Vertrau mir, Kelly

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Der attraktive Milliardär Nick Chakaris ist nicht gerade begeistert, als er sein Portrait in einer New Yorker Galerie hängen sieht. Das Bild zeigt einen Mann mit eiskalten Gesichtszügen - so sieht er sich überhaupt nicht! Nick lädt die junge Künstlerin Kelly MacLeod zum Essen ein, um herauszufinden, wieso sie ihn derartig verzerrt gemalt hat. Tatsächlich scheint die hübsche junge Frau Gründe zu haben, ihn so zu verachten: Er soll für den Tod ihres Vaters verantwortlich sein! Nick ist entsetzt über diesen Vorwurf! Er hat sich auf den ersten Blick in Kelly verliebt und will ihr beweisen, dass ihn keine Schuld trifft.


  • Erscheinungstag 06.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777470
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Oktober 2003

„Sie hat es dir angetan, nicht wahr, Nick?“

Dominic Chakaris sah zu Craig Bonner hinüber. Craig war Vizepräsident von Nicks Konzern und gleichzeitig sein bester Freund.

„So’n Quatsch, nein. Ich habe nur Informationen über sie eingeholt, weil ich herausfinden wollte, wie eine Frau, die ich nie zuvor getroffen habe, die Unverschämtheit besitzen kann, ein Porträt von mir zu malen und es öffentlich auszustellen.“

Sie waren in Nicks Büro, von dem man einen atemberaubenden Ausblick auf New York hatte, und während Nick sprach, blickte er auf die Häuserschluchten von Manhattan hinunter.

„Hm-hm“, war alles, was Craig erwiderte.

Nick drehte sich um, nahm hinter seinem riesigen Schreibtisch Platz und warf seinem Freund, der es sich ebenfalls in einem Sessel bequem gemacht hatte, einen finsteren Blick zu.

„Was hat der Privatdetektiv über sie herausgefunden?“ fragte er kühl.

Craig kannte Nick jetzt seit mehr als zehn Jahren und war nicht im Mindesten von dem scharfen Adlerblick seines allseits geschätzten, aber stets gefürchteten Chefs beeindruckt. Vermutlich war er, Craig, jedoch die einzige Person in ganz Manhattan, die das von sich sagen konnte. Er legte den Ordner, den er bis jetzt in der Hand gehalten hatte, auf den Schreibtisch und schob ihn Nick zu.

„In dem Bericht des Privatdetektivs steht, dass die Künstlerin mit vollem Namen Kelly Anne MacLeod heißt und vierundzwanzig Jahre alt ist. Ihre Eltern sind verstorben, aber sie lebt weiterhin im Haus der Familie in der einundachtzigsten Straße. Allein. Sie hat in Vassar Kunst studiert und zwei Semester an einer italienischen Kunstschule absolviert. Angeblich verdient sie gutes Geld mit den Porträts, die sie malt. Es soll sogar bereits eine Warteliste geben von Leuten, die sich von ihr malen lassen wollen.“ Er zuckte mit den Schultern und lächelte. „Siehst du, du solltest dich geschmeichelt fühlen.“

Nick murmelte etwas Unanständiges, und Craig musste lachen.

„Ist das alles, was du über sie hast?“ Nick hatte den Ordner geöffnet, blätterte durch die wenigen Seiten und wies dann mit dem Kopf auf das Foto, das sich an der Innenseite des Ordners befand.

„Es gab nicht viel herauszufinden. Mit Sicherheit spioniert sie dir nicht hinterher oder beobachtet dich. Du kannst also völlig beruhigt sein“, erwiderte Craig und amüsierte sich, als Nick erneut einen herzhaften Fluch ausstieß.

