Verzeihen Sie mir, Dr. Monroe!

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"Schwerer Unfall auf der Autobahn, viele Verletzte." Alarmiert eilt Chefärztin Dasha zum OP. Auf keinen Fall darf sie sich von dem attraktiven Mann neben sich ablenken lassen: dem brillanten Chirurgen Preston Monroe - ihr Ex, der immer noch glaubt, dass sie ihn damals betrogen hat!


  • Erscheinungstag 10.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505963
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Wie konnte man nur so viel Angst vor einer Situation haben, die man selbst herbeigeführt hatte?

Dr. Dasha Hardin stand am Fenster ihres provisorischen Dienstzimmers und blickte auf den Parkplatz, auf dem Dr. Preston Monroe vermutlich seinen Wagen parken würde. So gut es ging, versuchte Dasha den großen Klumpen zu ignorieren, der ihr schwer wie Blei im Magen lag. Sie hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde. Wenn Preston es darauf anlegte, ihre Karriere genauso zu sabotieren, wie er es bei seiner eigenen getan hatte, konnte sie auch gleich ihre Koffer packen. Dieser Mann war einfach nicht in der Lage, seine Zunge im Zaum zu halten. Und wenn er erzählte, was er aus ihrer Vergangenheit wusste …

Entschlossen wandte sie sich vom Fenster ab und fing an, ihren ohnehin schon tadellosen Schreibtisch aufzuräumen. Falls Preston herausgefunden hatte, dass das Gespräch heute Morgen mit ihr stattfinden sollte, weil Dasha die stellvertretende Leiterin der Chirurgie war, dann würde er vielleicht gar nicht erst auftauchen. Netter Gedanke.

Allerdings nur kurz.

Wenn er jetzt kam, war das sicher die bessere Variante. Ansonsten musste sie ihn suchen gehen. Sie wollte diese Sache in Ordnung bringen, das hatte sie Marjorie versprochen.

Wieder am Fenster, löste Dasha die krampfhaft verschränkten Arme. Was sie jetzt brauchte, waren Ruhe und Selbstbeherrschung. Sobald er kam, musste sie sich höflich und professionell verhalten, was ihr mit diesem Gefühlsaufruhr in ihrem Innern wohl kaum gelingen würde.

Dies war ihr Krankenhaus, wo sie von allen geliebt und respektiert wurde. Doch wenn Preston ihnen verriet, was sie ihm angetan hatte, konnte sich das durchaus ändern.

Nach einem leichten Klopfen öffnete sich die Tür.

Dasha sah sein Spiegelbild in der Fensterscheibe, doch es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie sich umdrehte.

Egal, wie sehr sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, ihr Herz hämmerte trotzdem wie verrückt. Sie betrachtete ihn. In den vergangenen fünf Jahren war er erwachsener geworden, und in seinen Zügen war nichts Jungenhaftes mehr zu erkennen. Preston besaß das Gesicht eines Mannes. Unglaublich attraktiv. Ein markantes Kinn, ein dunkler Bartschatten auf den glatt rasierten Wangen.

Als er Dasha erblickte, zuckte er nicht einmal mit der Wimper. Doch die hellblauen Augen, die sie immer in ihren Bann gezogen hatten, wirkten müde. Und kalt. Aber genauso umwerfend wie damals. Obwohl er sie mit seinem Blick durchbohrte, schien er zumindest nicht verärgert zu sein.

„Dasha.“ Die Lippen aufeinandergepresst, zog er die dunklen Brauen zusammen. „Ich hatte gehofft, dir erst mal aus dem Weg gehen zu können. Aber dann bringen wir es eben gleich hinter uns.“

Musste sie etwa jeden Moment mit einer Explosion rechnen?

Preston war ein hervorragender Chirurg, aber extrem launisch. Seine Stimmungen waren schon immer Glückssache gewesen, auch als Dasha sich noch nicht selbst zur Zielscheibe gemacht hatte.

