Wo das Glück wohnt

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Beim ersten Blick in Cals blaue Augen ist die hübsche Lindsay hingerissen: Dieser Mann geht ihr unter die Haut. Doch Vorsicht! Wurde sie nicht gerade von ihrem Ex-Bräutigam vor dem Altar stehengelassen? Damit sie Cal nicht entfliehen kann, bereitet er heimlich alles für eine Blitzhochzeit vor. Wird Lindsay Ja sagen?


  • Erscheinungstag 28.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755706
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Niemand hatte Lindsey Hayes gesagt, dass „Papa Joe’s“ ein Motorradfahrertreff war. Sie hatte gedacht, es sei eine ganz normale, gemütliche Pizzeria, wie es sie in New York an jeder Ecke gab.

Dennoch, es gab keinen Zweifel: Hier handelte es sich um eine Kneipe, die einen leicht heruntergekommenen Eindruck machte. Lindsey steuerte ihren roten Ford Bronco an den Straßenrand und sah hinüber zu dem Gebäude mit dem Leuchtreklameschild, auf dem das „J“ ausgefallen war, den verrosteten Brauereischildern und den links und rechts vom Eingang in Dreierreihen parkenden Motorrädern.

Soviel sie wusste, jobbte der frisch gebackene Schwager ihrer Schwester an den Wochenenden bei „Papa Joe’s“ am alten Highway außerhalb von Austin. Und da sie seit Meilen an keinem anderen Lokal dieses Namens vorbeigefahren war, musste sie hier wohl doch an der richtigen Adresse sein.

Entschlossen stieg Lindsey aus ihrem Wagen und eilte über den kiesbedeckten Parkplatz. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, denn in ihrer Boutique wartete eine Menge dringender Arbeit auf sie. Außerdem hatte sie für die 110 Meilen von Leesburg hierher annähernd zwei Stunden gebraucht, und sie hatte nicht vor, unverrichteter Dinge nach Hause zurückzukehren.

Allerdings kamen ihr doch Bedenken beim Anblick des Totenschädels mit den gekreuzten Knochen auf dem schwarz polierten Tank der ersten Harley.

Vielleicht war es klüger, von der Telefonzelle gegenüber bei „Papa Joe’s“ anzurufen und nach Cal Whitaker zu fragen. Lindsey überlegte kurz und wandte sich ab … um im gleichen Augenblick beim Geräusch eines peitschenden Knalls herumzufahren.

Was sich wie ein Schuss angehört hatte, entpuppte sich als das Krachen der Kneipentür gegen die Hauswand. Die Tür war mit solcher Wucht aufgestoßen worden, dass sie noch immer in den Angeln zitterte. Aus der dämmrigen Kneipe drangen Musik und lautes Stimmengewirr hinaus auf den Parkplatz.

Lindsey spürte ihr Herz klopfen. Offenbar war in der Kneipe eine Prügelei im Gange, und ehe sie sich’s versah, landete ein von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleideter Rocker bäuchlings zu ihren Füßen. Entsetzt wich sie ein paar Schritte zurück. Da flog auch schon der nächste Kneipengast über die Schwelle und fiel nach ein paar torkelnden Schritten neben seinem Kumpel auf die Knie. Lindsey hatte inzwischen ihr Auto erreicht und wollte gerade die Fahrertür öffnen, als die Musik schlagartig verstummte.

Das Herz schlug Lindsey noch immer bis zum Hals, trotzdem warf sie neugierig einen Blick zurück zur Tür. Im Eingang stand jetzt nur noch ein einziger Mann, groß, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, der den Handrücken gegen den Mund presste. Das schwarze T-Shirt, das sich über seinen Muskeln spannte, war aus dem Bund seiner ebenfalls schwarzen Jeans gerutscht und an der linken Schulter zerrissen.

Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Sein durchtrainierter Körper verriet harte körperliche Arbeit, und sein Haar hätte dringend einen Schnitt nötig gehabt. Doch was ihre Aufmerksamkeit am meisten fesselte, war sein markantes und gefährlich attraktives Gesicht. Seine Züge hatten etwas Raues, Ungezähmtes.

