Zärtlich verführt von einem Scheich

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Als Scheich Zahir sie in sein Wüstenreich einlädt, erfüllt sich für Schwester Adele ein heimlicher Traum. Während sie seine kranke Mutter pflegt, kommt sie auch ihm immer näher. Bis er sie nach ihrer ersten Liebesnacht jäh zurückweist. Verzweifelt fragt sie sich, warum?


  • Erscheinungstag 17.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506427
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Es lag bestimmt nicht daran, dass es keine Gelegenheiten gegeben hätte. Hier war wieder eine!

Adele stand nach ihrem Arbeitstag an der Bushaltestelle gegenüber der Notaufnahme. Wie aus dem Nichts war ein spätes Frühlingsgewitter aufgezogen, und Blitze durchzogen den Himmel über London. Der Unterstand bot keinen Schutz vor dem heftigen Regen, und das weiße Kleid, das für solch ein Wetter nicht gemacht war, klebte ihr am Körper. Ihr blondes Haar hing ihr in nassen Strähnen über die Schultern.

Zum Glück trug sie keine Mascara, sodass sie nicht aussehen würde wie ein Pandabär, wenn Zahir sie nun mitnahm. Es war zehn Uhr abends, und sie sah schon, wie er in seinem silbernen Sportwagen vom Parkplatz fuhr, nach rechts abbog und auf sie zukam.

Adele trat einen Schritt aus dem sogenannten Unterstand, damit Zahir sie auch wirklich sah. Jeder einigermaßen hilfsbereite Mensch würde doch für eine Kollegin, die zitternd im heftigen Regen stand, anhalten und ihr anbieten, sie nach Hause zu fahren.

Adele würde lächeln, sich bedanken und ins Auto steigen. Zahir würde einen Blick auf ihr pitschnasses Kleid werfen und sich fragen, wieso er diese junge Krankenschwester eigentlich noch nie auf diese Weise bemerkt hatte, und sie würde ihm sofort vergeben, dass er sie schon ein ganzes Jahr ignoriert hatte. Endlich würden sie sich unterhalten, und wenn sie dann ihre Wohnung erreichten …

Weiter hatte Adele noch nicht gedacht. Sie hasste ihre Wohnung und ihre Mitbewohner und konnte sich Zahir in dieser Umgebung nicht vorstellen. Vielleicht würde er sie stattdessen auf einen Drink zu sich einladen, überlegte Adele, als ihr Traum endlich Wirklichkeit zu werden schien und das silberne Auto abbremste.

Sie ging einen Schritt darauf zu, so sicher war sie.

Da beschleunigte Zahir wieder und fuhr davon.

Am liebsten hätte sie ihm hinterhergebrüllt: Da hättest du mich auch gleich von oben bis unten nass spritzen können!

Einmal mehr hatte er sie nicht beachtet. Aber wer weiß, vielleicht hatte er nur am Radio herumgedreht und sie einfach nicht gesehen.

Wieso interessierte sie dieser Eisklotz nur so?

Nicht das erste Mal, dass sie sich diese Frage stellte.

Vielleicht mochte er keine Frauen? Was für eine unsinnige Frage. Sie wusste, dass Zahir mit Frauen ausging. Mit jeder Menge Frauen. Viel zu oft schon hatte Adele im Stationszimmer oder in der Mitarbeitercafeteria mitbekommen, wie er einen Anruf seiner jeweils aktuellen, wütenden Freundin entgegennahm. Wütend, weil es Samstagabend war und Zahir immer noch arbeitete, oder weil es Sonntagnachmittag war und er vor einigen Stunden gesagt hatte, er müsse „nur kurz“ im Krankenhaus vorbeischauen.

Die Arbeit war ihm wichtiger, das war nicht zu leugnen.

Während Adeles letzter Nachtschichten war er oft gerufen worden, obwohl er nicht im Dienst war, und jedes Mal war er im Smoking aufgetaucht. Gerade beim letzten Mal hatte er großartig ausgesehen, ausnahmsweise glatt rasiert und das dicke schwarze Haar zurückgekämmt. Adele hatte fast gestottert, als sie berichtete, was dem Patienten fehlte, um den sie und Janet, ihre Vorgesetzte, sich sorgten.

