Wie erobere ich meinen Boss?

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Braungebrannt, ein freches Lächeln, und diese breiten Schultern … Zoe findet Sam einfach umwerfend. Aber er ist nicht nur der sexy Surfer vom Strand, sondern als Dr. Webster auch ihr neuer Boss! Ein Kardiologe, der ihr Herz gefährlich schnell schlagen lässt …


  • Erscheinungstag 07.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719593
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Warum schienen Unfälle immer wie in Zeitlupe abzulaufen?

Als hätte man alle Zeit der Welt, um eine Warnung zu brüllen, hinzurennen, den Hund aus der Gefahrenzone zu reißen und den Idioten in seinem Strandbuggy dazu zu bringen, die Richtung zu ändern. Doch in Wirklichkeit blieben Zoe Payne nur Sekunden, um eine Katastrophe zu verhindern.

Nicht annähernd genug.

Sie hatte am Hang oberhalb des Strands gesessen, der vom Gold Coast City Hospital mit dem Auto in nur fünf Minuten zu erreichen war, und den Sonnenuntergang bewundert. Ein orangegoldener Hauch lag auf den Schaumkronen der Wellen, die warme Seeluft streichelte Zoes Haut, und der Blick auf den Pazifik war atemberaubend.

Wie der einsame Surfer dort draußen.

Er war gut. Sehr gut. Geduldig wartete er auf die richtige Welle, nahm sie geschickt und glitt mühelos darauf entlang, bis sich der Brecher schäumend am Strand ergoss.

Reine Poesie, dachte sie, fasziniert von der Eleganz, mit der er sich bewegte. Als wäre er eins mit dem Ozean. Und er sah nicht schlecht aus. Groß, athletisch gebaut, mit sonnengebleichtem Haar.

Doch sie hatte auch den Hund beobachtet. Er lag halb verborgen in den Dünen. Sie hätte ihn sicher nicht bemerkt, wenn er nicht jedes Mal aufgesprungen wäre, sobald der Surfer sich dem Strand näherte. Der schokoladenbraune Labrador preschte aus seinem Versteck und stürzte sich ins Wasser. Der Mann begrüßte ihn, tollte ein bisschen mit ihm herum und verschwand dann wieder aufs Meer hinaus. Und der Hund zog sich in sein Versteck zurück.

Zoe hatte überlegt, ob sie hingehen, ein bisschen mit ihm reden sollte. Es war ihre erste Woche am Gold Coast City Hospital, und sie hatte Heimweh. Doch sie blieb auf ihrem Platz. Ein unbestimmtes Gefühl verriet ihr, dass die beiden lieber für sich waren.

Sie blieben jedoch nicht allein. Ein Strandbuggy verließ mit aufheulendem Motor die Straße und röhrte auf den Strand.

Hier hatte er nichts zu suchen. Überall standen Schilder, dass dies ein geschützter Strand war. Verboten für Fahrräder, Pferde, Autos.

Der Kerl am Steuer beschleunigte, raste in halsbrecherischem Tempo auf die Dünen zu, setzte auf einer auf, hob ab, hielt auf die nächste zu.

Der Hund …

Zoe sprang auf, schrie, während sie loslief, doch sie war nicht schnell, ihre Stimme nicht laut genug.

Oh, lieber Himmel, nein!

Das Gefährt krachte auf die Düne, hinter der der Hund lag, landete in der Senke, nahm die nächste Hürde. Der Fahrer setzte seine wilde Fahrt auf dem Strand fort, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was er unter den breiten Reifen zermalmt hatte.

Sam Webster trieb auf seinem Surfbrett dahin und wartete auf die richtige Welle. Für heute sollte es genug sein. Er kannte die Gefahren, die im nächtlichen Meer lauerten, und nur ein Dummkopf ging das Risiko ein. Außerdem wurden die guten Wellen weniger, und wenn er nicht bald eine erwischte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zum Strand zurückzupaddeln. Was durchaus zehn Minuten dauern konnte.

