Acht Pfoten und ein Happy End

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Die wilden Tiere Floridas zu schützen ist Samanthas Traumjob. Doch leider bringen ihr die Leute in Paradise Misstrauen entgegen. Kann eine Scheinverlobung mit Dylan Thomas, dem sexy Leiter des Tierreservats, das ändern? Oder macht er mit seinem Kuss etwa Jagd auf ihr Herz?


  • Erscheinungstag 15.07.2019
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747459
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Normalerweise wurde der kleine Ort Paradise auf der gleichnamigen Insel seinem himmlischen Namen gerecht. Heute war dies nicht der Fall.

Dylan Turner hatte den überwiegenden Teil des Tages damit verbracht, während eines der berüchtigten Sommerstürme in Florida ein kaputtes Dach zu reparieren. Und natürlich klarte der Himmel dann auf, als er damit fertig war und wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Klatschnass und schmutzig von Teermasse machte er früh Feierabend – zum ersten Mal, seitdem er Leiter des Paradise Wildlife Rehabilitation Centers war.

Auf dem Nachhauseweg versuchte er, nicht in die mit Wasser gefüllten Spurrinnen der Schotterstraße zu geraten. Verdammt, er hätte besser weitergearbeitet. In ein paar Stunden würde das Wasser versickert sein, und es gab immer noch so viel zu tun. Mehr, als er sich vorgestellt hatte, als er den Job vor über einem Jahr antrat.

Damals hatte er gerade sein BWL-Studium in Harvard erfolgreich abgeschlossen und geglaubt, dass der Job ein Kinderspiel sein würde. Eine politisch korrekte Position, die sich gut in seinem Lebenslauf machen und ihm viel Zeit zum Surfen und Wandern lassen würde.

Stattdessen arbeitete er achtzig Stunden pro Woche und erledigte viele Dinge, die in der Stellenbeschreibung gar nicht erwähnt worden waren, wie etwa die Hinterlassenschaften der Tiere beseitigen und zentnerweise Gemüse schnibbeln. Oder Dächer ausbessern. Zum Glück war er auf einer Ranch aufgewachsen und hatte keine Angst davor, sich die Hände dreckig zu machen.

Doch das enorme Arbeitspensum war nicht die einzige Überraschung. Was ihn geradezu schockierte, war die Tatsache, wie sehr er den Job inzwischen liebte – die Herausforderung und die Verantwortung.

Er hätte irgendwo in einem großen Unternehmen arbeiten können. Aber hier trug er dazu bei, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Jeder Dollar, den er für den guten Zweck sammelte, bedeutete, dass Tiere in Not Futter und ein Obdach hatten – und er sich am Ende des Tages gut fühlte.

Wegen einer weiteren Pfütze drosselte er das Tempo. Bald würde er die Abzweigung zu seinem kleinen Haus direkt am Rand des Naturschutzgebietes erreichen. In ein paar Minuten könnte er sich ein kaltes Bier und eine heiße Dusche genehmigen.

Sein Handy klingelte. Er warf einen Blick auf das Display, auf dem der Name eines der ehrenamtlichen Helfer des Rehab Centers aufleuchtete. „Was gibt es, Jason?“

„Ich habe gerade etwas Schlimmes gesehen, und Sie sind der Einzige, den ich deshalb anrufen kann“, sagte er mit atemloser Stimme.

„In Ordnung. Sag mir einfach, was du gesehen hast.“

„Im Moment haben wir doch keine Jagdsaison, richtig?“

„Nein.“ Die Jagdsaison für Rotwild und Truthähne fing erst im August an. Selbst dann gab es eine Menge Regeln und Vorschriften zu beachten, wann, wo und wie ein Tier erlegt werden durfte.

„Ich habe einen Mann gesehen, der aus dem Auto heraus auf ein Reh geschossen hat. Ich glaube nicht, dass er mich bemerkt hat. Mein Auto parkte ziemlich weit weg unter ein paar Eichen. Miranda und ich wollten ein bisschen ungestört sein, wenn Sie wissen was ich meine.“

„Ja, das weiß ich.“ Teenager knutschten im Wald, seitdem es Wälder gab. Er hatte zu seiner Zeit selbst für einige beschlagene Autoscheiben gesorgt.

