Wildes Rodeo der Leidenschaft (3-teilige Serie)

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GELIEHENES GLÜCK IN DEINEN ARMEN
Auf der Luxusranch von Oliver Lawrence sucht Renee Zuflucht, als ihr Leben in Trümmern liegt. Aus dem großen Bruder ihrer besten Jugendfreundin ist ein attraktiver Mann geworden. Nie hätte Renee gedacht, dass sie sich ausgerechnet in Oliver verlieben würde – und dass er ihre Gefühle erwidert! Doch das unerwartete Glück kann nicht von Dauer sein. Denn so erregend die Nächte mit Oliver auch sind, als seine Ehefrau würde sie seinem Ruf und seinem Unternehmen schaden. Schweren Herzens muss Renee sich von Oliver trennen …

KÜSSE, SÜẞER ALS JEDE RACHE
Sie fühlte seinen Atem auf ihrem Haar und war versucht, sich an seine breite Brust zu lehnen. Würde er ihr Haar zur Seite schieben und die Haut hinter ihrem Ohr küssen? Rancher Pete Wellington will nur eins: das Rodeo zurückhaben, das sein Vater vor vielen Jahren beim Pokern an Familie Lawrence verloren hat. Jetzt bietet sich ihm eine einmalige Gelegenheit, denn Rodeo-Prinzessin Chloe Lawrence braucht Hilfe. Sie bietet ihm einen Job als Manager an. Pete willigt ein, wild entschlossen, das Rodeo um jeden Preis wieder an sich zu bringen. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass es Chloe wirklich am Herzen liegt. Und noch weniger damit, dass sie sein Herz erobern könnte…

DEIN FÜR EINE HEIẞE NACHT
Country-Sängerin Brooke ist wütend. Nicht noch einmal wird sie auf den hitzköpfigen Rodeo-Star Flash Lawrence hereinfallen! Es reicht schon, dass er sie damals mit den süßen Folgen ihres One-Night-Stands allein gelassen hat. Jetzt muss sie für ihren kleinen Sohn sorgen, da sind negative Schlagzeilen Gift. Aber als Flash nach einem Konzert plötzlich vor ihr steht und sie mit einer Zärtlichkeit ansieht, die ihr den Atem raubt, will die Songwriterin nur noch eins: eine letzte heiße Nacht in seinen Armen…


  • Erscheinungstag 28.12.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751528313
  • Seitenanzahl 383
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
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Geschäftsführung: Ralf Markmeier
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2018 by Sarah M. Anderson
Originaltitel: „His Best Friend’s Sister“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 2044 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Victoria Werner

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733722104

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Ich dachte, du hasst das Rodeo.“

Diese Stimme! Oliver Lawrence kannte sie. Nur dass sie jetzt einen volleren Klang hatte. Und etwas tiefer war. Sie weckte Erinnerungen – Erinnerungen an ein Lachen. An Spaß.

Wann hatte er das letzte Mal Spaß gehabt?

Er wusste es nicht.

„Und da sitzt du, umgeben von Fotos vom Rodeo“, fuhr sie fort. Er hörte an ihrer Stimme, dass sie lächelte.

Oliver hob den Kopf. Das war nicht möglich. Das konnte nicht wahr sein!

Aber da stand sie: Renee Preston, in der Tür zu seinem Büro. Sie ließ den Blick über die Fotos der All-Stars gleiten, mit denen sein Assistent Bailey eine ganze Wand bedeckt hatte.

Obwohl sie ihm den Rücken zukehrte, erkannte er sie sofort. Das blonde Haar fiel in Wellen über ihren Rücken. Das dunkelblaue Kleid umschmeichelte ihre weiblichen Konturen.

Wie lange war es her? Fünf Jahre? Sie so unvermittelt zu sehen war ein Schock. Er war wie benommen und konnte nur eines denken: Hoffentlich ist sie echt . In Anbetracht der Kopfschmerzen, die die Leitung von Lawrence Energies ihm bereitete, würde es ihn nicht überraschen, wenn sein Verstand eine kleine Auszeit genommen hätte und er halluzinierte.

Sie rührte sich nicht. Ein schlechtes Zeichen. „Renee?“ Er wartete.

Okay, er hatte einen schrecklichen Morgen. Es stimmte – er hasste das Rodeo. Genauer gesagt: das Team Lawrence Oil All-Stars . Sein Vater hatte es vor dreizehn Jahren beim Pokern gewonnen, und seither hasste Oliver es. Das wussten nur wenige. Es wäre nicht gut für das Geschäft, wenn sich herumspräche, dass der CEO von Lawrence Energies , der Muttergesellschaft von Lawrence Oil – und damit auch der All-Stars –, Teile seines Unternehmens hasste.

Woher wusste Renee davon?

Bailey eilte herein. „Mr. Lawrence … es tut mir leid“, keuchte er und warf der jungen Frau einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sie war unglaublich schnell !“

Gott sei Dank! Oliver war erleichtert. Er litt also nicht unter Halluzinationen. Renee Preston stand tatsächlich an diesem Montagvormittag in seinem Büro in Dallas.

„Das ist schon in …“

In diesem Moment drehte Renee sich etwas, sodass Oliver sie im Profil sah. Ihre kleine Stubsnase, das herzförmige Kinn, der sanft gerundete Bauch …

Moment mal! War sie schwanger ?

Langsam erhob Oliver sich. „Renee? Was ist los?“

Bailey senkte den Kopf. „Soll ich die Security holen?“

Oliver winkte ab. „Nein, ist schon gut. Ms. Preston und ich sind alte Freunde.“ Das stimmte nicht ganz. Ihr Bruder Clint war ein alter Freund von ihm. Renee war immer die nervige kleine Schwester gewesen, die, besonders wenn sie sich mit seiner Schwester Chloe zusammengetan hatte, eine wahre Plage gewesen war.

Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln, bei dem sich kaum ein Muskel ihres Gesichts bewegte. Es gefiel ihm nicht. Es wirkte irgendwie unnatürlich.

Er ließ den Blick noch einmal über ihr Kleid gleiten. Nein, es war nicht dunkelblau, es war schwarz. Es sah aus, als wäre sie auf dem Weg zu einer Beerdigung und nur kurz in seinem Büro vorbeigekommen, gut fünfzehnhundert Meilen entfernt von New York City.

„Keine Anrufe“, sagte Oliver zu seinem Assistenten. Wenn Renee Preston hier war, schwanger und in einem Kleid wie für eine Beerdigung, dann stimmte etwas nicht.

Plötzlich fiel ihm wieder die E-Mail von Clint Preston ein. Wann hatte er sie bekommen? Vor zwei Monaten? Vor drei? Seit Olivers Vater Milt beschlossen hatte, mit der Familie von der Park Avenue in New York nach Dallas überzusiedeln, war der Kontakt zwischen Oliver und Clint weitgehend eingeschlafen. Aber jetzt erinnerte er sich an die merkwürdige Mail, die um vier Uhr morgens abgeschickt worden war: Bitte kümmere dich um Renee.

Oliver hatte nie geantwortet. Er hatte es vorgehabt, aber … er war einfach verwirrt gewesen. Wieso sollte er sich um Renee kümmern? Sie hatte eine Familie. Sie war eine erwachsene Frau. Er hatte die Dringlichkeit nicht gesehen.

Jetzt tat er es. Eindeutig.

Gerade hatte er noch geglaubt, es könnte nicht schlimmer kommen. Vielleicht war er selbst schuld, weil er so negativ gedacht hatte.

Bailey hatte die Tür hinter sich zugezogen.

„Mein Name hat sich geändert“, erklärte Renee. „Ich heiße jetzt Preston-Willoughby.“

Oliver bemühte sich um ein Lächeln. „Herzlichen Glückwunsch. Das wusste ich nicht.“ Obwohl … hatte Chloe nicht irgendwann einmal erwähnt, dass Renee geheiratet hatte? Das war schon ein paar Jahre her. Er hatte damals gerade die Firma von seinem Vater übernommen.

