Wie bezaubert man einen Milliardär?

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Hotelmanagerin Sophia versteckt ihr Herz hinter einer dicken Mauer. Liebe, zärtliche Gefühle? Daran glaubt sie nicht. Bis ein mutterloses kleines Mädchen alles ändert! Was Sophia gefährlich verletzlich für den Charme des attraktiven Single Dads, Milliardär Jack McGregor, macht …


  • Erscheinungstag 17.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535953
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Soph, wir haben ein Problem.“

Für gewöhnlich versetzte eine solche Aussage Sophia Lambert in ihrer Position als Hotelmanagerin in Panik, aber heute konnte sie die Ablenkung gebrauchen. Zu dieser Jahreszeit waren Probleme genau das Richtige, denn sie verhinderten, dass ihre Gedanken in die Vergangenheit schweiften.

Sie wandte sich Andrew zu, ihrem Stellvertreter. Ihr Lächeln erstarb, als sie ihn ansah. Normalerweise ließ er sich durch nichts aus der Ruhe bringen, aber im Moment wirkte er sichtlich besorgt.

„Was ist denn?“

„Jack McGregors Tochter ist verschwunden.“

„Verschwunden?“ Jack McGregor war im Penthouse des Devereaux Leisure abgestiegen – und damit in einer der elegantesten Hotelsuiten von London. Als milliardenschwerer Geschäftsmann konnte er sich diesen Luxus leisten.

Er war verwitwet, Vater einer kleinen Tochter. Nicht dass Sophia ihn persönlich gekannt hätte, aber der Flurfunk des Hotels funktionierte bestens. Und der Unfall mit Fahrerflucht, bei dem seine Frau vor drei Jahren gestorben war, hatte Schlagzeilen gemacht. Sophia konnte sich lebhaft vorstellen, was passieren würde, wenn sein Kind verschwand …

„Nach dem Mittagessen ist sie mit ihrer Nanny zurückgekommen. Aber noch bevor sie wieder in ihrem Zimmer war …“ Andrew zuckte mit den Schultern. „… hat sie sich in Luft aufgelöst.“

Sophia schüttelte den Kopf und stand auf. „Ein kleines Mädchen löst sich nicht einfach in Luft auf.“

Wenn sie es mit McGregors Nanny zu tun gehabt hätte, wäre sie aber vielleicht auch verschwunden. Auch wenn sie McGregor selbst noch nicht kennengelernt hatte, war sie seiner Tochter und ihrer schroffen Erzieherin schon begegnet.

„Zwölf Stockwerke, hundertdreißig Zimmer, dazu Schränke und Besenkammern – das Paradies für ein Kind, das Verstecken spielt. Ich würde nicht gleich das Schlimmste annehmen. Kommen Sie schon.“ Sie ging zur Tür, dann den Flur entlang, der in die Lobby führte. Andrew folgte ihr. „Wo haben Sie bisher gesucht?“

„In den Waschräumen, in den Empfangsräumen unten, in den Fahrstühlen und im Treppenhaus. Ich habe alle freien Mitarbeiter darauf angesetzt. Marie ist bei Ms. Archer im Penthouse, um sie zu beruhigen.“

Marie war eine gute Wahl; ruhig und effizient. „Prima.“

„Aber bald müssen wir die Polizei verständigen.“

„Wir finden sie schon.“ Sophia legte Andrew flüchtig die Hand auf die Schulter. „Was ist mit den Überwachungskameras?“

„Die letzte Aufzeichnung zeigt sie auf dem Weg in einen Konferenzraum im zweiten Stock.“

„Aber dort ist sie nicht?“

„Nein.“

„Hat sie das Gebäude verlassen?“ Andrew schüttelte den Kopf. „Also gut, irgendwo muss sie sein. Wir müssen nur wie ein Kind denken … Ich gehe noch einmal in den Konferenzraum, Sie suchen weiter. Geben Sie Bescheid, wenn Sie sie finden.“

„Natürlich.“

Sie trennten sich. Sophia nahm die Treppe in den zweiten Stock. Noch machte sie sich keine Sorgen. In einem Hotel gingen jeden Tag Dinge und Menschen verloren. Es war ihr Job, dafür zu sorgen, dass alle wiederauftauchten und die Gäste glücklich abreisten, auch die kleine Unruhestifterin und ihr Vater.

