Baccara Collection Band 464

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FÜR EINEN MONAT - UND FÜR IMMER? von JULES BENNETT
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  • Erscheinungstag 04.11.2023
  • Bandnummer 464
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516402
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kianna Alexander, Synithia Williams, Karen Booth

BACCARA COLLECTION BAND 465

1. KAPITEL

Nia Woodson stand neben dem Bowlengefäß aus Kristall und schöpfte mit der dazugehörigen Kelle hellrosa Flüssigkeit in ihren Pappbecher. Sie nahm einen Schluck und lächelte, als die kalte Erdbeerlimonade durch ihre Kehle rann.

Sie befand sich in dem Wohnzimmer des palastartigen Hauses, das ihr jüngerer Bruder Blaine mit seiner Frau Eden bewohnte. Der Raum war in ein Meer aus Rosa getaucht, um das kleine Mädchen zu feiern, das in den nächsten Wochen zur Welt kommen sollte. Das erste Enkelkind der Woodsons. Wegen der leichten Kälte im November hatte Nia ein weiches, langärmeliges pinkfarbenes Sweaterkleid gewählt. Zu dem eng anliegenden Kleidungsstück trug sie braune Stiefel mit flachen Absätzen, die farblich zu ihrem Ledergürtel passten.

Sie stand etwas abseits und musste daran denken, dass sie jetzt die Letzte der Woodson-Geschwister war, die noch Single war. Selbst ihr jüngster Bruder Miles, von dem sie erwartet hatte, dass er sein Leben lang Junggeselle bleiben würde, hatte in der Woche zuvor geheiratet. Er und seine Frau Cambria Harding-Woodson, eine gefeierte Sängerin, genossen gerade ihre Flitterwochen auf den Malediven.

Aber ich bin die Älteste. Und CEO von 404. Was auch immer an Arbeit liegen bleiben mag, egal in welchem Bereich oder welcher Abteilung, ich bin diejenige, die sie erledigt. Sie kannte ihre Rolle in der Familie. Sie war die Ernsthafte, die Organisierte, diejenige, die alles regelte. Und das galt immer, ob im Geschäft oder in der Familie.

Bis vor Kurzem hatte sie nicht viel über die Ehe nachgedacht. Ich bin für 404 zuständig … Arbeit ist mein Leben. Wer hat da schon Zeit, eine langfristige, verbindliche Beziehung aufzubauen? Anscheinend alle anderen, außer mir.

„Alles in Ordnung, Schwesterherz?“

Nia kehrte in die Realität zurück und nickte als Antwort auf die Frage ihrer Schwester. „Ja, Teagan. Mir geht es gut. Ich hänge nur gerade einem Tagtraum nach.“

„Aha.“ Die Jüngste des Woodson-Clans schien nicht ganz überzeugt zu sein. „Wenn du es sagst. Komm zu uns anderen. Wir wollen etwas spielen.“

„Ich komme.“ Widerstrebend folgte sie Teagan und nahm auf einem cremefarbenen Ledersessel Platz, der gegenüber von einem Sofa stand. Nia beobachtete, wie Edens Cousine Ainsley ein Tablett mit Babyfläschchen brachte, die mit einer geheimnisvollen lila Flüssigkeit gefüllt waren. Sie erschauderte. Igitt. Diese Spiele auf einer Baby-Party sind so blöd.

Teagan kicherte, als sie ein Fläschchen vom Tablett nahm. „Mom würde dieses Spiel lieben. Schade, dass sie nicht da ist.“

„Du hast recht, das würde sie.“ Gage nahm kichernd das Fläschchen von seiner Frau entgegen. „Danke, Ains.“

Ainsley gab Gage einen Kuss auf die Stirn und ging mit dem Tablett weiter.

„Wie lange bleibt Mom noch bei Aunt Laurie in Charlotte?“ Blaine, der ein rosafarbenes T-Shirt mit dem Aufdruck „Werdender Papa“ trug, richtete die Frage an Nia.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Sie sagte nur, dass sie rechtzeitig zur Gala wieder in der Stadt sein würde.“

Eden strich mit der Hand über ihren Babybauch und bemerkte: „Sie hat mir den größten Wellness-Geschenkkorb geschickt, den ich je gesehen habe, und dazu noch ein paar entzückende Sachen für das Baby.“ Eden sah in ihrem rosafarbenen, geblümten Umstandskleid gut aus. Eine schlichte Krone aus rosa Rosen steckte in ihren Locken.

„Und ich bin sicher, es kommt noch mehr.“ Caleb, der in mürrisches Schweigen versunken auf einem Sessel am Eingang zum Esszimmer saß, schüttelte den Kopf. „Addy ist total aufgeregt wegen ihres ersten Enkelkindes. Dass sie nicht hier ist, zeigt, wie wütend sie immer noch auf mich sein muss.“

Nia schluckte. Das war das erste Mal, dass ihr Vater in der letzten Stunde gesprochen hatte, und seine Worte erinnerten sie an den tiefen Riss zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater und den Skandal, der ihn verursacht hatte.

Teagan, immer fröhlich und strahlend, sagte: „Lass uns nicht weiter darüber nachdenken, Dad. Lass uns sehen, wer bei diesem Spiel die Nase vorn hat.“ Sie hielt ihr Fläschchen hoch und schüttelte es.

Nia nahm die letzte Flasche von dem Tablett und beäugte misstrauisch die Flüssigkeit darin. „Ainsley, was ist das?“

Ainsley lachte. „Das ist nur Cranberry-Trauben-Saft.“

Beruhigt nickte Nia.

„Okay, ihr wisst alle, wie es geht.“ Ainsley hob die Hand. „Wer leert das Fläschchen am schnellsten. Und kein Mogeln, indem ihr den Deckel abnehmt oder ein größeres Loch in den Sauger beißt.“ Ainsley blickte sich im Raum um. „Okay, Flaschen hoch, Leute. Auf die Plätze … fertig … los!“

Nia fand es albern, aus dem Fläschchen zu trinken, aber da Albernheit der Sinn des Spiels war, machte sie mit. Als sie die anderen Erwachsenen betrachtete, die an den Fläschchen nuckelten, fühlte sie sich gleich etwas besser.

Gage schaffte es innerhalb weniger Augenblicke, sein Fläschchen zu leeren. Ainsley pfiff, um das Ende des Spiels zu signalisieren. „Sieht so aus, als wäre Gage unser Gewinner, Leute.“

„Der Sieg gehört mir!“ Grinsend hielt Gage die leere Flasche über seinen Kopf. „Niemand in diesem Raum kann so gut … saugen wie ich.“ Er und seine Frau tauschten einen langen Blick.

Blaine stieß seinen Bruder mit dem Ellenbogen an, und Teagan fiel vor Lachen fast vom Stuhl.

Statt sich lange damit aufzuhalten, was Gages Worte implizierten, fragte Nia ihre Schwester: „Wann kommt Max wieder zurück?“

„Übermorgen.“ Teagan strahlte bei der Erwähnung ihres Mannes, dem Bassisten Maxton McCoy. „Ich kann’s kaum erwarten.“

Nia spürte, wie ein Seufzer in ihr aufstieg, ein Seufzer der Freude, der mit einem bittersüßen Gefühl verbunden war, aber sie hielt ihn zurück.

Ein paar Stunden später stand Nia an der Haustür. Sie war die Letzte, die ging, obwohl sie schon lange genug von dieser Babyparty hatte.

Eden griff nach ihrer Hand. „Danke für den Stubenwagen. Ich werde ihn brauchen.“

„Sehr gern. Ich habe ihn vor ein paar Tagen in einem Geschäft entdeckt und konnte nicht widerstehen.“ Sie drückte Edens Hand. „Ruh dich aus, Schwägerin.“

Blaine legte den Arm um die Schultern seiner Frau. „Mach dir keine Sorgen, Nia. Ich passe auf sie auf.“

„Das hoffe ich. Ich erwarte, dass du sie von vorn bis hinten bedienst.“ Nia kniff Blaine in den Arm. „Kein Stress für Eden oder das Baby.“

„Ja, Ma’am“, erwiderte er grinsend.

Sie ging hinaus zu ihrem Wagen, stieg ein, ließ den Motor an und fuhr die kreisförmige Auffahrt herum und hinaus in den Verkehr.

Abwesend scrollte Pierce Hamilton durch seinen Social Feed und veränderte seine Sitzposition auf dem harten Holzstuhl. Er saß seit zwanzig Minuten im Wartezimmer der Premiere Primary Care und langweilte sich zusehends. „Mutter, glaubst du, dass sie dich bald wieder aufrufen werden?“

Everly, die links neben ihm saß, nickte. „Da bin ich sicher. Normalerweise sind sie nicht so weit hinter dem Zeitplan zurück.“ Sie fuhr sich mit der Hand über ihre kurzen platinfarbenen Locken und zerzauste sie ein wenig mit ihren langen rotlackierten Nägeln. Sie trug eine weiße Seidenbluse mit einer großen Schleife auf der linken Schulter, dazu eine Tweed-Hose und ihre Lieblings-Designer-Schuhe.

