Wie auf einem Vulkan

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Irenes Urlaubstage auf der kleinen Insel vor Sizilien mit ihrem Freund Nigel verlaufen ganz anders als geplant. Nicht sie kommen sich näher, sondern Irene verliebt sich unsterblich in Olive, Nigels arroganten Bruder. Doch der erfolgreiche Unternehmer scheint mit ihren Gefühlen nur zu spielen …


  • Erscheinungstag 11.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756499
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Was sagen Sie da, ich soll den Betrieb verkaufen?“ Irene Brookes starrte den Buchhalter ihres Vaters ungläubig an.

„Dazu habe ich schon Ihrem Vater geraten“, meinte Mr. Snelson. „Wie Sie selbst sehen, steckt das Unternehmen tief in den roten Zahlen.“

Ihr Vater hatte sich nie besondere Gedanken über Geld gemacht. Er schien überhaupt gern in den Tag hineingelebt zu haben. Vor einigen Jahren hatte er das Haus in der Nähe der Fabrik verkauft und war bei seinen Besuchen im Hotel abgestiegen. Sein Londoner Apartment war ihm ohnehin immer schon lieber gewesen. Auch Irene fühlte sich in ihrer Stadtwohnung wohler, und das Haus wurde nur selten benutzt.

Das war so ziemlich alles, was Vater ihr erzählt hatte. Von seinem großzügig bemessenen Einkommen hatte er Irene ein ansehnliches Taschengeld abgezweigt, sodass sie sich nie Gedanken über die finanzielle Situation ihres Vaters gemacht hatte. Den wahren Stand der Dinge hatte sie erst vor einer halben Stunde erfahren, als Mr. Snelson die Geschäftsbücher gebracht und ihr die einzelnen Zahlenkolonnen erklärt hatte.

„Es tut mir wirklich sehr leid“, murmelte der Buchhalter verlegen. „Ihr Vater hatte einfach Pech gehabt, die Zeiten sind schwer geworden.“

Henry Brookes hätte den Verkauf des Unternehmens sicher erwogen, wenn er nicht auf der Yacht einer guten Freundin bei einer Kreuzfahrt im Mittelmeer mit einem Aperitif in der Hand einem Schlaganfall erlegen wäre. Seine Freundin war eine begüterte Witwe, und Henry war schon immer ein Frauenheld gewesen.

Irene würde jedoch kaum harten Zeiten entgegensehen, denn ihr attraktives Äußeres war allein schon ein Vermögen wert. Sie hatte bereits ein paar Verlobungen hinter sich, und es würde die Männer kaum abschrecken, dass sie nunmehr eine mittellose Erbin war.

Dennoch wünschte Cedric Snelson, sie wäre darauf vorbereitet gewesen. Obwohl sie alles ruhig hinnahm, war ihr der Schock doch anzumerken.

Stirnrunzelnd lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück. „Ich hatte keine Ahnung. Ich fürchte, ich habe mich nie für das Familienunternehmen interessiert.“

Ihr Vater hatte übrigens genauso wenig Interesse daran gehabt. Als er die Erbschaft antrat, war die Fabrik ein florierendes Unternehmen gewesen. Aber er hatte jahrelang nur seinen eigenen Gewinn herausgezogen und nie etwas investiert. An seinem Schreibtisch hatte man ihn so gut wie nie gesehen.

Er war eben alles andere als ein umsichtiger Unternehmer. Niemand konnte diesem charmanten, jungenhaften Mann böse sein. Mit seiner Tochter gab er ein attraktives Paar ab, denn Irenes strahlende Schönheit übertraf sogar die ihrer Mutter.

Viele Jahre hatte sich Irene nicht mehr im Familienunternehmen sehen lassen. Seit dem Verkauf des Hauses war sie überhaupt nicht mehr in dieser Gegend gewesen.

Doch gestern war ihr Vater in der Familiengruft beigesetzt worden, und Irene wohnte nun vorübergehend bei den Snelsons.