Aber das erklärte immer noch nicht, wieso sie jetzt in seinem Büro war. Er hatte sie nicht mehr gesehen, seit …

War es vor fünf Jahren gewesen? Bei der Hochzeit seines Bruders? Renee war damals noch auf dem College gewesen. Er war sehr neugierig auf sie gewesen, weil sie nicht mehr das kleine Mädchen mit den Zöpfen war.

Sie hatte einfach atemberaubend ausgesehen, und ihr Lächeln schien den ganzen Raum zum Strahlen zu bringen – trotz des rosafarbenen Kleids, das sie wie alle Brautjungfern trug. Sie hatte einen Freund gehabt, und Oliver wilderte aus Prinzip nicht in den Gefilden anderer Männer. Daher blieb er an der Bar und bewunderte die hübsche Frau, zu der sie sich entwickelt hatte.

Er erinnerte sich vage, dass er höchst frustriert gewesen war, weil niemand ihm glauben wollte, dass er alles dafür geben würde, wieder in New York zu sein. Die anderen Männer an der Bar schienen allen Ernstes überzeugt, dass Texas ein einziger großer Urlaub war: Barbecues, hübsche Frauen und das Rodeo. Als wäre das alles, womit Texaner sich beschäftigten. Alle Cowgirls der Welt konnten ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass er sich mit dem Familienunternehmen – und der Familie – herumschlagen musste.

Außerdem interessierten sich die Cowgirls eher für seinen jüngeren Bruder Flash. Oliver war ihnen zu ernst.

Nach dieser Hochzeit wäre er fast nicht wieder nach Dallas zurückgekehrt. Er war mit einem mörderisch schweren Kopf erwacht und dem frischen Entschluss, seinem Vater klipp und klar zu sagen, wohin er sich seine All-Stars , den Stetson und den breiten Texanischen Akzent stecken konnte. Oliver wollte zurück nach New York. Dort gehörte er hin.

Aber er hatte es nicht getan. Er hatte seiner Mutter sein Wort gegeben, und daran fühlte er sich gebunden. Zumindest eines hatte er erreicht: Er hatte seinem Vater die Firmenleitung abgenommen. Milt saß zwar noch im Aufsichtsrat, aber Oliver war CEO des Unternehmens. Und somit auch von dem verdammten Rodeo.

Seine Versuche, den Firmensitz wieder nach New York zu verlegen, waren gescheitert. Manchmal hatte er das bedrückende Gefühl, auf ewig in diesem verdammten Texas festzusitzen.

Hatte er sich auf der Hochzeit eigentlich mit Renee unterhalten? Hatte sie ihn nach dem Rodeo gefragt? War er so betrunken gewesen, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte? Verdammt.

Auch in diesem schwarzen Kleid war sie immer noch die attraktivste Frau, die er je gesehen hatte. Am liebsten hätte er die Hände in ihr seidiges Haar geschoben und sie an sich gezogen, um wirklich zu spüren, dass sie da war. Ihre Haut schien förmlich zu strahlen.

Als er sie genauer betrachtete, fielen ihm auch andere Dinge auf. Das dezente Make-up konnte die dunklen Schatten unter ihren Augen nicht völlig kaschieren. Schlief sie schlecht? Er bemerkte, dass sie mit den Fingern ihrer linken Hand nervös auf ihrem Bein herumtrommelte.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sie anstarrte. Wie lange schon? Sekunden? Minuten? Er räusperte sich. „Dein Besuch kommt überraschend. Was verschlägt dich nach Dallas?“

Ihr unnatürliches Lächeln wurde noch starrer. Sie atmete tief durch. „Eigentlich bin ich auf der Suche nach Chloe.“ Sie wandte sich von ihm ab, aber nicht schnell genug. Er sah, wie sich ihr Gesicht zum Weinen verzog.

Instinktiv trat er einen Schritt auf sie zu. Er verspürte den merkwürdigen Drang, die Arme um sie zu legen, um ihr etwas von der Last zu nehmen, die ihr offensichtlich auf den Schultern lag. Er tat es nicht. Sie war ja nicht zu ihm gekommen. Er war mehr oder weniger ein Fremder für sie. „Es ist Rodeo-Saison“, sagte er, als würde das alles erklären.

Sie nickte. „Und Chloe ist die Rodeo-Prinzessin.“ Ihr Ton klang sehnsüchtig.

Renee war die nervige kleine Schwester gewesen und später die Brautjungfer. Er wusste nichts von ihrem jetzigen Leben, aber sie war eindeutig in Not, und das verunsicherte ihn.

Es war sein Job, Probleme zu lösen. Er hatte seiner Mutter Trixie vor ihrem Tod das Versprechen gegeben, die Familie zusammenzuhalten. Deswegen war er jetzt der CEO von Lawrence Energies . Deswegen kümmerte er sich um seinen Vater und seine Geschwister. Und nur deswegen war er immer noch in Texas statt in New York City.

Renee Preston-Willoughby stellte ein Problem dar, und er hatte keine Ahnung, wie er es lösen sollte.

„Chloe ist im Moment in Lincoln, Nebraska – und anschließend geht es weiter nach Omaha. Danach …“ Er zuckte die Schultern, obwohl Renee es nicht sehen konnte. „So ist das in der Rodeo-Saison. Ich glaube, in einem Monat ist sie hier in der Nähe in Fort Worth.“

Seine Schwester eröffnete und beendete jede Veranstaltung der All-Stars auf dieser Tour. So lief es seit Jahren. Sie lebte monatelang aus dem Koffer, und das nur, weil sie es liebte, als Cowgirl im paillettenbesetzten Outfit in die Arena zu reiten und die Flagge der USA zu schwenken.

Oliver begriff nicht, wie seine Schwester das ertrug. Er hasste das Rodeo: den Gang der Cowboys und den Geruch der Tiere. Überhaupt alles, was damit zu tun hatte. Er verstand nicht, wie Menschen sich freiwillig auf ein wildes Pferd oder einen Bullen setzen und dabei ihr Leben riskieren konnten. Auch seinen Bruder Flash verstand er nicht. Er war Oliver ein Rätsel. Es gab absolut nichts, was Oliver dem ganzen Rodeo-Zirkus hätte abgewinnen können.

Im Moment war es schlimmer denn je, weil Chloe sich als Managerin des Rodeos beweisen wollte, während ihr Vater darauf bestand, dass Oliver diesen Job machte. Für Milt spielte es keine Rolle, dass Oliver den Job überhaupt nicht wollte und dass Chloe ihn wahrscheinlich viel besser machen würde, weil sie das Rodeo liebte.

„Ich hätte daran denken sollen.“ Renees Stimme bebte leicht. Er sah, wie sich ihre Schultern bei einem tiefen Atemzug hoben und senkten. Dann drehte sie sich zu ihm herum. „Es tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe.“ Ihre Miene war merkwürdig ausdruckslos. Das gefiel ihm noch weniger als das aufgesetzte Lächeln. „Vielen Dank, dass du nicht die Leute von der Security gerufen hast. Es war nett, dich wiederzusehen, Oliver.“

Sie hatte die Hand auf dem Türgriff, noch bevor er begriff, dass sie ebenso schnell verschwinden wollte, wie sie gekommen war.

Mit wenigen Schritten war er bei ihr und zog die Tür, die sie schon geöffnet hatte, wieder zu. „Warte!“

Er war ihr zu nah. Spürte die Wärme ihres Körpers. Er sollte etwas Distanz zwischen sie bringen. Großer Gott, sie war schwanger! Wer wusste, was da noch alles kam?

Langsam drehte sie sich zu ihm herum. Er hätte sie küssen können. Der Gedanke kam ihm unversehens, als er in ihre blauen Augen sah. Ihr Blick verdunkelte sich, als sie durch dichte Wimpern zu ihm aufsah. Er konnte sich einfach nicht rühren.