Wenn meine Mutter das Haus verlässt, sieht sie immer aus, als würde sie gleich auf den Laufsteg gehen. Wenn man sie anschaut, sieht man nicht, wie erschöpft sie ist.

„Entspann dich, Pierce“, sagte London, Pierce’ Zwillingsschwester, die rechts neben ihm saß. „So lange sind wir noch nicht hier. Außerdem, was ist wichtiger als Moms Gesundheit?“ Londons lila Jeans, das fuchsiafarbene Top und Pumps mit Leopardenmuster bildeten ein Outfit, das ebenso gewagt war wie ihre Persönlichkeit.

„Nichts“, brummte er. „Ich wäre geduldiger, wenn diese Stühle nicht so unbequem wären. Es ist, als würde man auf einem flachen Felsen sitzen.“

Everly lachte. „Da hast du nicht unrecht. Ich habe mich schon oft beim Personal darüber beschwert.“

Pierce lachte leise und ließ seinen Blick durch das Wartezimmer schweifen. Sein Blick blieb an dem Gesicht einer schwarzen Frau auf der anderen Seite des Raumes hängen. Hauptsächlich, weil sie ihn ganz offen anstarrte.

London stupste ihn an. „Pierce, warum starrt diese Frau dich an?“

Er zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich das wissen?“

Die Frau stand auf und durchquerte langsam den Raum. Er sah, dass sie etwas in der Hand hielt. Ihre langen Zöpfe, die an den Enden mit bunten Holzperlen verziert waren, erinnerten an die R-&-B-Sängerin Patrice Rushen aus den Achtzigerjahren. Ein paar Meter vor ihm blieb sie stehen, ihn immer noch anstarrend, und fragte zögernd: „Sind Sie Pierce Hamilton?“

Er nickte. „Das bin ich. Kenne ich Sie von irgendwoher, Miss …“

„Deja. Mein Name ist Deja.“ Sie entrollte das Ding in ihrer Hand und drehte es um, damit er es sehen konnte. „Ich habe Sie in diesem Artikel gesehen, den ich gerade im Opulence Magazine gelesen habe.“

Er blickte auf das Bild, das aus einem Artikel über die begehrtesten schwarzen Geschäftsleute des Südens stammte. „Oh. Wow. Ja, das bin ich. Den Artikel hatte ich ganz vergessen. Er ist schon ein paar Jahre alt.“

„Sie sehen immer noch genauso aus.“ Deja grinste. „Ich glaube, Sie tragen sogar denselben Anzug.“

London unterdrückte ein Lachen.

Er ignorierte seine Schwester und blickte auf seinen königsblauen maßgeschneiderten Anzug. „Es ist einer meiner Lieblingsanzüge.“

„Ich will nicht zu dreist sein, aber …“ Deja biss sich auf die Lippe. „Sind Sie immer noch Single?“

Eine Krankenschwester kam aus dem hinteren Teil der Klinik und rief: „Everly Hamilton?“

Pierce räusperte sich und lächelte freundlich. „Ich fühle mich geschmeichelt, aber ich muss mich jetzt um meine Mutter kümmern. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden?“

Deja nickte etwas ernüchtert und kehrte an ihren Platz zurück. Pierce und London folgten der Krankenschwester, die ihre Mutter zur Aufnahme begleitete.

Bald darauf betraten die drei ein kleines Behandlungszimmer. Nachdem sie ihrer Mutter auf den Untersuchungstisch geholfen hatten, setzten Pierce und seine Schwester sich auf die beiden freien Stühle im Raum.

Wenigstens sind diese etwas besser gepolstert. Er saß gerade, als Everly sagte: „Mein Sohn, wenn du jedes potenzielle Date abweist, dann bekomme ich nie Enkelkinder.“

Er wollte die Augen verdrehen, wusste aber, dass seine Mutter das nicht mochte. „Wow, das hast du ganze fünf Minuten für dich behalten, Mutter.“

Everly runzelte die Stirn. „Achte auf deinen Tonfall, junger Mann. Ich habe nur eine Feststellung getroffen.“

Pierce sah zu London, die mit einem kurzen Kopfschütteln zu verstehen gab, dass sie keine Lust hatte, sich an dem Gespräch zu beteiligen.

„Ich möchte nur, dass du glücklich bist, mein Sohn“, betonte Everly. „Ich möchte, dass ihr beide die Liebe erlebt, die euren Vater und mich verbunden hat.“ Wie so oft, wenn sie von ihrem verstorbenen Mann Phillip sprach, traten ihr Tränen in die Augen.

Die Tür zum Behandlungszimmer schwang auf, und eine tiefe Stimme sagte: „Mrs. Hamilton, meine Lieblingspatientin.“

Pierce beobachtete, wie seine Mutter eine Träne wegwischte und ein strahlendes Lächeln aufsetzte. „Dr. Richardson, Sie alter Fuchs. Wie geht es Ihnen?“

Dr. Darnell Richardson, der große schlanke Schwarze, der seit fünf Jahren Everlys Hausarzt war, grinste, als er auf seinem Rollhocker Platz nahm. „Mir geht es gut. Aber mir machen die Testergebnisse von Ihrem Besuch im letzten Monat Sorgen.“

Pierce beugte sich vor. „Wie steht es um die Gesundheit meiner Mutter?“

Dr. Richardsons zuvor sonniger Gesichtsausdruck wurde ernster. „Ich bin nicht zufrieden mit dem Blutzuckerwert und mit dem Cholesterinspiegel, aber das sollte sich mit einer Ernährungsumstellung wieder einpendeln.“ Er sah seine Patientin an. „Was mir wirklich Sorgen bereitet, ist Ihre Reaktion auf den Belastungstest, den ich mit Ihnen durchgeführt habe. Ihr Herz wird schwächer, Everly.“

„Was muss ich tun? Brauche ich andere Medikamente oder so etwas?“

Dr. Richardson schüttelte den Kopf. „Ich würde Ihnen lieber nicht noch ein weiteres Medikament verschreiben. Ihr Blutdruck ist gestiegen. Im Moment ist es nur eine leichte Veränderung, und ich denke, wir können verhindern, dass es ernster wird.“

London schien verwirrt. „Wenn Sie das nicht mit Medikamenten erreichen wollten, was schlagen Sie dann vor?“

„Everly, Sie müssen Ihren Stresspegel senken. Deutlich.“ Dr. Richardson warf einen Blick auf die Unterlagen, die auf seinem Klemmbrett befestigt waren. „Ihr Körper kann das derzeitige Niveau nicht verkraften.“

In der darauffolgenden Stille dachte Pierce über die Worte des Arztes nach. Mutter macht zu viel im Hamilton House – das habe ich ihr schon tausendmal gesagt. Hoffentlich macht es einen Unterschied, wenn sie es vom Arzt hört.

Everly nickte. „Ich werde sehen, was ich tun kann, Dr. Richardson. Ich gebe zu, dass ich viele Eisen im Feuer habe. Vielleicht kann ich ein paar herausnehmen.“

Dr. Richardson lächelte und nickte. „Das ist alles, worum ich Sie bitte.“

Pierce saß stumm da, während der Arzt die aktuellen Medikamente und die Dosierung mit Everly durchging und Ratschläge für die Umstellung der Ernährung gab.

Insgeheim fragte Pierce sich, ob seine Mutter tatsächlich den Anweisungen des Arztes folgen würde. Sie war bekannt für ihre Sturheit. Gut, dass London und ich dabei sind. So wissen wir, was der Arzt gesagt hat. Vielleicht können wir beide Mom dazu bringen, den Anweisungen Folge zu leisten.

Später, als er seiner Mutter die Haustür seines Elternhauses aufhielt, fragte er: „Was hältst du von Dr. Richardsons Vorschlägen, Mutter?“

Everly ließ sich auf ihren Queen-Anne-Lieblingssessel fallen und brummte: „Komm schon, Pierce. Ich habe den Vortrag schon zweimal gehört. Vom Arzt und von deiner Schwester, bevor sie ging. Ich muss es mir von dir nicht auch noch anhören.“

„Ich halte dir keinen Vortrag. Ich versuche nur herauszufinden, wie du dich fühlst.“

„Alt. Müde“, seufzte sie. „Ich weiß, dass ich nicht mehr die Jüngste bin, aber es steckt trotzdem noch viel Leben in mir.“

„Natürlich.“ Er trat zu seiner Mutter und nahm ihre Hand. „Aber es wäre schön, wenn du das Leben mehr genießen würdest, statt deine ganze Zeit mit Arbeit und Sorgen im Büro zu verbringen.“

„Hamilton House ist das Vermächtnis deines Vaters. Ich werde nicht zulassen, dass seine Vision in die falsche Richtung geht.“

Er nickte, wohl wissend, dass das Gespräch im Grunde beendet war. Es gab keinen Weg, seine Mutter davon zu überzeugen, ihre Einstellung zur Arbeit zu ändern. Zumindest nicht jetzt.