Der Konferenzraum sah leer aus. Für die verspätete Weihnachtsfeier eines namhaften Unternehmens war ein Tisch mit einer roten Tischdecke, Blumen, Gläsern und Servietten gedeckt, während die übrigen Stühle und Tische ordentlich aufgestapelt an der Seite bereitstanden.

Sophia drehte sich um und wollte gerade wieder gehen, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte. Sie wandte sich erneut um und kniff die Augen zusammen. Sie hätte schwören können, dass sich das Tischtuch gerade bewegt hatte.

„Hallo?“ Sie ging einen vorsichtigen Schritt darauf zu.

Als ein leises Kichern erklang, atmete sie erleichtert auf.

„Bist du das, Lily McGregor?“

„Ich habe für so etwas keine Zeit, Connor. Warum erfahren wir erst jetzt davon?“ Jack starrte den Pförtner des Hotels böse an. Es war keine Absicht – seine Aufmerksamkeit galt dem Telefongespräch –, aber es führte dazu, dass die Tür eiligst geöffnet wurde. Er betrat die Lobby, ging zum Fahrstuhl und drückte den Knopf.

„Anscheinend ist es einem neuen Start-up irgendwie gelungen, uns zu überbieten“, sagte Connor am anderen Ende der Leitung.

Eigentlich hatte Jack vorgehabt, eine Woche oder höchstens zwei in London zu bleiben, um die Übernahme unter Dach und Fach zu bringen, und dann schnell wieder abzureisen. „Also gut, bringen Sie alles darüber in Erfahrung, was Sie können. Und …“

„Entschuldigung, Mr. McGregor?“

Jack runzelte die Stirn und drehte sich um. Ein flüchtiger Blick verriet ihm, dass der ältere Mann, der vor ihm stand, der stellvertretende Hotelmanager war.

„Einen Moment, Connor … Ja?“

„Es tut mir schrecklich leid, Sir.“ Der Mann neigte leicht den Kopf. „Aber es gibt da ein kleines Problem.“

Als hätte er nicht schon genug Sorgen!

„Was für ein Problem?“, fragte er. Hatte es Probleme mit der Reservierung gegeben? Was es auch war, nichts konnte schlimmer sein als Connors Neuigkeiten.

„Es geht um Ihre Tochter. Ich fürchte, sie ist …“ In diesem Moment piepste das Walkie-Talkie des Mannes. Hastig zog er es aus der Tasche. „Ja?“

Jack hörte kaum, was er sagte. Sein Puls schnellte in die Höhe. Was zum Teufel ging hier vor? Was hatte Lily diesmal angestellt?

Der Mann vor ihm entspannte sich sichtlich und atmete erleichtert auf.

„Wunderbar. Danke!“ Er steckte das Gerät zurück in die Tasche und lächelte Jack an. „Alles in Ordnung. Das Problem ist gelöst.“

Jack starrte finster zurück.

„Verzeihung, Sir.“ Der Manager errötete. „Wie es scheint, hat Ihre Tochter mit Ms. Archer ein wenig Verstecken spielen wollen. Inzwischen haben wir sie allerdings gefunden, und …“

Jack fluchte. „Wie lange war sie verschwunden?“

„Ähm … ich … ich bin mir nicht sicher. Vielleicht kann Ms. Archer es Ihnen erklären. Ich bringe Sie am besten zu Ihrer Tochter, ja? Ms. Lambert, unsere Hotelmanagerin, ist gerade bei ihr.“

Jack nickte. „Connor, ich rufe Sie zurück“, sagte er knapp in sein Telefon, beendete den Anruf und folgte dem Mann, der mit zügigen Schritten den Flur entlangging.

Jack schüttelte den Kopf und lockerte seinen Schlips. Obwohl er wusste, dass es Lily gut ging, schwitzte er auf einmal. Heute war wirklich nicht sein Tag. Und vielleicht wurde es Zeit, einen Ersatz für Lilys Nanny zu finden. Allein in den letzten zwei Wochen war Lily ihr ein Dutzend Mal entwischt. Das machte ihn ratlos.

Aber eine andere Nanny zu finden, das würde dauern. Er hatte keine Zeit dafür. Besser wäre es, wenn er seiner Tochter erklärte, dass ihre Sicherheit wichtiger war als ihre spontanen Einfälle. Leider war sie in dieser Hinsicht zu sehr wie ihre Mutter: impulsiv und eigensinnig, die perfekte Kombination für einen weiteren Unfall oder – schlimmer noch – einen Kidnapper, der Geld erpressen wollte.

