Wenn du mich zärtlich berührst

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Die Funken sprühen, als sich ihre Hände berühren! Die junge Kinderärztin Katrina ist alarmiert: Sie darf sich nicht in den faszinierenden Dr. Morgan verlieben. Wo es doch ein offenes Geheimnis ist, dass dieser Doc zwar an Freundschaft, aber nicht an die Liebe glaubt …


  • Erscheinungstag 30.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507356
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Willkommen zurück!“ Lynne begrüßte Katrina mit einem breiten Lächeln. „Wie war’s in Italien?“

„Fantastisch. Italien im September ist einfach perfekt. Das ist mein neues Lieblingsland“, erklärte Katrina. „Pompeji war großartig. Und die Blaue Grotte und …“ Sie lachte. „Aber das wolltest du eigentlich gar nicht wissen, stimmt’s? Ja, ich habe italienische Kekse für die Station mitgebracht.“ Sie hielt der Stationsschwester die mitgebrachte Tüte vor die Nase. „Eine ganze Dose voll.“

„Braves Mädchen.“ Lynne klopfte ihr lobend auf den Rücken. „Genau das, was wir hören wollten. Aber es freut mich natürlich, dass du einen schönen Urlaub hattest.“

„Wie geht es Sadie?“, erkundigte sich Katrina. Sie folgte Lynne in die Küche, wo sie die Dose auf die Arbeitsfläche stellte. Dazu einen Zettel mit der Aufschrift: Bedient euch. Liebe Grüße, Kat.

„Gut. Obwohl sie deine Geschichten vermisst und wissen will, wann Doc-a-rina zurückkommt.“

„Ach, wie süß.“ Sadie, eine Zweijährige mit einer orthopädisch korrigierten Hüftdysplasie, war eine von Katrinas Lieblingspatienten. Obwohl es sicher unangenehm war, im Streckverband in seinem Bettchen zu liegen, hatte sich das kleine Mädchen noch nie beschwert. Und für alle Mitarbeiter hatte sie ein strahlendes Lächeln übrig. „Ich geh gleich mal zu ihr, bevor ich mit der Visite anfange.“

Katrina stellte den Wasserkocher an und schlug sich dann an die Stirn. „Ach, das hätte ich ja fast vergessen. Wie ist denn der neue Oberarzt?“ Er hatte den Posten erst angetreten, als sie schon im Urlaub war.

„Toll.“ Lynne nickte anerkennend. „Und wenn man seine Stimme hört, wünscht man sich, er würde einem kleine Zärtlichkeiten ins Ohr flüstern.“

„Nur dass er schon vergeben ist, weil er genau wie du bereits als Teenager vom Heiratsmarkt weggeschnappt wurde?“, meinte Katrina neckend.

„Das weiß keiner, aber ich denke, eher nicht. Er geht wunderbar mit den Kindern um, ist freundlich zu Eltern und Kollegen. Aber ansonsten?“ Lynne schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Er hat es bis jetzt jedes Mal abgelehnt, nach der Arbeit mit uns etwas trinken zu gehen. Höflich, aber sehr bestimmt.“

Katrina wunderte sich. Die meisten neuen Oberärzte hätten in den ersten Wochen sicher jede Einladung angenommen, um ihr Team besser kennenzulernen. „Er ist doch wohl nicht einer von denen, die nur so viel Zeit wie unbedingt nötig hier anwesend sind und stattdessen lieber in ihrer Privatpraxis arbeiten?“, fragte sie.

„Nein, im Gegenteil“, antwortete Lynne. „Er macht jede Menge Überstunden. Und falls er mal früher geht, ruft er entweder an oder kommt noch mal rein, um Untersuchungsbefunde zu überprüfen.“

Also ein Workaholic, dachte Katrina. Nun ja, solange er nicht von allen anderen dasselbe erwartete. Das wäre nicht fair gegenüber den Kollegen, die eine junge Familie hatten.

„Wie ist er denn so bei der Arbeit?“, meinte sie.

„Schnell, gut und … Ach, das kannst du gleich selbst feststellen. Er ist nämlich gerade reingekommen.“ Lynne schaute zur Tür. „Guten Morgen, Dr. Morgan.“

„Rhys“, verbesserte er mit einem Lächeln.

