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Ihre Blicke treffen sich - und plötzlich fällt Aubrey das Atmen schwer. Wie kann dieser Mann nur so unglaublich sexy lächeln? Doch als er sie anspricht, erfährt sie geschockt, wer Mr Unwiderstehlich ist: Liam Elliott, den sie auf Wunsch ihres Vaters ausspionieren soll!


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733766962
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Täuschte sie sich, oder nahm der Typ an der Bar sie unter die Lupe?

Sie musste sich irren.

Männer wie er würdigten Frauen wie sie keines zweiten Blickes. Pumps, Pagenkopf und mickrige Brüste steigerten nicht einmal beim Durchschnittsmann den Testosteronspiegel, und dieser war alles andere als Durchschnitt. Außerdem war jetzt nicht der passende Zeitpunkt für einen Flirt.

Aubrey Holt war eine Stunde früher gekommen, um sich mit dem unbekannten Terrain vertraut zu machen. Jetzt blieben ihr noch einundvierzig Minuten bis zu ihrer Verabredung zum Lunch. Viel Zeit also, erneut die Fragen durchzugehen, die sie Liam Elliott auf Wunsch ihres Vaters stellen wollte. Liam war Leiter der Finanzabteilung bei Elliott Publication Holdings, und EPH wiederum war der Hauptkonkurrent von Holt Enterprises, dem Unternehmen ihres Vaters, in dem sie arbeitete.

Normalerweise hätte Aubrey ein Treffen auf vertrautem Boden vorgezogen, doch in diesem Fall war es wichtiger, dass der Finanzchef sich wohlfühlte. Vielleicht wurde er in entspannter Atmosphäre unvorsichtig und ließ die eine oder andere Insiderinformation durchsickern. Einen Konkurrenten unter dem fadenscheinigen Vorwand zu kontaktieren, ein Problem mit einem Anzeigenkunden erörtern zu wollen, nur um Informationen aus ihm herauszuholen, war normalerweise nicht Aubreys Art. Doch wenn sie bei ihrem Vater punkten wollte, musste sie das Spiel auf seine Weise spielen. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie würde ihr Bestes geben – wie immer.

Wie magnetisch angezogen, schaute sie wieder zu dem Mann an der Bar. Er stand mit dem Rücken zu ihr, und sie nutzte diesen Umstand, ihn zu mustern. Auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe, graue Hose, blaues Hemd, das wegen seiner breiten Schultern und der schmalen Taille maßgeschneidert sein musste, dichtes dunkelblondes kurz geschnittenes Haar.

Im nächsten Moment trafen sich ihre Blicke im Spiegel hinter der Bar. Erwischt. Sie wurde rot und er zog einen Mundwinkel hoch und drehte sich um. Wow. Dieser Mann hatte es definitiv nicht nötig, in einer Bar Frauen abzuschleppen, sie standen bei ihm vermutlich Schlange.

Der blonde Hüne hob sein Glas zu einem stummen Toast, der die Frage beinhaltete: Wie wär’s?

Oh mein Gott. Aubrey stockte der Atem.

Mit ihren neunundzwanzig Jahren hatte sie schon einige Anmachtouren erlebt. Gelegentlich ließ sie sich auch zu einem Drink einladen, aber sie hatte noch nie einen Mann angesehen und dabei an Sex mit ihm gedacht, bevor sie die ersten Worte gewechselt hatten. Dieser blauäugige Typ weckte in ihr den Wunsch, ihn zu berühren und von ihm berührt zu werden. Sofort. Hier an der Bar. Irgendwo. Je schneller, desto besser. Allein sein Anblick weckte in ihr den Wunsch, die Fantasien auszuleben, die sie sich nur allein und im Schutz der Dunkelheit gestattete.

Nun steuerte er auf sie zu, bahnte sich elegant den Weg um Tische, Kellner und Stammgäste herum. Wie ein Skiläufer auf einem Slalomkurs. Dynamisch, entschlossen, athletisch. Ihr Herz schlug wie verrückt.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Seine Stimme war so tief, seine Schultern so breit. „Ich … ich bin verabredet … gleich.“

„Mit Ihrem Freund?“

„Nein.“

„Darf ich mich dann zu Ihnen setzen, bis Ihre Verabredung eintrifft? Es ist sonst kein Platz mehr frei.“

Wirklich nicht? Aubrey blickte flüchtig über die Tische in dem lang gezogenen, schmalen Lokal. Tatsächlich. Alle waren besetzt und an der Bar gab es auch nur noch Stehplätze.

