Baccara Collection Band 411

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EINE HEISSE BESCHERUNG von BENNETT, JULES
Mit ihrem erklärten Feind eine Weihnachtshochzeit organisieren? Das ist so ungefähr das Letzte, was Chelsea möchte. Aber sie und Gabe müssen ihren gemeinsamen Freunden den Gefallen tun. Und als Gabe sie unterm Mistelzweig küsst, brennt sie plötzlich vor Begehren …

KÜSS MICH SINNLICH, KÜSS MICH SÜSS von LABRECQUE, JENNIFER
Gegen heiße Leidenschaft hat Pilotin Juliette überhaupt nichts einzuwenden. Die findet sie im eiskalten Alaska bei dem unwiderstehlichen Sven Sorenson. Aber sie hat sich geschworen, nie wieder zu heiraten! Warum will Sven ausgerechnet vor den Altar treten - mit ihr?

EINGESCHNEIT MIT DEM SEXY EX von LEMMON, JESSICA
Gestohlene Liebesstunden verbringt Miriam während eines Unwetters mit ihrem Ex auf seinem Anwesen. In den sinnlichen Winternächten erfüllt Chase ihr jeden Wunsch. Doch was passiert, wenn der Schneesturm vorbei ist? Chase passt heute genauso wenig in ihre Welt wie damals!


  • Erscheinungstag 08.10.2019
  • Bandnummer 411
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725679
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jules Bennett, Jennifer LaBrecque, Jessica Lemmon

BACCARA COLLECTION BAND 411

JULES BENNETT

Eine heiße Bescherung

Chelsea gibt ihm die Schuld daran, dass sie in einen Skandal verwickelt ist? Damit hat Gabe wirklich nichts zu tun! Aber ihre Feindlichkeit macht es ihm ganz schön schwer, mit ihr zusammen die Hochzeit von gemeinsamen Freunden zu planen. Dabei steht das Fest der Liebe vor der Tür, und überall verführen Mistelzweige zu heißen Küssen …

JENNIFER LABRECQUE

Küss mich sinnlich, küss mich süß

Sven kann sich keinen schöneren Ort als Alaska vorstellen. Was ihm zu seinem Glück noch fehlt, ist eine Frau. Als er die attraktive Buschpilotin Juliette kennenlernt, ist er fasziniert: Sie ist süß, sinnlich und unendlich begehrenswert. Die Richtige zum Heiraten! Warum glaubt Juliette bloß nicht an die Liebe für immer?

JESSICA LEMMON

Eingeschneit mit dem sexy Ex

Ein Schneesturm weht seine Ex-Freundin Miriam in Chases Villa. Damals hat der politisch engagierte Milliardär Schluss gemacht, weil er ihr kein Leben im Rampenlicht zumuten wollte. Doch immer noch knistert es heiß zwischen ihnen, und der Hunger nach Leidenschaft wächst. War es ein Fehler, Miriam zu verlassen? Chase will sie zurück – nicht nur in seinem Bett!

1. KAPITEL

„Dank des Einsatzes so vieler Mitbürger von Royal konnte Maverick jetzt endlich identifiziert werden. Dahinter verbirgt sich niemand anders als Dale, bekannt als Dusty Walsh.“

Gabe Walsh stellte den Ton des Fernsehers ab und warf frustriert die Fernbedienung auf das Ledersofa. Er wollte nichts mehr von den Vergehen seines verstorbenen Onkels hören. Der alte Bastard war vor einer Woche einem Hirntumor erlegen. Mit Sicherheit war davon auszugehen, dass seine Aktionen gegen die Bürger von Royal negative Auswirkungen auf Gabes Firma haben würden. Er konnte sich gut ausmalen, was auf ihn zukam.

Eigentlich war es unfassbar: Sein Onkel Dusty war tatsächlich Maverick, der Cyber-Kriminelle, der seit Monaten die Mitglieder des Texas Cattleman’s Club terrorisiert hatte, indem er ihre Geheimnisse aufdeckte und sie erpresste.

Am schlimmsten war wohl, dass er Nacktfotos von Chelsea Hunt im Internet veröffentlicht hatte. Fotos, die ohne ihr Wissen im Umkleideraum des Fitnessstudios im Klub aufgenommen worden waren.

Gabes Quellen bei der Polizei gingen davon aus, dass Dusty allein gearbeitet hatte – außer im Falle dieser Fotos. Dabei musste noch eine weitere Person mitgewirkt haben. Eine Frau, wie die Polizei vermutete. Sie waren noch dabei, die Aufnahmen der Überwachungskameras der vergangenen Monate auszuwerten, um herauszufinden, wer die Kamera in der Umkleidekabine installiert hatte.

Wer zum Teufel hatte seinem Onkel geholfen? Und war es das einzige Mal gewesen, dass Dusty einen Komplizen gehabt hatte? Der Mann hatte einen Tumor gehabt. Es war fast unmöglich, dass er das alles allein bewältigt hatte. Er war gebrechlich und schwach gewesen – aber eindeutig nicht zu schwach, um gegen andere zu agieren und zu versuchen, ihre Leben zu zerstören. Glücklicherweise hatten alle seine Opfer das Beste aus der Situation gemacht und sie meist sogar zum Guten gewendet. Die ermittelnden Behörden hatten zudem Dustys Plan durchschaut, seine Vergehen einem anderen in die Schuhe zu schieben.

Gabe fuhr sich mit den Fingern durch das Haar und sah verdrossen zum Bildschirm, der Sheriff Nathan Battle bei seiner Pressekonferenz zeigte. Im Hintergrund war ein Foto von Gabes einst kräftigem, lächelndem Onkel zu sehen.

Es war immer noch offen, welche Motive den Mann zu seinen Taten getrieben hatten. Nur so viel war sicher: Dusty Walsh hatte damit eine große dunkle Wolke über dem Familienunternehmen aufziehen lassen. Die Walsh Group war Gabes neues Baby. Als wäre es nicht ohnehin schwierig genug, eine Firma zu übernehmen – jetzt musste Gabe sich auch noch auf eine Lawine von Fragen alter und neuer Klienten einstellen, sobald sie von seiner Verwandtschaft mit Dusty erfuhren.

Wie um alles in der Welt sollte er mit dieser negativen Presse umgehen? Es ging um den guten Ruf seines Unternehmens. Dabei war das Finanzielle nicht sein Hauptproblem. Er hatte zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn jeden Dollar gespart, hatte klug investiert und viel Geld gespart. Wenn er wollte, könnte er die Firma problemlos schließen und sich zur Ruhe setzen, ohne sich Gedanken um sein Einkommen machen zu müssen. Aber er legte Wert auf seinen guten Ruf und den der Familie. Ironie des Schicksals – anders konnte man es wohl nicht bezeichnen.

Gabe musste wieder an Chelsea Hunt denken. Das war der einzige Punkt, an dem er wirklich rot sah. Sein Onkel hatte kompromittierende Fotos von ihr in die Finger bekommen – wie auch immer – und sie ins Netz gestellt. Und warum? Ja, Chelsea hatte sich aktiv in die Aufklärung dieser Maverick-Aktionen eingebracht. Sie hatte Spezialisten in die Stadt geholt, die versuchten, dem Erpresser auf die Spur zu kommen. Auffällig war, dass Mavericks Aktionen sich ausschließlich gegen Mitglieder des Klubs richteten, vor allem gegen Frauen. Hatte es etwas damit zu tun, dass der Texas Cattleman’s Club seit einigen Jahren auch Frauen als Mitglieder aufnahm? Spielte es eine Rolle, dass man Dustys Antrag auf Mitgliedschaft aus unerfindlichen Gründen abgelehnt hatte? Diese Tatsache hatte ihn immer zur Weißglut gebracht.

Gabes Onkel war eindeutig von gestern gewesen, was seine Einstellung zu Frauen betraf – aber so weit zu gehen, Nacktfotos einer Frau zu veröffentlichen? Was stimmte nicht mit diesem Mann? Chelsea hatte diese Demütigung nicht verdient.

Gabe fluchte, als er sich vom Bildschirm abwandte. Er hatte sich stets bemüht, nicht hinzusehen, als Chelseas Fotos an die Öffentlichkeit kamen. Dafür respektierte er sie zu sehr und wollte ihre Intimsphäre achten. Dazu kam, dass er nicht ganz unbefangen war, was Chelsea anging.

Er musste an den Kuss denken, den Chelsea und er in der vergangenen Woche getauscht hatten. Es war ein Wunder, dass er dabei nicht den Verstand verloren hatte!

Gabe und Chelsea verbrachten sehr viel Zeit miteinander, seit ihre besten Freunde, Shane Delgado und Brandee Lawson, sie gebeten hatten, die Rolle der Trauzeugen bei ihrer Hochzeit zu übernehmen. Brandee lag viel daran, dass Gabe und Chelsea sich aktiv an den Vorbereitungen beteiligten.

In der vergangenen Woche hatten sie bei dieser Zusammenarbeit eine Grenze überschritten. Sie hatten zusammengesessen, um Namenskarten für den Empfang herzustellen. Dabei war es zu einer Kabbelei gekommen, die letztlich dazu führte, dass er die Kontrolle verlor.

Ehe er es sich versah, umfasste er ihr Gesicht und tat das, wonach er sich schon seit Monaten gesehnt hatte: Er küsste Chelsea.

Gabe bemühte sich, nicht daran zu denken, wie herrlich sie sich angefühlt hatte. Es gelang ihm nicht, die Szene aus dem Kopf zu bekommen.

Im Moment könnte er einen starken Drink gebrauchen und die Gesellschaft einer sexy Frau im Bett. Aber im Moment würde weder das eine noch das andere sein Problem lösen … Die einzige Frau, die er im Bett haben wollte, war eben die, die er vergessen musste.

Um diesem elenden Tag die Krone aufzusetzen, musste er sich später auch noch mit Chelsea wegen irgendeines Blödsinns für diese Hochzeit treffen. Wie ging sie wohl damit um, dass hinter diesem Maverick ausgerechnet sein Onkel gesteckt hatte? Würde sie ihm einen Vorwurf machen, einfach weil er verwandt mit ihm war?

Schlimm genug, dass Gabe an diesen Hochzeitsvorbereitungen teilnehmen musste. Er wusste schon nicht mehr, wie viele Blumen- und Kerzendüfte er in der vergangenen Zeit hatte beurteilen sollen. Hätten Shane und Brandee sich nicht ausdrücklich gewünscht, dass er und Chelsea diese Rollen übernahmen, hätte Gabe den größtmöglichen Bogen um eine solche Aufgabe gemacht. Aber Shane war sein bester Freund, und auch wenn Gabe selbst nicht an die ewige Liebe glaubte, freute er sich, Shane so glücklich zu sehen.