„Nun, jedenfalls habe ich das Motorengeräusch des Pick-ups und dann den Gewehrschuss gehört.“

„Bist du sicher, dass es nicht ein Auspuffknall war?“

„Ja. Es war ein brandneuer Pick-up. Außerdem habe ich gesehen, wie sie das Reh auf die Ladefläche gehoben haben, bevor sie weggefahren sind.“

Es war nicht nur gesetzlich verboten, außerhalb der Saison zu jagen, sondern auch, dabei Nahschüsse aus einem Fahrzeug abzugeben. „Das hört sich nach Wilderern an. Einige von ihnen können ziemlich gefährlich sein. Es war richtig, dass du nicht eingegriffen hast. Aber du musst der Fish and Wildlife Conservation Commission melden, was du beobachtet hast.“

„Ich weiß. Nachdem sie verschwunden sind, habe ich ein Rehkitz gesehen, das sich in die Büsche geschlagen hat. Ich glaube, sie haben seine Mutter erschossen!“

Dylan unterdrückte einen Fluch. Ein auf sich gestelltes Rehkitz würde nicht lange überleben. „Bist du sicher?“

„Ja. Können Sie ihm helfen?“

„Ich werde es versuchen.“ Wenn er es ausfindig machen konnte. „Wo genau bist du?“

„Direkt vor der Abzweigung zum Wildnisgebiet, auf der Straße hinter der Tankstelle.“

Er kannte die Stelle. „Jason, rühr dich nicht vom Fleck, ja? Ich bin sofort da.“

Der Versuch, ein Rehkitz im Wald zu finden, wäre normalerweise aussichtslos. Aber durch den Regen war der Boden so aufgeweicht, dass Spuren auszumachen sein würden. Einen Versuch war es zumindest wert.

Als er ankam, parkte er hinter der Tankstelle, schnappte sich seinen Rucksack und stieg aus. Er hatte genug Erfahrung, um zu wissen, dass man nie in den Wald gehen sollte, ohne einige Dinge für den Notfall dabeizuhaben.

Jason ging vor seinem ramponierten Auto auf und ab. Seine Freundin saß auf der Motorhaube und starrte auf ihr Smartphone. „Ich habe die FWC bereits angerufen. Sie schicken einen Officer her.“

Dylan nickte. „Gut. Sie werden deine Aussage aufnehmen wollen.“ Es würde noch ein oder zwei Stunden taghell sein. Aber durch die Wolken am Himmel könnte es früher dunkel werden. Ihm lief die Zeit weg. „Wohin ist das Rehkitz gelaufen?“

„Dort entlang. Weg von der Straße.“

„Kannst du mir zeigen, wo genau du es gesehen hast?“

„Ich glaube schon. Aber, äh, Dylan …“

„Was?“ Ungeduldig ging er in die Richtung, in die Jason gezeigt hatte, und zwang ihn, mit ihm Schritt zu halten.

„Die Leute von der FWC haben gesagt, dass wir nichts tun sollen, bis sie da sind. Es geht darum, keine Spuren zu verwischen, um Beweise und rechtliche Zuständigkeit oder was auch immer.“

„Wenn ich dieses Rehkitz finden will, muss ich mich jetzt auf die Suche machen, bevor es noch weiter wegläuft. Also richte dem Officer aus, dass er sich beeilen und mich einholen soll, wenn er sich beschwert. Zur Hölle, sie können mich verhaften, wenn sie wollen. Aber erst, wenn ich das Rehkitz gefunden habe.“

Samantha Finley fuhr den Streifenwagen der Fish and Wildlife Conservation Commission auf den Parkplatz hinter der Tankstelle. Sie hatte fast eine Stunde gebraucht, um herzukommen. Obwohl sie von allen Officern am nächsten am Tatort war.

Wegen Etatkürzungen waren auf der Dienststelle der Naturschutzbehörde weniger Beamte im Einsatz. Sam war das Gebiet von der Küste bis zum Stadtrand von Orlando zugeteilt worden. Dort war sie bis eben gewesen, weil sich ein Bürger angeblich von einem Alligator bedroht gefühlt hatte.

Hoffentlich handelte es sich jetzt nicht erneut um falschen Alarm. Als jüngster und neuester Officer in der Region musste sie sich erst noch einen Namen machen, was ihr nicht gelingen würde, wenn sich dieser Einsatz erneut als sinnloses Unterfangen herausstellte. Andererseits war Zeitverschwendung immer noch besser als ein tatsächlich verwaistes Rehkitz.