Hallo! Aubrey! Wann hast du je wieder die Chance, einen Mann wie diesen kennenzulernen?

Hastig schob sie die Papiere zusammen und steckte sie in ihre Aktentasche. „Gern. Ich habe …“, sie blickte auf die Uhr, „… ungefähr neununddreißig Minuten Zeit.“

Weiße ebenmäßige Zähne blitzten auf. „Ungefähr?“

„Okay. Genau.“

Er hängte sein Jackett auf den Garderobenständer in der Nische und rutschte auf die Bank. Dabei stießen seine Knie gegen ihre. Dieser kurze Körperkontakt traf sie wie ein Blitz und schickte Stromstöße durch ihr zentrales Nervensystem.

Er musste über eins achtzig groß sein. Mit diesem Körper und dem Gesicht könnte er für ein Fitnessmagazin modeln. Sein Aftershave kitzelte ihre Nase. Zeder? Sandelholz? Sie konnte die Marke nicht zuordnen, was bedeutete, dass der Hersteller in keinem von Holts Magazinen annoncierte.

„Sie kommen nicht oft hierher.“ Keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Das erste Mal. Und Sie?“ Sie könnte sich in diesen karibisch blauen Augen verlieren.

„Oft. Hier gibt es das beste Buchmacher-Sandwich in ganz New York.“

„Buchmacher?“ Du bist heute nicht gerade eine brillante Gesprächspartnerin.

„Schinken, Peperoni und Harvati auf irischem Sodabrot mit einer wunderbaren Rotwein-Vinaigrette.“

Oh Mann, diesem Fremden zuzuhören, war eine fast lustvolle Erfahrung. Seine Stimme war so leise, dass sie sich vorbeugte, um ihn besser zu hören, und so erotisch, dass sie ihr eine Gänsehaut verursachte. „Ich werde es probieren.“

„Tun Sie das.“

„Arbeiten Sie in der Nähe?“

„Nicht so nah, dass meine Kollegen mich hierher verfolgen würden. Sobald ich das Büro verlasse, verlasse ich es wirklich, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Oh ja, das tue ich. Es gibt Tage, da möchte ich schreiend aus dem Büro rennen und nie wieder zurückkehren.“ Sie fragte nicht nach seinem Namen und nannte auch ihren nicht. Der Traummann war nur an ihren Tisch gekommen, weil er einen Platz suchte. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wiedersehen. Ein deprimierender Gedanke.

„Was machen Sie beruflich?“, fragte er.

Aubrey zögerte. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Männer sie als Eintrittskarte zu einem Job im Imperium ihres Vaters betrachteten, und als gebranntes Kind war sie vorsichtig. „Ich bin sozusagen Mädchen für alles und erledige alle anfallenden Arbeiten. Und Sie?“

„Zahlenfreak.“

In Manhattan konnte das vieles bedeuten, vom Börsenmakler bis zum Buchhalter, doch sie hatte kein Recht, ihm wegen der vagen Auskunft einen Vorwurf zu machen, sie selbst war nicht präziser gewesen.

Der Traummann sah sie an. „Darf ich Sie zu einem Drink einladen, während wir auf unsere Gesprächspartner warten?“

Sie trank im Job nie, aber sie hatte auch noch nie versucht, Informationen aus einem Konkurrenten herauszuholen. Der Gedanke hinterließ einen bitteren Beigeschmack. Ihr blieben zweiunddreißig Minuten, bevor sie sich in Unaufrichtigkeit üben musste. „Gern, danke. Ich nehme einen Lemon Drop Martini.“

„Und für mich einen Whisky“, orderte er bei der Kellnerin.

Er beugte sich vor und sie blickte auf seine Finger. Gepflegt, keine abgebrochenen Fingernägel. Kein Ehering. Wie würden sich diese Hände auf ihrem Körper anfühlen? Stopp.