„In diesem Bericht findet man nichts über die Gründe, warum sie ausgerechnet mich gemalt und mein Porträt öffentlich ausgestellt hat“, beschwerte Nick sich. „Verdammt, Craig, es interessiert mich nicht, ob sie Waise ist oder wie viel Geld sie verdient. Wie es aussieht, ist sie nur eine verwöhnte höhere Tochter der New Yorker Oberschicht.“ Eine Gesellschaftsschicht, für die Nick nur sehr wenig übrig hatte. „Und du weißt sehr gut, dass es keinen Grund gibt, warum ich mich geschmeichelt fühlen sollte, denn dieses verflixte Porträt ist alles andere als vorteilhaft für mein Image.“

Craig lächelte. „Ich finde, sie hat dich fabelhaft getroffen.“

Nick zog eine Augenbraue hoch. „So? Die Times hat anlässlich von Miss MacLeods Ausstellung berichtet, dass das Porträt mich als unbarmherziges Raubtier darstellt, das zum Sprung ansetzt, um sein ahnungsloses Opfer zu reißen.“

Craig lachte. „Wie ich schon sagte, sie hat dich gut getroffen. Vielleicht sollte ich bei der nächsten Vorstandssitzung ein paar Fotos von dir machen, um es dir zu beweisen.“

Nick sah seinen Stellvertreter scharf an. „Da du nur wenig zu dieser Unterhaltung beizutragen hast, werde ich jetzt lieber weiterarbeiten.“

Craig ließ sich nicht beirren. „Weißt du was, Nick? Ich glaube, dass du dich nur ärgerst, weil Miss MacLeod dich durchschaut hat. Sie scheint dich erstaunlich gut zu kennen.“

Nick schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich.“

„Ich bezweifle, dass man vergessen könnte, sie getroffen zu haben“, bemerkte Craig, machte eine Handbewegung zum Gruß und verließ das Büro.

Nick beobachtete, wie sein Freund die Tür hinter sich schloss, und schüttelte den Kopf. Warum hatte diese Frau ausgerechnet ihn gemalt? Er hatte so viele Anrufe wegen dieses verflixten Porträts erhalten und es waren so viele Bemerkungen darüber gemacht worden, dass er die Galerie persönlich besucht hatte, um sich das Bild anzusehen.

Und er hatte den Schock seines Lebens erhalten.

Ohne Zweifel war das Bild vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet ein Meisterwerk, aber er fand einfach keine Erklärung dafür, warum die Künstlerin ausgerechnet ihn gemalt haben sollte, noch dazu auf solch herausfordernde Art und Weise. Es gab auch keine Fotografie von ihm, die als Vorlage für dieses Bild gedient haben könnte. Nick musste allerdings zugeben, dass das Porträt ihn unglaublich ärgerte; er hatte das Gefühl, man wäre in sein Privatleben eingedrungen.

In der Hoffnung auf irgendeinen Anhaltspunkt guckte er sich das Foto der jungen Frau genauer an. Sie hatte hellblondes Haar und trug es streng aus dem Gesicht gekämmt. Nur wenigen Frauen stand dieser schmucklose Stil. Kelly war eine der Ausnahmen. In ihren großen blauen Augen lag Humor, der Anflug eines Lächelns spielte um ihren Mund.

Während er sie näher betrachtete, wurde ihm plötzlich klar, dass er sie tatsächlich schon mal gesehen hatte. Er lehnte sich in den Schreibtischsessel zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und erinnerte sich an den Abend, als sie ihm aufgefallen war.

Normalerweise mied er große Gesellschaften, aber in dem Fall war er gezwungen gewesen, an solch einem Fest teilzunehmen. Ein wichtiger Geschäftspartner hatte zu einem Ball eingeladen, auf dem die Verlobung seiner Tochter bekannt gegeben werden sollte.

Meistens nutzte Nick solche gesellschaftlichen Anlässe, um etwas über die Gerüchte zu erfahren, die momentan in der Geschäftswelt umgingen. Wenn er dann genug gehört und – wie es die Höflichkeit erforderte – auch noch mit dem Gastgeber geplaudert hatte, verließ er das Fest meistens bald wieder, dankbar, dass er eine unangenehme Pflicht erfüllt hatte und nach Hause gehen konnte.