Wenn ich ihr zeigen kann, dass ich bereit bin, die Führung zu übernehmen, wird sie vielleicht endlich zur Ruhe kommen.

2. KAPITEL

Mit einem Kaffee in der Hand betrat Nia am Dienstagmorgen den Konferenzraum und ging zum Ende des Tisches. Sie stellte ihren Pappbecher, ihre Handtasche und ihre Aktentasche ab und zog einen Stuhl hervor. „Guten Morgen allerseits.“

Die Mitarbeiter, die um den Tisch herum saßen, erwiderten ihren Gruß.

Gage zupfte an den Aufschlägen seines anthrazitgrauen Anzugs und stand auf. „Guten Morgen. Mein Tätigkeitsbericht ist kurz. Wir haben die Angebote für das neue Studiogebäude auf drei Firmen eingegrenzt. Nia, ich habe die drei Angebote bei mir und werde sie dir nach dem Meeting aushändigen.“

„Enthalten sie auch Baupläne?“, fragte Nia. Gage nickte und benutzte die Fernbedienung, um den Projektionsschirm herunterzufahren. „Ja, und zwar in voller Größe. Wir haben sie gefaltet, damit sie in die Mappen passen.“

„Großartig. Danke, Gage. Tisha, was haben Sie aus der Finanzabteilung?“

Tisha Lewis, Miles’ langjährige Assistentin, erhob sich. Sie war eine zierliche, elegant gekleidete Frau mit glänzender brauner Haut und kurzem Haar. Wie immer lächelte sie freundlich. „Nun, Miss Woodson, Miles hat das Budget für das vierte Quartal genehmigt, bevor er in die Flitterwochen abreiste. Er hat auch einen Haushaltsentwurf für das erste Quartal fertiggestellt, in dem er eine Erhöhung der Mittel für 404 Cares vorschlägt.“ Tisha reichte Nia die Mappe. Dann öffnete sie ihre eigene Präsentation und zeigte einige Folien des Haushaltsentwurfs.

„Danke, Tisha. Ich werde mir die Zahlen ansehen. Gibt es sonst noch etwas?“

Tisha schüttelte den Kopf und setzte sich wieder.

Nia gab Teagan ein Zeichen, die aufstand, um ihren Vortrag zu halten. „Ich habe meinen Vorschlag für ein Technik-Praktikumsprogramm für örtliche Highschool-Absolventen genehmigen und in den vorläufigen Haushaltsplan für das erste Quartal aufnehmen lassen. Ich gebe ihn dir zur endgültigen Genehmigung.“ Sie schob Nia eine lila Hochglanzmappe zu.

„Verstehe. Lass mich raten – keine Präsentation?“

„Technik, das liebe ich. Präsentationen?“ Teagan schüttelte sich, als sie sich setzte.

Nia kicherte. „Na gut. Ich werde dich nicht drängen, da deine Unterlagen normalerweise tadellos sind.“

„Jetzt bin ich wohl dran.“ Blaine stellte sich neben seinen Stuhl. Er trug schwarze Jeans, ein schwarzes Goodie-Mob-T-Shirt und eine Lederjacke mit silbernen Nieten und einem Totenkopf auf dem Rücken. Seine Locken hingen ihm ins Gesicht.

Nia lächelte ihren Bruder an. „Deine Rückkehr in das Familienunternehmen und unser eher unternehmerisches Umfeld haben nichts an deinem Dresscode geändert. Wunderbar.“

Blaine lachte. „Du kennst mich. Außerdem sehe ich in diesen Klamotten einfach zu gut aus, als dass ein Stilwechsel gerechtfertigt wäre.“ Er räusperte sich. „Aber zurück zum eigentlichen Thema. Ich arbeite derzeit mit zwei neuen Künstlern zusammen, die im letzten Monat bei Against the Grain unterzeichnet haben. Außerdem bewerbe ich mich auch um ein kleines Label aus Shreveport, Louisiana, als mögliches Tochterlabel.“ Er lud seine eigene Präsentation und gab einige kurze Informationen über seine neuen Künstler sowie über das Label, auf das er ein Auge geworfen hatte.

Nia grinste. „Ich wusste, dass es eine richtige Entscheidung war, die Abteilung für Tochterunternehmen zu gründen und dich zum Direktor zu machen, Blaine. Du hast großartige Arbeit geleistet.“

„Schön, dass du meinen Wert erkennst, Schwesterherz.“ Er gab ihr einen Daumen hoch, setzte sich wieder und reichte ihr seine Dokumente.

„Okay. Ihr habt mir eine Menge zum Durchsehen gegeben.“ Sie stapelte die Mappen und fuhr fort: „Das ist alles für heute. Wir sehen uns am 5. Dezember zu unserer letzten Sitzung in diesem Jahr.“

Die kleine Gruppe löste sich auf. Nur Gage blieb zurück.

„Lass uns kurz in dein Büro gehen“, sagte er.

Was will er? „Okay, komm mit.“ In ihrem Büro angekommen, bot sie ihrem Bruder einen Platz auf dem Gästesessel vor ihrem Schreibtisch an. „Was ist los?“

Gage räusperte sich. „Also … Dad hat mich gebeten, dir etwas zu sagen.“

„War er deshalb heute Morgen nicht bei dem Meeting?“ Calebs Anwesenheit war zwar nicht vorgeschrieben, da er Vizepräsident i. R. war, aber er nahm üblicherweise trotzdem teil, damit er über alles, was bei 404 lief, auf dem Laufenden war.

„Ja, vermutlich war das der Grund.“

Sie runzelte die Stirn. „Jetzt rede schon. Was ist los?“

Er lachte nervös und holte tief Luft. „Dad hatte die brillante Idee, etwas Besonders für die Gala kreieren zu müssen, etwas, von dem er glaubt, dass es ihm helfen wird, wieder in Moms Gunst zu kommen.“

Nia runzelte die Stirn. „Ach du meine Güte. Das Einzige, was wirklich funktionieren wird, ist die Wahrheit und dass Mom in der Lage ist, sie zu akzeptieren, wie auch immer sie aussehen mag.“

„Ich stimme dir zu. Aber du kennst Dad – wenn er sich einmal für etwas entschieden hat, dann ist er nicht mehr davon abzubringen.“

„Man sagt, ich hätte seine Sturheit geerbt“, seufzte sie. „Also, was ist das für eine Idee?“

„Es geht um ein audiovisuelles Projekt, das während der Gala auf einer Projektionsfläche gezeigt werden soll.“

„Und was habe ich damit zu tun?“

Er zögerte. „Du wirst mit einem Partner zusammenarbeiten müssen, und Dad hat das auch schon arrangiert.“

„Mit wem? Teagan? Sie ist das technische Genie hier.“

Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Pierce Hamilton.“

Nia stieß sich von ihrem Schreibtisch ab und stand auf. „Nein. Und nochmal Nein. Mit dem Kerl arbeite ich auf keinen Fall zusammen.“

„Dad hat gewusst, dass du das sagen würdest, aber er hat bereits …“

„Pierce ist ein Egomane. Er ist so unglaublich von sich eingenommen, dass ich wahrscheinlich nicht einmal in einen Raum mit ihm passen würde.“

Gage räusperte sich. „Nun … was das betrifft …“

Nias Sprechanlage ertönte, und die Stimme von Althea, ihrer Assistentin, erfüllte den Raum. „Miss Woodson, Everly und Pierce Hamilton warten im Konferenzraum auf Sie.“

Nia starrte ihren Bruder an.

Gage warf die Hände hoch. „Glaube mir … ich habe nichts damit zu tun. Ich bin nur der Überbringer der Botschaft.“

Nia drückte auf die Antworttaste. „Sagen Sie den Hamiltons, dass ich gleich da bin.“

Ich mag es nicht, wenn man mich so überfällt, aber ich werde trotzdem professionell bleiben. Was auch immer es ist, ich hoffe, dass es nicht zu viel von meinem Tag in Anspruch nimmt.

Pierce saß neben seiner Mutter auf der rechten Seite des langen Lacktisches im Konferenzraum von 404 Sound. Hier zu sein ist das Letzte, womit ich heute gerechnet hätte.

Everly ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. „Als ich das letzte Mal hier war, herrschte eine völlig andere Stimmung.“

Er wusste sofort, worauf sie anspielte. „Ich wünschte, du hättest London und mich damals zur Unterstützung mitkommen lassen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Unterstützung? Eher Drama. Euch beide dabeizuhaben, hätte die Dinge nur verkompliziert, und sie waren schon komplex genug.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe die Dinge ganz gut allein geregelt.“

„Stimmt.“ Er zog seine Anzugjacke aus und hängte sie über die Rückenlehne seines Stuhls. „Trotzdem hast du es für eine gute Idee gehalten, mich mit diesem mysteriösen Projekt zu beauftragen.“

„Ich hatte meine Gründe, dich letztes Mal außen vor zu lassen, genauso, wie ich dieses Mal meine Gründe habe, dich um Hilfe zu bitten.“

Er nickte, sagte aber nichts.