Gabe bedauerte nur, dass ausgerechnet Chelsea die Rolle der Trauzeugin spielen musste. Die Hochzeit sollte zwei Tage vor Weihnachten stattfinden. Bis dahin hatte Gabe keine Möglichkeit, ihr aus dem Weg zu gehen. Fast jeden Tag trafen sie sich, um die Sitzordnung zu besprechen, eine Playlist der Braut für die Band zusammenzustellen, mit den Caterern und Floristen zu sprechen … Und das alles würde nur zu einem führen: einem weiteren Kuss.

Wieso musste ihn ausgerechnet diese Frau so faszinieren? Unter die Haut gegangen war sie ihm schon immer, aber jetzt kam dazu, dass er sie uneingeschränkt bewunderte für die Kraft, mit der sie sich dem Skandal stellte. Jede andere Frau hätte vollkommen hysterisch reagiert, aber sie blieb cool und überlegen.

In allererster Linie war es schlicht sexuelles Verlangen, das ihn zu ihr hinzog. Sie war sexy, und er war ein Mann. Wie hätte er nicht auf sie reagieren sollen?

Der Kuss hatte die Situation weiter verschärft. Jetzt konnte er nur noch daran denken, diese Erfahrung zu wiederholen. War das nach allem, was jetzt ans Licht gekommen war, falsch? Durfte er überhaupt daran denken, die Frau zu begehren, die sein Onkel in aller Öffentlichkeit gedemütigt hatte?

Frustriert stellte Gabe den Fernseher aus und schnappte sich die Wagenschlüssel. Es war wohl am besten, er brachte diesen Termin mit Chelsea hinter sich und kümmerte sich dann wieder um die Schadensbegrenzung für seine Firma. Nicht nur die Kunden, auch seine Mitarbeiter würden viele Fragen haben. Der Sheriff hatte Gabe vor der Pressekonferenz über seine Erkenntnisse informiert und ihm gleichzeitig versichert, dass die Untersuchungen keinerlei Verdacht auf Gabe oder seine Firma gelenkt hatten. Also hatte Gabe seine Leute bereits vorab instruiert und ihnen gesagt, wie sie mit den zu erwartenden Anfragen umgehen sollten.

Die Menschen in Royal kannten ihn und wussten, dass er eine solch hinterhältige Aktion niemals befürworten würde. Aber es gab Kunden, die ihn nicht persönlich kannten, und das waren diejenigen, die er anrufen und mit denen er sich treffen wollte. Gabe freute sich nicht auf diese Art der Schadensbegrenzung, aber er hatte zu sehr um seinen makellosen Ruf gekämpft, um jetzt tatenlos zuzusehen, wie ihn jemand in den Schmutz zog. Schon gar nicht jemand aus der Familie.

Das war das Geschäftliche. Damit konnte er umgehen, aber er hatte keine Ahnung, wie er Chelsea gegenübertreten sollte. Zweifellos hatte sie über die Nachrichten oder direkt von Sheriff Battle erfahren, wer hinter Maverick steckte. Gabe war mit Sicherheit das erste Ziel, an dem sie ihren Frust auslassen würde. Richtig kompliziert wurde es durch die nicht zu leugnende, wenn auch nie eingestandene Tatsache, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten.

Sie war jetzt in einer sensiblen Situation, und nur ein Idiot würde diese Lage ausnutzen. Sie wahrte die Fassade – wofür er sie sehr bewunderte –, aber zweifellos litt sie. Im Moment konnte er nichts weiter tun, als ihr zu beweisen, dass er nicht wie sein Onkel war, sondern unschuldig an der ganzen Sache. Außerdem war er für sie da, wenn sie ihn brauchte.

Der Schraubenzieher verfehlte Gabes Kopf nur knapp. Chelsea fluchte. Sie war immer noch aufgebracht von den Neuigkeiten. Wäre sie ganz bei sich, hätte sie ihr Ziel getroffen. Dieses arrogante, sexy Grinsen!

Sie war wirklich nicht für Gewalt, aber dieser Mann war im falschen Moment aufgetaucht. Gerade erst hatte sie erfahren, wer sich hinter diesem Maverick verbarg, und Gabe Walsh traf eine Mitschuld – einfach weil er mit dem Mann verwandt war. Nach allem, was sie wusste, konnte es sehr wohl sein, dass Gabe seinem Onkel geholfen hatte, seine Spuren zu verwischen. Schließlich arbeitete er im Sicherheitsgeschäft und kannte sich mit so etwas aus. Auch wenn der Sheriff ihr versichert hatte, dass absolut nichts auf Gabes Mittäterschaft hindeutete, war sie wütend und brauchte ein Ventil für ihren Zorn.

„Ist das eine Art, jemanden zu begrüßen, der gekommen ist, um dir beim Bau dieses Traubogens zu helfen?“

Chelsea griff nach dem Hammer. „Ich brauche deine Hilfe nicht und habe nicht darum gebeten.“

Gabe grinste. Dieses unbeschwerte und leicht arrogante Grinsen, mit dem er jeden in seinen Bann zog – nicht aber sie. Und sie hatte auch nicht vor, noch einmal an diesen Kuss zu denken. Definitiv nicht!

„Brandee hat mir eine SMS geschickt und mich gebeten, dir zu helfen“, informierte er sie.

Chelseas Blick glitt über den Boden der Scheune. Oder vielmehr über das, was auf diesem Boden lag: jede Menge Holz, Blumen, Tüll und Draht. Brandee hätte eine Firma damit beauftragen können, die Scheune nach ihren Vorstellungen herzurichten, doch Chelsea wollte, dass alles ganz besonders war am großen Tag ihrer besten Freundin. Sie wollte selbst mit Hand anlegen, da sie Brandee besser kannte als sonst jemand.

Eher hätte Chelsea sich jedoch die Finger wund gearbeitet, als Gabe um Hilfe zu bitten. Jetzt, da sich herausgestellt hatte, dass sein Onkel Maverick gewesen war, fühlte sie sich betrogen.

„Ich weiß nicht, wie Dusty an die Fotos von mir gekommen ist, aber auf jeden Fall ist jetzt ziemlich klar, dass er Hilfe hatte.“ Chelsea sah Gabe durchdringend an. Der Mann war so sexy, dass es schon fast gesetzeswidrig war. Die Tattoos, der Bartschatten an seinem kantigen Kinn, diese arrogante Haltung und das nicht minder arrogante Lächeln. „Du warst sein Laufbursche.“

„Was?“ Gabe wurde ernst. „Ich …“

„Alles für die Familie“, fuhr sie fort und ließ dabei den Hammer fallen, statt ihn ihm an den Kopf zu werfen. „Du hast das Unternehmen der Familie übernommen. Da war es doch sicher ganz natürlich, Anweisungen von deinem kranken Onkel auszuführen.“

„Du weißt nicht, was du da redest“, bemerkte Gabe gereizt. „Vielleicht solltest du erst Beweise sammeln, bevor du solche Behauptungen in die Welt setzt. Beweise, die du nicht finden wirst, weil ich weder etwas mit den Fotos noch mit den Erpressungen zu tun hatte.“

Er mochte einmal als Agent für das FBI gearbeitet und manchen Verdächtigen unter Druck gesetzt haben, aber Chelsea hatte keine Angst vor ihm. Das Einzige, was ihr Angst machte, war die Tatsache, dass er sie wütend machte und gleichzeitig anturnte. Sie hasste es, wie ihr Körper allein auf seinen Anblick reagierte, während ihr Verstand sie gleichzeitig vor ihm warnte.

„Mir steht nicht der Sinn nach Streit.“ Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Chaos auf dem Boden zu. „Ich habe zu tun. Wenn Brandee nicht sieht, dass es vorangeht, wird sie sich Sorgen machen – und ich möchte nicht, dass meine beste Freundin vor dem schönsten Tag ihres Lebens Stress hat.“

„Dann sieht es doch ganz so aus, als könntest du ein Paar zusätzliche Hände gebrauchen.“

Chelsea spürte, wie sie ein Schauer überlief. Diese Hände hatten sie an seinen harten Körper gezogen, während er sie so leidenschaftlich geküsst hatte …

„Ich schlage vor, wir schließen einen Waffenstillstand.“

Chelsea gab sich einen Ruck und nickte. Er hatte ja recht. Sie mussten zusammenarbeiten, und sie musste dem Sheriff glauben, wenn er sagte, Gabe habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Es war nur so, dass sie einfach jemanden brauchte, an dem sie ihren Frust auslassen konnte.

„Also gut. Ein Waffenstillstand. Ich glaube, damit kann ich leben.“

Gabe grinste. „Dann erleuchte mich und sag mir, was dies alles werden soll.“

„Brandee möchte bei der Trauungszeremonie zusammen mit Shane unter einem großen Traubogen stehen. Er soll elegant sein und weihnachtlich, aber nicht kitschig. Alles soll in Weiß und Gold gehalten sein, geschmückt mit weißen Lichterketten. Sie meinte, ich soll einfach einen fertigen Traubogen kommen lassen, aber ich wollte ihn selbst machen, damit sie an ihrem großen Tag etwas ganz Besonderes hat.“

Chelsea verspürte einen Hauch von Neid bei dem Gedanken an die bevorstehende Hochzeit. Sie mochte eine moderne, unabhängige Frau sein und tüchtig in ihrem Job, aber sie war gleichzeitig auch eine Frau mit Träumen. Sie brauchte keinen Mann, der sie versorgte, aber sie hatte nichts gegen einen Mann, der sie nachts in seinen Armen hielt, der mit ihr lachte und mit dem sie reden konnte. War es zu viel verlangt, auch nur einen einzigen Mann kennenzulernen, der kein Idiot war?

„Gibt es einen Bauplan, oder machen wir das einfach nach Gefühl?“, erkundigte Gabe sich.

Chelsea rieb den Staub ihrer Hände an der löchrigen Jeans ab. „Einen Bauplan gibt es nicht“, gestand sie, „aber Shane hat alles nach meinen Angaben zuschneiden lassen. Ich habe Brandee versprochen, es selbst zusammenzusetzen, da es meine Idee war. Ich kann dir ein Bild zeigen, wie ich es mir in etwa vorstelle, aber das ist nur eine grobe Annäherung an das Bild, das ich im Kopf habe.“

Sie zog ihr Smartphone aus der Tasche und rief das Foto auf.

Gabe trat neben sie und hatte dabei die Unverfrorenheit, ihre Schulter leicht mit seiner zu berühren.

Chelsea wich wie elektrisiert einen halben Schritt beiseite. „Stopp“, sagte sie warnend. „Versuch erst gar nicht, die Gelegenheit zu nutzen, um mich zu küssen oder zu verführen oder was dir sonst noch in den Sinn kommt.“

Wortlos ging Gabe auf Abstand und blieb nicht neben, sondern vor ihr stehen. Sie hielt ihm das Smartphone hin, ohne es aus der Hand zu lassen. Er hielt sie mit seinem durchdringenden Blick gefangen. Chelsea erbebte innerlich, als hätte er ihre nackte Haut berührt.