Snelsons Frau war furchtbar stolz darauf, die schöne Irene als Gast in ihrem Haus zu haben. Für sie war Irene eine kleine Berühmtheit, immerhin war sie ständig in Werbespots im Fernsehen zu sehen oder in Modezeitschriften, für die sie als Fotomodell arbeitete.

Bei der gestrigen Beerdigung war der Friedhof fast zu klein gewesen, um alle Trauergäste aufzunehmen. Jeder war betroffen über Henry Brookes plötzlichen Tod.

Seine Tochter stand in einem schlichten schwarzen Kostüm bei den Snelsons. Sie trug kein Make-up; das lange Haar wallte in glänzenden Kaskaden über ihre Schultern hinab. Die Gästeschar konnte kaum den Blick von ihr wenden.

Wo immer sie auftauchte, machte Irene einen tiefen Eindruck. Das war wohl auch der Grund dafür, dass sie in so vielen Dingen ihren Kopf durchsetzen konnte.

Obwohl die Frauen sie allgemein beneideten, zeigten sie an diesem Nachmittag viel Mitgefühl. „Ich weiß, wie nahe ihr euch gestanden habt“, bekam sie immer wieder zu hören. Sie nickte nur dazu, während die Tränen in ihren schönen, grünen Augen glitzerten.

Sie hatte eigentlich nach der Trauerfeier mit Freunden nach London zurückfahren wollen, doch sie ließ sich überreden, noch eine Weile bei den Snelsons zu bleiben. Cedric Snelson wollte sie gründlich über den finanziellen Stand des Familienunternehmens aufklären, und außerdem würden ihr ein paar Tage in der frischen Landluft nur gut tun.

Die Nachricht vom Tode ihres Vaters war ein fürchterlicher Schock für sie gewesen. Doch sie hatte sich eisern beherrscht. Statt sich von ihrer Verzweiflung überwältigen zu lassen, hatte sie alles in die Wege geleitet, was nun mal getan werden musste.

Auch während der Trauerfeier weinte sie nicht. Danach verbrachte sie einen ruhigen Abend mit den Snelsons und ein paar Nachbarn, die sie schon als Kind gekannt hatte.

Sie ging früh zu Bett, und Mrs. Snelson brachte ihr ein Glas heiße Milch. Ida Snelson war den ganzen Tag mit feuchten Augen umhergegangen, denn sie weinte stets bei Hochzeiten und Trauerfeiern. Sie hatte Henry Brookes gemocht, sein egozentrisches Verhalten jedoch verachtet. Ihrer Ansicht nach hätte er sich nicht auf eine Kreuzfahrt begeben, sondern in seinem Unternehmen für Ordnung sorgen sollen.

Sie wusste, wie nahe sich Vater und Tochter gestanden hatten, und überlegte, ob sie es wagen durfte, sich an Irenes Bett zu setzen und sie tröstend in die Arme zu nehmen.

Sie war alt genug, um Irenes Mutter zu sein, und sie erinnerte sich noch gut an das pummelige tollpatschige Mädchen, das hier gelegentlich die Schulferien verbracht hatte. Beim Tode ihrer Mutter hatte sie die pummelige Irene in die Arme genommen und das Zittern des kleinen Körpers gespürt. Doch inzwischen hatte sich das pummelige Mädchen in eine junge, elegante Frau verwandelt, die man nicht so vertraulich ans Herz zu drücken wagte.

Ida stand zögernd vor dem Bett. „Versuchen Sie zu schlafen“, sagte sie und wünschte, ihr würde etwas anderes einfallen. Unbeholfen fügte sie hinzu: „Die Zeit heilt alle Wunden.“

„Ja“, erwiderte Irene, die aufrecht im Bett saß. Das Glas Milch hatte sie auf den kleinen Nachttisch gestellt.

Sobald die Tür hinter Ida Snelson ins Schloss gefallen war, stand sie auf und goss die Milch zum Fenster hinaus. Sie hasste heiße Milch, der sie in ihrer Kindheit die pummelige Figur mit dem Babyspeck zu verdanken hatte.

