Warum so kühl, Schwester Bonia?

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Nicht genug, dass Schwester Bonita sich verletzt hat, nein, ausgerechnet Hugh hat Notdienst - der Mann, der ihr einst das Herz gebrochen hat. Klar, dass sie dem sexy Oberarzt die kalte Schulter zeigt. Doch leider entschlüpfen ihr unter Narkose drei verräterische Worte ...


  • Erscheinungstag 25.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729561
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Tut mir leid, wenn dir das unangenehm ist.“ Hugh Armstrong lächelte seiner widerspenstigen Patientin verständnisvoll zu.

„Es ist mir nicht unangenehm“, entgegnete Bonita unwirsch. Sie biss die blassen Lippen zusammen und schüttelte ablehnend den Kopf, als Stationsschwester Deb ihr noch etwas Lachgas zum Inhalieren geben wollte. Bonita hatte panische Angst davor, ihren Arm zu bewegen, und wollte auf gar keinen Fall, dass irgendjemand sie anfasste.

Schon die kurze Fahrt zum Krankenhaus war die Hölle gewesen. Ihre Freundin hatte ihr zwar eine behelfsmäßige Schlinge angelegt, doch die hatte gegen die Schmerzen kaum geholfen. Jeder Stoß, jede noch so kleine Berührung war zur Qual geworden, auch als Deb ihr endlich aus dem Auto heraus und auf die Rollliege geholfen hatte. „Ich habe nur schreckliche Schmerzen.“

„Dann ist es ja gut“, bemerkte Hugh trocken, während Bonita wie ein Häufchen Elend auf der Liege saß. „Ich meine natürlich nicht gut, dass du Schmerzen hast!“ Sein selbstgefälliges Lächeln machte alles nur noch schlimmer. „Ich meine gut, dass es dir nicht unangenehm ist. Unfälle passieren nun mal, immerhin wären wir sonst arbeitslos.“

Er hielt sich wohl für sehr komisch.

Bonita war verzweifelt. Da saß sie nun in ihrem Netzballtrikot, die langen dunkelbraunen Locken vom Sport noch ganz verschwitzt und kraus, mit ausgekugelter Schulter hilflos auf einer Untersuchungsliege in der Notfallambulanz, in der sie sonst arbeitete, und der einzige zur Verfügung stehende Oberarzt war ausgerechnet ihr Erzfeind Hugh Armstrong!

Das war wieder einmal typisch! Schon den ganzen Tag war irgendwie alles schief gelaufen. Warum hatte sie heute überhaupt Netzball gespielt? Nach ihrer Knieverletzung im letzten Jahr hatte sie die Mannschaft verlassen. Eigentlich endgültig, aber der Anruf am frühen Morgen hatte sie völlig überrumpelt. Eine Spielerin war ausgefallen und ihre ehemalige Teamkollegin überredete sie, ausnahmsweise einzuspringen. Sie hätte nein sagen sollen. Mittelangreifer war ohnehin nicht ihre Position!

Und was Hugh Armstrong betraf – der sollte doch gar nicht hier sein, dachte Bonita missmutig. Sie hielt ihren schmerzenden Arm mit der anderen Hand so krampfhaft umklammert, dass ihr vor lauter Anspannung schon der Nacken wehtat. Chefarzt Andrew Browne hatte heute Dienst, doch der steckte anscheinend in einer Notfallbehandlung fest. Und Hugh, der heute auf einer Hochzeit eingeladen war, war nur kurz auf halbem Weg zwischen Trauung und Empfang in der Notaufnahme hereingeschneit, um seinen Piepser abzugeben.

Der Duft seines dezenten Aftershaves lag in der Luft und natürlich wusste er, wie umwerfend er in seinem grauen Cut aussah. Mit seiner bildhübschen Freundin Amber im Schlepptau war er ausgerechnet in dem Moment in der Notaufnahme aufgekreuzt, als man Bonita auf ihrer Rollliege hereingeschoben hatte. Hugh sah, dass kein anderer Arzt verfügbar war und hatte sich selbstverständlich bereit erklärt, sie zu untersuchen.

Schließlich gehörte sie zur Belegschaft, und eine Kollegin ließ man nicht warten.