„Dein Gespräch findet mit mir statt“, erklärte Dasha. „Unser Chefarzt nimmt gerade eine Auszeit. Ich bin die stellvertretende leitende Ärztin.“

„Dieses kleine Detail hat mir die Dame in der Personalabteilung vorenthalten.“ Ohne Eile schloss er die Tür. Sofort schien er den gesamten Raum einzunehmen.

„Ich dachte, du würdest sonst nicht kommen. Mach es ihr nicht zum Vorwurf, es war meine Schuld.“ Dasha fuhr sich über die trockenen Lippen.

„Bin ich auf deine Empfehlung hier?“

Eines seiner Augen zuckte, und seine verschränkten Arme waren ein deutlicher Hinweis auf seine Haltung ihr gegenüber. Er hatte ihr also nicht verziehen, aber damit hatte Dasha auch nicht gerechnet.

„Dr. Saunders hat dich dem Vorstand empfohlen“, erwiderte sie. Auf ihre Bitte hin, doch das erwähnte sie lieber nicht. „Allerdings tat er es von zu Hause aus. Seine Frau ist krank.“

„Wann kommt er zurück?“ Preston ließ die Arme sinken.

„Ich denke, das wird ein paar Monate dauern.“ Sie atmete tief durch. „Marjorie liegt im Sterben, und er will sie nicht allein lassen. Aber er erwartet deinen Anruf, falls du lieber erst nach seiner Rückkehr ans St. Vincent Hospital kommen möchtest.“

„Das heißt, ich arbeite mit dir zusammen, wenn ich bleibe?“

Er hielt ihren Blick fest, und Dasha musste sich zwingen, nicht wegzuschauen. „Ja.“ Nach der Arbeit brauchte sie garantiert dringend eine große Schüssel Eiscreme und vielleicht auch einen starken Drink.

Preston schwieg.

Dasha trommelte mit den Fingern auf ihr Bein und wartete. Schweigen lag ihr zwar nicht besonders, aber je länger Preston es aushielt, ohne sie verbal anzugreifen, desto besser.

Im Grunde besaß er ein gutes Herz, auch wenn er etwas zum Egoismus neigte. Früher war Dasha genauso gewesen. Mittlerweile hatte sie sehr an ihren sozialen Fähigkeiten gearbeitet und ihre Frustrationstoleranz erhöht.

„Wenn du lieber warten willst, bis Dr. Saunders zurückkommt, kannst du mit ihm direkt an seinen Fällen arbeiten“, fuhr sie schließlich fort. „Aber der Vorstand möchte, dass du in deiner Probezeit mit einem der Chirurgen im Haus zusammenarbeitest, bevor du alle Sonderrechte erhältst.“

„Probezeit?“, wiederholte er mit leicht erhobener Stimme.

Mit Grenzen hatte Preston noch nie gut umgehen können. Er packte Hindernisse immer direkt an. Das war eine der Eigenschaften, die Dasha während des Studiums an ihm so anziehend gefunden hatte. So hatte es angefangen. Manchmal fragte sie sich, ob sie ohne die ständige Konkurrenz mit ihm das Studium und die Assistenzzeit überhaupt durchgestanden hätte. Selbst als sie bereits eine Beziehung miteinander führten, war diese Rivalität zwischen ihnen noch da gewesen.

Prestons Art, sie zu unterstützen, hatte meistens darin bestanden, dass er sie so lange stichelte, bis sie den Ehrgeiz entwickelte, dieselben guten Leistungen zu erbringen wie er. Sie wollte unbedingt beweisen, dass sie genauso gut war wie alle anderen auch. Dass sie die Herausforderung wert war, seine Freundschaft wert war.