Bloß wie sollte er das einem fünfjährigen Mädchen klarmachen? Vielleicht war es an der Zeit, einen privaten Sicherheitsdienst anzuheuern. Bisher hatte er das vermieden, weil er einen Hauch von Normalität bewahren wollte, aber er wusste nicht, wie viele solcher Zwischenfälle er noch ertragen konnte.

„Hier entlang, Mr. McGregor“, sagte der Manager, öffnete eine Tür und machte eine einladende Geste.

Grimmig nickte Jack ihm zu. Der Mann trug schließlich keine Schuld an seinem Gemütszustand. Es war einfach alles …

Der Gedanke blieb unvollendet. Wie angewurzelt blieb Jack stehen und starrte mit offenem Mund auf das Bild, das sich ihm bot.

Vor ihm stand ein festlich gedeckter Tisch. Und unter dem Tisch ragte ein Paar Beine hervor, mit schlanken Waden, zarten Knöcheln und Füßen in einem Paar hautfarbener Pumps.

Sophia lag unter dem Tisch und starrte auf dessen Unterseite, die Lily McGregor gerade mit einer Taschenlampe anleuchtete.

„Das ist toll, oder?“ Das kleine Mädchen deutete auf die Sternenkonstellation, die die Taschenlampe auf die dunkle Unterseite der Tischplatte projizierte.

„Ja, tatsächlich. Hast du die ganze Zeit hier gesteckt? Weißt du, Ms. Archer macht sich große Sorgen um dich.“

Lily runzelte die Stirn. Ihr Gesicht wirkte ernst und aufrührerisch zugleich. Sophia hatte den leisen Verdacht, dass sie gleich eine Ausrede zu hören bekommen würde.

„Sie lässt mich nie die Sterne angucken. Sie sagt, damit würde ich nur meine Zeit verschwenden. Ich soll lieber lesen und rechnen lernen.“

„Ms. Archer will bestimmt nur dein Bestes.“

Lily schaute zu den Sternen hoch. „Ich will Astronautin werden! Rechnen brauche ich nicht.“

Sophia lachte leise. „Rechnen – Mathematik – ist aber sehr wichtig für Astronautinnen.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“

Lily seufzte und schob die Unterlippe vor. „Vielleicht kann ich ja ein bisschen rechnen lernen …“

„Was geht hier vor sich?“

Die donnernde, tiefe Stimme übertönte Lilys Worte. Sie riss die Augen auf und schaltete die Taschenlampe aus.

„Oh, oh. Daddy ist wütend!“

Daddy ist wütend. Sophia versuchte, die Szene aus McGregors Blickwinkel zu sehen, und spürte, wie sie errötete. Nicht dass sie Grund zur Verlegenheit gehabt hätte: Immerhin hatte sie seine Tochter gefunden, und dafür sollte er lieber dankbar sein.

„Lily! Komm augenblicklich her!“

„Tut mir leid“, flüsterte das kleine Mädchen ihr zu, drehte sich auf die Knie und krabbelte unter dem Tisch hervor. Ihre schwarzen Locken wippten.

Bei Lily wirkte das Manöver einfach und elegant, und Sophia hätte dasselbe tun sollen. Aber auf dem Rücken unter dem Tisch zu liegen, während jemand auf sie herabstarrte, machte sie so verlegen, dass sie sich einen Moment lang kaum rühren konnte.

„Warum bist du einfach davongelaufen?“

Sophia konnte keine Antwort hören, nur ein Schniefen. Im nächsten Moment hob sich das Tischtuch, und ein Paar ausdrucksvoller grauer Augen starrte auf sie herab.

„Ms. Lambert, nehme ich an?“

Sie schaute von unten zu Jack McGregor hinauf und wünschte sich, der Erdboden würde sich auftun und sie verschlingen. Seine grauen Augen waren viel zu schön, doch gleichzeitig wirkte sein Blick viel zu hart.

Na los, Sophia.