An jenem Abend hatte er von einer der breiten Flügeltüren aus die Menge betrachtet, als er die Frau bemerkte. Sie tanzte, und im Licht der Kronleuchter wirkte ihr Haar wie flüssiges Gold. Da er ihren Tänzer nicht kannte, hielt er Ausschau nach dem Gastgeber, um ihn zu fragen, wer diese Frau war. Der Tanz endete jedoch genau in jenem Moment, und die junge Frau war in der Menge verschwunden, bevor er etwas über sie herausfinden konnte. Erst als er die Party etwas später verlassen wollte, ging sie mit ein paar anderen Frauen an ihm vorbei. Sie lachte über eine Bemerkung, die eine ihrer Begleiterinnen gemacht hatte. Er nahm ihr leichtes, blumiges Parfüm wahr und stellte fest, dass sie kleiner war, als er angenommen hatte. Obwohl sie sehr jung aussah, gingen ein Selbstbewusstsein und eine Eleganz von ihr aus, die ihn faszinierten.

Nun, jetzt wusste er, wer sie war. Ihr Name war Kelly MacLeod. Was für ein Zufall, dass ausgerechnet sie die Künstlerin war, die dieses verflixte Porträt gemalt hatte.

Einem Impuls folgend, wählte er die Telefonnummer, die im Bericht des Privatdetektivs stand. Nach einigen Freizeichen meldete sich eine weibliche Stimme, die sehr verführerisch klang. „Hallo, hier ist Kelly. Ich werde im Moment von der Muse geküsst und kann leider nicht ans Telefon kommen. Bitte hinterlassen Sie mir Ihren Namen, Ihre Telefonnummer und Ihr Anliegen. Ich werde zurückrufen, sobald die Muse mich wieder aus ihren sanften Armen entlässt.“

„Hier ist Dominic Chakaris“, sprach er nach dem Piepton auf das Band. „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns kennen lernen. Rufen Sie mich bitte unter 5-5-5-9-6-6 an.“

Er legte auf und trommelte nervös mit den Fingern auf den Armlehnen seines exklusiven Schreibtischsessels herum.

Verdammt, er hatte keine Zeit für solche Spielchen. Er war schon fast zu spät dran für ein Meeting, in dem sich herausstellen sollte, ob er nun für mehr als drei Millionen Dollar eine fast bankrotte Firma aufkaufen würde oder nicht.

Die Gegensprachanlage klingelte, und er wusste, dass seine Sekretärin ihn an die Besprechung erinnern wollte. Hastig erhob er sich, zog sein Jackett an, rückte seine Krawatte zurecht und verdrängte Kelly MacLeod aus seinen Gedanken.

„Ich mache keinen Spaß“, sagte Kelly beim Mittagessen zu ihrem Begleiter. „Ich habe den Mann noch nie getroffen, ich kann dir also leider nicht helfen.“ Sie nahm eine Gabel voll von ihrem Salat und sah sich dabei in dem gut besuchten Restaurant um. Trotz der gepfefferten Preise herrschte hier immer Betrieb. Wahrscheinlich waren die Gäste – genau wie sie selbst auch – von den exzellenten Kochkünsten des Küchenchefs angetan.

Als sie ihr Gegenüber ansah, wusste sie, dass Harold Covington nicht so schnell aufgeben würde.

„Ich kenne dich schon von Geburt an, Kelly“, erwiderte er, „versuch also nicht, mich hereinzulegen. Du hättest niemals ein Porträt malen können, das die Persönlichkeit dieses Mannes so brillant einfängt, wenn du ihn nicht gut kennen würdest.“

Kelly sah ihn unverwandt an. „Ich habe keine vernünftige Erklärung dafür, Hal. Ich habe den Mann wirklich nie kennen gelernt, aber man kann ja weder die Gesellschaftsseite noch den Wirtschaftsteil lesen, ohne über ihn zu stolpern. Außerdem habe ich ihn in den letzten Jahren ab und zu bei gesellschaftlichen Anlässen gesehen und schon immer gedacht, was für ein faszinierendes Modell er abgeben würde. Mehr nicht. Als ich dann entdeckte, dass er hinter der Übernahme unseres Familienunternehmens stand, ging mir dieser Chakaris einfach nicht mehr aus dem Kopf.“