Mrs. Snelson täuschte sich: Die Zeit heilte keineswegs alle Wunden. Es gab unendlich viele Erinnerungen, die mit einem intensiven Schmerz verbunden waren, der auch nach Jahren nicht nachließ. Mit der Haarbürste in der Hand ging sie wieder ins Bett und bürstete ihr langes Haar.

Heute Abend stürmten die Erinnerungen besonders heftig auf sie ein. Bestimmt würde sie wieder Albträume haben, und nichts fürchtete sie mehr.

Diese Träume wurden beherrscht von ihrer Mutter, die sie stets herumgestoßen hatte, weil sie pummelig und unscheinbar war.

„Kannst du denn gar nichts mit dem Kind anfangen?“, fragte ihr Vater oftmals, und ihre Mutter antwortete dann: „Was denn? Wie kann man aus stumpfem Material etwas Glänzendes herstellen?“ Sie hatten sich überhaupt ständig gezankt und angeschrien, denn er hatte stets andere Frauen und sie ihre Liebhaber gehabt.

„Du kannst verschwinden und Irene mitnehmen!“, hieß es nur allzu oft. „Glaub ja nicht, du könntest sie mir anhängen!“

Kurz nach ihrem fünften Geburtstag hatte man sie in ein Internat gegeben, wo sie auch nicht beliebt war. Zwar verhielt sie sich im Allgemeinen still und zurückgezogen, doch es gab Augenblicke, wo sie sich wild gebärdete und die grünen Augen Funken sprühten.

Ihre Mutter starb, als Irene in die Oberstufe versetzt wurde. Sie hatte sich einer geringfügigen Operation unterzogen; dabei hatte sie eine Durchblutungsstörung erlitten, an der sie starb.

Irene wurde zur Rektorin gerufen, die ihr behutsam den Tod ihrer Mutter beibrachte. Anschließend durfte sie packen und zur Beerdigung fahren.

Nach der Trauerfeier hatte ihr Vater sie in den ersten Zug gesetzt, der sie zum Internat zurückbrachte. Er trauerte auf seine eigene, egoistische Weise. Trotz allem hatte er seine Frau geliebt. Mit der pummeligen Tochter wusste er nichts anzufangen.

Als Irene sich einigen Freundinnen anschloss und auch die Schulferien bei ihnen verbrachte, atmete er erleichtert auf. Nur ganz selten verschwendete er einen Gedanken an sie.

In einem ihrer seltenen Briefe an ihn schrieb sie von einem etwaigen Universitätsstudium, überlegte es sich jedoch bald wieder anders. Sie fragte sogar an, ob sie eine Stellung im Familienunternehmen antreten könne. Diesem Problem wich Henry Brookes jedoch ebenso aus wie allen anderen in seinem Leben.

Da er Irene nur selten sah, ahnte er nichts von der krassen Veränderung, die mit ihr vorging. Wenn sie sich damals im Spiegel betrachtete, kam es ihr wie ein unfassbares Wunder vor.

Der Babyspeck verschwand vollkommen, die Beine wurden lang und wohl geformt, das Doppelkinn verlor sich, und die grünen Augen wirkten auf einmal größer. Die Hüften wurden schmal und die Brüste straff und fest.

Es war, als schimmerte ihre Haut von innen heraus. Das rötlich glänzende Haar trug sie nunmehr schulterlang in weichen Wellen.

Fortan war sie – von allen neidlos anerkannt – das bestaussehende Mädchen des Internats. Doch beliebt war sie genauso wenig wie zuvor. Sie strahlte jetzt voller Energie und Vitalität, versammelte eine Schar von Bewunderern um sich und schloss anhaltende Freundschaften.

Seit jeher hatte sie niemandem vertraut. Das gute Aussehen kam ihr wie ein Hauptpreis vor und gab ihr Macht in die Hand. Doch bei alledem dachte sie stets daran, wie sich ihre Eltern wütend angeschrien hatten: „du wirst mir Irene nicht anhängen!“

Nun hatte sie keinen Vater und keine Mutter mehr. Doch die Gäste bei der Trauerfeier hatten keine Ahnung von den wahren Zusammenhängen. Nein, Irene und ihr Vater hatten sich niemals nahe gestanden!