Ja, es war Zeit, aufzuhören und mit Bonnie nach Hause zu fahren. Ab ins Bett.

Zum Schlafen? Unwahrscheinlich. Sam schlief nicht gut, und ohne Surfen morgens und abends hätte er sicher kaum ein Auge zugetan. Sein Job am Krankenhaus forderte ihn, und er packte die Tage bis zur Erschöpfung mit Arbeit voll. Doch es nützte nichts, die Schlafstörungen blieben. Die Nacht war keine gute Freundin.

Aber Bonnie musste nach Hause. Wo war eine Welle, wenn man sie brauchte?

Sam hörte den Strandbuggy, noch bevor er ihn sah. Der starke Motor dröhnte, jaulte auf, als der Fahrer auf die Tube drückte und direkt auf die Dünen zuhielt.

Die Dünen …

„Bonnie!“, brüllte Sam und paddelte los, aber die Gezeitenwende hatte eingesetzt, und er kam kaum vorwärts.

Der Buggy rumpelte über den Strand.

Prallte auf die Düne, hinter der Bonnie lag.

Sam starrte auf die Senke, wo sich Bonnie eine Kuhle im kühlenden Sand gegraben hatte. Nichts rührte sich.

Als wäre Bonnie nie dort gewesen.

Eine Gestalt rannte den Hang hinunter. Eine Frau. Sam schenkte ihr keine Beachtung, dachte nur an Bonnie.

Eine Welle! Ich brauche eine Welle!

Im ersten herzzerreißenden Moment dachte sie, die Hündin wäre tot. Der braune Labrador lag im Sand, überall war Blut, sammelte sich unfassbar schnell zu einer großen Lache.

Zoe sank auf die Knie. „Hey“, flüsterte sie sanft, um den Hund nicht zu erschrecken. „Hey.“

Dunkle Augen blickten ihr schmerzerfüllt entgegen.

Instinktiv wusste Zoe, dass das verletzte Tier nicht nach ihr schnappen würde. Oder war es schon zu schwach dazu? Kopf, Brust und Vorderbeine sahen unversehrt aus, aber der linke Hinterlauf war fast auf ganzer Länge aufgerissen.

So viel Blut …

Zoe zerrte sich die Bluse vom Leib, zerriss sie in zwei Teile, faltete den einen zu einer Kompresse, die sie mit dem anderen auf die Wunde band. „Tut mir leid, Mädchen, ich will dir nicht wehtun, aber ich muss die Blutung stillen.“

Selbst wenn es ihr gelang … Das Tier hatte schon enorm viel Blut verloren.

Ich brauche Hilfe. Sie hatte Patienten gesehen, die nach hohem Blutverlust einen Herzstillstand erlitten, und genau das drohte hier auch.

Sie blickte aufs Meer hinaus. Der Surfer paddelte, als ginge es um sein Leben, doch er war viel zu weit draußen. Und keine Welle in Sicht, die ihn schneller hergetragen hätte.

Bis der Mann den Strand erreichte, würden noch gut fünf Minuten verstreichen. Für die Hündin zählte jede Minute. Zoe hatte die Blutung nur verlangsamt, nicht endgültig gestoppt.

In der Nähe des Krankenhauses hatte sie eine Tierarztpraxis gesehen, zufällig, als sie nach ihrem ersten Arbeitstag auf der Suche nach einem Supermarkt die Gegend erkundete. Zoe erinnerte sich genau an das Schild. „Für Notfälle jederzeit geöffnet.“

Und das hier war ein Notfall.

Ihr Wagen stand direkt am Strand. Kann ich den Hund tragen?

Wieder blickte sie aufs Meer, zum Surfer. Sicher der Besitzer des Hundes. Ich sollte warten, dachte sie.

Und ihm einen toten Hund übergeben?