Und was für ein Lächeln!

Lynne hatte recht. Rhys Morgan war umwerfend. Groß und dunkelhaarig, besaß er klare blaue Augen, typisch keltisch. Bei seinem Namen hätte es sie auch erstaunt, wenn er nicht diesen melodischen walisischen Akzent gehabt hätte.

Ein Akzent, der unglaublich sexy war. Und dazu dieser sinnliche Mund.

Energisch unterdrückte Katrina den Gedanken. Rhys Morgan war ihr neuer Kollege, und mit einem Kollegen würde sie sich nie einlassen. Nicht mehr seit Pete. Sie wollte nicht zweimal den gleichen Fehler machen.

„Guten Morgen, Lynne“, sagte er.

„Rhys, dies ist Katrina Gregory, unsere Stationsärztin“, stellte Lynne sie vor. „Kat, Rhys Morgan, unser neuer Oberarzt.“

„Hallo, Rhys. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Katrina streckte die Hand aus.

Als er ihr die Hand gab, war Katrina verblüfft über das elektrisierende Prickeln, das sie dabei durchzuckte. Offenbar erging es ihm ähnlich, und er war genauso überrascht, wie sie an seinem Blick erkennen konnte. Doch rasch hatte er sich wieder gefasst, ließ ihre Hand los und lächelte höflich. „Hallo, Katrina.“

„Das Wasser kocht gleich, und Visite ist erst in zehn Minuten. Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte sie.

„Ja, gern. Schwarz, ohne Zucker bitte.“

Sie tat Instant-Kaffeepulver in drei Becher, dazu Zucker für Lynne und Milch für sich selbst, ehe sie das heiße Wasser hineingoss. Den ersten Becher reichte sie Rhys. „Nehmen Sie sich von den Keksen, solange Sie eine Chance haben. Sobald Lynne davon erzählt, sind sie weg.“ Sie blickte auf die Uhr. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich möchte vor der Visite gerne noch schnell bei Sadie reinschauen.“

„Sadie? Das kleine Mädchen mit der Hüftdysplasie?“, fragte er.

Katrina nickte. „Lynne hat mir gesagt, dass sie meine Geschichten vermisst.“

„Als Ärztin sollten Sie eine gewisse Distanz wahren“, erwiderte er leicht missbilligend. „Gehen Sie keine allzu emotionalen Bindungen mit Ihren Patienten ein.“

„Ich glaube kaum, dass ich eine allzu emotionale Bindung eingehe, wenn ich einem kleinen bettlägerigen Mädchen Geschichten erzähle.“ Wofür hielt dieser Kerl sich eigentlich? Er war zwar ihr Vorgesetzter, aber deshalb brauchte er ihr noch lange nicht zu sagen, wie sie ihren Job machen sollte. „Ich mag meinen Beruf, und ich werde mich nicht dafür rechtfertigen, wenn ich ein paar Minuten meiner Freizeit opfere, um einem Kind den Tag ein bisschen zu verschönern. Entschuldigen Sie mich“, sagte Katrina kühl. „Ich werde rechtzeitig zur Visite zurück sein.“

Als sie in das Zimmer kam, entschädigte sie Sadies strahlendes Gesicht für den kleinen Zusammenstoß mit Rhys Morgan.

„Doc-a-rina!“

„Na, hast du mich vermisst, Püppi?“ Katrina setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und strich ihr übers Haar.

„Geschichte?“, bettelte Sadie.

„Später. Nach dem Mittagessen, wenn ich Pause habe“, versprach sie und wandte sich Sadies Mutter zu. „Hallo, Jo. Ich muss gleich zur Visite, wollte aber vorher noch kurz vorbeikommen. Wie läuft es denn so?“

„Dr. Morgan sagt, dass sie sehr gute Fortschritte macht. Hoffentlich können wir Ende der Woche nach Hause gehen. Damit meine ich natürlich nicht, dass es hier schrecklich wäre“, versicherte Jo schnell.

„Aber zu Hause ist es am schönsten“, meinte Katrina verständnisvoll.

„Hatten Sie einen schönen Urlaub?“, fragte Jo.