„Darling, als du meinen Kuss erwidert hast, warst du nicht eben zurückhaltend …“

Chelsea wollte protestieren, aber Gabe beugte sich vor, sodass seine Lippen ihren sehr nah waren.

„Versuch nicht zu leugnen, dass du dich zu mir hingezogen fühlst“, murmelte er. „Ich leugne es umgekehrt ja auch nicht. Aber im Moment haben wir Dringenderes zu tun, als uns Gedanken darüber zu machen, wer hier wen verführt.“

Ohne sie aus den Augen zu lassen, hob er den Kopf wieder und nahm ihr das Smartphone ab. Zum Teufel mit dem Mann! Von ihm wurde ihr heiß, als hätte er ein Feuer in ihr entzündet. Fast hätte sie alle Warnsignale ignoriert und ihn erneut geküsst. Vielleicht war der Kuss ja gar nicht so gut gewesen, und ihre Erinnerung trog. Musste sie sich nicht vergewissern?

Chelsea unterdrückte einen abgrundtiefen Seufzer und begab sich zu dem Haufen Holz, der neben den übrigen Materialien aufgetürmt war. So gern sie sich auch eingebildet hätte, das alles allein schaffen zu können – in diesem Punkt gab es keinen Zweifel daran, dass sie Gabes Hilfe brauchte.

„Das ist ja ganz beachtlich, was sie sich da wünschen“, bemerkte Gabe hinter ihr. „Ich nehme an, wir sollten gleich damit anfangen. Bis zur Hochzeit ist nicht mehr viel Zeit, und das ist nicht unsere einzige Aufgabe.“

Er gab ihr das Smartphone zurück und vermied es dabei ganz bewusst, sie irgendwie zu berühren. „Versprich mir nur, dass die Sache mit dem Floristen geklärt ist. Ich habe keine Lust, noch irgendeine Blume oder Pflanze oder sonst was anzusehen, von der ich keine Ahnung habe.“

„Mit dem Floristen ist alles geklärt“, versicherte sie ihm. „Offen ist nur noch die Frage der Appetizer und Getränke für den gemeinsamen Junggesellenabschied. Ich habe inzwischen die genauen Zahlen derer, die zugesagt haben.“

Gabe atmete auf. „Ich kümmere mich gern um das Essen, wenn ich dafür keine Tischdecken aussuchen oder kleine Tischkarten in Kalligrafie anfertigen muss.“

Chelsea verschränkte die Arme vor der Brust. „Also wirklich, Gabriel Walsh! Du hast doch keine Ahnung, was heutzutage angesagt ist. Kalligrafische Karten sind längst überholt. Ich habe schon Karten in demselben Design geordert wie die Einladungen. Du solltest dich mal auf den neuesten Stand bringen, falls du je selbst heiraten willst.“

„Sollte ich den Verstand verlieren und heiraten, überlasse ich all diese Dinge meiner Braut.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn. „Essen und Trinken ist ja kein Problem, da alles vom Klub geliefert wird. Was soll ich sonst noch machen? Ich bin zu allem bereit, solange es nichts mit Blumen und Rüschen zu tun hat.“

„Da ist aber jemand mürrisch“, bemerkte sie mit einem süffisanten Lächeln. „Liegt es daran, dass ich den Schraubenzieher nach dir geworfen habe? Oder eher daran, dass ich mich nach dem Kuss nicht in deine Arme geworfen habe?“

Gabe sah ihr in die Augen. „Schaffen wir es, diese Sache gemeinsam lebend hinter uns zu bringen?“

Chelsea zuckte die Schultern. „Das hängt davon ab, ob du dich zusammenreißen kannst und deine Hände bei dir hältst. Und nur damit du es weißt: Ich bin bereit, dir zu glauben, wenn du sagst, du hättest nichts von den Aktivitäten deines Onkels gewusst. Shane und Brandee würden dich bei der Hochzeit nicht dabeihaben wollen, wenn es anders wäre. Du kannst nur hoffen, dass nicht doch noch eine Verbindung auftaucht. Sollte ich davon erfahren, werde ich das nächste Mal nicht danebentreffen.“

2. KAPITEL

„Irgendwie sieht es noch nicht richtig aus. Ist es schief?“

Gabe trat einen Schritt zurück und betrachtete den Bogen, an dem Chelsea und er schon fast den ganzen Tag arbeiteten. Sie kamen mittlerweile überraschend gut miteinander aus, solange sich ihr Gespräch auf die Hochzeit beschränkte – oder solange sie überhaupt nichts sagten.

Wenn das Schweigen zwischen ihnen sich ausdehnte, kamen ihm allerdings erotische Fantasien in den Sinn; und in allen spielte die Frau an seiner Seite die Hauptrolle. Mit den knackigen Jeans und dem eng anliegenden Top wirkte sie weder wie die erfahrene Hackerin, die sie früher gewesen war, noch wie die Technische Leiterin einer der angesehensten Steakhaus-Ketten im Süden Amerikas.

Sie konnte jeden Mann um den Verstand bringen, sogar wenn sie ihn angiftete. Das war einer der Gründe, wieso Gabe sie bewunderte. Sie ließ sich von niemandem auf der Nase herumtanzen und lebte ganz nach ihren eigenen Regeln. Selbstbewusst und erfolgreich. Wenn das nicht sexy war!

Ihm fiel sehr wohl auf, dass ihr Blick immer wieder in seine Richtung wanderte. Irgendwann musste die Chemie zwischen ihnen explodieren, und er freute sich jetzt schon darauf. Denn durch die kleine Kostprobe von ihr sehnte er sich nach mehr. Sie konnte es noch so sehr abstreiten, aber zwischen ihnen war etwas. Ihr Körper sprach eine deutliche Sprache.

Er versetzte dem Traubogen einen leichten Stoß. „Ist es so besser?“

Chelsea musterte ihr Werk kritisch. „Ja, ich glaube, so geht es.“

Gabes Smartphone meldete sich. Er warf einen Blick auf das Display und beantwortete die SMS seiner Assistentin rasch, bevor er das Gerät wieder einsteckte.

„Kommst du zu spät zum Essen mit deiner Freundin?“, erkundigte Chelsea sich spitz, während sie die Werkzeuge einsammelte und beiseitelegte.

„Falls du wissen willst, ob ich in einer Beziehung bin, brauchst du nur zu fragen.“

Sie schob sich das schulterlange blonde Haar zurück. „Ich frage nicht.“

„Ich bin solo“, informierte er sie. „Das solltest du wissen, bevor du mich wieder küsst.“

Chelsea verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte Mühe, den Blick auf ihre Augen gerichtet zu halten. „Du bist so arrogant zu glauben, dass es dazu kommen wird?“

„Arrogant? Vielleicht. Ich bin mir sicher, es ist nur eine Frage der Zeit.“ Er pfiff munter vor sich hin, während er zu seinem Wagen ging. Dabei erwartete er jeden Moment, entweder etwas an den Kopf zu bekommen oder etwas vorbeisegeln zu sehen, aber nichts geschah. Gewöhnte sie sich etwa an ihn?

Er war ziemlich irritiert von der Tatsache, dass sie ihm zutraute, etwas mit diesen Nacktfotos zu tun zu haben. Wieso um alles in der Welt sollte er so etwas tun? Er hatte keinerlei Grund, seinen Onkel dabei zu unterstützen, wie er die Leute von Royal terrorisierte. Im Gegenteil: Gabe kannte die meisten Opfer persönlich und mochte sie. Unter gar keinen Umständen wollte er, dass sie in irgendeiner Weise zu leiden hatten. Auch Shane und Brandee gehörten zu diesem Kreis. Dustys Absichten waren einfach nicht nachvollziehbar.

Als Gabe sich hinter das Steuer schob und den Motor anwarf, kam Chelsea aus der Scheune direkt auf ihn zu. Er rollte die Scheibe nach unten.

„Ich wusste doch, dass du es ohne mich nicht aushältst.“

Sie rollte die Augen. „Brandee hat mir gerade eine SMS geschrieben. Sie wollte wissen, ob wir im Studio von Natalie Valentine vorbeifahren können, um die letzte Anprobe zu machen.“

„So gern ich dir auch in dein Kleid helfen würde, ich habe noch zu arbeiten. Mein Onkel ist dabei, noch über seinen Tod hinaus meinen guten Ruf zu ruinieren, und ich muss meine Kunden besänftigen. Und wie solltest du mir bei einer Anprobe trauen können?“

Chelsea presste die Lippen aufeinander. Es arbeitete sichtlich in ihr, aber dann zwang sie sich, mit halbwegs zivilisiertem Ton fortzufahren: „Brandee möchte, dass wir ihr Hochzeitsgeschenk für Shane bei Priceless abholen. Sie hat einen Tisch und Stühle für das Esszimmer gekauft. Sie sagt, sie sehen genauso aus wie die, die seine Großmutter gehabt hat, und sie möchte ihn damit überraschen. Die Anprobe ist einfach sinnvoll, weil wir dann sowieso schon in der Gegend sind.“

Gabe ließ den Kopf zurücksinken und stöhnte auf. „Ist dir eigentlich klar, dass ich auch noch eine Firma habe?“

„Und ich nicht? Vielleicht hast du vergessen, dass ich auch berufstätig bin.“

„So habe ich das nicht gemeint“, versuchte er, sie zu beschwichtigen. „Steig ein. Wir fahren bei mir vorbei und holen den Truck, damit wir Platz für die Möbel haben.“

„Ich kann mit meinem eigenen Wagen fahren.“

„Es gibt keinen Grund, wieso wir nicht zusammen fahren sollten. Es sei denn, du hättest Angst, mit mir allein zu sein.“

Chelsea kniff die Augen zusammen. „Ich hasse dein aufgeblasenes Ego.“

„Habe ich zur Kenntnis genommen. Und nun steig ein.“

Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie um den Wagen herumging. Er wusste selbst nicht, wieso es ihm solchen Spaß bereitete, sie zu provozieren. Wenn er ehrlich war, freute er sich darüber, mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Natürlich wollte er sie letztlich verführen, aber im Moment lag ihm in erster Linie daran, ihr klarzumachen, dass er eine Frau niemals so behandeln würde, wie sein Onkel es getan hatte. Das musste sie einfach wissen. Sicher würde sie nicht einfach sein Wort dafür nehmen. Sie musste sich konkret davon überzeugen können, dass er kein Idiot war, der einen Kick daraus gewann, andere Menschen zu erpressen.

Sobald sie neben ihm saß, legte er den Gang ein und steuerte sein Loft an. Er zahlte jeden Monat ein hübsches Sümmchen dafür, mehrere Stellplätze unten im Haus zu haben. Aber ein Mann konnte nicht in Texas leben, ohne einen Truck zu besitzen. Das wäre schon fast gesetzeswidrig.

