Baccara Collection Band 448

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HEISSES SPIEL IN NEW ORLEANS von TORI CARRINGTON
Claude Lafitte ist einfach viel zu sexy! Vom ersten Augenblick an gerät FBI-Agentin Akela ungewollt in den erotischen Bann des Geschäftsmannes aus New Orleans. Dabei soll sie ihn des Mordes überführen – und sich nicht von ihm zu gefährlich heißen Spielen verleiten lassen!

UND IMMER NUR DAS EINE? von DONNA HILL
Sinnliche Nächte ohne jede Verpflichtung? Nach einer schweren Enttäuschung genau das Richtige für Starkoch Alonzo Grant! Bis er gegen jede Vernunft seiner schönen neuen Haushälterin Mikayla verfällt. Doch begehrt sie wirklich ihn – oder auch nur seine Berühmtheit?

EIN COWBOY FÜRS LEBEN von VICKI LEWIS THOMPSON
Eine eigene Familie zu gründen, ist Philomenas größter Wunsch. Ganz im Gegensatz zu Cowboy Damon, der nichts so liebt wie seine Freiheit und sich niemals häuslich niederlassen will. Dumm nur, dass sie Damons Sex-Appeal trotzdem nicht lange widerstehen kann …


  • Erscheinungstag 09.08.2022
  • Bandnummer 448
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508322
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tori Carrington, Donna Hill, Vicki Lewis Thompson

BACCARA COLLECTION BAND 448

TORI CARRINGTON

Heißes Spiel in New Orleans

Claude Lafitte liebt die Frauen – und die Frauen lieben ihn. Bis sein letzter One-Night-Stand in einem Hotel im French Quarter von New Orleans ermordet wird. Als FBI-Agentin Akela Brooks ihn verdächtigt, entführt er sie in sein Versteck in den Sümpfen. Natürlich nur, um sie von seiner Unschuld zu überzeugen! Aber warum prickelt es dann so heiß zwischen ihnen?

DONNA HILL

Und immer nur das Eine?

Die hübsche Mikayla geht nur als Haushälterin nach Holly-wood, um eine Filmrolle zu ergattern und sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Doch ehe sie sichs versieht, steckt sie mitten in einer leidenschaftlichen Affäre mit ihrem attraktiven neuen Boss Alonzo Grant! Aber während sie ungewollt ihr Herz an ihn verliert, wirft er ihr vor, sie habe ihn nur benutzt …

VICKI LEWIS THOMPSON

Ein Cowboy fürs Leben

Auch wenn Philomena ihn mit ihren blauen Augen, dem sexy Mund und der hinreißenden Figur mit jedem Tag mehr verzaubert, muss Damon sein Verlangen zügeln! Denn die hübsche Handwerkerin hat ihm gleich klargemacht, dass sie davon träumt, zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen. Damon hingegen will niemals sesshaft werden …

1. KAPITEL

Die Nacht in den Armen einer schönen Frau zu verbringen, war für Claude Lafitte der Himmel auf Erden.

Entspannt streckte er sich auf dem Bett mit dem altmodischen Eisengestell aus und betrachtete die neben ihm schlafende nackte Schönheit, die er am Abend zuvor kennengelernt hatte. Seine sonnengebräunte, auf ihrer Hüfte ruhende Hand bildete im diesigen Vormittagslicht einen interessanten Kontrast zu der lilienweißen Haut.

Im Morgengrauen hatte er überlegt, ob er sich aus dem Hotelzimmer stehlen sollte, das er im French Quarter von New Orleans angemietet hatte, oder ob er sich gebührend von seiner Bettgespielin verabschieden sollte.

Bewundernd ließ er den Blick über den anziehenden Körper und das blonde Haar gleiten, atmete genießerisch den sinnlichen Duft ein, der sie beide umhüllte.

Claire, so hatte sie sich ihm vorgestellt. Und er war Claude – jedenfalls für sie. Dem Personal war er mit vollem Namen bekannt, denn er nutzte das Hotel häufig, zog das schlichte Ambiente seinem eigenen Apartment vor. Ein Hotelzimmer eignete sich besser für seine unverbindlichen Abenteuer.

Frauen. Früher hatte es ihm großen Spaß gemacht, seine Eroberungen zu zählen. Inzwischen erfreute er sich nur ihrer Gesellschaft und genoss die verschiedenen Arten der erotischen Vergnügungen, die von Frau zu Frau variierten. Ob er mit einer Einheimischen zusammen war oder mit einer Touristin, jedes Mal entfloh er damit ein Stück weit seiner Realität.

Er floh?

Claude zog seine Hand zurück von Claires warmem Körper und fuhr sich übers Gesicht. Er hatte keinen Grund, vor irgendetwas zu flüchten. Sein Leben war großartig. Bald würde ihm Lafittes Bootsverleih und Tourveranstaltungen in Louisiana gehören. Es mussten nur noch einige bürokratische Hürden überwunden werden.

Finanziell würde er sich zunächst etwas einschränken müssen. Trotzdem ließ sich seine gegenwärtige Situation nicht mit der Armut vergleichen, in der er und sein Bruder Thierry aufgewachsen waren. Das Leben in den Bayous hätte so schön sein können, wenn sie nicht ständig der Hunger geplagt hätte.

Die Frau neben ihm seufzte wohlig im Schlaf und drehte sich auf die Seite, sodass Claude ihren Busen am Oberkörper spürte. Sanft strich Claude ihr eine weißblonde Strähne aus dem Gesicht. Claire lächelte im Schlaf und seufzte erneut.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war Sonntag, und er würde nirgends erwartet. Also könnte er die Zimmerreservierung noch um einige Stunden verlängern und Claire zum Frühstück Beignets und Café au Lait servieren.

Danach könnten sie dort weitermachen, wo sie vorhin aufgehört hatten …

Akela Brooks’ schlichter marineblauer Hosenanzug war zu warm für diesen Oktobermorgen im French Quarter.

Da sie ja jetzt zur FBI-Außenstelle in New Orleans versetzt worden war, brauchte sie leichte, luftdurchlässige Kleidung aus Baumwolle oder Leinen und eher Röcke als die von ihr bevorzugten Hosen. Auf andere Frauen hätte die Aussicht auf einen Einkaufsbummel möglicherweise wie ein Stimmungsaufheller gewirkt, doch Akela runzelte unwillig die Stirn. Das tat sie oft, seit sie am Freitag ihre erste Aufgabe in der Außenstelle übernommen hatte. Diese Aufgabe bestand in der Nachbereitung von Fällen, die eigentlich bereits abgeschlossen waren.

Nichts anderes hatte sie erwartet.

Sie hatte nicht um die Versetzung nach New Orleans gebeten, um ihre Karriere zu pushen, sondern um wieder bei ihrer Familie zu sein. Das war höchste Zeit. Nach vorn schauen, statt ständig in der Vergangenheit zu wühlen, war Akelas Motto.

Ihre flachen Absätze klapperten über den Bürgersteig der Bourbon Street, wo es viel zu sehen und zu riechen gab. Am frühen Sonntagmorgen, besser gesagt am Vormittag, immerhin war es bereits nach elf, waren nur wenige Menschen unterwegs. Trompetenklänge drangen aus einer Jazz-Bar zwei Häuser weiter.

An der Straßenecke wurde gefegt. Ein Wagen näherte sich. Zu dieser Tageszeit war der Durchgangsverkehr noch gestattet. Später beherrschten dann Touristenströme die Straße. In dem Wagen saß eine Familie, die wahrscheinlich zum Gottesdienst unterwegs war.

Akela zog den Blazer aus und legte ihn gefaltet über einen Arm, bevor sie die blütenweiße ärmellose Bluse glattzog. In New Orleans war sie zu Hause, allerdings nicht im French Quarter mit den vielen Jazz-Kneipen, in Strömen fließendem Alkohol und seiner ganzen Dekadenz. Die Familie Brooks stammte aus dem Garden District, wo sie noch immer ansässig war, und verließ dieses Viertel nur, um Wohltätigkeitsbälle in protzigen Hotels zu besuchen oder in die Oper, ins Museum oder auf eine Vernissage zu gehen.

Selbstverständlich war auch Akela gelegentlich im French Quarter unterwegs gewesen. Jeder Einwohner von New Orleans landete früher oder später mal hier. Ein Besuch war ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Sie war sechzehn gewesen. Es war gerade Mardi Gras, und sie hatte zu viel getrunken. Jedenfalls wachte sie auf der Veranda ihres Elternhauses auf, mit zahlreichen Glasperlenketten um den Hals und roten Smileys auf den Brüsten. Das „Kunstwerk“ entdeckte sie erst, als sie die Bluse auszog. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert, die Lippenstiftfarbe zu entfernen.

Seitdem hatte sie das French Quarter gemieden. Nicht so sehr wegen der Vorfälle in jener Nacht, sondern vielmehr, weil sie sich an nichts erinnern konnte, also offensichtlich die Kontrolle über sich verloren hatte. Das hatte ihr große Angst gemacht.

Sie war eigentlich keine Rebellin. Die Rebellion hatte sie sich aufgehoben, bis sie zwanzig war, an der Tulane-Universität studierte und unbedingt in den Polizeidienst wollte.

Ihre klassenbewusste Mutter nahm ihr diesen Verstoß gegen die Familientradition bis heute übel. Für Patsy Brooks war das sogar noch schlimmer als Akelas gescheiterte Ehe mit einem Kollegen, aus der die inzwischen vierjährige Daisy hervorgegangen war.

Patsy vertrat die Meinung, es wäre ein Unding für ein Mitglied ihrer Gesellschaftsschicht, sich aus einem Impuls heraus beim FBI zu bewerben und mit einer Schusswaffe durch die Gegend zu laufen. Stattdessen wäre ein Jura- oder Medizinstudium angebracht gewesen. Bis zur Heirat hätte Akela ihren Beruf ausüben dürfen. Danach musste das Hauptgewicht auf Ehe und Familie liegen. Ein Engagement für wohltätige Zwecke wurde ebenfalls vorausgesetzt.

Diese unnachgiebige Einstellung ihrer Mutter hatte Akela dazu bewogen, ihren Beruf möglichst weit weg von New Orleans auszuüben – zunächst in Quantico, danach in Boston.

Sie war zurückgekehrt, weil sie glaubte, ihre Tochter sollte von liebevollen Familienmitgliedern umgeben sein. Dass sie selbst sich auch nach Liebe sehnte, stand auf einem anderen Blatt. Akela blieb mit dem Absatz zwischen zwei Pflastersteinen hängen und geriet ins Stolpern.