Caleb Woodson betrat den Raum und nahm ihnen gegenüber Platz. „Hallo, Everly, Pierce. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.“

„Mein Phillip hätte es so gewollt“, erwiderte Everly und fuhr mit den Fingerspitzen über das Medaillon, das sie um den Hals trug. Pierce wusste, dass sich in dem diamantbesetzten Herz aus Gold das Hochzeitsfoto seiner Eltern befand.

Caleb lächelte. „Ich hoffe, dass dieses Projekt mehr als nur einen positiven Effekt hat.“

Pierce verharrte in Schweigen und beobachtete die beiden Älteren. Irgendetwas haben sie vor, aber ich werde noch früh genug herausfinden, was los ist.

Nia Woodson betrat den Raum und brachte den frischen Duft von Melone und Gardenie mit. Pierce konnte es nicht lassen, sie anerkennend zu mustern. Ihre glitzernde Button-Down-Bluse bildete ein interessantes Gegengewicht zu der schwarzen Hose, die ihre wohlgeformten Hüften und vollen Schenkel umspielte. Mit zielstrebigen Schritten bewegte sie sich durch den Raum und um den Tisch herum und setzte sich neben ihren Vater. Sie sah professionell und umwerfend aus. Doch ihr hübsches Gesicht war angespannt, was auf eine gewisse Unzufriedenheit oder mürrische Stimmung schließen ließ.

„Hallo, Mrs. Hamilton.“ Sie hielt inne und sah ihn an. „Hallo, Pierce.“

Ihm entging ihr knapper Tonfall nicht, er sah aber keinen Grund, darauf einzugehen. Stattdessen erwiderte er mit höflicher Ehrlichkeit. „Es ist immer schön, dich zu sehen, Nia.“

Sie antwortete nicht, sondern wandte sich an Caleb. „Worum geht es, Dad?“

„Also …“ Caleb stand auf. „Everly und ich haben euch heute für ein ganz besonderes Projekt hergebeten. Wir möchten, dass ihr zusammen einen kurzen Film für die Jubiläumsgala dreht.“

„Der Film soll die Geschichte des Unternehmens von der Gründung bis zur Gegenwart zeigen“, fügte Everly hinzu.

Pierce nickte, jetzt, da er verstand, was vor sich ging. „Und ihr wollt, dass ich dabei mitmache, weil mein bester Freund Filmemacher ist.“

„Richtig.“ Everly berührte seine Schulter. „Und weil dein Vater die Anfänge miterlebt hat, und ich weiß, dass du dafür sorgen wirst, dass ihm die gebührende Ehre zuteilwird.“

„Auf jeden Fall.“ Was ihm an Erinnerungen an seinen Vater fehlte, hatte seine Mutter mit Anekdoten und Geschichten wettgemacht, die sie beim Essen oder beim Anschauen von Fotoalben erzählt hatte.

Nia ergriff wieder das Wort. „Das ist eine schöne Idee. Aber die Gala ist in weniger als drei Wochen. Ich hoffe, dein Filmemacher-Freund kann Wunder vollbringen.“

Pierce lachte. „Er ist dafür bekannt, dass er ziemlich beeindruckende Kunststücke vollbringt.“

„Aha.“ Nia wandte sich wieder an ihren Vater. „Ich weiß nicht, warum du nicht Teagan damit beauftragt hast. Technik ist doch ihr Fachgebiet.“

„Stimmt“, gab Caleb zu. „Aber hier geht es mehr um Kunst als um Technik. Es geht darum, dass du die älteste Tochter bist und daher die meisten Erinnerungen an die frühen Tage von 404 hast. Ich weiß, dass ich darauf zählen kann, dass du unsere Geschichte mit dem nötigen Respekt erzählst.“

„Ich freue mich schon darauf. Ich glaube, es wird viel Spaß machen.“ Pierce hielt seinen Blick auf Nia gerichtet. „Ich bin sicher, dass uns beiden etwas Tolles einfällt.“

Ihr Gesichtsausdruck war unleserlich. „Wir werden sehen.“

Everly erhob sich. „Gut, und da ihr beide zusammenarbeiten werdet, lassen Caleb und ich euch jetzt allein, damit ihr die Details besprechen könnt.“

Nia sträubte sich. „Ich glaube nicht, dass das …“

Bevor sie ihren Satz beenden konnte, hatten Caleb und Everly den Raum schon verlassen und die Tür hinter sich geschlossen.

Nia setzte sich zurück und spottete: „Ich fasse es nicht. Was hat sich mein Vater dabei gedacht?“

„Das würde mich bei meiner Mutter auch interessieren“, seufzte Pierce. „Aber verglichen mit den Dingen, die sie normalerweise von mir verlangt, ist das hier eigentlich ganz leicht.“

„Die Erwartungen an mich sind immer hoch, da ich das Familienunternehmen leite.“ Nia seufzte und zog die Mundwinkel nach unten. „Ich bin nur schockiert, dass er mir jetzt ein Nebenprojekt aufbürdet, wo er genau weiß, was ich alles zu tun habe.“

Pierce spürte ein Stechen in der Brust, als Nia ihre Position im Familienunternehmen erwähnte. Es erinnerte ihn daran, dass seine Mutter kein Vertrauen in seine Fähigkeiten hatte, doch er ließ sich nichts anmerken. „Du machst deine Sache gut, Nia. Du strahlst Kompetenz aus. Ich bin sicher, dass wir die herausfordernde Aufgabe meistern können.“

Sie sah ihn lange an. „Du trägst ziemlich dick auf, Pierce.“

„Ich spreche nur aus, was ich sehe.“

Sie schien weniger überzeugt, nickte aber kurz. „Gibt es etwas Projektbezogenes, was du jetzt besprechen möchtest? In meinem Büro wartet nämlich viel Arbeit auf mich.“

Er lächelte, gleichzeitig verärgert und fasziniert von ihrem offensichtlichen Eifer, wieder an die Arbeit und weg von ihm zu kommen. Ich genieße es bereits, in ihrer Gesellschaft zu sein, aber sie wird mich dafür arbeiten lassen, wie ich merke. „Ich werde mich mit Hunter in Verbindung setzen – er ist der gute Freund und Filmemacher, den meine Mutter erwähnt hat – und fragen, wann er sich mit mir treffen kann.“

„Ich beginne damit, Informationen über die Firma aus den Archiven zu holen“, sagte Nia. „Unten im Lager gibt es eine Menge Zeug, das ich durchsehen muss. Sobald ich einige grundlegende Notizen und Fotos und Dokumente gesammelt habe, melde ich mich. Ist das in Ordnung für dich?“

Er nickte. „Klingt gut.“ Er stand auf und schob seinen Stuhl unter den Tisch. „Ich weiß deine Bereitschaft zu schätzen, mit mir zusammenzuarbeiten.“

„Es ist eher ein Gefallen für meinen Vater, aber ich werde versuchen, so hilfreich wie möglich zu sein.“ Sie strich mit der Hand über ihren Kopf und wickelte das Ende ihres Pferdeschwanzes um ihre Fingerspitzen. Nach einem kurzen Moment ließ sie die seidigen Strähnen wieder los.

Pierce fand die harmlose Geste faszinierend. „Ich gehe jetzt, damit ich nicht zu viel Zeit von deinem Arbeitstag in Anspruch nehme. Ich freue mich darauf, von dir zu hören, wenn du so weit bist.“

Sie nickte. „Ich melde mich bald, Pierce.“ Ihr Blick verweilte einen Moment lang auf seinem Gesicht, und der Anflug eines Lächelns umspielte kurz ihre Lippen, bevor ihr Blick wieder ernst wurde.

3. KAPITEL

Nia setzte sich direkt ihrem Vater gegenüber auf den roten Ledersessel im Atlanta Breakfast Club. Sie betrachtete seinen verlegenen Gesichtsausdruck und sagte: „Dad, was in aller Welt hat dich dazu gebracht, mich so in Zugzwang zu bringen?“

Er verschränkte die Finger und legte die Unterarme auf die Tischplatte. „Es tut mir leid, wenn du dieses Gefühl hast, aber das Projekt ist mir wichtiger, als dir vielleicht bewusst ist.“

Der Kellner näherte sich ihnen mit der Speisenkarte und Gläsern mit eisgekühltem Wasser.

„Was darf es für Sie sein, Ma’am?“

„Ich nehme das Sandwich mit gebratenem Huhn, dazu Gemüse der Saison und einen ungesüßten Tee, bitte.“ Sie reichte die Speisenkarte zurück.

„Und für Sie, Sir?“

„Ich nehme das Sandwich mit Shrimps und dazu Fritten und eine Cola …“, begann Caleb.