In den letzten Jahren hatte sie ihn zwar geliebt, obwohl sie seine Schwächen und Fehler deutlich erkannt und durchschaut hatte. Doch er hatte in ihr nur eine Frau gesehen, mit deren gutem Aussehen er angeben konnte.

Irene hatte selbst dafür gesorgt, dass sie aus dem Internat gewiesen wurde. Ein Bild von ihr war in einer Teenager-Zeitschrift veröffentlicht worden. Kein Mädchen des Internats hätte sich diese Chance entgehen lassen.

Sie hatte mit Paula in einem Café gesessen, als ein Fotograf an ihren Tisch kam und sie fragte, ob sie schon einmal Modell gestanden hätte. Die Zeitschrift, für die er arbeitete, brauchte ein neues Gesicht und eine schlanke, biegsame Figur für die neue Modewelle.

Als sie in der Redaktion mit dem Lift nach oben fuhren, hatte Paula sie hinter dem Rücken des Fotografen flüsternd gefragt: „Und wenn sie nun verlangen, dass du… na, du weißt schon… dass du alles ausziehst.“

„Wenn schon“, hatte Irene zurückgeflüstert. „Meine Figur kann sich sehen lassen.“

Sie hatte natürlich keine Lust, einen Strip vorzuführen, und es war auch keine solche Zeitschrift – aber es gefiel ihr, Paula einen Schock zu versetzen.

Im Internat wartete alles gespannt auf die Reklamefotos, und als das Magazin erschien, wurde Irene zur Rektorin, Miss Lupton, beordert. Die Aufnahmen sahen gelungen aus, denn Irene war ungewöhnlich fotogen.

Es waren Aufnahmen, auf denen sie ganz normale Teenager-Kleidung vorführte, die eben der neuesten Mode entsprach. Aber gerade das ging Miss Lupton entschieden gegen den Strich. Angewidert schlug sie das Magazin zu und meinte indigniert: „Hoffentlich bekommen wir nicht mehr von diesem Unsinn zu sehen!“

Der Redakteur hatte weitere Termine mit Irene vereinbart, und sie war mit ganzem Herzen dabei. Die Sache hatte ihr riesigen Spaß gemacht und ihr zudem noch ein beträchtliches Honorar eingetragen.

Sie lächelte Miss Lupton zuckersüß an und erwiderte: „Ich werde das Modellstehen zu meiner Karriere machen, falls ich nicht zuvor einen Millionär heiraten sollte.“

„Sei nicht unverschämt, Irene!“ Miss Lupton hatte das Magazin voller Verachtung in den Papierkorb geworfen und Irene noch einmal gewarnt. Darüber hinaus kündigte sie ihr an, dass sie sich mit ihrem Vater in Verbindung setzen wolle.

Dann kamen die Weihnachtsferien, und diesmal wollte Irene nach Hause fahren. Sie hatte alle anderen Einladungen ausgeschlagen, weil sie ihrem Vater persönlich erklären wollte, dass es ihr Wunsch war, das Internat zu verlassen. Sie war siebzehn, wozu sollte sie noch im Internat bleiben?

Ihr Vater hatte ihr seit einer Ewigkeit nicht mehr geschrieben; er wollte sich einfach nicht mit seiner Tochter belasten, nicht gezwungen sein, sich mit einer Halbwüchsigen auseinander zu setzen. Dennoch konnte sie sich vorstellen, dass Miss Luptons Brief einigen Wirbel verursacht hatte.

Seit über einem Jahr hatte Irene ihren Vater nicht mehr gesehen. Sie wusste genau, dass es ihm nicht mal im Traum einfallen würde, den gewohnten Lebensstil zu ändern und Zeit für seine Tochter aufzubringen. Als Irene in seinem Londoner Apartment ankam, war er mit Freunden zum Dinner ausgegangen.

