Wenn Träume in Erfüllung gehen

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Sein ganzes Leben möchte der Erfolgsautor Ian McGowan mit der bezaubernden Jenna auf seinem Schloss in Schottland verbringen. Daran besteht für ihn nach ihrer leidenschaftlichen Nacht kein Zweifel mehr. Doch sie zögert bei seinem Heiratsantrag. Warum?


  • Erscheinungstag 21.09.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733786564
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sydney, Australien

Anfang Februar 2004

„Du willst kündigen? Was soll das heißen, du willst kündigen?“, rief Jenna Craddocks Chef fassungslos aus. Basil Fitzgerald war ein Mann wie ein Bär und seit fünfundvierzig Jahren mit derselben Frau verheiratet. Sein oft schroffes Verhalten diente nur der Tarnung für sein weiches Herz.

Jenna würde ihn sehr vermissen, das ahnte sie jetzt schon.

„Warum willst du nach mehr als sechs Jahren einen guten Arbeitsplatz aufgeben? Was willst du? Geld? Mehr Urlaub? Sag es mir.“

Jenna hatte gewusst, dass ihr Chef über ihren Entschluss nicht glücklich sein würde. Sie saß, die Hände im Schoß gefaltet, vor seinem Schreibtisch und wartete darauf, dass er sich wieder beruhigen würde.

„Die Gründe für meine Kündigung sind privater Natur. Sie haben nichts mit meiner Arbeit hier zu tun.“

„Oh. Du willst also heiraten?“

Jenna lachte. „Natürlich nicht. Wie sollte ich Zeit zum Ausgehen haben, wenn ich einen Sklaventreiber wie dich zum Chef habe?“, zog sie ihn auf. „Ich werde nach Großbritannien ziehen. Seit Jahren spare ich, damit ich dieses Land endlich kennenlernen kann.“

„Gut. Dann nimm unbezahlten Urlaub, solange du willst, und flieg hin. Deshalb brauchst du doch nicht gleich zu kündigen.“

„Ich habe keine Ahnung, wie lange ich fortbleiben werde. Vielleicht werde ich mich sogar entscheiden, dort zu bleiben. Ich möchte dich nicht in dem Glauben lassen, dass ich auf jeden Fall zurückkomme.“

„Was redest du da für einen Unsinn. Du bist Australierin. Wie willst du in Europa ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung eine Arbeit finden?“

„Ich bin in Cornwall geboren worden. Ich habe die englische Staatsbürgerschaft.“

„Wirklich? Das hast du mir nie erzählt. Ich dachte immer, du wärst eine geborene Australierin.“

Jenna lächelte nur.

Schweigend betrachtete er sie einen Moment. „Wenn ich es recht bedenke“, sagte er schließlich, „weiß ich außer der Tatsache, dass du eine ausgezeichnete Sekretärin bist, ziemlich wenig von dir. Ich werde dich sehr vermissen. Und Maude hält auch große Stücke auf dich. Sie meint, dass es viel leichter wäre, mit mir zu leben, seit du alles so gut organisiert hast.“

„Mach dir keine Sorgen“, erwiderte Jenna. „Du wirst sicherlich einen guten Ersatz für mich finden. Ich arbeite ja noch sechs Wochen hier, das lässt dir genug Zeit für die Suche.“

„Hm“, brummte er mit gerunzelter Stirn.

Und Jenna lächelte. Sie wäre enttäuscht gewesen, wenn er so getan hätte, als sei sie leicht zu ersetzen. „Ich wandere nicht auf den Mars aus“, meinte sie liebevoll. „Ich werde dir mitteilen, wo ich mich niederlassen und was ich tun werde.“

Basil seufzte. „Ich kann also deine Entscheidung nicht mehr beeinflussen?“

„Nein, Sir.“

„Nun, falls du nicht findest, wonach du suchst, kannst du jederzeit wieder zurückkommen.“

„Danke.“

„So, und jetzt muss ich Maude die schlechte Neuigkeit mitteilen. Sie wird überzeugt sein, dass ich es war, der dich vertrieben hat.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich werde deiner Frau alles erklären“, versprach Jenna mit einem Augenzwinkern.

Als Jenna das Büro schließlich verließ, schaute Basil ihr wehmütig hinterher. Sie wollte ihn verlassen, und er ahnte schon jetzt, dass er sie sehr vermissen würde.