Heute war sie außerdem seine Patientin. Daher war er ausnahmsweise einmal nett zu ihr. Bonita beschloss, im Gegenzug seine gönnerhaften Versuche, lustig zu sein, zu ertragen, wenn das bedeutete, dass ihre Schulter schnell wieder in Ordnung gebracht wurde.

Dass sie einander verabscheuten, tat absolut nichts zur Sache.

„Nimm ein paar Atemzüge vom Lachgas, und dann gib mir endlich deinen Arm.“

Bonita war klar, dass sie sich kindisch anstellte. Doch Tapferkeit war nun einmal nicht ihre Stärke.

Nach ihrer Ankunft wäre es Hugh fast gelungen, ihr einen Infusionszugang in den gesunden Arm zu legen, doch dann war Bonita nach einer kurzen Bewegung vor Schmerz so zusammengezuckt, dass die Kanüle verrutschte und Hugh resigniert aufgab.

„Na, komm schon, Schätzchen“, versuchte Deb sie zu ermutigen. „Du bist doch eine Azetti. Da solltest du an so etwas gewöhnt sein!“

Aber Bonita war anders als die anderen Azettis.

Als ihre Mutter nach drei strammen Söhnen eine Tochter bekommen hatte, hätte man meinen sollten, dass sie Bonita in Watte gewickelt, in rosa Kleidchen gesteckt und zum Ballettunterricht geschleift hätte. Stattdessen hatte sie sie wie einen der Jungs behandelt. Bonita hatte die abgelegten Klamotten ihrer Brüder tragen und mit deren Spielsachen spielen müssen, bis sie als Teenager lautstark erkämpfte, endlich ein Mädchen sein zu dürfen.

Ständig war sie mit Ihrer Mutter in Streit geraten, weil sie eben nicht so wild und furchtlos war wie der Rest der Familie. Und weil sie sich zu deren großen Enttäuschung nicht sonderlich für Pferde begeistern konnte. Klar, hätten ihre Mutter oder ihre Brüder sich bei einem Sturz vom Pferd die Schulter ausgekugelt oder ein Knie verrenkt, dann hätten sie ihre Schmerzen sicher klaglos ertragen. Aber Bonita war anders.

Sie hatte eher das dramatische Temperament ihres sizilianischen Vaters Luigi geerbt. Hugh wusste das. Er schmunzelte verstohlen, als Bonita über Debs Bemerkung die Augen verdrehte, doch er sparte sich jeden Kommentar.

„Kannst du nicht irgendetwas gegen die Schmerzen unternehmen?“

Bonita wusste natürlich, dass Hugh genau das gerade versuchte. Schließlich wollte er sie so schnell wie möglich zum Röntgen schaffen. Geduldig hielt er ihr die Atemmaske entgegen.

„Nun komm schon.“ Er bemühte sich, freundlich zu bleiben. „Ich weiß, dass du Schmerzen hast, aber wenn du einfach nur ein paar Mal tief einatmen und mir deinen Arm überlassen würdest, dann könnten wir den Zugang legen und dir etwas Stärkeres gegen die Schmerzen geben.“ Schmerzmittel – oh ja, das klang wirklich verlockend. In dem Jahr, seit Bonita hier arbeitete, hatte sie schon oft mit ausgerenkten Schultern zu tun gehabt. Natürlich hatte sie gewusst, dass es wehtat. Doch sie hatte keine Ahnung gehabt, wie sehr.

„Die Schulter ist bestimmt nicht einfach nur ausgekugelt“, klagte sie. „Das ist viel schlimmer als eine normale Dislokation. Ich glaube, da muss etwas gebrochen sein. Oder die Nerven sind eingeklemmt.“

„Wie wär’s, wenn wir dir schnell etwas gegen die Schmerzen verabreichen, ein paar Röntgenbilder machen und ich dann meine Diagnose stelle?“

„Oh, entschuldige. Ich hatte ganz vergessen, dass ich ja nur eine einfache Krankenschwester bin“, erwiderte Bonita bissig. „Wie ungehörig von mir, eine eigene Meinung zu haben.“

„Ist schon in Ordnung, Schwester.“ Er zwinkerte ihr besänftigend zu. Hugh hatte immer schon so eine Art gehabt, sie zurechtzuweisen. Bereits als sie noch ein Kind war, hatte er klar gemacht, dass er sie für eine entsetzliche Plage hielt. Ihre Wutanfälle als Teenager hatte er gelangweilt über sich ergehen lassen, und als sie verkündet hatte, dass sie Krankenschwester werden wollte, hatte er sie bloß ausgelacht.