Die neue Haushälterin, die sie noch nicht kannte, setzte ihr eine heiße Suppe und kalten Hühnerbraten mit Salaten vor. Danach saß Irene im Wohnzimmer und wartete.

Da hatte sie nun ein schönes, modern eingerichtetes Heim – doch es war niemand da, der sie willkommen hieß. Obwohl sie ihrem Vater ihr Kommen angekündigt hatte, war sie keineswegs überrascht, ihn nicht daheim vorzufinden. Offensichtlich verzehrte er sich nicht gerade vor Sehnsucht nach ihr.

Als das Fernsehprogramm endete, ging sie in ihr Zimmer, zog sich aus, nahm ein Bad und wusch sich das Haar.

Ihr Zimmer hatte sich nicht verändert, ihr Vater hatte sich nicht verändert – doch wie hatte sie sich verändert! Sie lächelte ihr Spiegelbild an und blickte in die tiefen, grünen Augen. Es war ihr nicht entgangen, dass die jungen Männer bei ihrem Anblick die Augen verdrehten. In solchen Sekunden fühlte sie sich, als würde sie auf Flügeln schweben.

Als sie den Wagen ihres Vaters vorfahren hörte, schlang sie sich ein Handtuch um den Kopf und ging hinunter.

Sie stand in der Vorhalle, als ihr Vater ins Haus kam. Er hatte gut gegessen und offenbar einen vergnügten Abend hinter sich. Gut gelaunt und jovial begrüßte er sie: „Hallo, meine Liebe, ich dachte, du wärst längst zu Bett gegangen. Tut mir leid, dass ich nicht hier sein konnte. Geschäfte, weißt du. Meine Güte, bist du aber gewachsen!“

Während er ihre schlanke Figur mit dem Handtuch um den Kopf wohlgefällig musterte, erkannte er zum ersten Mal, dass sie annähernd so groß wie er war.

„Ich denke, ich bin jetzt genug gewachsen“, erwiderte sie selbstbewusst und sah ihren Vater forschend an. „Hast du eigentlich einen Brief von Miss Lupton bekommen?“ Vielleicht sollte sie rundweg darauf bestehen, das Internat sofort zu verlassen.

„Ich glaube ja.“ Er trat an die Hausbar und schenkte sich einen Whisky ein. „Komm, setz dich“, forderte er sie wie ein perfekter Gastgeber auf. „Ich sollte mich mit ihr in Verbindung setzen, aber es ist immer wieder etwas dazwischengekommen. Worum geht es denn? Um deine Pläne nach dem Schulabschluss?“ Er maß der ganzen Angelegenheit nur wenig Interesse bei.

„Ich glaube, sie will mich vom Internat verweisen“, sagte Irene knapp und lächelte triumphierend, als ihr Vater vor Schreck fast in den nächsten Sessel gesunken wäre.

„Was sagst du da?“ Er glaubte offenbar, sich verhört zu haben. Irene hatte niemals Schwierigkeiten gemacht. Das wusste er, wenn er sich auch wenig mit ihr befasst hatte. Was, um alles in der Welt, mochte sie nur angestellt haben?

„Ich habe für ein Mode-Magazin Modell gestanden.“

Ihr Vater blickte sie ungläubig an. „Und was für eine Art Mode-Magazin war das?“

„Ich zeige es dir.“ Sie ging in ihr Zimmer, um die Zeitschrift zu holen. Vor dem Spiegel nahm sie das Handtuch ab und bürstete ihr Haar aus. Es war noch nicht ganz trocken und fiel in weichen Wellen über ihre Schultern. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, starrte er sie wie eine Fremde an.

„Dieses hier“, sagte sie und hielt ihm die Zeitschrift unter die Nase.

„Na, Gott sei Dank!“ Hielt er sie wirklich für so dumm und naiv? Was glaubte er denn, wofür sie Modell gestanden hatte? Es gefiel ihr, ihm einen Schreck einzujagen. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht lauthals zu lachen.

„Das bist du?“, fragte er mit einem ungläubigen Blick auf die Bilder. Nach einer Weile schaute er auf. „Das ist wirklich eine Überraschung.“

„Die Redaktion hielt die Aufnahmen für recht gut“, versetzte Irene.