„Was sind Sie? Süß oder sauer?“

Die Frage verblüffte sie. Womöglich lag es an ihren verrücktspielenden Hormonen, dass sie nicht klar denken konnte.

„Zucker am Rand. Zitrone im Drink. Süß und sauer. Was sind Sie?“

Wach auf, Aubrey. „Das kommt ganz darauf an. Ich bin in jeder Hinsicht flexibel.“

Seine blauen Augen funkelten frech. „Das kann ich mir vorstellen.“

Bei dieser Anspielung wurde ihr heiß. „Ich meinte, bei der Arbeit.“

„Ich auch.“

Er presste die Lippen zusammen und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Da sie in wenigen Minuten eine geschäftliche Verabredung hatte und deshalb keine Gefahr bestand, dass dies zu weit ging, ließ sie sich auf den Flirt ein. „Ich wette, Sie haben ein erstaunliches Durchhaltevermögen … bei der Arbeit.“

Kleine Lachfältchen erschienen um seine Augen. „Nicht nur bei der Arbeit.“ Er zwinkerte ihr zu.

Die Getränke wurden serviert. Während er bezahlte, nahm Aubrey einen kräftigen Schluck von ihrem Martini. Der Alkohol auf leeren Magen wirkte sofort.

„Morgenmensch oder Nachteule?“, fragte er.

„Ich arbeite gern, wenn niemand im Büro ist. Ich kann also beides sein. Ich bin flex…“ Als sie merkte, dass sie sich wiederholte, sprach sie nicht weiter.

„Flexibel, ich weiß.“

Sein Blick glitt von ihrem Gesicht über ihren Hals und die Schultern zu ihren kleinen Brüsten in dem schwarzen Mieder mit dem eingearbeiteten BH. Mehr Stütze brauchte sie nicht. Leider.

Sonderbarerweise fühlte sie sich alles andere als flachbrüstig, denn er sah sie an, als wünschte er, sie hätte nicht nur ihren Blazer ausgezogen. Ihre Brustwarzen richteten sich auf. Das Flattern seiner Nasenflügel deutete darauf hin, dass er es bemerkte. Sie sahen sich in die Augen. Heiß. Erregt.

Ihr stockte der Atem und heftiges Verlangen erfasste sie. Eine Szene aus einem Film schoss ihr durch den Kopf. Ein Paar hatte sich auf der Toilette eines überfüllten Restaurants getroffen und war wie Teenager, deren Hormone verrücktspielten, übereinander hergefallen. Sie hatte diese Szene für völlig unrealistisch und überzogen gehalten. Heute jedoch schien die Idee nicht nur denkbar, sondern sogar verlockend.

Sie atmete langsam aus. Noch nie hatte sie sich zu einem Mann so hingezogen gefühlt. Warum gerade jetzt, wo sie nichts unternehmen konnte?

Sag etwas, sei witzig. Flirte.

Als sie in die Augen des Traummannes blickte, fiel ihr nichts ein.

Er lächelte und sie nahm seine aristokratische Nase wahr und seine geschwungenen Lippen. An seinem nicht ganz ebenmäßigen Kinn entdeckte sie eine kleine Narbe.

„Mögen Sie es?“

„Was kann man daran nicht mögen?“ Schlagartig wurde sie rot. Sie errötete sonst nie, bei ihm war es ihr in weniger als fünf Minuten bereits zweimal passiert. Wie peinlich.

Die Fältchen um seine Augen vertieften sich. „Der Drink. Mögen Sie ihn?“

Am liebsten wäre sie unter den Tisch gekrochen, allerdings könnte er eine falsche Absicht dahinter vermuten. Allein die Vorstellung sollte sie schockieren, doch sie verspürte Erregung.

„Ja. Oh ja. Sehr lecker. Und stark.“ Vielleicht konnte sie den Barkeeper für ihre geistige Beschränktheit verantwortlich machen. „Was ist mit Ihnen? Morgenmensch oder Nachteule?“

„Das kommt darauf an. Manche Dinge erledige ich am besten frühmorgens. Manchmal laufe ich aber auch abends, bevor ich einschlafe, zur Höchstform auf.“

Wenn sich ihr Herzschlag noch weiter beschleunigte, würde sie einen Sanitäter benötigen. In Sachen anzüglicher Schlagfertigkeit war er ihr um Lichtjahre voraus. Aubrey, du warst zu lange ohne Mann. Das musste der Grund dafür sein, dass seine zweideutigen Bemerkungen den Wunsch bei ihr weckten, ihm die Kleider vom Leib zu reißen.