Sie aß einen weiteren Bissen und seufzte dann aufgebracht. „Wenn ich daran denke, dass ich ihn früher sogar bewundert habe. Pah! Seinem kaltblütigen Vorgehen ist es zu verdanken, dass Dad die Firma verloren und sich so gegrämt hat, bis er schließlich einen Herzinfarkt erlitt. Und darüber hat dann auch Mutter ihren Lebenswillen verloren.“ Sie schüttelte den Kopf. „Um meine Wut und meine Trauer zu verarbeiten, habe ich mich irgendwann entschlossen, das Porträt des Mannes zu malen, der meine Familie zerstört hat. Und dem Feedback nach zu urteilen, das ich erhalte, habe ich gute Arbeit geleistet.“

Hal senkte den Blick. „Du warst meine einzige Hoffnung. Ich weiß, dass sich jemand für Covington & Son interessiert“, sagte er. „Irgendeiner möchte die Firma möglichst billig an sich reißen.“

Kelly, die gerade die Gabel hob, hielt inne und legte sie auf den Teller zurück. „Und du glaubst, dass ich einfach so zu Chakaris hingehen und ihn fragen könnte, ob er deine Firma aufkaufen will?“

Als Hal nicht antwortete, griff sie zu ihrem Glas und nahm einen Schluck von dem Eistee. „Soweit ich über diesen Mr. Chakaris unterrichtet bin“, fuhr Kelly schließlich fort, „sind nur seine engsten Mitarbeiter in seine Pläne eingeweiht, bis er eine Firma im Netz hat.“

„Ich weiß. Es wäre auch zu schön gewesen, wenn du ihn kennen würdest und mir hättest helfen können.“

Sie hatten bereits ihren Salat gegessen, als Kelly das Thema erneut aufgriff. „Glaubst du wirklich, dass er derjenige ist, der Informationen über Covington & Son einholt?“

Bevor Hal antworten konnte, erschien der Kellner mit den Hauptspeisen.

„Ich weiß nur, dass irgendjemand an uns interessiert ist“, antwortete Hal, nachdem der Kellner serviert und sich wieder entfernt hatte. „Weißt du, viele Firmen haben unter der schlechten Wirtschaftslage gelitten. Auch wir sind angeschlagen. Ich tue, was ich kann, um mein Unternehmen über Wasser zu halten, aber irgendjemand muss erfahren haben, wie schlecht es uns im Moment geht. Vor einigen Jahren habe ich mir Geld leihen müssen, um Investitionen machen zu können. Wenn ich allerdings in die Zukunft hätte sehen können, hätte ich damit noch gewartet. Und wenn ich sicher wäre, dass Chakaris eine Übernahme plant, würde ich mir von der Familie meiner Frau ein Darlehen besorgen, um einige dieser Kredite zurückzuzahlen. Das würde ich aber wirklich nur im äußersten Notfall tun.“ Er lächelte leicht. „Ich weiß natürlich, dass du Künstlerin und keine Geschäftsfrau bist. Wahrscheinlich kannst du all dem gar nicht recht folgen.“

Kelly lehnte sich zurück und sah Harold Covington an. Er war der beste Freund ihres Vaters gewesen. „Das ist wirklich das Schlimmste, was du je zu mir gesagt hast, Hal. Als Nächstes wirst du mir noch auf die Schulter klopfen und mich auffordern, spielen zu gehen, während die Erwachsenen sich unterhalten.“

Hal errötete. „Entschuldige. Ich wollte nicht, dass meine Worte sich so überheblich anhören. Wenn ich dich mit Arnie vergleiche, verstehst du wahrscheinlich weit mehr von der Geschäftswelt. Und das, obwohl er ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen hat, an allen Vorstandssitzungen teilnimmt und sogar zwei- bis dreimal die Woche zur Arbeit erscheint.“ Hal fuhr sich resigniert über die Stirn. „Trotz seiner Ausbildung und seiner Erfahrung zeigt er kein Interesse an der Firma.“