„Wunderbar, danke. Nach all dem vielen Wandern bin ich wahrscheinlich um fünf Zentimeter geschrumpft, aber das war es wert.“

Jo lachte. „Die hätten Sie mir lieber abgeben sollen.“

„Tut mir leid. Meine Cousine Maddie hat das Vorrecht auf meine überzähligen Zentimeter“, gab Katrina scherzhaft zurück. „Wir sehen uns später. Und meine Geschichte heute, Miss Sadie, handelt von einer Prinzessin. Als ich weg war, habe ich nämlich die Zauberhöhle gesehen, wo eine Prinzessin den Prinzen aus dem Meer getroffen hat.“

„Meerfrau“, rief Sadie entzückt aus.

„So was Ähnliches“, bestätigte Katrina. „Bis nachher.“

Bei der Visite stellte sie fest, dass Rhys tatsächlich so war, wie Lynne ihn beschrieben hatte: nett, freundlich und geduldig. Beruflich war an ihm nichts auszusetzen. Dennoch hatte er irgendetwas Reserviertes an sich, eine Art unsichtbare Mauer. Genau wie Lynne wurde Katrina nicht recht schlau aus ihm.

Aber sie verbannte den Gedanken und konzentrierte sich stattdessen auf ihre Vormittagssprechstunde. Danach traf sie sich mit ihrer Cousine zum Mittagessen.

„Schön, dass du wieder da bist, Süße.“ Madison umarmte sie. „Du siehst super aus. Obwohl ich immer noch finde, es war verrückt, auf eine Wandertour an der Amalfiküste zu gehen.“

„Auf die Weise habe ich jedenfalls viel mehr gesehen, als wenn ich bloß am Strand gelegen hätte“, entgegnete Katrina.

„Und? Hast du dir einen hübschen italienischen Prinzen geangelt?“

Madison war wirklich unverbesserlich. „Nein, aber ich denke mir gerade eine Geschichte für Sadie aus. Über einen Prinzen aus dem Meer.“ Katrina lachte. „Genau dein Fall. Oder zumindest wäre es das, wenn du Theo nicht begegnet wärst.“ Sie zögerte. „Hast du eigentlich unseren neuen Oberarzt schon kennengelernt?“, fragte sie möglichst beiläufig.

„Rhys Morgan?“ Madison nickte. „Ich musste ihn letzte Woche zu einer schwierigen Geburt rufen, und dem Baby geht’s gut. Ein netter Typ. Kennt sich in seinem Fach aus, ohne sich wichtig zu machen.“ Ihre Augen funkelten interessiert. „Wenn du nach ihm fragst, Kat, heißt das, du …?“

„Nein, heißt es nicht“, unterbrach Katrina sie sofort. „Er ist nett, wie du sagst, und ein guter Arzt, aber ziemlich zugeknöpft. Und heute Morgen hat er mich dafür kritisiert, dass ich mich emotional zu sehr auf meine Patienten einlasse.“

„Na ja, ganz unrecht hat er da nicht. Du lässt deine Patienten wirklich zu nahe an dich heran“, sagte Madison sanft.

„Ich liebe meine Arbeit, und ich liebe die Station“, erklärte Katrina. „Und den Kindern Geschichten zu erzählen tut mir gut. Es ist der beste Stress-Abbau, den ich kenne, wenn ich in eine Fantasiewelt eintauche und in all die kleinen lächelnden Gesichter schaue.“

„Aber du machst dir immer noch Sorgen um sie, wenn du nach Hause kommst. Du schaltest nie richtig ab.“

„Das gehört eben zu meinem Beruf.“ Katrina sah auf die Uhr. „Ich muss zurück. Ich habe Sadie nach dem Mittagessen eine Geschichte versprochen. Außerdem will ich unseren neuen Oberarzt nicht damit vergrätzen, dass ich zu spät zur Nachmittagsvisite komme.“

„Ihr scheint einen schlechten Start gehabt zu haben. Gib ihm eine Chance, er ist okay.“ Madison hielt inne. „Nicht alle Männer sind wie Pete.“

„Das weiß ich“, meinte Katrina entnervt. „Aber es sind auch nicht alle Männer potenzielle Lebenspartner. Mir reicht es, Männer als Freunde und Kollegen zu haben.“