Sie stieg aus und winkte dem Jugendlichen zu, der laut ihren Notizen Jason Cunningham hieß. Er wirkte nervös, nickte ihr aber zu. Ihrer Erfahrung nach fühlten sich Jungs in dem Alter in Gegenwart der Strafverfolgungsbehörden immer unbehaglich – besonders wenn sie es mit einem Officer zu tun hatten.

„Hallo. Jason, richtig?“ Sie streckte ihm die Hand hin, die er nach kurzem Zögern schüttelte.

„Ja, das bin ich.“

„Ich bin Officer Finley. Danke, dass du den Vorfall gemeldet hast. Eine Menge Leute hätten sich diese Mühe nicht gemacht.“

„Ich war einfach wegen des Rehkitzes besorgt.“

„Du arbeitest im Rehab Center, richtig?“

„Als Freiwilliger. Ich hoffe auf ein Stipendium für die Uni. Dafür muss man eine bestimmte Anzahl von Sozialstunden nachweisen.“

„Kannst du mir sagen, was genau du gesehen hast?“ Sie hörte sorgfältig zu, notierte sich die Beschreibung des Mannes und des Fahrzeugs. Dann bat sie die Freundin, ihre Version zu erzählen. Anschließend ließ sie sich von Jason zu der Stelle führen, wo er das Reh gesehen hatte.

Sie registrierte deutliche Fußspuren zweier Männer und eine lange Furche im schlammigen Boden. Dort hatten die Männer das Reh zum Pick-up gezogen, was Blutspuren und rotbraune Fellbüschel zeigten. Es war ihr erster Fall von Wilderei. Für die Beweisaufnahme fotografierte sie den Tatort aus mehreren Perspektiven. „Und wo war das Rehkitz?“

Jason zeigte auf ein Dickicht aus Kiefern und Unterholz. „Genau dort – und als der Fahrer den Motor gestartet hat, ist es zurück in den Wald gelaufen. Ich mache mir wirklich Sorgen um das Kitz.“

„Hoffentlich ist es nicht weit gekommen. Noch mal danke für den Anruf. Ich melde mich, wenn wir noch etwas von dir brauchen.“

Einen Moment lang hatte sie den Eindruck, dass er noch etwas sagen wollte. Aber dann nickte er nur, ging zurück zu seinem Auto und fuhr weg. Sie überflog die Umgebung. Obwohl auf dem Parkplatz hinter der Tankstelle zwei Fahrzeuge standen, war weit und breit niemand zu sehen. Nur das Zirpen der Grillen war zu hören.

Es war kaum zu glauben, dass diese Wildnis nur einige Kilometer vom malerischen Zentrum von Paradise entfernt war. Aber fast die halbe Insel war zum Wildreservat und Naturschutzgebiet erklärt worden, einer sicheren Oase für die heimische Tier- und Pflanzenwelt.

Doch der heutige Vorfall zeigte, dass sie leider doch nicht so sicher war. Sie ging zu der Stelle, an der Jason das Rehkitz zuletzt gesehen hatte. Ihre Stiefel sanken im nassen Boden ein. Zudem würde es nicht mehr lange hell sein. Aber wenn sie auch nur ansatzweise eine Chance haben wollte, das verwaiste Kitz zu finden, musste sie sich sofort auf die Suche machen.

Sam folgte der Fährte und gelangte schließlich zu einer Zufahrtsstraße, wo sie sie nicht länger ausmachen konnte. Es musste die Straße überquert haben. Auf der anderen Straßenseite gab es ein Gewirr von Kletterpflanzen. Ein perfektes Versteck für ein müdes und ängstliches Rehkitz.

Als sie sich bereits halb durch das Dickicht hindurchgekämpft hatte, entdeckte sie die Fußspuren eines Mannes. Waren die Wilderer zurückgekommen? Das machte keinen Sinn. Was wollten sie mit einem Kitz?

Sie legte eine Hand auf ihre Pistole, als sie vorsichtig weiterging. Ihr Vater war ebenfalls Officer bei der FWC. Sie war praktisch in diesem Wald aufgewachsen und wusste, wie man sich leise darin bewegte.

Als sie die letzten Ranken zur Seite schob, entdeckte sie einen schmalen Wildwechsel, der ein paar Meter weiter oben in eine Lichtung mündete. Dorthin führten auch die Fußspuren. Sie hörte ein Rascheln, zog die Waffe und bewegte sich in die Richtung des Geräusches.