„Vorsicht, chère!“ Ein Mann fing sie im letzten Moment auf und verhinderte, dass sie sich den Fuß verstauchte.

Sie nahm die sonnengebräunte Hand auf ihrem Arm wahr und die freundlichen grünen Augen ihres Retters, in dem sie sofort den typischen Cajun erkannte – nicht nur wegen des beeindruckenden Körperbaus.

Sein anzügliches Grinsen, das Selbstbewusstsein, das er ausstrahlte, machten deutlich, wie sicher er sich war, dass seine Ritterlichkeit gut ankam. Schockiert bemerkte Akela das heftige Knistern zwischen ihnen. Ihr wurde heiß.

„Danke“, hauchte sie, plötzlich atemlos.

„Gern geschehen“, antwortete der Mann leise und setzte seinen Weg in die entgegengesetzte Richtung fort.

Akela sah ihm nach, dem Mann im engen schwarzen T-Shirt, das die muskulösen Oberarme kaum verbarg. Der feste Po fiel ihr auf. Das dunkelblonde Haar war zerzaust, als wäre der Mann gerade erst aus dem Bett gestiegen.

Tief atmete sie die schwere, feuchte Luft ein und fühlte sich rastlos. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie sie nackt auf dem Bett lag und ein Mann wie dieser ihr sein Knie zwischen die Oberschenkel schob. Lag es an der schwülen Luft in New Orleans, die sie auf solche Gedanken brachte und Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern ließ? Ihre Kehle war trocken, das Herz schlug schneller.

Entschlossen wandte Akela sich um und machte sich auf den Weg zum Hotel Josephine. Das kleine Gebäude lag am Rande des French Quarter und hatte früher vermutlich als Bordell gedient.

Sie würde sich an New Orleans erst wieder gewöhnen müssen. In den vergangenen sechs Jahren hatte sie in Quantico und Boston gearbeitet. New Orleans war eine ganz andere Welt. Hier gingen die Uhren langsamer, vermutlich bedingt durch die hohe Luftfeuchtigkeit, die auf die menschliche Moral zu wirken schien. Eine gewisse lässige Dekadenz wurde hier nicht nur toleriert, sondern war ganz normal.

In Virginia und New England erwartete eine Frau, zum Abendessen ausgeführt zu werden. Sex zum Nachtisch stand nicht automatisch auf dem Menü. Aber wenn ein Mann vom Schlage ihres Retters eben in New Orleans eine Frau um ein Date bat, wollte er wissen, ob sie Sex mit ihm haben wollte. Essen oder andere Vergnügungen waren Extras.

Im French Quarter stand heißer Sex mit mehreren Orgasmen auf dem Menü.

Zum ersten Mal seit langer Zeit fand Akela die Vorstellung, sich den natürlichen Instinkten ihres Körpers hinzugeben, wieder anregend. Mehr als das. Sie sehnte sich förmlich danach, die Hände eines Mannes auf ihrem nackten Körper zu spüren, die sie überall streichelten, sinnliche Gefühle in ihr wachriefen, die sie sich zu lange versagt hatte.

Jetzt stand sie vor den hohen schmalen, blau lackierten Flügeltüren des Hotels Josephine und vergegenwärtigte sich, wie öde und farblos ihr Leben in New England gewesen war.

Ein Pärchen schlenderte durch den Hoteleingang. Die Frau trug ein aufreizendes Slipkleid und hatte sich eng an ihren Partner geschmiegt. Fasziniert beobachtete Akela die beiden, die vollkommen ungezwungen mit ihren Gefühlen füreinander umgingen.

Sie schlüpfte wieder in ihren Blazer, als sie ihnen in die geräumige Hotellobby folgte, hinter der sich ein üppig bepflanzter Innenhof erstreckte. Sie dachte, dass ein neuer Farbanstrich und eine gründliche Reinigung hier Wunder wirken könnten. Aber den Hotelgästen war die im Hotel vorherrschende Atmosphäre wohl durchaus recht so, wie sie war. Das Flair heimlicher Affären und leidenschaftlicher Begegnungen lag in der Luft.

Akela ging zum Empfang und zeigte der hübschen Rezeptionistin, die sich lässig Luft zufächelte, den Dienstausweis. Der surrende Deckenventilator konnte nichts gegen die schwüle Hitze ausrichten.

„Agent Brooks, FBI.“ Sie klappte den Dienstausweis wieder zusammen und steckte ihn in die Blazertasche. „Ich hätte gern Pierre Deville gesprochen.“

Das trug ihr einen eher desinteressierten Blick ein, als gingen FBI-Agenten hier ein und aus.

„Zimmer 28.“

„Danke.“ Sie erklomm die geschwungene Treppe zwischen den beiden schmiedeeisernen Handläufen. Ein schriller Schrei ließ sie erschrocken verharren. Es war der Angstschrei einer Frau. Nach einer Schrecksekunde rannte Akela die Stufen hoch, griff gleichzeitig nach ihrer Pistole, entsicherte sie und erreichte die zweite Etage.

Dort traf sie auf ein Zimmermädchen mit frischer Bettwäsche in den Händen. Die junge Frau stand mit starrem Blick vor einer offenen Zimmertür.

„FBI“, sagte Akela. „Machen Sie Platz!“

Da die Frau sich nicht rührte, schob Akela sie zur Seite und warf einen Blick ins Zimmer. Sie entdeckte eine auf einem Doppelbett liegende Frau, deren starrer Blick auf die Zimmerdecke gerichtet war. Ihre Kehle war durchtrennt.

Beignets und Café au Lait – das Frühstück der Champions.

In einer Hand die Gebäcktüte, in der anderen zwei Kaffeebecher schlenderte Claude die Bourbon Street hinauf, die langsam wieder belebter wurde. Vorhin hatten Musiker noch ihre Instrumente gestimmt. Jetzt spielten sie schon in den vollklimatisierten Klubs, um Touristen und Einheimische hereinzulocken.

„Bonjour, Claude.“

Im Vorübergehen grinste er der spärlich bekleideten Frau, die im Eingang eines angesagten Stripteaseklubs stand, zu und deutete einen militärischen Gruß an. „Guten Morgen, Janette. Du siehst heute besonders bezaubernd aus.“

Seine Mutter Olivie Lafitte hatte ihm und seinem Bruder eingeschärft, dass es sie nichts kostete, Komplimente zu machen, sie für die Empfängerin aber unbezahlbar sein konnten. Das war Claude in Fleisch und Blut übergegangen.

Janette lächelte erfreut. „Hoffentlich bringt mir das gute Trinkgelder ein.“

Er lachte. „Ganz bestimmt, ma chèrie.“

Claude kannte Chantal und ihre Mädchen. Manchmal brachte er Geschäftspartner in den Klub. Das Geld wurde dringend benötigt, um das Schulgeld für Janettes Tochter und die Studiengebühren für die jüngere Prostituierte aufzubringen.

Plötzlich erklang hinter ihm die Sirene eines Polizeiwagens, der heranraste und mit quietschenden Bremsen vor dem Hotel Josephine hielt.

Das konnte nichts Gutes bedeuten. Claude wollte nichts mit dem Arm des Gesetzes zu tun haben. Der Grund lag in seiner Vergangenheit. Als er dem Bayou mit vierzehn den Rücken gekehrt und jahrelang in New Orleans auf der Straße gelebt hatte, war er in Schwierigkeiten geraten. Nicht alle seine Aktivitäten waren legal gewesen.

Jedenfalls hatte man ihm mit neunzehn nach einem missglückten Deal ein Messer in den Rücken gerammt. Er wäre damals fast auf der Straße verblutet. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung. Der Richter stellte ihn vor die Wahl: entweder fünf Jahre Gefängnis oder Militärdienst.

Claude hatte sich fürs Militär entschieden.

Inzwischen lag das alles hinter ihm. Aber Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. Deshalb beschloss er, den Hintereingang zum Hotel Josephine zu benutzen. Er ging die Treppe hinauf zu dem Zimmer, das er noch bis zum Nachmittag gemietet hatte, blieb jedoch im Korridor stehen, als er bemerkte, dass die Zimmertür offen war und die Frau, die er vorhin auf der Straße vor einem Sturz bewahrt hatte, gerade eine Pistole in ihren Blazer steckte.

Claire …

Die Frau an der Tür wandte sich um und fing seinen Blick auf. Auch jetzt faszinierten ihn die grauen Augen, die sinnlichen Lippen. Ihre unterschwellige sexuelle Ausstrahlung stand in krassem Gegensatz zu dem streng geschnittenen Anzug und ihrer steifen Haltung.

Jetzt zückte sie wieder die Pistole und richtete sie mit beiden Händen auf ihn.

„FBI. Bleiben Sie stehen!“

Vielleicht war er paranoid. Aber Claude Lafitte vom Bayou Barataria in Jefferson dachte gar nicht daran, diesem Befehl Folge zu leisten.

Was als routinemäßige Nachbearbeitung begonnen hatte, verwandelte sich schnell in eine Gefahrensituation.

Akela zielte mit ihrer halbautomatischen 10-mm-Dienstwaffe auf den Mann, der gerade die Hintertreppe heraufgekommen war und zwei weiße Tüten in der Hand hielt.

Es handelte sich um den Mann, der sie vorhin vor einem Sturz bewahrt hatte. Diese Erkenntnis durchzuckte sie gleichzeitig mit der Befürchtung, er könnte sich aus dem Staub machen.

Sie war eine ausgezeichnete Schützin. Nicht zuletzt deshalb hatte sie das beste Examen ihres Jahrgangs abgelegt. Man stelle sich vor, eine junge Frau aus bestem Elternhaus konnte einer Ente aus knapp hundert Metern Entfernung die Schwanzfeder wegschießen, ohne dass diese wusste, wie ihr geschah.

Aus dieser kurzen Distanz würde ein Schuss genügen, um den Mann außer Gefecht zu setzen. Das FBI akzeptierte diese Vorgehensweise, insbesondere nach den Terrorangriffen. Aber Akela befürchtete, die Polizeidirektion von New Orleans würde es nicht so gern sehen, wenn sie einem ihrer Tatverdächtigen eine Bleikugel verpasste.

Es war reiner Zufall, dass sie gerade am Tatort war. Die Zuständigkeit in dem Mordfall lag jedoch bei der Polizeidirektion von New Orleans, die auch gegen den Tatverdächtigen ermitteln würde, auf den sie gerade zielte.

