Baccara Extra Band 18

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EISKALTE GESCHÄFTE, HEIßES VERLANGEN von CELMER, MICHELLE
Nichts kann Nathan Everettes Aufstieg an die Spitze von Western Oil stoppen. Außer das unerwartete Auftauchen von Ana. Verführerisch wie eh und je steht sie vor ihm - mit einem Baby im Arm, das das Geburtsmal der Everetts trägt! Nathan muss sich entscheiden: Karriere oder Liebe.

LIEBESLIST UND LEIDENSCHAFT von LINDSAY, YVONNE
Unfassbar! Wilson Wines ist Nicoles Ein und Alles, und trotzdem übergibt ihr Vater das Weingut ihrem Bruder. Darüber muss sie erst mal hinwegkommen - am besten mit dem sexy Fremden aus dem Nachtclub. Leider ist Nate der Sohn vom Erzrivalen der Wilsons …

ÖFFNE DEIN HERZ, DARLING von MANN, CATHERINE
Claires Affäre mit dem attraktiven Tierarzt Will Jansen ist perfekt! Doch dann wird sie vor eine schwere Entscheidung gestellt: Sie erwartet ein Baby von Will. Und sie weiß, er wird für sie und das Kind sorgen - aber wird er ihr auch sein Herz und seine Liebe schenken?

SPIONIN IN SCHWARZER SPITZE von LECLAIRE, DAY
Der prächtige Ring mit dem großen Saphir ist schon gekauft und alles für den perfekten Antrag bereit. Da erfährt Business-Tycoon Jack Sinclair, dass seine schöne Geliebte für seine größten Feinde arbeitet. Hat Nikki sich nur von ihm verführen lassen, um ihn auszuspionieren?


  • Erscheinungstag 26.02.2019
  • Bandnummer 0018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725891
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Celmer, Yvonne Lindsay, Catherine Mann, Day Leclaire

BACCARA EXTRA BAND 18

1. KAPITEL

Oh, oh, das war ganz und gar nicht gut.

Ana Birch warf einen betont beiläufigen Blick über die Schulter in Richtung der leicht erhöhten Terrasse des Country Clubs. Sie hoffte, dass sie sich irrte, dass ihre Augen ihr nur einen Streich gespielt hatten. Vielleicht sah der Mann in der dunklen Lederjacke ihm ja nur ähnlich!

Immerhin hatte sie seine Züge noch Monate, nachdem er sie verlassen hatte, in den Gesichtern Wildfremder wiederzuerkennen geglaubt. Den dunklen Schlafzimmerblick, den sinnlichen Schwung seiner Lippen. Seine breiten Schultern und die sehnige Figur. Und jedes Mal hatte ihr der Atem gestockt, hatte ihr Herz schneller zu schlagen begonnen – nur um gleich im nächsten Augenblick einen schmerzhaften Stich zu spüren, weil ihr klar wurde, dass es nur jemand war, der ihm ähnlich sah. Achtzehn Monate war es her, dass er ihre Affäre beendet hatte. Achtzehn Monate, seitdem sie zuletzt von ihm gehört hatte.

Ihr zweiter Versuch, einen genaueren Blick auf den hochgewachsenen Mann zu erhaschen, glückte. Er hielt einen Drink in der Hand und plauderte mit einem anderen Partygast. Ihr Herzschlag schien für einen kurzen Moment auszusetzen, und ihre Kehle schnürte sich zu. Das hier war kein Irrtum. Er war es tatsächlich.

Oh Gott. Wie hatte Beth ihr das nur antun können?

Sie schob ihren neun Monate alten Sohn Max ein bisschen höher auf ihre Hüfte und eilte über den makellosen grünen Rasen zu ihrer Cousine. Bei jedem Schritt versanken ihre Absätze im weichen Grund. Merke: Nie wieder mit spitzen Absätzen auf eine Kindergeburtstagsparty gehen!

