Im Bann eines Betrügers?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Jillian verfällt sofort dem Charme des attraktiven Nic Caruso, als der mit seinem Hund in ihrer Tierklinik auf Paradise Island auftaucht. Doch kaum hofft sie nach einem märchenhaften Date mit Nic auf mehr, muss sie annehmen, auf einen Betrüger hereingefallen zu sein …


  • Erscheinungstag 17.06.2019
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747169
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Beinahe hätte er den Hund übersehen. Geblendet vom Licht der untergehenden Sonne und mit der monotonen Ansage seines Navigationsgerätes im Ohr hatte er für einen Augenblick nicht auf den Straßenrand geachtet.

Doch jetzt sah er ihn. Wenn man das traurige, nasse und dreckige Bündel, das sich dort entlangschleppte, überhaupt noch als Hund bezeichnen konnte. Das arme Tier steckte offensichtlich ganz schön in Schwierigkeiten. Zum Glück herrschte auf diesem Abschnitt des Highways nicht allzu viel Verkehr, doch laut der blechernen Stimme war es jetzt nicht mehr weit bis zur Paradise Isle Bridge. Mit dem Auto bedeutete das nur wenige weitere Minuten zur Insel, doch zu Fuß – oder vielmehr zu Pfoten – würde sich der Weg über diese lange Brücke bestimmt endlos dahinziehen. Außerdem schien der Hund ein Bein nachzuziehen.

Ob hinkend oder nicht, es war nicht sein Hund. Also auch nicht sein Problem. Obendrein steckte er gerade in einem teuren Anzug und in einem teuren Leihwagen. Wenn er Glück hatte, standen ihm nun einige ruhige Tage bevor. Zwar kein offizieller Urlaub, aber wenn er arbeitsbedingt an so einen verheißungsvollen und idyllischen Ort wie Paradise Island reisen musste, wollte er zumindest das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.

Ein herrenloser Hund würde diesen müßigen Plan allerdings nur durcheinanderbringen.

In der Hoffnung, dass irgendein Einheimischer das Tier erkennen und dem rechtmäßigen Besitzer zurückbringen würde, fuhr er langsam an dem Hund vorbei.

Nicht, dass er in der vergangenen Stunde auch nur ein Anzeichen menschlichen Lebens bemerkt hätte. Mal abgesehen von dem kuriosen Straßenstand, dessen Aushangschild die zweifelhafte Auswahl zwischen Alligator-Trockenfleisch und gekochten Erdnüssen verkündet hatte.

Nic Caruso schloss die Hände fest um das Lenkrad und richtete den Blick wieder geradeaus. Dies hielt er genau drei Sekunden durch, bevor er im Rückspiegel erneut nach dem Hund suchte. Ein Wagen näherte sich jetzt von hinten. Dieser fuhr an dem Tier vorbei, ohne langsamer zu werden, und eine Fontäne aus Schlamm und Schmutz ergoss sich über den Hund.

„Verdammt!“

Nic brachte den SUV daraufhin auf dem Seitenstreifen zum Stehen und überflog das ungewohnte Armaturenbrett. Innerhalb kürzester Zeit hatte er den Knopf für die Warnblinkanlage gefunden. Daraufhin löste er die Krawatte und legte sie behutsam auf das Jackett, das er bereits sorgfältig über dem Beifahrersitz drapiert hatte.

Während er um den Wagen herumging, rief er: „Hierher, Junge! Komm!“ Er legte dabei sämtliche Autorität, die er besaß, in seine Stimme. Doch das, was in den Sitzungssälen rund um den gesamten Globus Eindruck machte, schien auf den Hund überhaupt keinen Effekt zu haben. Stoisch trottete dieser weiter den Straßenrand entlang.

Nic seufzte, öffnete die Beifahrertür und griff nach seiner Krawatte. Mit wenigen Handgriffen hatte er sie neu geknotet und so eine improvisierte Leine geschaffen.

Na, großartig, dachte er, Hermès würde das ganz sicher nicht gefallen.

„Sachte, Junge. Keine Angst.“ Vorsichtig näherte er sich dem Hund, um das Tier nicht noch weiter auf den Highway zu scheuchen. Der Hund hielt daraufhin inne und spitzte die Ohren. Offensichtlich hatte man bei ihm mehr Erfolg, wenn man sanftere Töne anschlug.