„Wenn du den Richtigen findest, wirst du deine Meinung schon ändern.“

Katrina verwuschelte ihrer Cousine die Haare. „Ich weiß ja, dass du deinen Mr Right gefunden hast. Aber das passiert nicht allen Menschen. Mir gefällt mein Leben so, wie es ist. Ich liebe meinen Job, ich habe gute Freunde und die beste Familie der Welt. Und in vier Monaten werde ich auch noch die Tante und Patin eines wunderhübschen kleinen Mädchens sein.“ Madison hatte das Ergebnis ihrer Fruchtwasseruntersuchung vor Katrinas Italienreise bekommen. „Ich brauche niemanden, Maddie. Ich bin glücklich.“

„Wenn du das sagst.“

„Allerdings.“ Dass Katrina die unglaublich blauen Augen von Rhys Morgan nicht aus dem Kopf bekam, hatte nichts weiter zu bedeuten. „Bis später.“

Nachdem sie Sadie die Prinzessinnen-Geschichte erzählt hatte, musste sie Rhys wieder gegenübertreten.

„Sie haben einige Patienten aus Ihrer Sprechstunde heute Morgen aufgenommen?“, erkundigte er sich.

„Ja, zum Beispiel Jennie Myerson“, bestätigte Katrina. „Ihr Hausarzt hat sie hergeschickt, weil ihr Gesicht geschwollen ist und sie erhöhten Blutdruck und Fieber hat. Ihre Gelenke schmerzen, und sie hatte Blut im Urin. Ich vermute eine durch einen Infekt verursachte Nierenentzündung.“

„Sie haben ihr etwas gegen den Bluthochdruck und ein Schmerzmittel gegeben“, stellte er fest, während er rasch ihre Eintragungen überflog.

„Ja, außerdem habe ich ihr eine Blut- und eine Urinprobe abgenommen. Sobald die Laborergebnisse da sind, möchte ich noch einen Nieren-Ultraschall machen.“

„Gut.“ Rhys ging die übrigen Patienten ebenso gründlich durch. Dabei berücksichtigte er Katrinas Meinung ebenso wie die Beobachtungen des Pflegeteams.

Er ist also jemand, der anderen zuhört, dachte sie befriedigt. Doch warum war dann immer noch diese Mauer zwischen ihnen? Man konnte hervorragend mit ihm zusammenarbeiten. Aber er schien jeden Augenkontakt tunlichst zu vermeiden.

Ohne Lynnes diesbezügliche Bemerkung heute früh hätte Katrina geglaubt, dass es wohl an ihr lag. Schließlich war da ja auch dieser seltsame Moment gewesen, als sie sich die Hand gegeben hatten. Vielleicht versuchte er ihr durch seine distanzierte Art zu zeigen, dass er nicht vorhatte, irgendjemandem näherzukommen.

Das war ihr nur recht. Katrina hatte ihre Lektion gelernt: Sich mit einem Kollegen einzulassen führte bloß zu entsetzlichem Liebeskummer. Nie wieder.

Am späteren Nachmittag ging Rhys auf dem Weg zu seinem Büro am Spielzimmer vorbei, da hörte er plötzlich lautes Gelächter. Als ob die Kinder sich eine Show anschauten. Doch er konnte sich nicht daran erinnern, dass jemand auf die Station kommen sollte, um die Kinder zu unterhalten. Neugierig spähte er durch die Tür.

Am anderen Ende des Raumes saß Katrina auf einem Sitzsack, umringt von kleinen Patienten. Zuerst dachte er, sie würde den Kindern eine Geschichte vorlesen. Dann merkte er jedoch, dass sie gar kein Buch in der Hand hielt. Sie erzählte eine erfundene Geschichte, die sie zusätzlich mit ein paar Handpuppen bildlich darstellte. Außerdem beteiligte sie die Kinder, indem sie fragte, wie die Geschichte denn weitergehen sollte. Und sie brachte alle dazu, in ein bekanntes Lied einzustimmen.

Rhys schaute auf seine Uhr. Katrina hätte bereits vor einer halben Stunde Dienstschluss gehabt. Trotzdem war sie noch hier, um die Kinder zu unterhalten.

Das war mehr als berufliche Hingabe. Katrina Gregory liebte ihre Arbeit, das war offensichtlich. Und die Kinder liebten sie.