„Beruf oder Vergnügen?“, fragte er über den Rand seines Glases hinweg.

„Wie bitte?“

„Weshalb sind Sie heute hier?“

„Beruf. Und Sie?“

„Aus demselben Grund.“

Er blickte auf seine Uhr. „Ich habe gleich meinen Termin.“

„Ich auch.“

Bedauern zeichnete sich auf dem Gesicht des Mannes ab. „Dort drüben wird ein Tisch frei. Ich denke, ich sollte ihn nehmen.“

Bei ihr machte sich Enttäuschung breit. Es hatte Spaß gemacht, mit ihm zu plaudern. Sie wollte seinen Namen und seine Telefonnummer haben. Frag ihn, dachte sie, brachte aber nicht den Mut dazu auf. Er spielte in einer anderen Liga als sie. „Ja, tun Sie das. Danke für den Drink und die Gesellschaft.“

„Darf ich Sie anrufen?“

Ja! Ja! Ja! schrie sie im Geiste vor übersprudelnder Freude, doch sie antwortete so ruhig wie möglich: „Gern.“

Sie wühlte in ihrer Ledertasche, fand jedoch nur einen Stift. Ihre Karte wollte sie ihm nicht geben. Noch musste er nicht wissen, dass sie Vizepräsidentin von Holt Enterprises war. „Ich habe kein Papier.“

Er stand auf, griff in die Innentasche seines Jacketts, zog ein schmales vergoldetes Etui hervor, nahm zwei Visitenkarten heraus, legte beide mit der bedruckten Seite nach unten auf den Tisch und schob eine davon in ihre Richtung. „Schreiben Sie auf die Rückseite. Ich notiere Ihnen meine Handynummer und meine Privatnummer.“

Während sie ihren Vornamen und ihre Telefonnummer aufschrieb, notierte er seine Angaben auf der anderen. Sie tauschten die Karten und gaben sich die Hand. Sein Griff war warm und fest und ihr Körper schien erregend zu prickeln. Seinem Blick nach zu urteilen war die Reaktion nicht einseitig.

„Es war nett, Sie kennenzulernen …“

Ohne sie loszulassen, blickte er auf die Karte und dann geschockt und skeptisch wieder in ihre Augen.

„Aubrey. Aubrey Holt?“

Woher kannte er ihren Namen? Verwirrt über seine Reaktion, drehte Aubrey ihre Karte um und las die geprägten Buchstaben. Das Herz rutschte ihr in die Hose. „Sie sind Liam Elliott?“

„Ja.“

Sie entriss ihm ihre Hand und verfluchte ihr Pech. Endlich lernte sie einen intelligenten Mann kennen, mit dem sie gern eine Beziehung eingehen würde, und jetzt musste sie ihn nicht nur belügen, sondern ihm auch noch vertrauliche Informationen entlocken.

Nicht gerade der richtige Weg, um Freunde oder Liebhaber zu gewinnen.

Am liebsten hätte sie ihren Frust laut in die Welt geschrien. Der aufregendste Mann, den sie je kennengelernt hatte, war absolut tabu.

Verdammter Mist, fluchte Liam lautlos. Seit Januar hatte er wegen der schwierigen Situation im Verlag und der Krebserkrankung seiner Mutter keine Zeit für Frauen gehabt, und jetzt törnte ihn ausgerechnet die Tochter des Konkurrenten an.

Verwirrung verdrängte den begehrlichen Blick in den außergewöhnlichsten blauvioletten Augen, die er je gesehen hatte.

„Sie waren früh hier.“

Er unterdrückte seine Enttäuschung. „Sie auch.“

„Ich … ich wollte mich mit dem Ort vertraut machen.“

Er hatte nach dem katastrophalen Meeting am Morgen mit den sich bekriegenden Familienmitgliedern einen Drink gebraucht. Den Wettstreit in der Firma hatte sein Großvater Patrick Elliott vor neun Monaten begonnen, als er beim Neujahrstreffen der Familie sein bevorstehendes Ausscheiden aus dem Verlag verkündet und seine idiotische Methode erklärt hatte, einen Nachfolger zu bestimmen. Seitdem konkurrierten seine Kinder und Enkel miteinander, um an die Spitze von EPH zu gelangen.