„Renee“, sagte er rau. „Wieso bist du hier?“

Er wusste nicht, was er eigentlich erwartete, aber es überraschte ihn nicht, als ihre Augen feucht wurden. Die Trauer passte zu ihrem Beerdigungskleid. Dann öffnete sie den Mund. Er hatte ein Schluchzen erwartet, aber es kam ein Kichern. „Du weißt es nicht.“ Aus dem Kichern wurde ein freudloses Lachen. „Oh Gott, du weißt es wirklich nicht?“

Gut, er war nicht mehr auf dem Laufenden, was die New Yorker Gesellschaft betraf. „Was sollte ich wissen?“ Eine Träne lief ihr die Wange hinunter, und er wischte sie spontan weg. „Was ist passiert?“

„Nichts weiter.“ Sie klang bitter. „Es ist nur …“ Ihr Lachen endete in einem Schluckauf und klang schon fast wie ein Schluchzen. „Es war alles eine große Lüge. Mein ganzes Leben ist eine einzige Lüge.“

Er fing eine weitere Träne auf. „Ich verstehe nicht …“

„Wirklich nicht? Ich kann nicht glauben, dass du nichts davon gehört hast.“ Sie schloss die Augen. „Man nennt es die Preston-Pyramide . Das Investment-Unternehmen meiner Familie war nichts weiter als Betrug, und jetzt ist alles in sich zusammengefallen.“

Wie konnte es sein, dass er nichts davon wusste? Der Zusammenbruch des Preston-Investment-Unternehmens war ein Skandal, der nicht nur New York erschütterte. Renees Vater, ihr Bruder und ihr verlogener Ehemann hatten Hunderttausende von Investoren im ganzen Land um ihr Geld gebracht. Es ging um Millionen von Dollar. Sie hatte erwartet, dass alle davon gehört hatten.

Andererseits: War sie nicht gerade deswegen nach Dallas gekommen, statt in New York zu bleiben? Sie musste einfach weg. Weg von den Reportern, die das Gebäude belagerten, in dem sie wohnte. Weg von dem Klatsch und den Drohungen. Sie wollte irgendwohin, wo die Menschen sie vielleicht nicht als eine Ausgeburt der Hölle betrachteten. Clint hatte ihr gesagt, sie könne der Familie Lawrence vertrauen. Er hatte gesagt, Oliver werde sich um sie kümmern – aber Renee hatte genug von Leuten, die ihr sagten, was sie zu tun und zu lassen habe.

Chloe war einmal ihre beste Freundin gewesen. Sie ließ sich von niemandem etwas bieten. Sie würde ihr helfen.

Aber Chloe war nicht da. Nur Oliver. Und Renee hatte keine andere Wahl.

So weit war sie also schon gesunken. Sie hatte sich an seinem Assistenten vorbeigekämpft. War in dieses Büro eingedrungen und bemühte sich jetzt, halbwegs die Fassung zu wahren.

Das fiel ihr umso schwerer, als er sie fast zärtlich berührte. Aber damit würde er sicherlich aufhören, wenn er erst das volle Ausmaß der Katastrophe begriff. Sie sah ihm in die Augen, während er die Neuigkeiten verarbeitete. Erkannte ihre eigenen Gefühle gespiegelt in seinen Zügen: Schock, Unglauben, vor allem Unglauben. „Dein Vater hat nach dem Pyramidenschema gearbeitet? Wie?“

Sie zuckte die Schultern. Sie sollte sich von ihm lösen. Er hatte sie mehr oder weniger gegen die Tür gedrängt und sah sie mit seinen dunkelbraunen Augen durchdringend an. Er ließ den Daumen über ihre Wange gleiten. Sie brachte es nicht über sich, sich von ihm zurückzuziehen. Im Gegenteil: Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, sich nicht an ihn zu lehnen.

Es war bei Clints Hochzeit gewesen. Dort hatte sie Oliver Lawrence zuletzt gesehen. Sie erinnerte sich an Crissy Hagan, eine der Brautjungfern, die Renee noch bis vor sechs Wochen für ihre Freundin gehalten hatte. Crissy hatte ihr laut von Clints altem Freund vorgeschwärmt, aber Renee hatte ihr widersprochen. Oliver war nicht sexy, er war langweilig. Er war schon als Kind ernst und abweisend gewesen. Er hatte sie nie gemocht, und er machte es jedem schwer, ihn zu mögen. Wieso ihr Bruder mit ihm befreundet war, war ihr stets ein Rätsel gewesen.

Als sie sich zufällig neben ihm an der Bar wiederfand, hatte sie versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, indem sie sich nach dem Rodeo erkundigte. Er hatte ihr prompt versichert, dass er den ganzen Zirkus einfach nur hasse.

Oliver Lawrence war kein Mann, auf den sie sich verlassen konnte. Zumindest damals nicht.

Sie wusste nicht, ob sich daran etwas geändert hatte.

Aber Crissy hatte recht gehabt. Oliver war damals sexy gewesen – und war es jetzt noch mehr. Er gehörte zu den Männern, die mit den Jahren immer attraktiver wurden. Wie alt war er? Clint hatte im Gefängnis seinen neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Oliver musste also auch etwa so alt sein.

Er war nicht mehr der Junge von früher. Er war ein gutes Stück größer als sie, und so … so viel mehr als noch vor fünf Jahren. Größer. Kräftiger. Präsenter.

Diese dummen Hormone! Sie war nicht hier, um Oliver Lawrence anzuschmachten. Ausgerechnet! Sie war hier, um sich zu verstecken.

Ihr fiel wieder ein, dass er ihr eine Frage gestellt hatte. Nach dem Pyramidenschema. „Offensichtlich haben sie es sehr clever angestellt. Jahrelang ist alles gut gegangen. Jahrzehntelang. Mein Vater hat gerade so viel Geld ausgeschüttet, dass die Leute ihm seine Lügen abgenommen haben. Er hat die Anleger dazu gebracht, die Profite, die ihre Investments angeblich abgeworfen hatten, gleich wieder zu investieren. Manchmal haben sie dabei ihr Investment sogar noch erhöht. Natürlich hat es nie reale Profite gegeben“, setzte sie verbittert hinzu. „Nicht für die Investoren. Es ging alles an ihn.“ Sie wandte den Blick ab. „An ihn und an uns. Ich habe nichts von alledem gewusst, aber es lässt sich nicht leugnen, dass ich von dem Geld profitiert habe. Ich kann einfach nicht glauben, dass du nichts von der ganzen Geschichte gehört hast.“

Zorn und Scham wallten in ihr auf. Sie war so wütend auf ihre Familie – und sie schämte sich vor den Menschen, die betrogen worden waren. Ihr Vater hatte das Leben anderer ruiniert, um sich noch ein viertes Ferienhaus bauen zu können. Es war wirklich schlimm, was er getrieben hatte.

Aber noch schlimmer war, dass sie sechsundzwanzig Jahre lang nicht begriffen hatte, dass ihr Vater nichts weiter war als ein Betrüger. Ein Hochstapler.

Als Oliver schwieg, wagte sie es, wieder aufzusehen. Seine Züge hatten sich verhärtet. „Okay“, sagte er. „Dein Vater hat also viele Investoren um sehr viel Geld gebracht. Gehe ich recht in der Annahme, dass dein Bruder auch etwas damit zu tun hatte?“

„Natürlich.“ Sie seufzte. „Clint und mein Mann waren beide mit von der Partie.“

Oliver trat abrupt einen Schritt zurück. „Es tut mir leid, dass ich deine Hochzeit verpasst habe. Seit wann bist du verheiratet?“

„Ich bin es nicht mehr.“ Sie atmete tief durch. Sie wollte keinen Schmerz zulassen. Nie wieder sollte Chet ihr wehtun können. „Chet Willoughby lebt nicht mehr.“

Oliver wirkte, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Er begann, auf und ab zu gehen. „Ich weiß, es ist unhöflich zu fragen, aber seit wann …?“ Er deutete vage auf ihren Bauch.

Fast hätte sie gelächelt. Nach allem, was ihr in den vergangenen zwei Monaten widerfahren war, war diese Frage noch die am wenigsten unhöfliche. „Ich bin in der achtzehnten Woche.“

Die Presse hatte es hämisch gefeiert. Preston-Pyramiden-Prinzessin schwanger! Es war der reinste Albtraum gewesen.