1. KAPITEL

Ende März 2004

„Meine Damen und Herren, willkommen in Heathrow. Wir danken Ihnen, dass Sie mit British Airways geflogen sind. Wir hoffen, dass Sie einen angenehmen Flug hatten und dass Sie auch demnächst wieder mit uns fliegen werden.“

Jenna war so müde und benommen, dass die Stimme aus den Lautsprechern kaum zu ihr vordrang. Den Zwischenstopp in Singapur nicht mitgerechnet, war sie zweiundzwanzig Stunden lang geflogen. Sie war zwar während des Fluges immer wieder eingenickt, aber das hatte nichts mit einem erholsamen Schlaf zu tun.

Als sie die Zollkontrolle passiert hatte, war es sieben Uhr morgens, und sie fühlte sich sehr erleichtert, endlich mit dem Taxi in ihr Hotel fahren zu können. Sie wollte nur noch schlafen und sehnte sich nach einem Bett.

Nach zwei Nächten und zwei Tagen in London war Jenna dann bereit, ihr Abenteuer zu starten. Es war die Wahrheit gewesen, als sie Basil sagte, dass sie England kennenlernen wollte. Allerdings hatte sie ihm nicht erzählt, dass sie hoffte, noch lebende Verwandte von ihr in Cornwall zu finden.

Sie fragte sich, ob anderen Menschen Familie wohl ebenso wichtig war wie ihr. Da sie den größten Teil ihres Lebens ohne Verwandte hatte auskommen müssen, konnte sie es kaum erwarten, vielleicht doch jemanden aus ihrer Familie ausfindig zu machen. Wie oft hatte sie davon geträumt, ein eigenes Zuhause zu haben und eine große Familie.

Der Wagen, den sie gemietet hatte, war klein und sparsam im Verbrauch, genau das, was sie brauchte. Sie wollte sich bei ihrer Fahrt nach Cornwall Zeit lassen und ihren Urlaub, dessen Ende noch unbestimmt war, genießen.

Wenn sie weit genug nach Westen fuhr, würde sie in das Städtchen St. Just in Cornwall kommen, wo sie die ersten fünf Jahre ihres Lebens mit ihren Eltern verbracht hatte. Schon in der Schule war sie von den Britischen Inseln und Cornwall fasziniert gewesen. Schließlich stammte sie aus dieser Gegend.

Die Schwester ihres Vaters hatte ebenfalls hier gewohnt, und Jenna hoffte, dass sie noch lebte. Sie ahnte, was für eine Überraschung es für Tante Morwenna sein würde, sie nach all den Jahren wiederzusehen.

Die erste Nacht auf ihrer Fahrt verbrachte Jenna in einem Dorf in der Region Devon. Sie, die das Leben in der Großstadt gewohnt war, musste sich auf den gemächlichen Lebensrhythmus in dem Provinznest erst einstellen.

Bevor sie an diesem Abend ins Bett ging, studierte sie erneut die Landkarte. Cornwall stieß wie ein leicht gekrümmter Finger ins Meer.

Und schon am nächsten Tag fuhr sie Straßen entlang, die ihr wenigstens hin und wieder einen Blick aufs Meer gestatteten. Mehrmals hielt sie für einen Spaziergang an und war begeistert von der Schönheit dieser Küstenlandschaft.

Als sie St. Just erreichte, hatte sie keine Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu finden. Tom Elliott, der Besitzer einer gemütlichen Pension, erklärte ihr, dass in dieser Jahreszeit nur sehr wenige Touristen kämen und er viele Zimmer freihätte.

Nachdem sie das Gepäck auf ihr Zimmer gebracht hatte, ging sie zur Rezeption und fragte den Pensionsbesitzer über St. Just aus.

„Hier kann man wunderbar wandern“, erklärte Tom. „Wir haben auch einige der berühmten Steinkreise sowie einen Golfclub.“

„Und wie steht es mit Arbeit?“

Er zuckte mit den Schultern. „Das hängt davon ab. In Penzance hätten Sie allerdings bestimmt bessere Chancen. Viele Leute, die hier leben, arbeiten dort. Haben Sie vor, sich in dieser Gegend niederzulassen?“

Jenna lachte. „Oh, ich habe überhaupt keine Pläne. Meine Familie stammt aus dieser Gegend, und ich wollte mich hier einfach mal umsehen. Wenn es mir gefällt, bleibe ich vielleicht.“