„Er war heute Nachmittag hier und ist mit einem Antibiotikum entlassen worden“, erklärte sie. „Seine Mutter macht sich aber immer noch Sorgen und hat ihn zurückgebracht. Der Kinderarzt hat ihr gesagt, dass das Antibiotikum eben nicht so schnell wirkt.“

„Und?“, fragte Zahir.

Sie roch sein Rasierwasser und meinte, sein Testosteron und die sexuelle Energie, die von ihm ausging, um ihn knistern zu hören. Sie liebte seinen starken Akzent, und jeder dunkle, raue Vokal traf sie so direkt, dass ihr die Beine zitterten.

„Adele“, wiederholte er. „Warum habt ihr mich gerufen?“

„Weil die Mutter sich Sorgen macht“, sagte Adele und schloss die Augen. „Und ich mir auch.“

Zahir verschwand hinter dem Vorhang, um das Kind zu untersuchen. Da betrat eine wunderschöne Frau den Raum, mit langen braunen Haaren und perfektem Make-up, trotz der späten Stunde. Sie trug ein silberglänzendes Kleid und fragte Janet auf ziemlich arrogante Weise, wie lange Zahir noch brauchen würde.

„Bella, du sollst doch im Auto warten.“ Zahir trat wieder hinter dem Vorhang hervor, und seine knappe Ansage ließ die Frau zusammenzucken. Vermutlich gab sie sich in seiner Gegenwart sonst nicht so anmaßend.

Janet unterdrückte ein Grinsen, als Bella davonstelzte. „Die hält nicht einmal bis morgen früh“, sagte sie leise zu Adele.

Zahir bat Janet, ihm Helene zur Unterstützung zu bringen. Er brauchte ihr Fachwissen.

Damit konnte Adele nicht dienen.

Zumindest nicht, was Männer anging. Aber nach einem Jahr in der Notaufnahme war es schon ärgerlich, dass er sie immer noch behandelte wie einen Neuling – vor allem als sich zeigte, dass es richtig gewesen war, sich um das Kind zu sorgen: Zahir führte eine Lumbalpunktion durch, und später bestätigte sich die Diagnose einer durch einen Virus ausgelösten Meningitis. Der kleine Junge musste fünf Tage im Krankenhaus bleiben.

Was sie natürlich nicht von Zahir erfahren hatte.

Mit ihr würde er nicht einmal über das Wetter sprechen.

Und trotz all seiner kommunikativen Fehler war Zahir das Highlight ihres Arbeitstages.

Jedes Tages.

Aber das würde jetzt ein Ende haben, bestimmte sie, als der Wagen an ihr vorbeifuhr.

Er war unverschämt und wusste sie nicht zu schätzen, und es war einfach unmöglich, dass er sie hier stehen ließ. Jetzt war es vorbei mit dieser Schwärmerei!

Adeles Welt war klein, sehr klein, das war ihr bewusst. Doch nun würde sie etwas dagegen unternehmen.

Endlich kam der Bus. Und gleich noch einer – der reguläre und der, der zu spät war. So viel Auswahl, dachte Adele sarkastisch, als sie in den weniger vollen Bus stieg und den Fahrer grüßte.

Sie erkannte einige der üblichen Fahrgäste.

Adele kannte den Weg und würde die nächste halbe Stunde nicht auf ihre Haltestelle achten müssen. Sie lehnte den Kopf gegen das Fenster und starrte ins Nirgendwo, während der Bus sich durch den Regen kämpfte. Sie träumte.

Von Zahir.

Verdammt!

Sie kam gegen seine Anziehungskraft einfach nicht an, sosehr sie es auch versuchte. Auf gewisse Weise hatte sie sich sogar schon daran gewöhnt. Vielleicht lag es daran, dass er einfach unerreichbar war, überlegte sie gerade, als jemand weiter hinten im Bus zu singen anfing.

Ja, sie musste öfter ausgehen, und damit würde sie auch praktisch sofort beginnen. Freitagabend hatte sie eine Verabredung mit Paul, einem der Sanitäter, der ihr sein Interesse ganz offen gezeigt hatte.

Sag einfach Ja, hatten ihr alle geraten.

Also hatte sie zugesagt.

Nur dass Paul sie überhaupt nicht reizte.

Immer nur Zahir. Schon der Name verursachte ihr eine Gänsehaut.