Sie räusperte sich, rollte sich auf die Seite, kniete sich hin und zupfte ihr Kleid zurecht, damit es ihr nicht über den Po rutschte. Dabei vermied sie es, Mr. McGregor anzusehen. Selbst in seiner gebückten Position verströmte er eine raubtierhafte Anmut; Macht, Eleganz und Stärke. Bei seinem Anblick verschlug es ihr schier die Sprache.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. McGregor“, sagte sie, als es ihr endlich gelang, aufzustehen und ihn anzuschauen – nur, um sich zu wünschen, sie hätte es nicht getan. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihn sich älter vorgestellt und gedacht, die Medien würden übertreiben, was sein Äußeres anging. Sein gut aussehendes, markantes Gesicht gehörte auf das Cover einer Illustrierten, und sein Körper …

Sophia schluckte. Solche Gedanken waren ungehörig und halfen ihr ganz und gar nicht dabei, professionell zu wirken. Er war ein Gast, ein äußerst wichtiger Gast, den sie unbedingt durch ihre Haltung und Höflichkeit beeindrucken sollte.

„Jack.“ Er reichte ihr die Hand, und sie zuckte ein wenig zusammen.

Na toll. Jetzt hielt er sie wahrscheinlich für ängstlich.

„Sophia.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. Die Intensität seines Blickes ließ sie sich nackt fühlen. Es war, als könnte er jeden Gedanken lesen, der ihr durch den Kopf ging.

Sophia holte tief Luft und schüttelte ihm die Hand. Wärme rann durch ihre Finger, ihren Arm entlang, ging ihr bis tief in den Bauch.

Er musterte sie von Kopf bis Fuß wie ein Panther, der zum Sprung ansetzte. Vielleicht waren es sein ungebändigtes schwarzes Haar, sein gebräunter Teint und die leicht schräge Form seiner Augen, die sie an eine Raubkatze erinnerten.

„Ich mag Fia, Daddy. Kann sie mit uns Tee trinken?“

Wie bitte?

Sophia gab einen erstickten Laut von sich, der von einem plötzlichen, bellenden Lachen des Mannes vor ihr übertönt wurde.

Lachen konnte der Panther also. Faszinierend. Und irritierend, besonders, wenn sie dringend eine Grenze ziehen musste. Private Treffen mit Hotelgästen kamen für sie nicht infrage.

„Ich glaube, Fia hat wichtigere Dinge zu tun.“

Die Art, wie McGregor prompt die Namensvariante aufnahm, die seine Tochter gewählt hatte, ließ Sophia im Inneren erglühen. Sie öffnete den Mund, aber es kam kein Wort heraus.

„Es sei denn natürlich, das ist nicht der Fall?“ McGregor musterte sie mit scharfem Blick. „Dann würden wir Sie gern einladen, als Dank dafür, dass Sie meine kleine Ausreißerin wiedergefunden haben.“

Sophia schaute von ihm zu seiner Tochter, die sie flehend aus grauen Augen ansah.

Wie sollte sie es anstellen, McGregors verlockendes Angebot abzulehnen, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen? Einen so betuchten Kunden durfte sie unmöglich kränken.

Jack schaute in Sophia Lamberts hübsche blaue Augen und fragte sich, was er eigentlich gerade tat. Sie war die Hotelmanagerin, um Himmels willen!

Es war Lilys Schuld. Wenn sie nicht auf die Idee gekommen wäre … Von allein wäre er nicht darauf verfallen.

Er war sich nicht sicher, ob er gerade mit seinem Kopf dachte. Der Anblick zweier wohlgeformter, schlanker Beine und das Wissen, dass diese Frau sich ohne Zögern auf eine Ebene mit seiner Tochter begeben hatte, ließen ihn nicht los.

Sophia blinzelte, und auf ihren Wangen zeigte sich eine zarte Röte, als sie vor Lily in die Hocke ging. Jack schaute auf rotbraunes Haar herab, das zu einem Knoten aufgesteckt war. Ein paar Strähnen fielen ihr lose in den Nacken, auf die cremefarbene Haut und die zarten Sommersprossen, die unter dem hochgeschlossenen, marineblauen Kleid zu sehen waren. Er räusperte sich und fragte sich, warum sein Mund auf einmal so trocken war.

„Das ist ein wirklich nettes Angebot, Lily“, sagte Sophia sanft. „Aber ich fürchte, ich muss noch arbeiten.“

„Jetzt klingst du wie mein Papa!“

Jack zuckte innerlich zusammen. Aber ein milliardenschweres Unternehmen konnte man nun einmal nicht ohne Überstunden leiten. Lily fehlte es an nichts – und seine Arbeit stellte sicher, dass es so bleiben würde.