Nic ging nun in die Knie, um dem ängstlichen Vierbeiner auf Augenhöhe begegnen zu können. Zentimeter um Zentimeter näherte er sich jetzt dem Hund und redete dabei beruhigend auf ihn ein.

Anschließend streckte er die Arme aus und wand dem Hund mit einer geschmeidigen Geste die Krawatte um den Hals. „Hab ich dich!“

Entgegen seiner Befürchtung wehrte sich das Tier aber gar nicht, sondern begann stattdessen fröhlich mit dem Schwanz zu wedeln. Es versuchte sogar, Nic über das Gesicht zu lecken. „Schon gut.“ Nic musterte den Hund genauer. Allem Anschein nach handelte es sich um einen Border Collie. Er hatte treue braune Augen und mochte so um die fünfundzwanzig Kilo auf die Waage bringen, aber nach der Größe seiner Pfoten zu schließen befand er sich noch im Wachstum.

„Was machen wir denn jetzt mit dir? Irgendwelche Vorschläge?“ Zur Antwort leckte der Hund hingebungsvoll Nics Handrücken.

Nic erhob sich wieder. Hinter ihm lag eine geschäftige Woche im Herzen Orlandos, ein Verkehrsstau-Albtraum auf dem Highway 1-4, endlose Meilen jenseits aller menschlichen Zivilisation und jetzt – ein schlammverkrusteter, herrenloser Hund.

Wann genau hatte er eigentlich die Kontrolle über sein Leben verloren?

Ihm blieb offenbar nichts anderes übrig, als den Hund mit auf die Insel zu nehmen und zu hoffen, dass er dort ein Heim oder eine Tierklinik fand.

Er wandte sich daraufhin in Richtung Wagen, doch ein klägliches Winseln ließ ihn zögern. Der Hund sah ihn mit großen Augen an. „Na schön.“ Er nahm das Tier kurzerhand auf die Arme und versuchte dabei zu ignorieren, wie sein Hemd vom Schlamm durchweicht wurde.

Ohne den geringsten Widerstand ließ sich der Hund tragen und sprang anschließend vertrauensvoll auf den Rücksitz des Leihautos.

Nic umrundete den Wagen, ließ den Motor an und befand sich nun wieder auf dem Highway. Sobald er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, ließ er die vorderen Fenster herunter. Der intensive Geruch nach nassem Hund würde dem Autoverleiher ganz bestimmt nicht gefallen.

Allerdings entpuppte sich das als ein großer Fehler, denn gleich darauf wand sich der Hund nach vorn und kroch auf den Beifahrersitz. Ganz begeistert reckte er den Kopf aus dem offenen Fenster und ließ sich den Fahrtwind um die Nase wehen.

Nic grinste … bis sein Blick auf die Anzugjacke fiel, die nun von den schlammigen Pfotenabdrücken ganz ruiniert war.

Er belegte daraufhin den Hund, die Straße und den Schlamm im Allgemeinen mit einer Vielzahl farbenfroher Flüche, bis er schließlich den Scheitelpunkt der Brücke erreichte.

Die Aussicht verschlug ihm buchstäblich den Atem.

Jenseits der Brücke erstreckte sich die Küste schier endlos, und die Abendsonne malte glitzernde Spitzen auf die Wellenkronen. Einige Fischerboote tanzten ruhig auf dem Wasser, und gegen das warme, orangefarbene Licht wirkten sie beinahe wie Scherenschnitte aus einer verzauberten Welt.

Am Horizont war der Himmel in einem leuchtenden Fuchsiapink entflammt. Die Insel hingegen strahlte mit ihrer üppigen, grünen Vegetation reine Fruchtbarkeit und Fülle aus.

Der Anblick war so überwältigend, dass er am liebsten mitten auf der Straße angehalten hätte. Es kam ihm so vor, als würde sämtliche Anspannung aus seinem Körper fließen. Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühlte er sich beinahe … frei.

Nun, er würde frei sein … sobald er sich dieses Tiers entledigt hatte.

