Zwei wie Feuer und Wasser

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Von einer Familie hat Emmy schon immer geträumt. Aber nicht so … denn nach dem tragischen Tod ihrer Freunde muss sie sich plötzlich um deren Baby kümmern, zusammen mit dem Vormund Dylan. Sie und Dylan sind wie Tag und Nacht, wie Feuer und Wasser – wie Mutter und Vater?


  • Erscheinungstag 22.01.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513593
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Sie wissen ja, warum Sie hier sind“, meinte der Rechtsanwalt und sah Emmy und Dylan prüfend an.

Natürlich wusste Emmy es: Ally und Pete hatten sie gebeten, die Vormundschaft für den kleinen Tyler zu übernehmen, wenn das Undenkbare passieren sollte.

Und es war passiert.

Sie konnte nicht glauben, dass sie ihre beste Freundin nie mehr sehen würde.

Emmy hob das Kinn. Heute sollten wohl die gesetzlichen Formalitäten erledigt werden. Dylan war vermutlich hier, weil er als Petes bester Freund zum Testamentsvollstrecker bestimmt war.

„Ja, ich weiß es“, bestätigte sie.

Dylan nickte. „Ich auch.“

„Sie versichern also beide, dass Sie bereit sind, die Vormundschaft für das Kind Tyler zu übernehmen?“, fragte der Notar.

Emmy war wie erstarrt. Beide? Was meinte der Mann? Ally und Pete hätten doch niemals sie und Dylan zu gemeinsamen Vormunden bestimmt! Da musste ein Irrtum vorliegen.

Betroffen sah sie Dylan an, der den Blick fassungslos erwiderte.

Hatten sie sich verhört? Etwas falsch verstanden?

„Wir sollen beide Tylers Vormunde sein?“, hakte sie nach.

„Wussten Sie nicht, dass seine Eltern Sie testamentarisch dazu bestimmt haben, Miss Jacobs?“, erkundigte sich der Anwalt.

„Ja, schon. Ally hat mich gefragt, ob ich einverstanden bin, bevor sie und Pete ihr Testament neu verfasst haben.“ Allerdings hatte sie angenommen, dass Ally damit nur sie allein gemeint hatte.

„Und mich hat Pete gefragt“, informierte Dylan sie.

Haben Ally und Pete das etwa nicht abgesprochen? überlegte Emmy. Unsinn! Beide hatten das Testament unterzeichnet. Also wussten sie, dass Allys beste Freundin und Petes bester Freund sich bereit erklärten hatten, für Tyler zu sorgen. Nur hatten sie diese Information weder Freund noch Freundin zukommen lassen.

„Bedeutet es ein Problem für Sie?“, wollte der Anwalt wissen.

Abgesehen davon, dass wir uns nicht ausstehen können und uns üblicherweise aus dem Weg gehen? hätte Emmy am liebsten erwidert. Und abgesehen von der Tatsache, dass Dylan verheiratet war – und seine Frau sicher nicht begeistert sein würde, wenn er mit einer anderen gemeinsam eine Vormundschaft ausüben sollte.

„Nein, kein Problem“, antwortete sie und sah Dylan bedeutsam an. Nun lag es an ihm zu erklären, dass er die Aufgabe nicht übernehmen konnte.

„Für mich auch nicht“, sagte er jedoch, was ihr einen Schock versetzte.

„Gut“, meinte der Anwalt.

Nein, nichts ist gut, dachte Emmy. Beabsichtigte Dylan vielleicht, die alleinige Vormundschaft anzustreben? Als verheirateter Mann hatte er auf jeden Fall bessere Karten.

„Die Eltern haben finanziell für Tyler gesorgt“, verkündete der Anwalt weiter. „Ich habe sämtliche Details dazu hier vorliegen.“

„Ich kümmere mich darum“, bot Dylan an.