Warum war er nicht einfach in England geblieben, wo er hingehörte?

Mit achtzehn war Hugh für ein Jahr nach Australien gekommen, um vor Beginn seines Medizinstudiums zu reisen und etwas von der Welt kennenzulernen. Eigentlich hatte er vorgehabt, in England zu studieren, doch dann hatte er sich in die australische Landschaft verliebt und kurzerhand sein Studium hierher verlegt. An der Universität hatte er sich dann mit Bonitas Bruder Paul angefreundet und war während ihrer gemeinsamen Studienzeit so etwas wie eine feste Einrichtung im Haushalt der Azettis geworden.

Bonitas Eltern besaßen ein großes Anwesen auf der Mornington Halbinsel, wo sie ein Weingut betrieben, ihre eigenen Trauben züchteten und einen hervorragenden Wein produzierten. Ebenso wie die Reitschule ihrer Mutter war der Winzereibetrieb über die Jahre erfolgreich expandiert. Und abgesehen von seinem Blondschopf hatte Hugh sich bestens in die Familie eingefügt. Er war regelmäßig zum Essen gekommen und hatte oft auf dem Gut übernachtet.

Während der Semesterferien hatte er bei der Weinlese geholfen, im hauseigenen Hofladen der Kellerei gearbeitet oder die Pferde trainiert. Dabei hätte er, wie sich später herausstellte, keinesfalls nötig gehabt zu arbeiten. Bei seinem familiären Hintergrund hätte er es sich leisten können, sich während der sechs Jahre seines Studiums voll und ganz aufs Lernen und aufs Feiern zu konzentrieren. Hugh war es jedoch gelungen, alle drei Dinge unter einen Hut zu bringen – Arbeit, Studium und Partys. Tatsächlich hatte er es in all diesen Disziplinen zu wahrer Meisterschaft gebracht!

Im Haushalt der Azettis war er beinahe so etwas wie ein vierter Sohn. Und es war einer der seltenen Anlässe, bei denen Bonita ihre Mutter hatte weinen sehen, als Hughs Vater erkrankte und Hugh nach England zurückgeeilt war. Nicht bloß für die Ferien, sondern dauerhaft.

Natürlich waren sie in Kontakt geblieben. Regelmäßig trafen Postkarten oder Briefe von ihm ein, Briefe voll trockenem englischen Humor, die Bonitas Mutter Carmel den anderen lachend vorlas. Ab und an leitete Paul auch die E-Mails weiter, in denen Hugh die Familie über seine neuesten Erfolgsgeschichten, über Beförderungen, Freundinnen, Todesfälle in der Familie, Verlobungen und Trennungen auf dem Laufenden hielt.

Doch zwischen Bonita und Hugh hatte es nach seinem Weggang nie mehr direkten Kontakt gegeben.

Bis vor sechs Monaten.

Bis sie eines Abends nach Hause kam und ihn am Esstisch ihrer Familie antraf – ein Überraschungsgast mit überraschenden Neuigkeiten.

Er war wieder da.

Und nicht nur das. Er hatte eine Stelle als Arzt in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses angenommen. Natürlich waren alle begeistert. Andrew Browne war stolz, einen so angesehenen Londoner Arzt für die Abteilung gewonnen zu haben.

Die Azettis waren glücklich, dass der verlorene Sohn zurückgekehrt war. Und auf einmal begannen alle Krankenschwestern und das weibliche Pflegepersonal, sich morgens mit besonderer Sorgfalt zu schminken.

Bonitas Mutter hatte die Reitschule schon vor einiger Zeit aufgegeben, sodass nur noch wenige Pferde auf dem Gut waren. Hugh hatte prompt eins gekauft – Ramone, ein Teufelskerl von einem Pferd – was zur Freude ihrer Eltern bedeutete, dass er ein häufiger Gast auf dem Anwesen war, der nach dem Reiten oft auf einen Kaffee im Haus vorbeischaute.

Ja, Hughs Rückkehr hatte alle entzückt. Alle außer Bonita.

Schon ganz duselig vom Lachgas starrte sie auf die seidige blonde Haarsträhne, die ihm in die Stirn fiel, den sinnlichen Mund, der so spöttisch lächeln konnte, und die dunkelgrünen Augen mit den kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln – und hasste ihn mehr als je zuvor.