Dasha holte tief Luft. Sie durfte nicht in die Vergangenheit abschweifen, sondern musste beim Thema bleiben. „Das hat nichts mit deinen chirurgischen Fähigkeiten zu tun. Du kannst hervorragend mit einem Skalpell umgehen, das würde niemand bestreiten. Aber dein Umgang mit anderen Menschen ist eine Katastrophe.“

„Ich habe noch nie einen Freund hintergangen“, antwortete er gedehnt. „Also, was uns beide betrifft, denke ich, dass meine Umgangsformen die besseren sind.“

Dieses Gespräch einfach nur auf einer sachlichen und liebenswürdigen Ebene zu halten, schien leider nicht zu funktionieren. Dennoch versuchte sie es weiter. „Mag sein, aber du hast den Ruf, schwierig zu sein. Das ist dir ja sicher bekannt.“

„Nein, ist es nicht. Erklär’s mir, Dasha. Bin ich schwierig?“ Jetzt war ihm der Ärger anzusehen.

Und diese Augen. Eisblau, ja. Doch Dasha hätte schwören können, dass winzige Flammen in seinen Pupillen tanzten. „Ich bemühe mich darum, es taktvoll auszudrücken, Preston.“

„Ja, das merke ich. Eines der Dinge, die ich an dir immer geschätzt habe, war deine direkte Art. Also spuck es schon aus.“

„Schön. Jeder erwartet von dir, dass du ein Ekel bist.“ Sie vergrub die Hände in den Taschen. Die neue Dasha tat das eigentlich nicht mehr, weil sich das für einen kultivierten Menschen nicht gehörte. Es war eine alte Angewohnheit der alten Dasha.

Schnell zog sie die Hände wieder heraus und ließ die Arme sinken. „Im St. Vincent gibt es ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Dem Vorstand gefällt das, und die jeweiligen Abteilungsleiter achten darauf, dass alle Kollegen gut miteinander auskommen. Ob Pflegepersonal, Verwaltung oder Ärzte, wir sind alle Menschen. Und egal, worum es geht, Konflikte müssen immer auf zivilisierte Weise gelöst werden.“

Sie holte tief Luft. „Der Vorstand will positive Berichte über gutes Benehmen“, fuhr sie fort. „Das heißt, du kannst nicht einfach sagen, was du denkst. Andere Leute dürfen das, aber sie haben keine so scharfe Zunge wie du. Du darfst keine Streitereien anzetteln. Und wenn du es wirklich schaffst, dich mit niemandem anzulegen, dann könntest du vielleicht auch noch ein paar Wunder vollbringen, damit der Vorstand bereit ist, das Risiko mit dir einzugehen.“

„Und wieso bist du dazu bereit?“ Preston ließ sie keinen Moment aus den Augen.

„Dr. Saunders und ich sind beide …“

„Das habe ich nicht gefragt“, unterbrach er sie. „Ich verstehe, warum er bereit dazu ist. Aber warum du? Was bringt dir das?“

Weniger Schuldgefühle?

Das Wissen, dass sie einen schrecklichen Fehler wiedergutgemacht hatte? Oder sich zumindest darum bemühte?

Dasha beschloss, aufrichtig zu sein. „Ich bin dir was schuldig.“

Seine Augen wurden schmal, doch er sagte nichts.

„Außerdem bist du ein ausgezeichneter Chirurg, Preston“, fügte sie daher hinzu. „Du wärst eine Bereicherung für St. Vincent.“

Schweigend veränderte er seine Haltung und schien nachzudenken.

Dasha senkte den Blick, wurde dabei aber sofort von seinem Körperbau abgelenkt. Schlank und breitschultrig, passte ihm der blaue OP-Anzug wie angegossen. Obwohl Dasha OP-Kleidung noch nie besonders schmeichelhaft gefunden hatte, besaß diese trotzdem etwas sehr Neutrales, dadurch dass jeder formlose, weite Anzüge tragen musste, die den meisten nicht allzu gut standen.

Bis auf Preston.

Er sah darin wirklich attraktiv aus. Schmale Hüften, lange Beine, breite Schultern. Schlank. Der Körperbau eines Leistungsschwimmers. Doch er war Läufer, genau wie Dasha. Auch hier hatten sie miteinander konkurriert. Im Studium, auf der Laufstrecke, während der Assistenzzeit. Seit Jahren hatte Dashas Libido sich nicht geregt. Aber fünf Minuten in der Nähe dieses Mannes genügten, um ihre Hormone zum Kochen zu bringen.