„Das sind sie auch.“ Es war das erste Lob, das sie je von ihm gehört hatte.

Flüchtig erwähnte sie ihre weiteren Pläne. „Ich werde weiterhin als Modell arbeiten. Der Chefredakteur meinte, er hätte viele interessante Aufgaben für mich.“

„Du hast noch viel Zeit, ehe du dich endgültig festlegst“, erwiderte ihr Vater. „Wenn du das Internat verlassen möchtest, habe ich keine Einwände. Wir werden Dienstag ein paar hübsche Kleider für dich kaufen.“

Von jenem Abend an setzte eine radikale Veränderung ihrer Beziehungen ein. Auf einmal konnte sie gar nichts mehr falsch machen. Voller Stolz stellte er sie seinen Freunden und Bekannten vor: „Meine Tochter Irene.“ Er überhäufte sie mit Geschenken, und zum Weihnachtsfest spielte sie in seinem Londoner Apartment die Gastgeberin.

Alle bewunderten sie, und Irene sonnte sich in den vielen Komplimenten. Sie war sich ihrer Macht bewusst und konnte nur hoffen, dass das Glück ihr ein Leben lang treu blieb.

Doch in ihren nächtlichen Albträumen blieb sie das pummelige, unscheinbare Mädchen, von dem sich jeder abwandte.

Diese Albträume verfolgten sie und setzten ihr gewaltig zu. Auch in jener Nacht nach der Trauerfeier wurde sie von ihnen geplagt.

Er würde ihr fehlen. Sie dachte an die vielen Gäste auf dem kleinen Friedhof. Ihr eigentliches Heim war London und das Apartment ihres Vaters, das er so fröhlich verlassen hatte, um zu der verhängnisvollen Kreuzfahrt mit seiner Freundin aufzubrechen.

Irene dachte zurück an die Silvesterfeier, die sie mit ihrem Vater im Tudor House, dem Elternhaus ihres alten Jugendfreundes Nigel, verbracht hatte. Auch dort war sie der große Star des Abends gewesen. Sie aber hatte das alte, vornehme Haus zum ersten Mal mit anderen Augen gesehen und sich geschworen, selbst einmal in einem solchen Haus zu wohnen.

An jenem Abend war sie glücklich gewesen. Der junge Nigel Joliffe, den sie schon seit der gemeinsamen Kindheit kannte, war ihr wie ein Schatten auf Schritt und Tritt gefolgt. Nach diesem Silvesterfest hatten sie sich öfter getroffen, und Irene mochte ihn sogar ein wenig. Doch ihr Vater hatte ihr ständig andere junge Männer vorgestellt, sodass sie sich allmählich aus den Augen verloren. Damals hatte Irene sich das erste Mal verlobt.

Und heute, bei der Trauerfeier, waren sie sich wieder begegnet.

„Wohnst du noch immer im Tudor House?“, hatte sie ihn gefragt. Er hatte bejaht und sie prompt eingeladen.

Irgendwie gefiel ihr dieser Nigel Joliffe, und sie fragte sich, warum er noch nicht geheiratet haben mochte. Sie hätte das Tudor House gern wieder gesehen. Bei der Silvesterfeier war Irene siebzehn gewesen, und nun war sie zweiundzwanzig.

Mit den vergangenen fünf Jahren war sie vollauf zufrieden. Sie war erfolgreich als Fotomodell und hätte ihre Einkünfte verdoppeln können, wenn sie sich mehr ins Zeug gelegt hätte. Wozu aber sollte sie sich plagen, wenn irgendein reicher Verehrer ihr nur einen Scheck auszuschreiben brauchte?

Die Männer umschwärmten sie von allen Seiten, doch sie ließ sich auf keine dauerhafte Bindung ein und verlor sofort das Interesse an einem Mann, wenn sie seine Fehler zu durchschauen begann. Im Augenblick wollte sie sich erst einmal auf das Familienunternehmen konzentrieren.