Dylan war der Fährte gefolgt, was einfacher gewesen war, als er gedacht hatte. Doch dann war er auf einem Haufen nassen Laubs ausgerutscht und gestürzt. Jetzt lag er mit dem Gesicht im Matsch.

Langsam richtete er sich auf und erstarrte. Keine dreieinhalb Meter entfernt lag das Rehkitz zusammengerollt und gut versteckt unter den Wedeln einer Palmettopalme. Im Moment war er fast auf Augenhöhe mit dem kleinen Kerl.

Vorsichtig stand er auf und setzte einen Fuß vor den anderen. Das Rehkitz blinzelte ihn an, rührte sich aber nicht. Die meisten Kitze waren einfach zu handhaben, wenn sie getrennt von ihren Müttern waren.

Während des letzten Meters hielt er den Atem an. Er ging vor dem verdreckten Tier in die Hocke. „Ich bin hier, um dir zu helfen. Versprochen.“ Das verwaiste Rehkitz seufzte nur. Wahrscheinlich war es zu müde, um zu protestieren. „Guter Junge. Jetzt bringe ich uns hier heraus, in Ordnung?“ Er hob er das Tier auf seine Schultern.

„Keine Bewegung.“

Die weibliche Stimme im Befehlston erklang direkt hinter ihm. Verdammt. „Ich kann es erklären …“

„Zuerst setzen Sie das Rehkitz ab.“

„Das halte ich für keine gute Idee, Ma’am.“

„Officer, nicht Ma’am.“

„Entschuldigen Sie, Officer. Aber vermutlich sind Sie wie ich wegen dieses Rehkitzes hier – und wenn ich es absetze, nimmt es wieder Reißaus. Also spare ich uns die Mühe, wenn Sie nichts dagegen haben.“

„Warum sagen Sie mir nicht, was Sie hier machen. Dann entscheide ich, was als Nächstes passiert.“

„Kann ich mich zumindest umdrehen, damit wir von Angesicht zu Angesicht reden können?“

„Langsam. Keine plötzlichen Bewegungen.“

Er befolgte ihre Anweisung. Dann drehte er sich zu einer der attraktivsten Frauen um, die jemals eine Waffe auf ihn gerichtet hatten. „Denken Sie, dass Sie die Pistole wegstecken könnten?“

Sie zielte weiter auf ihn. „Sie haben gesagt, Sie haben eine Erklärung.“

„Ich leite das Paradise Wildlife Rehabilitation Center. Einer meiner freiwilligen Helfer hat gesehen, dass Wilderer die Mutter des Rehkitzes erlegt haben. Er hat mich angerufen und gefragt, ob ich helfen kann.“

„Haben Sie irgendwelche Ausweispapiere bei sich?“

Sie hatte mandelförmige dunkle Augen und schien sich ein wenig zu entspannen „In meiner Hosentasche.“ Ihre kaffeebraunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

„Holen Sie die Papiere heraus.“

Dylan zog seine Brieftasche raus, klappte sie auf und hielt sie ihr so hin, dass sie seinen Dienstausweis und den Führerschein in Augenschein nehmen konnte.

Sie steckte die Schusswaffe ins Holster. „Ich muss noch Ihre Aussage aufnehmen, bevor ich Sie mit dem Rehkitz wegfahren lasse.“

„Ja, Ma’am. Officer, meine ich.“ Das Rehkitz wand sich, und er verstärkte den Griff. „Ich möchte das Tier nur ins Rehab Center bringen und dann nach Hause gehen. Das ist alles.“

Sie nickte kurz, drehte sich auf dem Absatz um und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. „Wenn mir jemand gesagt hätte, dass Sie hier draußen sind, hätten wir uns … jegliche Komplikationen ersparen können.“

„Tut mir leid. Ich dachte, Jason hätte es Ihnen gesagt. Ich weiß, dass die Leute von der FWC normalerweise zuerst am Tatort sein wollen. Aber …“

„Aber Sie sind davon ausgegangen, dass die Regeln nicht für Sie gelten?“

„Nein. Aber ich habe es für wichtiger gehalten, das Rehkitz zu finden. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ein Officer braucht, um herzukommen, und wollte das verbleibende Tageslicht nutzen. Mich an die Regeln zu halten hätte bedeuten können, das Rehkitz zu verlieren.“