Tom nickte. „Sie heißen Craddock. Dieser Name stammt tatsächlich aus Cornwall.“

„Ich suche nach meiner Tante Morwenna. Ihr Mädchenname ist ebenfalls Craddock, doch jetzt heißt sie Hoskins. Kennen Sie meine Tante? Oder vielleicht irgendwelche anderen Craddocks?“

„So direkt fällt mir niemand ein. Meine Frau und ich sind vor fünf Jahren aus London hierher gekommen, um dem Stress der Großstadt zu entfliehen und ein ruhigeres Leben zu führen. Wenn erst der Sommer kommt, ist es zwar alles andere als beschaulich hier, aber wir genießen es. Sie sollten mal in den Pub weiter unten an der Ecke gehen. Vielleicht kennt man dort jemanden namens Craddock. Außerdem kann man da sehr gut essen. Ich esse selbst oft in dem Laden zu Mittag.“

„Danke“, sagte sie, hängte sich ihre Handtasche über die Schulter und trat hinaus auf die Straße. Jenna hätte gern im hiesigen Telefonbuch nach ihrer Tante und weiteren Craddocks gesucht, aber sie hatte Hunger und beschloss, zuerst mal in den empfohlenen Pub zu gehen und zu Abend zu essen.

Sie hatte das Lokal schnell gefunden und setzte sich an einen Tisch in der Nähe des Eingangs. Während sie aß und einen Tee trank, beobachtete sie die Leute, die nach der Arbeit hier eine Kleinigkeit aßen oder ein Bier tranken.

Als sie den Pub schließlich verließ, war es bereits dunkel geworden, und sie kehrte in die Pension zurück.

„Wie war Ihre Suche?“, fragte Tom lächelnd, als er sie sah.

„Ich habe mich entschlossen, damit bis morgen zu warten.“

„Ich dagegen habe in der Zwischenzeit für Sie im Telefonbuch nachgeschaut“, erklärte er stolz. „Ich habe zwar keine Frau namens Hoskins gefunden, aber dafür jemanden namens Craddock, der am Ende dieser Straße wohnt. Vielleicht sollten Sie dort mal anrufen.“

„Vielen Dank für Ihre Mühe. Darf ich Ihr Telefon benutzen?“

Tom, der hinter der Rezeption stand, schob Jenna das Telefon näher hin und reichte ihr den Hörer. Sie guckte auf die Nummer und wählte.

„Guten Abend, mein Name ist Jenna Craddock“, begann sie, als eine Frau antwortete. „Darf ich Sie um eine Auskunft bitten? Ich möchte gern wissen, ob Morwenna Hoskins in dieser Gegend wohnt. Ihr Mädchenname ist ebenfalls Craddock.“ Als die Frau zögerte, fügte Jenna erklärend hinzu: „Ich bin ihre Nichte aus Australien, und wir haben den Kontakt mit der Familie in Cornwall verloren.“

„Ah. Nun, wenn das so ist, wird Morwenna wohl nichts dagegen haben, wenn ich Ihnen ihre Adresse geben.“ Die Frau gab ihr eine genau Anweisung, wie sie zu dem Reihenhaus gelangen konnte, in dem Morwenna lebte. „Wissen Sie, ich kenne Ihre Tante nicht sehr gut. Sie lebt sehr zurückgezogen.“

„Vielen Dank! Sie waren mir eine große Hilfe“, erwiderte Jenna und tanzte, nachdem sie aufgelegt hatte, vor Freude ein paar Mal im Kreis herum. „Ich habe sie gefunden! Einfach so. Ein Anruf – und ich habe ihre Adresse.“

Tom lächelte über Jennas Ausgelassenheit. „Das ist ja wundervoll. Sie sind noch keinen ganzen Tag hier, und schon haben Sie eine Verwandte aufgestöbert.“

Jenna rannte gut gelaunt die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Ihre Tante stand nicht im Telefonbuch, also hatte sie vielleicht gar kein Telefon. Aber das spielte keine Rolle. Sie würde bis morgen warten und sie am Vormittag besuchen. Jenna konnte es kaum erwarten, das Gesicht von Morwenna zu sehen, wenn sie sich zu erkennen gab.

Vor Aufregung hatte sie an diesem Abend Schwierigkeiten einzuschlafen.

Am nächsten Morgen war Jenna immer noch nervös. Kein Wunder, dies war der Tag, auf den sie all die Jahre gewartet hatte.

