als sie den Kopf wandte und sah, warum der Fahrer das Verdeck heruntergelassen hatte, wünschte sie sofort, sie hätte es nicht getan. Sie bekam eine Gänsehaut, und der Ausdruck in ihren Augen wurde ernst, was allerdings nichts damit zu tun hatte, dass der Mann sie von Kopf bis Fuß musterte. Schließlich bewunderte der Durchschnittsitaliener die Frauen, wann immer sich ihm die Gelegenheit bot. Nein, sie reagierte deshalb so, weil sie diesen Mann kannte, oder besser gesagt, ihm einige Male begegnet war.

„Buon giorno, Signorina Bernard“, grüßte er höflich.

„Signor.“ Francesca deutete ein Nicken an.

Falls er ihr abweisendes Verhalten bemerkte, ignorierte er es. Er streckte die Hand aus und stellte die Musik leiser. Als er den Kopf neigte, glänzte sein schwarzes Haar in der Sonne. Signor Carlo Carlucci war ein Mann, den die meisten Leute als sehr attraktiv bezeichnet hätten. Noch nie hatte sie einen Mann mit so perfekten Zügen gesehen – hohen Wangenknochen, einer klassisch römischen Nase, wohlgeformten Lippen und einem markanten Kinn. Unruhig verlagerte sie ihre Position auf dem Sitz.

Carlo Carlucci hatte fast gerade schwarze Brauen und von dichten, langen Wimpern gesäumte dunkelbraune Augen. Er war tief gebräunt, und als er sich zu ihr umdrehte, um ihr seine volle Aufmerksamkeit zu schenken, beobachtete sie das Spiel seiner Muskeln unter dem blütenweißen Hemd. Er hatte Stil und Klasse und wirkte gleichermaßen gewandt und beherrscht. Es hätte eigentlich nicht sein dürfen, aber er machte sie nervös und brachte sie gegen sich auf.

Selbst sein höfliches Lächeln beunruhigte sie, als er sagte: „Sie haben eben so einen glücklichen Eindruck gemacht. Das liegt sicher am Wetter.“

Jetzt bin ich jedenfalls nicht mehr glücklich, dachte Francesca ärgerlich. Und wünschte, sie würde verstehen, warum sie immer argwöhnte, dass er sich über sie lustig machte, wenn er mit ihr sprach. Bereits bei ihrer ersten Begegnung auf einer Party bei Angelos Eltern hatte sie das Gefühl gehabt. Selbst die Art, wie er sie ansah, vermittelte ihr den Eindruck, dass er Dinge über sie wusste, die sie selbst nicht einmal ahnte.

Und genau das tat er auch jetzt. Ja, er machte sich eindeutig über sie lustig!

„Endlich ist es Sommer“, bestätigte sie, um bei dem unverfänglichen Thema zu bleiben.

„Und deswegen sind Sie so früh unterwegs.“ Carlo Carlucci nickte ernst.

„Ich bin so früh unterwegs, weil ich heute meinen freien Tag habe und noch einiges erledigen muss, bevor ich shoppen gehen kann.“

„Ah.“ Wieder nickte er. „Jetzt ist mir klar, warum Sie so glücklich gewirkt haben. Shoppen macht bestimmt mehr Spaß, als müde Touristen durch die Sixtinische Kapelle oder zur Spanischen Treppe zu führen.“

Er hatte das Spötteln zur Kunstform erhoben, wie Francesca sich eingestehen musste. Sie arbeitete bereits seit einigen Monaten als Fremdenführerin für britische Touristen und hatte schnell die Erfahrung gemacht, dass die Römer ein wenig auf die Urlauber herabblickten, obwohl der Fremdenverkehr eine wichtige Einnahmequelle für die Stadt war. Dies ging manchmal so weit, dass sie ihnen gegenüber richtig unhöflich waren, vor allem in der Hochsaison, wenn sie nirgends hingehen konnten, ohne auf Reisegruppen zu stoßen.