Sie warf ihrem Vater einen eindringlichen Blick zu.

Er seufzte. „Nein, ich nehme einen Salat als Beilage und ein Mineralwasser.“

Nachdem der Kellner gegangen war, drängte Nia ihren Vater weiter zu Antworten. „Klär mich auf, Dad. Woher kommt das plötzliche Interesse, unsere Geschichte zu erzählen? Weniger als einen Monat vor der Gala? Du hast so etwas noch nie erwähnt, und wir planen diese Veranstaltung schon seit über einem Jahr.“

Sein Blick schweifte durch das Restaurant, blieb aber nie auf ihrem Gesicht hängen.

Sie nahm an, dass er eher nach einer Antwort suchte, als dass er die vertraute, unscheinbare Umgebung bewunderte. Was dem Lokal an Ambiente fehlte, machte es durch Service und das unglaubliche Essen mehr als wett. „Jetzt rede schon, Dad. Denk daran, wir haben nur eine Stunde Mittagspause.“

„Ich weiß. Ich hätte dich nicht so überrumpeln sollen, aber versteh bitte, dass ich wichtige Beweggründe für das Projekt habe.“

„Dann erklär sie mir.“

„Es stimmt, die Planungen für die Gala sind schon seit Langem in vollem Gange. Aber erst vor Kurzem ist es zwischen deiner Mutter und mir zum Zerwürfnis gekommen.“

Sie runzelte die Stirn. „Tut mir leid, aber ich sehe den Zusammenhang nicht. Ich weiß, dass ihr gerade eine schwere Zeit durchmacht, aber warum muss ich deshalb mit Pierce an etwas arbeiten?“

Er lehnte sich zurück. „Bei dieser Filmretrospektive geht es um mehr als nur darum, der Gala ein Highlight hinzuzufügen. Es geht um unsere Familie. Und das Fundament dieser Familie sind Addy und ich.“ Er hielt inne. „Ich hoffe, dass die Erinnerung an alles, was wir miteinander geteilt und gemeinsam aufgebaut haben, sie zu mir zurückbringt.“

„Ich verstehe, worauf du hinauswillst.“

„Gut.“

„Trotzdem hoffe ich, du hast einen Plan B. Du hast uns einen sehr engen Zeitrahmen gegeben. Was, wenn der Film bis zur Gala nicht fertig ist? Was machst du dann?“

Er stöhnte. „Ganz ehrlich? Ich rechne fest damit, dass ich von den falschen Behauptungen freigesprochen werde. Denn das sind sie. Falsch. Ich weiß nur nicht, wie lange es dauern wird. In der Zwischenzeit kann ich genauso gut irgendetwas anderes unternehmen.“

Der Kellner servierte das Essen, und sie ließen sich die gut gewürzten Speisen schmecken.

Schließlich erhob er wieder das Wort. „Ich wollte nicht in dem Meeting darauf zu sprechen kommen, aber ich habe heute Morgen von meinem Anwalt gehört.“

„Wirklich?“ Sie beugte sich vor. „Was gibt es denn?“

„Weißt du noch, dass ich einen Privatdetektiv beauftragt habe, der Sache mit Keegan auf den Grund zu gehen?“ Er verzog das Gesicht, als hinterließe der Name einen bitteren Nachgeschmack. „Ich habe den Privatdetektiv gebeten, seine Ergebnisse direkt an meinen Anwalt weiterzuleiten.“

„Warum? Ich dachte, du würdest sofort wissen wollen, was er herausgefunden hat.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß bereits, dass da etwas faul ist, denn dieser junge Mann ist auf keinen Fall mein Sohn. Deshalb habe ich darum gebeten, direkt zu Elliot zu gehen, und zwar aus zwei Gründen – erstens sollte Addy sehen, dass der Prozess ohne meine Einmischung abläuft, und zweitens, um die unvermeidlichen rechtlichen Schritte zu beschleunigen, die sich daraus ergeben werden.“

Sie dachte über seine Worte nach. Er beteuerte immer noch seine Unschuld. Dad meint es ernst, wenn er sagt, dass er das, was ihm vorgeworfen wird, nicht getan hat. Ich habe keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Die eigentliche Frage ist also, warum macht Keegan so etwas? „Ich bin sehr an den Ergebnissen interessiert. Es ist längst an der Zeit, die Sache abzuschließen.“

„Da stimme ich dir absolut zu.“ Er schüttelte den Kopf. „Was ich durchgemacht habe, seit dieser Mann in unser Leben getreten ist, ist unvorstellbar. Sobald Elliot die Ergebnisse einer gründlichen Prüfung unterzogen hat, wird er sie uns vorlegen und alles erklären.“

Die Teller wurden abgeräumt, doch sie blieben sitzen, auch als sich die Menge um sie herum zu lichten begann.

„Ich bin froh, dass du mir von deinen Beweggründen für das Filmprojekt erzählt hast, Dad.“ Sie trank einen Schluck Tee. „Trotzdem bin ich immer noch nicht begeistert von der Aussicht, Zeit mit Mr. Selbstgefällig zu verbringen.“

„Tatsächlich habe ich Everly gefragt, ob London uns helfen kann. Sie war diejenige, die Pierce ins Spiel gebracht hat. Vermutlich, weil er mit dem Filmemacher befreundet ist.“

Das brachte sie ins Grübeln. Es war also nicht Dad, der dafür verantwortlich ist, dass ich Pierce am Hals habe. Aber egal, wer es war, es ist keine ideale Konstellation. „Dann muss ich mich also bei Mrs. Hamilton dafür bedanken. Na toll. Wie auch immer, zwischen Gala und meinen üblichen Pflichten gibt es viel zu tun. Es wird nicht einfach werden, alles zu schaffen.“

„Was ist für die Gala noch zu tun?“

„Jetzt geht es hauptsächlich um Nachfassaktionen und Bestätigungen. Wir müssen sicherstellen, dass die Zusagen gezählt werden und das Catering endgültig feststeht. Ich muss mit dem Veranstaltungsort abklären, ob alles, was wir verlangt haben, vorhanden ist.“

„Ich fühle mit dir mit, Süße“, sagte er. „Aber kann deine Assistentin diese Dinge nicht für dich erledigen?“

„Um das meiste hat sie sich bereits gekümmert. Aber Mom hat mich gebeten, die arbeitsintensivste Sache selbst zu machen – Bestätigungsschreiben an die Promi-Gäste. Sie findet es so persönlicher.“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. „Du glaubst nicht, wie schwer es ist, diese Leute festzunageln.“

„Nach Jahrzehnten in der Branche glaube ich das“, scherzte er. „Ich möchte, dass du an diesem Projekt arbeitest, und ich betrachte es als einen Gefallen, wenn du es tust. Aber übernimm dich bitte nicht, okay?“

Sie nahm lächelnd seine Hand und drückte sie. „Mach dir keine Sorgen, Dad.“

Pierce fuhr mit seinem schwarzen Lincoln Navigator in die Einfahrt des spanischen Kolonialhauses seines besten Freundes in Atlantas Nobelviertel Morningside und stellte den Motor ab. Es war ein Mittwochvormittag. Normalerweise wäre er an einem Wochentag nicht so früh bei Hunter, aber der Auftrag seiner Mutter hatte den Besuch notwendig gemacht.

Er stieg aus seinem Wagen und strich auf dem Weg zur Haustür ein paar Fussel vom Ärmel seines weißen Rollkragenpullovers. Er klopfte ein paar Mal gegen die dunkle Holztür, bevor sie geöffnet wurde.

„Hey, P.“ Hunter hielt die Tür auf. „Komm rein.“ Hunter trug eine Khakihose und ein langärmeliges Clark-Atlanta-T-Shirt und hatte seine langen Dreadlocks zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengebunden.

„Danke, Hunter.“ Er trat in das ihm vertraute Haus und atmete tief ein. „Bitte sag mir, dass ich Kaffee rieche. Ich brauche unbedingt Koffein.“

Hunter lachte. „Ja, es ist fair gehandelter kolumbianischer Kaffee. Komm, wir holen uns eine Tasse, bevor wir runter ins Studio gehen.“

Sie schlenderten durch das Wohnzimmer, vorbei an den Nischen, in denen Hunters beeindruckende Sammlung von Töpferwaren lokaler schwarzer Künstler untergebracht war, hinein in die geräumige Küche. Pierce nahm einen schwarzen Keramikbecher vom Tresen und goss sich eine Tasse dampfenden Kaffees ein. „Irre ich mich, oder hast du die Arbeitsplatten erneuert?“

„Du bist der Erste, dem das auffällt“, lachte Hunter, als er den Kühlschrank öffnete und Milch herausnahm. „Ich habe vor etwa einem Monat die alte Granitplatte gegen diese neue Quarzplatte ausgetauscht.“

„Sei ehrlich. Du hattest niemanden zu Besuch, seit du es gemacht hast, oder?“

„Stimmt. Du weißt, dass ich nicht viele Leute zu mir nach Hause einlade.“

Er und Hunter hatten schon häufig darüber gesprochen, dass man Leute, die man nicht gut kannte, nicht ins Haus lassen sollte. Er konnte es also nachvollziehen. „Wie auch immer, es gefällt mir. Sieht gut aus.“ Er gab Milch in seinen Kaffee und rührte ihn um.