Ehe er antworten konnte, summte ihr Telefon, und sie holte es aus der Tasche.

„Schwerer Autounfall auf der I-40.“ Sie musterte Preston. Er trug Arbeitskleidung. „Ich wurde in Schockraum eins gerufen. Wie ich sehe, bist du für die Arbeit vorbereitet, aber vielleicht ist es für dich auch zu problematisch, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich möchte dich nicht um etwas bitten, das dir unangenehm ist. Aber glaubst du, du könntest uns unterstützen? Vielleicht hilft dir das bei der Entscheidung, ob du bleiben willst oder nicht.“

Sein Blick wurde eisig, und sie hatte Angst, die falsche Karte ausgespielt zu haben.

„Ich weiß, was du tust“, sagte er tonlos. „Wenn du das noch mal machst, bin ich weg. Es ist mir ziemlich egal, was du denkst. Wenn es sich nicht so anhören würde, als ob du Hilfe brauchst, würde ich es nicht tun. Vielleicht kannst du ja noch was von mir lernen.“

Ohne ihr Zeit zu einer Antwort zu geben, war er bereits zu Tür hinaus und eilte zur Notaufnahme. Dasha schloss rasch ab und musste laufen, um mit Preston Schritt zu halten.

Natürlich wusste er, wo er hinmusste. Vermutlich hatte er alle Lagepläne auswendig gelernt, bevor er hergekommen war, denn er hängte sie bereits ab. Doch das war vollkommen in Ordnung. Er war bereit auszuhelfen, und sie konnten seine Hilfe heute gut gebrauchen.

Eins war Dasha klar: Er betrachtete sie noch immer als Rivalin. Vielleicht hatte er sich gar nicht so sehr verändert. Mit diesem Preston konnte sie arbeiten.

Hoffte sie zumindest.

Ein Sattelschlepper war umgekippt, hatte dabei mehrere Autos unter sich begraben und eine Massenkarambolage verursacht. Die meisten Opfer hatten Verletzungen, die man nach einem solchen Unfall erwartete. Bis zwei Leute eingeliefert wurden, die gemeinsam von einem Stahlrohr durchbohrt worden waren.

„Was für eine Ladung hatte der Sattelschlepper?“ Preston streifte sich Handschuhe über und folgte Dasha zu den beiden unglücklichen Patienten.

Während eine Krankenschwester ihr in die OP-Kleidung half, erteilte sie ihre Anweisungen. Preston fiel der düstere Ausdruck in den Mienen der Kollegen auf. An ihm konnte es eigentlich nicht liegen, also musste irgendetwas anderes der Grund dafür sein.

„Das sehen Sie gerade vor sich.“ Mit einem Nicken deutete die Schwester auf das Stahlrohr. „Die beiden waren zusammen im Auto und mussten herausgeschnitten werden.“

Die Röntgenaufnahmen hingen bereits im Leuchtkasten. Bei der Frau war die Lunge verletzt, und sie hatte eine Flüssigkeitsdrainage, war jedoch bei Bewusstsein. Der Mann hatte ein abdominales Trauma, möglicherweise eine durchbohrte Leber, und war bewusstlos.

„Wer hat Rufbereitschaft in der Kardiologie?“, fragte Dasha.

„Stevens“, antwortete jemand. „Aber er war bei dem Unfall dabei.“

„Ist er verletzt?“ Auch wenn sie keine Sekunde innehielt, merkte man ihr die Bestürzung an.

Preston untersuchte die Wunde des bewusstlosen Mannes und überprüfte seine Atmung, ehe er dasselbe bei der Frau tat.

„Er hat es nicht geschafft“, antwortete dieselbe Schwester wie eben.

„Und wer hat jetzt Rufbereitschaft?“ Dasha versuchte, alle Informationen zu bekommen, die sie benötigte.

Wenn die Kollegen hier ein so gutes Verhältnis miteinander hatten, wie sie behauptete, dann konnte Preston verstehen, weshalb alle eine so düstere Miene machten.