„Weißt du, dieses große Gebäude – dieses Hotel …“ Sophia deutete auf den Raum, und Lily nickte. „Es steht unter meiner Aufsicht. Wenn ich mich nicht darum kümmere, dann funktioniert es nicht richtig. Ich sorge dafür, dass wichtige Gäste wie du sich hier wohlfühlen.“

„Du bist der Boss!“

Sophia lachte, und der Klang ging Jack unter die Haut. „Ja. Ich bin der Boss.“

„Eines Tages will ich auch der Boss sein. Auf dem Mond!“

Sophia berührte sanft Lilys Wange. „Dann denk daran, dass du dafür lesen und rechnen können musst.“

Lily schaute von ihr zu Jack. Er erwartete, sie mit den Augen rollen zu sehen, doch stattdessen griff sie nach seiner Hand, schaute Sophia an und nickte ernst. „Okay.“

„Braves Mädchen.“ Sophia wuschelte Lily durchs Haar, bevor sie aufstand und Jack ansah. Die Röte war fast ganz aus ihren Wangen gewichen. „Ich hoffe, in Ihren Zimmern ist alles zu Ihrer Zufriedenheit“, sagte sie glatt, gab sich jetzt ganz kühl und professionell. Er wollte gern die andere Version von ihr zurückhaben, die gerade so nett mit seiner Tochter geplaudert hatte. „Aber wenn es irgendetwas gibt, das wir für Sie tun können, zögern Sie bitte nicht, es uns wissen zu lassen.“ Sie deutete in Richtung Tür. „Wollen wir dann, Mr. McGregor?“

„Jack, bitte.“ Normalerweise machte es ihm nichts aus, wenn die Leute formell blieben. Daran war er gewöhnt. In Sophias Fall allerdings schien er es nicht auf sich beruhen lassen zu können.

Wieder errötete sie leicht und räusperte sich. „Jack.“

Besser. Viel besser.

Sie mied seinen Blick, während sie sich an ihren Assistenten wandte.

„Andrew, können Sie Jack und Lily bitte in ihre Suite begleiten?“

„Natürlich.“

Jack sah den älteren Gentleman an. Er wusste, von wem er lieber begleitet werden wollte …

„Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Mr. … ich meine, Jack, und dich auch, Lily. Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt.“ Damit drehte sie sich um und schwebte aus dem Raum, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Er wünschte sich, sie würde es tun.

„Daddy?“ Lily zupfte ihn am Ärmel, und er schaute zu ihr herunter.

„Ja?“

„Ich glaube, du solltest sie umstimmen.“

Er lachte, stimmte ihr insgeheim aber zu.

Warum, wusste er nicht.

Aber das Verlangen war da.

2. KAPITEL

Sophia rieb sich den Nacken und unterdrückte ein Gähnen. Es war fast zehn, und sie hätte längst nach Hause gehen sollen, aber dort wartete nur ihre leere Wohnung auf sie. Und die Vergangenheit.

Morgen begann der Februar. Das war besser. Sie ließ den zehnjährigen Todestag ihrer Schwester hinter sich, eine Dekade voller Schuldgefühle und Trauer. Dabei heilte die Zeit doch angeblich alle Wunden …

Sie schaute auf ihren Computerbildschirm und beendete die Programme, die noch liefen. Als sie gerade den Internetbrowser schließen wollte, kam ihr das Gesicht von Jack McGregor in den Sinn, und ihr Herz schlug ein wenig schneller.

Das war ihr noch nie passiert. Sie war vierundzwanzig Jahre alt, und von ein paar Küssen als Teenager mal abgesehen, hatte sie keinerlei Erfahrung mit Männern. Sie hatte geglaubt, dieser Teil von ihr sei tot, jeder Hauch von Begierde erstickt von Selbstdisziplin und dem anhaltenden Schmerz, den der Verlust ihrer sorglosen, lebensfrohen kleinen Schwester Amy hinterlassen hatte.

Aber als sie Jack in die Augen gesehen hatte, hatte sie es nicht leugnen können: die Aufregung, das Kitzeln … Es hatte all ihre Selbstbeherrschung erfordert, seine Einladung zum Essen abzulehnen.