Mit ihren engen Jeans, den kniehohen Stiefeln und dem frisch gefärbten roten Haar war Ana der wandelnde Gegensatz zu all den anderen Müttern der oberen Zehntausend, die Champagner tranken und plauderten, während sich ihre Nannys um den Nachwuchs kümmerten. Dass sie aus dem Rahmen fiel, schien jedem hier aufzufallen, denn die neugierigen Blicke folgten ihr auf Schritt und Tritt. Nicht dass sich jemand getraut hätte, die Erbin von Walter Birchs Energieimperium zu beleidigen – jedenfalls nicht in ihrer Anwesenheit.

Ihre Cousine Beth stand neben der gigantischen Hüpfburg, einem knallbunten Monstrum voller Plastikbälle und Bazillen, in dem Beths sechsjährige Tochter Piper, die heute Geburtstag hatte, mit einem Dutzend weiterer Kinder herumtobte.

Ana liebte Beth wie eine Schwester, aber im Augenblick hätte sie ihr am liebsten den Kopf abgerissen. Das hier ging eindeutig zu weit. Doch so strahlend, wie Beth ihrer Cousine entgegenlächelte, schien sie nicht mal einen Anflug von schlechtem Gewissen zu empfinden. Was Ana nicht im Geringsten wunderte. Denn Beths Leben war so unfassbar ereignislos und langweilig, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als sich in die Angelegenheiten anderer Leute einzumischen. Aber hier ging es um mehr als harmlosen Klatsch und Tratsch.

„Maxie!“, sagte Beth und streckte die Arme aus. Max krähte begeistert und reckte sich ihr entgegen. Ana setzte ihn ihrer Cousine auf den Arm. Vermutlich hoffte Beth, mit halbwegs heiler Haut davonzukommen, solange sie ein Baby mit sich herumtrug.

„Warum ist er hier?“, zischte Ana.

„Wer?“, fragte Beth, die Unschuld in Person.

„Du weißt genau, wen ich meine!“, herrschte Ana sie leise an und sah sich erneut nach Nathan Everette um, einem der Geschäftsführer von Western Oil. Er sah genauso attraktiv und weltgewandt aus wie an dem Tag, als Ana ihn durch Beth kennengelernt hatte. Eigentlich war er überhaupt nicht Anas Typ. Schließlich war er beruflich erfolgreich und weder tätowiert noch vorbestraft. Aber er war ein hohes Tier bei Western Oil, weswegen ein Date mit ihm der ultimative Tritt in den Hintern für ihren Vater gewesen war.

Doch aus einem Drink waren zwei geworden, dann drei, und als Nathan sie gefragt hatte, ob er sie nach Hause fahren dürfe, hatte sie gedacht, was soll’s, der Typ wirkt doch absolut harmlos.

So viel zu dieser brillanten Theorie. Als er sie an der Tür geküsst hatte, war sie förmlich in Flammen aufgegangen. Obwohl sie sich in der Öffentlichkeit gerne als sexy Luder präsentierte, war sie schon damals eher das genaue Gegenteil gewesen. Tatsächlich war sie ausgesprochen wählerisch, und noch nie zuvor hatte sie gleich beim ersten Date mit jemandem geschlafen.

Doch Nathan hatte sie praktisch in ihre Wohnung gezerrt. Zwar wirkte er konservativ, fast schon steif, aber eines wusste er ganz genau: wie man eine Frau glücklich macht. In jener Nacht hatte Ana Sex in einer ganz neuen Dimension kennengelernt. Auf einmal war es nicht mehr darum gegangen, ihrem Vater eins auszuwischen. Plötzlich ging es nur noch um Nathan.

Es hatte nicht mehr als eine einzige Nacht sein sollen. Doch er hatte sie immer wieder angerufen, und sie war einfach nicht dazu in der Lage gewesen, ihn abzuweisen. Als er sie am Ende doch sitzen gelassen hatte, war sie längst Hals über Kopf in ihn verliebt gewesen. Und schwanger.

Nathan sah in ihre Richtung, und ihre Blicke begegneten sich. Ana verharrte atemlos mitten in der Bewegung. Die feinen Härchen auf ihren Armen und ihrem Nacken stellten sich auf, und ein eiskalter Schauder lief ihren Rücken hinab. Dann wandte sie mühsam den Blick ab. Röte kroch ihren Hals hinauf über ihre Wangen.