Wahrscheinlich, weil er einer wirrköpfigen Schmuckdesignerin wie mir das nicht zutraut, dachte Emmy gekränkt. Sie wusste, dass er sie so einschätzte. Schließlich hatte sie ihn genau das zu Pete sagen hören. Mehr als einmal! Dabei war sie schon seit zehn Jahren selbstständig und durchaus in der Lage, ihre Angelegenheiten zu regeln.

Und wie war es mit ihm? Er war doch so verklemmt und spießig, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, wie er mit einem Kleinkind klarkommen sollte. Seine Frau Nadine war bestimmt aus demselben Holz geschnitzt wie er! Kaltherzig und arbeitssüchtig. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, was Vergnügen war. Ally hätte bestimmt nicht gewollt, dass Nadine sich um ihr Baby kümmerte.

Der Anwalt kam nun auf die Einzelheiten des Testaments zu sprechen, und Emmy musste ihre Gefühle hintanstellen und zuhören, um nicht den Faden zu verlieren.

Zu guter Letzt war alles überstanden.

Emmy schüttelte dem Anwalt die Hand und verließ das Büro. Unten an der Haustür blieb sie stehen und wandte sich Dylan zu, der ihr auf dem Fuß folgte.

„Ich glaube, wir sollten das alles besprechen“, schlug sie vor. „Sofort.“

„Richtig. Und ich könnte jetzt eine Tasse Kaffee vertragen.“

Unter seinen kornblumenblauen Augen zeigten sich dunkle Ringe, die auf Schlafmangel schließen ließen. Zum ersten Mal, seit sie Dylan kannte, sah er verletzlich aus. Sein Kummer war bestimmt genauso groß wie ihrer. Deshalb verkniff sie sich eine kurz angebundene Bemerkung, wie sie zum üblichen Umgangston zwischen ihnen beiden gehörte.

„Mir geht’s wie dir“, meinte sie. „Ich brauche auch Kaffee.“

„Wo ist Tyler jetzt?“, erkundigte Dylan sich.

„Bei meiner Mutter. Ich fand, dass ein Anwaltsbüro kein geeigneter Platz für den Kleinen ist.“ Und wage bloß nicht, diese Entscheidung zu kritisieren, fügte sie im Stillen hinzu.

„Da hast du völlig recht“, stimmte er zu.

Das war ja eine Premiere: Zum ersten Mal war er einer Meinung mit ihr! Vielleicht konnten sie doch gemeinsam eine Lösung ausarbeiten. Vielleicht war er ja vernünftig und sah ein, dass für ein Baby in seinem arbeitsreichen Leben kein Platz war. Für sie würde es natürlich auch nicht leicht werden, aber immerhin hatte sie schon viel Zeit mit Tyler verbracht und hatte wenigstens eine gewisse Ahnung, wie man sich um ein Baby kümmerte.

Sie gingen in ein Café gleich auf der anderen Straßenseite.

„Wenn du uns schon mal einen Tisch aussuchst, bringe ich den Kaffee“, schlug Emmy vor. „Was zu essen dazu?“

„Nein danke, ich habe keinen Appetit.“

„Geht mir genauso“.

Da hatten sie ja schon wieder eine Kleinigkeit gemeinsam! Vielleicht kamen sie auch in anderen Punkten auf einen Nenner. Sie wollte ja auch gar nicht mit Dylan streiten. Sie wollte ihre beste Freundin zurückhaben! Sie wollte, dass alles wieder so war wie vor drei Tagen.

Pete hatte Ally zum Hochzeitstag überraschend nach Venedig entführt. Auf dem Heimweg hatte Ally ihr noch eine SMS geschickt, in der sie schrieb, wie sehr sie sich schon auf das Wiedersehen mit dem kleinen Tyler freute und darauf, Emmy bald alles über die Reise zu erzählen …

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und Ally und Pete wären noch am Leben, dachte Emmy schmerzerfüllt.