Zweifellos war dieser Claude Lafitte tatverdächtig. Laut Empfangsdame hatte er die Zimmerreservierung um einige Stunden verlängert, und die Hotelgäste der anderen drei Zimmer auf dieser Etage hatten bereits ausgecheckt.

Akela hörte Schritte auf der Treppe hinter sich, wandte kurz den Kopf und sah zwei Polizisten mit gezogenen Pistolen in den Korridor laufen.

Diese kurze Ablenkung hatte der Tatverdächtige zur Flucht genutzt. Nur die weißen Tüten auf dem Treppenabsatz erinnerten an ihn.

„Verdammt!“ Sie ließ die Waffe sinken und rannte dem Mann nach. „Stehenbleiben, oder ich schieße“, rief sie ihm nach. Im Sturmlauf erreichte sie den Innenhof, rannte an Tischen und Bäumchen vorbei und platzte durch die offenen Verandaflügeltüren in die Lobby.

Einer der Polizisten war die andere Treppe hinuntergelaufen und erreichte die Hotelhalle zur gleichen Zeit wie Akela.

Die schüttelte den Kopf, um dem Kollegen zu zeigen, dass sie nicht wusste, wo der Tatverdächtige geblieben war. Im nächsten Moment wurde sie von hinten umarmt und an eine muskulöse Männerbrust gedrückt.

„So seht man sich wieder, chère“, flüsterte der Tatverdächtige ihr ins Ohr, presste sie noch fester an sich und zog ihr die Waffe aus der Hand.

Das war ihr in den sechs bisherigen Dienstjahren noch nie passiert.

Vorhin hatte ihr Herz vor Erregung schneller geschlagen. Jetzt brachte reines Adrenalin es fast zum Zerspringen. Verzweifelt versuchte sie, ihm auf den Spann zu treten und den Ellenbogen in den Solarplexus zu rammen. Doch Claude Lafitte wich diesem Standardangriff geschickt aus. Seine Stärke vereitelte jeden weiteren Versuch, sich von ihm loszureißen.

Er spannte den Hahn und drückte ihr den Pistolenlauf an die Schläfe.

Am meisten fürchte ich mich davor, mit meiner eigenen Dienstwaffe erschossen zu werden.

Siedend heiß fielen Akela die Worte ihres Waffentrainers am ersten Tag an der FBI-Akademie ein. Erst jetzt konnte sie diese Aussage nachvollziehen.

Lafitte musterte den Polizisten und dessen soeben dazugekommenen Kollegen warnend. „Nein, nein, nein! Das lassen Sie lieber.“

Akela bemerkte, dass er sie in Richtung Eingangstür stupste.

„Geiselnahmen gehen für den Geiselnehmer nie gut aus“, zischte sie Lafitte in eisigem Tonfall zu, während sie ihm die Fingernägel in den Arm krallte.

Sie spürte seinen warmen Atem am Ohr. „Für die Geisel wahrscheinlich auch nicht. Ich schlage also vor, dass Sie sich benehmen.“

„Zurück!“ Dieser Befehl galt den Polizisten.

FBI-Agenten hätten längst kurzen Prozess gemacht und auf Lafitte geschossen, auch wenn sie dadurch das Leben der Geisel gefährdet hätten.

„Zurück, habe ich gesagt.“ Die Waffe richtete sich nun auf die beiden Polizisten.

„Hör auf, Claude!“ Die Empfangsdame, die sich hinter dem Tresen verschanzt hatte, riskierte einen schnellen Blick.

„Sei still, Josie“, rief er ihr zu.

Diese kurze Ablenkung machte Akela sich sofort zunutze. Sie riss sich los und wollte ihm die Waffe aus der Hand schlagen. Blitzschnell umfasste er ihre rechte Hand, verdrehte sie und zwang Akela vor Schmerz in die Knie. Sie war sicher, dass er ihr das Handgelenk gebrochen hatte.

„Waffen runter!“, befahl Lafitte. „Nimm sie ihnen ab, Josie!“

„Ganz sicher nicht“, zischte sie.

Also richtete er die Waffe auf den Tresen und schoss. Der Knall hallte von der hohen Zimmerdecke wider, als die Kugel die Seitenverkleidung des Empfangstresens zersplitterte.

Verstört tat Josie, wie ihr geheißen.

Lafitte zog Akela hoch. Sie war ihm so nahe, dass sie blaue Punkte in seinen grünen Augen entdeckte, von seiner Körperwärme umfangen wurde und ihre Brustwarzen gegen seine Brust gepresst wurden.

„Sie kommen mit“, sagte er. „Es wäre besser, wenn Sie keinen Widerstand leisten.“

„Besser für wen?“

Er grinste.

Akela stockte der Atem.

Im nächsten Moment schob Lafitte sie bereits hinaus auf die Straße. Er musste das French Quarter wie seine Westentasche kennen, denn es ging durch Klubs, Bars und Stripteaselokale, bis Akela befürchtete, ohne Stadtplan nicht mehr zurückzufinden.

Innerhalb weniger Minuten standen sie hinter einem großen Buick. Lafitte nahm sie in den Würgegriff, schloss den Kofferraum auf, drehte Akela dann die Arme hinter den Rücken. Die kickte hinter sich und traf ein Knie, schoss dann vorwärts, kämpfte sich aus dem Griff und war frei. Sie kam kaum einen Meter weit, dann hatte er sie wieder gepackt.

Akela holte tief Luft.

„Ich will Ihnen nicht wehtun“, sagte er, als er sie an den Haaren festhielt und ein Handgelenk mit festem Klebeband umwickelte.

„Warum tun Sie es dann?“

„Weil Sie mich dazu zwingen.“

„Was erwarten Sie denn von einer FBI-Agentin? Dass sie Ihnen willig folgt?“

„Das würde die Sache um einiges leichter machen.“

Jetzt grinst er wieder, dachte Akela.

Er ließ ihre Haare los, umwickelte auch das andere Handgelenk mit Klebeband, bevor er beide Gelenke hinterm Rücken zusammenband.

Wieder versuchte Akela, sich loszureißen. „Sie sind frei. Jetzt brauchen Sie mich doch nicht mehr.“

„Vielleicht haben Sie recht“, sagte er nachdenklich hinter ihr.

Sie wirbelte herum, um ihn zu konfrontieren. Feuchte Strähnen klebten ihr an einer Wange. „Dann lassen Sie mich gehen.“

„Vielleicht sind Sie aber auch meine Garantie, aus der Stadt zu kommen.“ Mit einem Arm hielt er ihre Beine fest, mit der anderen Hand umwickelte er die Fußgelenke mit Klebeband, bevor er den Kofferraumdeckel anhob und sie behutsamer, als sie es für möglich gehalten hatte, dort hineinlegte. Bevor er den Deckel zuklappte, fragte er: „Claire … ist sie …?“

Akela musterte ihn kurz. Das Opfer hieß Claire Laraway.

Er wollte doch wohl nicht fragen, ob sie tot war, oder? Schließlich hatte er sie doch umgebracht.

„Eins kann ich Ihnen sagen, sowie die Pistole wieder in meiner Hand ist, stelle ich die Fragen.“

Wortlos biss er mit seinen weißen ebenmäßigen Zähnen ein weiteres Stück Klebeband ab. „Wir haben schon viel zu viel geredet“, befand er, klebte ihr den Mund zu und ließ den Kofferraumdeckel einschnappen.

Aufs Äußerste angespannt fuhr Claude durch die engen Straßen der Stadt. Der Wagen war sauber und lief über die Firma, die ihm und seinem Bruder gehörte, konnte also nicht ihm persönlich zugeschrieben werden.

Er bremste vor einem Stoppschild und sah zu, wie ein Polizeiwagen langsam auf der Vorfahrtsstraße vor ihm entlangfuhr. Inzwischen wurde vermutlich schon nach ihm gefahndet, und jeder Polizeiwagen war mit einem Computerbildschirm ausgestattet, auf dem sein Konterfei abrufbar war.

Suchend tastete er hinter dem Sitz den Boden ab und griff nach einer Baseballkappe der Louisiana State University, schob sich das mittellange Haar zurück und setzte die Kappe auf. Dann schaltete er das Radio ein. Es war auf einen Sender mit fetziger Südstaaten-Musik vorprogrammiert. Er stellte die Musik lauter, um die Tritte der hübschen Agentin gegen den Kofferraumdeckel zu übertönen, aber auch, weil er möglichst lässig auf die Außenwelt wirken wollte.

Claire war also tot. Man musste kein Genie sein, um zu diesem Schluss zu kommen. Als er vorhin das Zimmer verlassen hatte, hatte sie verschlafen, aber frech gelächelt, ein Kopfkissen zwischen den nackten Brüsten, einen rosigen Schimmer auf der Haut. Nun war diese lebenshungrige Frau tot. Eine unerträgliche Vorstellung. Zumal er ja nur kurz aus dem Zimmer geschlichen war, um Frühstück zu besorgen und die Reservierung um einige Stunden zu verlängern.

Statt sich nach dem Frühstück weiter mit Claire zu vergnügen, fand er eine andere schöne Frau vor, die mit einer Pistole auf ihn zielte.

Seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad.

„Eines Tages wirst du die Strafe für deinen Lebenswandel kassieren, Jean-Claude“, hatte sein Bruder Thierry ihn vor zwei Jahren gewarnt, nachdem er Brigitte geheiratet hatte und Claude sich mit der ausgesprochen willigen Brautjungfer amüsiert hatte.

„Du wachst eines Morgens auf, weil ein eifersüchtiger Ehemann oder ein ausrangierter Liebhaber dir den Pistolenlauf auf die Stirn drückt. Was tust du dann?“

Damals hatte er seinen Bruder ausgelacht, denn der war auch nicht anders gewesen als er selbst, bevor er Brigitte kennengelernt hatte.

Claude fuhr sich übers Gesicht, als ihm Thierrys Prophezeiung einfiel.

Einige Minuten später fuhr er die Rampe zum Highway 10 hoch. Instinktiv war er in Richtung der Bayous geflüchtet. Hier konnte man untertauchen, wie die Alligatoren in der Sumpflandschaft.

Wieder ein Tritt gegen den Kofferraumdeckel.

Claude stellte die Musik noch lauter und fuhr nach Hause, wo er sich sicher fühlte. Was mit der Frau geschehen sollte, würde er entscheiden, wenn es soweit war.

2. KAPITEL

Verzweifelt kämpfte Akela gegen drohende Wadenkrämpfe an und versuchte, die Fesseln zu lockern. Wütend kickte sie dann wieder gegen die Rückbank des Buick. Wenigstens bot ihr der geräumige Kofferraum etwas Bewegungsfreiheit.