Sie hatte keine Wahl. Zoe schrieb etwas in den Sand, hob das große Tier auf die Arme, strauchelte kurz unter seinem Gewicht, fing sich und lief los.

Sam paddelte wie ein Wilder, verzweifelt, weil er kaum vorankam.

Die lang auslaufenden Wellen, die ihn den ganzen Abend über zuverlässig ans Ufer getragen hatten, waren verschwunden. Ruhig und glatt wie ein Seidentuch lag das Meer da, doch das Bild täuschte. Die einsetzende Ebbe verursachte einen Sog, der jede Bewegung noch erschwerte.

Normalerweise hätte er sich parallel zum Gezeitensog von der Strömung ans Ufer treiben lassen, gemächlich und ohne diesen Kampf. Aber die Zeit hatte er nicht.

Er musste zu Bonnie.

Emilys Hund.

Sam erinnerte sich genau an den Tag, als sie den Welpen mit nach Hause brachte. „Sieh sie dir an, Sammy, ist sie nicht süß? Sie lag im Schaufenster einer Tierhandlung, ich konnte sie einfach nicht dalassen.“

Beide noch im Medizinstudium und arm wie die Kirchenmäuse, teilten sie sich damals ein Zimmer im Studentenheim der Universität. Einen Hund konnten sie dort nicht halten. Also mussten sie ausziehen und mehr Miete aufbringen. Abgesehen davon, dass ihnen das aufwendige Studium gar keine Zeit ließ, sich um einen lebhaften Hund zu kümmern. An all das hatte Em nicht gedacht.

Sie hatte einen niedlichen Hund gesehen und ihn gekauft. Ohne Rücksicht auf die Folgen.

Diese Sorglosigkeit – oder war es Eigensinn? – hatte sie auch das Leben gekostet. Emily war tot und der Hund das Einzige, das Sam von ihr geblieben war. Jetzt war sein Hund verschwunden, von einer Fremden über die Dünen zur Straße hochgetragen und nicht mehr zu sehen. Sam hatte das Gefühl durchzudrehen.

Als er endlich den Strand erreichte, ließ er sein Surfbrett fallen und rannte los.

Was er in den Dünen fand, jagte ihm einen eisigen Schauer über die Haut, Übelkeit drückte ihm auf den Magen.

Der Sand in der Kuhle, wo Bonnie gelegen hatte, war blutgetränkt.

So viel Blut … wie sollte sie bei dem Blutverlust überleben?

Und wo war sie?

Er sah sich um und entdeckte drei Buchstaben im Sand, krakelig, wie mit dem Fuß geschrieben.

VET

Sehr vernünftig. Aber wo? Wo war der nächste Veterinär?

Während er auf Bonnies Blut starrte, herrschte in seinem Kopf ein einziges Chaos.

Dann fiel es ihm ein – die Tierarztpraxis ganz in der Nähe des Krankenhauses! Dort war er mit Bonnie schon gewesen.

Sam zerrte sich den Neoprenanzug vom Körper und lief zur Straße hoch.

So viel Blut … Unmöglich, dass sie überlebte.

Aber sie musste überleben. Ohne Bonnie blieb ihm nichts mehr.

Die Tierarztpraxis war tatsächlich geöffnet, und ihr kam sogar ein Arzt entgegen. Vielleicht weil sie wie eine Irre auf den Parkplatz gerast war und ruckartig bremste, sodass die Reifen quietschten. Kaum war sie aus dem Wagen, tauchte auch schon ein Mann mittleren Alters im Arztkittel neben ihr auf.

„Verkehrsunfall.“ Zoe hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf, verdrängte, wie sie aussehen musste … nur in BH, Jeans und Sandalen, vom Hals bis zur Hüfte mit Blut beschmiert.

Der Tierarzt packte sie am Arm und zog sie zu sich herum, ohne dem Hund auch nur einen Blick zu gönnen. „Sind Sie verletzt?“

Es waren doch ein paar mehr Worte nötig. Mensch ging vor Tier, auch für einen Veterinär.