Die Tasse in der Hand, fragte Hunter: „Bereit, nach unten zu gehen?“

„Ja, lass uns anfangen.“ Er hatte seiner Mutter versprochen, vor Ende der Mittagspause zurück im Büro zu sein, also hatte er nur knapp drei Stunden Zeit, so viel wie möglich für das Retrospektivprojekt zu erledigen.

Sie gingen die Treppe hinunter und betraten das Filmstudio im Keller. In dem riesigen Raum gab es eine Sitzecke mit einem Tisch aus Glas und Stahl.

Gegenüber der Sitzecke befand sich eine lange Wand, die vollständig von einem Greenscreen eingenommen wurde. Auch der Boden war dort im gleichen Farbton gestrichen. Die auf die Wand gerichtete Studiobeleuchtung war derzeit ausgeschaltet.

„Setzen wir uns kurz hin und reden, bevor wir mit dem Filmen beginnen.“ Hunter deutete auf das Sofa.

Nachdem sie beide Platz genommen hatten, fragte Pierce: „Was gibt es Neues bei dir? Ich habe dich seit Wochen nicht gesehen.“

„Ich war die letzten anderthalb Wochen in L.A. Tatsächlich bin ich erst gestern Abend zurückgekommen. Ich war gerade am Flughafen, als mich deine SMS über dieses Projekt erreichte.“

Pierce sah seinen Freund an. „Ich weiß nicht, warum du nicht den Jet deines Vaters benutzt, statt kommerziell zu fliegen. Ich hasse Flughäfen. Die Menschenmassen, die Warteschlangen, Menschen, die auf dem Fahrsteig rennen. Es ist grauenhaft.“

„Da stimme ich dir zu. Aber ich finde auch, dass es verdammt verschwenderisch ist, mit einem Privatjet herumzufliegen, nur weil ich dazu in der Lage bin.“ Er kratzte sich am Kinn. „Außerdem war ich mit meiner Crew dort, um Teile für den Dokumentarfilm zu drehen, an dem ich gerade arbeite. Du weißt schon, der über farbige Menschen in der sauberen Energiebranche.“

„Ja, ich erinnere mich, dass du ihn erwähnt hast.“

„Ganz genau. Wie sähe es denn aus, wenn ich dort mit einem Privatjet ankäme?“

„Ich verstehe. Hast du alles Material bekommen, was du brauchst?“

„Ich denke, ich habe genug. Jetzt liegt es an meinen Post-Produktionsleuten, es zu einem zusammenhängenden Film zusammenzuschneiden.“ Hunter sank in die Kissen.

Sie saßen einen Moment in freundschaftlichem Schweigen, während sie ihren Kaffee austranken.

„Ist bei dir irgendetwas Interessantes passiert?“, fragte Hunter schließlich und stellte seine Tasse auf den Tisch.

Pierce schüttelte den Kopf. „Du kennst mich. Immer nur Arbeit und Arbeit.“

Hunter lachte und schüttelte den Kopf. „Ich muss dir sicher nicht sagen, dass es mehr im Leben gibt als das.“

„Nein, musst du nicht. Aber wenn ich nicht an der Gewinnoptimierung von Hamilton House arbeite, ziehen meine Mutter und meine Schwester mich unweigerlich zu irgendeinem Projekt hinzu, das sie gerade am Laufen haben. Das ist auch der Grund, weshalb ich jetzt hier bin und keine Zeit für private Unternehmungen habe.“

Hunter schnaubte. „Tut mir leid, Mann. Zumindest kennst du jemanden, der den Film für dich drehen und bearbeiten kann, ohne dass du dafür zu viel Zeit aufwenden musst.“

„Du bist meine Rettung, Kumpel.“ Pierce schüttelte ihm die Hand.

„Lass uns rüber zum Greenscreen gehen und fangen wir einfach an zu filmen. Ich habe ein paar Fragen, die mir deine Mutter geschickt hat, also fangen wir damit an, dass du sie beantwortest.“

„Sie hat dir hoffentlich nichts Peinliches geschickt?“ Er fragte sich unwillkürlich, ob seine Mutter wollte, dass er über irgendein peinliches Ereignis aus seiner Kindheit sprach, um den Unterhaltungswert des Films zu erhöhen.

„Nicht wirklich, aber wenn wir auf irgendetwas stoßen, worüber du nicht sprechen möchtest, werde ich dich nicht drängen. Und denk daran, wir schneiden den Film, bevor ihn irgendjemand zu sehen bekommt.“ Hunter schaltete die Studiobeleuchtung ein, ging dann zum Requisitenschrank und kam mit einem Hocker zurück, den er vor dem Greenscreen aufstellte.

Pierce setzte sich und holte tief Luft.

Hunter holte ein Stativ hervor, auf dem eine Hightech-Filmkamera montiert war. Nachdem er einige Augenblicke mit der Positionierung gespielt hatte, fragte er: „Bist du bereit?“

Pierce nickte. „Ja.“

Hunter schaltete die Kamera ein, dann holte er ein gefaltetes Stück Papier aus der Tasche. „Heute sind wir hier mit Pierce Hamilton zusammen, dem Direktor für Wachstum und Akquisition bei Hamilton House Recordings. Also, Pierce, erzählen Sie uns, wie Sie auf Ihrem Abschlussball über ein Skateboard gestolpert und mit dem Gesicht in die Bowle gefallen sind.“

Pierce fiel die Kinnlade hinunter. „Mann, wenn du das nicht …“

Sein Freund lachte. „Das war Spaß. Nur ein kleiner Eisbrecher.“

Pierce sah seinen alten Kumpel an. „Lösch das.“

4. KAPITEL

Am Donnerstagmorgen näherte sich Nia einem Zweiertisch im vorderen Teil von The Bodacious Bean. Sie stellte ihren Becher mit dem dampfenden Mint-Chocolate-Mocha und ihr Sandwich auf den Tisch und legte ihre Hermès-Clutch und ihren Attaché-Koffer auf die Fensterbank zu ihrer Linken.

Sie setzte sich, trank einen Schluck und seufzte. Ich liebe die Mint-Mocha-Saison, und niemand macht ihn so gut wie das Personal hier. Jedes Jahr, sobald es draußen frisch wurde, verspürte sie heißes Verlangen nach diesem Getränk.

Sie nahm einen Bissen von ihrem Sandwich, und ihr knurrender Magen freute sich über den knusprigen Speck, den weichen Bagel und das perfekt gebratene Ei.

Sie blickte auf, als die Klingel über der Eingangstür ertönte, und sah ihre Schwester Teagan hereinkommen. Teagans lange, weinrote Tunika, die dazu passende Hose mit Goldstickerei und die glitzernden goldenen Ballerinas waren typisch für ihre Kleidung bei der Arbeit. Nia hatte den Stil ihrer Schwester immer liebevoll als „Astrologen-Schick“ bezeichnet.

Teagans Outfit stand in starkem Kontrast zu Nias marineblauer Hose, dem roten Kaschmirpullover und blauen Pumps mit roter Kappe. Der extreme Unterschied in ihrem Stil war eines der Dinge, die Nia an ihrer Beziehung liebte. Sie konnte sicher sein, dass sie und ihre kleine Schwester niemals in dem gleichen Outfit zu einer Veranstaltung kommen würden.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Essen zu, während ihre Schwester bestellte. Ein paar Minuten später erschien Teagan mit einem Croissant und einer dampfenden Tasse am Tisch, stellte die Sachen ab und setzte sich. „Guten Morgen, Schwesterherz.“

„Hey, Teagan. Was trinkst du heute?“

„Grünen Tee Zitrone mit Honig. Ich habe es gestern mit dem Koffein übertrieben, und ich bin immer noch ein bisschen überdreht.“ Sie probierte einen Schluck. „Was du trinkst, muss ich nicht fragen. Ich rieche bereits die Minze.“

Nia lachte. „Was soll ich sagen? Ich bin ein Gewohnheitstier.“

Sie aßen und tranken ein paar Minuten lang schweigend. Als Nia mit ihrem Sandwich fertig war, stellte sie ihre Tasse auf den Keramikteller und schob das Geschirr nach links. Sie nahm ihr Tablet aus der Aktentasche und legte es auf den Tisch. „Bereit für ein Fachgespräch?“

Teagan wischte sich mit einer Papierserviette ein paar Krümel von ihrer Tunika, dann stellte sie ihren Mini-Laptop auf den Tisch und öffnete ihn. „Worüber willst du als Erstes sprechen?“

