Verloren in deinen Armen?

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Charmant, humorvoll und sexy! Gegen jede Vernunft genießt Elspeth den Flirt mit dem sexy Fremden! Nur für diese eine Nacht will die schöne Ärztin ihre Pflichten vergessen und lässt sich zu heißen Stunden der Lust hinreißen. Für mehr ist in ihrem Alltag kein Platz, schließlich muss sie ihre kranke Schwester pflegen. Doch als ihre Romanze süße Folgen hat, steht ihr Leben Kopf. Denn der Vater des Babys ist nicht nur ein schottischer Lord, der galante Schlossbesitzer macht Elspeth auch ein völlig verrücktes Angebot!


  • Erscheinungstag 16.07.2019
  • Bandnummer 152019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712334
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Na, wen von den beiden kannst du nicht ausstehen? Die Braut oder den Bräutigam?“

Elspeth verzog das Gesicht, als sie die Stimme des Fremden in ihrem Rücken hörte. Sie drehte sich zu ihm um und zuckte zusammen.

Er war ihr schon früher aufgefallen. Wie auch nicht? Selbst in einem Gewimmel von Schottenkaro und Kilts stach er hervor. Er war größer und breiter als die meisten Männer im Royal Botanic Garden in Edinburgh, und zu Tagesbeginn hatte er offenbar wohl versucht, sein dunkles Haar annähernd ordentlich zu kämmen, doch mit der Zeit fand es immer mehr zurück in den gewohnt widerspenstigen Zustand.

Schon öffnete Elspeth den Mund zu einer Antwort, die ihn in seine Schranken weisen sollte, als der Mann sich einen Stuhl heranzog und sich neben sie setzte, mit einem Selbstbewusstsein, das verriet, wie wohl er sich im Rock fühlte.

„Ich habe gar nichts gegen beide, versteht sich“, sagte sie und setzte ein Lächeln auf – auch wenn ihr klar war, dass es ihr augenscheinlich nicht gelang, eine Begeisterung vorzutäuschen, die sie nicht empfand. Schließlich nahm sie an dieser Hochzeit nur teil, um die Form zu wahren …

„Warum schaust du dann so bekümmert?“, fragte ihr neuer Bekannter und sah sie forschend an.

„Vielleicht habe ich einfach von Natur aus ein trauriges Gesicht.“

Sie wusste selbst nicht, warum sie ihm überhaupt antwortete. Seit fast sechs Stunden stellte sie an diesem auf höchst paradoxe Weise qualvollsten Tag ihres Lebens ihr bestes falsches Gesellschaftslächeln zur Schau. Was ging es diesen Kerl an, wenn sie nun drei Minuten lang nicht gelächelt hatte, da aller Augen den Eröffnungstanz von Braut und Bräutigam verfolgten?

„Das ist eine lange Geschichte“, ergänzte sie seufzend.

Sie fragte sich flüchtig, warum sie das Gespräch nicht einfach abgebrochen hatte, wie sie es ursprünglich beabsichtigt hatte. Vielleicht machte die Szene vor ihren Augen sie rührselig. Oder das Datum dieses Tages, unter dem sie in ihrem Kalender schlicht „meine Hochzeit“ eingetragen hatte. Und der Umstand, dass sie genau diese Location für ihre eigene Hochzeit gebucht hatte. Die Blumen hatte sie ausgesucht, und selbst das Menü war eben das, das sie vor knapp einem Jahr probegekostet hatte – für den vermeintlich schönsten Tag in ihrem Leben.

Tatsächlich war dies die Hochzeit, die sie ein Jahr lang geplant hatte und dann absagen musste, als sie sich vor sechs Monaten von ihrem Verlobten getrennt hatte.