„Sie sollten stolz auf Ihr Erbe sein“, tadelte sie ihn steif.

„Oh, das bin ich auch, sehr sogar. Ich teile nur nicht gern“, erklärte er. „Das liegt nicht in meiner Natur.“

„Das klingt sehr egoistisch.“

„Nicht egoistisch, sondern besitzergreifend.“

„Was im Grunde dasselbe ist“, beharrte Francesca.

„Finden Sie?“ Carlo Carlucci dachte flüchtig darüber nach. Dabei legte er den Arm zuerst auf die Lehne des Ledersitzes und fasste sich dann an die frisch rasierte Wange. Er war umwerfend. Plötzlich wurde ihr Mund ganz trocken, ihr Magen krampfte sich zusammen, und ihr war überdeutlich bewusst, wie sehr der Motorroller vibrierte.

„Nein, da bin ich anderer Meinung, cara“, fuhr Carlo Carlucci fort, und sofort ließ Francesca den Blick zu seinen Lippen schweifen. „Fänden Sie es immer noch egoistisch, wenn ich von meiner festen Freundin erwarten würde, dass sie mir treu ist?“

Ob er eine feste Freundin hatte? Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wurde ihr plötzlich heiß. Ärgerlich fragte sich Francesca, was mit ihr los war. Sie kannte ihn schließlich kaum und mochte ihn nicht einmal. Außerdem waren Männer wie er unerreichbar für sie, und so sollte es auch bleiben.

„Wir haben von Rom gesprochen“, erinnerte sie ihn und sah zur Ampel. Wann wurde es endlich Grün?

„Ach ja? Ich dachte, wir hätten darüber geredet, dass ich nicht gern teile“, erwiderte er lässig. Wieder zog er sie auf, aber warum? „Sind Sie bereit, Ihre Liebhaber mit anderen Frauen zu teilen, Francesca?“, fragte er anschließend. „Wenn ich zum Beispiel Ihr Liebhaber wäre, würden Sie dann von mir erwarten, dass ich Ihnen treu bin?“

Das war wirklich albern! „Da dieser Fall sicher nie eintreten wird, Signor, sehe ich keinen Sinn darin, darüber zu sprechen“, verkündete Francesca so abweisend wie möglich, ganz die kühle Engländerin.

„Schade!“ Er seufzte. „Und ich dachte schon, wir könnten unser Gespräch in einer netteren Umgebung fortführen.“

In einer netteren Umgebung?

Das war ein eindeutiger Annäherungsversuch. Schockiert sah sie Carlo Carlucci an. Es war ein Fehler, wie ihr sofort klar wurde. Ihr stockte der Atem, und ein Schauer überlief sie, denn Carlo Carlucci ließ gerade den Blick über ihr Bein schweifen. Plötzlich schien die Luft zu knistern, und Francesca verspürte ein erregendes Prickeln, als würde er sie berühren. Beinah hätte sie laut aufgestöhnt. Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um den weißen Rock, der über ihrem Schenkel spannte, nicht hinunterzuziehen.

Lassen Sie das!, hätte sie Carlo Carlucci am liebsten angeschrien, brachte jedoch kein Wort über die Lippen. Sie beobachtete, wie er den Blick zu ihrem knappen blauen Top schweifen ließ, und spürte zu ihrem Entsetzen, wie ihre Knospen sich aufrichteten und sich darunter abzeichneten. Wie erstarrt saß sie da und betrachtete ihn unverwandt, bis ihre Blicke sich begegneten.