Oliver fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Um es zusammenzufassen: Das Vermögen deiner Familie ist durch Betrug zusammengekommen und jetzt verloren. Dein Vater war kriminell, ebenso dein Bruder. Dein Mann hat mit beiden zusammengearbeitet und ist tot. Du bist schwanger von ihm. Habe ich etwas ausgelassen?“ Sein Ton enthielt keinerlei Verurteilung, keine Häme.

„Im Grunde ist das alles“, sagte sie bedrückt. „Sieht man davon ab, dass meine Mutter mit dem verbliebenen Geld nach Paris verschwunden ist. Das ist nicht ganz unwichtig.“

Für die Justizbehörden war das sogar sehr wichtig.

„Hmmm.“ Oliver lehnte sich gegen den Schreibtisch und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Hätte sie andere Möglichkeiten gehabt, wäre sie jetzt nicht hier. Er war nicht verantwortlich für ihr Leben, aber sie hatte sonst niemanden, an den sie sich wenden konnte.

„Hast du von der Pyramide gewusst?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich unterstütze die Ermittlungen, so weit ich kann. Die Staatsanwaltschaft weiß, wo ich mich aufhalte. Sie können mich jederzeit nach New York zurückbeordern. Ich darf das Land nicht verlassen.“ Das war der Deal gewesen. Sie konnte nicht viel zur Aufklärung beitragen. Ihr Vater hatte zu Protokoll gegeben, dass Renees einzige Funktion gewesen war, das hübsche Aushängeschild der Familie zu sein. Ihr Kapital war ihr gutes Aussehen. Früher hatte sie das verletzt. Wie konnte ihr eigener Vater in ihr nichts weiter als ein hübsches Gesicht sehen? Wie konnte er sie ignorieren und sie ihrer Mutter überlassen?

Jetzt war sie froh, dass er sie nicht in seine Geschäfte hineingezogen hatte. Das allein ersparte ihr das Gefängnis.

Ihr Wert für die Justizbehörden bestand in erster Linie darin, dass sie ihren Bruder dazu bewegen konnte, gegen ihren Vater auszusagen. Aber damit hatte Clint es nicht eilig. Er wollte einen Deal für sich herausschlagen.

Oliver musterte Renee nachdenklich. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er schwieg so lange, dass sie schon fürchtete, er würde sie zurück nach New York schicken. Dorthin konnte sie nicht. Falls Oliver ihr nicht half, dann …

Dann musste sie Chloe suchen. Alle ihre sogenannten Freunde in New York hatten sie im Stich gelassen und sich sogar gegen sie gestellt. Sie waren gleich zur Klatschpresse gerannt und hatten alles breitgetreten, was die Prestons noch schlechter aussehen ließ. Niemand hatte zu ihr gestanden. Sie gehörte einfach nicht mehr dazu. Man lachte über sie und übergoss sie mit Häme.

Wenn Oliver jetzt die Security rief, würde sie ihm keinen Vorwurf machen. Sie bedeutete ihm nichts. War nur eine Erinnerung an die Kindheit. Wenn überhaupt.

„Du musst dich verstecken?“, fragte er, gerade, als sie alle Hoffnung aufgegeben hatte.

Sie nickte.

Er murmelte etwas, das sie nicht verstand. Es schien um Clint zu gehen. „Das mit deinem Mann tut mir leid“, sagte er schließlich.

Renee lachte bitter auf. „Mir nicht.“

Oliver schwieg einen Moment. Sah ihren Bauch an. Ihr wurde heiß unter seinem Blick. Diese dummen Hormone! Oliver Lawrence war nicht an ihr interessiert. Niemand, der auch nur halbwegs bei Verstand war, würde ihr einen zweiten Blick schenken.

Es war wirklich ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Sie war für alle Menschen in ihrer Nähe einfach nur Gift. Er war ein guter Mann, und sie hatte sich ihm mehr oder weniger mit ihren Problemen vor die Füße geworfen. Wenn er sich auf sie einließ, stand zu befürchten, dass der Makel des Preston-Skandals auf ihn abfärbte.

Bitte, lüg mich nicht an!, flehte sie stumm. Auch wenn die Wahrheit brutal war – wenn er sie zum Beispiel wegschickte –, sie wollte dennoch nichts anderes hören als die Wahrheit. Sie hatte schon zu viele Lügen ertragen, um noch mehr verkraften zu können.

„Gut.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Dann wollen wir mal sehen, wie wir dich aus der Öffentlichkeit bringen.“

2. KAPITEL

Er hatte eigentlich keine Zeit dafür. Er ließ wichtige Meetings ausfallen und riskierte damit, dass sein Vater die Jagdhütte verließ und seine Nase wieder in die Leitung von Lawrence Energies steckte. Und wofür das alles?

Um einer Frau in Nöten beizustehen. Anders ließ sich Renee nicht beschreiben. Sie hatte nur einen Rollkoffer dabei, sonst nichts. Sollte sie länger als eine Woche bleiben – und davon war fast auszugehen –, musste er irgendwie dafür sorgen, dass sie weitere Kleidung bekam.

„Ist es weit?“ Sie klang erschöpft.

„Ich bringe dich nach Red Oak Hill “, erklärte er, während er sich in den laufenden Verkehr einfädelte. „Das ist meine Ranch. Der Verkehr ist um diese Tageszeit erträglich, wir könnten es in anderthalb Stunden schaffen.“ In den Verhältnissen von Dallas war das mehr oder weniger direkt vor der Tür.

„Oh.“ Renee ließ sich in ihren Sitz sinken.

Er versuchte, die Situation pragmatisch anzugehen. „Du hast die Wahl“, sagte er. „Du kannst während der Fahrt schlafen oder mir etwas genauer erklären, was eigentlich los ist.“ Im Moment kannte er nur die Eckdaten: Familie korrupt. Finanzen ruiniert. Ehemann tot. Schwangerschaft im fünften Monat.

Ihm fehlten noch alle möglichen Details. Auf dem Weg aus dem Büro hatte er Bailey gebeten, Informationen über den Preston-Fall herauszusuchen und ihm die Links zu schicken. Er konnte Renee nicht helfen, solange er nicht wirklich wusste, worum es ging.

Sie stöhnte wenig damenhaft. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du nichts davon gehört hast.“

Es hatte keinen Sinn, dass er sich Sorgen um sie machte. Unter den Umständen tat er sein Bestes. Er hatte Bailey gebeten, alle anstehenden Termine des Tages zu verschieben, und ihm Anweisungen gegeben für den Fall, dass irgendjemand versuchte herumzuschnüffeln. Das schloss auch Milt Lawrence ein, Olivers Vater. Nichts sollte über Ms. Preston oder Mrs. Willoughby oder Ms. Preston-Willoughby nach draußen dringen.

„Wir sind dabei, einen Pumpen-Hersteller zu übernehmen – ich war also beschäftigt. Außerdem sitzt mir mein Vater ständig im Nacken.“

Davon abgesehen hatte weder die Lawrence-Familie noch das Unternehmen Lawrence Energies Geld in diese verdammte Preston-Pyramide investiert. Er musste es wissen, denn er hatte seinem Vater vor vier Jahren die finanzielle Kontrolle über die Firma abgerungen.

„Ist es so schlimm mit deinem Vater?“

Oliver zuckte die Schultern. „Manchmal ist es wirklich nicht witzig.“ Milt war gerade erst sechzig, also beileibe noch nicht senil. Aber die Midlife-Crisis, die der Tod von Trixie Lawrence bei ihm ausgelöst hatte, hielt an.

Oliver hätte Renee das alles erklären können, aber sie war nicht hier, um sich seine Klagen über die Familie anzuhören. Sie war hier, weil sie Probleme hatte.

Bitte kümmere dich um Renee.

Er hätte damals gleich auf Clints Mail reagieren sollen, dann wüsste er jetzt vielleicht mehr.

Er wartete. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sie den Zeigefinger unablässig über den Fingernagel ihres Daumens kreisen ließ. Sonst schien sie vollkommen ruhig.