„Weißt du …“, begann er, als sie auf der Straße waren.

„Wir müssen nicht reden“, unterbrach sie ihn kühl.

Es schien doch schwieriger zu werden als angenommen. Gabe umklammerte das Lenkrad fester.

„Doch, das müssen wir“, widersprach er. „Es gibt viele Leute hier in der Stadt, die mich kennen und die wissen, dass ich mich niemals auf die Seite meines Onkels geschlagen hätte. Niemals hätte ich ihn gedeckt.“

„Ich weiß, dass niemand dich beschuldigt. Der Sheriff selbst hat mir gesagt, er ist überzeugt, dass du nichts mit der Sache zu tun hast. Andererseits war Dusty deine einzige Familie. Wie konnte es sein, dass du nicht wusstest, was er machte? Er war alt und schwach. Jemand muss sich doch um ihn gekümmert haben.“

Der Vorwurf war unüberhörbar, aber darunter hörte Gabe auch ihren eigenen Schmerz. Gabe hasste die demütigende Peinlichkeit, die sie durchgemacht hatte. Alle Aktionen seines Onkels waren ihm zuwider, aber ganz besonders das, was er sich für Chelsea ausgedacht hatte. Es war irgendwie persönlicher gewesen als alle anderen Attacken.

Ganz gleich, wie wütend sie auf ihn sein mochte, Gabe war fest entschlossen, ihr zu beweisen, dass er ihren Zorn nachvollziehen konnte. Er wusste, sein Onkel war ein Bastard gewesen, aber er wusste nicht, was in den Monaten vor dem Tod mit dem Mann vorgegangen war.

„Ich verstehe, dass du wütend bist“, setzte er erneut an, „aber ich schwöre dir, ich habe nichts von den Fotos gewusst, bis sie im Netz auftauchten. Ich habe sie mir nicht einmal angesehen.“

Chelsea schnaubte verächtlich. „Du bist ein Mann. Natürlich hast du sie dir angesehen.“

„Wir könnten darüber streiten, bis wir beide blau angelaufen sind, und du würdest mir dennoch nicht glauben“, knurrte er. „Aber irgendwann wirst du es begreifen. Sobald sie herausgefunden haben, wer sein Komplize gewesen ist, wirst du einsehen, dass ich nichts davon gewusst habe. Dusty ist aus irgendeinem Grund Amok gelaufen, aber das hat nichts mit mir zu tun. Ich habe einen guten Ruf zu wahren. Nicht zuletzt geht es um ein Millionen-Dollar-Unternehmen, das ich schützen muss. Einen Skandal kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.“

Gabe konnte nur hoffen, dass sie ihm irgendwann glauben würde. Als er vor den Courtyard Shops hielt, wo sich das Brautmoden-Studio von Natalie Valentine befand, hätte er alles andere lieber getan, als Chelsea bei der Anprobe zuzusehen. Andererseits gab diese erzwungene gemeinsame Zeit ihm die Chance, sie zu überzeugen. Das war ihm wichtig, auch wenn die Probleme seiner Firma ihm unter den Nägeln brannten.

„Du kannst ja schon zu Priceless gehen, während ich das Kleid anprobiere.“

Gabe sprang aus dem Wagen und zwinkerte ihr zu. „Wenn es dir recht ist, bleibe ich lieber bei dir. Es wird ja nicht lange dauern, und dann kannst du mir helfen, die Möbel aufzuladen.“

Als er Natalies Studio betrat, fragte er sich spontan, ob es klug gewesen war, Chelsea zu begleiten. Überall hingen und lagen Kleider herum. Mit Rüschen, mit Spitze, aus Seide – der ganze Laden roch förmlich … pink. Falls ein Duft eine Farbe hatte, dann war dieser eindeutig pink.

Die hübsche kleine Verkäuferin begrüßte Chelsea und ging gleich ihr Kleid holen. Gabe entdeckte eine Sitzecke und ließ sich auf die weiße Couch vor einer Wand von Spiegeln sinken. Er konnte sich in der Zwischenzeit um ein paar E-Mails kümmern, die beantwortet werden mussten.

Nichts war so wichtig wie seine Firma, besonders in dieser kritischen Phase. Er hatte sich schon mit einigen der größten Kunden in Verbindung gesetzt und ihnen versichert, dass der Skandal um Dusty Walsh nichts mit der Walsh Group zu tun hatte. Er hatte ihnen auch versichert, dass sie sich bei Problemen oder Fragen jederzeit an ihn persönlich wenden konnten.

Dieses unerwartete Störfeuer würde nichts daran ändern, wie er sein Geschäft führte, machte es aber im Moment um einiges schwieriger. Wäre Dusty nicht schon auf Wolke sieben, hätte Gabe nicht übel Lust, ihm an die Gurgel zu gehen!

Alle Gedanken dieser Art verschwanden mit einem Schlag, als Chelsea aus der Umkleidekabine trat und sich vor den dreiteiligen Spiegel stellte. Das maßgeschneiderte, goldfarbene Kleid hatte lange Ärmel und war hochgeschlossen und wirkte verdammt sexy. Das Material schmiegte sich eng an Chelseas Kurven und regte Gabes Fantasie an. Er hatte sie schon in Jeans gesehen und auch in kleinen geblümten Sommerkleidern, aber nichts kam diesem Kleid an verführerischem Glamour gleich.

Sie strich sich über den flachen Bauch und drehte sich von einer Seite zur anderen. Die Geste war denkbar unschuldig, aber sie versetzte ihn in eine Art Trance.

E-Mails und die Schadensbegrenzung für seine Firma waren vergessen. Gabe legte das Smartphone beiseite. Im Moment interessierte ihn nur eines: Chelsea zu bewundern, wie sie vor dem Spiegel stand und sich betrachtete.

Verdammt! Wer verführte hier eigentlich wen? Aber ihrem unsicheren Ausdruck nach zu urteilen – die Brauen waren zusammengezogen, die Mundwinkel hingen herab –, schien sie Zweifel zu haben.

„Es sieht gut aus“, knurrte er, nachdem eine gefühlte Ewigkeit vergangen war. „Können wir jetzt weiter?“

Chelsea stemmte die Arme in die Seiten und bedachte ihn mit einem empörten Blick. „Ich muss sicher sein, dass ich in dem Kleid atmen und mich bewegen kann, ohne dass ein Saum platzt, wenn du nichts dagegen hast. Es scheint etwas eng zu sein.“

Er hatte in der Tat etwas dagegen, und eng war ihm auch. Aber woanders. Er hätte lieber die Möbel abholen sollen, denn das hier war die reinste Hölle. Aber zumindest hatte er jetzt schon einmal eine Vorwarnung bekommen, wie sie aussehen würde, wenn er sie demnächst zum Altar geleitete. So blieb es ihm wenigstens erspart, sich mit seiner Reaktion zum Gespött der Leute zu machen.

Der Gedanke daran, mit Chelsea zum Altar zu gehen, hätte ihn nicht weiter beunruhigen sollen, aber das tat er. Hochzeiten im Allgemeinen machten ihn nervös. Diese ganze Happy-End-Geschichte war nicht für jedermann. Bisher hatte er jede Hochzeitsfeier gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Aber Shane, seinem besten Freund, konnte er diesen Wunsch nicht abschlagen.

Je mehr Chelsea sich vor dem Spiegel drehte und wendete und ihre Hände prüfend über ihren Körper gleiten ließ, desto unbehaglicher fühlte Gabe sich.

Eine Bewegung an der Tür brachte ihn dazu, den Blick von Chelsea loszureißen. Eine Gruppe junger Mädchen war schnatternd und kichernd hereingekommen. Es ging offensichtlich um den Abschlussball und neue Kleider. Er konnte gar nicht schnell genug fortkommen. Diese ganze Umgebung schien das Testosteron förmlich aus seinem Körper zu saugen.

„Es muss einfach gehen. Ich habe keine Zeit für weitere Anproben“, stöhnte Chelsea, während sie sich vom Spiegel abwandte und in die Umkleidekabine zurückging. „Gib mir zwei Minuten, und wir können fahren.“

Gabe war schon auf den Beinen. Er vergrub die Hände in den Taschen und wippte auf und ab. Dabei hörte er Chelsea in der Kabine leise fluchen. Sekunden später wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet.

„Äh … ich stecke fest.“

„Wie bitte?“

„Der Reißverschluss“, zischte sie. „Das verdammte Ding hat sich verhakt. Hol die Verkäuferin, damit sie mir hilft.“

Gabe warf einen Blick über die Schulter zu der aufgeregten Gruppe der Mädchen und ihrer Eltern. Die zwei Verkäuferinnen eilten wie aufgescheuchte Hühner von einer Ecke in die andere, um alle Wünsche zu erfüllen.

Er musste helfen. Es konnte doch nicht so schwer sein, einen festsitzenden Reißverschluss wieder flott zu bekommen! Gabe atmete einmal tief durch, bevor er die Tür zur Umkleidekabine aufschob und eintrat.

3. KAPITEL

„Gabe! Was …?“

Chelsea wich zurück und starrte ihn an, als er die Tür hinter sich verschloss. Der kleine Raum schien förmlich zu schrumpfen durch seine Anwesenheit.

„Du hast gesagt, du brauchst Hilfe.“

„Ich habe dich gebeten, die Verkäuferin zu holen.“

„Da draußen sind ein gutes Dutzend Teenager und, soweit ich gesehen habe, nur zwei Angestellte. Keine gute Quote, wenn du mich fragst. Wenn du also irgendwann in absehbarer Zeit aus diesem Kleid herauswillst, bin ich die Lösung.“

Das Blitzen seiner Augen war gleichermaßen herausfordernd wie sexy. Und genau deswegen sollte sie nicht hier mit ihm eingeschlossen sein. Und schon gar nicht sollte sie sich von ihm aus ihrem Kleid helfen lassen. Halb nackt in Gabes Nähe zu sein, konnte nicht gut gehen …

Sie wagte gar nicht, den Gedanken weiter zu verfolgen.

„Ich mache das schon selbst“, erklärte sie energisch, obwohl ihre Versuche bisher gescheitert waren. „Geh nur schon in den Antiquitätenladen, ich komme gleich nach.“

Gabe war mit einem Schritt neben ihr. „Wir haben beide heute noch andere Dinge zu erledigen, also lass dir helfen.“

„Für meinen Geschmack genießt du die Situation etwas zu sehr.“

Er ließ die Hand an ihrer Seite hinuntergleiten, wo der Reißverschluss geschickt verborgen war. „Ich werde die Situation noch mehr genießen, wenn du mich diesen Reißverschluss nach unten ziehen lässt.“

Für den Bruchteil einer Sekunde erwog Chelsea, die Arme zu heben und ihn einen Versuch machen zu lassen, aber dann fiel ihr wieder ein, wer er war … oder vielmehr: wer sein Onkel gewesen war.