Er begehrte sie. Die Erkenntnis schockierte Francesca, und ihr wurde wieder heiß. Der Ausdruck in seinen Augen bewies, dass er genau wusste, was in ihr vorging, und, was noch schlimmer war, dass Carlo Carlucci genauso empfand. Sie spürte förmlich sein Verlangen, sah es in seinen Augen, die nun schwarz wirkten. Zu ihrem Entsetzen merkte sie, wie Hitzewellen ihren Schoß durchfluteten. Sie war vierundzwanzig, und noch nie zuvor war ihr so etwas passiert. Noch einige schreckliche Sekunden lang konnte sie nicht atmen, sich nicht rühren, keinen klaren Gedanken fassen …

„Trinken Sie einen Kaffee mit mir“, drang plötzlich Carlo Carluccis Stimme an ihr Ohr. „Treffen Sie sich im Café Milano mit mir …“

Trinken Sie Kaffee mit mir, wiederholte Francesca langsam im Stillen. Es dauerte eine Weile, bis ihr die Bedeutung seiner Worte bewusst wurde. Sie atmete tief ein. Irgendjemand hupte. Abrupt kehrte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Mühsam wandte sie den Blick von Carlo Carlucci ab und sah zur Ampel, die inzwischen auf Grün umgeschaltet hatte. In Panik gab sie Gas und ergriff die Flucht.

Eine Vespa mit einem Lamborghini zu überholen wäre ein Kinderspiel gewesen, doch Carlo ignorierte das Hupen hinter ihm und blieb, wo er war. Aus zusammengekniffenen Augen blickte er dem Motorroller und dessen Fahrerin nach, deren seidiges braunes Haar im Wind flatterte. Er hatte sie zu Tode erschreckt. Hatte er das beabsichtigt? Er war sich hinsichtlich seiner Beweggründe nicht ganz sicher, wusste nur, dass sich ihm eine Gelegenheit geboten und er sie ergriffen hatte, ohne Rücksicht auf Verluste.

Der leise Klang der klassischen Musik, die gerade zu einem Crescendo anwuchs, drang in sein Bewusstsein. Nachdem Carlo die Anlage lauter gedreht hatte, gab er Gas. Er merkte, wie ihm feine Schweißperlen über den Oberkörper liefen, und verzog das Gesicht. Francesca Bernard war die aufregendste, sinnlichste Frau, der er je begegnet war, und er würde nicht zulassen, dass sie diese geballte Erotik an einen ungehobelten, geldgierigen Kerl wie Angelo Batiste verschwendete.

Während er in hohem Tempo den Corso entlangfuhr, beobachtete er, wie Francesca an einer Kreuzung abbog. Als er die Kreuzung erreichte, war sie nicht mehr zu sehen.

Francesca war zu einer kleinen Piazza gefahren und abgestiegen. Sie war so aufgewühlt, dass sie ganz weiche Knie hatte und am ganzen Körper zitterte. Daher ging sie zum nächsten Café, wo sie sich frisch gepressten Orangensaft bestellte. Sie stand noch immer unter Schock. Die Begegnung mit Carlo Carlucci hatte sie so mitgenommen, dass sie noch immer jenes heiße Prickeln verspürte. Hätte er sie tatsächlich berührt, hätte sie vermutlich einen Höhepunkt erreicht. Sie konnte es sich beim besten Willen nicht erklären, denn sie war ihm höchstens dreimal begegnet und kannte ihn nur flüchtig. Außerdem mochte sie ihn nicht einmal.

Ihr Orangensaft kam. Nachdem sie sich bei dem Kellner bedankt hatte, nahm sie das Glas und trank einen großen Schluck. Dann stellte sie das Glas wieder auf den Tisch und betrachtete es nachdenklich. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie ihn mit seinem Verhalten einfach hatte davonkommen lassen. Normalerweise wusste sie genau, wie sie mit aufdringlichen Italienern fertig wurde, die nur aus Zeitvertreib mit ihr flirteten.

Der fünfunddreißigjährige Carlo Carlucci war allerdings kein gewöhnlicher Italiener. Er war der Inhaber des Elektronikkonzerns Carlucci und hatte ihr weitaus mehr als zehn Jahre an Lebenserfahrung voraus. Sie beide trennten Welten. Die Frauen vergötterten ihn. In der Öffentlichkeit sah man ihn fast immer mit irgendeiner Schönheit im Arm.