„Das Technik-Praktikanten-Programm, das du in dem Meeting angesprochen hast. Lass uns über deinen Vorschlag reden.“

„Du hast ihn also schon gelesen?“

Nia nickte. „Natürlich. Mir gefällt die Idee, und ich denke, es ist aus zwei Gründen eine gute Investition. Erstens macht es einen guten Eindruck, wenn sich 404 für wohltätige Zwecke einsetzt. Und zweitens könnten wir möglicherweise einige gut ausgebildete künftige Mitarbeiter für uns gewinnen, sodass es tatsächlich als eine Investition in die langfristige Rentabilität von 404 angesehen werden könnte.“

Teagan grinste. „Großartig. Ich bin froh, dass du die Vorteile siehst. Bewilligst du also die Finanzierung, damit ich mit dem Programm beginnen kann?“

„Auf jeden Fall.“ Nia rief die Notizen auf, die sie zu dem von Teagan eingereichten Vorschlag gemacht hatte. „Ich kann das Programm mit neunzig Prozent der von dir geforderten Summe finanzieren.“

Teagan machte ein nachdenkliches Gesicht, dann begann sie zu tippen. „Scheint fair zu sein. Ich werde mein Bestes tun, damit auszukommen.“

„Großartig. Wenn es zu wenig ist, schlage ich vor, mit Miles eine Spendenaktion zu organisieren, um die restlichen Kosten zu decken.“ Nia trank den Rest von ihrem Mocha aus. „Aber du bist ja einfallsreich. Vermutlich schaffst du es, ohne viel mehr zu tun. Ich würde gern noch über etwas anderes mit dir sprechen. Wusstest du von Dads Plan?“

„Du meinst den Film? Ich habe erst gestern davon gehört. Gage hat es mir erzählt.“

„Ich halte es nicht unbedingt für eine schlechte Idee. Aber der Zeitpunkt ist blöd. Wir haben nur noch wenig Zeit bis zur Gala.“

„Stimmt. Er hätte euch auf jeden Fall etwas mehr Zeit geben können.“

„Das Schlimmste ist, dass ich mit Pierce Hamilton an diesem Projekt arbeiten muss.“ Nia rollte mit den Augen. „Auch wenn wir bisher wenig miteinander zu tun hatten, mochte ich ihn noch nie.“

„Tut mir leid, dass du ausgerechnet mit ihm arbeiten musst, Schwesterherz. Aber sei deshalb nicht wütend auf Dad. Er hat einfach einen Plan ausgeheckt und die beiden Leute ausgewählt, von denen er glaubte, dass sie am besten in der Lage sind, ihn auszuführen.“

Nia runzelte die Stirn. „Vermutlich hast du recht.“

„Gage sagt, dass Pierce mit einem Filmemacher befreundet ist. Vielleicht bringt ihr so die Sache schnell über die Bühne.“

„Ich hoffe es. Ich möchte nicht zu viel Zeit mit dieser kleinen Nebenaufgabe verbringen.“ Nia lehnte sich zurück. „Es gibt noch so viele andere Dinge im Zusammenhang mit der Gala zu tun. Und da Mom nicht in der Stadt ist, bedeutet das mehr Arbeit für mich.“

„Kopf hoch, Schwesterherz. Die Gala findet bald statt und danach können wir aufatmen.“ Teagan klappte ihren Laptop zu. „Und denk daran, die letzten Anproben stehen an, und du liebst doch Maßanfertigungen.“

Nia merkte, dass ihre Schwester sie neckte, und lächelte. „Du hast recht, Schwesterchen. Ich in einem superschicken Kleid ist definitiv etwas, worauf ich mich freuen kann.“

„Hey, du selbstgefälliger Kerl.“

Pierce blickte von seinen Unterlagen auf und starrte seine Zwillingsschwester an, die in der Tür seines Büros stand. „London, nerv mich nicht.“

Sie trat in den Raum und ließ sich auf den Gästestuhl vor seinem Schreibtisch fallen. „Jetzt hör auf, so zu tun, als würdest du mich nicht mögen, kleiner Bruder.“

Er seufzte. „Sieben Minuten, London. Du bist nur sieben Minuten älter als ich.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Trotzdem älter, Pierce.“

Er lehnte sich zurück. „Also, was willst du, oder …“

Sie lachte. „Okay, ich glaube, ich habe dich genug geneckt.“ Sie schlug die Beine übereinander. „Wie läuft dein kleines Projekt mit Nia Woodson?“

„Ich habe erst gestern angefangen, daran zu arbeiten, und schon gehst du mir mit deiner Neugier auf die Nerven.“

„Was soll ich denn sonst tun, um mich in diesem Laden zu unterhalten?“

„Du könntest, ich weiß nicht, einer richtigen Arbeit nachgehen?“

„Hör zu. Als Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit arbeite ich sehr hart, das kannst du mir glauben. Egal, beantworte einfach meine Frage. Wie läuft es mit dem Projekt? Du und diese 404-Lady, seid ihr schon aneinandergeraten?“

Er schüttelte den Kopf. „Wir haben nicht genug Zeit miteinander verbracht, um das zu tun. Ich habe sie am Dienstag gesehen, als ich mit Mom dort war. Das Treffen dauerte vielleicht dreißig Minuten. Sie hatte es eilig, zurück in ihr Büro zu kommen. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.“

„Aber Mom hat dir gestern freigegeben, um an dem Projekt zu arbeiten. Jetzt sag nicht, du hast nicht getan, was Mom verlangt hat?“

Er starrte sie an. „London, wenn du es unbedingt wissen willst, ich war bei Hunter. Wir haben an meinen Beichtszenen für den Film gearbeitet.“ Er hielt inne. „Da fällt mir ein, du musst vermutlich auch zu ihm, damit er ein paar Dinge von dir filmt.“

„Nein, Pierce, du weißt, dass ich kamerascheu bin.“

„Komm schon, London. Willst du nicht, dass deine Erinnerungen daran, wie du von einer starken, erfolgreichen schwarzen Frau erzogen wurdest, für die Nachwelt erhalten bleiben?“

Sie atmete tief ein und aus. „Ich hasse es, wenn du so vernünftig daherredest.“ Sie spielte mit ihren Locken an der Schläfe, wie sie es oft tat, wenn sie aufgeregt oder gestresst war. „Also gut, aber sag deinem Freund, dass er maximal fünfzehn Minuten Zeit hat, danach bin ich raus.“

„Keine Sorge. Wir sind schon lange genug befreundet, dass er weiß, wie unsicher du vor der Kamera bist. Ich bin sicher, er quält dich nicht zu lange.“

„Wir werden sehen.“ Sie hielt inne und schnippte dann mit dem Finger, als wäre ihr gerade etwas eingefallen. „Ach ja. Ich wollte dir ja etwas sagen. Rate mal, wer bald zu Besuch kommt?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wer?“

„Uncle Martin.“

„Wirklich? Wir haben Uncle Martin bestimmt seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.“

„Ja, das stimmt ungefähr. Jedenfalls war ich gerade bei Mom, als er heute Morgen anrief, und ich habe mitbekommen, dass er uns besuchen und über die Thanksgiving-Feiertage bei uns bleiben will.“

Er lächelte bei dem Gedanken an den jüngeren Bruder seines Vaters, der sein Lieblingsonkel war. Er war witzig und unbekümmert, und man konnte sich darauf verlassen, dass er jede Situation mit Humor und Klugheit meisterte. „Wann kommt er?“

„Genau weiß ich es nicht, aber auf jeden Fall vor Thanksgiving.“ London grinste. „Du weißt, was das bedeutet, oder?“

Er sah sie an und zeigte seine Verwirrung.

„Du willst den CEO-Posten. Das weiß jeder hier. Und wenn es jemanden gibt, der Mom davon überzeugen kann, ihn dir zu geben, dann ist es Uncle Martin.“

Er strich sich übers Kinn und dachte über die Worte seiner Schwester nach. „Das stimmt. Er ist so ziemlich der einzige Mensch auf der Welt, von dem Mom einen Rat annimmt. Aber warum erzählst du mir das? Bist du nicht auch scharf auf den Posten?“

„Mann, wir sind Zwillinge, und du solltest mich eigentlich besser kennen. Ich träume nicht von Arbeit. Ich habe im Bereich Öffentlichkeitsarbeit schon mehr Verantwortung, als mir lieb ist. Du kannst gern den CEO-Posten übernehmen, ehrlich.“

„Hast du das jemals Mom gesagt?“

„Nein, außerhalb des Büros reden wir nicht viel über Arbeit.“

Er rollte mit den Augen. „Du weißt schon, dass es sich zu meinen Gunsten auswirken könnte, wenn du ihr sagst, wie du dich fühlst.“

„Vielleicht. Auf jeden Fall hätte Uncle Martins Befürwortung mehr Gewicht als meine.“ Sie stand auf und streckte sich. „Ich denke, ich gehe jetzt wieder an die Arbeit.“

„Gut, dann kann ich auch weitermachen.“

Sie verschwand und ließ ihn allein mit seinen Gedanken zurück. Eigentlich müsste er sich wieder dem Papierkram widmen, doch er befand sich in einer nachdenklichen Stimmung.