Schlimmer noch, Liam vermutete, dass er selbst seinen Großvater zu seinem Plan inspiriert hatte – durch eine versehentlich weitergegebene Information. Er und Patrick aßen oft zusammen, spielten Golf miteinander und trainierten Seite an Seite im Fitnessraum von EPH. Sie sprachen über alles und jeden, doch jetzt wünschte er, er hätte den Mund gehalten und seinen Großvater wie einen Arbeitgeber und nicht wie einen Verwandten oder Freund behandelt. Allerdings hätte er nie erwartet, dass jemand, den er liebte, sein Vertrauen ausnutzen würde.

Warum hatte er das nicht kommen sehen und eine Möglichkeit gefunden, die Katastrophe zu verhindern?

Die vergangenen Monate hatte er beobachtet, wie seine Verwandten zu Konkurrenten geworden waren, statt wie früher im Team zu arbeiten. Seine Vorhersage, dass dieser Zank und Streit dem Verlag schadete und ihn nicht stärkte, wie Patrick glaubte, stieß bei seinem Großvater auf taube Ohren. Liam hatte immer gern im Familienunternehmen gearbeitet, aber die derzeitige Missstimmung führte dazu, dass er jeden Tag mit Bauchschmerzen ins Büro ging.

Er kam zurück in die Gegenwart und überdachte seine Optionen. Er könnte bleiben, einen weiteren Drink bestellen und herausfinden, weshalb Aubrey Holt um dieses Treffen gebeten hatte. Dummerweise hatte er schon zwei Whiskys gehabt und damit bereits gegen seine Prinzipien verstoßen. Kein Alkohol während der Arbeitszeit – obwohl es ihm angesichts der angespannten Atmosphäre von Tag zu Tag schwerer fiel, daran festzuhalten. Wenn er jetzt noch etwas bestellte, würde er vermutlich die Familie, den Job und alle Bedenken zum Teufel jagen und Aubrey in sein Apartment einladen, um zu sehen, wohin diese gegenseitige Anziehung führte – eine Entscheidung, die viel Ärger bringen konnte.

Aus der koketten Frau wurde eine kühle Geschäftsfrau. Das Funkeln in ihren Augen war erloschen. Entschlossen straffte sie die Schultern und hob das Kinn. Ihre vollen, verführerischen Lippen wirkten plötzlich schmal und streng.

Kurz war ihm der Gedanke gekommen, dass Aubrey gewusst hatte, wer er war, und bewusst mit ihm geflirtet hatte, um an Informationen zu kommen. Das offensichtliche Entsetzen, als sie seinen Namen las, ließ ihn diesen Verdacht jedoch vergessen.

„Bitte nehmen Sie doch wieder Platz, Mr Elliott. Ich lade Sie zum Lunch ein.“

„Liam.“ Er rutschte zurück in die Nische. Als er dieses Mal Aubreys Knie berührte, erfüllte ihn das Feuer, das seinen Schenkel hinaufschoss, mit Frust und nicht mit der gespannten Erwartung, die er noch vor einem Moment verspürt hatte.

„Weshalb dieser Termin, Aubrey?“ Er würde sie auf keinen Fall mit Mrs Holt ansprechen, nachdem er vor ein paar Minuten davon geträumt hatte, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen und jeden Zentimeter ihres schlanken Körpers zu erforschen. Mit den Händen. Mit der Zunge. Sie schob sich eine Strähne ihrer hellbraunen Haare hinters Ohr.