War es, weil auch er jemanden verloren hatte, den er liebte? Gab es da eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen, die sie zu ihm hinzog?

Sophia war keine Romantikerin. Während ihre Freundinnen von Hochzeiten und Kindern träumten, stürzte Sophia sich in die Arbeit, versuchte, das Beste aus sich zu machen, möglichst viel zu erreichen.

Für ihre Eltern war sie trotzdem unsichtbar, ganz egal, was sie tat, welche Auszeichnungen sie gewann, wie schnell sie befördert wurde. Sophia konnte ihre kleine Schwester nicht zurückbringen, deren Unfall sie selbst verschuldet hatte.

Sie presste die Hand auf ihren Bauch, als sich ihr Magen schmerzhaft zusammenkrampfte. Das Gefühl der Übelkeit würde vergehen, das tat es immer. Der Schmerz jedoch ließ nie nach.

Heute allerdings … heute hatte sie einen Hauch von etwas ganz anderem gefühlt, und ihre Finger bewegten sich fast von selbst über die Tastatur und tippten Jack McGregors Namen ein. Sie drückte „Enter“, bevor sie es sich anders überlegen konnte, und da war er, überall auf ihrem Bildschirm: Bilder und Artikel, einer nach dem anderen.

Was tue ich nur?

Er hatte bestimmt kein Interesse an ihr. Warum auch? Er war ein stinkreicher Geschäftsmann, dessen Leben sich in ganz anderen Kreisen abspielte als ihres.

Doch das Wissen darum hielt sie nicht davon ab, weiterzulesen, und löschte auch nicht den Funken, den er in ihr entzündet hatte.

Sophia lächelte schwach. Zum ersten Mal in ihrem Leben verstand sie die Fantasien ihrer Freundinnen.

Schade nur, dass sie zu klug war, um zu träumen, zu zynisch, um sich vorbehaltlos den Gefühlen hinzugeben, die Jack in ihr wachrief. Allein hier in ihrem Büro konnte sie der Illusion erliegen, dass sie im tiefsten Inneren nicht tot und erfroren war.

Jack war ratlos.

Er hatte sich mit den unerwarteten Schwierigkeiten bei der Übernahme auseinandergesetzt und Ms. Archer beruhigt, sodass sie nicht sofort ihre Koffer gepackt, sondern sich entschieden hatte, ihnen noch eine Chance zu geben; hatte Lily ins Bett gebracht. Aber die letzten Worte seiner Tochter, als er ihr eine gute Nacht gewünscht hatte, hallten in ihm wider.

Wann können wir Fia sehen?

Von Lily abgesehen, hatte er an wenigen Menschen ein aktives Interesse. Das letzte Mal, als jemand mehr von ihm gewollt hatte, hatte er sich als Enttäuschung erwiesen. Lange vor dem Unfall, lange vor Lily. Er hatte versucht, Elena glücklich zu machen, aber es hatte nie gereicht. Er hatte nicht gereicht.

Jack fuhr sich mit der Hand durchs Haar und beugte sich auf seinem Stuhl vor, griff nach der Whiskykaraffe, die auf dem Schreibtisch stand, und goss sich einen Schluck ein.

Nie wieder wollte er in eine solche Situation geraten. Er war in Armut aufgewachsen. Mit sechs Jahren war er in staatliche Obhut gekommen, weil seine drogensüchtige Mutter sich nicht mehr um ihn gekümmert hatte. Als er neun gewesen war, war sie an einer Überdosis gestorben. Und bald danach, auf seiner langen Reise von einer Pflegefamilie zur nächsten, hatte er begriffen, dass er nur dann die Kontrolle über sein Leben haben würde, wenn er sich finanziell unabhängig machte.

Also hatte er sich auf das Lernen konzentriert, auf eine gute Ausbildung. Und dann war er Elena begegnet, ebenfalls ein Pflegekind. Sie hatten eine Zeit lang in der gleichen Familie gelebt. Zwischen ihnen war ein enges Band entstanden, das niemand zerstören konnte.

Er hatte ihr geschworen, sie mitzunehmen, sich um sie zu kümmern. Sie beide würden ihrem harten Schicksal entkommen. Elena hatte ihn geliebt und er sie – soweit er dazu in der Lage war. Allerdings war im Laufe der Zeit, zumindest für ihn, eher eine Freundschaft daraus geworden, obwohl ihm das nicht gleich klar gewesen war.

