Wenn das die andere wüsste

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Sophie kann es nicht fassen: Sie hat sich leidenschaftlich in Alex Tarrant verliebt. Ist in seinen Armen im Mondschein schwach geworden! Wie fühlt Alex für sie? Dann sieht sie seine Ex-Frau Vicky - und versteht …


  • Erscheinungstag 10.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755935
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Was sollte man in einem heißen August in London tun, wenn man in den nächsten zwei Monaten keine eigene Wohnung und auch kaum Aussicht auf Arbeit hatte? Sophie ging in die Knie und betrachtete sich im Seitenfenster eines großen weißen Wagens, der an der Bordsteinkante parkte. Ihr langes blondes Haar war zerzaust, die Wangen waren gerötet. Atemlos versuchte sie, das Haar mit den Fingern zu richten, brachte es jedoch nur noch mehr durcheinander.

Früher hatte sie Schwierigkeiten gehabt, ihr Leben zu organisieren und Entscheidungen zu treffen. Das war jetzt anders. Die neue Sophie war dynamisch und entscheidungsfreudig und würde Karriere machen. Das garantierten zumindest die einhundertzwanzig Seiten des Buches „Die erfolgreiche Geschäftsfrau“ den Lesern, die die Ratschläge befolgten. Doch leider musste Sophie ihre Entscheidungen immer noch allzu häufig überdenken, weil sie wichtige Umstände nicht berücksichtigt hatte. Wie die Tatsache, dass sie keine Noten lesen konnte … Wenn sie nun die ganze Aufzeichnung verpatzte?

Was soll’s? sprach sie sich Mut zu. Ich muss einfach nur die Initiative ergreifen! Dann beugte sie sich weiter vor, um ihr Make-up zu überprüfen, und verlor das Gleichgewicht. Instinktiv hielt sie sich am Türgriff fest – und plötzlich schrillte eine Alarmanlage durch das elegante Londoner Geschäftsviertel. Eine aufgeschreckte Taube flog kreischend von einem Baum.

Sophie schaute sich verschämt um. Außer ihr war niemand zu sehen. Sie überlegte, ob sie einen Zettel mit der Aufschrift „Ich bin’s gewesen“ und ihrer Unterschrift an die Windschutzscheibe klemmen sollte, tat es jedoch nicht. Stattdessen suchte sie in dem Gebäude Zuflucht, das man ihr als Tonstudio angegeben hatte. Auf sie machte es aber eher den Eindruck, als wäre es eine Kirche.

Der Haupteingang war geöffnet. Drinnen jedoch war ein uniformierter Wachmann postiert, der den Weg zu einer Doppeltür versperrte. Er maß Sophie misstrauisch – die Alarmanlage war nur allzu deutlich zu hören – und blickte zu der roten Lampe über der Tür. „Die Aufzeichnung hat bereits begonnen. Sie müssen warten“, sagte er unfreundlich.

Das stimmte tatsächlich. Sophie konnte deutlich Klaviermusik hören. Ihr Freund Rupert musste ohne sie angefangen haben.

Sie kramte in ihrer Handtasche und zog einen zerknitterten Zettel heraus. Es war der Aufnahmeplan, den Rupert ihr gegeben hatte, und ihre einzige Chance, sich auszuweisen. Ganz unten waren die Namen der Personen aufgeführt, die eine Kopie des Plans bekommen hatten: Alex Tarrant – sie hatte diesen Namen schon vorher einmal gehört –, Derek irgendwer, Joe irgendwer, und – sie konnte die Schrift kaum entziffern – Rupert Stretton.

„Schauen Sie!“, sagte sie. „Hier, das ist der Pianist. Ich blättere für ihn die Seiten um. Ich wurde in der Untergrundbahn aufgehalten. Ich muss da rein!“

Der Wachmann blickte Sophie unsicher an. „Nun, ich weiß nicht so recht …“

Doch die neue Sophie verlor keine unnötigen Worte mehr, wenn sie eine Schwachstelle entdeckt hatte, sie handelte! Ungeduldig warf sie ihr blondes Haar über die Schulter zurück und stieß so schwungvoll eine der Doppeltüren auf, dass sie fast in den Raum fiel.