Kelly ergriff die Hand des älteren Mannes. „Ich weiß, dass Arnold dich enttäuscht, Hal. Lass ihm ein wenig Zeit. Er ist noch jung.“

Er sah sie mit amüsiertem Unglauben an. „Kelly, er ist fünf Jahre älter als du.“

Sie lächelte. „Stimmt, das ist er.“

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie enttäuscht ich war, dass ihr kein Interesse aneinander zeigtet. Unsere Familien haben sich immer so nahe gestanden. Es wäre ein echter Segen gewesen, wenn du ein Mitglied unserer Familie geworden wärst.“

Pass auf, warnte Kelly sich im Stillen, geh taktvoll vor! Es gab keinen Grund, einem liebenden Vater an den Kopf zu werfen, dass sein einziger Sohn und Erbe eine totale Niete war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, Arnold je völlig nüchtern gesehen zu haben. Außerdem wechselte er die Frauen schneller, als die Concorde über den Atlantik flog.

„Wie du schon ganz treffend bemerkt hast, leben Arnold und ich in zwei verschiedenen Welten“, erklärte sie schließlich und hoffte, Hal würde annehmen, dass sie über die Kunst und das Geschäftsleben sprach.

Hal nickte und sah Kelly ernst an. „Um noch mal auf Chakaris zurückzukommen. Weißt du, ich habe im Grunde keine Fakten, die meinen Verdacht bestätigen könnten – nur Gerüchte. Allerdings ist Chakaris’ Name dabei mehr als nur einmal aufgetaucht. Ich darf ihn auf keinen Fall unterschätzen, er geht sehr kaltblütig vor.“

„Vergiss nicht, dass ich das aus erster Hand weiß“, erinnerte sie ihn.

Hal wurde erneut verlegen. „Entschuldige, Liebes, ich bin heute sehr taktlos.“ Er wandte seine Aufmerksamkeit der Hauptspeise zu und plauderte auch während des Desserts nur über belanglose Dinge. Erst als der Kaffee serviert wurde, stellte Hal eine persönlichere Frage. „Du scheinst gut allein zurechtzukommen. Ich hoffe, es ist nicht nur ein Image, das du aufbaust. Ich weiß, wie nahe du deiner Mutter gestanden hast.“

„Ich weiß, dass Mom glücklich ist, wieder mit Dad vereint zu sein, Hal. Nachdem er von uns ging, hat sie sich nicht wieder gefangen. Ich bin überzeugt, dass sie an gebrochenem Herzen starb. Aber da die Haushälterin und andere Angestellte noch im Hause sind, bin ich praktisch nie allein.“

„Du weißt genau, was ich meine. Ich bin sicher, dass du dich einsam fühlst.“

„Manchmal schon, natürlich. Aber ich habe glücklicherweise die Malerei. Meine Arbeit gab mir die Möglichkeit, den Schock von Mutters Tod zu verkraften, bis ich besser damit umgehen konnte, allein zu sein.“

„Deine Malerei hilft dir also. Das freut mich wirklich.“

„Ja, das tut sie tatsächlich. Allerdings werde ich in dieser Woche keinen Pinsel in die Hand nehmen, sondern Mutters Sachen durchsehen. Das hätte ich bereits vor Monaten tun sollen, aber es schmerzte zu sehr, auch wenn schon ein Jahr um ist seit ihrem Tod. Ich muss mich entscheiden, was ich behalten und was ich weggeben will.“ Kelly warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Ich habe mich sehr gefreut, heute mit dir zu essen, doch jetzt muss ich langsam aufbrechen. Je eher ich anfange, umso schneller wird meine Arbeit erledigt sein.“