Im Gegensatz zu ihrem Vater hielt Irene nicht viel von Hotelzimmern. Sie wollte vielmehr Ausschau nach einem kleinen Häuschen in der Nähe der Fabrik halten. Mit diesem Vorsatz schlief sie ein.

Es war ein schwerer Schlag für sie, als sie am nächsten Tag erfuhr, dass das Unternehmen pleite war.

Nach dem Lunch trug Mrs. Snelson den Kaffee auf und ließ Irene mit ihrem Mann und einem Haufen Geschäftsbücher zurück. Irene schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, der eiskalt wurde, während Mr. Snelson sie über den wahren Stand der Dinge aufklärte und ein ziemlich düsteres Bild zeichnete. Die Bücher bedeuteten ihr nichts, doch die grafischen Darstellungen redeten eine deutliche Sprache.

„Ich hatte keine Ahnung“, gestand sie schließlich. „Ich habe mich noch nie um die Geschäfte gekümmert.“

Jedes Interesse kam jetzt zu spät. Sie hätte die Dinge eher in die Hand nehmen sollen. Nicht nur wegen des Geldes, sondern weil es eine Herausforderung gewesen wäre.

Seit zehn Jahren hatte sie den Betrieb nicht mehr besichtigt, denn Maschinenräume waren ihr stets ein unergründliches Rätsel geblieben. Sie verstand nichts von solchen Dingen. Wenn die Wirtschaftsexperten übereinstimmend erklärten, der Betrieb hätte keine Zukunft, musste sie sich damit abfinden.

„Ich wünschte, ich hätte Ihnen sagen können, Ihr Vater habe Ihnen einen gesunden Betrieb hinterlassen. Doch nun müssen Sie sich ganz auf Ihre Karriere konzentrieren. Wir sehen Sie häufig in Magazinen und auf dem Fernsehschirm.“

So oft nun auch wieder nicht, dachte Irene. Sie betrachtete ihren Job mehr als Hobby. Sie lächelte und ließ ihre perlweißen Zähne blitzen. „Na, jedenfalls werde ich nicht verhungern“, versicherte sie.

„Oh, bestimmt nicht.“ Um Irene brauchte sich niemand Sorgen zu machen, davon war er überzeugt. „Sie hätten das Unternehmen ohnehin verkauft, nicht wahr?“

„Kommt drauf an.“ Sie lächelte zu seiner Überraschung. „Ich wäre gern hierher zurückgekommen und hätte mein Glück als Geschäftsfrau versucht.“

Er wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Vielleicht war sie auf der Suche nach einem neuen Spielzeug, mit dem sie sich die Zeit vertreiben konnte.

„Kann man heutzutage einen Betrieb verkaufen?“, fragte sie. „Wer würde ihn wohl kaufen, wenn die Geschäfte so schlecht gehen?“

„Es liegen bereits Angebote vor“, antwortete Mr. Snelson prompt. „Von einem holländischen Unternehmen, und ein weiteres von einem hiesigen Geschäftsmann.“

Irene richtete sich auf. „Von wem?“

„Mr. Gaules zeigt an einem Kauf Interesse“, sagte Mr. Snelson. „Oliver Gaules.“

„Oh.“ Irene lehnte sich zurück und runzelte die Stirn. „Der!“

„Sie kennen ihn also?“ Irenes Haltung gab Mr. Snelson Rätsel auf.

„Nicht näher.“ Irene kannte Oliver Gaules besser als die meisten Leute dieser Gegend. Er war ein ungemein erfolgreicher Geschäftsmann. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie eine Menge über ihn gehört und ihn durch Zufall auch ein paar Mal getroffen. Er war ihr vom ersten Augenblick an unsympathisch gewesen.

„Mr. Gaules hat das bessere Angebot gemacht“, erklärte Mr. Snelson, was Irene keineswegs überraschte.

„Um wie viel besser?“, fragte sie.