„Er war Leos Zimmergenosse auf dem College“, sagte Beth und kitzelte Max unter dem Kinn. „Ich musste ihn einladen. Alles andere wäre fürchterlich unhöflich gewesen.“

„Dann hättest du mich wenigstens warnen können!“

„Wärst du dann überhaupt gekommen?“

„Natürlich nicht!“ Schließlich hatte sie einen großen Teil der letzten achtzehn Monate darauf verwendet, ihm aus dem Weg zu gehen. Es war einfach zu riskant, ihn so nahe an Max heranzulassen. Und Beth wusste ganz genau, dass sie so dachte.

Beths sorgfältig gezupfte Braue zuckte missbilligend. „Vielleicht war ich ja der Meinung, dass du endlich aufhören solltest, dich zu verstecken. Irgendwann kommt die Wahrheit doch so oder so heraus. Also besser jetzt als später. Meinst du nicht, dass er ein Recht darauf hat, es zu erfahren?“

Wenn es nach Ana gegangen wäre, hätte er die Wahrheit niemals herausgefunden. Und abgesehen davon hatte er seine Gefühlslage mehr als deutlich dargestellt. Er mochte sie, aber an einer ernsthaften Beziehung war er nicht interessiert. Weil er keine Zeit hatte. Weil sie die Tochter seines größten Konkurrenten war. Weil ihn schon ihre Affäre seine Karriere hätte kosten können.

Und war nicht genau das das Problem, mit dem sie schon ihr ganzes Leben lang kämpfte? Auch ihrem Vater, Walter Birch, Eigentümer von Birch Energy, war sein Ruf schon immer wichtiger gewesen als das Glück seiner Tochter. Wenn er herausgefunden hätte, dass sie mit dem Geschäftsführer von Western Oil geschlafen hatte, wäre das in seinen Augen der ultimative Verrat gewesen. Nein. Der ultimative Verrat wäre wohl, dass sein geliebter Enkel das Kind eines Konkurrenten war. Für ihn war es schlimm genug gewesen, dass Ana unverheiratet schwanger geworden war. Als sie den Namen des Vaters nicht hatte preisgeben wollen, war der alte Herr so außer sich gewesen, dass er den Kontakt zu ihr abgebrochen hatte, bis Max fast zwei Monate alt war. Ohne den Fonds, den ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, wäre sie samt Baby auf der Straße gelandet.

Jahrelang hatte sie nach den Regeln ihres Vaters gespielt. Sie hatte alles getan, was er verlangte, hatte die perfekte kleine Prinzessin gegeben, weil sie gehofft hatte, ihn auf diese Weise stolz machen zu können. Sie kleidete sich so, wie er es wollte, und brachte nur die besten Noten nach Hause. Doch ihr Vater war nie zufrieden. Nichts war ihm gut genug. Und da sie es als brave Tochter nicht schaffte, seine Aufmerksamkeit zu erregen, war sie schließlich ein böses Mädchen geworden. Schließlich war eine negative Reaktion besser als gar keine. Jedenfalls für eine Weile. In Wahrheit hatte sie das Spiel schnell sattgehabt. Deswegen hatte sie an dem Tag, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, beschlossen, dass es endlich an der Zeit war, erwachsen zu werden.

Mittlerweile war Max der Augapfel seines Großvaters, auch wenn er „nur“ sein illegitimer Enkel war. Walter Birch plante sogar schon, eines Tages das Familienimperium an Max weiterzugeben. Sollte er aber jemals erfahren, dass ausgerechnet Nathan der Vater war, würde er nicht nur Ana, sondern auch den Kleinen enterben.

Und deswegen war es für alle Beteiligten am besten, wenn Nathan niemals erfuhr, dass er einen Sohn hatte.

„Ich will doch nur, dass du glücklich bist“, sagte Beth und gab ihr Max zurück, der angefangen hatte zu quengeln.

„Und ich glaube, dass es besser ist, wenn wir gehen“, erwiderte Ana. „Ich ruf dich später an.“

Sie wollte sich schon umdrehen, da hörte sie hinter sich Nathans unverkennbare tiefe Stimme. „Hallo, Ladies.“

Ihr Herzschlag setzte eine Sekunde lang aus, dann fing ihr Puls an zu rasen.