Sie mussten jetzt ungefähr eine halbe Stunde unterwegs gewesen sein. Allerdings litt unter den gegebenen Umständen das Zeitgefühl. Fünf Minuten erschienen einem eher wie eine Stunde – ein Beweis für Einsteins Relativitätstheorie.

Nach etwa zehnminütiger Fahrt hatte sie bemerkt, wie der Wagen eine Steigung nahm. Fuhr er auf die Brücke über der Canal Street? Auf einen Damm? Auf eine andere Brücke? Schwer zu sagen.

Akela tastete nach ihrem Handy. Es war ihr gelungen, es aus der Blazertasche zu ziehen. Das Display konnte sie nicht lesen, hatte aber die Notruftaste gedrückt. Wegen des Klebestreifens über dem Mund hatte sie sich jedoch nicht melden können, als sich der Diensthabende meldete. Für Handys gab es noch keine Anrufer-ID. Also hätte sie sich die Mühe auch sparen können.

Die Fahrt verlangsamte sich. Akela gelang es, das Handy wieder in die rechte Tasche zu stecken. Es könnte ihre Rettung sein. Claude Lafitte durfte es auf keinen Fall an sich nehmen.

Zum Glück hatte er vor etwa einer Viertelstunde wenigstens die Musik leiser gestellt. Das Dröhnen der Zydeco-Klänge war für ihre Ohren unerträglich gewesen. Hoffentlich hatte ihr Gehör keinen dauerhaften Schaden genommen. Sie wusste, warum er die Lautsprecher derart aufgedreht hatte: Um den Lärm zu übertönen, den sie mit den Tritten gegen den Kofferraumdeckel machte.

Der Wagen holperte. Vermutlich war er in ein Schlagloch geraten. Akela lauschte angestrengt. Kieselsteine schlugen gegen das Fahrgestell. Also befanden sie sich jetzt auf einem unbefestigten Weg. Akela wurde ordentlich durchgeschüttelt, als es erneut durch ein Schlagloch ging.

Wohin bringt er mich? Sie überlegte fieberhaft. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Wenn Claude Lafitte Claire Laraway getötet hatte, welche Pläne hatte er dann mit ihr?

Es hatte auch in Louisiana schon einige Serienmörder gegeben. Russell Ellwood war 1998 verhaftet worden, weil er verdächtigt wurde, sechsundzwanzig Menschen innerhalb von acht Jahren getötet zu haben. Einige Jahre später wurde dann der sogenannte Bayou-Mörder gefasst, der mindestens sieben junge Frauen auf dem Gewissen haben sollte.

Schließlich hielt der Wagen an. Erleichtert ließ Akela sich auf den dünnen Teppichboden des Kofferraums sacken, spannte sich aber sofort wieder an, als der Deckel geöffnet wurde und sie von grellem Sonnenschein geblendet wurde.

„Ich hoffe, es war nicht zu unbequem.“

Mühsam richtete sie sich auf. Lafitte hob sie aus dem Kofferraum und hielt sie fest, damit sie nicht zu Boden fiel.

Aus leicht zusammengekniffenen Augen sah Akela sich um und entdeckte hohe Zypressen und Eichen, Louisianamoos und Kudzu inmitten einer Sumpflandschaft.

Zikaden zirpten laut, und in einiger Entfernung tauchte ein schweres Tier plätschernd ins Wasser.

Offensichtlich hatte Lafitte sie zu einem der Bayous gebracht, die New Orleans umgaben. Aber zu welchem? Lag der Mississippi näher oder der Golf von Mexiko? Wohnten hier viele Menschen, oder wurde die Gegend überwiegend von Alligatoren bevölkert?

„Wo sind wir?“, versuchte sie zu sagen, als er den Kofferraum zuklappte. Wegen des Klebebands auf dem Mund war kein Wort zu verstehen. Nun sah sie Lafitte an. Der versuchte offensichtlich einzuschätzen, was sie vorhatte, seufzte und lud sie sich wie einen Mehlsack über die Schulter.

„Wir unterhalten uns später.“

Später? Akela war geschockt. Normalerweise wurde die Geisel freigelassen, wenn sie nicht mehr gebraucht wurde.

Warum hielt Claude Lafitte sie weiterhin fest? Was hatte er mit ihr vor?

Für einen so großen Mann war er erstaunlich behutsam. Akela betrachtete sein scharfgeschnittenes Profil. Dunkelblondes Haar hing ihm in die breite Stirn. Seine Gesichtszüge waren zu kantig, um schön zu sein. Doch die sinnlichen Lippen und die ausdrucksvollen grünen Augen hatten etwas. Auf dem linken Oberarm entdeckte sie eine Tätowierung. Eine grüne Schlange?

Er fing ihren Blick auf. „Wir sind gleich da“, versicherte er ihr grinsend.

Wo? Sie verkniff sich die Frage, blickte sich stattdessen weiter um. Da sie aus New Orleans stammte, wusste sie, dass die Stadt von einer Sumpflandschaft umgeben war, hatte sich aber nie die Mühe gemacht, sie näher zu erforschen. Sie zog eine gut klimatisierte Umgebung vor. In den Sümpfen war es zu heiß und zu feucht, und das Klima setzte ihr bereits nach wenigen Metern zu.

Jetzt erklomm Lafitte eine Holztreppe.

Der kleine, unscheinbare Holzbungalow stand auf Stelzen, die das Haus vor Überschwemmungen schützen sollten, und hätte einen Farbanstrich vertragen können.

Akela sah auf, als über ihr ein Raubvogel schrie. Wahrscheinlich hoffte er, Lafittes Last wäre seine nächste Mahlzeit.

Behutsam ließ Lafitte sie zu Boden. Nun stand sie auf der Holzveranda und blinzelte ängstlich, als ihr Geiselnehmer ein Messer zückte, die Klinge springen ließ, sich bückte und das Klebeband um ihre Fußgelenke durchtrennte. Akela hatte Mühe, ihre Erleichterung zu verbergen.

Lafitte sah sie forschend an. „Was ist los? Dachten Sie, ich hätte etwas anderes mit dem Messer vor?“

Sie wollte antworten, doch das Klebeband auf dem Mund hinderte sie daran.

Er lehnte sich vor, betrachtete das Klebeband, schaute ihr dann in die Augen. Sein anzüglicher Blick nahm ihr den Atem.

„Niemand wird dich hier hören, mein Püppchen“, murmelte er leise.

Sie erstarrte, als er seine Nase flüchtig an ihrer rieb. Die federleichte, aber sehr erotische Berührung entfachte ein loderndes Feuer in Akelas Körper.

„Trotzdem kommt das Klebeband wieder auf deinen Mund, wenn ich etwas anderes von dir höre, als Worte der Unterhaltung oder Freude.“

Freude?

Sie hätte sich fast verschluckt, als er ihr langsam das Klebeband von den empfindsamen Lippen zog. Sie spürte ein Ziehen in den Brüsten, ihr Körper spielte verrückt.

„So ist es gut“, lobte er, als sie nicht gleich anfing zu schreien.

Sie drehte sich um. „Was ist mit meinen Händen?“

Abschätzend wiegte er den Kopf. „Die bleiben erst mal gefesselt.“

Beim FBI hatte sie gelernt, wie sie trotz im Rücken gefesselter Hände manövrieren konnte. Allerdings saß das Klebeband sehr fest. Natürlich konnte sie versuchen zu fliehen, doch in diesem Terrain würde sie nicht weit kommen.

Er drehte sie zu sich herum, hielt ihren Blick fest und umfasste ihre Schultern. Akela hätte schwören können, durch den dicken Blazerstoff hindurch die Wärme seines Körpers zu spüren. Als er die Finger den Hals hinaufgleiten ließ und mit den Daumen nach ihrem Puls fühlte, musste Akela schlucken. Sie meinte, ein Lächeln und noch etwas anderes in seinen Augen wahrzunehmen und erschauerte, als er über ihre Arme strich.

Im nächsten Moment schob er die Hände unter ihren Blazer. Sie keuchte.

„Halt still“, sagte er ruhig.

Das fiel ihr jedoch schwer bei der intimen Berührung. Das Herz schlug nicht vor Angst schneller, sondern vor Erregung, die gleich darauf durch ihren Körper pulsierte.

Lafitte zog den Dienstausweis aus der inneren Brusttasche. Sofort machte sich Ernüchterung in Akela breit. Der erotische Zauber, mit dem er sie vorübergehend in seinen Bann gezogen hatte, verflog. Als Nächstes nahm er ihr in der rechten Außentasche steckendes Handy heraus. Dann klappte er den Dienstausweis auf und verglich das Foto mit ihr.

„Brooks, Akela. Du bist viel hübscher als auf dem Foto“, stellte er fest.

Frustriert wandte sie den Kopf ab, fühlte sich nackt ohne ihre Dienstausrüstung. Während ihrer verzweifelten Befreiungsversuche im Kofferraum hatte ihr Chignon gelitten. Strähnen klebten an ihrem feuchten Gesicht.

Er zog ihre Pistole aus seinem Hosenbund und verstaute sie mit dem Handy in einem offensichtlich leeren Wasserfass, das er sorgfältig verschloss. Den Dienstausweis behielt er bei sich. Zuvorkommend schob er ihr einen Holzstuhl hin. „Setz dich. Es ist ziemlich heiß hier.“

Akela rührte sich nicht vom Fleck. Schweigend beobachtete sie, wie er einen Schlüssel aus einer der herumstehenden Kaffeedosen zog und die Haustür aufschloss. Nach einem kurzen Blick auf Akela ging er ins Haus.

Sofort bewegte sie sich zur Treppe.

Bereits nach zwei Schritten zog Lafitte sie zurück und schubste sie rückwärts auf den Stuhl. „Strafe muss sein“, sagte er.

Ungehalten zog sie die Augenbrauen hoch. „Die Strafe haben doch wohl eher Sie verdient. Wer hat mich denn als Geisel genommen?“

Sein Lächeln verriet Humor. „Auch wieder wahr.“ Er versetzte ihr einen kleinen Nasenstüber und ließ den Blick auf ihren Lippen ruhen, die sich angeschwollen anfühlten. „Aber noch so ein Versuch, und ich muss drastischere Maßnahmen anwenden.“

Er verschwand im Haus, öffnete Fenster, schaltete Ventilatoren an. Akela nutzte die Zeit, um sich erneut umzusehen. Die Bayous vor dem Haus erstreckten sich über eine weite Fläche. Kein anderes Haus, kein Boot weit und breit. Sie lauschte angestrengt. Keine Motorengeräusche. Also waren sie auch weit entfernt von befahrenen Straßen.