Das sonnendurchflutete Aufnahmestudio sah wie ein Saal aus dem neunzehnten Jahrhundert aus. Die hohe getäfelte Decke und die riesigen viereckigen Fenster vermittelten jedoch den Eindruck, Sophie sei versehentlich in eine alte Londoner Kirche geraten. Der Parkettboden war frisch gebohnert. In der Mitte des Raums entdeckte Sophie ihren Freund Rupert an einem Flügel.

Er hörte unvermittelt zu spielen auf.

„Gerade rechtzeitig!“, sagte er fröhlich. „Ich musste mit dem einzigen Stück beginnen, das ich auswendig spielen kann. Es dauert ungefähr zehn Sekunden.“ Beiläufig, ohne auf die Noten zu schauen, spielte er eine einfache Melodie.

Rupert war einundzwanzig, drei Jahre jünger als Sophie. Wäre er älter gewesen, wäre sie vielleicht seinem unwiderstehlichen Charme erlegen. Er war das Idealbild eines jungen und romantischen Konzertpianisten. Das dunkle Haar fiel ihm stilvoll in die hohe Stirn, die ihm ein intelligentes Aussehen gab, und den Blick seiner blauen Augen konnte man als „seelenvoll“ bezeichnen, wenn er über das Klavier hinweg ins Leere blickte. Sophie mochte Rupert, kannte ihn jedoch noch nicht lange und wusste nur wenig über sein Privatleben. Er war ein gutmütiger Mensch, und sein Humor amüsierte sie. Sie befürchtete jedoch, dass seine schuljungenhafte Schwärmerei ihr lästig werden könnte, wenn sie ihn zu sehr ermutigte.

„Ich kann langbeinigen Blondinen einfach nicht widerstehen“, hatte er bei ihrer ersten Begegnung auf der Feier eines Freundes gestanden, „besonders dann nicht, wenn sie braune Mandelaugen mit einem so schmelzenden Blick haben!“ Sophie war kaum die geeignete Person für Schmeicheleien, wie aufrichtig sie auch gemeint sein mochten. Mit ihrem Sinn für Humor konnte sie diese Bemerkung einfach nicht unkommentiert hinnehmen. In diesem Fall klang „schmelzend“ nach Nussschokolade, die man in der Sonne hatte liegen lassen. Das hatte sie Rupert auch sofort gesagt.

Er hatte daraufhin geschickt eingelenkt. „Wärme“, stimmte er ihr zu. „Genau das habe ich gemeint! Der Blick Ihrer Augen birgt alle Verlockungen des Orients, wirkt sehr geheimnisvoll und sexy. Passen Sie bloß auf. So ein Blick könnte Sie ganz schnell in Schwierigkeiten bringen!“

„Soll das eine Drohung oder ein Versprechen sein?“ Sophie wollte Rupert aufziehen und schaute ihn genauso an, wie er es beschrieben hatte. Noch nie hatte jemand ihre Augen als geheimnisvoll und sexy bezeichnet. Ein alter Schulfreund hatte ihr einmal gesagt, sie würde lediglich berechnend blicken. Und für jemanden wie sie, die bisher nie auf ihren Vorteil aus gewesen war, war das ein richtiges Kompliment gewesen.

Jetzt winkte Rupert sie zu sich. „Komm her und setz dich neben mich. Halte aber Abstand vom Flügel. Ich möchte dich nicht vom Stuhl stoßen, wenn ich die kraftvollen Passagen spiele. Du bist sehr hübsch, Sophe. Viel eleganter als die durchschnittliche Assistentin eines Pianisten. Warum setzt du dich nicht ein wenig näher zu mir, damit ich deine Knie besser sehen kann?“

Sophie missfiel diese Version ihres Vornamens, und Rupert wusste es. „Nenn mich nicht Sophe!“

Sie ging zum Flügel hinüber, und die hohen Absätze ihrer Schuhe klackten laut auf dem Holzboden. Draußen schrillte die Alarmanlage noch immer. Sophie versuchte, die Sirene zu ignorieren. Rupert hatte ihr damals gesagt, sie könnte sich ihr Geld im Handumdrehen verdienen. Jetzt, da sie mit ihrer Arbeit beginnen würde, war sie sich dessen nicht mehr so sicher.

Er war von Mikrofonen auf Ständern umgeben, die an seltsam anmutende Vögel auf spindeldürren Bäumen erinnerten. Im Hintergrund war eine Plattform mit Sitzen aufgestellt, und am gegenüberliegenden Ende des Raums führten Treppen in die Orgelgalerie hinauf. Darunter standen zahlreiche Instrumentenkoffer, auf denen der Name eines berühmten Orchesters prangte.