„Gib mir jetzt bitte deinen unverletzten Arm“, sagte Hugh freundlich, aber energisch. „Und nimm noch ein paar Züge vom Lachgas.“

„Es wirkt nicht.“ Ihre Worte wurden von der Maske, die Deb ihr aufs Gesicht presste, halb verschluckt.

„Das kann es auch nicht, wenn du andauernd plapperst statt zu atmen. Nun mach schon, Bonny!“ Sie hasste es, wenn er sie so nannte. Es war okay, wenn ihre Familie sie so rief, aber hier bei der Arbeit war sie Bonita. Sie befreite ihr Gesicht von der Maske, um ihm das zu sagen, doch er hörte gar nicht zu.

„Du kannst den verletzten Arm ruhig loslassen, die Schlinge hält das Gewicht“, versicherte Hugh und versuchte, ihren anderen Arm zu lösen. Doch sie hatte so entsetzliche Angst vor jeder noch so kleinen Bewegung, dass sie nicht wagte loszulassen. Bonita fühlte, wie ihr schon wieder die Tränen in die Augen stiegen. Dabei wollte sie auf keinen Fall, dass er sie weinen sah. Es war wirklich schwer, tapfer zu sein.

„Ich will kein Lachgas.“

„Na gut“, seufzte er nachgiebig. Bonita hasste den herablassenden Unterton in seiner Stimme. „Entspann dich mal für einen Augenblick, okay? Ich bin gleich wieder da.“ Es entging ihr nicht, wie er in Debs Richtung die Augen verdrehte. Dann machte er Anstalten, das Behandlungszimmer zu verlassen, vermutlich um sich bei Amber für die Verzögerung zu entschuldigen. Er hatte seine Freundin gebeten, fünf Minuten auf ihn zu warten. Daraus waren mittlerweile schon fünfzehn geworden.

„Tut mir leid, dass ich euch so große Unannehmlichkeiten bereite“, rief Bonita ihm hinterher. Vielleicht gelang es ihr ja, mit Sarkasmus ihre Tränen niederzukämpfen. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie so ein Feigling war, weil sie sich so zum Narren machte. Und das ausgerechnet vor Hugh!

„Sei nicht blöd“, sagte Deb. „Niemand findet, dass du Unannehmlichkeiten bereitest, oder, Hugh?“

„Natürlich nicht“, stimmte Hugh zu. Allerdings klang er nicht sehr überzeugend. Sichtlich unbeeindruckt spazierte er aus dem Zimmer.

„Ich habe gesehen, wie er die Augen verdreht hat.“

„Er macht sich nur Sorgen um dich“, tröstete Deb. „Ich habe ihm gesagt, er soll zu der Hochzeitsfeier gehen und dass Andrew sicher bald wieder hier ist, doch er hat darauf bestanden, sich selbst um dich zu kümmern.“

Das bedeutete gar nichts. Schließlich war er Arzt. Natürlich würde er da bleiben und einer Kollegin helfen – das bedeutete überhaupt nichts!

„So.“ Hugh kam wieder ins Behandlungszimmer. Er hielt eine Tablettenschachtel in der Hand. „Hier ist etwas Valium. Das wird dich beruhigen. Und sobald es wirkt, machen wir einen neuen Versuch.“

„Nein, tu’s einfach so“, sagte Bonita. Sie biss die Zähne zusammen, fest entschlossen, sich diesmal zusammenzureißen.

„Wie du meinst.“ Hugh legte die Tabletten beiseite und griff nach der Schlaufe zum Abbinden des Arms. „Okay, es ist mir egal, ob dir davon übel oder schwindelig wird, Bonny. Ich will, dass du jetzt ein paar tiefe Züge von dem Lachgas einatmest und mir deinen Arm gibst.“ Deb presste ihr die Maske wieder aufs Gesicht, und Hugh blickte sie fest an. „Ob du willst oder nicht, du wirst mir wohl vertrauen müssen.“

Niemals.