„Ein Buggy unten am Strand hat sie erwischt“, antwortete sie. „Mir ist nichts passiert. Das ist alles ihr Blut. Sie gehört mir nicht. Der Besitzer war draußen beim Surfen, aber ich konnte nicht warten. Sie verblutet.“

„Noch nicht.“ Der Arzt beugte sich in den Wagen, hatte anscheinend den behelfsmäßigen Druckverband gesehen. „Das ist Bonnie.“ Er vergewisserte sich mit einem Blick auf die Hundemarke am Halsband. „Sie gehört einem der Ärzte hier. Sam Webster. Sind Sie Medizinerin?“

„Krankenschwester.“

„Großartig. Ich bin allein in der Praxis und könnte Hilfe gebrauchen. Schaffen Sie das?“

„Natürlich.“

Er hatte ihre Antwort nicht abgewartet, die Hündin bereits aus dem Auto gehoben und trug sie nun Richtung Eingang.

2. KAPITEL

Hier war er richtig.

Sam fuhr auf den Parkplatz der Tierarztpraxis und sah einen alten Wagen genau vor dem Eingang stehen. Roststellen und etliche Beulen verrieten, dass er schon bessere Tage gesehen hatte. Eine der hinteren Türen stand weit offen, und der Rücksitz war voller Blut.

Eine Spur von Blutflecken zog sich über den Asphalt bis zur Tür.

Ihm wurde schlecht.

Sein Neoprenanzug lag am Strand. Sam war barfuß und trug nichts am Leib außer seiner Surfershorts. Er fühlte sich entblößt, aber das hatte nichts damit zu tun, dass er kaum etwas anhatte.

Reiß dich zusammen, ermahnte er sich. Du bist Arzt. Handle wie bei jedem Notfall.

So spät am Abend war die Praxis leer. Von der Reinigungskraft abgesehen, die den Boden putzte. Der Mann blickte Sam missmutig an.

„Erst Blut, jetzt auch noch Sand. Ich habe hier gerade gewischt.“

„Wo ist mein Hund?“

„Wenn Sie den halb toten Labrador meinen, den die Frau gebracht hat – der Doktor ist mit ihm im OP.“ Er zeigte auf die Flügeltüren hinter dem Empfangstresen. „Die Frau ist auch da drin. Wollen Sie sich setzen und warten? He, Sie können da nicht rein. Warten Sie doch …“

Aber Sam hörte ihn kaum, marschierte über den feuchten Fußboden und stieß die Türen auf.

Die Hände noch an den Türen, blieb er abrupt stehen.

Er mochte ein Hundebesitzer sein, der vor Sorge fast verrückt wurde, aber Sam Webster war auch immer noch Arzt. Ein Herzchirurg, spezialisiert auf pädiatrische Kardiologie. Die OP-Säle, in denen er operierte, waren so steril, dass im Umkreis von fünfzig Fuß sich kein Keim auch nur in die Nähe gewagt hätte.

Obwohl ihn alles zu seinem geliebten Hund hinzog, so hatte Sam sich doch so weit im Griff, dass er keinen Schritt weitergehen konnte.

Bonnie lag auf dem OP-Tisch. Aus einem Infusionsbeutel tropfte Kochsalzlösung in einen intravenösen Zugang in ihrem Bein. Doug, der Tierarzt – Sam kannte den Mann, weil er Bonnie zu ihren jährlichen Impfungen herbrachte –, zog gerade eine Spritze auf.

Elektroden von einem Defibrillator lagen auf dem Boden. Wie achtlos hingeworfen.

Sam zählte eins und eins zusammen. Starker Blutverlust. Herzversagen.

Aber der Arzt injizierte den Inhalt der Spritze, und die junge Frau am Kopfende hielt Bonnies Kopf und sprach leise auf sie ein. Bei einem toten Hund hätten sie das nicht getan.