„Es geht da noch um die Belegschaft“, wich Mr. Snelson aus. „Einige der Leute sind schon seit über zwanzig Jahren bei der Firma. Die holländische Gruppe ist in erster Linie an der Anlage interessiert, während Mr. Gaules die gesamte Belegschaft übernehmen möchte.“

Irene seufzte, und Mr. Snelson musterte sie forschend.

„Darf ich fragen, warum Sie nicht mit Mr. Gaules verhandeln wollen? Sein Ruf ist einwandfrei.“

„Oh, sicher“, versetzte Irene trocken. „Trotzdem möchte ich mir die Sache eine Weile durch den Kopf gehen lassen.“

„Selbstverständlich. Sobald das Unternehmen zum Verkauf ausgeschrieben wird, dürften ohnehin noch weitere Angebote kommen.“

„Das will ich doch hoffen“, meinte Irene.

Sie ging in den Garten, um nachzudenken, und Mr. Snelson eilte zu seiner Frau. „Ich wünschte, Henry hätte das Mädchen gewarnt. Sie will nicht verkaufen, sondern ihr Glück selbst probieren.“

Ida Snelson beobachtete das schlanke Mädchen mit dem langen, roten Haar, das da im Garten auf und ab wanderte. „Ein neues Spielzeug?“, fragte sie.

„Das war auch mein erster Gedanke“, erwiderte er zustimmend. „Irene versteht vom Geschäft genauso wenig wie Henry.“

Seit dem Tode ihres Vaters war Irene jedoch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie blieb bei der Sonnenuhr stehen und las den alten Sinnspruch: Es ist später als du denkst. Doch darüber konnte sie nur lächeln. Mit zweiundzwanzig hatte sie schon eine ganze Menge erreicht, wenn es auch zu spät war, den Familienbetrieb zu retten.

Langsam setzte sie ihren Spaziergang durch den Garten fort. Wenn Oliver Gaules den Betrieb wirklich haben wollte, dann würde er ihn höchstwahrscheinlich auch bekommen, denn im Hinblick auf die Belegschaft durfte sie sein Angebot nicht ausschlagen.

Auf der damaligen Silvesterfeier hatte Nigel ihr Oliver Gaules vorgestellt. Er war der einzige Mann, der ihr bei jener Feier nicht bewundernd zu Füßen gelegen hatte. Es war, als hätte sie sich in seinen Augen in das unscheinbare, pummelige Mädchen zurückverwandelt.

Nigel hatte erklärt, er wäre ein Freund der Familie und ein Mann, vor dem man sich hüten müsste.

„Ein Mann, vor dem man sich hüten muss?“, wiederholte sie mit einem spöttischen Lächeln. „Faszinierend!“

„Das bin ich durchaus“, versicherte er. „Und sind Sie nicht das fabelhafte Modell von Presse und Fernsehen?“

Er zeigte sich keineswegs beeindruckt von ihrer Rolle der gefeierten Persönlichkeit. Ohne sich weiter für ihn zu interessieren, wandte sie sich an Nigel und schwärmte von den herrlichen Räumen. „Ist es nicht ein wundervolles Haus? Wie gern würde ich in einem solchen Haus wohnen!“

Sie hörte Oliver Gaules auflachen. „Pass auf, Nigel! Ich glaube, sie macht dir einen Heiratsantrag!“

Alle hatten darüber gelacht, und Irene war vor Verlegenheit knallrot geworden. Gegen seinen spöttischen Ton kam sie nicht an. Oliver Gaules hatte ihr den schönen Abend verdorben, der wie ein Triumphzug begonnen hatte. Sie wollte ihn nie wieder sehen.

Von allen Gästen dieser Party im Tudor House war Oliver Gaules am steilsten aufgestiegen. Inzwischen besaß er eine Reihe erfolgreicher Unternehmen.

Wenn er ihren Betrieb wirklich kaufte, dann sollten alle Verhandlungen von Anwälten geführt werden. Sie wollte ihn nur sehen, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. Er war wirklich ein unerträgliches Scheusal!

Sie wanderte noch immer ruhelos im Garten herum, als Mrs. Snelson sie ans Telefon rief.

Autor

Jane Donnelly
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