Zu ruhig.

Oliver betrachtete sich nicht als den Frauenexperten der Familie. Die Ehre gebührte Chloe. Schließlich war sie selbst eine Frau. Flash, ihr jüngerer Bruder, war allerdings auf bestem Wege, der Frauenversteher überhaupt zu werden.

Wie auch immer – er war mit Chloe aufgewachsen und hatte ein gesundes Interesse an Frauen. Er hätte Renee nur ungern weinen sehen, aber er war auf das Schlimmste gefasst.

Sie überraschte ihn mit einem leisen Lachen. „Das Meiste davon ist durch die Medien gegangen.“

So wie Oliver Bailey kannte, erwartete ihn jede Menge Material zum Lesen. Er musste sie also nicht dazu bringen, ihm etwas zu erzählen, was er später genauso gut lesen konnte – nüchtern und sachlich, unbeeinflusst von ihrer bebenden Stimme und diesem merkwürdigen Wunsch, sie zu beschützen.

„Erzähl mir das, was nicht in den Medien war.“

„Hmmm …“ Der Zeigefinger kreiste weiter. „Weißt du, ich glaube, mein Mann ist mir nie treu gewesen.“

Oh. „Wieso hast du ihn geheiratet?“

„Meine Eltern fanden, dass wir gut zusammen aussehen. Er hat für meinen Vater gearbeitet, und meine Mutter dachte, wir würden wunderbare Babys haben – als wäre das das Einzige, was zählt. Er war charmant, gebildet und attraktiv. Die Vanity Fair hat in ihrer Online-Ausgabe einen langen Bericht über unsere Hochzeit gebracht. Motto: Märchenhochzeit in New York .“ Sie lachte, aber es klang alles andere als glücklich. „Ich wollte eine kleine Feier, aber nein. Ich musste zehn Brautjungfern haben und die verrücktesten Geschenke für die Gäste, die man sich nur vorstellen kann.“

Er warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Oh, ja! Jeder Gast bekam edle Waterford -Champagnergläser aus Kristall, natürlich mit spezieller Gravur, dazu eine Flasche Dom Pérignon und einen Eiskübel von Tiffany&Co , in den unsere Namen und das Datum der Hochzeit eingraviert waren. Als ob das irgendjemanden interessiert hätte.“ Sie seufzte.

Die höheren Kreise in Dallas konnten ihren Reichtum genauso protzig zur Schau stellen. Und Reichtum gab es hier wirklich genug. Sein Apartment war ja schon ein paar Millionen wert, und die Ranch leicht das Doppelte. Dallas war alles andere als eine arme Stadt.

Und dennoch war sie anders als New York. Auch wenn die höheren Kreise das reinste Haifischbecken waren – in Texas hatte alles noch eine Spur Herz.

Himmel, es musste ihm wirklich schlecht gehen, wenn er schon bereit war, diesen Staat zu verteidigen. Er hoffte, sein Vater würde nie erfahren, dass es tatsächlich das eine oder andere gab, was Oliver hier gefiel. „Klingt etwas überspannt.“

„Das war es, aber es war eine schöne Hochzeit. Sehr schön“, murmelte sie.

Er musste an das denken, was sie gesagt hatte. Es war alles eine Lüge gewesen. Ihr Mann hatte sie nie geliebt. War ihr nie treu gewesen.

„Ich bin doch wirklich unglaublich blöd“, erklärte sie resigniert.

Es irritierte ihn. Eigentlich merkwürdig. Er hatte so lange nicht an sie gedacht, aber jetzt, wo sie hier war, fand er, er müsse etwas für sie tun.

„Das glaube ich nicht“, widersprach er. „Du warst Clint und mir immer über. Ich denke da an die Wasserbomben, die jemand vom Balkon auf uns geworfen hat. Erinnerst du dich?“

Er erntete den Hauch eines Lächelns. „Das war Chloes Idee – aber ich konnte gut zielen …“

Ihr Lächeln tat ihm gut. Die Welt sah dunkel aus, aber immerhin konnte er sie dazu bringen, dass sie sich besser fühlte.

Er gab Gas und schlängelte sich mit dem Porsche geschmeidig von einer Spur in die andere. Das Beste – und Einzige –, was er für sie tun konnte, war, sie sicher nach Red Oak Hill zu bringen. Dort war sie ungestört. Sobald er sie untergebracht hatte, konnte er in die Stadt zurückkehren und sich um seine Termine und die Familie kümmern.

„Ich weiß nicht, ob dieser Teil schon in den Medien ist oder nicht“, fuhr sie leise fort. „Bestimmt haben viele Leute angefangen zu rechnen, seit man mir die Schwangerschaft ansieht – und zum Entsetzen meiner Mutter hat man sie mir schon sehr früh angesehen. Weißt du davon?“ Sie hielt einen Moment inne, während Oliver noch versuchte zu begreifen, dass eine Mutter entsetzt sein konnte über den Anblick ihrer schwangeren Tochter. Für ihn sah Renee hinreißend aus, ob mit oder ohne Schwangerschaft.

Aber das konnte er im Moment nicht gut sagen. Dies war ja irgendwie eine Rettungsaktion, kein Wochenende unter Verliebten oder etwas in der Art. Also sagte er nur: „Was meinst du?“

„Er hat mich an dem Morgen früh geweckt, und wir haben …“ Sie räusperte sich. „Danach hat er gesagt, dass er mich liebt. Normalerweise habe ich es zu ihm gesagt – er nahm die Worte nur selten in den Mund. Für gewöhnlich sagte er nur ‚Ich auch‘, als liebte er sich auch. An dem Morgen war er anders als sonst, und er überraschte mich so, dass ich nichts darauf gesagt habe.“

Das war wesentlich mehr, als Oliver wissen wollte. Er schwieg.

„Dann fuhr er ins Büro, hatte Sex mit seiner Sekretärin, gab ihr für den Rest des Tages frei und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Er war schon immer ein Feigling. Meiner Schätzung nach waren auf seiner Beerdigung wenigstens drei – wenn nicht fünf – Frauen, mit denen er etwas hatte. Entweder früher oder später.“

„Das ist eine Menge.“ Eine wäre schon zu viel gewesen, aber sich vorzustellen, dass ein Mann, der gerade einmal anderthalb Jahre verheiratet war, so viele Geliebte nebenher hatte …?

Chet Willoughby war ganz offensichtlich ein Bastard höchsten Grades. Oder war es zumindest gewesen.

„Zweieinhalb Monate lang habe ich nicht einmal geahnt, dass ich schwanger war. Als meine Tage ausblieben, dachte ich, es läge am Stress. Ist das nicht witzig?“

Sie drehte sich zu ihm – mit einem breiten aufgesetzten Lächeln.

„Nicht wirklich“, sagte er trocken.

Ihr Lächeln erstarrte. „Einige Leute sehen das so. Sie halten es für das Witzigste, was sie je gehört haben. Ihrer Meinung nach ist es genau das, was ich verdient habe. Andere vermuten, ich hätte ihn betrogen und ihn damit in den Tod getrieben.“ Ihre Stimme brach.

„All diese Leute sind herzlose Idioten.“ Nur gut, dass Chet Willoughby nicht mehr lebte, sonst hätte Oliver ihn eigenhändig erwürgt. Was für ein Schwein musste ein Mann sein, der seiner Frau so etwas antat?

„Er wusste, dass die Pyramide auffliegen würde – und damit er selbst. Meine Mutter versuchte, seinen Selbstmord als edle Tat hinzustellen. Er wollte sich nicht gegen meinen Vater stellen. War das nicht nobel von ihm? Ganz anders als Clint vielleicht. Und das Baby?“ Renee schüttelte den Kopf. „Sie sagte, das Baby wäre eine lebende Erinnerung an Chet. Als ob ich mich an ihn und seinen Betrug erinnern wollte!“, setzte sie bitter hinzu.

Er spürte, dass sie weinte. Sehr leise. Tränen liefen ihr über die Wangen.