Unvermittelt fing sein linkes Auge an zu brennen. Keine Tränen, sondern die andere Sache. Eine Warnung, dass seine Augen Probleme machen würden. Ein solcher Anfall war das Letzte, was er an seinem ersten Tag gebrauchen konnte. Falls er blieb.

Es lag am Stress.

Ich hätte besser darauf vorbereitet sein sollen, sie zu sehen, dachte er. Er hatte schließlich gewusst, dass es passieren würde. Nur hatte er nicht ganz so schnell damit gerechnet.

Außerdem hatte er keine so große Veränderung bei ihr erwartet. Lange Haare in unterschiedlichen Blondtönen, schick. Das lange Haar stand ihr gut. Dicht, glatt, glänzend. Elegant. Geradezu erschreckend elegant. Und sie bemühte sich so sehr darum, taktvoll zu sein. Preston kam es vor, als würde er mit einer Dasha-Doppelgängerin sprechen, wie für eine Sendung mit versteckter Kamera. Es brachte ihn aus der Fassung, und das wiederum verursachte vermutlich den Stress.

Auf dem Weg zu der Patientin drückte Dasha kurz den Oberarm einer jungen Krankenschwester. Eine tröstende Geste.

Gleich darauf sagte sie leise ein paar Worte zu ihrer Patientin, bevor sie sich wieder aufrichtete. „Dr. Monroe, Sie arbeiten mit mir zusammen. An alle: Wir müssen diese beiden in den OP rollen, damit wir sie dort trennen können.“

Die Krankenschwester hatte feuchte Augen, kam jedoch sofort herüber, um zu helfen. Alle arbeiteten gemeinsam als Team.

Seit seiner Assistenzzeit hatte Preston so etwas nicht mehr erlebt. Er hatte vergessen, wie gut es Dasha immer gelang, ihre Kollegen dazu zu bringen, ihr Bestes zu geben.

Eine Gruppe von Leuten umgab die beiden Liegen. Schnelle Schritte und quietschende Rollen begleiteten den Transport der Patienten durch das Krankenhaus zum Frachtaufzug. Nur dieser war groß genug, um die Liegen in der Position aufzunehmen, in der das Stahlrohr das Paar durchbohrt hatte. Dann ging es weiter in den großen Operationssaal.

„Dr. Monroe, Sie übernehmen Mr. Andrews“, erklärte Dasha, ohne den Blick von ihrer Patientin abzuwenden.

Preston hätte allerdings gerne Mrs. Andrews operiert. Im Grunde war das eine Aufgabe für zwei Chirurgen, aber sie waren nun mal nur zu zweit. Vielleicht konnte er zuerst Mr. Andrews helfen und danach Dasha unterstützen, falls Mrs. Andrews so lange überlebte. Denn im Lungenbereich waren wahrscheinlich zahlreiche Blutgefäße beschädigt.

Inzwischen hatten beide Patienten das Bewusstsein verloren, was bei Blutverlust häufig vorkam.

Dasha reichte Preston die chirurgische Säge. „Würdest du das machen?“

Er war überrascht. Er hatte das Sägen schon immer geliebt und wäre deshalb sogar beinahe Orthopäde geworden. Ob sie sich noch daran erinnerte?

Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Im Augenblick war Dasha nur eine Kollegin, die mit ihm gemeinsam eine schwierige Situation bewältigen musste.

Das Geräusch von Metall auf Metall, als die Sägezähne durch das Stahlrohr schnitten, war geradezu ohrenbetäubend.

Sobald das Rohr durchtrennt war, schoben die Leute von Dashas OP-Team den Tisch mit Mrs. Andrews zur Seite, stellten die Räder fest und fingen sofort an zu arbeiten.

Preston reichte seinem Techniker die Säge, ließ sich frische OP-Kleidung und Handschuhe bringen und setzte das Skalpell an. Dabei folgte er mit seinen Schnitten dem Rohr durch das zerrissene Gewebe.