„Das ist keine gute Idee“, sagte sie. Das musste er doch auch so sehen! Oder? Er kannte ihre Gefühle und wusste sehr wohl, dass sie ihm nicht traute.

„Was ist keine gute Idee?“ Sein Blick glitt über ihr Gesicht und blieb an ihren Lippen hängen. „Dass wir hier in dieser winzigen Kabine allein sind oder dass du dich zu mir hingezogen fühlst?“

Chelsea musste die Hände zu Fäusten ballen, um sich davon abzuhalten, ihn zu schlagen … oder aber sein Gesicht mit beiden Händen zu umfassen und ihn zu küssen. Sie war sich da nicht sicher. Die Tatsache, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, wäre kein solches Thema, wäre Gabe kein Walsh, und hätte sein Onkel nicht versucht, so viele Leben zu zerstören, ihres eingeschlossen. Allein die Nähe von Gabe zu seinem Onkel reichte, um sie emotional zurückweichen zu lassen.

Die Schauer prickelnder Erregung ließen nicht nach, ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte, sie zu unterdrücken.

Chelsea spürte förmlich, wie sie am ganzen Körper bebte, obwohl sie sich geschworen hatte, Gabe auf Distanz zu halten. Als seine Finger sie leicht berührten, trafen sich ihre Blicke.

„Ist das der Moment, an dem du behauptest, du fühltest dich nicht zu mir hingezogen?“, fragte er, während er seine Finger weiter wandern ließ hin zum tiefen Rückenausschnitt.

Chelsea atmete tief durch und verfluchte die verräterische Verfärbung ihrer Haut. Sie waren beide voll bekleidet, aber die Berührung seiner Fingerspitzen an der bloßen Haut ihres Rückens ähnelte zu sehr der Berührung eines Liebhabers. Es war verdammt lange her, seit sie einen Liebhaber gehabt hatte. Ganz eindeutig reagierte sie stärker, als der Situation angemessen war.

Bisher war ihre Wahl der Männer nicht immer glücklich gewesen. Als sie noch jünger gewesen war, verwechselte sie Aufmerksamkeit mit Attraktivität. Später blieb sie oft auf Distanz, weil sie ihrem eigenen Urteil nicht mehr traute. Der Skandal hatte sie noch vorsichtiger werden lassen. Und nun musste sie sich ausgerechnet zu dem Mann hingezogen fühlen, der mit dem Bastard verwandt war, der sie im wahrsten Sinne des Wortes bloßgestellt hatte.

„Dreh dich um“, flüsterte er ihr zu.

Ohne nachzudenken, drehte sie sich dem Spiegel zu. Gabe stand direkt hinter ihr, sein Körper fest an ihrem. Immer noch ließ er seine Finger über ihre Haut gleiten. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, als er eine Hand zum oberen Teil des Reißverschlusses schob. Allein die Berührung seiner Hand an der Unterseite ihres Arms ließ sie erschauern, obwohl der Stoff des Kleides wie eine Barriere wirkte.

Chelsea schloss die Augen. Sie hoffte verzweifelt, das alles hier einfach ignorieren zu können, wenn sie ihn nicht im Spiegel ansah.

„Sieh mich an“, forderte Gabe.

Sie fand selbst, dass sie viel zu leicht nachgab, aber sie konnte nicht anders: Sie musste seiner Bitte nachkommen. „Hör auf“, sagte sie leise.

„Aufhören, womit?“ Er zog leicht an dem Reißverschluss. „Aufhören mit dem Versuch, dir aus dem Kleid zu helfen, oder aufhören damit, uns beide zu quälen?“

Es war nie ihre Art gewesen, sich nach Sex an einem öffentlichen Ort zu sehnen, aber im Moment wäre sie mehr als bereit gewesen, sich ausgerechnet dem Mann hinzugeben, der für sie tabu sein sollte.

„Du musst es doch gespürt haben, als wir uns küssten, dass daraus mehr werden würde“, raunte er. Er hätte sich nicht bemühen müssen, die Stimme zu senken, weil der Geräuschpegel der Teenager so ohrenbetäubend war, dass er alles überdeckte, was sie sagten … oder taten.

„Es kann nicht mehr werden.“

Gabe ließ seine Lippen leicht über die zarte Haut ihres Halses gleiten. Chelsea fühlte sich von ihrem Körper verraten – von Anfang an, seit Gabe in die Umkleidekabine gekommen war. Sie schloss die Augen und ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken. Vielleicht wollte sie einfach nur den Moment genießen. Wollte alles andere ignorieren und sich einfach von ihm verwöhnen lassen. Und das machte er wirklich sehr gut.

Wieso musste sie sich so hin- und hergerissen fühlen? Wieso war dieser Mann ein solches Mysterium für sie?

Er hob ihren Kopf mit den Fingerspitzen leicht an, sodass er seine Lippen über ihren Hals gleiten lassen konnte. Sie war nur noch einen strategisch platzierten Kuss von einem Stöhnen entfernt.

„Lüg mich nie wieder an und behaupte, du willst mich nicht“, murmelte er. „Du bebst in meinen Armen, und dabei habe ich dich noch nicht einmal aus diesem Kleid bekommen.“

Behutsam drehte er ihren Kopf zu sich herum. Als er seine Lippen auf ihre drückte, drehte Chelsea sich in seinen Armen und ließ ihre Finger durch sein Haar gleiten. Sie nahm, was er so bereitwillig gab.

Nur für einen Moment. Das war alles. Dann würde sie ihn wieder verabscheuen und für einen Lügner halten. Aber gerade jetzt wollte sie nicht vernünftig sein.

Seine Lippen und Hände erzählten keine Lügen. Es war deutlich, dass er sie ebenso begehrte wie sie ihn. Er drückte sie gegen die Wand und ergriff ihre Hüften, um sie an sich zu ziehen. Seine Erregung war offensichtlich.

Wenn er ihre Leidenschaft so schnell und so intensiv entfachen konnte, was würde dann erst geschehen, wenn nichts sie mehr trennte? Haut an Haut? Würde er sich Zeit lassen und den Moment genießen? Würde er …?

„Entschuldigung?“ Jemand klopfte an die Tür. „Wir haben hier mehrere Mädchen, die gern ihre Kleider anprobieren würden.“

Gabe wich zurück und knurrte etwas Unverständliches.

Chelsea wünschte sich sehnlichst, die Erde möge sich unter ihr auftun und sie verschlingen. Zuerst die Nacktfotos, und nun wurde sie mehr oder weniger dabei ertappt, wie sie es in der Umkleidekabine des einzigen Geschäfts für Brautmoden in Royal trieb! Mehr Futter konnte sie der Gerüchteküche wirklich nicht liefern. Das ließe sich nur noch toppen, wenn sie splitterfasernackt über die Hauptstraße von Royal spazierte!

„Mein Reißverschluss klemmte“, rief sie und merkte selbst, wie lahm das klang. „Ich komme gleich.“

Chelsea schob Gabe von sich, was in Anbetracht der Enge der Kabine nicht sehr weit sein konnte. „Entweder du hilfst mir jetzt mit diesem verdammten Reißverschluss oder du gehst“, zischte sie ihm zu.

Seine Pupillen hatten sich vor Erregung verdunkelt, und die Beule in seiner Jeans sprach ein beredtes Zeugnis von dem, was sie hier fast getan hätten. Chelsea wurde rot. Mit flatternden Fingern tastete sie nach ihrem Reißverschluss und stellte überrascht fest, dass Gabe ihn heruntergezogen hatte. Wann war das denn passiert? Irgendwann zwischen der ersten Berührung und dem Moment, in dem er sie fast zu einem Orgasmus geküsst hatte.

„Ich brauche dich hier nicht mehr“, erklärte sie hastig. Es drängte sie, aus dem Kleid und zurück in Jeans und Stiefel zu kommen.

Gabe umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und raunte: „Wir sind noch lange nicht fertig miteinander. Wir haben noch nicht einmal richtig angefangen.“

Dann verließ er die Kabine, als wäre überhaupt nichts gewesen. Chelsea ließ sich auf den kleinen Hocker in der Ecke sinken und atmete tief durch. Im Moment waren die Menschen auf der anderen Seite der Tür noch ihre geringste Sorge.

Nein, sie dachte nur an den Mann, der eine solch verheerende Wirkung auf sie hatte. Noch nie hatte ein Mann sie derart erregt und ein solches Verlangen in ihr geweckt.

Verdammt! Wie sollte sie die Distanz wahren und während der Hochzeitsvorbereitungen nicht mit Gabe Walsh ins Bett gehen?

4. KAPITEL

Gabe schloss seinen Laptop und erhob sich. Zwei Tage waren vergangen seit dem Vorfall in der Umkleidekabine, und er kam seitdem nicht zur Ruhe.

Chelsea ging ihm wirklich unter die Haut. Vielleicht lag es an ihrer spitzen Zunge, vielleicht auch daran, dass sie ihm anfangs nicht geglaubt hatte, dass er nichts mit den Nacktfotos zu tun hatte. Auch möglich, dass ihre engen Jeans und das anliegende Top schuld daran waren, dass er sie nicht aus dem Kopf bekam. Chelsea Hunt war ihm ein Buch mit sieben Siegeln, das er einfach nicht lösen konnte.

Er wusste selbst nicht, was mit ihm los war. Wäre es ihm nur darum gegangen, eine Frau im Bett zu haben, hätte er kein Problem gehabt – die Frauen flogen auf ihn. Aber im Gegensatz zu früher war er jetzt wählerischer. Und bei Licht betrachtet zählte im Moment nur eine einzige Frau für ihn: Chelsea Hunt.

Aber davon einmal abgesehen, hatte er noch ein paar andere dringende Probleme zu lösen. Einige seiner Kunden hatten ihn auf die Beziehung zu seinem Onkel angesprochen. Für einige hatte er sich bereits Zeit genommen, andere Gespräche standen noch aus. Er wollte den Rest des Tages damit verbringen, die Wogen zu glätten.

Er schnappte sich seinen Stetson und verließ das Loft. Er liebte die zentrale Lage hier in Royal. Geschäfte und Restaurants waren ganz in der Nähe, und auch bis zum Texas Cattleman’s Club war es nicht weit. Er wollte später hinüberfahren, um auszureiten. Ein Ritt hatte immer etwas Beruhigendes und half ihm, wieder klar zu sehen.

Der einzige Nachteil des Lofts im Stadtzentrum war, dass er seine Pferde nicht vor Ort hatte. Er war auf einer Farm am Stadtrand von Dallas aufgewachsen, und das war wie der Traum jedes kleinen Jungen gewesen. Reiten hatte selbstverständlich zu seinem Leben dazu gehört. Aber als Mitglied des Texas Cattleman’s Club standen ihm neben allen anderen Annehmlichkeiten auch die Pferde des Klubs zur Verfügung. So gesehen hatte er im Moment das Beste beider Welten.