Als ihre Blicke sich trafen, sah er Lindsey gerade lange genug an, um ihr klarzumachen, dass er sie wahrgenommen hatte, dachte jedoch nicht daran, sie zu grüßen, sondern sah auf seinen Handrücken, den er an seinen Mundwinkel gedrückt hatte. Fluchend spuckte er Blut aus, zog ein Taschentuch aus der Gesäßtasche seiner Jeans und presste es an seinen Mundwinkel.

Erst als Lindsey auf ihn zugehen wollte, blickte er wieder auf.

Der eisige Blick seiner blauen Augen ließ sie umgehend innehalten.

„An Ihrer Stelle würde ich keinen Schritt weiter tun, Lady. Sie wollen ganz sicher nicht hier herein.“

Sein Ton war rau, ein wenig ungeduldig und unüberhörbar abweisend.

„Wenn Sie telefonieren wollen oder so, drüben bei der Tankstelle ist eine Telefonzelle.“

„Warten Sie!“, rief Lindsey, als er sich zur Kneipe umdrehte, und wollte ihm nach. Doch als sie an ihm vorbei einen Blick auf die Männer in schwarzem Leder an der Theke erhaschte, blieb sie stehen. Nein, da wollte sie wirklich nicht hinein.

„Ich suche Cal Whitaker“, rief sie ihm nach. „Ist er da?“

Mit seinen unglaublich blauen Augen musterte er sie aufreizend langsam von Kopf bis Fuß.

„Wer sind Sie?“

„Lindsey Hayes“, erwiderte sie. „Cal kennt mich nicht, aber einer seiner Brüder ist mit meiner Schwester verheiratet.“

„Was wollen Sie von ihm?“

„Mit ihm reden“, antwortete sie. „Hören Sie, es wird nicht lange dauern, höchstens ein paar Minuten. Okay?“

Abschätzend musterte er sie, als müsste er erst überlegen, ob er sie für naiv oder clever halten sollte. „Welcher Bruder?“

„Wie bitte?“

„Welcher Bruder ist mit Ihrer Schwester verheiratet?“

„Logan“, erwiderte Lindsey. „Er und Sam … meine Schwester haben im November voriges Jahr geheiratet.“ Plötzlich brach sie ab. Der Mann, den sie suchte, stand ganz offensichtlich genau vor ihr. Warum gab er sich nicht endlich zu erkennen, anstatt dieses Fragespielchen mit ihr zu spielen?

„Hat er Sie geschickt?“

„Nein“, erklärte sie mit einem Seitenblick, der deutlich zu verstehen gab, wie lächerlich seine Frage war. Als würde Logans Dickschädel je zulassen, dass ein Dritter sich in seine Angelegenheiten einmischte.

„Mein Anliegen ist rein geschäftlich. Soviel ich weiß, sind Sie Zimmermann.“ Hinter ihr wurde ein Motorrad angelassen, und sie hob die Stimme, um den Lärm zu übertönen. „Ich würde gerne ein Projekt mit Ihnen besprechen.“

„Was für ein Projekt?“

„Könnten wir uns woanders unterhalten?“

Auf Grund des ohrenbetäubenden Krachs war Lindsey sich nicht ganz sicher, ob er sie überhaupt verstanden hatte. Zudem zogen zwei Choppers seine Aufmerksamkeit auf sich, die mit aufheulenden Motoren gerade vom Highway herunterkamen.

Das Röhren der beiden Maschinen erstarb, als sie hinter Lindseys Bronco anhielten. Der größere der beiden Männer trug eine schwarze Lederweste, und sein Oberkörper war mit Tätowierungen so übersät, dass man auf den ersten Blick meinen konnte, er trüge ein T-Shirt unter der Weste. Sein Kumpel war von gedrungener Statur und behaart wie ein Neandertaler. Auch er trug eine schwarze Lederweste mit einem Python auf dem Rücken und hatte ein Kopftuch umgebunden. Bemerkenswert war die Reihe unzähliger silberner Ohrringe in seinem rechten Ohr.