Er wollte nicht hören, wie alle, denen sie vertraut hatte, sie betrogen hatten. Sogar Clint, den er für einen guten Mann gehalten hatte. Es tat ihm weh, ihren Schmerz zu spüren und nichts für sie tun zu können.

„Ich glaube nicht, dass dein Kind eine Erinnerung an den Betrug sein wird“, sagte er. „Ich glaube, es steht für deine Kraft. Für deinen Mut. Andere wären vielleicht vor der Situation davongelaufen, aber du hast durchgehalten, Renee. Du wirst eine wunderbare Mutter sein.“

Er spürte förmlich, wie sie ihn groß ansah. Er hielt den Blick unverwandt nach vorn gerichtet. „Findest du wirklich?“, fragte sie leise.

Er nickte, als wäre er sich sicher – und nicht einfach dabei, Komplimente zu verschießen in der Hoffnung, dass eines davon ankam. „Du kannst auf Red Oak Hill bleiben, solange du möchtest“, erklärte er. Das war neben dem einen oder anderen geglückten Kompliment alles, was er ihr bieten konnte. „Ich bin nur an den Wochenenden dort. Ich habe eine Haushälterin, aber ich kann ihr freigeben, wenn du lieber allein sein möchtest.“

Sie wischte sich die Tränen fort. „Wird sonst jemand von deiner Familie dort sein?“

Oliver lachte. „Bestimmt nicht. Red Oak Hill gehört mir. Niemand wird wissen, dass du da bist.“

„Danke“, flüsterte sie.

Ihr Ton war so erfüllt von Schmerz, dass er spontan eine Hand ausstreckte und sie auf ihre legte. Sie entzog sich ihm nicht. „Du wirst nicht einmal merken, dass ich da bin. Versprochen.“

Irgendwie hatte Oliver da so seine Zweifel. Es würde unmöglich sein, Renee in der Nähe zu haben und sich ihrer nicht bewusst zu sein.

Sobald er sie gut untergebracht hatte, wollte er wieder nach Dallas fahren. Er hatte keine Zeit, um Renee Preston-Willoughby zu trösten – ganz gleich, wie gern er es auch getan hätte.

3. KAPITEL

Renee war überrascht. Red Oak Hill war kein langes, flaches Ranch-Haus, umgeben von Weideland mit Kühen. Es waren überhaupt keine Kühe zu sehen, als Oliver den Wagen vor dem beeindruckenden Herrenhaus oben auf einem kleinen Hügel hielt. Große Bäume – wohl die roten Eichen, die dem Haus seinen Namen Red Oaks gegeben hatten – spendeten Schatten gegen die sengende Sonne von Texas.

Das Haus wirkte wie aus einer Zeitschrift für schönes Wohnen. Auf der anderen Seite der Auffahrt lag ein kleiner See, auf dem ihr etwas Weißes ins Auge fiel. „Sind das … Schwäne?“

„Fred und Wilma? Ja. Ich habe sie mit dem Haus übernommen.“

Renee hatte einen schrecklichen Tag hinter sich. Oder genauer gesagt: schreckliche fünf Monate. Aber die Vorstellung, dass Oliver ein Schwanenpaar geerbt hatte, brachte sie zum Lachen. „Hast du sie nach den Feuersteins benannt, oder hatten sie die Namen schon?“

„Ich weiß nicht, ob man Schwänen überhaupt Namen geben kann. Ich meine, sie kommen ja nicht, wenn man sie ruft. Aber …“ Er zuckte die Schultern, während in seinen Augen ein Lachen stand. „Für mich sahen sie aus wie Fred und Wilma. In diesem Jahr haben sie auch Junge. Pebbles und Bamm-Bamm. Vielleicht sollten noch einmal die Nachbarn dazukommen – Barney Geröllheimer und seine Frau Betty, geborene Schotterhaufen.“

Sie erinnerte sich nicht, dass Oliver einen Sinn für Humor gehabt hätte. War er schon immer so witzig? In ihrer Erinnerung war er meist ernst und abweisend gewesen. Ein Stiesel, wie Chloe und sie einmal befunden hatten.

Aber war er das wirklich? Sie dachte wieder an die Szene mit den Wasserbomben, die er erwähnt hatte. Sie und Chloe hatten die Wasserbomben vom Balkon herunterfallen lassen. Oliver und Clint hatten sich mit dem Gartenschlauch gerächt, und Oliver hatte damit gezielt.

„Renee? Alles in Ordnung?“

Sie bemerkte erst jetzt, dass er ihr die Wagentür aufhielt und darauf wartete, dass sie ausstieg.

Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Sie begriff, dass sie ihn angestarrt hatte. Großer Gott – wahrscheinlich machte sie sich gerade so richtig lächerlich! Aber das war ja nichts Neues. „Ich weiß es nicht“, bekannte sie – und das war das Ehrlichste, was sie seit langem gesagt hatte. Irgendwie spürte sie, dass sie für ihn keine tapfere Fassade aufsetzen musste.

„Komm.“ Er nahm ihre Hände und half ihr aus dem tiefergelegten Sportwagen. Aber statt sie dann loszulassen oder zurückzutreten, blieb er, wo er war. So nah, dass sie ihn berühren konnte. „Vor einigen Monaten habe ich eine Mail von deinem Bruder bekommen“, sagte er und sah ihr dabei in die Augen. „Er bat mich, mich um dich zu kümmern, Renee. Es tut mir leid, dass ich nichts unternommen habe. Hätte ich gewusst …“

Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Oliver Lawrence entschuldigte sich! Bei ihr! Sie brauchte seine Entschuldigung nicht, und dennoch – sie spürte, wie ihr irgendwie leichter wurde. Alle anderen hatten sie im Stich gelassen, aber dieser Mann – ein alter Bekannter, ein Freund aus Kindertagen – bedauerte, sich nicht früher um sie gekümmert zu haben!

Sagte er es nur so, oder meinte er es ernst?

Sie hoffte wirklich, dass Letzteres stimmte. Es kostete sie Mühe, der Versuchung zu widerstehen, die Arme um ihn zu legen und sich an ihn zu lehnen. Würde er die Umarmung erwidern? Würde er sie an sich drücken? Würde die Wärme seines Körpers die harte Schale durchdringen, hinter der sie sich verbarg? Oder würde er einen Moment lang nur steif dastehen und sich dann so höflich wie möglich von ihr lösen, um ihre Gefühle zu schonen? Sie wusste es nicht.

In diesem Moment stieß einer der Schwäne einen durchdringenden Schrei aus und durchbrach damit die Spannung des Augenblicks.

„Ich zeige dir jetzt alles“, sagte Oliver und ließ ihre Hände los, um ihren Koffer aus dem Wagen zu heben.

Ihr Blick glitt über das zweistöckige Haus aus rotem Klinker. Eine weiße Veranda lief ganz herum, an der sich gelbe Rosen emporrankten, deren süßer Duft die Luft mit jedem Windhauch erneut erfüllte.

Die Häuser der Prestons waren, wie alle anderen Wertgegenstände der Familie, jetzt beschlagnahmt. Renee nahm an, dass nach der Urteilsverkündung alles versteigert und der Erlös auf die betrogenen Investoren verteilt wurde. Es würde nicht genug sein, aber sie selbst hatte mit Sicherheit nicht noch irgendwo eine verhärmte Milliarde herumliegen, die sie mit in den Topf werfen könnte.

Sie hatte nicht einmal mehr ihren Ehering. Man hatte ihr angeboten, den mit einem dreikarätigen Diamanten besetzten Ring zuerst einmal zu behalten, aber Renee hatte sich schmerzlos davon getrennt. Dieser Ring war nie ein Symbol der Liebe gewesen, sondern nur eine weitere Lüge. Nun konnte er hoffentlich mit dazu beitragen, etwas von dem entstandenen Schaden wiedergutzumachen.

Der Eingangsbereich des Hauses war mit warm glänzendem Holz ausgelegt – natürlich rot. Eine geschwungene Treppe führte in den ersten Stock hinauf. Der Türbogen zur Rechten führte zu Olivers Büro. Es wurde von einem großen Schreibtisch beherrscht und braunen Ledersofas um einen alten persischen Teppich.