Sie und Rupert schienen allein zu sein.

„Ist sonst niemand hier? Ich meine, Aufnahmetechniker oder so?“, fragte Sophie verblüfft. „Und wo ist der Kontrollraum, von dem aus man beobachten kann, was im Studio vor sich geht?“

Sophie kannte sich mit Tonstudios nicht aus, sie hatte sie bislang nur in Filmen gesehen.

„Das hier war mal eine Kirche“, begann Rupert. „Alex hat sie gekauft, weil die Akustik für klassische Musik ausgezeichnet …“

Aus einem Lautsprecher, der in dem Gewühl von Mikrofonen stand, knackte es. Eine tiefe Stimme, die durchaus attraktiv gewesen wäre, wenn sie nicht so verärgert geklungen hätte, meldete sich zu Wort. „Schwatz nicht so viel, Rupert! Was waren das eben für Geräusche?“

„Meine Assistentin ist gerade gekommen“, erwiderte Rupert und blickte Sophie an. „Zieh deine Schuhe aus“, flüsterte er ihr zu. Dann sagte er laut in Richtung Mikrofone: „Sogar die Wände hier haben Ohren – stimmt’s, Alex?“

Aus dem Lautsprecher rauschte und summte es. Die körperlose Stimme sagte ungeduldig: „Was ist das da draußen für ein Lärm?“

Dann hörte man undeutliches Hintergrundgemurmel. Die Stimme klang jetzt gedämpft: „Sieh bitte nach, Joe. Nimm die Schlüssel und pass auf, dass sich da draußen niemand herumtreibt.“ Dann war sie wieder deutlicher zu hören: „Rupert? Wir haben heute Vormittag viel Arbeit vor uns und können uns keine Unterbrechungen leisten. Klär deine Assistentin bitte über das Rotlicht auf. Es bedeutet: ‚Achtung, Aufnahme! Zutritt verboten‘.“

Der Mann sprach sehr sarkastisch, und Sophie zuckte unwillkürlich zusammen. Zum Glück wusste er nicht, dass sie die Alarmanlage ausgelöst hatte! Joe, wer immer das auch sein mochte, schien nach draußen geschickt worden zu sein, um die Sirene abzustellen. Demnach musste dieser teure weiße Sportwagen dem Mann mit der unangenehmen Stimme gehören.

Sophie hatte das Bedürfnis, sich vor ihrem unsichtbaren Kritiker zu rechtfertigen, und sprach in Richtung Mikrofone: „Ich dachte, Rupert würde nicht ohne mich anfangen können. Entschuldigen Sie die Verspätung, aber ich konnte nicht früher hier sein!“ Ohne es zu wollen, klang sie eher gekränkt als bedauernd.

„So, konnten Sie nicht.“

Das war keine Frage. Die Bemerkung machte deutlich, wie uninteressiert der Mann an allem war, was Sophie Carter über sich, über ihr Leben, über die Existenz im Allgemeinen oder über das gesamte Universum zu sagen gehabt hätte. Jede Entschuldigung wäre zwecklos gewesen. Der Sprecher war ihr eindeutig überlegen.

Sophie war überrascht und beleidigt zugleich. „Wer ist Alex?“, fragte sie Rupert.

Er antwortete in normaler Lautstärke. „Wer … Alex ist? Oh, nimm einfach keine Notiz von ihm! Er ist nur für alles hier verantwortlich und produziert die Platte.“

Deshalb also war Sophie der Name so bekannt vorgekommen! Zeitungsberichten zufolge stand Alex Tarrant, einunddreißig Jahre alt und megaerfolgreich, in Verhandlungen mit einer großen deutschen Schallplattenfirma. Großer Fehler, Miss Carter!

Die neue Sophie ließ sich dadurch jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Sie schnitt eine Grimasse und gab Rupert ein Zeichen, ruhig zu sein.