Auf seinem Namensschild stand lediglich „Zahir, beratender Arzt, Notaufnahme“. Die Patienten mussten nämlich nicht wissen, dass er der Kronprinz Scheich Zahir Al Rahal aus Mamlakat Almas war.

Ihr Herz hatte es auch nicht wissen müssen. Das hatte schon zu rasen begonnen, als sie ihn zum ersten Mal erblickt hatte, schon bevor sie seinen Namen kannte.

Das war vor einem Jahr gewesen. Sein Haar war schwarz und glänzte, seine Haut hatte die Farbe von Karamell und war genauso verlockend. Sein Kittel spannte sich über breiten Schultern. Er stand im Wiederbelebungsraum, und obwohl die Patientin in Lebensgefahr schwebte, herrschte eine ruhige, kontrollierte Atmosphäre vor.

Er blickte kurz auf und sah Adele mit seinen silbergrauen Augen eine Sekunde lang an. Ihre Wangen wurden heiß.

„Ich zeige gerade Adele die Abteilung“, sagte Janet, die Leiterin der Krankenpfleger und – schwestern, bei der Adele gerade ihr Vorstellungsgespräch hatte.

Zahir nickte nur kurz und kümmerte sich weiter um seine Patientin.

„Wie du siehst“, sagte Janet und wandte sich wieder an Adele, „haben wir den Wiederbelebungsbereich modernisiert, seit du zuletzt hier warst. Wir haben fünf Betten und zwei Kabinen.“

Davon abgesehen sah vieles noch genauso aus wie damals. Adele erinnerte sich, wie sie vor einigen Jahren hier hereingeschoben worden war. Janet war damals auch hier gewesen, erwähnte es jedoch nicht weiter, und auf dem Weg zurück zu Janets Büro sprachen sie über andere Dinge.

„Das war Zahir, der beratende Arzt für die Notaufnahme“, erklärte Janet. „Wahrscheinlich hast du ihn gesehen, als die Bewerber zusammen hier durchgeführt wurden.“

Adele schüttelte den Kopf. „Vielleicht war er im Urlaub.“

„Möglich. Er ist viel weg, auch wenn er schon seit einigen Jahren hier arbeitet. Aber er ist zu Hause sehr eingespannt und hat deswegen immer nur Zeitverträge“, sagte Janet. „Wir hoffen jedes Mal, dass er zurückkommt, weil er wirklich wichtig für die Abteilung ist.“

„Ich habe aber mit seinem Bruder zusammengearbeitet, Dakan.“

Janet lächelte und nickte. Dakan hatte gerade sein praktisches Jahr abgeschlossen. Er war ein wenig wild und frech, und Adele wusste durch den Buschfunk, dass Zahir als der ernstere der beiden Brüder galt. Auch von seinem guten Aussehen hatte sie schon mehr als genug gehört. Doch dass er wirklich so attraktiv war, hätte sie nicht gedacht.

So sehr hatte Adele sich noch nie zu jemandem hingezogen gefühlt. Doch das spielte keine Rolle. In ihrem Leben gab es für so etwas keinen Platz, und Zahir würde sie nie auch nur einmal so ansehen.

„Also“, sagte Janet, als sie ihr Büro betraten. „Willst du hier arbeiten?“

Adele nickte überzeugt. „Vor dem Kurzpraktikum hätte ich nie gedacht, dass mich die Notaufnahme interessiert, aber jetzt liebe ich es.“

„Und du bist gut. Allerdings müsstest du in der Wiederbelebung arbeiten.“

„Das habe ich verstanden.“

In der Ausbildung war es ihr noch schwergefallen, diesen Bereich betreten zu müssen, in dem ihre Mutter zwar nicht gestorben war, in dem Adele aber erfahren hatte, dass sie nie mehr die Gleiche sein würde. Janet hatte das gewusst und ihre Zeit dort so kurz wie möglich gehalten. Doch wenn Adele sich nun wirklich auf die Notaufnahme konzentrieren wollte, konnte sie nicht mehr mit Samthandschuhen rechnen.

„Bist du sicher, dass dir das nicht zu viel ist?“, hakte Janet nach.