Sie bezahlte den Kaffee und brachte ihn an den Tisch, den Dylan in einer ruhigen Ecke ausgesucht hatte.

„Du hattest also keine Ahnung, dass Pete mich zu Tylers Vormund bestimmt hat?“, fragte er unumwunden.

Wie typisch für ihn! Er redete nicht um den heißen Brei, sondern kam immer direkt zur Sache. Diesmal war sie damit einverstanden. Je eher sie das Thema anschnitten, desto besser.

„Richtig“, bestätigte sie. „Und du wusstest nichts davon, dass Ally mich gebeten hat, notfalls Mutterstelle bei Tyler einzunehmen?“

„Stimmt.“ Er breitete die Hände aus. „Natürlich habe ich Ja gesagt, als Pete mich fragte. So wie du es bei Ally offensichtlich gemacht hast. Man soll ja nicht schlecht über Tote reden … und Pete war wirklich mein bester Freund, fast schon so was wie mein Bruder … aber ich frage mich, was zum Kuckuck sich die beiden eigentlich dabei gedacht haben.“

„Sie sind beide … waren beide doch Einzelkinder“, erklärte sie. „Petes Vater ist fast achtzig, Allys Mutter geht es gesundheitlich nicht gut. Man kann ihnen doch nicht zumuten, sich um Tyler zu kümmern. Und das ungefähr die nächsten zwanzig Jahre! Natürlich haben Pete und Ally jemand in ihrem Alter als Vormund ausgesucht.“

Dylan seufzte bekümmert. „Das ist selbstverständlich. Ich meinte, warum haben sie ausgerechnet dich und mich genommen?“

„Du meinst, warum nicht dich und deine Frau?“, hakte Emmy gezielt nach.

„Das ist kein Thema“, wehrte er ab.

„Wenn ich verheiratet wäre und mein Mann würde von seinem besten Freund gebeten, Vormund für dessen Sohn zu werden, wäre ich ganz schön sauer, wenn eine andere Frau als ich zum Mitvormund ausersehen würde“, erklärte sie.

„Das ist trotzdem kein Thema“, wiederholte Dylan.

Du herablassender, hochtrabender Idiot, schimpfte Emmy im Stillen. Nur mühsam hielt sie ihre Wut im Zaum.

„Findest du nicht auch, deine Frau sollte an der Diskussion beteiligt sein?“, schlug Emmy bemüht sachlich vor.

„Du hast doch gesagt, wir müssten sofort alles besprechen“, hielt er dagegen.

„Das müssen wir auch.“ Sie schlug den äußerst höflichen Ton an, den sie für schwierige Kunden benutzte. „Könntest du sie nicht jetzt anrufen und fragen, ob sie sich uns anschließen kann?“

„Nein.“

„Entweder vertraut dir deine Frau blind … oder du bist noch selbstherrlicher als ich dachte“, warf sie ihm an den Kopf, da Höflichkeit ohnehin nichts fruchtete.

„Es ist deswegen kein Thema, weil Nadine und ich uns getrennt haben“, erklärte Dylan nun und funkelte sie an.

Warum habe ich das nicht gewusst? fragte sie sich. Wann ist es passiert? Und warum? Aber das durfte sie nicht fragen. Es ging sie ja nichts an.

„Das macht das ganze Problem ein bisschen weniger kompliziert, denke ich.“ Emmy trank einen Schluck, und dachte an den – zuerst völlig absurd scheinenden – Vorschlag, den die Sozialarbeiterin ihr gestern unterbreitet hatte. „Vielleicht dachten Ally und Pete, dass du und ich zusammen Tyler das geben können, was er braucht.“

Dylan sah sie kritisch an. „Wie soll ich das jetzt verstehen?“

„Wir haben verschiedene Stärken. Wir können ihm jeder etwas Anderes geben“, erklärte sie. Auf die ebenfalls unterschiedlichen Schwächen ging sie lieber nicht ein. Zum Streiten hatten sie jetzt keine Zeit.