Doug blickte auf und sah ihn. „Na toll“, brummte er. „Der Arzt betritt die Bühne, nachdem die schwere Arbeit getan ist. Habe ich recht, Schwester Zoe?“

Sam hörte ihm an, wie angespannt er war. Bonnie war also noch nicht übern Berg. Doch die junge Frau hat seinen Hund hierhergeschafft, und Bonnie hatte wenigstens eine Chance, das hier zu überleben.

Wenn ihr Herz unten am Strand stehen geblieben wäre …

„Wie fit sind Sie in Anästhesie?“ Die barsche Frage riss Sam aus seinen Gedanken.

„Ein bisschen eingerostet, aber okay.“

„Besser als nichts. Menschen, Hunde, da ist kein großer Unterschied. Ich sage Ihnen die Dosierung. Sie müssten die Narkose einleiten und intubieren. Zoe kann das nicht übernehmen, und mein Partner wird nicht rechtzeitig hier sein. Also, wenn Sie sich nützlich machen wollen, fangen Sie an mit Schrubben, und helfen Sie uns.“

„Wie … wie ist die Lage?“ Sam betrachtete Bonnie, doch sein Blick glitt zu der Frau, die immer noch seiner Hündin den Kopf hielt.

Bis auf einen BH und Jeans hatte sie nichts an, ihre kastanienbraunen Locken klebten ihr im Gesicht, und sie war über und über mit Blut beschmiert.

Trotzdem sah sie … hinreißend aus.

„Sprechen Sie nicht“, beschwor sie ihn. „Nicht bis Sie sich steril gemacht haben und bei ihr sein können. Als sie Ihre Stimme gehört hat, wollte sie zu Ihnen.“

Sam schaltete endgültig in den Arztmodus und ging zum Waschbecken. Bonnie musste ruhig liegen bleiben, selbst den Kopf zu heben war zu anstrengend für sie.

„Alles gut, Mädchen, alles gut“, hörte er Zoe flüstern. Ihr Gesicht war dicht an Bonnies Kopf, während sie sie hinterm Ohr kraulte und das seidenweiche Fell streichelte.

Das war also die Frau, die seinem Hund das Leben gerettet hatte. Aus der Ferne, als er sie vom Meer aus beobachtete, war ihm nicht klar gewesen, wie schlank und zierlich sie war. Und das Blut … wäre sie in dem Zustand in der Notaufnahme des Gold Coast City aufgetaucht, hätte sie die gesamte Abteilung mit Code Blue auf den Plan gerufen.

Auf dem Fußboden entdeckte er ihre Bluse, entzweigerissen, ein Teil davon zu einer Kompresse gefaltet. Das erklärte, warum sie nur ihren BH trug.

Bewunderung erfüllte ihn, weil sie das für seinen Hund getan hatte.

War sie Tierarzthelferin? Wenn ja, dann hatte er ein unglaubliches Glück gehabt, dass sie zufällig am Strand gewesen war.

Glück? Sam sah zu Bonnie. Sie brauchte noch mehr davon.

Doug spritzte das Narkotikum. Sam trocknete sich Hände und Arme ab und zog Handschuhe über, bevor er die Intubation übernahm. Zoe trat beiseite, um ihn nicht zu behindern. Als der Tubus saß, assistierte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die Sam erneut Respekt abnötigte.

Ganz bestimmt war sie Tierarzthelferin, und zwar eine ausgesprochen gute. Sie ließ Doug nicht aus den Augen, erahnte, was er brauchte, und kam seinen knappen Aufforderungen nach, bevor er sie zu Ende gesprochen hatte. Schnell, sicher und kompetent.

Doug war auch gut. Durch die Flüssigkeitszufuhr verbesserten sich Bonnies Vitalzeichen, und Doug hatte alles, was an Ausstattung nötig war, um sie gründlich zu untersuchen. Die Röntgenbilder zeigten, dass die Hündin tatsächlich Glück gehabt hatte.