„Ich verstehe, Mrs. Ellington. Das ist aber wirklich ärgerlich.“ Die Tierarzthelferin Jillian Everett rieb sich mit der freien Hand die Schläfe, während sie mit der anderen den Hörer des altmodischen Schnurtelefons festhielt. „Aber vergessen Sie nicht: Tinker Bell ist schließlich erst neun Wochen alt. So schnell wird kein Hund stubenrein … Wie? Oh nein. Leider weiß ich auch nicht, wie man die Flecken aus der Lederhandtasche herausbekommt.“

Hinter Jillians Rücken brach Dr. Cassie Marshall in Gelächter aus.

„Richtig. Eine neue Handtasche wäre sicherlich das Beste. Bitte warten Sie aber trotzdem, bis Tinker Bell ein wenig älter ist, wenn Sie sie so lange mit sich herumtragen wollen. Dann kann sie sich, nun ja, auch besser kontrollieren. Bis dahin halten Sie sich einfach an die Futter- und Pflegetipps, die wir Ihnen geschickt haben, und wenn Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Dr. Marshall.“

Jillian wandte sich um und grinste Cassie an. Diese hob in einer abwehrenden Geste die Hände und formte ein lautloses Oh nein mit den Lippen.

„Gut, Mrs. Ellington, wir sehen uns dann nächste Woche. Gute Nacht, und geben Sie der kleinen Tinker Bell ein Küsschen von uns.“ Mit diesen Worten legte sie den Hörer auf.

„Du liebe Zeit“, sagte Jillian seufzend. „Was glaubt diese Frau denn, wer wir sind? Ein Tierkrankenhaus – oder ein Ratgeber für Drama Queens?“ Sie schüttelte den Kopf.

„Trotzdem hast du wirklich viel Geduld bewiesen“, lobte ihre Chefin sie mit einem Grinsen. „Meine Hochachtung, und das noch dazu zu dieser späten Stunde.“

Jillian warf einen Blick auf die Uhr. Der Abend war bereits vorangeschritten, aber im Grunde spielte das für sie auch keine Rolle, schließlich gab es niemanden, der sie vermisste.

Ganz im Gegensatz zu Cassie, auf die zu Hause ihre vierjährige Tochter Emma wartete.

Jillian hatte keine Familie. Ihre Eltern waren schon vor vielen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und Jillian konnte sich kaum noch an sie erinnern. Das letzte Paar in einer langen Reihe von Pflegefamilien hatte auf Paradise Island gelebt, und nachdem die beiden irgendwann weggezogen waren, hatte Jillian das Jugendamt davon überzeugen können, hierbleiben zu dürfen.

Paradise Island kam dem, was sie sich unter Heimat vorstellte, noch am nächsten. Sie fühlte sich hier gut aufgehoben und akzeptiert und hatte sogar Freunde gefunden, auf die sie sich verlassen konnte.

Die Klinik war inzwischen ihr zweites Zuhause geworden. Nur an Abenden wie diesen, an denen sie nichts Besseres zu tun hatte, als Akten zu sortieren und überempfindliche Haustierbesitzer zu besänftigen, träumte sie davon, zu ihrer eigenen Familie heimgehen zu können.

„Du siehst, ich habe alles im Griff“, erwiderte Jillian betont unbeschwert. „Geh ruhig. Emma wird sich freuen.“

„Bis morgen.“ Auf dem Weg zur Tür griff Cassie nach ihrer Tasche und einem Aktenordner. Jillian wusste, dass Cassie noch einige Stunden arbeiten würde, nachdem sie Emma ins Bett gebracht hatte.

Als alleinerziehende Mutter hatte sie kaum eine freie Minute für sich. Die Tierklinik hatte sie von ihrem Vater übernommen, nachdem dieser vor einigen Jahren bei einem Unfall schwer verletzt worden war und nicht mehr arbeiten konnte.

Im Gegenzug behielten er und seine Frau tagsüber die kleine Emma bei sich, und die stolzen Großeltern waren mit dem Arrangement mehr als nur zufrieden. Die Familie hielt unerschütterlich zusammen – ein Umstand, um den Jillian sie bisweilen sehr beneidete.

In den folgenden fünfzehn Minuten vergrub sich Jillian in Büroarbeit. Es war nichts zu hören außer dem leisen Blubbern des Aquariums und dem Ächzen des altersschwachen Deckenventilators, der vergeblich gegen die drückende Florida-Hitze ankämpfte.

Nach einem langen, lauten Arbeitstag voller bellender Hunde, kreischender Vögel und plappernden Haustierbesitzern war Jillian die Stille sogar sehr willkommen.