Er war etwas ganz Besonderes. Selbst hier, im schicken Rom, war er das Vorbild aller Männer. Unter normalen Umständen hätte eine gewöhnliche Fremdenführerin wie sie ihn nie kennengelernt. Doch Angelo war der Sohn eines seiner Geschäftsfreunde, und daher waren sie in den letzten Wochen zu denselben Partys eingeladen gewesen. Es bedeutete allerdings nicht, dass sie auch in denselben Kreisen verkehrten, wie Francesca sich ins Gedächtnis rief. Selbst Angelo nickte er stets nur kühl zu. Die Firma seines Vaters war von ihm abhängig, und Angelo war nur wenige Jahre älter als sie, was ihn auf diesen glanzvollen gesellschaftlichen Ereignissen zu einem Nobody machte.

Aber wenigstens war er nett, sanftmütig und unkompliziert. Spaß zu haben war ihm wichtiger als Leidenschaft. Und sie liebte ihn.

Nun musste Francesca sich allerdings eingestehen, dass sie seit ihrer Begegnung mit Carlo Carlucci nicht eine Sekunde an Angelo gedacht hatte.

„Oh“, stieß sie hervor. Wieder verspürte sie ein erregendes Prickeln, das aber schnell heftigen Schuldgefühlen wich. Wie hatte sie Angelo an der Ampel nur vergessen können?

Impulsiv langte sie in ihre Handtasche, um ihr Handy herauszunehmen und ihn anzurufen. Sie musste unbedingt seine Stimme hören und sich selbst beweisen, dass nur ihre Hormone verrückt gespielt hatten. Sein Telefon war ausgeschaltet. Erst jetzt fiel ihr ein, dass er an diesem Tag geschäftlich in Mailand zu tun hatte und daher nicht zu erreichen war.

Francesca warf ihr Handy auf den Tisch und schloss die Augen, um Carlo Carluccis Bild zu verdrängen und sich Angelos ins Gedächtnis zu rufen. Angelo hatte überhaupt keine dunklen Seiten. Er war ein Sonnyboy und hatte im Gegensatz zu den meisten anderen Italienern sogar goldbraunes Haar und ebensolche Augen. Wenn er einen Raum betrat, verbreitete er eine heitere Stimmung. Wenn er sie ansah, fühlte sie sich geliebt und schön, statt heißes Verlangen zu empfinden.

Sicher fragte sie sich manchmal, warum es ihrer Beziehung an Leidenschaft fehlte. Tatsächlich hatte sie noch nicht einmal mit Angelo geschlafen.

„Wir tun es, wenn du so weit bist“, hatte er oft in dem für ihn typischen sanften Tonfall gesagt.

Und damit hatte er recht gehabt, denn sie war noch nicht dazu bereit. Er hatte von Anfang an verstanden, dass sie Angst vor dem ersten Mal hatte. Ihre Mutter war sehr religiös gewesen und hatte ihr strenge Moralvorstellungen vermittelt, unter anderem die, dass Sex vor der Ehe tabu war.

Natürlich waren solche Prinzipien inzwischen so altmodisch, dass sie manchen Leuten geradezu lächerlich erscheinen mussten. Sonya, ihre beste Freundin und Mitbewohnerin, machte sich zum Beispiel oft über sie lustig. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ein toller Mann wie Angelo sich für ein schüchternes, altmodisches Mädchen wie sie interessierte.

„Du musst verrückt sein, wenn du mit einem Mann wie ihm russisches Roulette spielst“, hatte sie einmal gesagt. „Hast du keine Angst davor, dass er sich woanders holt, was er braucht?“

Francesca musste zugeben, dass sie sich manchmal tatsächlich davor fürchtete. Sie hatte es Angelo sogar gestanden. Daraufhin hatte er nur gelächelt, sie geküsst und erklärt, Sonya wäre lediglich eifersüchtig und hätte keine Prinzipien. Die beiden konnten sich nicht ausstehen. Sie liebte sie beide, oder besser gesagt, die beiden liebten sie.