Gabes Smartphone vibrierte, als er zur Garage hinunterfuhr.

„Shane. Was gibt’s?“

„Wollte nur mal sehen, wie es dir geht, Mann. Wie kommst du klar mit dem Skandal um deinen Onkel?“

„Es ist alles andere als witzig, aber ich stehe es durch.“

„Brandee und ich sind für dich da, falls du etwas brauchst. Wir wissen, dass du nichts mit der ganzen Sache zu tun hast.“

„Ich betreibe gerade Schadensbegrenzung in der Firma. Dabei kann mir niemand helfen. Aber vielen Dank für das Angebot.“

„Natürlich. Tut mir leid, dass das jetzt ausgerechnet noch alles zu den Hochzeitsvorbereitungen dazukommt.“

„Kein Problem.“

„Apropos Hochzeit – meine Verlobte ist nicht glücklich.“

Gabe lachte, während er sich hinter das Steuer seines Trucks schob. „Das scheint eher dein Problem zu sein als meins.“

„Ganz im Gegenteil, es ist ausschließlich dein Problem“, widersprach Shane. „Warst du zusammen mit Chelsea in der Umkleidekabine dieses Studios für Brautmoden? Sag nichts, ich kenne die Antwort. Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“

Gabe seufzte schwer, während er den Motor anwarf. „Spielt es eine Rolle? Es ist nichts passiert. Ihr Reißverschluss hatte sich verhakt, das war alles.“

Das war alles, was er zuzugeben bereit war. Was auch immer zwischen Chelsea und ihm lief, ging nur sie beide etwas an. Und von ‚laufen‘ konnte nicht wirklich die Rede sein. Die Dinge hatten sich noch nicht annähernd dem Punkt genähert, den er sich gewünscht hätte. Das war wirklich das längste Vorspiel, das er bisher erlebt hatte. Eine reine Tortur.

„Hör mal, was auch immer du mit irgendeiner Frau anstellst, ist deine Sache …“

„Freut mich, dass ich deine Erlaubnis habe, Dad.“

„… aber bei Chelsea ist es etwas anderes. Nach allem, was sie gerade durchmacht, und in Anbetracht der Tatsache, dass sie Brandees beste Freundin ist – sie ist nicht irgendeine x-beliebige Frau, mit der du rummachen kannst.“

„Mir ist sehr wohl bewusst, wie verletzlich Chelsea ist.“ Gabe kochte vor Wut und musste an sich halten, es sich nicht anmerken zu lassen. „Und wir ‚machen nicht rum‘. Wie zum Teufel hast du überhaupt davon erfahren?“

Er war sicher, dass Chelsea nicht zu Brandee gelaufen war, um ihr das Herz auszuschütten. Das wäre einfach nicht ihr Stil gewesen.

„Glaubst du allen Ernstes, ein ganzer Trupp junger Mädchen mit Müttern kennt dich oder Chelsea nicht?“ Shane war fassungslos. „Royal ist eine kleine Stadt, Mann. Und wenn ich davon weiß, dann weiß es Dan inzwischen auch, darauf kannst du Gift nehmen.“

Dan Hunt war Chelseas Bruder. Chelseas älterer Bruder, der immer noch glaubte, er müsse sie beschützen. Er und Chelsea hatten ein enges Verhältnis, nachdem sie zuerst die Mutter und dann auch noch den Vater verloren hatten. Die Mutter hatte die Familie von einem Tag zum anderen verlassen, und der Vater war den Gerüchten zufolge später an gebrochenem Herzen gestorben.

War es unter den Umständen ein Wunder, dass Chelsea so misstrauisch war? Wenn man dann noch die Sache mit den Nacktfotos dazunahm, hatte sie wirklich ein beachtliches Päckchen zu tragen. Mehr, als viele andere ertragen hätten. Und sah man einmal von Dan und Brandee ab – wer stand wirklich zu ihr?

„Ich mache mir keine Sorgen wegen Dan“, erklärte Gabe, während er den Gang einlegte. „Und so gern ich dieses Gespräch noch fortführen würde, ich habe noch andere Dinge zu tun. Sogar im Tod gelingt es meinem Onkel noch, meinen Ruf zu ruinieren.“

Shane stöhnte. „Tut mir leid, Mann. Ich habe nicht nachgedacht.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du und Brandee, ihr ward ja auch seine Opfer.“

Es gab kaum ein Mitglied des Texas Cattleman’s Club, das nicht auf die eine oder andere Weise von den Machenschaften seines Onkels betroffen gewesen war. Gabe hatte immer noch keine Ahnung, welche Motive sein Onkel gehabt hatte. Aber er wusste, dass Dusty Walsh sich dreimal um Aufnahme in den Klub beworben hatte und immer wieder abgelehnt worden war. Dustys Verbitterung wuchs, als er erleben musste, dass nun auch Frauen Zutritt erhielten. Waren die Aktionen die Rache seines Onkels für die Zurückweisung gewesen?

„Versuch einfach, dich in der Öffentlichkeit zurückzuhalten“, warnte Shane. „Chelsea hat im Moment schon genug Sorgen, und ich möchte, dass die Hochzeit ohne Drama über die Bühne geht.“

Gabe wusste nur zu gut, was Chelsea im Moment durchmachte. Er verfluchte sich dafür, sie noch mehr ins Gerede gebracht zu haben. Aber verdammt, wenn er in ihrer Nähe war, konnte er einfach nicht mehr klar denken.

„Keine Angst, es wird keine Dramen bei eurer Hochzeit geben“, versicherte er seinem Freund. „Geh zu Brandee und sag ihr, dass Chels und ich alles im Griff haben.“

Er beendete das Gespräch, bevor Shane weitere Fragen stellen konnte.

„Ich werde alles direkt hierher liefern lassen, und es wäre nett, wenn Sie es dann in den Tiefkühler tun könnten. Es ist genau angegeben, wie lange das Fleisch zum Auftauen braucht und wie es mariniert und gebraten werden sollte.“

Chelsea ging die Liste für die Junggesellenparty mit Rose durch, ihrer Ansprechpartnerin in der Küche des Texas Cattleman’s Club.

„Es tut mir leid.“ Sie seufzte. „Natürlich wissen Sie selbst, wie ein Steak gebraten wird, und dies ist nicht die erste Party, die Sie hier betreuen. Aber hier geht es um meine beste Freundin, deswegen ist es mir so wichtig.“

Rose tätschelte ihr den Arm. „Das ist schon in Ordnung. Ich verstehe das.“

Chelsea lächelte. „Danke. Sonst bin ich nicht so hysterisch, aber in diesem Fall möchte ich, dass alles perfekt ist.“

„Das wird es sein“, versicherte Rose ihr. „Ich kümmere mich darum.“

Als Chelsea die Küche verließ, beschloss sie, ihre Mitgliedschaft im Klub zu nutzen und auszureiten. Das war immer das beste Mittel für sie, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Das hatte sie im Moment mehr denn je nötig, weil sie an den vergangenen Tagen mit ihren Gedanken immer nur bei Gabe Walsh gewesen war. Dieser Kerl ging ihr einfach nicht aus dem Sinn, ganz gleich, wie sehr sie sich auch um Ablenkung bemühte. Immer wieder musste sie an das denken, was beinahe in der Umkleidekabine passiert war.

Die Umkleidekabine.

Es hörte sich an wie der Titel eines Liebesromans, den sie nicht aus den Händen legen konnte. Sie wünschte, sie könnte den Mann hassen. Er war egoistisch und arrogant. Und eindeutig zu sexy.

Aber wie sollte sie einen Mann hassen, der sie allein mit einem Kuss oder einer Berührung derart um den Verstand bringen konnte? Wie konnte es sein, dass er eine derartige Macht über sie hatte? Wie konnte ein Mann eine solche Woge an Emotionen auslösen?

Chelsea ging zum Stall. Die frische Winterluft tat ihr gut. Sie konnte es gar nicht erwarten, ein paar Stunden einfach nur allein zu sein und den Ritt zu genießen.

Als ihr Smartphone in der Tasche vibrierte, ignorierte sie es. Nichts und niemand sollte sie jetzt stören. Wer auch immer etwas von ihr wollte, konnte eine Nachricht hinterlassen. Falls es wieder Dan war, würde sie sich später bei ihm melden. Alles, was die Firma betraf, konnte warten, denn es war gerade keine Arbeitszeit. Und was die Hochzeit betraf, da lief alles nach Plan.

Chelsea entschied sich für eine hübsche braune Stute und saß schon nach kurzer Zeit im Sattel. Es tat einfach nur gut. Sie wusste selbst nicht, wieso sie die Angebote des Klubs nicht häufiger nutzte. Vielleicht sollte sie sich nach der Hochzeit und den Feiertagen eine Massage und einen Saunabesuch gönnen. Ein Verwöhntag konnte nicht schaden.

Chelsea war einfach nur dankbar dafür, dass mittlerweile auch Frauen als Mitglieder aufgenommen wurden. Sie hatte die Chance sofort genutzt. Wer hätte nicht Lust, Mitglied in einem so elitären Verein zu sein? Das Klubhaus befand sich auf einem wunderbaren Gelände, und es wurde alles geboten, was das Herz sich nur wünschen konnte. Jeder, der auch nur irgendeine Rolle im öffentlichen Leben der Stadt spielte, gehörte dazu.

Chelsea entschied sich für einen der Wege und registrierte dankbar, dass um diese Zeit keine anderen Reiter unterwegs waren. Die Ställe schlossen um neun, ihr blieben also noch ein paar Stunden, um den Abend zu genießen. Dabei konnte sie sich Gedanken über die Weihnachtsgeschenke machen, die sie noch kaufen musste. Wahrscheinlich blieb ihr nichts anderes übrig, als online zu bestellen. Bei den intensiven Hochzeitsvorbereitungen hatte sie keine Zeit mehr gefunden …

„Und da dachte ich, ich wäre hier ganz allein!“

Chelsea zuckte zusammen, als sie die vertraute Stimme hörte. Ihre Finger verkrampften sich um die Zügel. „Dann nimm einen anderen Weg!“

Gabe erschien lachend an ihrer Seite. „Das wäre doch kein Spaß.“

Sein Schenkel streifte ihren, als er neben ihr ritt. Chelsea wollte nicht von ihm berührt werden, ganz gleich, mit welchem Körperteil. Okay, das entsprach nicht der Wahrheit, aber wenn sie es sich nur oft genug sagte, drang ihr Wille ja vielleicht bis zu ihrem Herzen vor.