Er lehnte sich zurück und dachte über den bevorstehenden Besuch seines Onkels nach und über das Desinteresse seiner Schwester an der Nachfolge ihrer Mutter als Geschäftsführerin von Hamilton House. Vielleicht kann ich jetzt endlich die Firma übernehmen.

Seine Gedanken schweiften ab und Nias schönes Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf. Er hatte keine Ahnung, wie jemand, der so unglaublich schön war, so streng wirken konnte oder warum er sie trotz ihres nicht gerade sonnigen Gemüts so unwiderstehlich fand.

Ist sie immer so? Oder nur bei mir? Bei jeder anderen Frau hätte ihn der überstürzte Rückzug vermutlich gekränkt. Sein Ego sagte ihm, dass zumindest ein Teil davon auf ihre Position zurückzuführen war. Sie leitete das Unternehmen und vermutlich erforderten eine Million Dinge ihre Aufmerksamkeit.

Sein Telefon piepte, und er sah auf das Display. Eine Erinnerung an die morgige Preisverleihung poppte auf, die von der Greater Atlanta Metro Business Society oder kurz GAMBS veranstaltet wurde. Er würde einen Preis für seine Wohltätigkeitsarbeit entgegennehmen, und er wusste, dass auch Nia einen Preis erhalten würde.

Ich freue mich wirklich darauf, sie zu sehen, schick zurechtgemacht. Er tat sein Bestes, diesen Gedanken zu verdrängen. Jetzt, wo sich alles fügte, musste er sich voll und ganz darauf konzentrieren, den CEO-Posten zu bekommen.

Das bedeutete, dass er keine Zeit für eine Frau hatte, egal, wie bezaubernd sie war.

5. KAPITEL

Am Freitagabend suchte Nia verzweifelt den Boden ihres Schlafzimmers nach ihrem Ohrring ab.

Bekleidet mit einem trägerlosen BH aus marineblauer Spitze und passendem Höschen kniete sie auf dem Boden neben dem Sessel am Fußende ihres Bettes. „Aha!“ Sie griff nach dem tropfenförmigen, mit Brillanten und Saphiren besetzten Ohrring, der auf dem weißen Teppich lag. Sie setzte sich auf den Sessel und legte die Ohrringe an.

Dann trat sie an ihren Schrank und nahm das Kleid heraus, das sie bei der Verleihung der GAMBS Stars of Charity tragen wollte. Normalerweise könnte sie einfach nur dabei sein und zusehen, wie ihr Bruder Miles den Preis entgegennahm, da die Wohltätigkeitsarbeit bei 404 Sound in seinen Zuständigkeitsbereich fiel. Doch Miles war noch in den Flitterwochen, und so musste sie einspringen.

Es ist ein Unterschied, ob man an einer solchen Veranstaltung einfach teilnimmt oder ob man tatsächlich auf die Bühne muss, wo einen jeder sehen kann. Sie legte das Kleid auf das Bett und öffnete den Rückenreißverschluss, damit sie hineinschlüpfen konnte. Als sie in dem Kleid steckte, zog sie den Reißverschluss mit der speziellen langstieligen Anziehhilfe hoch, die Teagan ihr vor ein paar Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie betrachtete sich im Spiegel.

Wow, Mädchen. Sie lächelte und betrachtete die klaren Linien des kobaltblauen Etuikleides. Es ging ihr bis zur Wade und hatte einen modischen asymmetrischen Ausschnitt, der ihre rechte Schulter entblößte. Die linke Schulter wurde durch einen wunderschönen, gerafften Volant betont, und der Stoff fühlte sich samtweich auf ihrer Haut an.

Sie setzte sich auf den Hocker vor ihrem Schminktisch und trug ihre Lieblingsgrundierung auf. Dann schminkte sie sich tiefblaue Smokey Eyes und rundete ihr Make-up mit einem schimmernden Nude-Lippenstift ab. Ihre Frisörin hatte ihr Haar zuvor zu einem eleganten hohen Knoten gestylt.

Zufrieden mit ihrem Aussehen, schlüpfte sie in ein Paar blaue Wildlederpumps, die an der Spitze mit Kristallen verziert waren. Sie schnappte sich ihren blau schimmernden Umhang und die passende Clutch, steckte ihr Handy und eine kleine Brieftasche hinein, dann nahm sie ihre Schlüssel vom Haken neben der Haustür.

Sie verließ das Haus kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Schnellen Schrittes ging sie zu ihrer schwarzen Luxuslimousine. Der Umhang schützte zwar ihre Arme vor der Kälte, nicht aber ihre nackten Beine.

Liebe friere ich, als dass ich eine Strumpfhose trage. Sie hasste diese Dinger.

Sie stieg in ihren Wagen und ließ den Motor an. Vorsichtig ordnete sie sich in den Verkehr ein. Die Fahrt zum Atlanta Marriot Marquis dauerte etwa zwanzig Minuten, und sie erreichte fünfzehn Minuten vor Beginn der Festlichkeiten die Location. Diese Zeit würde sie auch benötigen, um sich in dem riesigen Hotel zurechtzufinden und ihren Tisch im Ballsaal zu finden.

Der Ballsaal war für die Veranstaltung wunderschön dekoriert worden. Sanftes Licht fiel auf die runden Tische, an denen jeweils etwa zehn Personen Platz fanden. Elegante Blumenarrangements standen in der Mitte jedes weiß gedeckten Tisches, edles Porzellan und glänzende Silberbestecke rundeten das Bild ab.

Sie schaute sich nach dem Tisch um, der für 404 vorgesehen war, und grinste, als sie Teagan entdeckte. Sie bahnte sich den Weg dorthin.

„Sie haben uns einen Tisch wirklich nah an der Bühne gegeben, nicht wahr?“, bemerkte Nia.

„Macht Sinn, wenn man bedenkt, dass du da raufmusst.“ Gage stand auf und zog einen der vier freien Stühle für seine Schwester vor.

„Danke, Gage.“ Sie setzte sich und legte die Clutch auf ihren Schoß. Sie begrüßte alle Anwesenden am Tisch. Da waren ihre Brüder Gage und Blaine und ihr Schwager Maxton, alle in dunklen Anzügen. Dann waren da noch ihre Schwester Teagan, ihre Schwägerin Ainsley und die hochschwangere Eden, alle schick gekleidet. Nur ihre Eltern fehlten. „Wie ich sehe, konntest du Dad nicht überreden zu kommen, Blaine.“

Er schüttelte den Kopf und rückte seine Fliege zurecht. „Ich habe es versucht. Aber er hat sich sofort darüber ausgelassen, wie sehr er diese Art von Veranstaltung hasst – sie seien langweilig und pompös und eine Geldverschwendung für die Organisation. Ich bin einfach rausgegangen und habe ihn schimpfend stehen lassen.“

Nia seufzte. „Er hätte einfach Nein sagen können.“

„Du kennst Dad“, warf Teagan ein. „Er liebt es, Vorträge zu halten. Manchmal glaube ich, er kann einfach nicht anders.“

Maxton trank einen Schluck Champagner. „Es ist einfach toll. Selbst nach einer Fünfzehn-Städte-Tournee mit Jazmine Sullivan kann ich damit rechnen, dass es aufregend wird, wenn ich nach Hause komme.“

Nia lachte. Er hat nicht unrecht. Wir Woodsons scheinen immer irgendeine Art von Drama am Laufen zu haben. Am Tisch herrschte Stille, als die Kellner das Essen servierten. Es gab einen Salat als Vorspeise, dann Kräuterhähnchen mit Safranreis und grünen Bohnen und zum Dessert einen köstlichen Käsekuchen. Während des Essens unterhielten sich alle am Tisch angeregt.

Bald darauf begann die Preisverleihung. Eine dunkelhäutige Frau in einem schwarzen Paillettenkleid trat ans Mikrofon und stellte sich als Dr. Grace Hutchinson vor, Präsidentin der GAMBS. „Es ist mir eine große Ehre, den ersten Preis des heutigen Abends, den Bright Futures Award, an 404 Sound Recording für die herausragende Unterstützung der Jugend von Atlanta zu verleihen. CEO Nia Woodson wird die Plakette im Namen des Familienunternehmens entgegennehmen.“

Autor

Kira Sinclair
Wenn Kira Sinclair gerade nicht als Büro – Managerin arbeitet oder neue Zeilen für eine Geschichte schreibt, verbringt sie Zeit mit ihrem Ehemann, zwei bezaubernden Töchtern und jeder Menge Tieren auf ihrer kleinen Farm im Norden Alabamas. Egal in welcher Form, Schreiben war schon immer ein Teil ihres Lebens.
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Jules Bennett
Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
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