Der Tätowierte entdeckte Lindsey als Erster und entblößte grinsend eine Reihe nikotinverfärbter Zähne. „Sieh mal an, J. J., was wir da haben. Kommst du oder gehst du, Süße?“

Lindseys Magen zog sich zusammen, als die beiden einen viel sagenden Blick tauschten und gemächlich mit wiegendem Schritt auf sie zukamen. Der Mann, der J. J. genannt worden war, starrte sie an, als hielte er sie für ein besonders köstliches Dessert, und leckte sich die Lippen. „Oh Mann, ich wette, sie ist extra wegen mir hier.“

„Kannst dich nicht entscheiden, was?“, fragte der Tätowierte. „Sie kann sich nicht entscheiden, J. J.“ Er grinste noch immer. „Sollen wir ihr ein bisschen helfen, was meinst du?“, fragte er seinen Kumpel.

Panik ergriff Lindsey. Die zwei Männer einfach zu ignorieren war genauso unmöglich, wie zu fliehen, da die beiden sich genau zwischen ihr und ihrem Wagen aufgebaut hatten. Der Weg nach hinten wurde von parkenden Motorrädern versperrt. Rechts befand sich der Highway, links die Kneipe, die ihr nun mit dem Mann im Eingang als einzige Rettung erschien.

Lindsey saß in der Falle. Der Affe mit dem schmutzigen Taschentuch um den Kopf kam näher. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, als er grinsend die Hand hob, um ihr glänzendes Haar zu berühren. Sie warf verzweifelt den Kopf zur Seite, doch der Lenker eines Motorrads bohrte sich in ihren Rücken, und sie konnte keinen Schritt weiter zurückweichen.

Von der Kneipentür her hörte Lindsey einen leisen Fluch, der ungeduldig und gereizt klang, so als betrachte der Mann, der ihn ausstieß, die ganze Situation als überaus lästig. Lindsey war das vollkommen egal. Für sie zählte nur, dass der Affe mit den Ohrringen seine Hand sinken ließ und seine Aufmerksamkeit jetzt auf Cal richtete, der näher kam.

Mit dem geschmeidigen Gang eines Raubtiers, kontrolliert und selbstbewusst, trat er auf sie zu. Und sein Griff war hart wie Stahl, als er ihren Oberarm umfasste und sie mit einem Ruck neben sich zog.

Die beiden Männer stellten sich breitbeinig in Kampfstellung auf.

„Lass es gut sein, Rembrandt“, hörte Lindsey Cal gelassen sagen. „Wir wollen hier keinen Ärger. Geht lieber rein, und genehmigt euch ein Bier.“

„Ich hab die Lady was gefragt und will eine Antwort von ihr.“

„Antworten Sie ihm“, befahl Cal ihr knapp, wobei er Rembrandt nicht aus den Augen ließ.

„Ich wollte gerade gehen“, stammelte Lindsey mühsam.

Mitleidig sah Cal die beiden Männer an, nicht etwa Lindsey. „Tut mir leid, Jungs. Wie ihr hört, geht die Lady gerade.“

Einen quälend langen Augenblick fürchtete Lindsey, dass sich die Angelegenheit nicht so einfach regeln lassen würde. Und Cal schien der gleichen Meinung zu sein, denn obwohl er nach außen hin völlig entspannt wirkte, spürte sie die Spannung in seinem Körper. Doch Rembrandt schien zu wissen, dass mit ihm nicht zu spaßen war.

„Hättest ja gleich sagen können, dass sie für dich reserviert ist“, knurrte er und richtete seinen Blick missmutig auf Lindseys Hand, die sie ganz unbewusst in Cals T-Shirt gekrallt hatte. Ein silbernes Armband schimmerte auf, als er mit der Hand die Kneipentür aufstieß. „Komm, J. J., ich brauch jetzt dringend ein Bier.“

Lindsey hielt den Atem an, während die Männer scheinbar ewig brauchten, bis sie endlich in der Kneipe verschwunden waren. Dann stieß sie erleichtert die Luft aus. Sie zitterte am ganzen Körper, und ihre Knie waren weich wie Gummi. Ohne Logans Bruder wäre sie verloren gewesen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er, und sein Atem strich über ihr Haar.