Der linke Hinterlauf wies zwar einen komplizierten Bruch auf, und sie hatte auch zwei Rippen gebrochen, aber das war alles. Ihr Blutdruck blieb stabil, was schwere innere Blutungen ausschloss.

„Ich kann eine Platte einsetzen“, sagte Doug. „Das ist einfacher, als Ihre Hündin über Wochen ruhig zu halten. Wenn Sie mir assistieren …“

Selbstverständlich. Sam wagte zu hoffen, dass Bonnie es schaffte.

Die junge Frau sagte kaum etwas. Doch obwohl sie kreidebleich im Gesicht war und mitgenommen wirkte wie nach einem Schock, arbeitete sie umsichtig und zuverlässig mit.

Sam hatte sie hier noch nie gesehen, aber er wohnte auch erst seit einem Jahr in Gold Coast. In der Zeit hatte er Bonnie zwei Mal hierhergebracht. Nach nur zwei Besuchen kannte man wohl kaum das gesamte Praxispersonal.

Auch sie hatte Hände und Arme geschrubbt und Handschuhe übergezogen. Dass sie nur BH und Jeans trug, schien sie nicht zu stören. Ihre Haltung, ihre Bewegungen waren in jeder Sekunde äußerst professionell.

Trotzdem sah sie hinreißend aus. Ein bisschen dünn. Große Augen. Hinreißend war das einzige Wort, das ihm immer wieder zu ihr einfiel.

Wie sie wohl ohne all das Blut aussah?

Sam hatte nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken. Alles konzentrierte sich auf Bonnie. Dies war kein einfacher Bruch. Sie würde die Platte für den Rest ihres Lebens im Bein tragen.

Sam war kein orthopädischer Chirurg, aber er hatte genug Ahnung, um von Dougs Technik beeindruckt zu sein. Die zerschmetterte Tibia lag frei, und Doug nahm sich alle Zeit der Welt, um auch den winzigsten Knochensplitter zu entfernen. Die verbleibenden Bruchstücke schiente er mit Edelstahl und setzte dann die Bohrlöcher für die Knochenschrauben. Immer wieder überprüfte er seine Arbeit, bis sie größtmögliche Stabilität und maximale natürliche Heilung bot. Schließlich machte er sich an die langwierige Prozedur, die Wunde zu schließen.

Es wird auch Zeit, dachte Sam. Zoe sah aus, als würde sie gleich umfallen.

Aber sie brauchten sie noch. Sie erledigte den Job von zwei OP-Schwestern.

Endlich war es geschafft. Doug trat vom OP-Tisch zurück und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. „Ich denke, sie schafft es“, sagte er, und Sam sah, wie Zoe die Augen schloss.

Sie schwankte, und er machte instinktiv einen Schritt auf sie zu, um sie zu halten. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Schwester oder ein Arzt nach einer besonders anstrengenden, blutigen Operation in Ohnmacht fiel. Aber Zoe hatte sich schnell wieder in der Gewalt und trat beiseite, damit Doug den Tubus entfernen konnte.

„Ich … das ist großartig“, sagte sie leise. „Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich jetzt.“

„Sie sehen aus wie ein Bombenopfer“, meinte Doug unverblümt. „Bringen Sie sie nach Hause, Sam. Es wird noch eine Weile dauern, bis Bonnie aufwacht. Ich lasse sie nicht allein, bis Sie zurück sind.“

„Aber mein Wagen steht draußen“, protestierte Zoe.