Verdammt noch mal. Mit dem Rücken zu Nathan erstarrte sie mitten in der Bewegung. Was sollte sie tun? Einfach weglaufen? Sich umdrehen und sich der Situation stellen? Was, wenn er auf den ersten Blick erkannte, dass Max sein Sohn war?

„Hallo, Nathan“, sagte Beth und gab ihm einen Luftkuss auf die Wange. Dann zerrte sie ruppig an Anas Arm. „Wie schön, dass du kommen konntest. Erinnerst du dich noch an meine Cousine Ana Birch?“

Ana schluckte schwer und drehte sich um. Währenddessen zog sie Max’ Wollmütze ein bisschen tiefer über sein Köpfchen, um die kleine blonde Strähne in seinem ansonsten dunklen Haar zu verbergen. Die Strähne, die er von seinem Vater geerbt hatte. Ebenso wie das Grübchen in seiner linken Wange und die melancholischen, dunkelbraunen Augen.

„Hallo, Nathan“, brachte sie mühsam hervor. Jetzt, wo sie ihm gegenüberstand, stiegen unerklärlicherweise tiefe Schuldgefühle in ihr auf. Er wollte dich nicht, ermahnte sie sich selbst. Und Max hätte er auch nicht gewollt. Du hast das Richtige getan.

Er musste von ihrer Schwangerschaft gehört haben. Immerhin war sie monatelang das Klatschthema schlechthin in der gehobenen Gesellschaft von El Paso gewesen. Dass er nicht ein einziges Mal nachgefragt hatte, ob er möglicherweise der Vater war, sagte mehr als tausend Worte.

Er wollte es gar nicht wissen.

Seit ihrer letzten Begegnung hatte er sich nicht das kleinste bisschen verändert. Nicht dass sie erwartet hätte, dass eineinhalb Jahre einen großen Unterschied machen würden.

Und so kühl, wie er sie musterte, ohne einen Funken Zuneigung oder Zärtlichkeit, war sie für ihn wohl wirklich nicht mehr als ein Zeitvertreib gewesen. Eine Phase, die er hinter sich gelassen hatte.

Wie sehr sie sich wünschte, es genauso sehen zu können! Aber sie vermisste ihn noch immer. Sie wollte wieder dieses Gefühl erleben, bis in die Tiefen ihrer Seele mit einem anderen Menschen verbunden zu sein. Doch bis auf ihre Affäre mit Nathan hatte sie niemals etwas Ähnliches empfunden. Dieses Gefühl aufrichtiger Liebe, das sich ganz ohne ihr Zutun in ihr Herz geschlichen hatte. Das jedes Mal, wenn Nathan vor ihrer Tür gestanden hatte, noch größer geworden war.

Jede Faser ihres Körpers schien ihr zuzurufen, dass er der Richtige war, und sie hätte alles dafür gegeben, mit ihm zusammen zu sein: ihr Erbe, die Chance, eines Tages doch noch von ihrem Vater geliebt zu werden …

Seit Max’ Geburt war kein Tag vergangen, an dem sie nicht in das Gesicht ihres Sohnes geblickt und erneut den Schmerz durchlebt hatte, den Nathans Zurückweisung ihr zugefügt hatte. Und jetzt, wo sie ihm zum ersten Mal wieder gegenüberstand, überkam sie ein so starkes Bedürfnis, sich einfach in seine Arme zu werfen und ihn anzubetteln, sie zu lieben, dass sie fast von ihren Gefühlen überwältigt wurde.

Sie war erbärmlich, nichts weiter als erbärmlich.

„Und, wie geht es dir so?“, fragte er in einem Tonfall, der bestenfalls als höflich zu bezeichnen war. Ihren Sohn bedachte er nur mit einem flüchtigen Blick. Hatte er damals nicht mehr als deutlich gesagt, dass er an diesem Punkt seiner Karriere keine Zeit für eine Beziehung, geschweige denn für eine Frau und Kinder habe? Aber sie hatte nicht zugehört. Sie war viel zu überzeugt davon gewesen, dass mit ihr alles anders sein würde. Dass er sie lieben könnte. Bis er dann einfach gegangen war.