Er musste ihre Schwäche gespürt haben, denn sein fester Griff um ihre Taille verstärkte sich noch. Lindsey wurde bewusst, dass sie noch immer sein T-Shirt gepackt hatte. Mit einem Seufzer ließ sie los, sah ihm ins Gesicht und bemerkte zu ihrem Erstaunen, dass er sie besorgt betrachtete. Und gleichzeitig stellte sie fest, wie gefährlich es war, ihm in die Augen zu sehen, während er sie so fest an sich gepresst hielt. Die unverhohlene Intimität seines Griffs war wohl auch eine deutliche Botschaft an die beiden Rocker gewesen.

Cal schien dasselbe zu denken wie sie, das spürte sie an der Art, wie seine Finger über ihre Hüfte glitten, bevor er sie losließ. Rasch senkte sie den Blick und löste sich von ihm.

„Danke, dass Sie mich gerettet haben“, sagte sie verlegen. „Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.“

Aus seinem Blick sprach nun nur noch die Ungeduld von vorhin. „Vergessen Sie’s einfach.“

„Oh nein. Was Sie getan haben …“

„Was ich getan habe“, unterbrach er sie, „war nicht der Rede wert. Ich habe einfach ein Problem mit Typen, die sich mit Vorliebe schwächere Gegner aussuchen. Für jeden anderen hätte ich es auch getan.“ Für einen kurzen Augenblick flackerte Wut in seinem Blick auf. „Allerdings habe ich auch kein besonderes Faible für Leute, die sich freiwillig in gefährliche Situationen begeben. Eine Frau wie Sie hat an einem Ort wie diesem nichts zu suchen.“

„Ehrlich gesagt habe ich mir diesen Ort auch anders vorgestellt“, entgegnete Lindsey und wunderte sich, wie bitter ihre Stimme klang. „Wenn ich auf andere Art und Weise mit Ihnen in Kontakt hätte treten können, hätte ich das mit Sicherheit vorgezogen.“

„Woher wussten Sie, wo Sie mich finden können?“

„Ich habe gestern angerufen. Man sagte mir, dass Sie heute ab drei hier sein würden.“

Cal fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes dunkles Haar und sah auf seine Armbanduhr.

„Ein Stück weiter die Straße hinunter ist ein Restaurant“, sagte er. „Gleich links vor der Kreuzung. Wenn Sie mit mir über einen Job reden wollen, können wir uns dort in zehn Minuten treffen. Aber ich habe wenig Zeit.“

Er wartete ihre Zustimmung erst gar nicht ab, sondern machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Kneipe, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen.

Das Restaurant am Highway 235 stammte geradewegs aus den fünfziger Jahren. Es war nicht etwa nur im Stil der Fünfziger hergerichtet, sondern tatsächlich seit dieser Zeit nicht verändert worden. Die verblasste Coca-Cola-Reklame am Ende der grünen Theke war genauso authentisch wie die vorsintflutliche Jukebox und die quietschenden schwarzen Stühle vor der Theke.

Es roch nach Kaffee und gebratenem Hähnchen, der Spezialität des Hauses.

Als Cal hereinkam, war außer zwei Lastwagenfahrern und der rothaarigen Bedienung nur noch die Frau im Raum, die er treffen wollte. Sie saß in einer Nische am Fenster und sah ihm mit einem zurückhaltenden Lächeln entgegen.

„Wollen Sie etwas bestellen?“, fragte sie und wies auf die Speisekarte, als Cal sich zu ihr in die Nische setzte. „Einen Kaffee vielleicht?“

„Nein, danke“, lehnte er ab und kam ohne Umschweife auf den Kern. „Was ist das für ein Job?“

Lindsey unterdrückte das Bedürfnis, sich zurückzulehnen und so etwas mehr Abstand zu schaffen zu diesem Mann, dessen pure Gegenwart die Nische, ja das ganze Lokal zu sprengen schien. Im Laufe ihres siebenundzwanzigjährigen Lebens hatte sie schon in vielen verschiedenen Städten gelebt, und es war ihr immer gelungen, sich anzupassen. Seit sie auf dem Land lebte, hatte sie sich daran gewöhnt, dass die Männer hier ein wenig kantiger waren als ihre Geschlechtsgenossen in der Stadt. Weniger geschliffen … und körperlich präsenter. Doch nie zuvor war sie einem Mann begegnet, dessen Gegenwart ihr gleichzeitig das Gefühl von Geborgenheit und von Gefahr vermittelte.