„Ach so, ich soll all die ernsthaften Dinge mit ihm machen und du alles das, was Spaß macht“, kommentierte er und verschränkte die Arme.

Emmy war zu Kompromissen bereit, aber was zu viel war, war zu viel! Genau deswegen hatte sie Dylan praktisch vom ersten Moment an nicht leiden können: Weil er ein überkritischer, arroganter Kerl mit den sozialen Fähigkeiten eines Nashorns war! Entweder war ihm nicht klar, was er gerade mit seiner Bemerkung angedeutet hatte, oder es war ihm egal.

Sie hob das Kinn. „Du meinst, die hübschen glänzenden Dinge, mit denen ich arbeite, lenken mein armes weibliches Hirn so sehr ab, dass ich mich auf nichts Wichtiges konzentrieren kann?“

Sein bestürzter Ausdruck verriet, dass er keine Beleidigung beabsichtigt hatte. „Wenn du es so formulierst, klingt es wirklich grässlich“, gab er zu.

„Das finde ich auch. Sieh mal, du weißt, dass ich ein eigenes Geschäft habe. Wäre ich tatsächlich so hohlköpfig, wie du mir unterstellst, könnte ich keine Profite machen. Ich würde verhungern und hätte außerdem einen Riesenberg Schulden. Das ist nicht der Fall. Mein Kontostand ist im schwarzen Bereich, mein Geschäft läuft ausgezeichnet. Soll ich dir einen Brief meines Bankmanagers bringen, der das bestätigt?“, fügte Emmy zuckersüß hinzu.

Dylan hielt ihrem Blick stand. „Du hast recht, ich hätte das nicht sagen sollen. Entschuldige bitte!“

„Entschuldigung angenommen“, versicherte sie ihm.

Er hatte zurzeit ja auch schwer am Verlust seines besten Freunds zu tragen. Noch dazu war seine Ehe in die Brüche gegangen. Bissige Bemerkungen waren wahrscheinlich ein Ventil für seine Gefühle, mit denen er als sehr förmlicher, beherrschter Mann nicht gut umgehen konnte.

Diesmal nachsichtig zu sein bedeutete allerdings nicht, dass sie ihm in Zukunft alles durchgehen lassen würde.

„Uns beiden ist klar, dass wir uns nicht gut verstehen, aber hier geht es nicht um uns, sondern um einen kleinen elternlosen Jungen und darum, was das Beste für ihn ist“, fasste sie die Situation zusammen.

Sie und Dylan hatten ihre Zwistigkeiten bereits zwei Mal vorübergehend eingestellt: das eine Mal bei Allys und Petes Hochzeit, das zweite Mal bei Tylers Taufe vor zwei Monaten als Paten des Kleinen.

„Bei der Taufe habe ich versprochen, für Tyler da zu sein“, sagte sie und sah Dylan in die Augen. „Und ich habe jedes Wort ernst gemeint.“

Will Emmy damit etwa andeuten, ich hätte es als Tylers Pate nur so dahingesagt? dachte Dylan empört.

„Ich habe auch jedes Wort so gemeint, wie ich es gesagt habe“, erklärte er kühl.

„Wenn du es behauptest, wird es schon stimmen“, meinte sie.

Immerhin klang sie nicht schnippisch, und das besänftigte ihn ein bisschen. Vielleicht kamen sie ja doch gemeinsam zu einer Lösung. Vielleicht würde Emmy das Wohlergehen des Babys voranstellen und nicht diese gefühlsduselige, nach Zuwendung gierende Chaotin sein, als die er sie kennengelernt hatte. Sie war nicht ernsthaft und fokussiert wie Nadine, sondern launisch und ausgeflippt. Mit so einem Benehmen wollte er nichts zu tun haben. Davon hatte er in seinem Leben schon genug gehabt.