„Bin ich.“ Adele hatte viel darüber nachgedacht. Sie erklärte Janet, was ihr inzwischen klar geworden war: „Meine Mutter war ja nicht nur dort, sondern auch im OP-Saal, in der Radiologie und auf der Intensiv. Aus irgendeinem Grund hat mich die Wiederbelebung am meisten getroffen, aber eigentlich erinnere ich mich hier doch überall an sie.“

„Wie geht es ihr inzwischen?“

„Unverändert.“ Adele lächelte angestrengt. „Sie ist in einem guten Pflegeheim, die Mitarbeiter sind toll, und ich gehe sie mindestens einmal täglich besuchen.“

„Das belastet dich bestimmt.“

„Es geht.“ Adele schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, ob sie weiß, dass ich da bin, aber sie soll niemals denken, ich würde sie vergessen.“ Janet wollte etwas sagen.

Dass Adele jahrelang jeden Tag mindestens einmal ihre Mutter besuchte, das musste anstrengend sein. Aber sie verstand auch, warum es Adele so schwer fiel, weiterzumachen. Sie wusste schließlich, was geschehen war.

Janet hatte an diesem Tag Schicht gehabt, und es kam die Nachricht herein, es habe einen Autounfall gegeben und fünf Verletzte seien aus den Fahrzeugen befreit worden.

Lorna Jenson, die auf dem Beifahrersitz des einen Wagens gesessen hatte, hatte schwere Verletzungen an Kopf und Brust. Der Fahrer des anderen Wagens war im Bauchbereich und am Kopf verletzt und musste wiederbelebt werden. Seine Frau und Tochter hatten kaum etwas abbekommen, waren allerdings hysterisch und schrien die ganze Abteilung zusammen.

Schließlich wurde Lorna Jenson in den Operationssaal geschoben, wo der Druck auf ihr Gehirn gelöst werden sollte. Janet trat auf Lornas Tochter zu, die achtzehn Jahre alt war und reglos auf ihrer Liege lag. Adeles blondes Haar war blutverklebt, ihr Gesicht weiß wie ein Laken. Mit ihren kobaltblauen Augen blickte sie ohne zu blinzeln an die Decke.

„Adele?“

Die junge Frau versuchte zu nicken, was wegen der starren Halskrause kaum möglich war. Janet drückte ihr kurz den Arm. „Phillip war schon hier, oder? Der beratende Arzt? Hat er mit dir über deine Mutter gesprochen?“

„Ja.“

Phillip hatte ihr also schon gesagt, wie schlecht es ihrer Mutter ging und dass die sehr reale Gefahr bestand, dass sie die Operation nicht überleben wurde.

Adele hingegen sah nicht so aus, als ob sie geweint hätte. Nun blickte Janet zu ihr hinab. „Sie wird gleich in den OP gebracht.“

„Wie geht es dem Mann …?“, fragte Adele.

„Tut mir leid, das darf ich dir nicht sagen.“

„Aber ich höre, dass seine Familie da draußen weint.“

„Ja.“

„Wie schlimm sind sie verletzt?“

„Tut mir leid, Adele, das darf ich dir auch nicht sagen, das sind vertrauliche Informationen.“

„Ich weiß“, erwiderte Adele. „Ich studiere Krankenpflege. Ich will nur wissen, ob er noch lebt.“

„Das ist nicht einfach für dich“, sagte Janet und drückte ihr noch einmal den Arm. Dennoch gab sie ihr keine Informationen. „Möchtest du deine Mutter vorher noch einmal sehen?“

Adele versuchte, sich aufzusetzen.

„Bleib einfach liegen“, beruhigte Janet sie. „Wir schieben dich so rüber. Ich kann dir den Kragen abnehmen, Phillip hat auf den Röntgenbildern gesehen, dass dein Hals in Ordnung ist.“

Vorsichtig nahm sie die Halskrause ab.

„Wie geht es dir?“

„Ganz gut“, sagte Adele. Janet war sich sicher, dass das nicht stimmen konnte. Sie hatte bestimmt Kopfschmerzen von dem Lärm, als die Feuerwehr das Autodach hatte aufschneiden müssen.

Janet hörte das Knacken eines Funkgeräts vor dem Vorhang, und ein Polizist fragte, ob er mit Adele Jenson sprechen könne.

„Einen Augenblick“, sagte sie zu Adele. Sie zog den Polizisten mit ans andere Ende des Flurs, sodass Adele sie nicht mehr hören konnte.