Allerdings hielt die Stille nicht an, denn ein energisches Klopfen aus Richtung des Haupteingangs ließ sie hochschrecken.

Nur für eine Sekunde erwog Jillian die Option, sich einfach hinter ihren Aktenschränken zu verstecken und abzuwarten. Denn zu dieser Uhrzeit schauten doch nur noch Kunden vorbei, die eine Dose Leckerlis oder Einmal-Handschuhe besorgen oder einfach nur plaudern wollten, und danach stand ihr gerade überhaupt nicht der Sinn. Doch ihr Verantwortungsbewusstsein war letzten Endes doch stärker.

Seufzend erhob sie sich und fasste ihre unbändigen braunen Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen, dann zwang sie sich ein Lächeln in das Gesicht und näherte sich der Eingangstür. Durch die Milchglasscheibe konnte sie nur die Silhouette eines sehr großen, breitschultrigen Mannes erkennen. Er trug etwas auf den Armen, wobei es sich allem Anschein nach um einen zappelnden Hund handelte.

Jillians Helfersyndrom gewann schließlich die Oberhand und ließ sie die letzten Schritte zur Glastür rennen. Sie öffnete und fand sich einer Mauer aus Muskeln gegenüber.

Mit einem Mal beschleunigte sich ihr Herzschlag.

In dem Versuch, den fremden Mann vorerst zu ignorieren, konzentrierte sie sich ganz auf den tierischen Patienten. Ein Hund, der ihr augenblicklich bekannt vorkam.

„Oh nein! Ist das etwa Murphy? Was ist denn passiert? Ist er verletzt?“ Ihr Ton war unerwartet heftig und überraschte sie selbst, doch der Anblick ihres Lieblingspatienten in den Armen eines vollkommen Fremden hatte ihr einen tiefen Schrecken eingejagt.

Sie versuchte, den Hund genauer zu betrachten, doch der Fremde hielt ihn schützend an seine Brust gedrückt.

„Ich habe keine Ahnung, wer oder was Murphy ist, aber ich habe diesen Burschen hier auf dem Highway gefunden, kurz vor der Brücke.“ Er versuchte, das Gewicht des Hundes zu verlagern, und dabei konnte Jillian einen guten Blick auf die Frontseite seines Hemdes werfen. Es mochte einmal weiß gewesen sein, doch jetzt war es vom Kragen bis zum Saum mit schlammig-braunen Flecken übersät.

„Ich glaube nicht, dass er schwer verletzt ist, aber er hat das Bein nachgezogen. Außerdem braucht er dringend ein Bad.“

Gegen ihren Willen musste Jillian lächeln. Der Fremde bot wirklich einen interessanten Anblick. Er war ziemlich groß, hatte dunkles Haar und dunkle Augen und einen Körperbau wie ein professioneller Athlet – obwohl er in einem schicken Business-Anzug steckte. Der dunkle Schatten um sein Kinn verlieh ihm noch dazu einen absolut männlichen, willensstarken Ausdruck.

Dass er den strampelnden Hund ohne erkennbare Kraftanstrengung tragen konnte, war beeindruckend. Doch noch beeindruckender war für Jillian die Tatsache, dass er das verdreckte Tier überhaupt mitgenommen hatte.

„Also … werden Sie ihm helfen?“ Er hob die Braue.

Offenbar hatte Jillian ihn eine Sekunde zu lange wortlos angestarrt.

„Oh. Sicher! Bringen Sie ihn ins Untersuchungszimmer. Womöglich muss ich auch die Tierärztin benachrichtigen.“

Jillian hätte sich ohrfeigen können. Jetzt war wohl kaum der richtige Zeitpunkt dafür, einen Mann anzuhimmeln. Da war ein Tier in Not und sie würde ihm helfen.

Ganz gleich, wie verlockend die Rückansicht des Fremden auch war, der nun mit selbstbewussten Schritten vorausging.

Nic trug den Hund in das Untersuchungszimmer und legte ihn dort behutsam auf den glatten Metalltisch. Sobald seine Pfoten auf dem Metall aufkamen, versuchte der Hund, vom Tisch zu springen, doch Nic hielt ihn zurück. „Das wirst du schön sein lassen. Bleib hier“, befahl er und packte den Hund an der Krawatte.