Sie dachte daran, wie sie am Morgen, nachdem sie die ganze Sache abgeblasen hatte, mit rot geweinten Augen und fahlem Teint ins Büro gekommen war, wo Janet, ihre Chefin, voller Stolz ihren neuen Diamantring herumzeigte. Und bevor sie sich’s versah, bot ihre Chefin ihr an, Elspeths komplette Arrangements einfach zu übernehmen – sodass diese ihre Anzahlungen nicht verlor und sie selbst eine Blitzhochzeit haben konnte.

Natürlich machte sie einen größeren Zirkus daraus, als Elspeth für ihr eigenes Fest geplant hatte, lud hundert Gäste mehr ein und hängte ein paar Nullen ans Budget. Doch den ganzen Tag über hatte Elspeths Hochzeit durchgeschimmert. Und das war schmerzhaft.

Nicht dass sie an ihrer Entscheidung zweifelte, die sie sechs Monate zuvor getroffen hatte. Auch in finanzieller Hinsicht war es vernünftig gewesen. Elspeth konnte es sich nicht leisten, das Geld zu verlieren, deshalb hatte sie sich darauf eingelassen und die Sache ad acta gelegt, bis sie dann die Einladung erhielt und wusste, dass ihr Erscheinen Pflicht war.

Sie konnte es sich nicht leisten, in der Arztpraxis, in der sie den allerletzten Teil ihrer Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin absolvierte, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Sie wollte unbedingt eine feste Stelle, sonst wäre sie jetzt nicht hier. Doch sie brauchte dringend finanzielle Sicherheit, und das hieß, dass sie hier sein musste, lächeln musste und ihre Chefin nicht merken lassen durfte, wie schwer ihr das alles fiel.

Und wie sich jetzt gerade herausstellte, machte sie ihre Sache so schlecht, dass ein völlig Fremder sie bereits durchschaut hatte.

Elspeth tröstete sich damit, dass Janet ihr am Tag ihrer Hochzeit wohl kaum große Aufmerksamkeit schenken würde. Wenn Elspeth auf Fotos zu sehen war und am Montag beim unvermeidlichen Praxis-Klatsch über das Ereignis Erwähnung fand, dürfte es reichen.

Aber zunächst einmal musste sie diesen Mann loswerden. Das Letzte, was sie in ihrem Elend an diesem Tag brauchte, war Gesellschaft. Sie musste nur noch den Brauttanz und das Anschneiden ihrer Hochzeitstorte zu überstehen, dann konnte sie nach Hause gehen.

Ein harter Drink war alles, was sie sonst noch brauchte.

Sie stand auf, ging in Richtung Bar und fragte sich, ob der Mann ihr folgen würde. Ihr vernünftiges Ich, der Teil von ihr, der normalerweise das Kommando hatte, hoffte, dass er es nicht tat. Dass sie ihren Kummer einfach allein ertränken konnte. Aber etwas in seinem Blick, etwas Freches, das Unfug versprach, faszinierte sie. Weckte den Wunsch, die Stimme der Vernunft zu ignorieren.

„Wenn du also keinen von ihnen nicht ausstehen kannst, worum geht es dann in dieser langen Geschichte?“

Elspeth wurde flau im Magen, als seine weiche Stimme hinter ihr erklang. Seine Nähe bewirkte ein Kribbeln auf ihrer Haut. Da hatte sie die Antwort auf ihre Frage.

„Ich weiß nicht, ob ich wirklich darüber reden will“, sagte sie und nahm eine der Champagnerflöten, die auf Tabletts auf dem Tresen bereitstanden. Sie trank einen großen Schluck und wandte sich dem Mann zu.

Er lächelte entspannt und ungezwungen, nahm sich ebenfalls ein Glas und lehnte sich rücklings an den Tresen. „Darf ich dann wenigstens versuchen, dich auf andere Gedanken zu bringen?“

Nur zu.

Wenn ihr die Fantasie durchging, dann aber richtig, stellte sie fest, als ihr eine ganze Reihe von Ideen zum gemeinsamen Zeitvertreib durch den Kopf schoss.