Natürlich hatte sie das nicht laut ausgesprochen. Das hätte sie ohnehin nicht gekonnt, solange Deb ihr die Maske über den Mund hielt. Doch ihre großen braunen Augen verrieten deutlich, was sie dachte. Zum ersten Mal seit sechs Jahren hielt sie Hughs Blick stand. Sie hatten zwar in den vergangenen Monaten zusammen gearbeitet oder sich im Haus ihrer Eltern getroffen und oberflächliches Geplänkel ausgetauscht, doch in all der Zeit war sie ihm immer irgendwie ausgewichen. Jetzt sah sie ihm zum ersten Mal seit Jahren wirklich in die Augen. Und sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie das getan hatte.

Das letzte Mal, als sein Gesicht so nah gewesen war.

Das letzte Mal, als dieser sinnliche Mund ihre Lippen in Besitz genommen hatte. Damals hatte sie ihm vertraut.

Aber nicht diesmal.

Sie war älter, vernünftiger und ein ganzes Stück verbitterter als damals, und diesmal würde sie Hugh Armstrong nicht einmal so weit trauen, wie sie spucken konnte. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie dieser Mann Frauen behandelte … wie er sie behandelt hatte.

„Gib mir deine Hand, Bonny.“ Er löste ihren Arm. Ob es nun am Lachgas lag oder an der Schlinge oder nur an Hughs sachter Berührung, als sie ihn endlich gewähren ließ, tat es gar nicht so weh, wie sie befürchtet hatte.

Na gut – dann vertraute sie ihm eben als Arzt, räumte Bonita widerwillig ein und schüttelte die Atemmaske ab. In den Monaten, in denen sie zusammen gearbeitet hatten, war er im Umgang mit den Patienten und deren medizinischer Behandlung wirklich brillant gewesen. Es war der Mann, mit dem sie ein Problem hatte.

„Braves Mädchen“, sagte Hugh und zog vorsichtig die Armbinde fester.

„Von wegen braves Mädchen“, erwiderte Bonita mürrisch. „Das wäre vor zehn Jahren vielleicht passend gewesen.“

„Halt bitte still“, warnte Hugh. Dann schmunzelte er. „Eigentlich wäre es auch vor zehn Jahren nicht passend gewesen.“ Er blinzelte ihr vielsagend zu, bevor er die Nadel in ihren Arm stach. „Du bist damals ständig in irgendwelche Schwierigkeiten geraten.“

Er hatte recht. Vor zehn Jahren war Bonita vierzehn gewesen – und alle Versuche ihrer Mutter, sie wie einen der Jungs zu erziehen, hatten gegen die Übermacht der Hormone nichts ausrichten können. Bonita hatte sich zu einem bildhübschen Mädchen mit unübersehbar weiblichen Rundungen entwickelt.

Hugh, der sie kannte, seit sie eine schlaksige Elfjährige war, hatte eine Menge Streitereien zwischen Mutter und Tochter mitbekommen. Viele tränenreiche Dramen, in denen es immer wieder um Make-up, Kleider und Jungs ging.

Bonita wollte lieber nicht daran erinnert werden. Sie konzentrierte sich auf die Nadel in ihrem Arm. Der kleine Stich tat eindeutig weniger weh als die Gedanken an ihre Vergangenheit. Nadeln machten ihr nichts aus, versicherte sie sich. Bonita beobachtete, wie Hugh die Kanüle mit Klebeband fixierte. Nadeln und Blut machten ihr zwar sonst nichts aus, doch Bonita hatte auch noch nie gesehen, wie eine Nadel in ihrem eigenen Arm steckte oder wie ihr eigenen Blut heraustropfte, bevor der Infusionszugang verschlossen wurde.

Auf einmal war ihr schrecklich heiß, sie spürte Schweißperlen zwischen ihren Brüsten. Hastig schnappte sie nach Luft, doch ihr Hals war wie zugeschnürt. Bonita merkte, wie sich Spucke in ihrem Mund sammelte, und begriff verzweifelt, was als Nächstes geschehen würde. Deb hatte ihren panischen Blick gerade noch rechtzeitig bemerkt. Schnell hielt sie ihr eine Nierenschale hin.

Bonita musste würgen, und im nächsten Augenblick erbrach sie 500 ml leuchtend blauen Energydrink, den sie vor dem Sport getrunken hatte. So etwas passierte in der Notfallbehandlung häufiger, doch für Bonita bedeutete es den Gipfel der Peinlichkeiten des heutigen Tages. Besonders als Hugh das Gesicht verzog und einen Schritt zurücktrat.