Entschlossen, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, beugte sie sich vor und umschloss mit den Fingern das beschlagene Glas ihres Eistees.

„Genau gesagt, handelt es sich um zwei Jobs“, erklärte sie ihm. „Ich möchte meine Boutique erweitern, und außerdem muss die Außenfassade renoviert werden.“ Sie breitete den Plan eines Hauses vor ihm aus, das im Stil einem alpenländischen Chalet ähnelte.

„Der Tourismus in unserer Stadt soll angekurbelt werden“, erklärte sie angesichts seines Stirnrunzelns. „Und da ich in verschiedenen Komitees bin, die sich um die Sanierung und Verschönerung unseres Ortes kümmern, dachte ich, ich sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Man hat Sie mir als sehr kompetenten Restaurator empfohlen.“

Cal schob den Plan zurück, dann berührte er mit dem Finger die noch immer leicht blutende Wunde an seinem Mundwinkel.

„Ich bin Zimmermann“, brummte er, während er eine Serviette aus dem Metallhalter auf dem Tisch nahm. „Wenn Sie als Vertreterin eines Komitees hier sind, werden Sie Referenzen von mir brauchen. Ich habe aber keine.“ Ohne sie anzusehen, tupfte er mit der Serviette die Wunde ab.

„Wir können uns niemanden mit Referenzen leisten, brauchen aber jemanden mit Talent. Sie haben Talent. Wo also liegt das Problem?“ Sie legte eine Serviette vor sich und holte mit dem Löffel einen Eiswürfel aus ihrem Glas. „Ich weiß nicht, wie lange Sie für das ganze Projekt brauchen würden, aber es ist hundert Meilen von hier weg, und ich würde Ihnen nicht zumuten wollen, jeden Tag hin und her zu pendeln. Über meinem Laden befindet sich eine leer stehende Wohnung, die können Sie für die Dauer des Jobs kostenlos haben. Falls Sie daran interessiert sind. Hier.“

Stirnrunzelnd blickte Cal auf den eingewickelten Eiswürfel, den Lindsey ihm hinhielt.

„Kühlen Sie damit Ihre Lippe“, sagte sie.

„Danke“, murmelte er.

„Ich kann mir gut vorstellen, wie Ihr Gegner jetzt aussieht“, erklärte sie ihm ruhig. „Seine Lippe war übler zugerichtet als Ihre.“

„Ich wollte überhaupt nicht zuschlagen“, gab Cal unwillig zurück.

„Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie aus vollem Herzen zugeschlagen hätten.“ Ihre Stimme war weich, und sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln.

Cal war nicht in der Stimmung, sich von Lindsey becircen zu lassen, daher warf er ihr einen abweisenden Blick zu und presste den Eiswürfel auf die Lippe. Es brannte höllisch.

„Hundert Meilen, sagten Sie? Wo genau ist es?“

Er beobachtete, wie sie sich nach vorn beugte und die Arme auf dem Tisch verschränkte. Ihre Bewegung war voller Anmut, und Cal konnte sich nicht erinnern, dies je bei einer Frau bemerkt zu haben.

Sie zögerte einen Moment, dann antwortete sie endlich: „In Leesburg. Meine Schwester leitet dort die Handelskammer. Die Stadtverwaltung hat ihre Vorschläge zur Belebung der Stadt begrüßt.“

„Die Schwester, die mit Logan verheiratet ist?“

Lindsey nickte und fuhr fort, ihm von den Plänen zu berichten, die zur Sanierung aufgestellt waren, und über deren Finanzierung. Doch Cal hörte ihr nicht zu. Seit der Name Leesburg gefallen war, schweiften seine Gedanken in eine andere Richtung.

Ganz in der Nähe von Leesburg war er aufgewachsen. Doch heute zog ihn nichts mehr dorthin zurück. Seine Eltern waren tot, und die Ranch gehörte Logan. Sein jüngster Bruder Jett war ständig in der Weltgeschichte unterwegs, um hier eine Brücke zu bauen und dort einen Damm niederzureißen. Cal hatte wenigstens eine Wohnung in Austin, Jett dagegen besaß gerade einmal ein Postfach als Adresse.