„Gute Reflexe“, kommentierte sie seine Geste, und präsentierte ihm noch einmal dieses hübsche Lächeln, das man einfach nicht übersehen konnte.

„Jahrelanges Rangeln mit meinem kleinen Bruder“, erklärte er ihr. „Wieso wollen Sie die Tierärztin denn rufen? Ich dachte, Sie sind die Tierärztin?“ Er betrachtete ihren Kittel, der zwar nicht gerade modisch, aber doch so geschnitten war, dass er ihre hübschen Kurven erkennen konnte.

„Ich? Nein, ich bin Tierarzthelferin. Jillian Everett ist mein Name“, stellte sie sich vor. „Cassie – das heißt Dr. Marshall – ist bereits nach Hause gegangen. Lassen Sie mich zuerst einmal einen Blick auf Murphy werfen, dann werde ich entscheiden, ob ich sie anrufen muss oder nicht.“

Jillians Hand glitt sanft über das schwarz-weiße Fell des Hundes. Unbewusst streichelte sie ihm über den Rücken, während sie mit der freien Hand eine seiner Pfoten anhob.

Nic ertappte sich dabei, wie er sie genau beobachtete. Der Pferdeschwanz mit ihren langen Locken fiel ihr über die Schulter, doch sie schien es gar nicht zu bemerken. Sie war vollkommen auf den Hund konzentriert, und ihre schönen, zierlichen Hände strichen voller Hingabe über das Fell des Tiers. Offensichtlich mochte sie Murphy sehr gerne, und nicht nur das: Sie war so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie Nic nicht auch nur eines Blickes würdigte. Ein Umstand, der ihm unerwartet gut gefiel. Denn von Frauen, die ihm berechnend schöne Augen machten, hatte er vorerst genug.

„Ja. Das ist definitiv Murphy“, stellte sie schließlich fest.

Zur Antwort wedelte der Hund fröhlich mit dem Schwanz.

„Da wir gerade von Namen sprechen: Ich bin Nic“, erwiderte er und hoffte, sie würde das Du akzeptieren.

„Freut mich, Nic. Dieser Bursche hier trägt seinen Namen übrigens wirklich nicht umsonst.“

„Wieso? Wie meinst du das?“

„Murphy. Wie Murphys Gesetz.“ Sie hob die zweite Pfote an.

„Ich verstehe. Das ist also nicht sein erstes Missgeschick“, meinte Nic mitfühlend. Erwachsen zu werden war nicht immer leicht, und auch in seiner eigenen Jugend hatte er so einige Fehltritte begangen.

„Nun, eigentlich kann er nie etwas dafür“, verteidigte Jillian den Hund. „Er ist ein wirklich kluges Tier, er bräuchte nur mehr Herausforderung. Border Collies sind Hütehunde und haben äußerst viel Energie und Ausdauer. Sie brauchen eine Aufgabe. Murphys Besitzerin, Mrs. Rosenberg, ist bereits über siebzig, und sie kann ihm leider einfach nicht die Beschäftigung bieten, die er dringend bräuchte. Ich mag sie sehr, aber eigentlich ist Murphy nicht der richtige Hund für sie. Deshalb reißt er immer wieder aus und rennt dann durch die Gegend, um die überschüssige Energie loszuwerden. Allerdings ist er noch nie bis über die Brücke gekommen. Selbst für ihn ist das ein ungewöhnlich weiter Weg.“

„Warum hat sie sich denn dann überhaupt einen Border Collie angeschafft?“, fragte Nic. Es ärgerte ihn, wenn Menschen keinerlei Gedanken an die Zukunft verschwendeten. In seinem ganzen Leben drehte sich alles um Verantwortung, und er konnte es nicht leiden, wenn jemand derart verantwortungslos handelte.