Über den Rand ihres Glases hinweg musterte sie ihn eingehend. „Warum?“

Er lehnte immer noch am Tresen, der Inbegriff lässiger Unbekümmertheit. „Wie wär’s hiermit: Ich bin auch nur gezwungenermaßen hier. Ich hasse Hochzeiten und verstehe Leute nicht, denen es anders geht. Es könnte ganz lustig sein, eine Komplizin zu haben.“

Elspeth sah ihn aus schmalen Augen an. Wirklich, sie wollte nur noch raus. Aber da das nicht möglich war, bevor alle Formalitäten überstanden waren, konnte sie sich vielleicht wirklich ein bisschen mit ihm die Zeit vertreiben. Hinzu kam, dass seine Waden unter seinem Kilt immer wieder ihre Blicke auf sich zogen und dass sein Haar sich wild entschlossen gegen die ordentliche Frisur wehrte, in die er es früher wohl gezwungen hatte. Und die Art, wie er sie fixierte, mit seinen grünen Augen, die Unfug versprachen, wenn sie denn wollte.

„Eine Komplizin? Was genau hast du vor?“, fragte sie. „Ich verzichte gern darauf, mich verhaften zu lassen, also wäre es mir lieb, im Rahmen der Legalität zu bleiben. Aber dann mal los. Mach, was du willst.“

„In diesem Fall: Hast du Lust zu tanzen?“

Elspeth warf einen Blick über die Schulter zur Tanzfläche, die sich mit Gästen füllte. Braut und Bräutigam tanzten noch immer eng umschlungen in der Mitte.

Sie lachte. „Das ist alles? Damit willst du mich auf andere Gedanken bringen? Mit einem Tänzchen?“

Sein Blick folgte ihrem. „Da ist was dran. Wie wär’s, wenn wir heimlich was von der Bar stibitzen und uns den Garten anschauen?“

Elspeth blickte sich um und sah, dass hinter dem Tresen niemand war und alle Gäste immer noch Braut und Bräutigam auf der Tanzfläche bewunderten. Mit einem flüchtigen Grinsen an die Adresse ihres Begleiters griff sie lässig über den Tresen hinweg, packte eine Champagnerflasche beim Hals, drehte den Arm und ließ sie hinter ihrem Rücken verschwinden.

„Okay, du hast dich tatsächlich entschieden. Gut gemacht. Übrigens, ich heiße Fraser. Wenn wir gemeinsam auf Verbrechenstour gehen, sollten wir uns wohl mit dem Vornamen ansprechen.“

Gespielt unschuldig riss sie die Augen auf. „Tut mir leid, ich weiß nicht, was du meinst. Aber ich glaube, ich brauche etwas frische Luft. Kommst du mit?“

Elspeth schauderte leicht, als Fraser ihr den Arm um die Schultern legte. Sie wollte nicht daran denken, was jemand, der sie sah, davon halten mochte. Vielleicht war es besser, man glaubte, sie würden sich zu einem Quickie oder zum Knutschen wegschleichen, statt festzustellen, dass sie sich mit einer Flasche Champagner vom Feinsten aus dem Staub machten.

Er setzte seinen Körper ein, um die Flasche vor Blicken zu schützen, sagte Elspeth sich, als ihr unter seiner Berührung warm wurde. Einzig zu diesem Zweck rückte er ihr so nahe, dass sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten.

Elspeth trat hinaus auf die Terrasse und schlang gegen die schottische Abendkühle die Arme um ihren Oberkörper.

Fraser nahm eine Wolldecke von dem Stapel in einem Korb bei der Tür und legte sie ihr um die Schultern. Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen, und erst jetzt fiel ihr auf, wie nahe sie einander waren. Hinter ihm näherte die Sonne sich dem Horizont und tauchte die Terrasse in golden glühendes Licht.

Auf ihrer Hochzeit hätten jetzt Fotos geschossen werden sollen. Ihr Ex-Verlobter Alex war ein begeisterter Amateurfotograf und hatte für den Tag mehrere Fotosessions eingeplant.