Er lächelte sie an und sagte noch lauter als vorher: „Ich mache dich in der Kaffeepause mit ihm bekannt.“

„Wie kommst du darauf, eine Kaffeepause machen zu können?“, mischte sich die Stimme aus dem Mikrofon ein. „Du kannst froh sein, wenn du vor halb neun Uhr heute Abend eine Tasse Tee bekommst. Wenn du also soweit bist …“

Der Mann schien sich über Rupert jetzt zwar ein wenig lustig zu machen, doch seine letzte Bemerkung bedeutete zweifellos: „Ich warte auf dich.“ Die gelöste Atmosphäre, um die Rupert sich bemüht hatte, war wieder zum Zerreißen gespannt.

Wie unsicher Sophie früher auch gehandelt haben mochte, so war sie in Bezug auf Menschen niemals unschlüssig gewesen: Sie wusste, wen sie mochte und wen nicht. Alex mochte sie nicht, wie reich und erfolgreich er auch immer sein mochte.

So leise wie möglich schob sie einen Stuhl ans Klavier und setzte sich links neben Rupert. Sie nahm sich vor, nach der Aufnahme schleunigst von hier zu verschwinden. Wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, wollte sie Mr. Produzent Tarrant nicht begegnen. Sie war für den Job einer Assistentin nicht die ideale Besetzung, und das würde er auch bald herausfinden. Trotzdem durfte man sie nicht wie einen gehirnlosen Lakaien behandeln.

Auf dem Klavier lag ein Stapel fotokopierter Blätter. Sophie hatte die Mikrofone und die sarkastische Stimme nicht vergessen, deutete auf die Blätter und zog fragend die Brauen hoch. „Ja, das sind die Noten“, sagte Rupert, diesmal ohne Spott. „Eigentlich wollte ich mit einem Stück beginnen, das ich aus dem Gedächtnis spielen kann, aber da du schon mal da bist, können wir genauso gut mit einem von diesen anfangen. Ist das in Ordnung, Alex?“ Er wählte ein Musikstück aus und ordnete die Blätter auf dem Klavier.

„Hallo.“

Da war die tiefe Stimme wieder. Sie wäre tatsächlich angenehm gewesen, wenn sie nicht so verletzend geklungen hätte. Gerade dieser Tonfall verlieh ihr noch mehr Schärfe und bestätigte das unliebsame Bild, das sich Sophie von dem Mann gemacht hatte.

„Kann ich mir ein anderes Stück aussuchen?“, fragte Rupert. „Das war nur zum Aufwärmen.“

„Wenn du nichts dagegen hast, fangen wir mit dem ersten Prelude an, Rupert.“ Das hieß in diesem Fall: Du tust, was ich dir sage.

Rupert zuckte die Schultern. „Kein Problem. Ich dachte nur, Sophie sollte etwas für ihr Geld tun.“

„Gut“, sagte die Stimme und überging damit geflissentlich Ruperts letzte Bemerkung. Alex sprach kurz mit einer anderen Person. „Das ist der Toningenieur“, flüsterte Rupert, dann sagte er: „Fertig, Derek? Aufnahme drei.“

Sophies Albtraum begann. Zuerst wusste sie nicht, ob Rupert aus dem Gedächtnis spielen wollte oder vom Blatt vor ihm. Die Fotokopien trugen keinen Titel. Sie blickte ihn fragend an, doch Rupert bemerkte es nicht. Er saß völlig ruhig da. Sein Kopf war nach vom gebeugt, seine Arme hingen locker nach unten. Dann schaute er auf und begann zu spielen. Dabei schien er sich auf die Orgelgalerie zu konzentrieren und nicht auf die Musik.

Sophie hatte den unsichtbaren Mr. Tarrant nicht vergessen und begann, nervös zu werden. Sie musste herausfinden, ob Rupert nach den Noten vor ihm spielte. Schließlich vermutete sie, er müsste das Ende der Seite erreicht haben, und erhob sich halb. Rupert beachtete sie jedoch nicht, und Sophie setzte sich wieder hin. Dann kam Rupert zu einer dynamischeren Passage, und Sophie erhob sich erneut. Er schien zu nicken, doch sie wusste nicht, ob die Geste für sie bestimmt war oder ob sie zu seinem Spiel gehörte. Also setzte sie sich wieder hin.

Dann beendete Rupert das Stück. Die tiefe Stimme aus dem Lautsprecher durchdrang die plötzliche Stille. „Wir machen es noch einmal. Da waren Geräusche im Hintergrund.“

Sophie schaute ihren Freund schuldbewusst an. „Das war mein Stuhl!“, hauchte sie. „Der quietscht jedes Mal, wenn ich aufstehe!“

„Warum bist du eigentlich aufgestanden?“, wollte Rupert wissen und sprach viel zu laut.