Sie zwang sich, denselben höflichen Tonfall anzunehmen, obwohl ihr Herz so sehr schmerzte, dass ihr fast die Knie nachgegeben hätten. „Sehr gut, und dir?“

„Ich habe viel zu tun.“

Das bezweifelte sie nicht. Die Explosion in der Raffinerie von Western Oil war überall in den Nachrichten gewesen. In der Folge hatte eine regelrechte Hetzkampagne gegen das Unternehmen begonnen, die natürlich auf dem Mist ihres Vaters gewachsen war. Und Nathans Aufgabe in der Geschäftsführung war es, den Ruf von Western Oil wiederherzustellen.

„Wenn ihr mich kurz entschuldigen würdet“, flötete Beth. „Ich muss mit dem Mann sprechen, der den Kuchen bringt.“ Dann warf sie ihrer Cousine einen kurzen aufmunternden Blick zu und verschwand im Getümmel.

Ana hatte gehofft, dass auch Nathan schnell wieder das Weite suchen würde. Doch stattdessen beschloss er, ausgerechnet jetzt Max zur Kenntnis zu nehmen.

„Ist das dein Sohn?“

Sie nickte. „Max.“

Für einen Moment zuckte der Anflug eines Lächelns über Nathans Züge. „Er ist niedlich. Hat deine Augen.“

Max spürte sofort, dass es um ihn ging, und begann auf ihrem Arm herumzuruckeln. Nathan streckte die Hand aus und umfasste die winzige Faust des Babys. Der Anblick traf Ana bis ins Mark. Vater und Sohn, zum ersten Mal vereint … Und hoffentlich auch zum letzten Mal. Tränen brannten in ihren Augen, und das Gefühl endgültigen Verlustes durchbrach all die Mauern, die sie in sich errichtet hatte, um sich vor Nathan zu schützen. Sie musste weg hier, bevor sie etwas sehr, sehr Dummes tat. Beispielsweise mit der Wahrheit herauszuplatzen und diese unangenehme Situation in eine absolute Katastrophe zu verwandeln.

Sie drückte Max fester an sich, was dem Kleinen ganz und gar nicht gefiel. Er quakte und wand sich und schüttelte seine kleinen Ärmchen, wobei ihm die Mütze vom Kopf rutschte und ins Gras fiel.

Verdammt.

Nathan reagierte sofort und bückte sich, um sie aufzuheben. Währenddessen legte Ana schützend ihre Hand um Max’ Köpfchen und verdeckte so die blonde Strähne. Doch als Nathan ihr die Mütze reichte, musste sie gezwungenermaßen loslassen. Zwar versuchte sie, sich so von Nathan abzuwenden, dass er das Baby nicht sehen konnte, doch wieder machte Max ihr einen Strich durch die Rechnung. Denn er protestierte lautstark und streckte die Ärmchen nach Nathan aus.

Bitte, bitte, sieh nicht so genau hin, flehte Ana lautlos, während sie ihrem Sohn die Mütze aufsetzte. „Also, Nathan, es war schön, dich wiederzusehen, aber ich muss jetzt los.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.

Doch sie war kaum ein paar Schritte weit gekommen, da schloss sich Nathans warme, kräftige Hand um ihren Unterarm. Die Berührung fühlte sich an wie ein Stromschlag.

„Ana?“

Sie fluchte leise in sich hinein und drehte sich zu ihm um. Als sich ihre Blicke trafen, wusste sie sofort, dass er begriffen hatte.

Verdammt, verdammt, verdammt!

Natürlich blieb ihr noch die Möglichkeit, einfach alles zu leugnen. Aber das wäre eine tatsächliche Lüge und damit etwas ganz anderes, als die Wahrheit einfach zu verschweigen. Und abgesehen davon hätte sie irgendwie erklären müssen, warum ihr Sohn dieselbe ungewöhnliche Haarsträhne hatte wie Nathan.