„Das hat sie gar nicht. Murphy war ein Geschenk von ihrem Sohn, und der erkennt leider nicht einmal den Unterschied zwischen einem Schäferhund und einem Pekinesen. Er war wohl der Ansicht, dass seine Mutter unbedingt Gesellschaft braucht. Als ob! Mrs. Rosenberg ist Mitglied in sämtlichen Komitees und Wohltätigkeitsvereinen der Stadt. Sie wollte mir den Hund sogar schon schenken, aber mein Vermieter erlaubt leider keine Haustiere.“

Sie hielt kurz inne und versuchte dann, die angehobene Hundepfote von unten zu untersuchen. „Nic, könntest du ihn bitte auf die Seite legen und festhalten? Ich glaube ich weiß jetzt, warum er hinkt.“

Nic tat sein Bestes, ihrer Bitte nachzukommen. Vorhin auf der Straße hatte er überhaupt nicht daran gedacht, sich die Pfoten des Tieres anzusehen. Seine einzige Sorge hatte darin bestanden, den Hund so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

Als er dann das Schild Tierklinik gleich jenseits der Brücke gesehen hatte, war es ihm wie ein gutes Zeichen vorgekommen.

„Ah!“ Jillian nickte. „Siehst du? Seine Pfoten sind wund. Er hat sich die schützende Schicht wundgelaufen. Der raue, heiße Asphalt ist wie Schmirgelpapier für die Pfoten eines Hundes. Armes Ding … das muss wirklich wehtun.“

Sie hob den Blick. Ihre Augen waren groß und so blau wie der wolkenlose Himmel im Sommer. Nic las Mitgefühl in diesen Augen, aber auch eine wilde Entschlossenheit und Stärke. „Ich werde Dr. Marshall anrufen, denn Murphy braucht Schmerzmittel und eventuell auch Antibiotika.“ Sie wandte sich ab und griff nach einem altmodischen Telefon, um die Ärztin anzurufen.

Während sie sprach, musterte Nic unauffällig ihr Profil. Die Sorge in ihrem Gesicht konnte ihre Schönheit nicht verschleiern. Sie hatte helle, reine Haut, die einen starken Kontrast zu ihren dunklen Locken bildete. Die Wangenknochen waren ausgeprägt, und ihre fein geschwungenen Lippen hatten einen zarten Rosaton.

Ein Mann müsste schon blind sein, um bei diesen Lippen nicht sofort ans Küssen denken zu müssen.

Hoffentlich würde diese Ärztin bald auftauchen, denn wenn Nic noch länger mit der sexy Arzthelferin alleine blieb, würde er am Ende garantiert genauso unbeholfen japsen wie der Hund.

Jillian war erleichtert, als Cassie versprach, sich sofort auf den Weg zu machen.

Nicht, dass sie vor dem Fremden Angst hatte. Wer herrenlose Hunde vom Highway klaubte und sich von ihnen den Anzug ruinieren ließ, konnte nicht wirklich gefährlich sein.

Zumindest nicht im gewöhnlichen Sinn. Aber die Art, wie er sie ansah – mit diesen tiefbraunen, forschenden Augen –, machte sie mehr als nur nervös. Sie hob das Kinn und versuchte, wieder das Selbstbewusstsein auszustrahlen, das ihre gerade so gründlich abhandengekommen war. „Hilfst du mir bitte, Murphy nach nebenan zu bringen? Dort kann ich ihn besser saubermachen.“

Mit derselben Leichtigkeit wie vorhin nahm Nic den Hund auf die Arme. „Los geht’s.“

Während sie die blitzenden Chromoberflächen, die Messgeräte und Untersuchungsinstrumente hinter sich ließen und einen Waschraum betraten, fragte Jillian sich unwillkürlich, wie diese Umgebung wohl auf Nic wirkte.

Ihr war der Geruch nach Desinfektionsmitteln angenehm vertraut, und die penibel glänzenden Oberflächen waren wie eine zweite Heimat, aber auf andere wirkten die sterilen Räumlichkeiten oft einschüchternd und ungemütlich.

Nic schien sich allerdings nichts daraus zu machen. Er bewegte sich so selbstverständlich durch die Zimmer, als ob er hier jeden Tag ein und aus gehen würde.

Ebenso selbstverständlich half er ihr, den verdreckten Hund vom Schmutz zu befreien. Während sie Murphy abbrauste und mit Hundeshampoo einseifte, hielt Nic, der die Ärmel hochgekrempelt hatte, das Tier am Halsband fest.

Seine Arme waren muskulös und gebräunt und definitiv einen zweiten Blick wert. Jillian war froh, dass sie alle Handgriffe wie im Schlaf beherrschte, sonst wäre sie womöglich zu abgelenkt gewesen, um Murphy zu bändigen.