Als sie sich erhob, stand Hal ebenfalls auf. „Ich muss auch in die Firma zurück. Es tut mir Leid, dass ich mich nicht mehr um dich gekümmert habe, Kelly. Ich hoffe, du verzeihst mir. Ich hatte so viel um die Ohren, dass ich sogar kaum Zeit für meine Familie fand.“

Kelly umarmte ihn kurz. „Da gibt es nichts zu verzeihen. Ich habe ja gewusst, dass du immer für mich da bist, wenn ich dich tatsächlich mal brauchen sollte.“

Als sie auf dem Gehweg vor dem Restaurant standen, ergriff Hal Kellys Hand. „Es war schön, dich wiederzusehen, Kelly. Wir müssen das unbedingt öfters machen.“

Der Türsteher hatte inzwischen ein Taxi herbeigewunken, und als es anhielt, half der alte Familienfreund Kelly einzusteigen, steckte dem Taxifahrer einige Dollarscheine zu und nannte ihm die Adresse der jungen Frau.

Kelly winkte Hal noch ein letztes Mal zu, bevor sie in den Sitz zurücksank und über ihre Unterhaltung nachdachte. Sie machte sich Sorgen. Hals Firma musste es wirklich schlecht gehen, wenn er sogar sie um Hilfe bat.

Und wenn Dominic Chakaris tatsächlich ein Auge auf Covington & Son geworfen hatte, war er ein ernst zu nehmender Gegner. Sie konnte sich vorstellen, wie Hal sich im Moment fühlen musste.

Als Kelly zu Hause war, hörte sie den Anrufbeantworter ab. Jemand wollte, dass sie am nächsten Tag zu einem Treffen einer der Wohltätigkeitsvereine kam, die ihre Mutter gegründet hatte. Wahrscheinlich hoffte man, dass sie die Position ihrer Mutter übernehmen würde.

Ein weiterer Anruf war von Anita Sheffield, einer alten Freundin vom College, mit der sie seit Monaten nicht mehr gesprochen hatte. Dann entstand eine kleine Pause, und schließlich hörte sie, dass Dominic Chakaris eine sehr förmliche Nachricht hinterlassen hatte. Beim Klang seiner Stimme erschauerte Kelly. Wie seltsam, dass er ausgerechnet heute, nach dem Gespräch mit Hal, angerufen hatte!

Neugierig hörte sie sich die Nachricht noch ein zweites Mal an und überlegte kurz, wie er wohl an ihre Nummer gekommen war. Schließlich stand sie in keinem Telefonbuch. Sie wusste allerdings, dass sie sich darüber nicht wundern sollte. Für einen Mann mit seinem Einfluss und seinen Beziehungen war das vermutlich kein Problem. Sicherlich verfügte er über eine ganze Armee von Spionen, die er nach Belieben einsetzen konnte.

Aber im Grunde war es ihr auch egal. Sie hatte ohnehin mehr oder weniger erwartet, dass er sich bei ihr melden würde, da sie sein Porträt zusammen mit ihren anderen Arbeiten in einer der bekanntesten Galerien Manhattans ausgestellt hatte.

Hals Frage, warum sie diesen Mann gemalt hatte, war ihr in den letzten Monaten oft selbst durch den Kopf gegangen. Dominic Chakaris war zu einer Art Besessenheit geworden – er war ihr Erzfeind, da er durch seine geschäftlichen Machenschaften ihre Familie zerstört hatte. Allerdings bezweifelte sie, dass Chakaris ihren Familiennamen zuordnen könnte, sollte er damit konfrontiert werden.

Statt sich auf sinnlose Auseinandersetzungen mit ihm einzulassen, hatte sie ihn dann schließlich gemalt. Sie war selbst erstaunt gewesen, wie schnell es ihr gelungen war, ihr inneres Bild von ihm auf die Leinwand zu bannen. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl gehabt, ihre Hand wäre geführt worden. Tag und Nacht hatte sie an diesem Gemälde gearbeitet, hatte kaum gegessen und stets nur wenige Stunden geschlafen, bevor sie an dem Porträt wieder weitermalte.