Bei den Visiten hatte er bemerkt, wie Eltern sich Trost suchend an sie wandten oder sie wie eine Freundin begrüßten. Die Gesichter der Kinder leuchteten auf, wenn sie Katrina erblickten. Sogar die am schwersten erkrankten kleinen Patienten brachten ein Lächeln für Dr. Katrina auf. Ihre Herzlichkeit wärmte sie alle.

Sogar Rhys.

Er fühlte sich sehr zu ihr hingezogen. Katrina war wunderbar. Aber es lag nicht nur an ihrer Persönlichkeit. Ihre dunkelblauen Augen waren atemberaubend, und ihr voller Mund wäre für jeden Mann eine Verlockung gewesen. Als sie sich heute Morgen die Hand gegeben hatten, war er sich ihrer Nähe nur allzu bewusst gewesen. Die weiche Haut, das leichte blumige Parfum, die ruhige klare Stimme …

Einfach unwiderstehlich.

Rhys hatte sofort ein Verlangen in sich gespürt, aber sich selbstverständlich zurückgehalten. Schließlich war es höchst unwahrscheinlich, dass eine so attraktive Frau noch Single war. Zwar hatte er keinen Ring an ihrer Hand gesehen, aber das musste nichts heißen. Und selbst wenn Katrina frei sein sollte, war er kaum imstande, ihr etwas zu bieten. Rhys’ letzte Freundin hatte ihm vorgeworfen, er wäre so distanziert, wenn sie zusammen ausgingen, dass er genauso gut in Australien hätte sein können. Sie hatte recht. Er war eine Katastrophe, was Beziehungen anging. Also hielt er sich besser an das, worin er gut war: an seine Arbeit.

Katrina Gregory war seine Kollegin, mehr nicht.

Leise entfernte sich Rhys und ging in sein Büro.

Als Katrina am nächsten Morgen aus Sadies Zimmer kam, sah sie Rhys auf dem Flur. „Morgen“, sagte sie fröhlich.

„Morgen.“ Er lächelte sie an, wie er Lynne gestern angelächelt hatte. „Ich bin heute Vormittag mit Ihnen in der allgemeinen Kindersprechstunde.“

„Ich dachte, Tim wäre mit mir dran“, erwiderte sie. Der junge Assistenzarzt arbeitete meistens mit ihr zusammen, und Katrina mochte seine Begeisterung und seine jugendliche Frische.

„Er hat sich vorhin krankgemeldet. Anscheinend hat er sich den Magen-Darm-Virus eingefangen, der gerade umgeht. Ich fürchte, Sie müssen daher mit mir vorliebnehmen“, meinte Rhys leichthin.

„Ich denke, das kriege ich schon hin“, gab sie in demselben Tonfall zurück. Merkwürdig, wie sich ihr Herzschlag plötzlich beschleunigte. Das musste wirklich aufhören. „Haben Sie hier schon mal in der allgemeinen Sprechstunde gearbeitet? Ich meine, sind Sie mit dem System vertraut?“

„Nein, das ist das erste Mal“, antwortete er. „Aber ich nehme an, unsere Patienten werden von ihren Hausärzten oder der Notaufnahme an uns überwiesen.“

Katrina nickte. „Zwei Kinderkrankenschwestern machen die üblichen Voruntersuchungen bei den Kindern: Körpergröße, Gewicht, Puls, Atemfrequenz, Urinprobe. Außerdem nehmen sie die Krankengeschichte auf. Danach werden die Patienten von uns der Reihe nach aufgerufen. Es sei denn, es handelt sich um einen Notfall“, schränkte sie ein. „Wir sagen den Eltern, dass Notfälle immer Vorrang haben.“

„Im Cardiff Memorial war es ziemlich ähnlich“, sagte Rhys. „Sollen wir vorher noch einen Kaffee trinken?“

Prüfend blickte sie auf die Uhr. „Eigentlich haben wir keine Zeit mehr dafür. Wer macht denn heute die Morgenvisite?“

„Will.“

Will war der leitende Oberarzt, ein großer, fröhlicher Mann mit einem Riesenrepertoire an grauenhaften Witzen und noch grauenhafteren Krawatten, den alle Patienten liebten.