Zuletzt hatte Cal von seinem jüngeren Bruder vor ungefähr drei Monaten gehört, als Jett ihn anrief und zu Logans Hochzeit einlud.

Und Logan hatte er seit siebzehn Jahren nicht gesehen.

Das Eis hatte die Papierserviette durchtränkt. Cal knüllte sie zu einem Ball zusammen und warf sie in den Aschenbecher. Dann stützte er die Hände auf die Tischplatte, um aufzustehen. „Sie vergeuden Ihre Zeit. Vielen Dank für das Angebot, aber ich habe kein Interesse.“

Lindsey legte rasch die Hand auf seine. „Die Ranch liegt zehn Meilen entfernt. Logan kommt höchstens einmal die Woche in die Stadt, also werden Sie ihm kaum über den Weg laufen … wenn es das ist, was Sie stört.“ Langsam zog sie die Hand wieder zurück.

„Warum kommen Sie ausgerechnet zu mir?“, fragte er misstrauisch.

„Wie bitte?“

„Kommen Sie schon. Warum wollen Sie ausgerechnet mich anheuern und nicht irgendjemand anderen?“

„Wie soll ich das erklären, ohne …“

„Spucken Sie es einfach aus.“

„Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten.“

„Keine Bange, so leicht geht das nicht. Also, von wem geht die ganze Sache aus?“

„Von mir“, erwiderte Lindsey, ziemlich genervt von seiner Beharrlichkeit. „Ich hatte auf der Hochzeit meiner Schwester ein Gespräch mit Ihrem Bruder Jett. Er erzählte mir damals, dass Sie ein sehr talentierter Restaurator und derzeit arbeitslos sind. Als nun die Sache mit der Stadtsanierung ins Rollen kam, habe ich mich an Sie erinnert. Ich hoffe, dass Sie noch immer auf der Suche nach einem Job sind und mein Preisangebot annehmen.“

„Wie viel zahlen Sie?“, fragte er scheinbar ungerührt.

Vorsichtig nannte Lindsey ihm zwei Beträge, für jedes Projekt einen. „Wären Sie damit einverstanden?“

Stumm und bewegungslos saß Cal da, ohne sie aus den Augen zu lassen. Dabei fragte er sich im Stillen, wie es möglich war, dass eine so sanfte Person ihn an seinem wundesten Punkt treffen konnte. Einen Augenblick lang hatte ihre weiche, verführerische Stimme ihn von mitternächtlichem Geflüster in einem dunklen Schlafzimmer träumen lassen. Und Sekunden später schon wurden durch sie Erinnerungen zum Leben erweckt, die ihn zutiefst verletzten. Dieses Durcheinander von Gefühlen behagte ihm ganz und gar nicht.

Doch er brauchte dringend das Geld. Für die von Lindsey genannten Beträge musste er über ein Jahr in der Kneipe arbeiten, und er hatte diese Art von Job inzwischen gründlich satt. Auch wenn ihn beim Gedanken an Leesburg Unbehagen beschlich, so konnte er sich mit dem, was er dort verdienen würde, lang ersehnte Wünsche erfüllen.

„Ich mach es“, willigte er schließlich ein. „Wo ist Ihr Laden?“

Lindsey kramte in ihrer Brieftasche nach Geld, um den Tee zu bezahlen, und nach ihrer Visitenkarte, die sie ihm zuschob. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir möglichst schnell Bescheid geben, wann Sie anfangen können.“

Cal steckte die Visitenkarte in die Hemdtasche, ohne einen Blick darauf zu werfen. „Wann brauchen Sie mich?“

„So schnell wie möglich.“

„Wie wäre es mit morgen?“

Überrascht und erfreut hob Lindsey die Augenbrauen. „Das wäre super. Aber Ihr Job hier?“

„Joe hat noch andere Barkeeper. Ich bringe meine Schicht morgen hinter mich und könnte dann so gegen neunzehn Uhr in der Stadt sein. Übermorgen in aller Frühe würde ich mit der Arbeit beginnen.“

Damit war Lindsey sehr zufrieden. Sie verabschiedeten sich rasch voneinander, doch als Lindsey schon fast an der Tür war, fiel ihr die Verabredung mit ihrem Neffen am morgigen Abend ein … was bedeutete, dass sie Cal einen Schlüssel geben musste. Sie begann an ihrem Schlüsselbund zu nesteln und drehte sich gleichzeitig um, ohne zu wissen, dass Cal direkt hinter ihr war.