Als sie ihn gefragt hatte, ob sie heiraten wollten, hatte er es schon gewusst, es aber nicht ertragen, ihr die Wahrheit zu sagen. Und dann war sie schwanger geworden, und Jack hatte gewusst, dass er es ihr niemals würde anvertrauen können.

Er hatte seine eigenen Gefühle unterdrückt und sich geschworen, für sie da zu sein. Sie hatten geheiratet und Lily bekommen. Jack hatte sich in die Arbeit gestürzt, Überstunden gemacht und war auf Geschäftsreisen gegangen – teils aus Gewohnheit, teils, um ihr aus dem Weg zu gehen. Natürlich hatte es ihre Beziehung belastet. Elena hatte mehr von ihm gewollt: mehr Zeit als Vater, mehr Zeit als Partner, mehr Liebe.

In der Nacht des Unfalls hatte er lange gearbeitet und wieder einmal das Versprechen gebrochen, rechtzeitig zum Abendessen zu Hause zu sein. Elena hatte das Essen für ihn auf dem Tisch stehen lassen und war mit Lily in den Park gegangen … Als er aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen war, Lily in den Armen, war alles dunkel gewesen, kalt und still.

Jack kippte den Whisky herunter.

Elena war einsam gewesen, und das war seine Schuld. Sie hatte ihn geliebt, und wie hatte er es ihr vergolten?

Nein, er verdiente die Liebe eines anderen Menschen nicht. Außer vielleicht die von Lily. Ihr schenkte er auch seine Liebe, bedingungslos. Seine Tochter hatte absolute Priorität.

Aber warum wollte er dann unbedingt Sophia wiedersehen, wenn dadurch alles nur komplizierter werden würde?

Er umklammerte das Whiskyglas und starrte auf die Londoner Skyline. Die Aussicht allein machte das Penthouse zu einer der begehrtesten Suiten Londons, aber an ihn war sie verschwendet.

Was würde Ms. Lambert wohl dazu sagen?

Er beschwor ihr Bild herauf – ihre helle Haut mit den zarten Sommersprossen, ihre leuchtend blauen Augen, ihr rotbraunes Haar, das er vor sich auf dem Kissen ausgebreitet sehen konnte … Die Hitze einer Anziehungskraft, die er sehr lange nicht gespürt hatte, vertrieb die Kälte.

Ausgerechnet in dieser Stadt, Elenas Stadt.

Er hasste London. Hier waren sie zu Hause gewesen, hier war sie gestorben.

Allerdings war es kein Hass gewesen, den er bei Sophia Lamberts Anblick empfunden hatte. Nein, ganz im Gegenteil.

Das war der Grund, weshalb er nicht schlafen konnte. Aber allein im Penthouse zu sitzen half auch nicht. Er hätte besser ins Fitnessstudio gehen sollen, statt Whisky zu trinken, aber nun, nach zwei Gläsern, stand das nicht mehr zur Debatte.

Vielleicht sollte er sich lieber in die Hotelbar setzen. Der Anblick anderer Menschen würde ihn vielleicht von der Vergangenheit ablenken – und von der gefährlichen Ms. Lambert.

Elf Uhr. Sie hätte wirklich früher gehen sollen.

Stattdessen hatte sie sich in dem Rätsel Jack McGregor verloren.

Waise, verheiratet mit seiner Jugendliebe, Selfmade-Milliardär. Es war das reinste Märchen. Die Medien hatten alle persönlichen Details, deren sie hatten habhaft werden können, ausgeschlachtet, selbst den Drogentod seiner Mutter.

Sophia empfand schmerzliches Mitgefühl, als sie weiterlas. In den letzten Jahren war es ruhig um ihn geworden. Keine Gerüchte über sein Privatleben, keine Bilder von seiner Tochter. Es ging immer nur um geschäftliche Dinge oder wohltätige Zwecke. Ihre stille Bewunderung wuchs.

Wie es wohl wäre, mit ihm am Tisch zu sitzen, ihn kennenzulernen und zu erfahren, wie er geworden war, wer er war – wie es war, alles zu erreichen und die Person, die einem am nächsten stand, zu verlieren? Er hatte seine Frau verloren.

Sophia rieb sich die Augen. Weinen half nichts, das hatte sie über die Jahre gelernt. Es änderte nichts.

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