Hinter ihr quietschte die Tür. Akela wandte sich um. Lafitte kam wieder auf die Veranda. Das T-Shirt hatte er ausgezogen und wischte sich damit den Schweiß von der Stirn. Der sonnengebräunte Mann hatte einen makellosen Waschbrettbauch und beeindruckende Bizepse. Unter der rechten Brustwarze verlief eine gezackte Narbe. Offensichtlich war die Wunde nicht richtig versorgt worden.

Er wandte sich um und tauchte das T-Shirt in ein mit Wasser gefülltes Fass. Dabei wurde Akela auf eine weitere Narbe auf dem Rücken aufmerksam, die sich bis zum Hosenbund der knappen Jeans erstreckte. Po und Schenkel waren perfekt geformt.

Die Tätowierung auf dem linken Bizeps stellte tatsächlich eine Schlange dar – das S in USMC, dem United States Marine Corps. Dann war Claude Lafitte wohl Scharfschütze bei der Marine gewesen. Deshalb kannte er sich so gut mit Waffen aus und wusste, wie man sich in brenzligen Situationen verhielt.

Nachdenklich schaute Akela in die andere Richtung. Wer war dieser Mann? Wieso fand sie ihn so attraktiv und fühlte sich gleichzeitig von ihm abgestoßen?

Der Ruf eines Eisvogels erklang über ihnen, als Lafitte das vollgesogene T-Shirt über seinem Kopf auswrang. Das Haar glänzte dunkler, Wassertropfen perlten von seinem Oberkörper.

„Musste sie leiden?“

Hatte sie die Frage richtig verstanden? Lafitte stand mit dem Rücken zu ihr und schöpfte sich Wasser ins Gesicht.

Erst als er ihr einen fragenden Blick über die Schulter zuwarf, reagierte sie. „Ich weiß es nicht.“ Sie räusperte sich. „Hat sie gelitten?“

Er erstarrte. Dann wandte er sich ihr zu. „Als ich das Zimmer verließ, war Claire noch sehr lebendig.“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Schmerz?

Schließlich wrang er das T-Shirt aus und hängte es übers Geländer. „Und glücklich“, fügte er leise hinzu.

Akela starrte auf seinen Waschbrettbauch und sah schnell weg, als Lafitte es bemerkte. Männer wie er zierten viele Buchumschläge. Ein Poster von ihm – so wild und schön, wie er jetzt inmitten der wilden Bayou-Landschaft aussah –, und die Frauen würden in Scharen in Louisiana einfallen und die Tourismusstatistik ordentlich pushen.

Sogar ihr fiel es schwer, seine unglaubliche erotische Ausstrahlung zu ignorieren, die sie schon bei der ersten Begegnung mit ihm in der Bourbon Street gespürt hatte, dieses heftige Prickeln, das eine gesunde Frau empfand, wenn sie auf einen potenten Mann traf.

„In welcher Beziehung standen Sie zu der Verstorbenen?“, fragte sie ruhig und machte den Fehler, ihn anzuschauen.

Er warf ihr einen anzüglichen Blick zu. „Das ist doch wohl offensichtlich.“

„Offensichtlich ist lediglich, dass Sie möglicherweise ihr Mörder sind.“

„Ich bringe doch keine Frauen um, mit denen ich Spaß habe“, erklärte er ruhig. Zu ruhig. „Aber ich sollte wohl erleichtert sein, dass Sie noch die Möglichkeit einräumen, ich wäre nicht der Killer gewesen.“

Akela verlagerte das Gewicht auf dem Stuhl. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

„Stimmt.“ Schweigend blickte er vor sich hin. Dann sah er auf und sagte ausdruckslos: „Meine Mutter hat mir Diskretion beigebracht.“

Natürlich ließ Akela nicht locker. „Langzeitbeziehung? Kurze Affäre?“

„Miss Claire und ich haben uns erst gestern Abend kennengelernt.“

Ja, nach dem zerwühlten Bett zu urteilen hatten sie sich ziemlich gut kennengelernt.

Er kam zu ihr herüber und blieb viel zu dicht vor ihr stehen.

Akela fiel es plötzlich schwer zu atmen.

„Zwischen mir und Claire ist es nicht so, wie Sie denken.“

Sie sah zu, wie er sich durchs Haar fuhr.

„Oder vielleicht doch. Ich weiß nur, dass ich ihr nichts angetan habe.“

Wortlos wandte Akela den Blick ab.

„Ihnen ist bestimmt warm.“ Er half ihr hoch. „Dann wollen wir Sie mal ausziehen.“

Akela Brooks war angespannter als eine Angelschnur. Das mochte daran liegen, dass sie nicht freiwillig hier war. Aber es war das erste Mal, dass Claude Furcht in den Augen einer Frau las. Und er bedauerte zutiefst, diese Emotion in ihr ausgelöst zu haben.

„Keine Angst, ich werde Sie nicht vernaschen, Agent Brooks. Sie sollen sich nur ein wenig abkühlen können.“ Behutsam drehte er sie um. Dabei fiel ihm auf, dass sie einen wirklich sexy Po hatte. Vorsichtig durchtrennte er das Klebeband um die Handgelenke und zog ihr den Blazer aus. Akela war durchtrainiert und hatte eine fantastische Figur – wie gemacht für sexuelle Freuden. Doch dessen war sie sich wahrscheinlich nicht einmal bewusst.

Claude stutze. Sexuelle Freuden hatten ihn in dieses Schlamassel gebracht.

Geschickt streifte er ihr die Bluse ab, die Anzughose folgte. Nun stand sie in einem schlichten weißen Hemdchen vor ihm, das sich um ihren Körper schmiegte. Automatisch ließ er die Fingerknöchel über Nacken und Rücken gleiten, bis sie erschauerte und er die Gänsehaut auf ihren Armen bemerkte. Claude verfluchte die Macht der Gewohnheit und hielt sofort inne.

„Kommen Sie.“ Er zog sie ins Haus und führte sie zum Doppelbett, das in einer Ecke stand. Das Haus hatte nur einen Raum. Sie sagte zwar nichts, doch ihre harten Nippel, die sich unter BH und Hemdchen abzeichneten, sprachen für sich. Und sie schluckte heftig. Es passierte ihr wohl eher selten, dass ihr das Heft des Handelns entrissen wurde.

Sie zögerte einen Moment, als er ihr bedeutete, sich aufs Bett zu setzen. Die Schenkel presste sie fest zusammen.

Claude ließ eine vom schmiedeisernen Kopfende baumelnde Handschelle um Akelas rechtes Handgelenk einschnappen.

Dieses Mal reagierte sie sofort. „Wieso wundert es mich nicht, dass Sie Handschellen bereithalten?“

„Ich kann sie aber auch mitgebracht haben, oder?“

Verlegen senkte sie den Kopf.

Amüsiert hob er ihr Kinn. Seine sonnengebräunte schwielige Hand lag auf ihrer makellos seidigen Haut. „Ich habe Sie nicht hergebracht, um Sie zu verführen, chère“, sagte er ruhig.

„Wozu dann?“

„Um Zeit zu gewinnen. Um zu verstehen, was passiert ist.“ Er wandte sich ab, als ihm der forschende Blick zu viel wurde, und griff nach einem Handtuch. „Ich bleibe in Rufnähe.“

„Ich muss mal ins Badezimmer.“

Er blieb stehen. „Kaum klicken die Handschellen, schon müssen Sie?“, fragte er ironisch.

„Darf ich nun ins Badezimmer oder nicht?“

„Nein.“ Er warf sich das Handtuch über die Schulter. „Ich bin gleich zurück.“

„Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?“

„Das hängt von der Perspektive ab.“ Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er das Bett quietschen und Akelas unterdrückten Fluch, als ihr klar wurde, dass sie sich nicht so schnell würde befreien können.

Erneut zerrte Akela an den Handschellen, gab sich dann geschlagen. Es schien sich um von der Polizei verwendete Handschellen zu handeln, aus denen man sich nicht ohne weiteres befreien konnte. Zudem war das Ding an einem schmiedeeisernen Bett befestigt, dessen Kopfteil fest mit der Wand verankert war. Solche Betten kannte sie bisher nur aus Motels und Hotels. Die Verankerung sollte verhindern, dass das Kopfteil beim wilden Sex nicht an die Wand knallte.

Sie schloss die Augen und lockerte ihre angespannte Nackenmuskulatur. Witzig, wie oft das Wort Sex in ihrem Kopf herumgeisterte, seit sie sich in Claude Lafittes Gesellschaft befand. Und das hatte nichts mit seiner sexuellen Beziehung zu einem Mordopfer zu tun. Es war frustrierend, dass sie sich zu einem Mann hingezogen fühlte, der nicht nur ein flüchtiger Straftäter war, sondern sie auch noch als Geisel genommen hatte.

Seltsamerweise fürchtete sie jedoch nicht um ihr Leben. Instinktiv spürte sie, dass Claude ihr nichts antun würde.

Sie war schon lange nicht mehr mit einem Mann zusammengewesen. Wahrscheinlich fühlte sie deshalb dieses heiße Prickeln in der Nähe des sexy Cajun. Doch das erklärte noch lange nicht alles.

Neugierig ließ sie den Blick durch den Raum gleiten. In einer Ecke entdeckte sie eine kleine Küchenzeile. Neben dem Bett befanden sich ein Schrank sowie ein Tisch und zwei Stühle. Auf der anderen Seite gab es einen Wohnbereich.

Durch das geöffnete Fenster hörte sie Wasser laufen. Lafitte stand unter einer Dusche, die durch eine Holzwand abgetrennt war. Akela sah nur seine strammen Waden und die Füße, den muskulösen Oberkörper, Hals und Kopf.

Wie gebannt beobachtete sie, wie er sich einseifte. Seifenblasen glitzerten auf seinem nackten Körper. Sonnenstrahlen brachen sich im feuchten Haar. Oh, Mann …

Schnell wandte sie sich ab und sah sich suchend nach einem Gegenstand um, mit dem sich die Handschelle aufschließen ließ. Das Holzhaus wurde offensichtlich von einem Mann bewohnt. Der ließ bestimmt keine Haarnadeln herumliegen. Nicht einmal eine Sonnenbrille entdeckte sie. Mit dem Bügel hätte sie das Schloss vielleicht knacken können. Meine Ohrringe! Sie prüfte die Ohrläppchen, musste jedoch feststellen, dass sie ihre Lieblingsstecker trug, und die waren zu kurz. Verdammt! Irgendetwas musste ihr einfallen.