„Wir werden zum Schmerzmittel noch etwas gegen Brechreiz in die Infusion geben müssen, Deb“, sagte er mit angestrengtem Lächeln. Er befeuchtete ein Papiertuch, um zwei kleine Flecken von seinem Jackett zu wischen.

„Das tut mir so leid.“ Nie im Leben hatte Bonita sich so geschämt. Reglos saß sie da, während Deb ihr Gesicht, Nase und Mund sauber wischte. Wenigstens konnte Hugh sie endlich mit dem ersehnten Schmerzmittel versorgen. „Es tut mir so schrecklich leid. Dein schöner Anzug …“

„Ach was“, unterbrach Hugh sie.

Doch es war tatsächlich ein sehr schicker Anzug, dachte Bonita. Die Medikamente begannen zu wirken, und langsam ging es ihr besser. Der Cut war dunkelgrau mit einem langen Jackett, fast wie ein Gehrock. Mit seiner schlanken, hoch gewachsenen Statur sah Hugh umwerfend darin aus.

Unter dem Jackett trug er eine hellgraue Weste, die seinen flachen Bauch betonte, und dazu eine hellrote Krawatte. Eine blonde Locke fiel ihm in die Stirn. Und als er den Puls an Bonitas Handgelenk fühlte, um sicher zu gehen, dass die Blutzirkulation in ihrem Arm in Ordnung war, konnte sie einen Blick auf seine gepflegten Fingernägel und auf seine exklusive Armbanduhr werfen. „Ich bezahle dir die Reinigung.“

„Mach dir darüber keine Gedanken“, winkte Hugh ab. „Ich bin selbst schuld, wenn ich dich ohne Kittel behandle … Was machen die Schmerzen?“

„Es ist schrecklich …“, klagte Bonita, doch genau genommen war es eigentlich gar nicht mehr so schlimm. Sie konnte sich sogar ein wenig auf das Kissen zurücksinken lassen. Wenn sie sich einigermaßen ruhig verhielt, war es okay.

„So schlimm, ja?“ Hugh grinste. „Gut, dann wollen wir uns jetzt mal die Schulter genauer ansehen.“

Nicht einmal die stärksten Schmerzmittel konnten die Qualen lindern, die sie litt, als Deb ihr das Netzballtrikot aufschnitt und ein hässlicher grauer Sport-BH zum Vorschein kam. Während Hugh sie vorsichtig untersuchte, versuchte Bonita verzweifelt, sich zu erinnern, ob sie sich beim Duschen heute Morgen wenigstens die Achseln rasiert hatte.

„Tut mir leid, Kleines, aber zum Röntgen müssen wir das hier ausziehen“, sagte Deb. Sie öffnete den BH, streifte ihn behutsam ab und bemühte sich gleichzeitig, Bonitas Brüste so gut es ging mit einem Handtuch zu bedecken. „Hugh, könntest du bitte kurz das Tuch halten? Ich fädle nur schnell den Infusionsbeutel durch den Ärmel eines Untersuchungskittels, damit Bonita sich etwas überziehen kann.“

„Ich werde mich um die Infusion kümmern“, antwortete Hugh. Das bedeutete, dass Deb das Handtuch hielt, dachte Bonita erleichtert. So blieb wenigstens noch ein winziger Rest ihrer Würde gewahrt.

„Na, wenigstens hat Bill heute keinen Dienst“, stellte Deb fest, während sie Bonita notdürftig bedeckte. „Keine Frau will, dass ihr Exfreund sie so sieht … dieser Mistkerl!“, fügte sie hinzu – so wie es alle Kollegen der Abteilung dieser Tage taten, wann immer sie Bills Namen erwähnten. Doch ihr Versuch, Bonita zu trösten, scheiterte kläglich.

Denn Bill war gar kein Mistkerl – alles andere als das. Er war leitender Krankenpfleger der Notaufnahme und ein wunderbarer Freund. Außerdem war er scharfsinniger als andere. Bonita merkte, wie ihre Sinne immer benebelter wurden. Sie dachte an Bill. Er war der einzige, der verstehen würde, wie entsetzlich dieser Nachmittag für sie war.

Bill war der einzige, der von Hugh wusste.