Sophie fühlte sich aufs Neue ertappt. Der sarkastische Alex konnte jedes Wort verstehen.

„Ich … äh … konnte die Noten nicht einsehen“, log sie. „Du hast die Blätter nicht richtig hingelegt!“, fügte sie vorwurfsvoll hinzu und hoffte, Alex hatte sie gehört.

Der erste Teil musste noch mehrere Male wiederholt werden, ehe der unsichtbare Produzent zufrieden war. Nur seine Meinung schien zu zählen. „Warum lässt du dich so schikanieren?“, wollte Sophie von Rupert wissen.

„Weil er der Boss ist und im Gegensatz zu uns weiß, wovon er redet.“

Sophie überdachte ihr Motto „Man sollte alles einmal probieren“, das sie sich kürzlich zu Eigen gemacht hatte, und kam notgedrungen zu dem Schluss, dass es doch kein so kluger Spruch war. Sie hatte sich vor einigen Tagen mit Rupert zu einer Tasse Kaffee verabredet. Er hatte hauptsächlich von seiner Plattenaufnahme gesprochen, Sophie von ihrem Umzug. Aus der einen Wohnung war sie zwar schon aus-, in die neue jedoch noch nicht eingezogen.

„Ich wohne bei meinem Vater“, hatte sie erklärt. „Im Moment geht das ganz gut. Falls ich aber einen neuen Auftrag bekommen sollte, wird es ihm kaum gefallen, wenn ein riesiger Wandteppich in seinem Wohnzimmer liegt! Im September ziehe ich dann zu einer Freundin. Ihr derzeitiger Untermieter kann leider nicht vorher ausziehen.“

Dann hatten sie kurz über ihren Job gesprochen. Sophie hatte sich darüber beklagt, dass es sich zwar lohne, große Wandteppiche zu restaurieren, es aber nicht einfach sei, Aufträge zu bekommen. Dadurch war sie in Geldschwierigkeiten geraten. Rupert hatte ihr angeboten, sich ein paar Pfund nebenbei zu verdienen, indem sie ihm bei der Plattenaufnahme assistiere.

„Du würdest einen Stundenlohn bekommen. Der ist zwar nicht hoch, aber du hättest bestimmt viel Spaß. Eine freie Mahlzeit ist übrigens auch inbegriffen. Und mach dir keine Sorgen wegen der Noten. Ich muss sie lesen können. Dein Job ist ein Kinderspiel.“

Rupert hatte gut reden. Wenn sie noch einmal die Wahl gehabt hätte, hätte sie sich anders entschieden. In der Schule hatte sie zwar Grundkenntnisse im Klavierspielen erworben, doch Rupert hatte ihr verschwiegen, wie kompliziert die modernen Musikstücke, die er spielte, aufgebaut waren. Man konnte froh sein, wenn man außer der ersten Note überhaupt noch etwas erkannte.

Doch sie ärgerte sich natürlich nicht über den gutmütigen Rupert, sondern vielmehr über diesen unsichtbaren Mann mit der schneidenden Stimme. Er konnte mit wenigen Worten verletzend und zurückweisend sein. Wenn sie es vermeiden konnte, ihm zu begegnen, würde sie sich vielleicht an seine Bemerkungen gewöhnen und ihre Technik im Umblättern der Seiten verbessern können.

Doch es war nicht so. Es wurde eher alles noch schlimmer. Bei ihrem nächsten Versuch stieß sie die fotokopierten Seiten vom Notenständer. Irgendwie hatte sie sich in Ruperts linkem Arm verhakt.

Ohne nachzudenken, entschuldigte sie sich sofort. „Ach, du meine Güte, tut mir leid. Ich habe gar nicht gemerkt, dass du schon am Seitenende angekommen bist!“ Ihre Worte waren deutlicher als die Klaviermusik zu hören.

Sekunden später knackte der schreckliche Lautsprecher erneut, und Alex’ schneidende Stimme unterbrach Ruperts Spiel.

„Aufhören! Was ist da los, Rupert? Irgendjemand …“ Er sprach von ihr wie von einem dummen Mädchen, das in die Aufnahme geplatzt war! „… hat geredet. Und was war das für ein Krach?“

Alex war sehr aufgebracht, und Sophie wäre am liebsten im Boden versunken. Er wusste genau, wer die Aufnahme ruiniert hatte.