„Ich will sie gerade zu ihrer Mutter bringen. Kann das warten?“

„Natürlich“, sagte der Polizist. „Aber mit der anderen Fahrerin müssen wir unbedingt sprechen.“

„Fahrschülerin“, betonte Janet.

Der Polizist nickte.

Janet ging zurück zu Adele und schob sie hinüber zu ihrer Mutter. Zu diesem Zeitpunkt war sie sich ziemlich sicher, dass Lorna die Operation nicht überleben würde.

Doch das hatte sie.

Seitdem lag sie im Koma.

Ihre Tochter würde diesen schlimmen Tag bestimmt niemals vergessen können.

2. KAPITEL

„Was für ein Gewitter gestern“, sagte Janet.

„Allerdings“, antwortete Helene. „Ich habe Hayden eine Fahrstunde gegeben und musste ihn zwingen, anzuhalten.“

Adele hatte erneut Spätschicht, und sie saßen zu dritt im Schwesternzimmer. Doch die Fahrstunden von Helenes Sohn interessierten sie wirklich nicht. Sie konnte es einfach nicht mehr hören! Helene war vor einigen Monaten nach langer Elternzeit zurückgekommen und sprach über nichts anderes mehr als über ihre perfekte Familie.

„Bist du gut nach Hause gekommen, Adele?“, fragte Janet.

„Klar“, sagte Adele und warf einen Blick zu Zahir hinüber, der mit dem Rücken zu ihnen saß und sich am Computer Laborergebnisse ansah. Er trug die dunkelblaue Krankenhauskleidung und hatte die langen Beine von sich gestreckt. Sie dachte immer noch viel zu oft an ihn. „Ein netter Mann hat angehalten und mich mitgenommen.“

Sie sah, wie Zahir kurz innehielt, dann aber sofort weiter durch die Ergebnisse scrollte.

„Wer? Paul?“, fragte Janet. Sie wussten alle, dass Adele morgen eine Verabredung mit ihm hatte.

„Nur irgendein Mann. Ich hab dann herausgefunden, dass er aus der Geschlossenen ausgebrochen ist, aber das war nicht weiter schlimm. Er hatte ja seine Kettensäge nicht dabei.“

Janet lachte. Sie verstand Adeles leicht schrägen Humor. „Du bist also mit dem Bus gefahren.“

„Ja, ich bin mit dem Bus gefahren.“

Nach einigen Minuten Geplauder kamen sie auf Berufliches zu sprechen. „Adele, du musst langsam wirklich deinen Urlaub nehmen.“

Janet legte den Jahresplaner vor sie hin, und Adele runzelte die Stirn. „Wir sollen nicht immer so viel nach hinten verschieben. Du hattest noch keinen Tag Urlaub, seit du hier bist.“

„Luxusproblem“, sagte Helene.

„Wie wäre es mit September?“, schlug Adele vor. Dort waren noch einige freie Zeiten. Janet nickte und wählte zwei Wochen aus. „Vorher musst du dir aber auch schon vierzehn Tage auswählen.“

Jetzt war Mai. Die Sommermonate waren alle schon reserviert. Adele hatte vor einigen Wochen ihre geplanten Urlaubstage wieder zurückgenommen, als Helene ein Preisausschreiben gewonnen hatte und ihre perfekte Familie mit auf eine Seereise nehmen wollte.

„Die ersten beiden Juniwochen?“, schlug Janet vor. „Das geht noch.“

„Das ist ja schon in drei Wochen.“

„Da findest du noch etwas Preiswertes last minute“, sagte Janet. Sie berührte Adele kurz am Arm, stand auf und verließ den Raum.

„Weißt du schon, wo du hinwillst?“, fragte Helene.

„Überhaupt nicht.“

Selbst wenn sie es sich hätte leisten können, irgendwo hinzufliegen, hätte sie ihre Mutter nicht allein lassen wollen. Doch hierbleiben, ganz ohne die Routine, die ihr die Arbeit bot, wollte sie auch nicht. Ihr gefiel die Wohnung nicht, in der sie wohnte, und auch wenn sie es nicht gern zugab, wollte sie auch nicht mehr Zeit als sonst im Pflegeheim verbringen. Vielleicht könnte sie sich einen Aushilfsjob suchen und etwas zusammensparen, um endlich eine eigene Wohnung zu finden.