„Haben Sie mal in den Spiegel gesehen?“ Doug nahm kein Blatt vor den Mund. „Wenn Sie in dem Wagen und in dem Zustand durch die Stadt fahren, scheuchen Sie sämtliche Polizisten von Gold Coast auf, weil sie glauben, dass Sie knapp einem Axtmörder entkommen sind. Lassen Sie Ihre Schlüssel hier. Ich stelle das Auto hinter dem Haus ab, und Sie können es sich morgen abholen. Wo wohnen Sie?“

„In einer der Krankenhauswohnungen. Nur zwei Blocks von hier. Ich kann fahren.“

„Erzählen Sie mir nicht, dass Ihnen nicht immer noch die Beine zittern. Sie haben erstklassige Arbeit geleistet, aber jetzt sollten Sie sich helfen lassen. Sam, Sie hatten wirklich verdammtes Glück, dass Ihre Kollegin am Strand war.“

„Meine Kollegin …?“

„Wir mussten Bonnie reanimieren“, fuhr Doug fort. „Ihr Herz ist zwei Mal stehen geblieben. Bei dem Blutverlust ist es ein Wunder, dass sie überlebt hat. Hätte Zoe sie nicht hierhergebracht … Falls die Cops sie wegen zu schnellen Fahrens drankriegen wollen, sollten Sie die Rechnung bezahlen.“

„Ich würde sogar noch mehr bezahlen“, antwortete Sam, noch immer etwas verwirrt. „Sie sind keine Veterinärschwester?“

„Nein, ich bin Krankenschwester am Gold Coast City.“ Ihre Stimme bebte. „Und ich möchte lieber selbst nach Hause fahren.“

Sie war Krankenschwester. Am selben Krankenhaus, an dem er arbeitete.

„Bringen Sie sie hin, Sam. Jetzt sofort. Nehmen Sie sich einen Kittel aus dem Lagerraum, Zoe, damit Sie nicht die Leute erschrecken. Sie haben eine Medaille verdient, und wenn Sam Ihnen keine gibt, bekommen Sie eine von mir. Und nun ab mit Ihnen.“

„Ich gebe ihr eine Medaille, eine Wagenladung voll, wenn sie will“, stieß Sam hervor. „Was Sie getan haben …“

„Schon gut“, unterbrach sie ihn matt. „Schluss mit den Ehrungen. Doug hat recht, ich muss nach Hause.“

Aber sie wollte nicht, dass dieser Mann sie hinbrachte. Sie wollte nur in ihren Wagen steigen, zum Gold Coast City fahren, sich unbemerkt in ihre Wohnung schleichen, duschen und ins Bett.

Leider war das nicht so einfach. So, wie sie aussah, würde sie überall auffallen wie ein rosa Elefant.

Ehe sie noch länger darüber nachdenken konnte, hatte Sam sie nach draußen geführt, zu seinem Jeep, der neben ihrem Wagen parkte.

Er ist Arzt? dachte sie. Ein Kollege?

Sam Webster trug Surfershorts, sonst nichts. Anders als sie sah er nicht zum Fürchten aus. Nein, sondern eher wie eins dieser männlichen Models, die die Titelseiten der zahlreichen Surfmagazine in den Zeitschriftenläden zierten.

Gold Coast war in der ganzen Welt als Surferparadies bekannt. Viele Surfer hier lebten nur für die Wellen. Und genau so sah der Typ aus. Bronzebraune glatte Haut, schlank, athletisch, von Sonne und Meer gebleichtes Haar, grüne Augen, umrahmt von attraktiven Fältchen in den Augenwinkeln.

Er war Arzt und Surfer.

Wie passte der Hundebesitzer dazu?

Er schnappte sich ein T-Shirt von der Rückbank seines Jeeps und zog es über. Locker, lässig, nach allem, was passiert war. Sein Hund ist versorgt, dachte sie, und für ihn geht das Leben einfach weiter!

Zoe blickte an sich hinunter, auf den unförmigen, viel zu großen Kittel und ihre blutbefleckte Jeans. Stundenlang hatte sie sich zusammengenommen, um die arme Hündin durchzubringen. Ihre Schrottlaube von Auto war voller Blut! Sie sollte sich nach Hause bringen lassen wie ein kleines Kind? Was war aus ihrer Unabhängigkeit, ihrer Freiheit geworden?