Es gab kein Telefon, kein Fernsehgerät, keine Mikrowelle. Außer einem Transistorradio auf dem Küchentisch und dem Deckenventilator befand sich hier kein Elektrogerät.

Selbst der Kühlschrank wurde offenbar mit Gas betrieben, der Ventilator vermutlich von einem Generator. Also gab es hier keinen Anschluss ans Stromnetz. Das Haus lag also noch abgelegener, als sie zunächst vermutet hatte.

Die Tür quietschte. Lafitte kam herein – nur mit seiner Jeans bekleidet und einem Handtuch um den Hals geschlungen. Bei dem Anblick wurde Akela so heiß, dass die sich zwischen den Brüsten gebildeten Schweißtropfen den Bauch hinunterliefen.

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie leicht sie bekleidet war. Und Lafitte blieb es auch nicht verborgen, denn er sah sie begehrlich an.

Sie dachte schon, er würde seinem Verlangen nachgeben, doch stattdessen ging er zum Küchentisch hinüber und stellte das Radio an, bevor er einige Sachen zusammensuchte und wieder nach draußen verschwand.

Akela schmolz auf dem Bett vor sich hin. Einerseits beunruhigt über die animalische Anziehungskraft des Mannes, der sie hier gefangen hielt, andererseits frustriert, weil sie trotz ihrer Ausbildung keine Möglichkeit sah, sich zu befreien.

Zydeco-Klänge folgten Claude hinaus auf die Veranda, wo er seinen Bruder auf dem Handy anrief. Die Telefonistin stellte ihn sofort durch.

„Herrschaftszeiten, Jean-Claude! In was für Schwierigkeiten hast du dich denn jetzt wieder hineinmanövriert?“, fragte Thierry aufgebracht.

Claude hängte das nasse Handtuch neben dem T-Shirt übers Geländer. Er hatte gehofft, die Polizei hätte sich noch nicht an seinen Bruder gewandt und die Suche nach ihm langsam angehen lassen.

Er warf einen kurzen Blick ins Haus. Akela hatte den Hals gereckt. Offensichtlich versuchte sie zu lauschen.

„Hast du wirklich eine FBI-Agentin entführt?“

„Ja.“

„Mon Dieu.

Es beunruhigte Claude, dass sein Bruder ihn behandelte, als hätte er erst kürzlich in Schwierigkeiten gesteckt. Dabei war das bereits zehn Jahre her.

„Hör zu, Thierry, ich habe nicht angerufen, damit du mich ins Kreuzverhör nimmst, sondern weil ich die Nummer eines guten Anwalts brauche.“

„Hast du es getan?“

„Die Frau umgebracht?“ Claude fuhr sich durchs Gesicht. „So etwas traust du mir zu?“

Schweigen. „Nein.“

„Gut, besorg mir bitte die Nummer. Ich melde mich in zehn Minuten wieder.“

Er beendete den Anruf und betrachtete nachdenklich das Handy. Da er nicht wusste, wie gut die Überwachungsmöglichkeiten inzwischen waren, hielt er es für besser, die Anrufe so kurz wie möglich zu machen, um nicht durch GPS geortet zu werden. Zwischen den Anrufen schaltete er das Telefon aus.

Zunächst wählte er jedoch die Auskunft und bat um eine Direktverbindung zur Mordkommission des 8. Polizeireviers.

Der Leiter der Mordkommission, Alan Chevalier, studierte seine Notizen und griff dann nach seinem Kaffee auf dem Empfangstresen des Hotels Josephine. Er griff daneben und stieß den Pappbecher um. Der Kaffee ergoss sich auf das Gästebuch, das er gerade durchgegangen war.

Die hübsche Hotelbesitzerin Josie Villefranche eilte herbei und versuchte, den Schaden mit Papiertüchern einzudämmen.

„Danke“, brummte der Kommissar und half beim Trockentupfen. Einige der Kaffeespritzer waren auch auf seiner Krawatte gelandet. Also tupfte er auch die ab. Angewidert betrachtete er den besudelten Schlips. Sein zerknitterter Mantel sah auch nicht besser aus.

Eigentlich hatte er immer sehr auf eine gepflegte Erscheinung geachtet. Er war von seinen Kollegen sogar mal zum bestangezogenen Kommissar des Jahres gekürt worden. Sogar eine Plakette hatte er bekommen. Doch inzwischen brachte er seine Kleidung nicht mehr in die Reinigung.

Mit seinen sechsunddreißig Jahren fühlte er sich wie fünfundfünfzig. Er wusste nur zu gut, dass er selbst verantwortlich war für seine veränderten Lebensumstände. Man schlief eben nicht mit der Frau seines Vorgesetzten, selbst wenn die getrennt von ihrem Mann lebte. Kein Wunder, dass der Boss wütend auf ihn war.

In den vergangenen zehn Monaten war er zweimal vom Dienst suspendiert worden. Einmal eine Woche lang, dann für einen Monat. Er übernahm Doppelschichten und bekam jedes Mal die Schuld, wenn etwas schiefging. Ihm war klar, dass er auf der Abschussliste stand. Daher gab er sich alle Mühe, sich nichts anhängen zu lassen.

Um seine berufliche Misere zu verdrängen, griff er privat zur Flasche. Er fuhr sich übers Kinn. Die Bartstoppeln waren mindestens zwei Tage alt. Und sein Kopf drohte nach der Sauftour gestern zu platzen. Ausgerechnet jetzt musste er einen Mordfall untersuchen, bei dem eine FBI-Agentin als Geisel genommen worden war. Das konnte ja nichts werden.

Frustriert warf er den leeren Kaffeebecher in den Papierkorb.

„Möchten Sie noch einen?“, fragte Josie.

Alan sah auf und wunderte sich, wieso er nicht mit ihr flirtete. Sie war eine sehr attraktive junge Frau. Aber nach der Affäre hatte nicht nur seine Karriere gelitten, sondern auch sein Sexualleben.

„Wozu? Habe ich nicht schon genug Schaden angerichtet?“, fragte er mürrisch.

Josie lächelte flüchtig, griff nach den Papiertüchern und verschwand durch eine Tür hinterm Tresen.

Er blätterte in seinem Notizbuch und sah geistesabwesend zu, wie der Leichensack mit der ermordeten Claire Laraway auf einer Tragbahre die Treppe heruntergetragen wurde. Dann klingelte sein Handy, das er schließlich in der dritten Tasche fand.

„Chevalier.“ Er tupfte noch einen Kaffeetropfen von der Krawatte, den er vorher übersehen hatte.

„Hier ist Jean-Claude Lafitte. Ich habe das Verbrechen, dessen man mich bezichtigt, nicht begangen.“

Alan warf einen Blick auf sein Handy. Die Nummer des Anrufers war blockiert. Er nahm das Telefon in die andere Hand und griff nach seinem Kugelschreiber. „Sie werden keines Verbrechens bezichtigt, Mr. Lafitte.“

Noch nicht.

Das hing von der Festnahme des Verdächtigen ab. Erst dann konnte er offiziell beschuldigt werden. Alan machte seinem Assistenten, der gerade mit dem Pathologen sprach, ein Zeichen.

„Es wäre besser für alle Beteiligten, wenn Sie sich stellen würden, Mr. Lafitte.“

„Nicht bevor ich meine Unschuld beweisen kann.“

Alan hatte die Erfahrung gemacht, dass neunundneunzig Prozent der Menschen, die er festnahm, behaupteten, unschuldig zu sein.

„Was ist mit der FBI-Agentin?“

Schweigen.

Nun wusste Alan, dass Lafitte Akela Brooks noch immer in seiner Gewalt hatte.

„Es geht ihr gut.“

„Das wird Akelas Kollegen und ihre Familie freuen, Mr. Lafitte.“

Er richtete den Blick auf zwei der besagten Kollegen, die an der Tür standen und in ein Gespräch vertieft waren. Den Vornamen der Geisel und ihre Familie zu erwähnen sollte den Tatverdächtigen daran erinnern, dass er ein menschliches Wesen in seiner Gewalt hatte, das einen Namen hatte und keine Sache war, die man nicht vermissen würde, falls ihr etwas zustoßen sollte.

„Dann richten Sie bitte aus, dass ihr kein Härchen gekrümmt wird“, knurrte Lafitte. „Ich melde mich wieder, wenn ich den Beweis habe.“

„Was ist mit …“

Aber Lafitte hatte den Anruf bereits beendet.

Verdammt! Alan widerstand dem Impuls, mit dem Handy auf den Tresen zu trommeln. Frustration brachte ihn nicht weiter. Zu viel stand auf dem Spiel. Er konnte es sich nicht leisten, Katz und Maus mit einem Mordverdächtigen zu spielen.

3. KAPITEL

Als Lafitte ins Haus zurückkehrte, zerrte Akela demonstrativ an den Handschellen. Doch er achtete gar nicht auf sie. Die Telefongespräche schienen ihn noch zu beschäftigen. Leider hatte sie nicht mithören können, weil die Musik aus dem Radio alles übertönt hatte.

Jetzt warf er ihr einen Blick zu. Sie las Überraschung in seinen Augen, als hätte er vergessen, dass er sie als Geisel genommen hatte. Er legte das Handy auf den Küchentisch, stellte das Radio leiser und schlenderte zum Bett.

Sofort spannte Akela sich an. Sein Oberkörper war noch immer nackt, seine Füße auch. Lafittes natürliche Ungezwungenheit blieb nicht ohne Wirkung auf sie. In ihrem Elternhaus war man stets bekleidet, egal wie hoch die Temperaturen waren.

Er griff nach der Silberkette, die er um den Hals trug. Zwei Anhänger machte Akela aus: eine Münze und einen kleinen Schlüssel. Nun hielt er die Kette in der Hand und schloss die Handschellen auf. Dann sah er Akela erwartungsvoll an. Wartete er darauf, dass sie einen neuen Fluchtversuch unternahm?

„Haben Sie nicht gesagt, Sie müssten ins Badezimmer?“

Sie rieb sich das schmerzende Handgelenk und sah auf. Das hatte sie ganz vergessen. Vielleicht hatte sie der würzig-frische Duft abgelenkt, den Lafitte nach der Dusche verströmte. Ihr Blick glitt über den breiten Oberkörper, die schmale Taille, die leichte Behaarung unterhalb des Nabels, die pfeilförmig unter dem Bund der Jeans verschwand.