Sie fand das Haus ihrer Tante ohne Probleme. Nachdem sie aus dem Wagen gestiegen war, atmete sie mehrere Male tief durch, um sich zu beruhigen, ging dann zur Haustür und klopfte. Als sich in dem Haus nichts rührte, stieg Angst in Jenna auf. Hoffentlich war ihre Tante nicht umgezogen.

Sie klopfte erneut und wartete.

„Ich komme ja gleich“, hörte sie schließlich eine Frauenstimme rufen. „Können Sie denn nicht warten? Hoffentlich sind Sie keiner von diesen elenden Vertretern! Ich kaufe nämlich nichts.“ Mit derart unfreundlichen Worten riss Morwenna Hoskins die Tür auf. Zumindest nahm Jenna an, dass es ihre Tante war, denn beim Anblick der älteren Frau kam nicht die geringste Erinnerung in ihr hoch.

Die Zeit hatte deutliche Spuren auf Morwennas Zügen hinterlassen. Jenna wusste, dass sie erst in den Fünfzigern sein konnte, doch sie wirkte wesentlich älter. Morwenna lehnte sich auf einen Stock und beäugte sie misstrauisch.

„Was wollen Sie?“

„Ich … äh … Guten Tag“, begann Jenna unsicher. „Ich möchte nichts verkaufen. Ich bin aus Australien gekommen, um Sie zu besuchen. Ich bin Ihre Nichte Jenna.“

Mit welcher Reaktion Jenna auch immer gerechnet hatte, sie hätte nicht erwartet, dass diese Frau ihr mit so viel Ablehnung begegnen würde. Morwenna starrte sie kalt an, ohne die geringsten Anstalten zu machen, sie ins Haus zu bitten.

Jenna wusste nicht, was sie sagen sollte. Warum war ihre Tante nicht erfreut, sie zu sehen?

„Meine Nichte?“, fragte Morwenna schließlich. „Wenn du aus Australien bist, musst du Hedras und Tristans Tochter sein.“

Jenna entspannte sich ein wenig und lächelte. „Ja! Ja, das bin ich.“

Morwenna runzelte die Stirn. „Ich habe ihnen immer wieder gesagt, dass es nichts Gutes bringen wird, wenn sie ans andere Ende der Welt ziehen. Genau das habe ich ihnen gesagt, nichts Gutes wird dabei herauskommen. Und ich hatte recht, nicht wahr? Zwei Jahre hat es gedauert, und dann sind sie in irgendwelchen Fluten ertrunken. Warum haben sie nicht auf mich gehört? Aber Tristan dachte ja schon immer, dass er alles besser weiß.“ Sie sah Jenna misstrauisch an. „Und was willst du?“

Enttäuschung stieg in Jenna auf. „Ich, nun, ich wollte mich nur vorstellen. Ich habe leider nicht viele Erinnerungen an Cornwall, aber ich bin hier geboren, und ich möchte gern den Rest meiner Familie kennenlernen.“

Morwenna schüttelte schon den Kopf, bevor Jenna noch zu Ende geredet hatte. „Du hast deine Reise umsonst gemacht. Du hast hier keine Familie. Ich weiß nicht, wo Tristan dich gefunden hat – er hat es nie gesagt –, aber es war nicht hier.“

Jenna sah die ältere Frau verständnislos an. „Er hat mich gefunden?“

„Das habe ich auch dem Mann aus Edinburgh gesagt, der vor ein paar Monaten nach dir gesucht hat. Wir sind keine Blutsverwandten. Wer weiß, wo sie dich aufgegabelt haben. Hedra tauchte hier eines Tages mit einem Neugeborenen auf und war so stolz, als wäre es ihr eigenes Baby. Tristan strahlte ebenfalls. Ich warnte sie davor, das Kind anderer Leute aufzuziehen. Man weiß nie, was man sich da einhandelt. Jemand, den man nicht kennt, kann nur zu leicht zu einem Dieb, Mörder oder sonst was heranwachsen.“

Jenna starrte die Frau an. Sie traute ihren Ohren nicht. War diese Frau verrückt? Wovon sprach sie da?