Dieser benahm sich aber zum Glück absolut tadellos und ließ die ganze Prozedur tapfer über sich ergehen. Zum Schluss nahm Jillian ein sauberes Handtuch aus dem Schrank und hüllte den triefnassen Hund darin ein, froh darüber, den Blick endlich wieder von Nics Armen abwenden zu können.

Dieser machte es ihr allerdings nicht gerade leicht. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus“, begann er und knöpfte plötzlich das Hemd auf. „Aber das Hemd riecht wie – nun, wie nasser Hund.“

Er streifte das fleckige Hemd ab und enthüllte daraufhin ein ärmelloses – kaum weniger durchweichtes – Unterhemd.

Jillian schüttelte den Kopf. Sie musterte seine Schultern und die nackten Oberarme, und den beeindruckenden Bizeps, der Murphy so mühelos getragen hatte.

Die bronzefarbene Haut erinnerte an eine mediterrane Herkunft. Vielleicht stammte seine Familie ja aus Europa.

Das ganz gewiss teure Unterhemd saß wie angegossen und ließ keinen Zweifel an seinen perfekten Proportionen. Die Brustmuskeln zeichneten sich so sehr darunter ab, als seien sie eingemeißelt, und der flache Bauch verriet ebenfalls regelmäßiges hartes Training.

Für einen Augenblick verlor sich Jillian vollkommen in dem Anblick von so viel männlicher Schönheit, bis sie auf einmal das Klappern von Schlüsseln im Eingangsbereich hörte. Anschließend war das Trippeln von Kinderschritten zu vernehmen.

„Jillian! Wo ist denn das Hündchen? Ist es verletzt? Darf ich es gesund küssen? Wer ist das?“ Emma Marshall, stolze vier Jahre alt und bereits das Ebenbild ihrer Mutter, stürmte in den Raum und blieb bei Nics Anblick erstaunt stehen. Der blonde Pferdeschwanz fegte um ihr Gesicht, als sie zu ihm aufblickte, und dann blinzelte sie.

„Emma, du sollst doch hier nicht so rennen. Ich habe dir doch gesagt, dass das die Tiere erschreckt.“ Cassie betrat nun ebenfalls das Zimmer und legte ihrer wilden Tochter die Hände auf die Schultern. „Hi, ich bin Dr. Marshall. Ich nehme mal an, Sie sind der Mann, der Murphy gerettet hat. Vielen Dank.“

„Kein Problem. Ich bin Nic.“ Plötzlich wirkte er zum ersten Mal genau so müde, wie sich ein Mann nach einem so endlosen Tag auf dem Highway fühlen musste.

Cassie trat nun zu Murphy und untersuchte gründlich seine Pfoten. „Das sieht schlimmer aus, als es ist. Ich werde ihm aber dennoch eine Spritze geben, damit sich die Wunden nicht entzünden. In wenigen Tagen ist er wieder ganz der Alte.“

Nic hob die Braue. „Seine Besitzerin hat Glück, dass Sie sich immer so ausgiebig um ihn kümmern. Aber sollten wir sie nicht benachrichtigen?“

„Mrs. Rosenberg ist gar nicht zu Hause“, meinte Jillian daraufhin. „Sie hat erwähnt, dass sie mit ihrer Seniorengruppe die Nacht in Orlando verbringt. Ich fürchte, Murphy muss wohl bis morgen hierbleiben.“

„Wir werden ihn in einem der Käfige unterbringen müssen“, meinte Cassie bedauernd. „Hoffentlich kratzt er mit seinen verletzten Pfoten nicht an der Käfigtür. Aber ich kann ihn leider nicht mitnehmen, ich habe nämlich bereits einen Patienten zu Hause, und dieser Hund versteht sich nicht mit anderen.“

„Hier ist er wenigstens sicherer aufgehoben als draußen auf dem Highway. Dank dir“, fügte Jillian hinzu und warf Nic einen dankbaren Blick zu.

Autor

Katie Meyer
<p>Katie Meyer kommt aus Florida und glaubt felsenfest an Happy Ends. Sie hat Englisch und Religion studiert und einen Abschluss in Veterinärmedizin gemacht. Ihre Karriere als Veterinärtechnikerin und Hundetrainerin hat sie zugunsten ihrer Kinder und des Homeschoolings aufgegeben. Sie genießt ihre Tage gerne mit der Familie, ihren vielen Haustieren, Downton...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Paradise Animal Clinic