Katrina lachte. „Die armen Schwestern und Patienten werden Sonnenbrillen brauchen! Ihr Geschmack in Sachen Krawatten ist wenigstens erträglich.“

„Darauf würde ich nicht wetten.“ Seine Augen glitzerten belustigt. „Das ist meine dritte Woche hier. Ich denke, es wird Zeit, Will in Sachen Halsbekleidung mal Konkurrenz zu machen.“

Sie stöhnte. „Sagen Sie nicht, dass auch bei Ihnen Frau und Kinder Sie damit versorgen.“

„Keine Frau, keine Kinder. Und ich habe nicht die Absicht, das zu ändern.“

Seine Stimme klang auf einmal kühl, und die fröhliche Stimmung war dahin.

„Tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, meinte Katrina. „Es ist bloß so, dass Will sagt, seine Frau und Kinder kaufen ihm die schrillsten Krawatten. Ich wollte nicht neugierig sein. Verzeihen Sie.“

„Kein Problem.“

Doch die unsichtbare Mauer stand erneut zwischen ihnen, und dieses Mal schien sie noch ein bisschen dicker zu sein.

In der Sprechstunde tat Katrina ihr Bestes, um professionell zu wirken. Obwohl sie Rhys’ Nähe nur allzu intensiv spürte. Was war bloß der Grund dafür?

Der dritte Patient an diesem Vormittag bereitete ihr Sorgen. Der sechsjährige Petros sah schlecht aus.

„Seit zwei Tagen ist er so blass und müde und fühlt sich krank“, berichtete seine Mutter. „Und ihm tut der Rücken weh.“

„Er hat erhöhte Temperatur und ist etwas kurzatmig“, bemerkte Katrina.

Mrs Smith nickte. „Und sein Urin ist sehr dunkel.“

Der kleine Junge hatte eine gebräunte Haut, aber um seinen Mund herum zeigte sich Blässe, und das Weiß seiner Augen war leicht gelblich verfärbt. „Hallo Petros, ich bin Dr. Katrina“, sagte sie sanft. „Ist es okay, wenn ich dich mal anschaue?“

Teilnahmslos zuckte er die Achseln.

„Er ist ganz anders als sonst.“ Mrs Smith biss sich auf die Lippen. „Normalerweise ist er immer in Bewegung. Er bleibt nie still sitzen.“

Katrina drückte ihr beruhigend die Hand. „Machen Sie sich nicht allzu viele Gedanken. Hier bei uns ist er am richtigen Ort. Hat noch jemand anders aus der Familie oder von seinen Freunden ähnliche Symptome?“

„Nein.“

Also eher kein Virus. „Jetzt horche ich dein Herz und deine Lunge ab, Petros“, sagte Katrina. „Und wenn du willst, darfst du danach auch bei deiner Mummy horchen.“

Stumm schüttelte Petros den Kopf.

„Na gut. Ich beeil mich.“ Sie legte ihr Stethoskop an. „Tief einatmen. Ausatmen. Und noch mal ein, und aus. Sehr gut, Schätzchen.“ Herz und Lunge schienen in Ordnung zu sein. „Kannst du jetzt mal den Mund aufmachen und Ah sagen?“

Petros flüsterte ein leises Ah. Es gab keinerlei Anzeichen für eine Halsentzündung, doch seine Schleimhäute sahen ausgesprochen hell aus.

„Wir müssen eine Blutuntersuchung machen“, sagte Katrina zu Mrs Smith. „Ich vermute eine leichte Gelbsucht und vielleicht auch eine Anämie.“

„Er hatte Gelbsucht bei der Geburt“, erwiderte Mrs Smith. „Aber die Hebamme meinte, das käme bei Babys oft vor.“

„Das stimmt“, bestätigte Katrina. „Und meistens verschwindet sie nach einer Woche wieder.“

„Ja, das war bei ihm auch so.“

Irgendetwas regte sich in Katrinas Hinterkopf, aber sie konnte es nicht genau einordnen. „Wir hatten in den letzten Tagen richtig schönes Wetter, stimmt’s? Hast du irgendwas Besonderes gemacht, Petros?“

„Ich war bei Opa im Garten“, antwortete der Junge. „Da wachsen Zauberbohnen.“

„Wow, das ist ja toll“, meinte Katrina. „Hast du Jack und den Riesen aus dem Märchen getroffen?“

Petros lächelte nicht einmal, sondern rieb sich nur den Rücken.