„Verstehe ich dich richtig?“, brachte Jenna schließlich heraus. „Willst du damit sagen, dass ich adoptiert worden bin?“

„Bist du taub? Ja, genau das habe ich gesagt. Du bist adoptiert.“ Morwennas Augen verengten sich. „Du hast es nicht gewusst, stimmt’s?“

„Nein, ich hatte keine Ahnung.“

„Nun, ich finde, jemand hätte es dir sagen sollen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie es war, als man mir sagte, dass Tristan gestorben sei. Das war eine furchtbare Zeit für mich. Er war mein einziger Bruder. Es war schrecklich. Wenn er doch nur auf mich gehört hätte, dann wäre er vielleicht heute noch am Leben.“ Morwenna verzog das Gesicht. „Ich habe mich ziemlich aufgeregt, als diese Leute aus Australien anriefen und wollten, dass ich dich aufnehme. Ich sagte ihnen, ich hätte acht eigene Gören aufzuziehen und bräuchte nicht noch eine Siebenjährige, die mir zur Last fällt.“

Morwennas Worte trafen Jenna zutiefst. Sie konnte sich nicht schützen, konnte sich nicht verteidigen. Die australischen Behörden hatten also versucht, sie bei Mitgliedern der Familie unterzubringen, bevor man sie ins Waisenhaus steckte.

Jenna konnte nicht fassen, wie hartherzig diese Frau war. Sie musste schleunigst gehen. Wie gut, dass Morwenna sie nicht ins Haus gebeten hatte. Der Hass und die Kälte dieser Frau hätten ihr die Luft zum Atmen genommen.

Sie war adoptiert worden! Jenna war schockiert. Die ganze Sache hatte nur ein Gutes, sie war zumindest nicht mit dieser schrecklichen Frau verwandt.

„Danke, dass du mich aufgeklärt hast“, erklärte Jenna ruhig. „Du hast gesagt, ein Mann aus Edinburgh hätte nach mir gefragt. Kannst du mir bitte seinen Namen geben?“

„Das ist schon einige Monate her. Lass mich nachdenken. Ich glaube, der Name fing mit einem D an. So wie Davis, Dennis … Nein, das ist nicht richtig.“

„Kannst du ihn beschreiben?“

„Warum? Willst du ihn suchen? Er sagte, er wäre aus Edinburgh, aber er konnte mir nichts vormachen. Er hatte einen amerikanischen Akzent. Wer weiß, wo der herkam. Warte mal. Sein Name hörte sich französisch an … Dumas! Das ist es, glaube ich. Dumas oder so ähnlich. Ich erinnere mich nicht an seinen Vornamen. Du siehst ihm nicht ähnlich, wenn es das ist, woran du denkst. Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen. Und er war sehr groß.“ Morwenna schaute an der zierlichen Jenna hinauf und hinab, so als ob sie ihre Feststellung unterstreichen wollte.

Jenna nickte nur. „Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen“, sagte sie und wandte sich ab, bevor die unangenehme Frau weiterreden konnte. Mit gestrafften Schultern und hoch erhobenen Hauptes ging sie zu ihrem Wagen und fuhr davon.

Erst als sie etwas später den Pub betrat, in dem sie am Abend zuvor gegessen hatte, wurde Jenna sich bewusst, dass sie am ganzen Körper bebte. Sie musste unter Schock stehen. Sie setzte sich an einen der hinteren Tische und bestellte eine Tasse Tee.

Nichts in ihrem Leben war mehr so, wie sie einst gedacht hatte. Die Craddocks hatten sie adoptiert. Warum hatte sie das nicht gewusst? Nichts in den Papieren, die ihre Eltern ihr hinterließen, hatte darauf hingewiesen. Aus ihrer Geburtsurkunde war zu ersehen, dass Hedra und Tristan ihre Eltern waren und dass sie zu Hause geboren worden war. Sie wusste mit Sicherheit, dass nirgendwo etwas von einer Adoption stand.

Jenna ging in Gedanken zurück zu der Zeit, als sie ins Waisenhaus gebracht worden war. Nie war sie unglücklicher und einsamer gewesen. Sie hatte niemanden, aber wirklich niemanden gehabt.

Was sollte sie jetzt tun? Sie war ohne Rückflugticket aus Australien nach England geflogen. Sie hatte noch genug Geld, um auskommen zu können, bis sie eine geeignete Arbeitsstelle fand. Und da sie fähig war und ausgezeichnete Zeugnisse und Referenzen vorweisen konnte, hatte sie eigentlich keine Angst, einen Job zu finden.