Sie blieb stehen. „Das ist mir klar. Das Rehkitz zu retten hatte für uns beide Vorrang. Aber wenn Sie das nächste Mal an einem Tatort herumstapfen, informieren Sie die Strafverfolgungsbehörden vorher darüber.“

„Ich habe nicht vor, daraus eine Gewohnheit zu machen. Ob Sie es mir glauben oder nicht – ich hatte nicht geplant, meinen Abend auf diese Weise zu verbringen.“

Sam warf ihm einen Blick zu, registrierte seine nassen, schmutzigen Kleider und die mit Teermasse verklebten Haare. „Was hätte möglicherweise besser sein können?“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Ein Bier und eine heiße Dusche, in dieser Reihenfolge.“ Sein Magen knurrte. „Und etwas zu essen. Eine Pizza und ein wenig fernsehen wäre definitiv besser gewesen, als mit einer Waffe bedroht zu werden.“

Ihr stieg die Hitze in die Wangen. „Wie gesagt: Die Regeln gibt es aus gutem Grund. Sich vorschnell allein auf den Weg zu machen, wenn Wilderer in der Nähe sind …“

Grinsend hielt er eine Hand hoch. „Hey, nichts für ungut. Sie haben getan, was Sie tun mussten.“

„Genau.“

„Dasselbe habe ich getan – und am Ende hat sich alles als richtig herausgestellt.“

Sam wollte protestieren. Aber es machte keinen Sinn, ihn gegen sich aufzubringen. Sie musste eine gute Beziehung zu den Leuten hier aufbauen. Sie war auf Paradise Isle geboren. Doch da sie erst im Internat und dann auf dem College gewesen war, hatte sie zu viele Jahre auf dem Festland verbracht, um noch als eine von der Insel betrachtet zu werden.

Die Zeit und die Entfernung hatten sie zu einer Außenseiterin werden lassen. Da sie auf Tipps wie denjenigen des freiwilligen Helfers angewiesen war, musste sie unbedingt das Vertrauen der Einheimischen gewinnen – und angesichts der Tatsache, dass sie einem davon gerade Waffengewalt angedroht hatte, würde es keine leichte Aufgabe sein.

Also sollte sie die Situation entschärfen. Sich zu entspannen fiele ihr natürlich leichter, wenn er nicht so verdammt gut aussehen würde. Er war groß, hatte breite Schultern und den schlanken, athletischen Körper eines Schwimmers.

Sie tippte darauf, dass er Surfer war. Er hatte die sonnengebleichten, zerzausten Haare und die perfekte Sonnenbräune, die typisch für Leute war, die sich oft am Strand aufhielten. Zudem hatte er azurblaue Augen und Lachfältchen. Er sah wie ein Filmstar aus, was sie ein wenig einschüchterte.

Gerade als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, kamen sie hinter der Tankstelle aus dem Wald heraus. Dylan ging im dämmrigen Licht an ihr vorbei zu einem alten, ramponierten Pick-up. Auf der Ladefläche standen ein paar mit Kabeln befestigte Boxen.

Wortlos hob er das Rehkitz von seinen Schultern und verfrachtete es in die größte Box. „Ich bringe ihn ins Rehab Center, füttere ihn und mache ihn fertig für die Nacht.“

„Ich habe immer noch ein paar Fragen. Für meinen Bericht.“

Er zuckte die Schultern. „Na, dann kommen Sie eben auch ins Rehab Center – Officer.“ Er tat so, als würde er salutieren, bevor er einstieg und davonfuhr.

Sam zählte zweimal bis zehn, als sie zu ihrem Wagen ging. Was für ein arroganter … Nun, „arrogant“ beschrieb es ziemlich gut. Der Mann strahlte ein ungeheures Selbstbewusstsein aus.

Sie trug eine Uniform mit Dienstabzeichen und hatte sogar ihre Waffe gezogen. Aber er war es, der die Situation von Anfang bis Ende unter Kontrolle gehabt hatte. Selbst in total verdreckter Kleidung verfügte er über ein Auftreten, das Respekt verlangte. Sie dagegen fühlte sich die Hälfte der Zeit über immer noch so, als wäre sie verkleidet.

Aber, verdammt, sie hatte ein erstklassiges Examen abgelegt und sich auch in den praktischen Prüfungen behauptet. Im Scharfschießen hatte sie sogar den Rekord der Akademie gebrochen.

Sam hatte hart gearbeitet, um ihrem Ausbilder, der sie nicht als Officer der Naturschutzbehörde sah, zu beweisen, dass sie doch das Zeug zu diesem Job hatte. Also warum ließ sie es zu, dass sie Männer wie Dylan immer noch aufregten?