„Ich bin hier, weil ich allein sein und nachdenken wollte“, sagte sie und weigerte sich dabei, in seine Richtung zu sehen. Sie wusste, wie er aussah – sexy bis unter die Haarwurzeln. Sie musste sich mit seinem Anblick nicht noch zusätzlich quälen.

„Dann denk nach“, bat er. „Du wirst überhaupt nicht merken, dass ich da bin.“

„Machst du Witze?“ Sie brachte ihr Pferd zum Stehen, und es überraschte sie nicht, dass er es ihr gleichtat. Unwillkürlich sah sie zu ihm hinüber. Richtig. Noch genau so sexy wie vor zwei Tagen, als er sie fast um den Verstand gebracht hätte. Der schwarze Stetson verbarg seine Augen, aber sie sah dieses sexy Lächeln.

„Du glaubst, ich könnte auch nur einen entspannten Moment haben, wenn du neben mir reitest?“

„Also, Darling – das nehme ich doch mal als ein Kompliment.“

Chelsea kniff die Augen zusammen. „Wieso verschwindest du nicht einfach?“

Er stützte die Arme auf den Sattelknauf und zuckte die Schultern. „Ich habe dich seit zwei Tagen nicht gesehen. Ich war auf Hope Springs und habe weiter an dem Traubogen gearbeitet. Natürlich dachte ich, du wärest auch da und würdest helfen, aber Fehlanzeige. Ich würde sagen, du hast jetzt lange genug Ruhe vor mir gehabt.“

„Noch lange nicht“, murmelte sie vor sich hin.

„Du kannst dich nicht ewig vor mir verstecken, Chelsea. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe übernommen, und diese Chemie zwischen uns wird nicht einfach wieder vergehen.“

Wieso musste er so brutal offen sein und das Problem direkt beim Namen nennen? Es verschlug ihr nicht oft die Sprache, aber diesem Mann gelang es immer wieder, sie aus dem Konzept zu bringen.

„Du scheinst verdrossen zu sein.“ Er lächelte wieder dieses unwiderstehliche Lächeln. „Ich würde sagen, die frische Luft wird dir guttun. Komm. Lass uns zusammen reiten und ein wenig reden. Nicht über die Umkleidekabine oder die Tatsache, dass du mich willst. Du brauchst es gar nicht zu leugnen. Wir machen einfach Small Talk. Das geht doch, oder? Das Wetter ist immer ein dankbares Thema, aber letztlich doch ziemlich vorhersagbar. Vielleicht könntest du mir erzählen, ob du deinen Weihnachtsbaum schon aufgestellt hast. Ich bin zu meinem noch nicht gekommen.“

Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Sie hatte nicht die Absicht, neben ihm her zu reiten und sich entspannt mit ihm zu unterhalten, als wäre sie seine beste Freundin. Gabe Walsh ließ sie alles andere als entspannen. Im Gegenteil!

„Mir steht nicht der Sinn nach Small Talk.“ Chelsea ließ ihre Stute weitergehen. „Ich kann dich nicht davon abhalten, neben mir zu reiten, aber halt wenigstens den Mund.“

Sein Lachen war nicht dazu angetan, ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Chelsea bemühte sich verzweifelt, sich auf alles andere als den Mann an ihrer Seite zu konzentrieren.

„Es gibt da etwas, das mich schon seit Langem interessiert …“

Sie wusste, dass sie ihm nicht den Mund verbieten konnte, aber zumindest konnte sie schweigen. Zumal sie keine Ahnung hatte, wohin seine Bemerkung führen sollte.

„Wieso Computer?“

Verblüfft sah sie zu ihm hinüber. „Wie bitte?“

„Ich habe mich nur gefragt, wie du damals zum Hacken gekommen bist.“

Das war ein sicheres Thema. Kein Thema, das sie in einen stammelnden Haufen wirrer Gefühle verwandelte. „Ich habe mich schon immer dafür interessiert, wie Dinge funktionieren“, gestand sie.

„Als ich klein war, habe ich versucht, Schlösser zu öffnen. Im Alter von sieben war ich schon sehr gut darin, aber dann fing es an, mich zu langweilen. Dad redete immer über das Geschäft, also wurde mir klar, dass wir das Unternehmen irgendwann übernehmen sollten. Eines Abends, als er schon schlief, habe ich versucht, mich in seinen Computer einzuloggen. Als ich endlich sein Passwort geknackt hatte, war mein Jagdinstinkt geweckt, und ich wollte herausfinden, was ich sonst noch tun konnte.“

„Wie alt warst du damals?“

„Zehn.“

Gabe fluchte leise. „Und da bringe ich dich gegen mich auf. Sind meine Bankkonten noch sicher?“

Chelsea lachte unwillkürlich auf. „Im Moment noch.“

„Hat dein Vater gemerkt, dass du dich bei ihm eingeloggt hast?“

„Natürlich. Ich habe die typischen Anfängerfehler beim Hacken gemacht.“ Chelsea strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Ich mag den Begriff Hacken eigentlich nicht. Es klingt so … so illegal.“

„Ist es das nicht?“

Chelsea zuckte die Schultern. „Vielleicht, aber meines Wissens habe ich nie einen Schaden angerichtet. Mir ging es eigentlich immer nur darum, zu sehen, wie weit ich kommen kann und was möglich ist.“

„Du hast also nie etwas Riskantes oder Illegales gemacht?“

„Na ja, in der Highschool habe ich vielleicht die eine oder andere Zensur geändert.“

„Und?“ Er ließ nicht locker.

Sie schluckte. Sollte sie das Thema wirklich weiter verfolgen? „Es könnte sein, dass ich mich in ein Bankkonto gehackt habe, um den Kontostand etwas zu verändern.“

„Und das soll nicht illegal sein?“ Er war sichtlich schockiert über ihr Geständnis.

„Ich gebe zu, es war nicht richtig, aber im Nachhinein lässt es sich ja nun nicht mehr ändern.“

Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus. Chelsea ärgerte sich, so offen gewesen zu sein. Das Ganze war Jahre her, und niemand hatte je gemerkt, was sie getan hatte. Es war ihr erster richtiger Sieg gewesen, und illegal oder nicht – es tat ihr nicht leid, es getan zu haben. Im Gegenteil, sie war sogar ziemlich stolz darauf.

„Erzählst du die Geschichte zu Ende, oder muss ich sie mir selbst zusammenreimen?“

Chelsea stoppte ihre Stute und sprang aus dem Sattel. Sie befestigte die Zügel an einem Baumstumpf. Gabe tat es ihr gleich. Als er die Arme in die Seiten stemmte und sie auffordernd ansah, war klar: Es war wohl am besten, ihm alles zu sagen.

5. KAPITEL

Die süß und unschuldig wirkende Chelsea hatte ihn schockiert, aber er war mehr als bereit, sich ihre Erklärung anzuhören. Wenn sie einen guten Grund für ihre Tat gehabt hatte, wollte er ihr glauben. Die Basis für seinen beruflichen Erfolg war seine Menschenkenntnis, und er war überzeugt, dass diese Frau nicht kriminell war. Davon einmal abgesehen, wollte er mehr Zeit mit ihr verbringen. Sie öffnete sich ihm endlich. Wenn sie nicht über den Skandal redeten, begann sie zu entspannen. Er konnte nur hoffen, dass die Aktion seines Onkels irgendwann in Vergessenheit geriet.

„Ich war noch ein Teenager, als ich von einem Ehepaar erfuhr, das damals für Hunt arbeitete.“ Chelsea hatte sich gegen einen Baum gelehnt. „Der Ehemann hatte ein Problem mit der Spielsucht. Sie war schwanger mit ihrem ersten Kind und hielt trotz allem zu ihm. Ich weiß, dass mein Vater angeboten hat, ihm eine Therapie zu zahlen, aber dem Mann fehlte die Einsicht in sein Problem. Irgendwann wurde es dann zu viel, und er hat seine Frau verlassen. Allein konnte sie die Raten für das Haus nicht mehr bezahlen und musste ausziehen.“

Gabe hörte das Mitgefühl in Chelseas Ton. Das war eine ganz neue Seite an ihr, die er bisher nicht kennengelernt hatte. Sie weckte den Wunsch, noch mehr von ihr zu erfahren.

„Sie hatte ihr eigenes Einkommen, aber sie schwanger zu sehen und ohne ein eigenes Zuhause, das war zu viel für mich.“ Chelsea lächelte leicht. „Es könnte also sein, dass ich mich in sein Konto gehackt und von dort Geld auf ihr Konto überwiesen habe …“

Gabe wusste wirklich nicht, was er dazu sagen sollte. Chelsea war einfach unglaublich. Sie kümmerte sich um andere und wollte jeden in ihrer Umgebung glücklich sehen. Aber niemals hätte er es für möglich gehalten, dass sie ihre Fähigkeiten auf diese Weise einsetzen würde.

„Aber wenn man dich erwischt hätte …“

Ihre Blicke trafen sich. „Damals fand ich, es sei das Risiko wert. Wenn ich jetzt zurücksehe, weiß ich, dass es nicht richtig war. Aber damals habe ich rein nach Gefühl gehandelt.“ Sie zuckte die Schultern. „Was sollte er schon tun? Zur Polizei gehen? Das meiste Geld hatte er illegal erworben. Ich hatte herausgefunden, dass er auf Hahnenkämpfe wettete. Ihm hätte sicher nichts daran gelegen, das publik zu machen.“

Chelseas Augen wurden feucht. „All das passierte in der Zeit, als wir gerade Mom verloren hatten. Ich meine, sie ist nicht gestorben, sondern hat uns einfach verlassen, aber das Ergebnis war dasselbe, denn wir haben seither nichts mehr von ihr gehört oder gesehen. Daher kannte ich das Gefühl, wenn man verlassen wird. Ich habe es einfach nicht ertragen, Gabe.“

Wieso musste sie so verletzlich sein? Er hatte sich vorgenommen, die Finger von ihr zu lassen, als er sie auf ihrer Stute entdeckte, aber die Trauer, die bei ihren Worten durchschimmerte, ließ ihn unwillkürlich zu ihr treten.

„Du solltest mich nicht anrühren“, warnte sie. „Ich bin sowieso schon aufgewühlt, und wenn du mich anfasst …“

Ihre Worte waren kaum vernehmbar, so leise sprach sie, und er sah Tränen in ihren Augen.

„Dies ist ein rein freundschaftlicher Trost“, erklärte er, während er die Arme um sie legte.

Sie schmiegte sich an ihn. „Wir sind keine Freunde“, sagte sie dabei.

Lächelnd stützte er sein Kinn auf ihren Kopf. „Vielleicht nicht, aber wir sind irgendetwas. Ich glaube, dafür gibt es noch keinen Namen.“

Als sie einfach nur schwieg, nahm Gabe an, dass sie einen Moment brauchte, um sich zu sammeln, und er war nur zu gern bereit, ihn ihr zu gewähren. Auch wenn es ihn danach drängte, sie in sein Bett zu bekommen – er konnte geduldig sein. Chelsea würde das Warten wert sein.