Rupert bemühte sich um Schadensbegrenzung. „Nur ein paar technische Probleme – nichts, worüber man sich aufregen müsste. Ach, Alex, könnte ich noch mal von vorn beginnen? Die ersten Takte sind mir nicht ganz gelungen.“

„Den Eindruck hatte ich nicht“, meinte Alex missbilligend. Der Lautsprecher wurde kurz abgeschaltet, dann: „Nein, wir haben noch ein großes Pensum vor uns. Fang dort an, wo wir unterbrochen haben. Und da es deine Freundin anscheinend noch nicht begriffen hat, mach ihr bitte klar, dass jedes Geräusch aufgezeichnet wird. Fertig, Derek? Achtung, Rupert …“

Der Toningenieur sagte: „Aufnahme dreizehn …“ Rupert schnitt Sophie eine Grimasse und griff erneut in die Tasten.

Sie war an diesem Vormittag einige Male drauf und dran, verzweifelt aufzugeben. Als Rupert ihr den Job angeboten hatte, hatte es sich nach leicht verdientem Geld angehört. Jetzt war Sophie der Meinung, kein Geld der Welt würde den Schaden an ihren Nerven wieder gutmachen können.

Außerdem war sie unsagbar hungrig, denn sie hatte noch keine Zeit für ein Frühstück gehabt. Ihr Magen begann zu knurren. Sophie schlang die Arme fest um sich und flehte im Stillen, dass Rupert nicht plötzlich eine ruhige Passage spielen würde, sodass man ihren Magen rumoren hörte. Zum Glück bat er jedoch selbst um eine Pause.

Nach einer kurzen Diskussion beschloss man, für eine halbe Stunde zu unterbrechen. Dann sagte Alex: „Wollt ihr herkommen und euch die Aufnahme anhören?“

Das wäre Sophies Chance, einen berühmten Plattenproduzenten kennen zu lernen – und herauszufinden, wie der Mann aussah, dem die sarkastische Stimme gehörte! „Nein, danke“, erwiderte sie ohne Umschweife. In Gedanken sah sie Alex mit Hörnern und einem Schwanz vor sich. Sie konnte darauf verzichten, ihm Auge in Auge gegenüberzustehen und sich von ihm demütigen zu lassen.

„Komm schon, Sophe“, ermutigte Rupert sie. „Hör dir an, wie es auf einer Dise klingt!“

Sie ignorierte das „Sophe“, holte die Schuhe unter dem Stuhl hervor und verzog das Gesicht. Die Grimasse bezog sich jedoch nicht auf ihren Spitznamen.

„Nein, danke“, wiederholte sie. „Ich sterbe, wenn ich keinen Kaffee bekomme. Ich bin in einer halben Stunde zurück. Er meint doch eine halbe Stunde? Nicht zehn Minuten oder fünf?“, fragte sie sarkastisch, ohne an die eingeschalteten Mikrofone zu denken. Bevor Rupert etwas erwidern konnte, sagte die verhasste Stimme: „Ja, er meint wirklich eine halbe Stunde. Seien Sie um zwölf Uhr zurück. Und lassen Sie sich Ihren Kaffee schmecken!“

Diesmal klang er beinah menschlich, doch Sophie ließ sich von seinem friedfertigen Ton nicht beirren. Sie ging ins nächste Café und setzte sich ans Fenster, um Rupert sehen zu können, falls er sie suchen sollte. Zwanzig Minuten lang dachte sie sehnsüchtig an den Urlaub, der ihr nicht vergönnt war. Rupert war nirgends zu sehen, und Sophie beschloss, wieder ins Studio zurückzukehren. Er hatte die Pause vermutlich mit Derek, dem Techniker, und dem unfreundlichen Alex verbracht. Sie interessierte sich nicht für Derek, doch sie war sehr neugierig auf Alex Tarrant, dem vermeintlichen Besitzer des Kraftpakets mit eingebautem Diebstahlschutz. Sie hätte gern gewusst, wie er tatsächlich aussah. Passte er zu dem Wagen, oder wollte er wie viele andere Männer nur ein Image von sich festigen, das gar nicht so aufregend war? Er klang jünger als Derek, jedoch nicht so jung wie Rupert.