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Im nächsten Moment klingelte ihr Handy, und Francesca nahm es in die Hand und schaltete es nach einem Blick aufs Display ein. „Na, haben dir gerade die Ohren geklungen?“

„Was soll das heißen?“, fragte Sonya und fuhr dann verdrießlich fort: „Anscheinend bist du gerade mit deinem Schatz zusammen, und er zieht wieder über mich her.“

„Nein“, entgegnete Francesca. „Angelo ist heute in Mailand. Also zieh deine Krallen ein, und sag mir, warum du anrufst.“

„Tue ich das denn nur, wenn ich etwas von dir will?“

„Wenn du es genau wissen willst, ja“, erwiderte Francesca trocken.

„Na ja, diesmal nicht“, erklärte ihre Mitbewohnerin. „Als ich heute aufgestanden bin, warst du schon weg. Warum bist du so früh los? Heute ist doch dein freier Tag.“

„Und du müsstest längst auf dem Weg zur Arbeit sein.“ Francesca blickte auf ihre Armbanduhr. „Wann bist du heute Morgen ins Bett gefallen?“

„Lenk nicht vom Thema ab“, sagte Sonya scharf. „Wo bist du, und wie lange bleibst du weg?“

„Ich wollte in die Stadt und einkaufen, bevor es zu heiß ist, um Klamotten anzuprobieren.“

„Ach, das hatte ich ganz vergessen. Heute ist ja der große Tag. Du willst ein Hochzeitskleid finden, dessen Anblick Angelo den Atem verschlägt.“

Francesca seufzte entnervt. „Hör doch auf damit, Sonya! Ich hoffe, ihr beide schließt vor der Party am Samstagabend noch Waffenstillstand.“

„Vielleicht ist es dir lieber, wenn ich gar nicht komme. Dann brauchst du dir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.“

Wieder seufzte Francesca. „Das ist jetzt wirklich kindisch.“

„Und du klingst schon wie meine Mutter. Tu dies nicht, tu das nicht. Ich hatte gehofft, all das hinter mir lassen zu können, als ich nach Rom kam.“

Erschrocken musste Francesca sich eingestehen, dass Sonya recht hatte. „Tut mir leid“, brachte sie hervor.

„Vergiss es.“ Nun war Sonya diejenige, die seufzte. „Du weißt ja, wie zickig ich frühmorgens sein kann. Kauf dir ein schönes Kleid, und ich bin ein braves Mädchen und schleppe mich zur Arbeit.“

Nachdem Francesca kurz darauf ihr Handy ausgeschaltet hatte, saß sie stirnrunzelnd da und fragte sich, warum dieser Tag, der so vielversprechend angefangen hatte, so verlaufen war.

Sie kannte die Antwort darauf. Sie sah dunkle Augen vor sich und hörte eine tiefe Stimme, die sagte: „Trinken Sie einen Kaffee mit mir.“

Plötzlich kam Wind auf. Die Tischdecken blähten sich, und ihr wehte das Haar ins Gesicht. Francesca fröstelte. Die Kellner eilten herbei, um die Decken zu glätten, und sie hatte plötzlich ein ungutes Gefühl.

Nachdem sie etwas Geld aus ihrem Portemonnaie genommen und auf den Tisch gelegt hatte, stand sie auf. Als sie zu ihrem Motorroller ging, hatte sie immer noch eine Gänsehaut. Allerdings fröstelte sie nicht, sondern bebte. Es war fast wie eine Vorahnung.

2. KAPITEL

Erst am frühen Nachmittag kehrte Francesca in ihre Wohnung zurück. Kaum hatte sie sie betreten, blieb sie stehen und blickte sich stirnrunzelnd um. Die Sofakissen waren zerknautscht, auf dem Couchtisch standen zwei halb leere Kaffeetassen, und auf dem Boden lagen zwei umgefallene Weingläser und eine leere Flasche. Die Tür zu Sonyas Schlafzimmer war offen, und auch dort herrschte Chaos.