Morwenna hatte behauptet, dass der Mann, der nach ihr gesucht hatte, aus Schottland gekommen war. Das war immerhin eine Spur. Wie seltsam! Ein Mann namens Dumas aus Edinburgh wusste, dass sie existierte. War es möglich, dass sie dort adoptiert worden war? Könnte der Mann ihr Vater sein, der seine erwachsene Tochter suchte? Vielleicht war er nach ihrer Geburt nach Amerika ausgewandert? Das würde seinen Akzent erklären.

Jetzt war er zurück und suchte womöglich nach ihr. Spielte es eine Rolle, dass sie ihm nicht ähnlich war? Vielleicht sah sie ja aus wie ihre Mutter.

Seit sie Morwenna kennengelernt hatte, wusste Jenna, dass sie nicht in Cornwall bleiben wollte. Und es gab keinen Grund, der sie daran hindern könnte, Arbeit in Schottland zu suchen. Vielleicht würde sie ja diesen Mr Dumas dort finden, und er könnte ihr erklären, wieso er von ihr wusste und welche Beziehung sie zu ihm hatte.

Dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig. Zumindest hatte sie einen Anhaltspunkt. Jemand wusste von ihrer Existenz und suchte nach ihr. Das war eine tröstliche Vorstellung.

Und im Moment war das der einzige Trost, den sie hatte.

2. KAPITEL

„Ich sehe, dass Sie Australierin sind, Ms Craddock. Was veranlasst Sie, in Schottland nach Arbeit zu suchen?“

Jenna saß vor Ms Violet Spradlin, die eine Agentur für Arbeitsvermittlung in Edinburgh leitete.

„Eigentlich bin ich in Großbritannien geboren, aber ich war Jahre nicht mehr hier. Ich habe mich für Schottland entschieden, weil ich die Landschaft atemberaubend schön finde. Und da ich keine Familie habe, kann ich mir aussuchen, wo ich leben möchte.“

Violet nickte und sah sich einige Referenzen an, bevor sie aufschaute. „Sie haben ausgezeichnete Zeugnisse. Ich bin beeindruckt.“ Dann seufzte sie. „Leider haben wir im Moment nicht viele Angebote. Das kann sich zwar von heute auf morgen ändern, aber versprechen kann ich Ihnen nichts. Ich hoffe, Sie sind nicht sofort auf eine Arbeit angewiesen.“

„Ich verstehe.“

Violet schaute über den Rand ihrer Brillengläser. „Wie kann ich Sie erreichen, falls ich etwas für Sie habe?“

„Ich habe mir ein Zimmer in einer kleinen Pension am Rande der Stadt genommen. Wenn Sie wollen, werde ich jeden Tag vorbeischauen.“

Violet warf erneut einen Blick in die Papiere. „Ah, ich sehe. Sie haben die Pension als Ihre Adresse angegeben.“ Sie sah Jenna nachdenklich an und schlug leicht mit dem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte. „Ich vermute, Sie sind nicht an einer Stelle mit Kost und Logis interessiert?“

Bevor Jenna noch etwas sagen konnte, fuhr Violet auch schon fort: „Nein, wahrscheinlich nicht. Die Stelle ist nicht hier in Edinburgh, und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass die Arbeitsbedingungen zufriedenstellend sind.“

Jenna war durch Ms Spradlins Bemerkung neugierig geworden. „Ein Ortswechsel würde mir nichts ausmachen. Und den Unterhalt gestellt zu bekommen, das könnte mir das Leben – gerade jetzt am Anfang – sehr erleichtern.“

Violet erhob sich, ging zu einem Aktenschrank hinüber und sah einige Ordner durch. „Ah, ich wusste, dass es hier irgendwo sein musste.“ Sie zog einen dicken Ordner heraus und kehrte zum Schreibtisch zurück. „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich Ihnen diese Stelle eigentlich nicht empfehlen kann“, erklärte sie.

Jenna nickte und fragte sich, was das für eine Stelle sein musste, wenn Ms Spradlin es für nötig hielt, sie davor zu warnen.