Die Schlüssel fielen zu Boden, und Lindsey prallte unversehens gegen Cals muskulöse Brust.

Er hielt sie an den Armen fest und murmelte dabei etwas, was sie vor lauter Aufregung nicht verstand. Durch sein dünnes Hemd spürte sie die Hitze seines Körpers und den Schlag seines Herzens. Sie vergaß die Entschuldigung, die sie schon auf den Lippen hatte, als sie aufsah und sich seines Blicks bewusst wurde.

Eine Sekunde später hatte er sie losgelassen und sich gebückt. „Die haben Sie fallen lassen“, sagte er ausdruckslos, während er ihr das Bund in die Hand drückte.

„Danke.“ Sie versuchte, ihre Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen. „Sie brauchen einen Schlüssel für die Wohnung“, fuhr sie fort, wobei sie versuchte, den Schlüsselring zu öffnen. „Ich werde morgen nicht da sein.“

Ihre Hände zitterten, und sie war wütend über sich selbst, weil sie sich von diesem Mann so aus der Fassung bringen ließ.

Wortlos nahm er ihr das Bund aus der Hand.

„Es ist der goldene“, sagte sie leise und fragte sich, ob die Idee, Cal einzustellen, wirklich so gut gewesen war.

Schon bald sollte sich herausstellen, dass sie in Leesburg mit dieser Meinung nicht allein war.

2. KAPITEL

„Wie willst du je mit deiner Arbeit fertig werden, wenn du ausgerechnet jetzt anfängst zu renovieren?“, fragte Louella Perkins, während sie einen Plastikdeckel auf Lindseys Kaffeebecher stülpte und diesen weiter zur Kasse schob. „Nie hast du Zeit, dich ein bisschen zu amüsieren. Dabei solltest du wirklich mal wieder mit nach Greasewood hinauskommen. Am Wochenende spielt da eine super Band. Also, wie ist es?“

„Ich kann nicht. Keine Zeit, wie du gerade richtig bemerkt hast.“

Louella wischte sich die Hände an ihrer gestreiften Uniform ab und verzog die Lippen. Seit drei Jahren versuchte sie nun schon vergeblich, Lindsey unter die Haube zu bringen, und hatte immer noch nicht aufgegeben.

„Immer das Gleiche mit dir. Verrat mir mal, warum du jetzt, wo deine Nichte nicht mehr bei dir arbeitet und die Neue ein krankes Kind zu Hause hat, unbedingt renovieren musst? Du bist doch ohnehin im Rückstand mit deinen Aufträgen. Wäre doch besser, du wartest einen günstigeren Zeitpunkt ab, oder?“

Louella drückte auf die Registrierkasse. Sie hatte immer den neuesten Klatsch auf Lager und ein offenes Ohr für die Nöte ihrer Kunden und Freunde. An diesem Morgen war wenig los, sie konnte sich also voll auf Lindsey konzentrieren.

„Einen günstigen Zeitpunkt fürs Renovieren gibt es nicht“, seufzte Lindsey und bezahlte ihren Kaffee. Sie war mit ihrer neuen Assistentin Camille ganz zufrieden, wenn diese auch leider nicht ganz so belastbar und zuverlässig war wie Erin, ihre Nichte. „Der Laden war mir von Anfang an zu klein, aber ich denke, wenn die Wand zu dem angrenzenden Raum erst mal durchgebrochen ist, habe ich endlich genug Platz.“

„Und jede Menge Staub und Lärm, und dann sollst du auch noch mittendrin arbeiten“, ergänzte Louella. „Wen hast du eigentlich beauftragt?“, fragte sie. „Den Typen aus Lownsdale, den Essie empfohlen hatte?“

„Ah … nein.“ Lindsey sah durch die Glastür hinaus auf die Straße, auf der wie jeden Morgen um acht nur wenig los war. „Logans Bruder Cal wird es machen.“

Autor

Christine Flynn

Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...

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