Sie schüttelte die Erinnerung an Alex ab und an den Schmerz in seinem Gesicht, als sie die Verlobung löste. Zu dem Zeitpunkt wusste er so gut wie sie selbst, dass eine Ehe zwischen ihnen nicht funktionieren würde. Alex hatte sie vor die Wahl gestellt. Er wollte höchste Priorität für sie haben, noch vor ihrer Familie.

Doch sie war letztlich diejenige, die wirklich Schluss machte. Die sagte, dass sie die Kompromisse, die er von ihr verlangte, nicht eingehen würde. Dass sie die Versorgung ihrer Angehörigen nicht jemand anderem überlassen konnte. Dass er es akzeptieren müsste, sie zu teilen, wenn er mit ihr zusammenbleiben wollte.

„Nun, willst du mir diese lange Geschichte erzählen?“, fragte Fraser hinter ihr.

„Ich dachte, du wolltest mich aufheitern“, antwortete sie, während sie sich ans Geländer lehnte und den Blick über den Botanischen Garten schweifen ließ. „Glaub mir, es heitert keinen von uns auf, wenn ich über diese Dinge rede.“

„Aber das hier wird uns helfen.“ Fraser schob eine Hand unter die dicke Wolldecke, in die er Elspeth gehüllt hatte, und nahm ihr die Flasche ab.

Er löste die Metallfolie vom Flaschenhals und begann, den Korken von seinem Drahtkorb zu befreien.

Elspeth fasste die Flasche ins Auge. „Das wird nicht reichen.“

Fraser zog eine Braue hoch, während er den Korken drehte und von unten mit den Daumen hochschob. „Klingt ominös.“

„Na ja, sagen wir mal, der heutige Tag ist für mich wie ein großes Déjà-vu-Erlebnis oder future-vu oder sonst etwas Komisches.“

„Du hast vorausgesehen, dass du mit einem Fremden im Kilt Champagner aus der Bar stehlen wirst?“

Sie musste unwillkürlich grinsen. „Ja, genau das hatte ich für meinen Samstagabend geplant. Als Gast an meiner eigenen Hochzeit teilzunehmen und Getränke zu klauen.“

„An deiner eigenen Hochzeit?“

Elspeth lachte auf und wünschte sich, der Alkohol würde ihr nicht schon jetzt so sehr die Zunge lösen. Aber Herrgott, warum sagte sie es nicht einfach? Es in sich zu verschließen und so zu tun, als wären diese Gefühle gar nicht vorhanden, machte den Tag nicht erträglicher. Höchste Zeit, etwas anderes zu probieren.

„Ich hätte heute heiraten sollen.“

Sie sprach es unumwunden aus, so emotionslos, wie sie konnte, doch sie hörte selbst, dass ihre Stimme leicht zitterte. Zum Glück platzte der Korken zum genau richtigen Zeitpunkt aus dem Flaschenhals, und Fraser ließ den sprudelnden weißen Schaum in ihr Glas fließen.

„Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet“, sagte er leicht verwirrt. „Schnell, trink“, setzte er hinzu, als ihr Glas überzuschäumen drohte.

Elspeth trank, weil ihr nichts Besseres einfiel, und prustete ein bisschen, als die Champagnerbläschen in ihrer Nase kitzelten. Sie lachte – laut dieses Mal und zum ersten Mal an diesem Tag aus vollem Herzen.

Tatsächlich ging es ihr ein bisschen besser. Sie wollte diesen Umstand nicht überbewerten, aber vielleicht war es doch richtig, über die Sache zu sprechen. Das offene Ohr eines Fremden war manchmal genauso gut wie eine Therapie – und billiger.