Er hatte nicht einmal etwas Verwerfliches getan. Ja, er hätte auf sie warten sollen. Doch ihr war auch klar, warum er das nicht getan hatte. Zudem war er ruhig und entspannt geblieben.

Vielleicht weil er die Gelassenheit und das Selbstbewusstsein hatte, um das sie andere immer beneidete. Die Art Selbstvertrauen, das man entwickelt, wenn man sich wohl in seiner Haut fühlt. Das war etwas, das sie zu finden hoffte – und einer der Gründe dafür, dass sie in ihre Heimat zurückgekehrt war.

Sie stieg in den Dienstwagen ein. Laut GPS war das Rehab Center nicht weit entfernt. Wenn sie sich beeilte, konnte sie vorher noch etwas zu essen besorgen. Als kleine Entschuldigung dafür, dass sie die Waffe auf ihn gerichtet hatte.

Andererseits wollte sie nicht, dass er dachte, es wäre mehr als eine rein berufliche Geste. Freundlich sein war gut, flirten nicht. Sie schüttelte den Kopf über ihre Unschlüssigkeit, fuhr los und kurbelte das Fenster herunter. Vielleicht würde sie durch die frische Luft den Kopf frei bekommen.

Ursprünglich hatte sie sich dafür entschieden, Officer bei der Fish and Wildlife Conservation Commission zu werden, um in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Aber auch die klaren Vorgaben von Recht und Ordnung, was richtig und was falsch ist, sagten ihr zu. Regeln verhinderten Chaos und sorgten dafür, dass sie sich als Herrin der Lage fühlte.

Ohne Regeln konnte alles passieren. Wahrscheinlich hatte sie sich zum Teil deshalb so harsch verhalten, weil er am Tatort herummarschiert war. Zum anderen Teil, weil der Teenager in ihr so auf diesen heißen Mann reagierte.

Schließlich hielt sie vor Lou’s Pizzeria an. Da sie ohnehin etwas essen musste, konnte sie sich auch eine Pizza mit ihm teilen. In dem Lokal duftete es nach Tomatensoße und Peperoni. Erinnerungen daran, dass sie samstagabends immer mit ihrem Vater – nur sie beide – Pizza gegessen hatte, stiegen in ihr auf.

Bevor ihre Mutter gestorben war, hatten sie und der Mann, den sie als Helden verehrt hatte, eine enge Bindung zueinander gehabt. Danach beschränkte sich ihre Beziehung lange Zeit auf Ferngespräche und schmerzhaft schwierige Besuche zu Hause.

Jetzt, da sie nach Paradise zurückgekehrt war, würde sie das ändern. Denn wenn sie ihren Vater nicht für sich gewinnen konnte, welche Chance hatte sie dann, die Inselbewohner für sich einzunehmen?

Während sich Dylan um die Versorgung des verwaisten Rehkitzes kümmerte, dachte er an die sexy FWC-Beamtin, die fast auf ihn geschossen hätte. Was war nur los mit ihm? Sie war bewaffnet gewesen, rüde und viel zu verspannt, um sein Typ zu sein.

Ihm gefielen ungezwungene und lockere Frauen, die wussten, wie man Spaß haben konnte. Frauen, die verstanden, dass man Feste feiern musste, wie sie fielen. Er war nicht sicher, ob Officer Finley – er hatte ihren Namen auf dem Dienstabzeichen gesehen – überhaupt wusste, was Spaß war.

In der Uniform und mit der praktischen Pferdeschwanzfrisur vermittelte sie den Eindruck, nur ihre Arbeit im Kopf zu haben. Sie trug keinen Schmuck und kein sichtbares Make-up – was sie bei ihrem Aussehen auch nicht brauchte. Sie hatte einen fast exotischen Reiz – wie eine zugeknöpfte Version von Angelina Jolie.

Autor

Katie Meyer

Katie Meyer kommt aus Florida und glaubt felsenfest an Happy Ends. Sie hat Englisch und Religion studiert und einen Abschluss in Veterinärmedizin gemacht. Ihre Karriere als Veterinärtechnikerin und Hundetrainerin hat sie zugunsten ihrer Kinder und des Homeschoolings aufgegeben. Sie genießt ihre Tage gerne mit der Familie, ihren vielen Haustieren,...

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