Schade nur, dass er eine so spitze Zunge hatte. Er gab sich nicht gern mit Dummköpfen ab. Sophie zählte er zweifellos zu dieser Kategorie.

Rupert wartete an der Treppe im Foyer auf sie. Sophie war erleichtert und enttäuscht zugleich, ihn allein zu sehen. Sie hätte zu gern aus sicherer Entfernung einen Blick auf den Produzenten geworfen.

„Wo bist du gewesen?“, erkundigte er sich. „Ich dachte, du würdest nach unten gehen.“

„Nach unten?“, fragte sie verblüfft.

„Ja, ins Musikercafé. An der Treppe steht ein riesiges Hinweisschild. Alex und ich haben angenommen, du würdest dich frisch machen, und ich habe ihm gesagt, er könne sich auf eine tolle Überraschung gefasst machen.“

Ein weiterer Nagel zu meinem Sarg! dachte Sophie bitter. Er musste glauben, sie hätte eine halbe Stunde damit zugebracht, sich zurechtzumachen!

Rupert öffnete die Tür für sie. Sophie ging an ihm vorbei und erhaschte gerade noch einen Blick auf einen großen dunkelhaarigen Mann, der in den Aufnahmeraum verschwand. Er war schlank, breitschultrig und leger mit Hose und Hemd bekleidet. Die Hand, mit der er die Schwingtür geöffnet hatte, war sonnengebräunt gewesen. An seinem kleinen Finger hatte er einen goldenen Siegelring getragen.

„Wer war das?“, fragte sie Rupert.

Er hatte den Mann nicht gesehen und zuckte die Schultern. „Klein, fett und glatzköpfig?“

Sophie zog ihre Schuhe aus und durchquerte den Raum auf Strümpfen. „Nein. Groß, dunkelhaarig und gut aussehend.“ Das letzte Attribut gehörte einfach zum Klischee, sie hatte ihm nicht ins Gesicht blicken können. Interessanterweise widersprach Rupert ihr nicht.

„Oh, das war Alex. Soll ich ihn dir vorstellen?“

Also passte er zum Wagen – soweit Sophie das durch einen flüchtigen Blick überhaupt beurteilen konnte!

Sie betrachtete zweifelnd die Mikrofone. „Sollten wir nicht lieber weitermachen? Die halbe Stunde ist doch um.“

Rupert blickte sie amüsiert an, schwieg aber. Dann setzte er sich wieder ans Klavier.

Das war also Alex gewesen! Nicht ganz, was sie erwartet hatte … Sie konnte sich seine weiteren Charakterzüge jetzt sehr gut zusammenreimen: Er musste arrogant, eitel und gönnerhaft gegenüber Frauen sein, bei denen er zweifellos sehr erfolgreich war. Nun, zumindest eine Frau fand ihn nicht attraktiv. Der große schwarzhaarige arrogante Typ war sogar so weit von Sophies Idealbild von einem Mann entfernt, dass der Kontrast sie sehr erheiterte. Sie beschloss, ihn weiterhin mit Hörnern und Schwanz in Erinnerung zu behalten. Schließlich wurde der Teufel in einigen Geschichten als sehr gut aussehend beschrieben. Was würde der Plattenproduzent wohl sagen, wenn er ihre Gedanken lesen könnte?

Der zweite Durchgang ähnelte dem ersten. Sophies größte Leistung bestand darin, beim Umblättern der Seiten nicht mehr mit dem Papier zu rascheln. Außerdem fielen ihr die Blätter nur ein einziges Mal herunter. In der Mittagspause lehnte Rupert es ab, in den Aufnahmeraum zu gehen, und verließ das Studio mit Sophie, die es eilig hatte, unbehelligt herauszukommen.

„An der Hauptstraße gibt es einen sehr guten Pub“, meinte Rupert. „Wir müssen aber vielleicht auf einen Tisch warten.“

Der Pub hatte einen alten Innenhof, der mit Kopfsteinen gepflastert war. Darin standen Tische und Bänke, an denen Geschäftsleute in dunklen Anzügen saßen.