„Eigentlich hätte ich hier und heute heiraten sollen“, erklärte sie. „Ich habe meine Hochzeit vor ein paar Monaten abgesagt, und am Tag darauf hat meine Chefin sich verlobt. Netterweise hat sie alle meine Buchungen übernommen … um mir den Verlust meiner Anzahlungen zu ersparen.“

„Wow.“ Wie im Moment des Einschenkens in der Bewegung erstarrt, hielt Fraser die Champagnerflasche über sein Glas.

„Du sagst es“, bemerkte Elspeth, zog die Brauen hoch und trank noch einen Schluck. Es gefiel ihr, Fraser in der Defensive zu sehen.

Er hatte sie so arrogant, so von sich selbst überzeugt zum Tanzen aufgefordert und ihr vorgeschlagen, zusammen Unfug zu machen. Es war schön, den Spieß umzudrehen, ihn sprachlos zu erleben.

„Und du wolltest dann doch kommen, weil … Warum? Bist du Sadistin?“

„Dann wäre ich wohl eher Masochistin.“ Sie äußerste das Wort ganz lässig, als hätten ihre plötzlichen Gedanken an verrückten Sex mit diesem tollen Fremden absolut keine Wirkung auf ihre Herzfrequenz. „Und nein, tut mir leid, wenn ich dich damit enttäusche, aber ich bin nur hier, weil die Braut meine Chefin ist und mich eingeladen hat.“

Er nickte wissend, ging aber nicht auf ihre verschleierte Frage nach seinen sexuellen Vorlieben ein. Das war bestimmt gut so, dachte sie. Vielleicht täte es ihr nicht gut zu hören, auf was genau er im Schlafzimmer abfuhr. Es war ein Riesenspaß, sich die Einzelheiten im Geiste selbst auszumalen.

„Aussicht auf eine großartige Beförderung?“, fragte Fraser, und Elspeth brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, wovon er redete.

Sie trank einen Schluck und nickte. „Etwas in der Art.“

„Du bist Ärztin?“, fragte er, nachdem er seine geistige Datenbank sichtlich nach dem Beruf der Braut durchsucht hatte.

„Ja, Allgemeinmedizinerin. Nun ja, ich bin fast fertig und hoffe gerade auf meine erste feste Stelle.“

„Warum bist du Ärztin geworden?“

Elspeth wusste nicht, wann ihr jemand das letzte Mal diese Frage gestellt hatte. Und sie hatte keine gute Antwort darauf. Für sie war es, als hätte sie nie die Wahl gehabt. Sie wusste nur, dass sie ihre Entscheidung schon getroffen hatte, bevor sie in der Schule die Themen für ihre Abschlussprüfung wählen musste. Wahrscheinlich hatte sie es schon viel früher gewusst – als sie am Babybettchen ihrer kleinen Schwester gesessen hatte. Damals, als sie nicht mehr tun konnte, um ihr zu helfen, als einfach da zu sein.

Sie hatte Medizin studiert, weil sie Menschen wie Sarah helfen wollte. Im Gesundheitssystem für sie eintreten und dafür sorgen, dass jeder einzelne von ihnen so viel Hilfe bekam wie nur irgend möglich. Denn sie hatte gesehen, welche Wunder Ärzte bewirken konnten. Sie hatten ihre Schwester am Leben erhalten, ihr ermöglicht, zu Hause zu wohnen, ihr mit einem elektrischen Rollstuhl und Kommunikationshilfen mehr Unabhängigkeit geschenkt, um nur einige der Millionen Dinge zu nennen, die diese Ärzte getan hatten.

Und jetzt verfügte Elspeth selbst über das Können und das Wissen, das ihr gefehlt hatte, als Sarah ein Baby war, und das bedeutete, dass sie heute jeden Tag eine Menge für sie tun konnte. Doch ihre Pflegeverantwortung verlangte eine sorgfältige Zukunftsplanung, insbesondere, weil ihre Mutter bei Sarahs Geburt schon über vierzig gewesen war, selbst unter Arthritis litt und nicht auf lange Sicht mobil oder auch nur zur Stelle sein würde.