„Wie geht es Mr. Richards, Adele?“, fragte plötzlich Zahir. An Mr. Richards’ Akte hatte Adele gerade gearbeitet, bevor der Urlaub zum Thema geworden war.

„Ganz gut.“

„Und seine Werte?“

„Stabil.“

Mr. Richards’ Werte mussten alle dreißig Minuten gemessen werden und würden in … huch, in anderthalb Minuten fällig sein.

Das hatte Zahir dann wohl damit sagen wollen.

Als ob sie eine Erinnerung brauchte! Doch sie sagte nichts und stand auf.

Mr. Richards hatte eine instabile Angina. Während Adele ihn untersuchte, lächelte sie den alten Mann an, der sich unter seiner Decke zusammengerollt hatte und vor sich hin brummte, während sich die Manschette zum Blutdruckmessen aufblies.

„Ich will schlafen.“

„Ich weiß“, sagte Adele. „Aber wir müssen Sie momentan gut im Auge behalten.“

Sein Blutdruck war gestiegen, und sein Herz schlug zu schnell. „Haben Sie im Moment Schmerzen?“, fragte sie.

„Nein. Hätte ich auch nicht, wenn Sie mich einfach schlafen lassen würden.“

Adele wollte Zahir über die Veränderungen informieren, wurde jedoch von einer eleganten Frau aufgehalten. Ihr langes schwarzes Haar floss ihr über den Rücken, und sie trug ein dunkelblaues bodenlanges Kleid, das mit goldenen Blüten bestickt war. Um den Hals hatte sie eine eng anliegende Kette aus Gold, in deren Mitte ein riesiger Rubin prangte. Sie war die wunderschönste Frau, die Adele je gesehen hatte.

„Ich bin mit Zahir verabredet“, sagte sie würdevoll. „Bitte richten Sie ihm doch aus, dass ich warte.“

Normalerweise würde Adele fragen, mit wem sie sprach, aber diese Frau hatte etwas so Majestätisches an sich, dass sie sich unhöflich gefühlt hätte. Außerdem hatte sie vorhin gehört, dass Phillip die nächsten Stunden für Zahir übernehmen würde, da er und Dakan ihre Mutter zum Fünf-Uhr-Tee ausführen wollten.

Die Frau musste also seine Mutter sein – die Königin von Mamlakat Almas!

„Ich sage ihm Bescheid.“

Zahir saß immer noch im Schwesternzimmer und war allein. Er meldete sich gerade vom Computer ab.

„Zahir?“

Er drehte sich nicht um. „Ja?“

„Da ist eine Dame für dich. Wahrscheinlich deine Mutter.“

„Danke.“ Er stand auf. „Ich nehme sie mit in mein Büro. Wenn du Dakan siehst, sag ihm das bitte.“

„Ich wollte …“ Adele unterbrach ihn. „Ich wollte dir gerade sagen, dass Mr. Richards’ Blutdruck und Herzschlag erhöht sind.“

„Hat er Schmerzen?“

„Er sagt Nein. Er will nur schlafen.“

„Okay.“ Zahir warf einen Blick auf die Patientenakte. „Könntest du meine Mutter bitte in mein Büro bringen, damit sie dort wartet?“

„Klar. Wie rede ich sie denn an?“, rief sie hinter ihm her, aber er war schon verschwunden.

„Mein Name ist Leila.“

Adele drehte sich um und sah, dass Zahirs Mutter ihr durch die andere Tür auf die Schwesternstation gefolgt war.

„Entschuldigung“, sagte Adele und lächelte. „Kommen Sie bitte mit mir?“

Sie gingen durch die Abteilung. Leila sagte, wie schön es sei, in London zu sein und mit ihren Söhnen essen zu gehen.

„Hier ist alles viel weniger förmlich als zu Hause“, erläuterte sie. „Deswegen möchte ich auch meinen Titel nicht benutzen. Sonst starren mich immer gleich alle so an.“

Sie würden sowieso starren, dachte Adele. Leila war so unglaublich schön und schien neben ihr zu schweben.

„Ich hätte gedacht, Sie haben Bodyguards“, sagte Adele, und Leila lachte auf.