„Ally und Pete wollten, dass wir beide uns um Tyler kümmern, wenn ihnen etwas zustößt.“ Emmy schluckte mühsam. „Und nun ist das Schlimmste tatsächlich passiert.“

Dylan bemerkte, dass ihre grauen Augen verdächtig zu glänzen anfingen und ihre Lippen bebten. Lieber Himmel, hoffentlich fing sie jetzt nicht zu heulen an! Mit Tränen konnte er nicht umgehen. Bei Nadine hatte er in den letzten Wochen solche Fluten davon gesehen, dass es ihm für den Rest seines Lebens reichte. Wenn Emmy jetzt losflennte, würde er das Café verlassen müssen! Er konnte im Moment einfach keinen emotionalen Druck mehr ertragen. Ihm war zumute, als würde er rückwärts in einen Abgrund gleiten, ohne Chance, sich irgendwo festzuhalten.

Emmy atmete tief durch. „Du und ich müssen unsere persönlichen Querelen beiseitelassen und eine Lösung erarbeiten“, sagte sie nüchtern.

„Richtig. Zusammen finden wir einen Weg“, stimmte er zu.

Sie hatten ja keine andere Wahl, oder? Wenigstens hatte Emmy es geschafft, die Tränen zurückzuhalten. Ein gutes Zeichen. Überhaupt wirkte sie heute überraschend sachlich. Normalerweise kam sie zu spät und brachte die albernsten Ausreden vor. Und wie oft hatte er miterlebt, dass Ally ihrer Freundin zu Hilfe eilen musste, wenn wieder einmal eine von Emmys katastrophalen Beziehungen gescheitert war. Genau wie bei seiner Mutter. Diese Art Selbstbezogenheit war ihm zuwider.

„Du hast dich in den letzten Tagen um Tyler gekümmert?“, erkundigte Dylan sich, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

„Ja, ich habe seit Allys und Petes Abreise auf ihn aufgepasst. Als Babysitterin. Und jetzt …“ Sie seufzte und ließ den Satz unvollendet. „Gestern Abend hat mich eine Sozialarbeiterin besucht. Sie meinte, Tyler würde jetzt vor allem einen geregelten Tagesablauf und eine vertraute Umgebung brauchen. Darum müssen wir beide uns also zuerst kümmern. Wir müssen versuchen, für ihn ein Umfeld zu schaffen, das seinem gewohnten möglichst ähnlich ist.“

Dylan konnte sich nicht vorstellen, wie die chaotische Emmy einen geregelten Tagesablauf schaffen wollte, aber er verkniff sich eine dahingehende Bemerkung. Er hatte sie vorhin schon gekränkt. Jetzt zeigte er besser Entgegenkommen.

„Ich stimme dir zu“, teilte er ihr mit.

„Und wir teilen uns die Vormundschaft, wie wir jetzt vom Anwalt erfahren haben“, führte sie weiter aus.

„Was bedeutet, dass wir uns in Zukunft abwechselnd jeder eine Woche lang um Tyler kümmern?“, schlug Dylan vor. „Mir wäre das jedenfalls recht.“

„Das funktioniert nicht“, erklärte Emmy kategorisch.

„Wieso denn nicht?“

„Überleg doch mal: Immer wenn der Kleine sich gerade an mich gewöhnt hat, muss ich ihn zu dir bringen und umgekehrt. Das wäre ihm gegenüber nicht fair, oder?“

„Was schlägst du stattdessen vor, Emmy?“

Sie wandte den Blick ab. „Die Sozialarbeiterin hat angeregt, Tyler soll in seinem eigenen Zuhause bleiben. Was bedeutet, dass diejenigen, die sich um ihn kümmern, auch dort leben müssten.“

„Also planst du, ins Haus von Ally und Pete zu ziehen?“, hakte er nach.