„So, dann wären wir endlich so weit.“ Hugh notierte seine Anweisung auf einen Zettel. „Schaffen wir sie zum Röntgen.“

„Anteriore Dislokation.“ Hugh klemmte die Röntgenbilder an den beleuchteten Schaukasten, nachdem Bonita zurück war. „Genau wie ich dachte. Kein Bruch. Wir bringen dich in den OP und renken die Schulter wieder ein, dann geht’s dir bald wieder besser.“

Bonita erstarrte. In der Notaufnahme gab es einen kleineren Operationssaal, der hauptsächlich zum Nähen von Wunden verwendet wurde, aber auch Behandlungen wie diese wurden dort häufiger durchgeführt. Doch es war nicht das Wort „OP“, das sie aus der Fassung brachte – es war die Tatsache, dass Hugh es tun würde.

„Solltest du nicht bei einer Hochzeit sein?“

„Das ist nicht dein Problem.“

„Trotzdem.“ Bonita schüttelte energisch den Kopf. Die Schmerzmittel machten sie kühn. „Ich will nicht, dass du mich einrenkst.“

„Ich bin sicher, dass Andrew das sehr gern übernehmen würde, wenn er könnte“, erwiderte Hugh unbeeindruckt, während er weiter die Röntgenbilder studierte. „Doch er ist bei den Angehörigen eines Patienten, und das wird noch eine Weile dauern. Je eher wir die Schulter wieder einrenken, desto geringer wird die Schwellung und damit die Gefahr einer Nervschädigung sein.“

„Das weiß ich alles. Es ist nur …“

„Hör zu.“ Er legte die Röntgenbilder beiseite, trat zu ihr und sah ihr direkt in die Augen. „Ich kann verstehen, wenn du vorziehst, von Andrew behandelt zu werden. Mir ist klar, dass du und ich nicht sonderlich gut miteinander auskommen. Und um ehrlich zu sein, ja, es gibt eine Menge Orte, an denen ich jetzt lieber wäre als hier. Doch von all dem mal abgesehen weißt du, dass ich ein verdammt guter Arzt bin.“

Das war so aufgeblasen und eingebildet und wieder einmal so typisch Hugh. Es überraschte Bonita nicht im Geringsten, ihn so reden zu hören. „Und ich weiß, dass deine Schulter so schnell wie möglich wieder eingerenkt werden muss. Also …“ Er zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln, und seine ebenmäßigen strahlend weißen Zähne blitzten kurz auf. „Lass mich dich einrenken, und eh du dich versiehst, bist du wieder auf dem Heimweg. Und ich schaffe es vielleicht doch noch zur Hochzeitsfeier, bevor sie mit den Reden beginnen.“

Es wäre kindisch und dumm gewesen, sich noch länger zu sträuben. Widerwillig setzte Bonita mit der gesunden Hand ihre Unterschrift unter die Einverständniserklärung.

Es war still in dem kleinen OP. Das Stimmengewirr in der Abteilung drang nur gedämpft bis hierher. Obwohl Bonita wusste, was auf sie zukam, fand sie es irgendwie beruhigend, einfach hier zu liegen und zuzuhören, wie Deb und Hugh das Vorgehen bei der Behandlung besprachen. Deb steckte ihr den Clip an den Finger und legte die Nasenstöpsel zur Messung der Sauerstoffsättigung an. Das leise Piepsen der Maschinen war fast tröstlich.

„Wir werden dir ein leichtes Betäubungsmittel geben“, erklärte Hugh. „Das wird dich ins Land der Träume versetzen.“ Er wandte sich an Deb. „So, jetzt müssen wir nur noch die Patientin identifizieren und ihre persönlichen Daten überprüfen.“

Diese Maßnahme erschien Bonita völlig unsinnig und lächerlich. Jeder hier im Raum wusste, dass sie Bonita Azetti und 24 Jahre alt war. Doch wie sich herausstellte, war es doch gar nicht so unsinnig. Denn so erfuhren Hugh und Deb von Bonitas Penicillinallergie, und obwohl der Einsatz von Antibiotika eher unwahrscheinlich war, ging Deb los, um ihr ein rotes Armband zu holen. Nur für alle Fälle.

Hugh zog sein Jackett und seine Weste aus und hängte sie an einen Haken an der Wand. Sein Hemd rutschte dabei ein wenig aus der Hose, und Bonita konnte einen kurzen Blick auf seinen gebräunten Rücken werfen, bevor er es wieder in den Bund steckte. Sie war mittlerweile ziemlich weggetreten, sodass sie einfach ungeniert hinstarrte.

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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