„Na gut, ich werde dir jetzt was gegen die Schmerzen geben.“ Sie verabreichte ihm zwei Löffel voll Kinder-Paracetamol-Sirup. „Bist du gerne bei deinem Opa?“

Petros nickte.

„Mein Schwiegervater hat im Sommer einen Schrebergarten bekommen“, erklärte Mrs Smith. „Er baut Gemüse an, und Petros hilft ihm dabei. Wir nennen die dicken Bohnen ‚Zauberbohnen‘. Sie wissen ja, wie schwierig es ist, kleine Kinder dazu zu bringen, dass sie Gemüse essen.“

„Oh ja.“ Katrina hatte selbst schon öfter „Zaubergemüse“ ins Spiel gebracht.

„Darf ich mich einmischen?“ Rhys kam zu ihnen herüber.

„Bitte sehr“, sagte Katrina.

Nachdem er sich vorgestellt hatte, fragte er: „Mrs Smith, diese dicken Bohnen, von denen Sie sprachen, hat Ihr Junge die früher schon mal gegessen?“

„Nein. Glauben Sie, er ist dagegen allergisch?“

„Nicht direkt. Petros ist ein griechischer Name, oder?“

Sie nickte.

Er lächelte. „Woher stammt Ihre Familie denn genau?“

„Mein Mann kommt aus London, aber meine Familie stammt ursprünglich aus Zypern. Meine Großeltern sind nach dem Krieg hierhergekommen, um ein Restaurant aufzumachen.“

„Katrina, könnten Sie die Blutprobe bitte auch auf G6PD testen lassen?“, bat Rhys.

„Natürlich.“ Plötzlich wurde ihr alles klar. „Sie meinen, es ist Favismus?“

„Ja, ich hatte einige solcher Fälle in Wales.“

„Was ist Favismus?“, wollte Mrs Smith wissen.

„Ein bestimmter Enzymmangel in den roten Blutkörperchen“, erklärte Rhys. „Bei Menschen aus dem Mittelmeerraum ist dieser ziemlich weit verbreitet. Wenn man also an einem G6PD-Mangel leidet, kann der Körper bei Fieber, bestimmten Medikamenten und beim Verzehr dicker Bohnen die roten Blutkörperchen nicht schützen, und man wird anämisch.“

„Auch Gelbsucht, Rückenschmerzen und dunkler Urin sind typische Symptome dafür“, ergänzte Katrina. „Wir müssen selbstverständlich erst das Blutbild abwarten. Aber ich denke, Dr. Morgan hat recht.“

„Kann Petros dieses G6-Zeug dann als Tablette kriegen?“, fragte Mrs Smith.

„Nein, ich fürchte, es gibt keinen medikamentösen Ersatz dafür“, antwortete Rhys. „Wir werden den Eisengehalt in seinem Blut überprüfen. Wenn der zu niedrig ist, braucht ihr Sohn möglicherweise eine Transfusion. Aber mit ausreichend Ruhe und etwas Sauerstoff wird es ihm bald besser gehen.“

„Die Erkrankung wird ihn nicht in seinem Alltag beeinträchtigen“, setzte Katrina hinzu. „Aber er darf bestimmte Medikamente nicht einnehmen: Aspirin, einige Antibiotika und ein paar Malaria-Medikamente. Ich gebe Ihnen eine Informationsbroschüre mit, damit Sie wissen, was Sie alles vermeiden müssen.“

„Außerdem müssen Sie es Ihrem Hausarzt mitteilen, damit es in seiner Krankenakte vermerkt wird und Petros nicht versehentlich ein falsches Medikament bekommt. Und falls er sich in Zukunft einen Infekt zuzieht, kann das bedeuten, dass er wieder Anämie und Gelbsucht bekommt“, warnte Rhys.

„Jedenfalls keine dicken Bohnen mehr“, meinte Katrina.

„Am besten auch keine chinesische Kräutermedizin“, ergänzte Rhys.

Mrs Smith wirkte besorgt. „Aber er wird wieder gesund, ja?“

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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