„Mein Fahrer ist als Bodyguard ausgebildet, aber er wartet draußen. Wenn meine Söhne in der Nähe sind, brauche ich keinen weiteren Schutz.“

„Zahirs Büro ist etwas versteckt“, erklärte Adele auf dem Weg durch die Beobachtungsstation. Da bemerkte sie, dass die Königin nicht mehr neben ihr ging. Adele drehte sich um und sah, dass sie stehen geblieben war und sich die Finger auf die Stirn drückte.

„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Adele.

„Mir ist nur ein wenig …“ Leila führte den Satz nicht zu Ende. Sie atmete tief ein, und Adele sah, wie blass sie war. „Könnten Sie mir die Toiletten zeigen?“

„Die sind gleich hier.“ Adele wies auf die Toiletten für die Mitarbeiterinnen. „Ich warte kurz auf Sie.“

Adele wartete. Und wartete.

Vielleicht musste sie sich nachschminken, überlegte sie. Aber Leila hatte wirklich blass ausgesehen. Ihr war bestimmt schwindelig gewesen. Sie wollte sie nur ungern stören. Sie war schließlich Zahirs Mutter und eine Königin.

Doch letztendlich war sie auch einfach nur eine Frau und Adele Krankenschwester. Sie begann sich zu sorgen. Sie drückte die Tür auf und sah sich um. Leila stand nicht am Waschbecken, um neues Make-up aufzutragen.

„Leila?“, rief Adele in die Stille.

„Bitte helfen Sie mir“, hörte sie Leila hinter der Tür einer Kabine.

„Ich bin schon da.“ Adele überlegte kurz und suchte nach einer Münze in ihrer Tasche, die sie von außen in das Schloss stecken konnte. Die Tür ließ sich öffnen.

„Meine Söhne dürfen nicht sehen, dass ich blute“, flüsterte Leila.

„Ich werde nichts sagen.“

Leila war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren.

„Hängen Sie den Kopf zwischen die Knie“, sagte Adele. „Ist Ihnen das schon mal passiert?“

„Ein paar Male. Ich gehe zu einem Arzt in der Harley Street.“

Es war nicht gut, dass sie so sitzen blieb, falls sie ohnmächtig werden würde, aber Adele wollte sie auch nicht auf den Boden legen. Sie eilte zur Tür und versuchte gleichzeitig, Leila im Auge zu behalten. Im Flur sah sie zum Glück gleich Janet, die gerade eine Patientin in ein Zimmer führte.

„Janet!“ Adele winkte ihr zu und schloss die Tür wieder.

„Atmen Sie tief ein und aus“, sagte Adele, als sie sich wieder zu Leila hockte. Janet betrat den Raum.

„Das ist Leila, Zahirs Mutter“, sagte Adele. „Sie hat vaginale Blutungen.“

„Ich hole eine Trage.“

„Warte“, rief Adele Janet hinterher. „Sei vorsichtig. Sie will nicht, dass Zahir sie so sieht.“

Dann ging alles ganz schnell. Sie legten Leila auf die Trage und verabreichten ihr Sauerstoff. Adele breitete zwei Decken über sie, um sie vor neugierigen Blicken zu schützen.

Natürlich war Zahir gerade mit Mr. Richards fertig und auf dem Weg in sein Büro.

„Was ist passiert?“, fragte er und warf Adele einen Blick zu, der besagte: Ich habe dich fünf Minuten mit ihr allein gelassen!

„Deine Mutter ist ohnmächtig geworden“, sagte Adele und verlangsamte ihre Schritte nicht.

Janet rief nach der diensthabenden Assistenzärztin: „Maria!“

„Ich kümmere mich selbst um meine Mutter“, sagte Zahir, als sie die angesteuerte Kabine erreichten. Adele stellte sich ihm in den Weg. Nun ja, er hätte leicht an ihr vorbeigehen können, so klein wie sie war, aber das würde sie nicht zulassen.

„Zahir“, sagte sie und sah zu ihm hoch. Das zweite Mal innerhalb der zwölf Monate, die sie sich kannten, trafen sich ihre Blicke.

„Lass mich durch.“

„Nein.“ Sie bewegte sich nicht. „Zahir, es gibt Dinge, von denen eine Mutter nicht will, dass ihr Sohn sie sieht.“

Er verstand offensichtlich und nickte kurz. „Okay.“

„Wir kümmern uns um sie.“

Es fiel ihm schwer, aber schließlich trat er einen Schritt zurück.

„Hältst du mich auf dem Laufenden?“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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