Während er sich auf die Arbeit konzentrierte, ließ das Brennen in seinem Auge nach. Vielleicht war die Sache damit erledigt.

„Wie sieht’s aus?“, rief Dasha ihm zu.

Allerdings hätte sie ihre Stimme gar nicht erheben müssen. Sie standen Rücken an Rücken, zwar ohne sich zu berühren, aber Preston hätte schwören können, dass er sie spürte. Die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren. Aber das musste er einfach ignorieren.

„Durchbohrte Leber. Der größte Teil zerstört, aber es ist noch genug davon intakt, dass man es retten kann. Ich arbeite jetzt an der Blutung.“ Eine sehr starke Blutung. „Und bei dir?“

„Ich arbeite auch an der Blutung“, erwiderte Dasha. In ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, den er kannte. Sie glaubte nicht daran, dass Mrs. Andrews überleben würde. Trotzdem wollte sie nicht aufgeben.

„Hat jemand Nettle erreicht?“, fragte sie drängend.

Diese Frage war an ihr Team gerichtet, und Preston konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe.

Wie schlimm hätte dieser Vormittag ausgehen können, falls er und Dasha nichts anderes zu tun gehabt hätten, als herumzusitzen und ihren Erinnerungen nachzuhängen? Weißt du noch … Der Tag, als wir zusammen waren und du mir das Herz gebrochen hast, indem du mich mit Handschellen ans Bett gefesselt zurückgelassen hast, um mir meine Facharztstelle zu klauen? Da hätte sein großes Mundwerk ihn sicherlich in Schwierigkeiten gebracht. Dabei wollte er ja eigentlich ein neues Kapitel in seinem Leben aufschlagen.

Jahrelang hatte Preston sich immer wieder selbst im Wege gestanden, was auch der Grund dafür war, dass er jetzt mit der Frau zusammenarbeiten musste, deren Werdegang er in den vergangenen fünf Jahren ständig aufmerksam verfolgt hatte.

Um Dasha nicht begegnen zu müssen, war es das Beste, immer zu wissen, wo sie sich befand. Wo sie arbeitete, an welchen Kongressen sie teilnahm, wo sie wohnte. Wo sie vermutlich einkaufen oder essen ging, oder welche Orte sie besuchte. Jemanden so intensiv zu vermeiden, erforderte Intelligenz.

Und jetzt stand sie kaum einen Meter von ihm entfernt.

Eine weitere Stunde verging.

„Wie läuft es bei euch?“ In regelmäßigen Abständen erkundigte Dasha sich nach dem Verlauf der OP.

„Ich mache jetzt zu“, antwortete Preston. „Hab zwei Beutel Blut transfundiert.“

„Gut, ich brauche dich.“ Rein beruflich natürlich.

„Wie viel Blut hat sie bekommen?“ Eine Krankenschwester half ihm, den OP-Kittel und die Handschuhe zu wechseln.

„Drei Beutel, wahrscheinlich braucht sie noch einen“, erwiderte Dasha, ohne ihre Patientin aus den Augen zu lassen.

Der erste Blick in den geöffneten Brustkorb der Frau ließ ihm den Atem stocken. „Wir könnten einen Kardiologen gebrauchen.“

Allerdings. In der kleinen Öffnung arbeiteten sie Hand in Hand, um einen Schaden zu reparieren, der viel zu groß zu sein schien.

„Nach dem habe ich die ganze Zeit gefragt“, murmelte Dasha. Dennoch unterbrach sie keine Sekunde ihre Arbeit. Sie gab nicht auf.

Das war etwas, wofür Preston ihr Anerkennung zollte. Ebenso wie für ihr Können. Auf der beruflichen Ebene war Dasha wirklich gut. Bloß als Mensch hatte sie versagt.

Sein linkes Auge zuckte. Er kniff die Lider zusammen. Manchmal half das, manchmal nicht. Als er die Augenmuskeln wieder entspannte, wurde sein Sehvermögen schärfer, und da erblickte Preston einen kleinen Schnitt am Herzen von Mrs. Andrews, der den Muskel jedoch nicht ganz durchdrungen hatte. „Verdammt.“

„Was ist?“ Dasha hielt inne, um auf seine Hände zu schauen.