Aber das waren entschieden mehr Einzelheiten, als irgendwer zu wissen brauchte – schon gar nicht ein gefährlich gut aussehender Mann im Kilt, der eine Champagnerflasche schwang.

„Naturwissenschaften liegen mir, und ich wollte Menschen helfen.“ Elspeth griff zu der Standard-Floskel in Bewerbungen um einen Studienplatz an der medizinischen Fakultät.

Es war keine sonderlich gute Erklärung, aber mehr würde er nicht bekommen. Sie hatte zusehen müssen, wie ihre Beziehung mit Alex in die Brüche ging, weil Elspeth Familie und Liebe nicht unter einen Hut bekommen konnte, doch sie hatte nicht vor, ins Detail zu gehen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, über die Sache zu reden.

„Wie auch immer“, sagte sie, darauf bedacht, das Thema zu wechseln und von ihrem traurigen Bericht abzulenken. „Das ist meine Geschichte. Und deine? Warum bist du hier, wenn du es doch so qualvoll findest?“

Fraser zuckte die Achseln, stützte sich mit den Unterarmen aufs Geländer und blickte hinaus in den Garten. „Es ist nichts Aufregendes, weiter nichts als familiäre Verpflichtung. Der Bräutigam ist der Cousin meiner Mutter. Meine Mutter bestand darauf, mich als Trauzeugen zu verpflichten, obwohl ich den Kerl kaum kenne.“

„Ah, ein Mamasöhnchen“, sagte Elspeth mit einem Lächeln, indem sie Frasers vorherigen wissenden Tonfall imitierte. „Interessant …“

Fraser stieß mit der Schulter gegen ihre, und Elspeth hob beide Hände.

„Hey, es hört sich an wie eine Ente, sieht aus wie eine Ente und gehorcht der Entenmama …“

„Das reicht. Trink deinen Sekt“, sagte er lachend und füllte ihr Glas auf. „Ich habe dich nicht hier herausgelockt, um über meine Mutter zu reden.“

„Also, das klingt ja interessant.“

Elspeth sah zu ihm auf und zog sich die Decke ein bisschen fester um die Schultern. Überdeutlich nahm sie das Kratzen des Stoffs auf der Haut wahr, den erdigen Geruch der Wolle, die Barriere zwischen ihr und Fraser.

„Ich kann mich nicht entsinnen, gelockt worden zu sein. Aber was war dein Motiv, wenn du gar nicht vorhast, mich deiner Mutter vorzustellen?“

Ach, sie war sicher, dass sie sich mit dieser Frage Probleme einhandelte. Aber das Blitzen in seinen Augen, die Art, wie er sie mit Blicken herausforderte, sie anstachelte, hatte etwas in ihr ausgelöst. Sie wollte spielen.

Er lächelte über die in ihren Worten enthaltene Andeutung, und Elspeth wusste, dass sie recht hatte. Sie hatte sich auf Unfug eingelassen und konnte es einfach nicht bedauern.

„Willst du damit sagen, dass du nicht die Sorte Mädchen bist, die ich meinen Eltern vorstellen würde? Gut zu wissen. Ich dachte, wir wollten uns hier im Garten umsehen. War es nicht so geplant?“

Elspeth leerte ihr Glas und wies auf die Stufen, die von der Terrasse herab führten. „Geh vor. Was willst du als Erstes sehen?“

Sie warfen lange Schatten auf die Rasenflächen, als sie durch die Anlage schlenderten, bis sie zu einer Gruppe Mammutbäume gelangten, die viele Meter hoch waren. In ihrem Schatten war es fast völlig dunkel, und Elspeth wurde bewusst, welch lauschiges Plätzchen sie gefunden hatten.