Plötzlich klingelte ihr Handy. Francesca stellte die Tüten auf den Boden und nahm es aus ihrer Handtasche. Bei der Anruferin handelte es sich um Bianca, die Büroleiterin der Firma, für die Sonya und sie arbeiteten.

„Sonya ist heute nicht zur Arbeit erschienen“, verkündete Bianca. „Hast du eine Ahnung, wo sie steckt? Sie geht weder ans Handy noch ans Telefon.“

Francesca vermutete, dass Sonya unerwartet Besuch bekommen hatte. Aus Loyalität ihrer Freundin gegenüber würde sie es Bianca allerdings nicht erzählen.

„Tut mir leid, aber ich bin heute Morgen vor Sonya aus dem Haus gegangen“, erwiderte sie daher, was ja auch stimmte. „Hat sie dir nicht Bescheid gesagt, dass sie zu spät kommt?“

„Nein“, sagte Bianca verärgert. „Und jetzt fehlt mir jemand. Das ist schon das dritte Mal innerhalb von zwei Wochen, dass sie mich hängen lässt.“

Francesca war überrascht, denn sie hatte nicht geahnt, dass Sonya nicht zur Arbeit gegangen war. „Ich weiß nur, dass sie in letzter Zeit Probleme mit einem Weisheitszahn hat.“ Das stimmte auch. Allerdings hatte Sonya panische Angst vor dem Zahnarzt. „Vielleicht ist sie zum Zahnarzt gegangen.“

„Wer’s glaubt!“, bemerkte Bianca scharf. „Es ist dieser Mann, mit dem sie sich trifft.“

„Was für ein Mann?“ Sonya hatte momentan keinen Freund, soweit Francesca wusste.

„Spiel ja nicht die Unschuldige, Francesca“, schalt Bianca. „Du weißt doch Bescheid über diesen verheirateten Kerl, in den sie sich verliebt hat. Wenn sie noch einen Funken Verstand hat, lässt sie ihn fallen, bevor diese Firma sie fallen lässt. Ich kann es mir nicht leisten …“

Francesca hörte ihr nicht mehr zu. Sie war so verblüfft, dass sie sich hinsetzen musste. Sie kannte Sonya bereits seit dem Studium, und Sonya vertraute ihr alles an. Von einem neuen Freund hatte sie jedoch allerdings nichts erzählt.“

Ein verheirateter Mann?

„Ich komme und vertrete sie, wenn du mich brauchst“, fiel Francesca Bianca ins Wort.

„Macht es dir wirklich nichts aus? Du wolltest doch heute dein Hochzeitskleid kaufen.“

„Das habe ich auch“, versicherte Francesca. „Ich mache mich gleich auf den Weg.“

„Du bist ein Schatz, Francesca“, sagte Bianca erleichtert. „Im Gegensatz zu deiner Freundin.“

Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, fragte Francesca sich wieder, warum dieser Tag, der so vielversprechend angefangen hatte, so verlaufen war. Sie war glücklich gewesen – alles war perfekt gewesen!

Dann war sie Carlo Carlucci begegnet. Francesca erschauerte. Seitdem war alles schief gelaufen. Selbst ihr Einkaufsbummel durch die teuersten Boutiquen hatte keinen Spaß gemacht, und sie war sich nicht sicher, ob das Kleid, das sie ausgesucht hatte, wirklich das Richtige war. Nun war Sonya verschwunden, und inzwischen war ihr auch klar, warum sie sie angerufen hatte. Sie hatte sie fragen wollen, ob sie sie vertreten könnte, sich dann aber nicht mehr getraut.

Und nun hatte sie erfahren, dass Sonya sie angelogen oder ihr zumindest etwas verschwiegen hatte.