Der Kern seines Jobs bestand darin, Geduld zu haben. Und sie war ihm so viel wichtiger als jeder Job. Verdammt! Wann war es dazu gekommen?

Chelsea sah zu ihm auf. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir vertrauen kann.“

Gabe schob ihr das Haar zurück und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. „Du wirst mir vertrauen, glaub mir.“

„Bist du immer so arrogant?“

Gabe lächelte. Ihr Ton war locker, aber die Frage durchaus ernst gemeint. „Nicht arrogant, nur selbstsicher“, korrigierte er sie. „Ich weiß, dass ich nichts Falsches getan habe, was dich betrifft, und irgendwann wirst du das auch so sehen.“

Ihr Blick glitt zu seinen Lippen. Er wusste, dass soeben ein weiterer Teil der Mauer gefallen war, mit der sie sich umgab. Unwillkürlich senkte er den Kopf. „Willst du mich stoppen?“, flüsterte er.

„Noch nicht.“

Kaum hatte er seine Lippen auf ihre gedrückt, spürte er, wie sie dahinschmolz. Anders ließ es sich nicht beschreiben, wie sie einfach jeden Widerstand aufgab und ihm die Führung überließ. Aber er war nicht naiv. Chelsea hatte das letzte Wort. Sosehr er sie begehrte und sie am liebsten gleich hier an diesem Baum genommen hätte, letztlich musste sie ihm grünes Licht geben.

Gabe hatte eine Hand auf ihre Hüfte gelegt und ließ die andere durch ihr Haar gleiten, während er den Kopf leicht bewegte, um den Kuss zu verlängern. Er konnte nicht genug von ihr bekommen. Wollte immer noch mehr.

Sie stöhnte leise. Gabe ließ seine Lippen über ihr Kinn und an ihrem Hals hinuntergleiten. Der Ausschnitt ihres Tanktops verlockte ihn. So viel entblößte Haut zu entdecken – und immer noch nicht genug. Aber er musste behutsam vorgehen. Chelsea war nicht irgendeine Frau. Ihre Beziehung war ausgesprochen heikel.

„Gabe, bitte …“

Er registrierte ihre geröteten Wangen. Er konnte sie jetzt nicht hängen lassen. Schließlich war er ein Gentleman, und als solcher wollte er ihr jeden Wunsch erfüllen. „Du brauchst kein zweites Mal zu bitten.“

Er schob die Hand unter ihr Tanktop, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sollte sie auch nur den Anflug eines Zögerns zeigen, würde er sofort aufhören. Aber danach zu urteilen, wie sie sich auf die Unterlippe biss und die Augen geschlossen hielt, machte er alles richtig.

Er öffnete den Verschluss ihrer Jeans und spürte dabei, wie sie sich ihm entgegen hob. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass sie allein waren. Die Pferde boten ebenso Sichtschutz wie die große Zypresse.

Gabe schob seine Hand unter ihr Höschen. Er stützte den Arm neben ihrem Kopf ab und berührte sie an ihrer empfindlichsten Stelle. Ihren Aufschrei erstickte er mit einem Kuss.

Ja. Endlich! Er hatte sich so danach gesehnt zu erleben, wie sie kam. Hatte es sich ausgemalt. Und nun war sie nur noch Sekunden davon entfernt. Er wollte es nicht nur spüren, er wollte es schmecken.

Chelseas Fingerspitzen drückten sich in seine Schultern, als sie sich an ihn presste. Dann explodierte sie. Anders ließ es sich nicht beschreiben. Sie löste sich aus seinem Kuss und legte den Kopf zurück, die Lippen zu einem perfekten O geformt.

Chelsea Hunt ließ sich endlich einmal gehen und ergab sich ihrem Verlangen. Es war das Erotischste, was er je gesehen hatte. Er wollte, er könnte sie für immer so haben, aber er schob den Gedanken rasch beiseite. Für immer war nicht für ihn.

Als sie langsam wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte und das Beben ihres Körpers nachließ, wusste Gabe, dass er sie in seinem Bett haben musste. Seine Erregung war kaum noch zu ertragen, aber er musste warten. Im Moment ging es allein um Chelsea und ihre Bedürfnisse.

Zuallererst ging es ihm darum, ihr klarzumachen, dass er ihr nie schaden würde und nie etwas getan hatte, das sie verletzen könnte oder das ihren Ruf geschädigt hätte.

Die Pferde hinter ihnen bewegten sich. Gabe wollte Chelsea noch einmal küssen, aber sie schob ihn von sich, indem sie gegen seine Schultern drückte. Ihre Blicke trafen sich. Er sah einen Ausdruck des Bedauerns in ihrem. Rasch trat er zurück und gab ihr die Gelegenheit, ihre Kleidung wieder zu ordnen.

„Ich werde mich nicht entschuldigen.“

Sie hielt ein in der Bewegung, den Reißverschluss zu schließen. „Ich habe dich nicht darum gebeten.“

„Du bist wütend.“

„Auf mich selbst, nicht auf dich.“

Immerhin. Aber er wollte nicht, dass sie überhaupt wütend war, ganz gleich, auf wen. „Bist du aufgebracht, weil du dich deinem Verlangen hingegeben hast oder weil du mich hasst?“

Sie schob sich das Haar zurück. „Ich hasse dich nicht. Es ist nur nicht meine Gewohnheit, mich mit jemandem einzulassen, mit dem ich noch nicht alles geklärt habe.“

Wortlos wandte er sich ab und ging zu seinem Hengst.

„Hast du darauf nichts zu sagen?“, rief sie ihm nach.

Gabe band das Tier los, bevor er ihr einen Blick über die Schulter zuwarf. „Ich habe gerade erlebt, wie eine schöne Frau in meinen Armen gekommen ist. Mir ist jetzt nicht nach einem Streit. Ich möchte für dich da sein, Chelsea. Nicht, weil mein Onkel versucht hat, dich zu ruinieren. Dich und so viele andere. Ich möchte für dich da sein, weil ich nicht ignorieren kann, was zwischen uns ist oder was gerade passiert ist.“

Er schwang sich in den Sattel. „Kommst du mit, oder willst du allein zurückreiten?“

Chelseas Haut war immer noch gerötet. Sie war unglaublich sexy, als sie ihn so ansah. „Falls wir nicht noch etwas wegen der Hochzeit zu besprechen haben, sollten wir besser getrennt zurückkehren.“

Er hatte etwas in der Art erwartet, aber war dennoch frustriert. „Du kannst mich jetzt von dir stoßen, aber damit wirst du den Lauf der Dinge nicht aufhalten.“

Ein Donnergrollen ließ ihn zum Himmel sehen und dann zurück zu Chelsea. „Du solltest jetzt auch zurückreiten. Es zieht ein Unwetter auf.“

Chelsea ließ die Schlüssel auf den Tisch neben der Tür fallen und schob sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Das plötzlich hereingebrochene Gewitter passte zu ihrer Stimmung – es war heftig und ungestüm.

Ein Blitz zuckte über den Himmel und tauchte ihre Wohnung in ein gespenstisches Licht. Offensichtlich war der Strom ausgefallen, denn es war überall dunkel.

Super. Sie musste ihr Handy aufladen, und sie hätte jetzt gern ein heißes Bad genommen und die Welt vergessen … und das Kribbeln zwischen ihren Beinen. Sosehr sie auch versuchte, zu ignorieren, was geschehen war, so wenig wollte es ihr gelingen. Gabe war unmöglich! Der Mann brachte ihren Körper zum Leben wie kein anderer vor ihm – und das, obwohl sie beide vollständig bekleidet gewesen waren. Ihr Körper brannte noch bei der Erinnerung an den Orgasmus, den er ihr verschafft hatte.

Chelsea nutzte den Rest ihrer Batterie, um sich mit dem Handy den Weg zum Schlafzimmer zu leuchten.

Zuerst hatte der Mann es in der Umkleidekabine versucht, und heute in der freien Natur. Er war der geborene Verführer, und sie hatte jeden Moment genossen.

Wieso musste er ein solches Chaos der Gefühle in ihr auslösen?

Alles drehte sich im Kreis und endete wieder bei Dusty. Bei Dusty und daran, wie sorgfältig er seine Fakten gesammelt und versucht hatte, damit Menschen aus der Stadt zu ruinieren. Ein Skandal nach dem anderen hatte Royal erschüttert. Chelsea war sich nicht sicher, ob sie sich von der Veröffentlichung ihrer Nacktfotos je erholen würde.

Es war demütigend, die Straße entlangzugehen und sich zu fragen, ob die Menschen um sie herum diese Fotos kannten.

Tränen traten ihr in die Augen. Mal wieder. Sie hatte schon viel zu viele Tränen vergossen, aus Frust, aus Schmerz und aus Zorn. Und sie hatte es alles im Stillen tun müssen, weil ihre beste Freundin sich die schönste Hochzeit des Jahres wünschte, und weil sie sie verdient hatte. Unter gar keinen Umständen wollte Chelsea ihr diesen Moment verderben.

Das Handy vibrierte in dem Moment, als sie ihr Schlafzimmer erreichte. Ein Blick auf das Display zeigte ihr, dass eine SMS von ihrem Bruder angekommen war. Sie hatte einen Anruf von ihm verpasst. Da ihr Akku bald leer war, beschloss sie, beides zu ignorieren.

Ihr stand ohnehin nicht der Sinn danach, mit Dan zu reden. Sie liebte ihn und seine Verlobte Erin, aber im Moment war ihr nur danach, ihren Pyjama anzuziehen und unter die Decke zu schlüpfen. Da der Strom ausgefallen war, konnte sie noch etwas in ihrem E-Book-Reader schmökern.

Aber als sie sich dann auf die Bettkante sinken ließ, konnte sie nur an eines denken: daran, was für Gefühle Gabe in ihr geweckt hatte. Der Mann war einfach unglaublich. Er hatte sich ganz auf sie konzentriert, und dann, als sie sich zur Wehr setzen wollte, weil sie nicht wusste, wohin mit ihren ganzen Gefühlen – da war er einfach gegangen. Man hätte es als feige bezeichnen können, aber sie sah es eher als Geste eines Gentlemans. Er hatte nicht alles noch komplizierter machen wollen, als es ohnehin schon war.

Entweder das, oder aber er hatte sie einfach nur verführen wollen, und das war’s.

Bedauerlicherweise hatte sie nicht das Gefühl, dass das der Fall war. Sie war überzeugt, dass er sie begehrte. Dass er ihr näherkommen wollte, und nicht nur wegen des Sex. Gabe galt schon immer als mysteriöser Mann, aber sie begann, in ihm so viel mehr zu sehen.

Autor

Jennifer La Brecque
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