Sie lehnte sich rücklings an den Stamm eines Baumes und fühlte sich klein und demütig angesichts der Riesenhaftigkeit dieser Bäume. Als Fraser, immer noch die Champagnerflasche an seiner Seite schwenkend, näher kam, hob Elspeth das Glas wie einen Schutzschild. Plötzlich war ihr die Intimität ihrer Umgebung bewusst, die Art, wie Fraser sie verlockte, wie es unter der Oberfläche ihres Geplänkels brodelte, seit er auf sie zugekommen war, die Art, wie er sie jetzt ansah, wie der Wolf im Märchen.

Doch sie war kein unschuldiges Rotkäppchen und hatte nicht vor, wegzulaufen oder sich zu verstecken.

„Ob wir das Anschneiden der Hochzeitstorte verpasst haben?“, fragte Elspeth, um die Spannung zu lösen, und überlegte, ob sie schon zu weit gegangen waren, um wieder auf beiläufige, sichere Themen umzuschwenken.

„Ich weiß nicht.“ Fraser kam näher, füllte ihr Glas auf, kam noch näher, sodass sie das Glas nicht hätte an die Lippen heben können, wenn sie es gewollt hätte. Der Kelch war an ihre Brust gepresst, gefangen wie ihre Hände und ihre Entschlossenheit. „Würde es dich stören?“

„Eigentlich nicht.“ Die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie sich bremsen konnte, doch es tat ihr nicht leid. Nicht, wenn sie einen Funken in Frasers Augen entzündeten, der die Nacht nicht gar so dunkel erscheinen ließ.

„Du willst nicht zurück?“

Ach, die Frage beinhaltete so viel mehr, und an dem Ausdruck in seinen Augen erkannte sie, dass er es wusste.

Inzwischen war es doch sicher so spät, dass man sie auf dem Empfang nicht mehr vermissen würde. Nach ihrem ursprünglichen Plan wäre das der richtige Zeitpunkt zum Aufbruch gewesen. Um heimzukehren zu ihrer Mutter und ihrer Schwester. Nicht, um mit einem Fremden, den sie wahrscheinlich nie wiedersehen würde, heimlich zu verschwinden.

Denn wenn sie sich in Bezug auf diese Verbindung mit Fraser in einem Punkt sicher war, dann darin, dass sie nicht länger als eine Nacht dauern würde. Elspeth hatte schon vorher versucht, eine Beziehung, ihre Arbeit und die Verpflichtungen ihrer Familie gegenüber auf einen Nenner zu bringen, und es hatte sich als unmöglich erwiesen. Es hatte ihr wehgetan. Es hatte Alex wehgetan. Und es hatte auch ihren Angehörigen wehgetan, denn sie hatten zugesehen, wie all ihre Hoffnungen für Elspeth zunichte gemacht wurden.

Aber eine Nacht mit diesem Mann – nun, das konnte doch interessant werden. Die Vorstellung erschien ihr zunehmend unwiderstehlich.

„Ich will nicht zurück“, sagte sie und sah ihm in die Augen, um jedes Missverständnis auszuschließen.

Sie ließ sich von dem Baumstamm stützen, ergab sich ihrer Entscheidung, ihrem Verlangen. Das Champagnerglas entglitt ihrer Hand, und sie hörte es leise auf dem Boden aufschlagen. Nun hatte sie die Hände frei, und sie strich über Frasers Jackett, nahm sich einen Moment Zeit, um den Stoff wirklich zu spüren, weiche Wolle unter ihren Fingerspitzen. Von den Aufschlägen her streichelte sie aufwärts, nach innen, und unter dem schweren Stoff spürte sie weiche Baumwolle.

Sein Blick ließ den ihren nicht los, als sie seine Hemdknöpfe ertastete, die Finger in die Lücken hakte und Fraser zu sich heranzog.

„Was willst du?“, fragte Fraser, löste den Blick von ihrem und schaute auf ihre Hände.

„Ich denke, du weißt es.“

„O ja, ich habe so eine Ahnung. Aber ich will, dass du es aussprichst.“

Ein Schauer rann ihr über den Rücken, sie brachte keinen Ton heraus.