„Äh … ja, stimmt.“

Er zeigte auf eine Tür in der Ecke. „Da drüben.“

Wie der Blitz verschwand Akela im Badezimmer, zog die rustikale Holztür hinter sich zu und sah sich um. Der Raum war fensterlos. Kein Wunder, dass Lafitte nicht darauf bestanden hatte, sie zu begleiten.

Akela erledigte schnell ihr Geschäft. Dann durchsuchte sie das Medizinschränkchen. Sie entdeckte einen mechanischen Rasierer, entnahm die Rasierklinge und versteckte sie unterm Höschenbund. Auf dem untersten Regal fand sie auch eine Nadel mit Faden, die sie in einem der BH-Körbchen befestigte. Schon klopfte es an die Tür, und Lafitte sah herein.

Sie erschrak.

„Ich dachte mir schon, dass sie meinen Medizinschrank durchwühlen.“

Sie zog das Hemdchen zurecht. „Ich habe Kopfschmerzen.“ Schnell griff sie nach dem Aspirinbehälter und schüttelte zwei Tabletten in ihre Handfläche.

„Das höre ich selten. Aber in Ehen soll das normal sein, habe ich gehört.“

„Sprechen Sie aus Erfahrung?“, fragte sie sofort.

Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein. Der Versuchung bin ich noch nicht erlegen.“

Offenbar hat er es nicht eilig, dachte Akela, schluckte die Tabletten und spülte sie mit Wasser aus dem Wasserhahn hinunter. Brunnenwasser, wie sie feststellte.

„Das sollte die Ausnahme bleiben“, riet Lafitte ihr. „Im Kühlschrank sind Wasserflaschen.“

Sie wischte sich die Wassertropfen aus den Mundwinkeln und richtete sich auf. Sie wollte das Badezimmer verlassen. Doch Lafitte rührte sich nicht vom Fleck. Die Nähe machte sie nervös. Dann beugte er sich auch noch vor und berührte sie fast mit der Nase. Atmete er ihren Duft ein?

„Mmh“, machte er. Es klang sehr intim und anzüglich.

Akela stockte der Atem.

„Sag mal, Akela …“ Ihr Vorname auf seinen Lippen ließ sie erschauern. „… hast du schon mal die Kontrolle über eine Situation verloren?“

„Nein“, antwortete sie heiser.

Er wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger und betrachtete sie mit augenscheinlichem Interesse. Seine Pupillen hatten sich geweitet, er atmete schneller.

„Ich schon“, gestand er. „Das ist jedoch lange her. Und es gefällt mir nicht, dass es jetzt wieder so ist.“

Eine Hand lag jetzt auf ihrer Hüfte und fühlte sich unglaublich heiß an durch das dünne Hemdchen. Akela sehnte sich nach mehr. Doch dann wich er blitzschnell zurück und hielt die Rasierklinge hoch, die er aus dem Höschenbund gezogen hatte, ohne dass sie es bemerkt hatte.

Akela hatte Mühe, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen. „Woher wussten Sie das?“, fragte sie heiser.

Er steckte die Klinge in seine Hosentasche. „Weil ich an deiner Stelle genauso gehandelt hätte.“

„Es wäre einfacher gewesen, das Ding vorher in Sicherheit zu bringen.“

„Das hätte aber keinen Spaß gemacht.“

„Sie betrachten das hier als Spaß?“, fragte sie erstaunt.

„Ich meinte das im übertragenen Sinn“, behauptete er und machte ihr Platz. Offensichtlich verzichtete er darauf, sie wieder ans Bett zu fesseln.

Dafür war sie ihm dankbar und beschloss, keine hektischen Bewegungen zu machen, die seine Meinung garantiert ändern würden.

„Womit verdienen Sie Ihr Geld?“, fragte Akela ruhig, während er die Regale durchsuchte. Ihr war klar, dass er sie trotzdem im Auge behielt.

„Ich bin Geschäftsmann“, antwortete er.

„Welche Branche?“

Er warf ihr einen Blick zu. „Setz dich doch“, forderte er sie auf und zeigte auf einen Hocker beim Kuchentresen.

Gemächlich gehorchte Akela, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass ihr Hemdchen nicht verrutschte. Gleichzeitig schätzte sie die Entfernung zu Lafitte und zur Haustür ab. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

„Mein Bruder und ich haben vor einigen Jahren einen Transportservice in einem der Bayous aufgebaut. Wir operieren mit propellergetriebenen Sumpfbooten und verkaufen auch Boote. Jetzt will ich seine Anteile übernehmen.“

Er nahm zwei Dosen aus dem Regal, dann noch eine Dose Bohnen und einen Beutel Reis. Dazu kamen die passenden Gewürze.

Wollte er etwa kochen? Akela wunderte sich. Die meisten Männer, die sie kannte, konnten nicht einmal ein Ei kochen und waren in einer Küche verloren. Ihr Ex hatte es gerade noch geschafft, Milch über sein Fertigmüsli zu gießen. Lafitte schien sich in der kleinen Küchenecke jedoch heimisch zu fühlen. Irgendwie passte er in diese Umgebung, obwohl er sehr angespannt wirkte.

„Was sind das für Boote, die Sie verkaufen?“

„Interessiert dich das wirklich?“

Sie hielt seinen Blick fest. „Nein“, sagte sie ehrlich.

„Das dachte ich mir.“

Ein so viel beschäftigter Mann würde seine Pläne doch nicht durch den Mord an seiner Bettgespielin gefährden, oder? Das war für Akela schwer vorstellbar.

Er wandte sich ab und mischte die Zutaten für einen rustikalen Gumbo. „Wie lange arbeitest du schon als FBI-Agentin?“

Nachdenklich hatte Akela die Narbe auf seinem Rücken betrachtet. „Sechs Jahre.“

Sie rieb über den roten Abdruck am Handgelenk, den die Handschelle hinterlassen hatte. „Sind Sie vorbestraft?“

Sein Schweigen sagte ihr genug. „Wegen einer Gewalttat?“, hakte sie nach.

„Nein.“

„Warum sind Sie geflüchtet, wenn Sie unschuldig sind?“

Gute Frage.

Claude wusste und spürte genau, wo Akela sich befand. Nicht nur, weil er sie im Auge behalten musste, um einen erneuten Fluchtversuch zu verhindern, sondern auch, weil er, so seltsam das auch klang, mit ihr auf einer Wellenlänge war.

Dabei war er ihr gerade erst begegnet und hatte kurz davor noch in den Armen einer anderen Frau gelegen. Diese Frau war jetzt tot. Das verstörte ihn zutiefst.

„Weil meine Mutter keine Dummköpfe zur Welt gebracht hat, wie mein Bruder und ich gern betonen.“

„Wie kommen Sie darauf, dass nur ein Dummkopf sich stellen würde?“

„Weil er sein Schicksal in die Hände von Dritten legt.“

Nachdenklich rieb Akela sich das gerötete Handgelenk.

„Glaubst du etwa, ich hätte Claire umgebracht?“

„Ich kenne Sie nicht gut genug, um mir darüber ein Urteil zu bilden. Außerdem ist das nicht meine Aufgabe.“

„Das sehe ich anders.“

„Wie meinen Sie das?“

Claude würzte den Eintopf und rührte um. Jetzt musste er noch eine Weile schmoren. Er drehte sich um, lehnte sich an den Tresen und verschränkte die Arme. Ihm fiel auf, dass sie immer wieder verstohlen seinen Waschbrettbauch betrachtete. Interessant, er war also nicht der Einzige, dem es schwerfiel, sich in seine Rolle zu fügen, denn auch er musste den Blick immer wieder über ihre verführerische Figur gleiten lassen.

„Sie, Agent Brooks, …“ Plötzlich siezte er sie wieder. „… haben das vorschnelle Urteil gefällt, dass ich der Tatverdächtige sein muss, weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort war.“

„Die Hotelbesitzerin hat das Zimmer an Sie und die junge Frau vermietet.“

„Sicher. Aber ich habe es verlassen, um Frühstück zu besorgen. Kann die Tat nicht während meiner Abwesenheit geschehen sein?“

Sie wandte den Blick ab. „Das kann ich nicht entscheiden.“

„Aber Sie haben sich entschieden. Als Sie die Pistole auf mich gerichtet und mir befohlen haben stehenzubleiben, haben Sie entschieden, dass ich schuldig bin.“

„Ich habe lediglich entschieden, dass Sie tatverdächtig sind“, korrigierte sie.

„Ich hatte zwei Becher Kaffee und zwei Beignets besorgt. Glauben Sie, ich wollte damit eine Leiche füttern?“

Ihre skeptische Miene verriet, dass sie schon schlimmere und bizarrere Dinge gesehen hatte.

Claude zog die Augenbrauen hoch. Auch er hatte schon viel erlebt. Während er auf der Straße gelebt hatte und bei seinem Einsatz im Kosovo hatte er viel mit angesehen, was ihm zu denken gegeben und seine Weltanschauung verändert hatte. Aber was sie dachte … „Sind Sie wirklich so abgestumpft?“

„Ich habe eine gründliche Ausbildung genossen.“

Sicher, aber die richtigen Themen waren offensichtlich nicht behandelt worden. Außerdem konnten sich auch Polizeibeamte irren – wie in seinem Fall.

„Wie ist sie überhaupt zu Tode gekommen?“, erkundigte er sich ruhig.

Sie musterte ihn scharf.

Claude war fassungslos. Sie hielt ihn tatsächlich für den Mörder! Sagen Sie es mir, würde sie wohl gleich fordern.

„Ihr wurde die Kehle durchtrennt.“

Entsetzt fuhr Claude sich mit den Händen durchs Gesicht. Claires schöner weißer Schwanenhals … Niemals wäre er zu so etwas Grauenhaftem imstande gewesen.

Er riss sich zusammen. „Wieso ist das FBI an dem Fall interessiert?“

„Ich war in einer anderen Angelegenheit im Hotel“, räumte sie ein.

„Dann sind Sie offiziell gar nicht mit dem Fall betraut, oder?“

Ihre grauen Augen blitzten auf. „Nein, aber dann haben Sie mich ja als Geisel genommen.“

„Jetzt werde ich nicht nur des Mordes bezichtigt, sondern auch der Entführung einer Bundespolizistin.“

„Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben.“

„Dadurch, dass ich mit einer wunderschönen Frau Liebe gemacht habe?“

Er bückte sich und nahm zwei kleine Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank. Eine reichte er Akela.

Höflich bedankte die sich.