Kelly erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie das Bild beendet hatte. Sie war von der Leinwand zurückgetreten und hatte sich das Gemälde so objektiv wie möglich angeschaut. Instinktiv hatte sie gespürt, dass dieses Bild die beste Arbeit ihrer ganzen bisherigen Karriere war. Erschreckend deutlich hatte sie die Skrupellosigkeit und die Arroganz eingefangen, die sie in diesem Mann sah.

Der Ausdruck seiner Augen hatte sie allerdings überrascht. Sie hatte ihn nie einsam oder verletzlich gesehen, und trotzdem lag jetzt eine Traurigkeit in seinem Blick, die sie nie zuvor bemerkt hatte. Zumindest nicht bewusst. Sie hatte keine Ahnung, warum sie ihn so gemalt hatte.

Eigentlich hatte Kelly das Bild nie ausstellen wollen. Schließlich war dieses Gemälde ein Teil ihrer ganz persönlichen Trauerarbeit. Als André, der Galeriebesitzer, dann jedoch zu ihr ins Atelier kam, um die Bilder zu begutachten, die sie ausstellen wollte, entdeckte er das Porträt hinter einigen halb fertigen Leinwänden und war begeistert. Er bestand darauf, dass dieses Gemälde unbedingt mit in die Ausstellung musste. Zuerst hatte sie Widerstand geleistet, aber dann hatte sie sich Andrés Argumenten gebeugt. Sie hatte versucht, sich einzureden, dass Dominic Chakaris niemals etwas von diesem Porträt hören oder es zumindest ignorieren würde.

Doch da hatte sie sich anscheinend gründlich getäuscht.

Das Unvermeidliche ließ sich nicht noch länger hinausschieben, also nahm Kelly den Hörer auf und wählte die Nummer, die Chakaris hinterlassen hatte.

2. KAPITEL

Der Hörer wurde bereits nach dem ersten Klingeln abgenommen.

„Chakaris.“

Kelly blinzelte überrascht. Der Mann nahm seine Telefongespräche selbst entgegen? Sie zuckte die Schultern. „Guten Tag, ich bin Kelly MacLeod. Sie hatten mir Ihre Telefonnummer hinterlassen.“ Eine kleine Spitze konnte sie sich allerdings nicht verkneifen: „Können Sie sich keine Angestellten leisten, die Ihre Gespräche entgegennehmen?“

Es entstand eine kleine Pause, und Kelly hätte schwören können, ein leises Lachen gehört zu haben. Seltsam! Er kam ihr eigentlich nicht vor wie ein Mann, der Sinn für Humor hatte.

“Ah, ja. Miss MacLeod. Danke, dass Sie so schnell zurückrufen. Bei der Nummer, die ich auf Ihrem Anrufbeantworter gelassen habe, handelt es sich um meine private Büronummer. Ich dachte, das würde uns Zeit sparen.“

Zeit sparen wofür? „Ich nehme an, dass Sie mit mir über das Porträt sprechen wollen.“

„Unter anderem“, bestätigte er. „Ich würde Sie gern diese Woche einen Abend zum Essen einladen.“

Das musste ein Witz sein. „Ich sehe keinen Grund für eine solche Einladung, Mr. Chakaris. Sollten Sie daran interessiert sein, das Gemälde zu kaufen, so muss ich Sie enttäuschen. Es ist nicht verkäuflich.“

„Ach, sehr interessant“, kommentierte er lässig. „Obwohl ich gar kein Interesse habe, das Bild zu kaufen. Allerdings hätte ich gerne einige Dinge mit Ihnen besprochen. Sollte es Ihnen abends nicht passen, könnten wir uns auch zum Lunch irgendwo treffen.“

Sie runzelte die Stirn. Warum bestand er darauf, sich mit ihr zu treffen? Sie war neugierig, sehr neugierig. Nun, weshalb sollte sie eigentlich nicht mit ihm essen gehen? Sie würde ihm schon zeigen, dass sie keine Angst vor ihm hatte. „Wann?“

„Morgen vielleicht?“ schlug er vor, so ruhig, als ob er nie den geringsten Zweifel gehabt hätte, dass sie seine Einladung annehmen würde.