„Sie muss an die Pumpe“, erklärte er. „Sofort.“ Dass die Herzwand überhaupt so lange durchgehalten hatte, war ein Wunder.

„Leg ihr den Katheter, und zwar über den Oberschenkel. Noch mehr Löcher oberhalb der Gürtellinie können wir nicht gebrauchen“, sagte Dasha, ehe sie sich wieder ihrer eigenen Aufgabe zuwandte.

Die OP-Techniker schoben die Herz-Lungenmaschine heran. Bei dem Wort Pumpe hatten sie sich bereits in Bewegung gesetzt. Daran könnte man sich gewöhnen.

Eine Kanüle wurde Preston in die Hand gedrückt, und er tastete das Bein der Patientin ab, um die Arterie zu finden. Schnell desinfizierte er die Stelle mit einem Alkoholtupfer und führte den Katheter ein. Sobald er den Auslaufschlauch benötigte, hielt die Schwester diesen schon bereit.

Kaum hatte er die Pumpe angeschlossen, stieß ein Mann die Tür zum OP auf.

Nettle. Preston erkannte ihn. Zwar war ihm der Name unbekannt gewesen, doch diesem Herzchirurgen war er schon mal begegnet. Ein Golfkumpel seines Vaters. Mehr brauchte Preston nicht über ihn zu wissen. Wahrscheinlich war er gut in seinem Job, aber stolz und arrogant.

„Dr. Hardin, bitte treten Sie zurück“, sagte Nettle, der sich von einer Krankenschwester die Handschuhe überziehen ließ.

„Sie hat eine Risswunde, die nicht durch den Muskel gedrungen ist.“ Preston zeigte auf die Stelle, wo das Stahlrohr das Herz von Mrs. Andrews geschrammt hatte.

„Das sehe ich“, erwiderte Nettle.

Preston blieb, hob jedoch die Hände zur Seite, bereit, jederzeit wieder einzuspringen, falls nötig. Er wollte zwar, dass der Herzchirurg sich der Sache annahm, aber dennoch hatte er ein ungutes Gefühl dabei. Und im Laufe der Jahre hatte er gelernt, diesem Gefühl zu vertrauen. Auf gar keinen Fall würde er jetzt widerspruchslos gehen. Aber er musste versuchen, möglichst taktvoll zu bleiben.

Dasha berichtete dem Kardiologen, was sie bisher getan hatten. Da sie nichts ausließ, hätte Preston eigentlich beruhigt sein können. Trotzdem war ein Bericht nicht dasselbe, wie das Stahlrohr selbst gesehen zu haben.

„Vielen Dank Ihnen beiden. Dann übernehme ich jetzt“, erklärte Nettle.

„Brauchen Sie keinen …?“, begann Preston.

„Ich habe einen Kollegen mitgebracht.“ Genau in diesem Moment öffnete sich die Tür, und eine jüngere Ausgabe von Nettle trat an den Operationstisch.

„Ich würde trotzdem gerne bleiben und helfen.“ Preston bemühte sich um einen sachlichen Tonfall. Dagegen konnte der Kerl doch wohl nichts einwenden. „Ich halte mich zurück, es sei denn, Sie brauchen mich.“

„Falls wir ihr den Blinddarm entfernen müssen, sind Sie der Erste, den wir rufen werden“, entgegnete Nettle leichthin und ohne jeden Ärger. Doch es wirkte entschieden herablassend.

Offenbar war Dashas Regel, dass man zu jedem nett sein sollte, an ihm vorbeigegangen.

Preston sah, wie sie ihm gegenüber fast unmerklich den Kopf schüttelte. Nicht der passende Augenblick für eine Auseinandersetzung. Das war ihm durchaus klar.

„Sie ist in guten Händen“, meinte Dasha diplomatisch und versuchte, Preston zur Tür zu schieben.