Oliver führte sie kurz herum und wollte dann die Treppe hinaufgehen, blieb aber stehen und sah sie fragend an. „Kannst du noch?“

In dem Moment wünschte Renee, sie wäre nicht gekommen. Oliver war der perfekte Gentleman und ein überraschend mitfühlender Freund. Ja, dieses Haus an einem See mit einem Schwanenpaar war der perfekte Ort, um abzutauchen, aber sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass sie Oliver dadurch einem Risiko aussetzte. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, aber alles, was sie tat – alles, was sie berührte –, wurde beschmutzt von den Machenschaften ihrer Familie und ihres Mannes, so wie auch ihr Name beschmutzt war.

Sie wollte nichts tun, was Oliver – oder Chloe – schaden könnte. Sie wollte niemanden verletzen.

„Renee?“ Er sah sie fragend an. Als er eine Hand hob und sie an ihre Wange legte, wusste sie, sie sollte sich ihm entziehen. Es war nicht richtig, dass er sich um sie sorgte.

So, wie es nicht richtig war, dass sie sich um ihn sorgte.

„Es tut mir leid“, sagte sie – und meinte damit wirklich alles.

„Es ist ein langer Tag für dich gewesen.“ Er hatte sie missverstanden. Und sie brachte es nicht über sich, ihn zu korrigieren. „Ich zeige dir jetzt dein Zimmer. Dann kannst du dich ausruhen.“

Sie wusste, sie sollte es nicht tun, aber sie genoss die Berührung seiner Hand. „Wirst du noch da sein, wenn ich aufwache?“, fragte sie leise.

Er fuhr so leicht mit dem Daumen über ihre Wange, dass sie die Augen schließen musste. Wann hatte jemand sie das letzte Mal so berührt? Chet Willoughy war nur zärtlich gewesen, wenn es ihm etwas brachte. Und Oliver? Sie brachte ihm nichts, weder direkt noch indirekt. Sie war nichts als ein Risiko. Und dennoch war er nett zu ihr.

Sie atmete fast erleichtert auf, als er seine Hand fortnahm. Aber dann stellte er ihren Koffer ab und hob sie auf seine Arme. „Ich halte dich“, sagte er und trug sie die Treppe hinauf. „Keine Angst, ich halte dich.“

Sie konnte nichts weiter tun, als den Kopf an seine Schulter zu legen. Es war nicht richtig.

Aber in diesem Moment hielt er sie.

Und das wollte sie genießen.

Irgendwie gelang es Oliver, Renee die Schuhe auszuziehen und ihre Beine auf das Bett zu heben, ohne zu sehr an ihre nackte Haut unter seiner Hand zu denken. Er bekam sie nicht unter die Decke, also legte er sie nur auf das Bett. Sie rollte sich sofort auf die Seite und schloss die Augen.

Decken. Er eilte ins Nebenzimmer und riss die Decke vom Bett. Als er zurückkam, atmete sie bereits tief und gleichmäßig. Ihre Züge hatten sich entspannt.

Er legte ihr die Decke über und hielt nur kurz in der Bewegung inne, als sie im Schlaf seufzte. Aber sie regte sich nicht.

Er spürte, wie das Smartphone in seiner Tasche vibrierte. Er hatte den Ton abgestellt, weil das Geräusch ihn beim Nachdenken störte. Zweifellos schickte Bailey ihm gerade die Links zu den Presseartikeln. Davon einmal abgesehen, sollte er sich endlich auch wieder um seine Arbeit kümmern. Er musste mit Sicherheit einige Wogen glätten, weil er am Nachmittag Termine hatte ausfallen lassen.

Besonders der Termin mit Herb Ritter war wichtig. Ritter war bereits seit fast dreißig Jahren ein Geschäftspartner von Lawrence Energies . Er war ziemlich verschroben und kleinlich – und leider Gottes sehr gut im Ölgeschäft. Dazu kam: Er war der beste Freund von Milt Lawrence, seit die Familie nach Texas gekommen war. Das machte alles nur noch schlimmer. Nicht genug, dass er sich um seinen Vater kümmern musste; dass er nun auch noch mit Ritter zu tun hatte, erschien ihm wie eine Strafverschärfung. Womit hatte er das verdient?

Er hielt das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte. Er leitete das Familienunternehmen und kümmerte sich um seinen Vater und um seine Schwester Chloe. Bei Flash brauchte er sich keine Mühe zu geben. Der ließ sich von niemandem etwas sagen. Zu allem Überfluss managte Oliver auch noch das Rodeo, statt einmal etwas für sich zu tun. Auch wenn er im Moment nicht hätte sagen können, was dieses Etwas sein sollte.

Er machte seinen Job, und er hielt sein Wort. War das nicht genug?

Würde es je genug sein?

Aber nicht einmal die drängendsten Termine konnten Oliver von Renees Bettkante bringen.

Sie war wirklich schön. Müde, voller Sorge und schwanger – und dennoch schön. Er wollte, er könnte noch einmal zu Clints Hochzeit gehen. Hätte er sich damals doch nur mit ihr unterhalten! Hätte er damals den Faden zu ihr wiederaufgenommen, vielleicht hätte er ihr einiges von diesem Schmerz ersparen können!

Er schob ihr eine Strähne aus der Stirn.

Sein Smartphone machte sich wieder bemerkbar. Verdammt. Er beugte sich vor und hauchte Renee einen Kuss auf die Wange, bevor er sich zwang, das Zimmer zu verlassen.

Achtzehn Mails warteten auf ihn, als er endlich seine Krawatte abgelegt, sich ein Bier genommen und an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Die traurige Wahrheit war: Er hatte keine Zeit, sich um Renee Preston-Willoughby zu kümmern. Die Geschäfte forderten seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Wirst du noch da sein, wenn ich aufwache?

Diese Bitte war der einzige Grund, wieso er jetzt in seinem Büro auf der Ranch saß, statt sofort nach Dallas zurückzukehren.

Sie hatte ihn gebeten.

Aber natürlich nur, bis sie sich hier auskannte. Er war noch nicht einmal dazu gekommen, ihr die Küche zu zeigen. Er mochte sie nicht eher sich selbst überlassen, bis er sicher sein konnte, dass sie zurechtkam. Er konnte sie nicht im Stich lassen.

Also blieb er.

Zwei Stunden später verstand Oliver Renees Situation schon wesentlich besser.

Es war wirklich übel. Preston Investment Strategies wurde beschuldigt, die Anleger im Laufe von zwanzig Jahren um über fünfundvierzig Milliarden Dollar betrogen zu haben. Renees Vater, Darin Preston, war seit zwei Monaten in Haft. Man hätte ihn auf Kaution freigelassen, aber seine Frau war mit dem verbliebenen Geld verschwunden. Auch Clinton Preston war in Haft, aber es schien, dass er einen Deal mit den Behörden anstrebte: Geständnis gegen Strafmilderung. Chet Willoughby, Prestons Schwiegersohn, hatte vor viereinhalb Monaten Selbstmord begangen. Offenbar hatte man die Verbindung zwischen diesem Suizid und dem Pyramidenschema erst nach der Verhaftung von Clint und seinem Vater gezogen.

Bailey war sehr gründlich in seinen Recherchen. Neben Artikeln der seriösen Presse las er auch die des Boulevards. Dort fanden sich Interviews mit Freunden und Bekannten, die alle die Gelegenheit nutzten, Renee und ihre Mutter in den Schmutz zu ziehen. Nachdem Rebecca Preston verschwunden war, wurde es noch schlimmer. Es entfachte sich eine Art Debatte darüber, ob Renee von den Geschäften ihrer Familie gewusst hatte oder nicht – oder ob sie einfach zu dumm war, sie zu durchschauen. Wie auch immer, die Artikel waren alles andere als schmeichelhaft. Das galt auch für die Fotos. Es gab fürchterliche Aufnahmen, die sie mit verweinten Augen und in unförmiger Kleidung zeigten. Es entstand der Eindruck, sie sei schon weit fortgeschritten in ihrer Schwangerschaft. Das warf natürlich die Frage auf: Hatte sie ihren Mann betrogen, und hatte er sich deshalb umgebracht? Den Gehässigkeiten schienen keine Grenzen gesetzt zu sein.