„Nun ja.“ Sie hustete. „Nicht nur ich.“

Plötzlich fiel bei ihm der Groschen, und vor Schreck wäre ihm auch beinah die Kaffeetasse aus der Hand gefallen. „Du meinst, wir – ausgerechnet wir beide – sollen zusammenleben?“

„Nein!“ Nun wirkte Emmy pikiert. „Die Sozialarbeiterin meinte, wer Tyler betreut, solle bei ihm leben. Und das sind nun mal, wie wir jetzt wissen, du und ich. Glaub mir, ich will das ebenso wenig wie du! Aber es ist tatsächlich die beste Lösung für den Kleinen. Und uns erspart es, einmal pro Woche ein womöglich hungriges, müdes Baby durch die halbe Stadt zu karren. Wir passen uns Tyler an, nicht umgekehrt.“

„Es würde bedeuten, dass wir gemeinsam in Petes und Allys Haus wohnen, und das klingt für mich verdammt nach Zusammenleben!“

Damit kam er nicht gut klar, wie er selber wusste. Das Zusammenleben mit Nadine war erst vor Kurzem spektakulär gescheitert. Seine Ehe war zerbrochen, weil er keine Familie gründen wollte. Nadine hatte ihm ein Ultimatum gestellt, das er nicht akzeptieren konnte.

Und jetzt erwartete Emmy Jacobs – die all das verkörperte, was ihm an einer Frau nicht gefiel – allen Ernstes von ihm, dass er mit ihr eine Familie gründete?

„Zusammenwohnen ist nicht dasselbe wie zusammenleben, Dylan.“

„Mit dir möchte ich nicht mal zusammenwohnen“, erklärte er unverblümt.

„Ich kann mir auch Lustigeres vorstellen, als dich zum Hausgenossen zu haben!“, konterte Emmy. „Aber was sonst können wir … Außer, natürlich, du überlässt mir das alleinige Sorgerecht für Tyler.“

„Das ist nicht das, was Pete und Ally wollten!“, wehrte er ab.

Er glaubte nicht, dass Emmy stabil genug war, um sich ständig um Tyler zu kümmern. Allerdings konnte er sich auch nicht vorstellen, allein für den Jungen zu sorgen. Was wusste er schon von Babys? Praktisch nichts! Er hatte ja noch nicht mal den Babysitter für seinen Patensohn gespielt. Nicht ein einziges Mal!

Natürlich hatte er zugestimmt, Tylers Vormund zu werden. Dem besten Freund hatte er diese Bitte nicht abschlagen können und gedacht, das Sicherheitsnetz, das er gewissermaßen darstellte, würde niemals gebraucht werden.

Leider hatte er sich geirrt.

Und jetzt wollte er nicht für Tyler da sein, obwohl er es versprochen hatte.

Dylan war wütend darüber, dass ein Baby sein Leben auf den Kopf stellen konnte. Gleichzeitig schämte er sich, ein so kleines, hilfloses Wesen abzulehnen, das überhaupt nichts dafür konnte, dass es solche Verwicklungen auslöste.

Emmys Vorschlag, ihr das alleinige Sorgerecht zu überlassen, war ein verlockender Ausweg … aber er wusste, er würde sich selbst nie mehr respektieren können, wenn er jetzt kniff. Wenn er genau das machte, was seine Mutter immer getan hatte, und die Verantwortung für ein Kind, das ihn brauchte, jemand anderem aufbürdete.

„Ich weiß, dass Ally und Pete nicht mich als alleinigen Vormund wollten“, griff Emmy das Thema wieder auf. „Es wäre aber nicht fair, Tyler ständig zu entwurzeln, nur weil es dir und mir so besser passt.“

„Er ist ein Baby“, hielt Dylan dagegen. „Er kennt seine Umgebung noch gar nicht.“

„Doch, das tut er“, widersprach sie. „Und wenn wir uns wöchentlich abwechseln, muss er sich an zwei verschiedene Regelwerke und zwei verschiedene Wohnungen gewöhnen. Das wäre zu viel von ihm verlangt.“

„Aha, du kennst dich mit Babys also bestens aus“, bemerkte er und war sich bewusst, wie gehässig er klang.