Violet öffnete den Ordner. „Sir Ian MacGowan braucht eine ausgezeichnete Sekretärin, die seine Bandaufzeichnungen für seinen Roman tippt und bearbeitet.“

„Oh. Ein Schriftsteller.“

„Nun“, meinte Violet, „ich denke, man kann ihn so nennen, obwohl ich nicht glaube, dass er schon etwas verkauft hat. Er hatte vor einigen Monaten einen schweren Verkehrsunfall. Normalerweise lebt er in London. Er hat sich im Moment auf das Familienanwesen zurückgezogen, um dort zu genesen. Das Schreiben dient ihm wohl als eine Art Beschäftigungstherapie.“

„Aha.“ Jenna stellte sich einen weißhaarigen Gentleman vor, der wahrscheinlich ein wenig übergewichtig und noch nicht bereit war, sich mit seinem Alter abzufinden. „Sie sagten, dass Sie diese Stelle nicht empfehlen könnten. Ich hätte gern gewusst, warum nicht. Es hört sich doch so an, als ob das der perfekte Job für mich wäre. Wahrscheinlich ist es keine Dauerstellung, aber die Arbeit bei Sir Ian würde mir Zeit geben, mich hier einzuleben.“

Violet seufzte und nahm ihre Brille ab. Sie massierte ihren Nasenrücken und schaute Jenna nachdenklich an. Dann putzte sie die Brille sorgfältig und setzte sie wieder auf. Offensichtlich versuchte die ältere Frau, Zeit herauszuschinden, um die richtigen Worte zu finden. Jenna überlegte, was an dem Mann wohl so schrecklich sein mochte.

„Sehen Sie diese Papiere?“, begann Violet schließlich und wies mit der Hand auf den offenen Ordner. „Das sind die Bewerberinnen, die ich in den letzten Wochen zu Sir Ian geschickt habe.“

„Und er hat keine von ihnen genommen?“, fragte Jenna.

„Nachdem er sich ständig darüber beklagt hatte, dass die Bewerberinnen nicht über genügend Fachkenntnisse verfügen, hat er schließlich zwei eingestellt. Die erste Frau blieb zwei Wochen, die zweite Angestellte hielt es bereits nach drei Tagen nicht mehr bei ihm aus.“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf.

„Hat er die Frauen sexuell belästigt?“

Violet sah Jenna einen Moment bestürzt an, bevor sie in Lachen ausbrach. „Nein, um Himmels willen, nein, diesen Eindruck wollte ich Ihnen bestimmt nicht vermitteln. Er ist nur ein sehr schwieriger Mann.“ Sie las einige Stellen aus den Berichten der Bewerber vor. „Er ist cholerisch, und man kann es ihm nie recht machen, sagt eine. Die andere meint: Er gibt Zeitlimits vor, die kein Mensch einhalten kann. Er ist schroff und einfach unmöglich.“

Jenna nickte. „Ich weiß, was für eine Art Chef er ist.“ Sie lächelte. „Mein letzter Arbeitgeber war auch so, als ich bei ihm zu arbeiten begann.“

Violet zog die Augenbrauen hoch. „Wirklich? Das überrascht mich. In seinem Empfehlungsschreiben steht, wie ungern er Sie gehen lässt. Wenn man seinen Brief liest, könnte man Sie für eine Heilige halten.“

„Er ist ein sehr beschäftigter Mann, und bis er mich einstellte, hatte er nie eine Sekretärin, die ohne große Anweisungen arbeiten konnte. Nachdem ich ihn davon überzeugt hatte, dass ich eigenverantwortlich arbeiten kann und mich nicht bei ihm ‚auf der faulen Haut ausruhen wollte‘ – ich glaube, das waren seine Worte –, haben wir bestens zusammengearbeitet.“

Violet nickte und lächelte leicht. „Ich verstehe. Vielleicht werden Sie bei Sir Ian mehr Glück haben als die anderen Bewerberinnen.“

„Wann könnte ich ein Vorstellungsgespräch bei ihm bekommen?“

Violet verzog das Gesicht. „Er führt keine Vorstellungsgespräche mehr. Er sagt, damit würde er nur seine Zeit verschwenden. Er meinte, ich solle jemanden finden, der ihn nicht mit Fragen und Bemerkungen quält, und die Person einfach einstellen.“

Autor

Annette Broadrick
<p>Bis Annette Broadrick mit sechzehn Jahren eine kleine Schwester bekam, wuchs sie als Einzelkind auf. Wahrscheinlich war deshalb das Lesen immer ihre liebste Freizeitbeschäftigung. Mit 18 Jahren, direkt nach ihrem Abschluss an der Highschool, heiratete sie. Zwölf Monate später wurde ihr erster Sohn geboren, und schließlich wurde sie in sieben...
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