Nach dem Sonnenschein draußen kam es Sophie drinnen ein wenig stickig und dunkel vor. An den vergilbten Wänden hingen Bilder mit Jagdmotiven, über dem Kamin prangte ein Pferdegeschirr. Es schien, als wären sie hier irgendwo mitten auf dem Land und nicht dreißig Meter von einer schmutzigen, übervölkerten Londoner Straße entfernt, in der Autos dicke Abgaswolken hinter sich herzogen. Sophie wünschte sich erneut, weit weg von der Stadt Urlaub machen zu können. Ihr kam es fast so vor, als hätte sie das ganze Jahr über pausenlos gearbeitet.

„Wenn ich das hier sehe, muss ich daran denken, wie schön es wäre, ein paar Wochen in der Wildnis auf dem Land zu verbringen“, sagte Sophie sehnsüchtig und setzte sich mit Rupert an die Bar. „Irgendwo, wo es richtige Land-Pubs gibt! Leider kann ich mir keinen Urlaub leisten. Als Mum noch lebte, wohnten wir in Sussex. Ich muss damals neun oder zehn Jahre alt gewesen sein. Trotzdem vermisse ich die Hügel und Wälder …“

Rupert blickte sie nachdenklich an. „Ich muss in einer Woche an die walisische Grenze fahren, um ein Konzert in der Nähe von Leominster zu geben, und werde einige Tage dort bleiben. Warum kommst du nicht mit?“

Der Vorschlag verblüffte Sophie. Sie nippte an ihrem Wein und dachte nach. Was für eine Art Einladung mochte das sein? Sah Rupert darin eine Möglichkeit, noch intensiver mit ihr flirten zu können? Falls ja, so wollte sie ihn nicht dazu ermutigen. Andererseits musste kein niedriger Beweggrund dahinterstecken. Sie könnten bestimmt eine schöne Zeit miteinander haben.

„Wo genau würde ich wohnen?“

Rupert zündete sich eine Zigarette an. „Zu Hause, bei mir.“

„Aber ich dachte, du lebst in London!“, rief sie.

„Ich habe hier nur ein Zimmer gemietet. Mein Zuhause ist das walisische Grenzgebiet, wo in den schlechten alten Zeiten unzählige Schlachten zwischen England und Wales ausgetragen wurden. Dort gibt es Wälder, Hügel und Schlösser, so weit das Auge reicht. Wenn dir das wild genug ist, dann begleite mich doch.“

Sophie dachte an etwas anderes. „Lebst du dort allein?“

Er schnippte die Asche von der Zigarette. „Ich würde ja gern angeben und so tun, als würde Derrham mir gehören. Tatsächlich aber gehören das Haus und das gesamte Land meinem Bruder. Sam Bates und seine Frau Ellen, die Haushälterin, leben dort. Meine Mutter ist vor einigen Jahren in ein anderes Haus gezogen. Sie ist zurzeit nicht da, sonst hätten wir sie besuchen können.“

Ein Anwesen – und ein Bruder, der Großgrundbesitzer war! Wie viele Trumpfkarten hatte Rupert noch im Ärmel? „Macht es deinem Bruder nichts aus, wenn eine Fremde bei ihm übernachtet?“

„Er geht für ein paar Wochen auf Geschäftsreise und wird gar nicht zu Hause sein. Und selbst wenn Vicky dort sein sollte, kann ich tun und lassen, was ich will.“

„Wer ist Vicky?“, erkundigte sich Sophie neugierig.

Rupert verzog das Gesicht. „Seine Exfrau. Sie wohnt in den Staaten. Du kommst doch mit, ja?“

Der Vorschlag klang sehr verlockend. Sie könnte immer noch nach London zurückreisen, falls es Probleme geben sollte. Beruflich würde sie nichts verpassen, und Geld für die Bahnfahrt hatte sie auch. Vielleicht würde Rupert ihr einige walisische Schlösser zeigen. Mit etwas Glück würde sie dabei sogar auf einen Kunden stoßen. „Fürchten Sie sich nicht davor, etwas auszuprobieren!“, noch ein Motto, das sie sich zu eigen gemacht hatte. „Die erfolgreiche Geschäftsfrau“, Seite dreiundsechzig. „In Ordnung …“, stimmte sie zögernd zu. „Es sei denn, dein Bruder hat etwas dagegen.“

„Ich sage dir doch, das hat er nicht“, versicherte Rupert. „Ich kann einladen, wen ich möchte. Derrham ist auch mein Zuhause. Also, abgemacht.“

Autor

Lucy Keane
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