Er sah sie immer noch an, als wollte er sie vernaschen, und das war ihr recht. Sie hatte zu viel um die Ohren. Zu viel im Leben. Sie wollte verschlungen werden, wollte verschlingen. Sich in ihren Sinnen verlieren, im Hier und Jetzt. Wollte so überwältigt sein, dass sie nicht über die nächste Sekunde hinaus denken konnte.

Sie schlüpfte mit einem Fuß aus dem Schuh und legte ihn an Frasers Wade. Jedes seiner Härchen spürte sie an ihrem Fußgewölbe, die Kontur seines Wadenmuskels, straff und definiert und den Elementen ausgesetzt.

Als sie den Fuß Haut an Haut hinaufgleiten ließ, stellte sie sich unwillkürlich vor, was sie noch weiter oben vorfinden würde. Fragte sich, ob Fraser unter seinem Kilt ebenfalls den Elementen ausgesetzt war. Und jetzt ihr.

Die Finger einer Hand noch immer in die Knopfleiste seines Hemds gehakt, legte sie die andere in seinen Nacken und spürte das weiche Haar, das sich auf seinem Kragen kräuselte. Sie sah ihm wieder in die Augen und lächelte.

„Macht es Spaß?“, fragte Fraser mit einem beinahe selbstzufriedenen Lächeln.

„Das weißt du doch“, flüsterte sie, senkte den Blick auf seinen Mund und konnte ihn nicht wieder abwenden.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah, wie er den Mund zu einem selbstbewussten Lächeln verzog.

„Schön. Hör nicht auf.“

Das hatte sie keineswegs vor. Sie zog Fraser zu sich herab, hielt den Atem an und schloss die Augen. Und endlich streiften ihre Lippen die seinen. Die Berührung mit seinem warmen Mund löste eine Explosion in ihr aus; sie stöhnte leise auf und schwelgte in den körperlichen Empfindungen, die sie überrollten.

Sie genoss den harten Druck des Holzes, die Weichheit der Wolle in ihrem Rücken, spürte von vorn zerknitterte Baumwolle und Tweed. Krauses Haar und zarte Haut unter ihrer Hand. Und einen hemmungslosen Mund auf ihrem. Der sie kostete, verlockte, mit Zunge und Lippen reizte.

Fraser schlang die Arme um ihre Taille, löste Elspeth von dem Baum und zog sie an seine breite Brust. Elspeth strich mit den Lippen an seinem Kinn entlang, bis sie seinem Ohr nahe genug war, um hinein zu flüstern.

„Gehen wir.“

Fraser erwachte mit dem Gefühl von seidenen Laken auf seiner Haut und dem Streicheln einer warmen Sommerbrise auf seinem Rücken. Und samtweicher Lippen auf seinem Mund.

Elspeth.

Ohne die Augen zu öffnen wob er die Finger in ihr Haar, legte die andere Hand an ihre Wange und küsste träge ihren Mund, während langsam die Erinnerung an die Nacht zurückkam. Er zog Elspeth auf sich herab, doch sie machte sich steif und wich zurück, bis sein Körper und sein Bett sich kalt anfühlten.

„Ciao, Fraser.“

Er hob den Kopf und blinzelte, als er das Klappern ihrer Absätze auf dem Weg zur Tür vernahm. In dem schmalen Streifen Morgenlicht, der durch das Fenster fiel, sah er Elspeths Gesicht.

„Ciao.“

Krächzend brachte er das Wort hervor, und als die Tür sich hinter Elspeth schloss, ließ er sich zurück ins Kissen sinken.

Er hatte keine Handynummer von ihr.

Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, und unwillkürlich fuhr er hoch und schwang ohne zu überlegen die Beine aus dem Bett. Bevor er sich bremste, wie sonst immer.

Keine Verpflichtungen.

Autor

Ellie Darkins
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