1. KAPITEL
Ob ich in diesem Jahr wohl noch einen Frosch küssen werde?
Es war Silvester. Chloe nippte an ihrem Wein, während sie den Blick über die Gästeschar im riesigen Herrenhaus von Patrick und Maeve Elliott schweifen ließ. Zuerst hatte das Ehepaar hier in den Hamptons, dem exklusivsten Teil von Long Island, einige ruhige Tage im Kreise der Familie verbracht. Heute war der Kreis erweitert worden um Freunde und Angestellte, zu denen auch Chloe Davenport zählte.
Mitternacht rückte immer näher, doch sie sah weit und breit keinen einzigen Frosch mit Prinzenpotenzial. Ihre Kollegen zog sie gar nicht erst in Betracht, denn Beziehungen zwischen Angestellten waren bei EPH unerwünscht.
Chloe seufzte. In zwei Wochen würde die traditionelle Neujahrsparty bei ihren Eltern stattfinden. Vielleicht gelang es ihr bis dahin ja doch noch, einen beeindruckenden Begleiter aus dem Hut zu zaubern. Allerdings sprach nichts dafür, dass ihr dieses Kunststück am heutigen Abend gelingen würde.
Der Gastgeber riss Chloe aus ihren Gedanken, als er mit einem Messer an sein Weinglas klopfte. Patrick Elliott räusperte sich. Prompt wurde es still im Saal.
„Bevor wir das alte Jahr verabschieden, möchte ich ein paar Worte sagen“, begann der über siebzigjährige Patriarch des Elliott-Clans und Gründer des Firmenimperiums Elliott Publication Holdings mit seiner tiefen, stets etwas heiseren Stimme.
Anfangs hörte Chloe noch höflich zu, wie sich der Vorstandsvorsitzende bei seinen Gästen für ihr Engagement zugunsten von EPH bedankte. Dann schweiften ihre Gedanken wieder ab.
Auf keinen Fall wollte sie ein weiteres Mal ohne Begleiter zur Davenport-Party erscheinen. Ihre ältere Schwester Maxine konnte nicht nur zwei Kinder und einen Arzt als Ehemann vorweisen, sondern auch ein schönes Haus in Westchester, nördlich von New York. Schon vor Jahren hatte sich Maxine den Titel der perfekten Tochter gesichert, die alle elterlichen Hoffnungen erfüllt. Trotzdem wollte sich Chloe nicht geschlagen geben.
Sie wusste, dass sie von außen betrachtet ein perfektes und sorgenfreies Leben führte. Schließlich hatte sich nicht nur eine ihrer Kolleginnen schon einmal entsprechend geäußert.
In Wirklichkeit war es harte Arbeit, das Image aufrechtzuerhalten. Chloe kleidete sich sorgfältig und wohnte in einem niedlichen Mini-Apartment in Chelsea, einem angesagten Viertel von Manhattan.
Doch obwohl sie alles tat, um den richtigen Mann zu treffen, hatte sie schon seit Monaten kein Rendezvous mehr gehabt. Manchmal lag sie nachts wach und grübelte darüber nach, warum es einfach nicht klappen wollte.
In Chelsea lebten viele schwule Männer, also schieden die meisten ihrer Nachbarn von vornherein aus. Vielleicht bin ich den meisten Männern einfach zu direkt, überlegte sie. Andererseits verdanke ich gerade meiner Offenheit den Job, den ich so liebe. Fin weiß es zu schätzen, dass ich ohne Umschweife zur Sache komme.
Chloe sah zu der Gruppe hinüber, in der ihre Chefin Fin stand. Finola Elliott war Chefredakteurin des Hochglanzmagazins Charisma. Mrs Davenport hätte Fin garantiert als abschreckendes Beispiel für Karrierefrauen angeführt: „So ergeht es einem, wenn man nur seine Arbeit kennt. Achtunddreißig Jahre alt und kein Ehemann in Sicht. Wenn sie kurz vor der Rente zur Besinnung kommt, wird es zu spät sein.“
Wahrscheinlich wird es mir ebenso ergehen, überlegte Chloe. Wer verbringt denn schon den Silvesterabend auf einer Party seines Arbeitgebers – noch dazu ohne Begleiter? Nur jemand, der kein Privatleben hat.
Auch die Aussicht auf ihren dreißigsten Geburtstag in wenigen Monaten heiterte Chloe nicht gerade auf. Energisch schüttelte sie den Kopf, um ihre Mutter, die erneut vor ihrem geistigen Auge auftauchte, zum Schweigen zu bringen. Mrs Davenport hatte schon oft versucht, ihre jüngste Tochter zu verkuppeln. Chloe schluckte, als sie sich an all die Prachtexemplare erinnerte, die ihre Mutter im Laufe der Jahre aufgetan hatte.
Es kann doch wohl nicht sein, dass ich nur mit Moms Hilfe an ein Rendezvous komme! Eigentlich ist es erstaunlich, dass sie für diesen Silvesterabend keinen Mann für mich organisiert hat.
Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre im Saal. Spannung lag in der Luft.
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