Ärgerlich stand Francesca auf, um die Kaffeetassen vom Tisch zu nehmen. Dann verharrte sie jedoch mitten in der Bewegung. Die Sachen hinter Sonya herzuräumen war etwas, was ihre Mutter getan hätte.

„Oh verdammt!“, rief Francesca. Und dabei fluchte sie sonst nie!

Denn ihre Mutter wäre entsetzt gewesen.

„Verdammt!“, fluchte sie wieder, diesmal etwas leiser, und begann, ihre Einkäufe wegzuräumen.

Plötzlich erstarrte sie und horchte in sich hinein. Ihre Mutter lebte nicht mehr, und sie wollte nicht schlecht von ihr denken. Maria Bernard hatte zu viel durchmachen müssen, wie Francesca sich traurig vor Augen führte, während sie ihr Kleid auspackte und aufhängte.

Maria Gianni war die schöne Tochter von Rinaldo Gianni gewesen, einem Mann, der zu Hause mit eiserner Faust regierte. Bereits von ihrer Geburt an hatte er die Zukunft seiner Tochter verplant. Dann durchkreuzte diese seine Pläne, indem sie sich in einen englischen Schwerenöter namens Vincent Bernard verliebte, der es allerdings nur auf ihr Erbe abgesehen hatte. Er brauchte nur einen Monat, um sie zu schwängern, und einen weiteren, um die Erlaubnis ihres Vaters, sie zu heiraten, zu bekommen – bevor Rinaldo sie beide hinauswarf. Vincent nahm sie mit nach England. Er war davon überzeugt, dass Rinaldo Maria verzeihen würde, sobald sie ihm den Enkel gebar, den er sich so sehnlich wünschte. Als das Baby ein Mädchen war, waren beide Männer enttäuscht. Vincent verließ Maria und heiratete ein Jahr nach der Scheidung sein nächstes Opfer. Die Scheidung war in den Augen ihrer Mutter die größte Sünde und Demütigung überhaupt. Sie hatte das Scheidungsurteil nie anerkannt und ihrem Vater nie verziehen, dass er ihr nicht verziehen hatte, weil sie nicht in seinem Sinne gehandelt hatte. Alle drei hatten nie wieder miteinander gesprochen.

Rinaldo Gianni war gestorben, als sie, Francesa, zehn Jahre alt war. Er hatte sie nie als eine Enkelin anerkannt, und sie war ihm nie begegnet, genauso wenig wie ihrem Vater, der – Ironie des Schicksals – ungefähr zum selben Zeitpunkt gestorben war. Erst ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter erfüllte sie sich einen lang gehegten Wunsch und reiste nach Rom, um ihren einzigen noch lebenden Verwandten kennenzulernen. Selbst bei ihrer Einreise verspürte sie Schuldgefühle, weil sie wusste, dass ihre Mutter es nicht gutgeheißen hätte. Doch sie fühlte sich einsam und hoffte, ihr Großonkel Bruno Gianni würde Marias Tochter mit offenen Armen empfangen.

Sie hatte weder sein Geld noch seine Liebe gewollt. Und ich habe auch weder das eine noch das andere bekommen, dachte Francesca ironisch, während sie sich nach einer kurzen Dusche abtrocknete. Wie sie erfahren hatte, war Bruno Gianni ein sehr alter Mann, der wie ein Einsiedler in einem baufälligen Palazzo in den Albaner Bergen südlich von Rom hauste. Nachdem sie einen ersten, zaghaften Schritt auf ihn zugemacht hatte, erhielt sie einen Brief mit der Antwort, er hätte keine Großnichte. Nur durch ihre Hartnäckigkeit schaffte sie es schließlich, doch eine Audienz bei ihm zu bekommen.

Es war eine seltsame Begegnung gewesen. Francesca verharrte einen Moment regungslos, während sie an die erste und bisher einzige Begegnung mit ihrem Großonkel dachte. Sie hatte ihn auf Anhieb gemocht, obwohl er ihr gleich unverblümt mitteilte, falls sie hinter seinem Geld her wäre, müsste er sie enttäuschen. Der baufällige Palazzo würde der Bank gehören, und sein restliches Geld würde nach seinem Tod der Staat kassieren.