„Fahren wir“, sagte er.

Zwei harmlose Worte, die das Fass zum Überlaufen brachten.

„Was haben Sie sich dabei gedacht?“, stieß sie hervor, versuchte, ruhig und entschieden zu sein. „Sie am Strand zu lassen, ganz allein, während Sie weit draußen Ihren Spaß haben? Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre sie jetzt tot! Sie haben einen Hund wie Bonnie, und Sie lassen ihn einfach im Stich! Wie dumm, wie nachlässig, wie grausam ist das denn? Haben Sie eine Ahnung, wie froh Sie sein können, dass Sie einen Hund haben? Natürlich nicht. Sie sind Arzt, Sie sind gesund und fit, ein echter Surferboy. Sie können sich jeden Hund kaufen. Es interessiert Sie nicht, dass sie daliegt und wartet und wartet, weil sie Sie liebt! Ich habe gesehen, wie sie sich jedes Mal gefreut hat, wenn Sie ans Ufer kamen. Aber Sie haben sie allein gelassen. Sie wäre fast gestorben, weil Sie sich nicht um sie gekümmert haben!“

Ruhig und entschieden klang anders. Sie hatte ihn angeschrien, hilflos und voller Wut. Und er stand einfach nur da und sah sie schweigend an. Das machte sie noch zorniger. Zoe wollte ihn schlagen, auf ihn einprügeln und hörte einen imaginären Richter in einem imaginären Gerichtssaal sagen: „Er hat es verdient.“

Natürlich konnte sie ihn nicht schlagen. Sie musste sich unbedingt wieder in den Griff kriegen. Zoe schluchzte auf und ärgerte sich maßlos darüber. Sie weinte nicht, niemals, und sie wusste auch, dass sie sich aufführte wie eine arme Irre. Aber … aber …

Die letzten Tage waren schon verrückt gewesen. Ihr Leben lang hatte sie in einer kleinen Gemeinde gelebt, abgeschirmt, wohlbehütet. Der Umzug von Adelaide hierher mochte für andere ein Klacks sein, doch Zoe streifte damit endlich die Fesseln ihrer Kindheit ab.

Keine Frage, die Entscheidung war richtig gewesen. Aber der neue Job, der neue Arbeitsplatz, die ständigen Anrufe ihrer Eltern – und von Dean, der immer noch nicht verstand, warum sie weggegangen war –, all das untergrub ihre Entschlossenheit und erfüllte sie mit unendlichem Heimweh.

Trotzdem würde sie Dean niemals recht geben! „Du kommst schon zur Vernunft, Zoe“, hatte er gesagt. „Das weiß ich. Lauf in die weite Welt hinaus, aber komm bald zurück. Alles, was wir wollen, ist, dass du bei uns bist. Damit wir uns um dich kümmern können.“

Arrggh!

Sie wollte nicht nach Hause zurück. Sie wollte nicht, dass man sich um sie kümmerte!

Aber sie wollte auch nicht herumschreien. Und wie sie aussah! Abscheulich, in diesem sackartigen OP-Kittel, nur mit BH und Jeans darunter. Tränen stiegen ihr in die Augen, während Wut und Scham sie fast überwältigten. Irgendwie musste sie in ihre Wohnung kommen, vorbei an lauter fremden Menschen, an verwunderten, skeptischen Blicken. Und Milch musste sie auch noch kaufen … und …

Du schaffst das.

Zoe kramte in ihrer Hosentasche nach dem Wagenschlüssel, zog ihn heraus, doch Sam nahm ihn ihr aus der Hand, bevor sie auch nur einen Schritt Richtung Fahrertür machen konnte.

„Wir fahren mit meinem“, sagte er wie ein Arzt, der es mit einer Psychotikerin zu tun hatte.

„Ich bin nicht verrückt. Vielleicht bin ich zu laut geworden, aber Sie haben es verdient.“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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