Sie überlegte kurz. „Ja, gut.“

„In Ordnung. Ich werde Ihnen um zwölf Uhr dreißig meinen Wagen schicken.“

„Aber …“ begann sie, brach jedoch den Satz ab, als sie das Freizeichen hörte.

„Unmöglich!“ murmelte sie verärgert. Der Kerl hatte vielleicht Nerven. Sie legte den Hörer auf und dachte nach. Hatte sie jetzt einen Fehler gemacht? Wäre es nicht besser gewesen, wenn sie seine Einladung abgelehnt hätte?

Mach dir doch nichts vor. Du wolltest dich doch mit ihm treffen. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum man dich überreden konnte, dieses Porträt auszustellen.

Was für ein Unsinn! gebot sie ihrer inneren Stimme Einhalt. Sie schob diesen beunruhigenden Gedanken rasch zur Seite und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatte wirklich Besseres zu tun, als ihre Gefühle für Dominic Chakaris zu analysieren.

Sie würde ihn treffen, hören, was er zu sagen hatte, und danach würden er und sein Porträt der Vergangenheit angehören. Und zwar für immer.

Mit einem ungeduldigen Schulterzucken ging sie in das Schlafzimmer ihrer Mutter und begann entschlossen, deren Hinterlassenschaften durchzusehen.

Am nächsten Morgen musste Kelly sich zwingen aufzustehen. Sie hatte das Gefühl, keine Sekunde geschlafen zu haben, und wusste nicht, wie oft sie im Laufe der Nacht aufgewacht war und Mühe gehabt hatte, wieder einzuschlafen.

Zum Teil, so vermutete Kelly, war die Arbeit im Zimmer ihrer Mutter daran schuld. Der Ansturm der Erinnerungen, die bei jedem Stück in ihr hochgestiegen waren, hatte sie regelrecht erschlagen. Viele Kleidungsstücke hatten ihre Mutter und sie gemeinsam gekauft, und Kelly hatte daran denken müssen, wie viel Spaß sie bei ihren Einkäufen gehabt und wie gut sie sich verstanden hatten.

Kelly hatte außerdem einige in Leder gebundene Alben gefunden, in denen sich Bilder aus ihrer Babyzeit und ihrer Kindheit befanden. Ihre Eltern hatten damals so glücklich ausgesehen, dass ihr beim Durchblättern der Alben Tränen über die Wangen gelaufen waren.

Innerhalb von vier Jahren hatte sie beide Eltern verloren und hatte zusehen müssen, wie ihre Mutter aus Kummer um den Verlust ihres Ehemannes ihren Lebenswillen eingebüßt und sich selbst aufgegeben hatte.

Kelly verspürte einen regelrechten Hass auf das Unternehmen, das die Firma ihres Vaters aufgekauft hatte. Dieser Umstand hatte die Gesundheit ihres Vaters zerstört und war letztendlich auch für den Tod ihrer Mutter verantwortlich zu machen. Noch vor wenigen Monaten war diese Firma und waren die Leute, die dahinter steckten, für sie gesichtslos gewesen. Doch dann hatte sie herausgefunden, dass Dominic Chakaris der Besitzer des Unternehmens war. Dass er der Mann war, der so skrupellos mit dem Leben anderer Leute spielte.

Und Kelly hätte sich denken müssen, dass er von dem Porträt erfahren würde.

Autor

Annette Broadrick
<p>Bis Annette Broadrick mit sechzehn Jahren eine kleine Schwester bekam, wuchs sie als Einzelkind auf. Wahrscheinlich war deshalb das Lesen immer ihre liebste Freizeitbeschäftigung. Mit 18 Jahren, direkt nach ihrem Abschluss an der Highschool, heiratete sie. Zwölf Monate später wurde ihr erster Sohn geboren, und schließlich wurde sie in sieben...
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