„Ich wollte mit Ihnen über einige unserer gemeinsamen Anzeigenkunden sprechen.“

„Aha. Was ist mit ihnen?“

Sie rutschte auf der Bank hin und her und konzentrierte sich auf die Unterlagen, die sie aus ihrer Tasche geholt hatte. „Es wird gemunkelt, dass EPH bewusst die Auflagenhöhe der unterschiedlichen Zeitschriften schönt, um Holt die Kunden abspenstig zu machen.“

„Was? Das wäre ja verrückt. Wir müssten die Reichweitenanalyse fälschen, um das zu erreichen, und würden Werbeeinnahmen und unsere Glaubwürdigkeit verlieren. Außerdem wissen Sie genauso gut wie ich, dass es zwei unabhängige Institute gibt, die diese Daten prüfen.“

Da wegen des Wettstreits, den sein Großvater angefacht hatte, jedes Magazin darum kämpfte, den höchsten Gewinn zu erzielen, würde niemand auch nur auf einen Dollar Einnahme verzichten. Was Aubrey behauptete, war völliger Blödsinn, doch es könnte dem Unternehmen schaden, falls Anzeigenkunden glaubten, EPH würde nicht ehrlich arbeiten.

„Wo haben Sie das gehört?“

„Ich kann meine Quelle nicht preisgeben.“ Sie senkte den Kopf und strich mit einem Finger das Kondenswasser von ihrem Glas.

Liams Blick folgte der langsamen Bewegung und kleine Schweißperlen liefen über seinen Rücken. Vor ein paar Minuten hatte er noch davon geträumt, dass sie ihn berührte. Schnell verdrängte er den unwillkommenen Gedanken und betrachtete sie argwöhnisch. Waren diese verführerischen Gesten beabsichtigt?

„Haben sich Auflage und Anzeigenpreise einiger Ihrer Magazine im letzten Jahr dramatisch geändert? Bietet EPH einen zusätzlichen Marketingservice?“

„Das sind vertrauliche Informationen.“

„Ich weiß, aber wir stehen unter dem Druck, konkurrenzfähig zu bleiben.“

„Was Holt Enterprises macht, ist nicht mein Problem.“

„Das ist mir bewusst. Ich hatte gehofft …“

„Gehofft, dass ich Ihnen Insiderinformationen gebe?“ Er hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Sein Großvater hatte seine vertraulichen Äußerungen für sich genutzt. War das auch Aubreys Plan?

„Ich hatte gehofft, dass wir zusammen daran arbeiten, einen fairen Preis für unsere gemeinsamen Anzeigenkunden auszuhandeln. So würde kein Unternehmen Geld verlieren.“

Das Einzige, was ihn davon abhielt, aufzustehen und zu gehen, war sein Hunger. Das und das Prickeln in seinem Nacken. Ein Warnzeichen. Irgendetwas lief hier falsch. Angesichts der besonderen Bestimmungen im Plan seines Großvaters und des Kampfs bei EPH war es möglich, dass einige der Kunden Wind von der Zwietracht unter den Elliotts bekommen hatten und beunruhigt waren.

Liam gab der Kellnerin ein Zeichen und bestellte sein übliches Sandwich. Aubrey schloss sich ihm an, doch er hatte das Gefühl, dass sie es tat, weil sie sich nicht mit der Speisekarte beschäftigen mochte, und nicht, weil sie das Buchmacher-Sandwich wirklich probieren wollte.

„Ich kann Ihnen nicht helfen. An EPHs Geschäftspraktiken hat sich nichts geändert.“ Nichts, abgesehen davon, dass sich das Personal der einzelnen Sparten gegenseitig an die Gurgel ging. Sein Großvater hatte entschieden, dass der Herausgeber des Magazins, das am Ende des Jahres den proportional höchsten Gewinn vorweisen konnte, den Geschäftsführer von EPH stellte. Niemand wollte verlieren.

Als Finanzchef oblag es ihm, die Umsätze zu verfolgen. Die Aufgabe lastete schwer auf seinen Schultern. Er musste seine Gefühle ausschalten, die Menschen vergessen, die hinter den Zahlen standen, und sich nur an kalte, harte Fakten halten. Es war nicht einfach. Er machte sich Sorgen um EPH und noch mehr um seine Mutter.

Während seine Großfamilie auseinanderfiel, stellte er fest, dass das Leben an ihm vorüberging. Er war einunddreißig Jahre alt. In dem Alter waren seine Eltern schon verheiratet gewesen und hatten vier Kinder gehabt. Selbst seine Brüder und seine Schwester waren inzwischen in festen Händen.