„Ich muss zugeben, Lafitte …“

„Nenn mich Claude.“ Das würde sie natürlich nicht tun.

„Mich als Geisel zu nehmen, spricht nicht gerade für Ihre Unschuld.“

„Also bin ich in Ihren Augen schuldig.“

„Es macht Sie in höchstem Maße verdächtig.“

Er bemerkte, dass sie die Entfernung zur Haustür abschätzte. „Warst du schon mal so tief in den Bayous?“

Sie blinzelte, gab aber keine Antwort.

„Ohne mich kommst du hier nicht wieder raus.“

„Sie unterschätzen meine Fähigkeiten, Lafitte.“

„Ich fürchte, du unterschätzt meine.“

Nach langer Zeit hatte Claude den Eindruck, hier jemanden vor sich zu haben, der ihm geistig das Wasser reichen konnte. Er traute der verführerischen Akela Brooks durchaus zu, auch ohne ihn aus dem Bayou-Irrgarten hinauszufinden.

Dazu musste sie allerdings erst einmal an ihm vorbeikommen.

„Liebe Akela Brooks, verrätst du mir, wie ich dir meine Unschuld beweisen kann?“

Drei Stunden später dachte Akela noch immer über ihre Antwort auf Claudes Frage nach. Langsam tat ihr der Nacken weh, denn nach dem Essen hatte Claude sie wieder mit der Handschelle am Kopfende des Bettes fixiert und das Haus verlassen. Sein Handy hatte er mitgenommen. Das Radio war nicht eingeschaltet, sodass Akela mit ihren Gedanken und den Geräuschen des Bayou vor der Tür allein war.

Die meisten Tatverdächtigen versuchen absolut alles, um Sie von ihrer Unschuld zu überzeugen. Und Sie müssen das ignorieren.

Das hatte man ihnen in der Ausbildung immer wieder eingeschärft. Normalerweise fiel es Akela nicht schwer, sich daran zu halten. Doch in diesem Fall war das anders.

Nun unterschieden sich Claudes oder vielmehr Lafittes Unschuldsbeteuerungen auch nicht wesentlich von denen, die sie in ihren bisherigen sechs Berufsjahren zu hören bekommen hatte. Trotzdem spürte sie, dass er die Wahrheit sagte. Erklären konnte sie das jedoch nicht.

Hätte er die Frau ermordet, wäre Akela dann nicht sein nächstes Opfer gewesen? Oder er hätte sie benutzt, außer Landes zu fliehen.

Wenn die Tat allerdings im Affekt geschehen war, handelte es sich rechtlich nicht um einen Mord, sondern um Totschlag.

Frustriert wollte sie sich am Kopf kratzen, wurde jedoch von der Handschelle gehindert. Nachdenklich starrte sie den Metallring an. Vielleicht lag das Dilemma darin, dass Lafitte der Erste war, der sie gefragt hatte, wie er seine Unschuld beweisen konnte.

Sie hatte in Tulane auch Vorbereitungskurse für Jura belegt, nicht weil sie bereits plante, in den Polizeidienst zu gehen, sondern weil ihre Mutter ihr eingebläut hatte, entweder Jura oder Medizin zu studieren. Tatsächlich hatte sie sich dann für Jura entschieden, weil sie kein Blut sehen konnte.

Im ersten Studienjahr hatte sie an einer Probeverhandlung teilgenommen, bei der es um eine falsche Verdächtigung gegangen war. Sie gehörte zum Team der Verteidiger. Auch damals war die Frage gewesen, wie ein unschuldiger Angeklagter seine Unschuld beweisen konnte.

„Etwas Negatives lässt sich nicht widerlegen. Ebenso gut könnte man jemanden dazu auffordern zu beweisen, dass Gott nicht existiert, wenn es keinen Beweis für seine Existenz gibt.“ So hatte sie damals ihrem Professor gegenüber argumentiert. Der Fall hatte ihre Geduld strapaziert, und sie war frustriert gewesen.

Das wissende Lächeln ihres Professors sah sie noch heute vor sich. Der Angeklagte in der Probeverhandlung war damals wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt worden. Ihm drohte die Hinrichtung. Dem Verteidigungsteam war es nicht gelungen, das Negative zu widerlegen.

Was hieß das nun für Claude Lafitte? Selbst wenn er unschuldig war, sprachen seine Vorstrafe und sein Verhalten nach Betreten des Tatorts dafür, dass er schuldig war.

Akela reckte den Hals, um aus dem Fenster zu sehen. Dem durch die dichte Vegetation fallenden Licht entnahm sie, dass die Sonne bald untergehen würde. Claude war nirgends zu sehen. Wo mochte er stecken? Seit einer gefühlten Ewigkeit hatte sie nur ab und zu den Schrei eines Vogels gehört oder Wasserplätschern, wenn ein Alligator oder eine Schlange im Bayou verschwand.

Mit der freien Hand tastete sie nach der Nadel, die sie vorhin im BH-Körbchen festgesteckt hatte. Sie zog sie heraus und begann, sie zu biegen, wobei Zähne und Finger zum Einsatz kamen. Schließlich war sie mit ihrem Werk zufrieden, wischte die schweißnasse freie Hand an der Bettdecke trocken und steckte die gebogene Nadel ins Schloss der Handschellen. Ihre Finger rutschten ab. Fast hätte sie den provisorischen Schlüssel verloren, erwischte ihn aber gerade noch, bevor er zu Boden fallen konnte.

Vielleicht wäre es einfacher, die am Kopfende des Bettes eingeklinkte Handschelle zu lösen, dazu konnte sie nämlich beide Hände benutzen. Sie führte die Nadel ein und konzentrierte sich auf den Mechanismus. Sie hatte Glück. Nach etlichen Versuchen hörte sie, wie die Metallverzahnung sich löste. Sie war frei! Die andere Handschelle saß zwar noch am rechten Handgelenk, aber sie war nun nicht mehr ans Kopfende des Bettes gefesselt.

Schnell nutzte sie die neue Freiheit und ging zur Tür. Vorsichtig warf sie einen Blick auf die Veranda, als ein Geräusch neben dem Haus sie erschreckte.

Verdammt!

So leise wie möglich zog sie ihre Waffe aus dem Fass, verschwand wieder im Haus, eilte zum Bett und schob die Pistole unters Kopfkissen. Nun hatte sie ein Problem. Es war unmöglich vorzugeben, die Handschellen wären noch am Kopfende des Bettes fixiert. Wohl oder übel musste sie diese wieder befestigen.

Um ihre Aktivitäten zu verschleiern, streckte sie sich auf dem Bett aus, hoffte, auf der zweckentfremdeten Nadel zu liegen, die sie aufs Bett geworfen hatte, nachdem die Handschelle gelöst war, und stellte sich schlafend

Als Claude ins Haus zurückkehrte, fühlte er sich noch schlechter als vorher. Zwei Stunden lang hatte er mit dem Anwalt telefoniert, den sein Bruder ihm besorgt hatte. John Reginald hatte sich sofort mit der Polizeidirektion von New Orleans in Verbindung gesetzt und ihm dann bedauernd mitgeteilt, es sähe nicht gut aus für ihn, schon gar nicht, weil er immer noch eine FBI-Agentin in seiner Gewalt hatte.

Geistesabwesend rieb Claude sich den Nacken und betrachtete seine Geisel, die halb aufgerichtet auf dem Bett lag, die Beine zusammengepresst, das Gesicht ihm zugewandt, die Augen geschlossen.

Er verzog das Gesicht. Akela Brooks konnte vermutlich im Stehen schlafen, wenn sie das wollte. Doch er bezweifelte, dass sie schlief. Sie täuschte es nur vor. Fragte sich nur, wieso.

Langsam näherte er sich dem Bett, vergewisserte sich, dass die Handschellen noch am Kopfende und am Handgelenk befestigt waren.

Das kastanienfarbene Haar hatte sich inzwischen vollständig aus dem eleganten Chignon gelöst, als rebellierte es gegen die strenge Frisur. Es rahmte nun in feuchten Löckchen das Gesicht ein und fiel ungebändigt über die Schultern. Die Wangen schimmerten rosig. Die hohe Luftfeuchtigkeit hatte sich wie ein Film auf ihren Körper gelegt. Sie wirkte wie eine sexy Sirene, die Männer um den Verstand bringen konnte.

Claude wollte ihr das Haar aus dem Gesicht streichen, betrachtete die sinnlichen Lippen, riss sich jedoch zusammen und überprüfte die Handschellen. Als sie sich nicht rührte, war er sicher, dass sie nicht schlief.

Er setzte sich aufs Bett und überdachte die Gesamtsituation. Sein Blick ruhte auf Akelas Gesicht. Als es unbeweglich blieb, streckte er sich so dicht neben ihr aus, dass sein nackter Oberkörper ihren Arm berührte. Spätestens jetzt musste sie doch schockiert hochfahren. Das tat sie aber nicht. Seine Provokation war fehlgeschlagen. Auf ihn selbst blieb sie jedoch nicht wirkungslos, denn die Nähe der schönen Frau, die erfrischend nach Zitronenblüten duftete – er vermutete Bodylotion, kein Parfüm –, erregte ihn.

Jetzt hörte er, wie sie schluckte. Dann war sie also doch nicht so unbeeindruckt, wie sie vorgab. Inzwischen war die Sonne untergegangen, und er hätte gern Grenzen überschritten, von denen er sich tunlichst fernhalten sollte.

Es kostete Akela größte Anstrengung, so reglos liegen zu bleiben. Lafitte schien zu ahnen, dass sie nur vorgab zu schlafen und gab sich alle Mühe, eine Reaktion von ihr zu provozieren. Das funktionierte, wenn auch nicht so, wie er es sich vermutlich vorgestellt hatte. Sie war sich der Gefahren solcher Situationen bewusst.

Unter ähnlichen Umständen hatte sie damals gedacht, sie hätte sich in den Mann verliebt, der inzwischen ihr Ex war. Dan und sie hatten in einer Kleinstadt in der Nähe von Oklahoma City rund um die Uhr einen Mann observiert, der eines Kapitalverbrechens verdächtigt wurde. Sie hatten ein junges Paar auf Hochzeitsreise quer durch Amerika gespielt und hatten sich ein Motelzimmer geteilt, um glaubwürdig zu wirken. Aus dem Spiel war schnell Ernst geworden. Erst nach der Hochzeit und Daisys Geburt war ihnen aufgegangen, dass sie außer dem Beruf so gut wie nichts verband. Nicht einmal Leidenschaft.

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