Angeekelt wandte Oliver sich ab. Wie hatte es so weit kommen können? Wie hatte Darin Preston sein Pyramidenschema so lange durchziehen können? Und Clint? Oliver wusste, dass er eigentlich zu den Guten zählte. Wieso hatte er bei dem Betrug mitgemacht? Es passte alles nicht zusammen.

Sein Smartphone vibrierte ohne Unterlass. Er warf einen Blick auf das Display. Sein Vater!

„Ja, Dad?“ Oliver schloss die diversen Fenster auf seinem Bildschirm.

„Du hast es dir mit Herb Ritter verdorben, Junge“, knurrte sein Vater in dem aufgesetzten texanischen Akzent, den er sich angewöhnt hatte. „Du solltest es besser wissen.“

Oliver rollte mit den Augen. Sein Vater war in New York City geboren und aufgewachsen. Olivers Großvater Mitchell hatte Texas verlassen, nachdem er mit Lawrence Oil Industries – dem Vorläufer von Lawrence Energies – zum Multimillionär geworden war.

Milt hatte bis in seinen Vierzigern in New York gelebt. Bis vor dreizehn Jahren hatte er nie mehr als ein paar Wochen im Herbst in Texas verbracht. Kurz gesagt: Er war kein gebürtiger Texaner, auch wenn er es gern vorgab.

„Ich habe mich bei Ritter entschuldigt“, erklärte Oliver ruhig. „Wir haben bereits einen neuen Termin vereinbart.“

„Das reicht nicht.“

Oliver biss die Zähne zusammen und beschloss, das Thema zu wechseln, bevor das Gespräch laut werden konnte. „Dad, hast du eigentlich von Darin Preston gehört?“

Milt schwieg einen Moment. „Dieser Bauernfänger? Ich habe seinen Versprechungen von schnellem Reichtum nie getraut. Ist er nicht vor einiger Zeit durch die Presse gegangen?“

„Stimmt.“ Oliver wollte seinem Vater nicht sagen, dass Renee oben in seinem Haus schlief. Schließlich hatte er ihr versprochen, dass niemand davon erfahren sollte. Das war das Einzige, was er ihr versprechen konnte.

„Wieso fragst du?“

Oliver beschloss, die Wahrheit ein wenig zu verbiegen. „Ich hatte da eine merkwürdige Mail von Clint. Es sieht so aus, als hätte er seinem Vater geholfen, die Investoren zu betrügen.“

„Jammerschade“, sagte Milt. „Clint war kein schlechter Kerl. Und seine Schwester … wie hieß sie noch gleich?“

„Renee.“

„Genau. Renee. Sie und Chloe waren eng befreundet. Trixie …“ Er räusperte sich. Oliver wusste, dass die Augen seines Vaters feucht geworden waren, auch wenn er es nie zugeben würde. Noch nach all diesen Jahren trieb jede Erwähnung seiner geliebten Frau Milt das Wasser in die Augen. „Sie mochte Renee sehr. Sie ist oft mit den Mädchen einkaufen gegangen. Clint mochte sie auch, aber für Renee hatte sie eine richtige Schwäche.“ Er schwieg einen Moment. „Deine Mutter hat nicht viel gehalten von Rebecca und Darin Preston. Sie hatte ein sehr gutes Gespür für Menschen.“

Oliver sog diese Informationen auf. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass seine Mutter Renee besonders gern gehabt hatte. Er wusste nur noch, dass die Kleine ständig mit seiner Schwester Chloe zusammengesteckt hatte. Gemeinsam schmiedeten sie ihre Komplotte gegen Oliver und Clint.

Die Preston-Kinder hatten häufig mit bei den Lawrences am Tisch gesessen. Doch Oliver konnte sich nicht erinnern, oft bei den Prestons gewesen zu sein. Eigentlich so gut wie gar nicht. Ein paarmal war er mit Clint unbemerkt ins Haus geschlichen, um Tauschkarten zu holen oder die neuesten Videospiele, aber danach waren sie immer gleich wieder zu ihm nach Hause gegangen.

Damals war es ihm nicht merkwürdig vorgekommen. Was, wenn mehr dahintergesteckt hätte? Clint hatte ihn immer gebeten, sehr leise zu sein. Seine Mutter sollte nicht wissen, dass sie im Haus waren. Leise sein und nichts anfassen: Das war die Devise gewesen.

Im Nachhinein fragte Oliver sich: Hat Clint Angst vor seiner Mutter gehabt?

„Ich habe gelesen, dass Mrs. Preston mit dem restlichen Geld nach Europa verschwunden ist.“

„Großer Gott! Was für eine Familie! Die Kinder waren ja an sich in Ordnung, aber was soll ein Kind schon tun, wenn es in einer Schlangengrube aufwächst? Wirklich eine Schande! Ihr habt wenigstens eure Mutter und mich gehabt. Für eine Weile zumindest.“ Er räusperte sich erneut.

„Das stimmt.“ Wenn Oliver jetzt mit seinem in Texas vernarrten Vater zu tun hatte, war er oft frustriert, aber damals, bis zum Tod seiner Mutter, hatte er seine Eltern geliebt. Beide. Fünfzehn Jahre lang war die Lawrence-Familie glücklich und stabil gewesen. So etwas hatte nicht jeder.

Er hatte seiner Mutter versprochen, sich um die Familie zu kümmern. Sie mochten vielleicht nicht mehr so glücklich sein wie früher, aber zumindest war keiner von ihnen verhaftet oder angeklagt worden. Das war doch auch schon etwas.

Aber seinem Vater war es nicht genug. Nie. Als Milt wieder sprach, spürte Oliver, wie aufgesetzt seine gute Laune war.

„Hast du dich mit dem Sportsender wegen der Übertragung der All-Stars geeinigt?“

„Ich musste das Meeting heute verlegen. Es ist etwas dazwischengekommen.“ In diesem Fall hatte Oliver keine Eile, einen neuen Termin zu vereinbaren. „Du solltest Chloe die Verhandlungen überlassen. Sie würde das prima machen.“

„Sie ist die Rodeo-Prinzessin, und sie hat ihre Modelinie“, erinnerte Milt ihn, als könnte Oliver das vergessen haben. „Übrigens, ich will diesen Pete Wellington nicht in ihrer Nähe sehen.“

Oliver verdrehte die Augen. Er mochte Wellington ebenso wenig wie sein Vater, aber der Mann war zu sehr dem Code der Cowboys verpflichtet, um einer Frau je zu nahe zu treten. „Sie hat von ihm nichts zu befürchten.“

Nicht zum ersten Mal erwog Oliver, einen Anteil am Rodeo wieder den Wellingtons zu überschreiben. Schließlich hatte das alles ihnen gehört, bevor Petes Vater, Davy, es beim Pokern verloren hatte. Pete hatte das weder seinem Vater noch Milt je verziehen. Er hatte einen Hass auf jeden mit dem Namen Lawrence. Oliver wäre nur zu gern bereit, die Situation zu befrieden und Pete in das Rodeo-Unternehmen zu holen. Wenn er das Gefühl hätte, es könne helfen, dann würde er Pete einfach die Leitung überlassen.

Das Problem dabei war: Pete war zu stolz, um nur für die All-Stars zu arbeiten. Er fand, Milt Lawrence hätte sich das Team widerrechtlich unter den Nagel gerissen, und er wollte es zurück. Ganz oder gar nicht.

Also bekam er nichts. Erstaunlich, wie sich ein Sieg hier wie eine Niederlage anfühlen konnte. „Chloe wäre gut bei den Verhandlungen.“ Das Marketing-Team würde ihr aus der Hand fressen, und sie wussten es beide.

Aber wie immer ignorierte Milt Oliver. „Sie hat schon ihre Aufgabe und macht sie gut. Sieh zu, dass du deine auch gut machst.“ Er legte au...

Autor

Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
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