Gannon hatte im Februar geheiratet. Er und seine Frau Erika erwarteten das erste Kind. Sein jüngerer Bruder Teagan hatte sich verlobt, und seine Schwester Bridget hatte erst kürzlich einen Sheriff aus Colorado geheiratet und sich aus dem Familienunternehmen zurückgezogen. Auch einige seiner Cousins und Cousinen und ein Onkel hatten sich in letzter Zeit gebunden.

Er selbst konnte nichts vorweisen außer einem aufreibenden Job, einem Porsche, den er nur selten fuhr – für den er aber ein Vermögen an Parkgebühren zahlte –, und einer Wohnung in der Park Avenue, in der er lediglich schlief.

Die Kellnerin servierte das Essen und entfernte sich wieder. Aubrey begegnete seinem Blick. Als er in ihre faszinierenden Augen sah, stockte ihm der Atem.

„Wie geht es Ihrer Mutter? Ich habe in der Zeitung von ihrer Erkrankung gelesen.“

Konnte sie seine Gedanken lesen? „Es geht ihr besser. Die Chemotherapie hat sie einigermaßen überstanden, und die Haare wachsen wieder.“

„Die Diagnose muss für alle furchtbar gewesen sein.“

„Ja.“ Er hätte seine Mutter verlieren können. Auch wenn sie noch nicht völlig auskuriert war – dazu musste sie fünf Jahre ohne Befund sein –, waren sie optimistisch. Die Ärzte hatten eine positive Prognose gewagt.

„Sie stehen ihr sehr nahe?“

„Jetzt näher denn je. Haben Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrer Mutter?“

Ihr Blick war plötzlich von tiefer Traurigkeit erfüllt. „Nein. Sie hat meinen Vater verlassen, als ich elf war. Sie konnte es nicht ertragen, erst an zweiter Stelle zu kommen – nach seiner Arbeit.“

„Sie sind nicht mit ihr in Kontakt geblieben?“

„Eine Zeit lang, doch dann hat sie wieder geheiratet.“ Aubrey senkte den Kopf. „Das Sandwich ist wirklich lecker. Sie haben recht mit der Vinaigrette. Sie ist köstlich.“

Er ignorierte ihren Versuch, das Thema zu wechseln. „Sie haben sich mit ihrem neuen Mann nicht verstanden?“

Sie wurde blass. „Er mochte mich etwas zu sehr.“

„Hat er sich an Sie herangemacht?“

„Ja.“

Zorn wallte bei ihm auf. „Wie alt waren Sie?“

„Sechzehn.“

„Hat sich Ihre Mutter von dem Mistkerl scheiden lassen?“

„Nein. Könnten wir jetzt bitte über etwas anderes sprechen?“

Ungern. Er wollte fragen, wie ihre Mutter bei dem perversen Schwein bleiben konnte, und ob ihr Vater den Mann grün und blau geschlagen hatte, doch er tat es nicht. „Sicher.“

„Ich habe gehört, dass Patrick sich aus dem Geschäft zurückziehen will. Weiß man schon, wer sein Nachfolger wird?“

Liam legte die Hände neben den Teller. „Aubrey, ich werde nicht über EPH-Interna sprechen.“

„Verstehe. Entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit vergeudet habe.“

Er hatte Probleme, ihre Emotionen zu deuten. Zunächst einmal sah er Enttäuschung, aber er hätte geschworen, dass sich in ihren Augen auch das Gefühl des Versagens spiegelte. Warum? „Das haben Sie nicht. Bis Sie angefangen haben, mich nach EPH auszufragen, hatte ich die beste Zeit seit Monaten.“

Ihre Lippen öffneten sich und die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Ehe sie antworten konnte, klingelte sein Handy. Er entschuldigte sich und nahm das Gespräch an.

Autor

Emilie Rose
<p>Ihre Liebe zu romantischen Geschichten hat Emilie bereits im Alter von zwölf Jahren entdeckt. Zu der Zeit las sie einen Liebesroman nach dem anderen, sodass ihre Mutter die Bücher bald unter den Sofakissen versteckte, sobald Emilie ins Wohnzimmer kam. Dabei verbrachte sie damals viel Zeit in der freien Natur, wenn...
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