„Das kann dir doch auch nicht recht sein“, zischte er ihr ins Ohr.

„Nein, aber es hilft Mrs. Andrews nicht, wenn wir ihn jetzt ablenken.“ Verstohlen nickte sie zu der Kamera, die über dem OP-Tisch angebracht war.

Preston zog Kittel und Handschuhe aus und ging hinaus. Draußen packte er Dasha am Ellbogen. „Wo ist der Monitor?“

„Nebenan.“ Nachdem sie den Raum aufgeschlossen hatte, verfolgten sie gemeinsam den Eingriff am Bildschirm.

„Nimmt das Ding hier auf?“ Preston schaute sich um. „Können wir näher ranzoomen?“

„Ich weiß nicht.“ Ohne den Blick abzuwenden, wählte sie eine Nummer auf ihrem Handy. „Es ist sicher alles in Ordnung. Nettle hat eine hohe Erfolgsquote und hervorragende Qualifikationen. Er ist ein guter Chirurg. Lässt sich allerdings nicht gern reinreden. Und es war merkwürdig von ihm, uns rauszuschmeißen. Kennt ihr zwei euch? Es kam mir vor, als würde er dich kennen und hätte was gegen dich.“

„Habe ich gemerkt.“ Preston starrte auf den Monitor. Ohne Dasha wäre es für ihn leichter gewesen, sich zu konzentrieren. Aber er konnte sie ja nicht bloß deshalb rauswerfen, weil ihn ihre Nähe störte. Er würde schon damit klarkommen. Immerhin hatte er fünf Jahre Zeit gehabt, um sich von ihr zu befreien. Er musste nur ihren Duft ignorieren. Nicht daran denken, wie sie schmeckte. Am besten überhaupt nicht an sie denken.

Solange er aufmerksam beobachtete, was die beiden Herzchirurgen taten, konnte er sehen, ob sie Probleme bekamen. Vermutlich wären sie imstande, mit jeder Situation fertigzuwerden, aber Preston wollte einfach nicht loslassen. Die Vorstellung, dass Mr. Andrews sich nicht nur von seiner Operation erholen, sondern auch noch den Verlust seiner Frau verkraften musste, war einfach zu viel. Und dann diese ganze Geschichte mit Dasha.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, meinte sie da.

„Ja, wir sind uns schon mal begegnet. Es ist nichts weiter passiert. Aber er spielt Golf mit meinem Vater. Ich schätze, Nettle kriegt eine Menge negativer Kommentare von Davis P. zu hören“, brummte Preston.

„Mr. Andrews ist wach.“ Sie reichte ihm das Telefon, damit er sich über den Zustand seines Patienten informieren konnte.

„Sagen Sie ihm, dass sie noch operiert wird.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Von zwei hervorragenden Chirurgen.“

Damit legte er auf, um erneut wie gebannt auf den Bildschirm zu schauen.

Mit einem Auge sah Dasha auf den Monitor, während sie mit dem anderen Preston im Blick hatte. Mit ihm zusammen in einem kleinen Raum … Nun ja, wenigstens rochen sie beide nach medizinischer Seife, also ganz und gar nicht sexy.

Trotz des Beinahe-Zusammenstoßes mit Nettle war Preston als Chirurg ein Profi, der seine Arbeit sehr ernst nahm. Die Patienten und seine Verpflichtung ihnen gegenüber waren ihm wichtig. Deshalb empfand sie diese Sache am Davidson West Hospital, seinem letzten Krankenhaus, als so verwirrend.

Irgendetwas musste dort vorgefallen sein. Dass sie die entsprechenden Details nicht kannte, beunruhigte sie.

Wenn man während einer Operation ohnmächtig wurde, konnte das fatale Folgen haben. Falls Preston lediglich krank gewesen war, hätte man ihn sicher nicht nur aus diesem Grund entlassen. Eigentlich konnte es nichts wirklich Schlimmes sein. Ein Zufall, an dem er keine Schuld hatte.

Autor

Amalie Berlin
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