Es war allerdings einfacher, sich mit Emmy zu zanken als zuzugeben, wie verwirrt und elend er sich fühlte.

„Nein, aber ich habe Etliches darüber gelesen. Ich habe schon einige Zeit mit meinem Patensohn verbracht. Und ich weiß, wie Ally ihn großziehen wollte.“

„Okay, du hast recht“, gab Dylan leise zu und fühlte sich noch schuldbewusster. Er konnte nichts von all dem vorweisen.

„Du willst nicht mit Tyler leben, aber du bist auch dagegen, dass ich mich alleine um ihn kümmere. Was willst du denn wirklich, Dylan?“

„Dass Pete und Ally noch am Leben sind!“, brach es förmlich aus ihm heraus. „Dass alles wieder so ist wie früher.“

„Da du kein Superheld bist, der die Zeit zurückdrehen und den Unfall ungeschehen machen kann, ist dein Wunsch …“ Sie blickte weg. „Ich wünschte ja auch, dass ich nur einen Zauberstab zu schwingen brauchte, und alles wäre wieder gut. Aber ich bin keine gute Fee. Wir können nur versuchen, für Tyler das Beste zu tun, was unter den Umständen möglich ist. Wie schon gesagt, es geht um ihn, nicht um uns!“

Emmy hat recht, sagte sich Dylan und bekam noch mehr Gewissensbisse. Er benahm sich wie ein verwöhntes Kind, das nicht nur den Mond, sondern auch die Sterne haben wollte. Er benahm sich falsch.

„Was schlägst du also vor, Emmy?“

„Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir schaffen es, höflich miteinander umzugehen und Tyler gemeinsam großzuziehen, oder du überlässt mir das alleinige Sorgerecht.“

Ich könnte ihn ja auch allein großziehen“, schlug Dylan vor.

„Ach ja? Das würde bedeuten, dass du eine Kinderfrau engagierst, die sich um den Kleinen kümmert, während du dich etwa zwei Sekunden mit ihm befasst, wenn du abends nach Hause kommst“, vermutete sie ätzend.

„Jetzt bist du unfair“, wehrte er sich.

„Tatsächlich?“

Lieber hätte er sich einen Zahn ohne Betäubung ziehen lassen als zuzugeben, dass sie recht hatte.

„Ich will nicht mit dir in einem Haus leben“, beharrte Dylan.

„Ich mit dir auch nicht“, informierte sie ihn kühl. „Aber ich bin bereit, Tylers Bedürfnisse wichtiger zu nehmen als meine. Ally hätte im umgekehrten Fall dasselbe getan.“

Pete auch, dessen war er sich sicher. Abscheu vor sich selbst durchflutete ihn. Er war im Grunde genauso selbstsüchtig wie seine Mutter. Wie sie wollte er aber auf keinen Fall sein!

„Ein Baby allein großzuziehen ist eine große Verantwortung“, warnte er Emmy.

„Ich weiß. Aber ich bin bereit, sie zu tragen.“

„Pete und Ally wussten, dass es für einen allein zu viel ist. Deshalb haben sie uns beide gefragt“, meinte Dylan.

„Ja, aber du hast inzwischen ja offensichtlich Zweifel bekommen.“ Sie zuckte die Schultern. „Schau mal, es geht schon in Ordnung, wenn ich mich allein um Tyler kümmere. Ich kann schließlich immer meine Mutter um Hilfe bitten.“

„Ich brauche etwas Zeit, um über alles nachzudenken“, erklärte er.

Ja, er musste alle möglichen Szenarios im Kopf durchgehen, so wie er es auch bei beruflichen Problemen machte. Er musste abwägen, welches die meisten Vorteile und wenigsten Risiken barg. Er musste kühl planen, ohne dass Gefühle dazwischenfunkten und alles durcheinanderbrachten.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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