Doch sie hatte in seinen Augen die Augen ihrer Mutter und ihre eigenen gesehen. Und sie hatte sich danach gesehnt, ihn zu umarmen, sich aber nicht getraut. Er war eine sehr gepflegte Erscheinung und trotz seines hohen Alters kaum faltig.

Francesa lächelte, als sie sich anzog und in ihre Uniform schlüpfte, ein rotes Kleid mit grünen Abzeichen.

Sie hatte ihm von dem Leben erzählt, dass ihre Mutter und sie in London geführt hatten, von den Schulen, auf die sie gegangen war, und ihrem Studium. Außerdem hatte sie berichtet, dass sie als Fremdenführerin in Rom arbeitete und mit einer Freundin zusammenwohnte. Er hörte ihr ruhig zu, nickte schließlich und klingelte nach der Haushälterin. Als diese gekommen war, um sie hinauszubringen, hatte er nur gesagt: „Genießen Sie Ihr restliches Leben, Signorina“, und ihr war klar gewesen, dass er sie nicht wiedersehen wollte.

Allerdings hielt sie immer noch Kontakt zu ihm. Sie schickte ihm jede Woche kurze Briefe, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Als sie Angelo kennengelernt hatte, hatte sie es ihm gleich nach Sonya erzählt. Ihr Großonkel hatte jedoch keinen einzigen dieser Briefe beantwortet, sodass sie nicht einmal wusste, ob er sie überhaupt las. Als sie Angelo von ihm erzählt hatte, war dieser zuerst schockiert und ungläubig gewesen. Dann hatte er gelacht und ihre erste Begegnung als schicksalhaft bezeichnet, weil Bruno Gianni nur wenige Kilometer vom Landsitz seiner Eltern entfernt lebte.

„Wenn deine Mama hier mit dir hätte leben dürfen, wären wir zusammen aufgewachsen und hätten uns vielleicht schon viel früher ineinander verliebt“, hatte er gesagt.

Diese Vorstellung gefiel ihr, denn sie ließ ihre Liebe in einem ganz anderen Licht erscheinen.

Angelo hatte sie einige Male eingeladen, das Wochenende in der Villa Batiste in der Castelli Romani zu verbringen. Dann war sie zum Palazzo ihres Onkels gegangen und hatte diesem eine Nachricht hinterlassen, wo sie sich befand, für den Fall, dass er sie doch einmal sehen wollte. Aber er hatte sich nie gemeldet und nicht einmal auf die Einladung zu ihrer Verlobungsfeier an diesem Wochenende reagiert.

Francesca musste sich eingestehen, dass sie ein wenig verletzt war. Allerdings siegte Hartnäckigkeit oft, wie Angelo zu sagen pflegte. „Vielleicht kommt er ja doch zu unserer Hochzeit.“

Ja, vielleicht kommt er, dachte Francesca hoffnungsvoll, als sie wenige Minuten später wieder nach draußen in die Sonne trat. Auch wenn sie von ihrem Großonkel enttäuscht war, hatte sie nie bedauert, nach Rom gekommen zu sein. Sie sprach fließend Italienisch, und was sie über die Geschichte der Stadt wusste, hatte sie sich im Lauf der Zeit angelesen. Sie liebte ihren Job, liebte ihr Leben, und sie liebte Angelo.

Diesmal herrschte dichter Verkehr auf den Straßen, sodass sie sich mit ihrem Roller zwischen den Wagen hindurchschlängeln musste. Jetzt, in der Hochsaison, war die Stadt besonders voll. Als sie später in ihre Wohnung zurückkehrte, wollte sie nur noch unter die Dusche und die schmerzenden Füße hochlegen.

Autor

Michelle Reid

Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht.

Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre...

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