Andererseits – was konnte es schon schaden, wenn er es wusste? Er hatte klipp und klar gesagt, dass er keine Kinder wollte. Wahrscheinlich war es ihm sogar egal, dass er einen Sohn hatte, solange sie nur versprach, dass sie niemandem sonst davon erzählen und keine Ansprüche geltend machen würde. Was sie auch überhaupt nicht nötig hatte. Schließlich konnten Max und sie bequem von ihrem Erbe leben.

Wieder streckte Nathan die Hand aus, doch diesmal legte er sie zärtlich um die Wange seines Sohnes und drehte sein Köpfchen, damit er die Strähne besser begutachten konnte.

Ana kannte die Redewendung „kreidebleich werden“. Aber sie hatte noch niemals beobachten können, wie das in der Realität aussah. Bis heute jedenfalls. Oh ja, Nathan wusste Bescheid, und offenbar hatte er überhaupt nicht damit gerechnet.

„Können wir kurz unter vier Augen miteinander reden?“, fragte er durch zusammengebissene Zähne.

„Wo?“ Auf der Party waren mindestens zweihundert Gäste, die allesamt davon ausgingen, dass Ana und Nathan nicht sonderlich viel Gesprächsstoff hatten. Sie mussten einen Ort finden, an dem sie keine Aufmerksamkeit erregen würden.

„Schließlich willst du ja wohl nicht mit der Tochter deines größten Konkurrenten gesehen werden, oder?“ In ihrer Stimme schwang all die Wut mit, die sie monatelang unterdrückt hatte. „Wer weiß, was die Leute denken würden!“

Nathans Blick wurde hart. „Dann beantworte mir nur diese eine Frage: Ist er mein Sohn?“

Oh Gott. Wie oft hatte sie diesen Augenblick in Gedanken durchgespielt? Hunderte von Malen hatte sie dieses Gespräch geübt, überlegt, wie sie antworten würde. Doch jetzt war ihr Kopf wie leer gefegt.

„Antworte mir!“, herrschte er sie leise an. In diesem Augenblick klang er genau wie ihr Vater.

Hast du tatsächlich eine Flasche von meinem guten Scotch in die Party-Bowle geschüttet? Antworte mir, Ana Marie Birch!

Sie wusste, dass sie Nathan eine Antwort schuldete. Aber sie brachte nicht mehr zustande als ein steifes Nicken.

Nathan fluchte leise in sich hinein, und seine Augen blitzten wütend auf. Sein Griff um ihren Arm war so fest, dass ihre Finger taub wurden. In all der Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, hatte sie nicht ein einziges Mal erlebt, dass Nathan auch nur seine Stimme erhob. Wahrscheinlich war er einfach nur zornig, weil er sich hintergangen fühlte. Aber sobald sie ihm erklärt hätte, dass er keine Verantwortung für Max übernehmen musste, war er bestimmt erleichtert. Wahrscheinlich bedankte er sich am Ende noch dafür, dass sie ihn aus der Sache herausgehalten und so seine Wünsche respektiert hatte. Dann würde er gehen, und sie würden einander niemals wiedersehen.

Oder – und diese Möglichkeit verstörte sie so sehr, dass sie am liebsten gar nicht darüber nachgedacht hätte – er hatte tatsächlich vor, ein Teil von Max’ Leben zu werden. Was, wenn er ein Besuchsrecht einforderte? Was, wenn er mitentscheiden wollte? Wenn er vorhatte, ihr Max wegzunehmen?

Bei dem bloßen Gedanken drückte sie ihren Sohn fester an ihre Brust. Neun Monate lang war er ihr Lebensinhalt gewesen. Der einzige Mensch, der sie wirklich liebte und brauchte. Nein, sie würde niemals zulassen, dass irgendjemand zwischen sie und Max trat. Vor allem nicht Nathan, der nicht einmal Zeit für eine Beziehung hatte.

„Hattest du überhaupt vor“, stieß Nathan hervor, „mir jemals davon zu erzählen?“

„Um ehrlich zu sein“, erwiderte sie und hob in einer kämpferischen Geste das Kinn, um ihre Angst zu verbergen, „dachte ich nicht, dass es dich interessiert.“

2. KAPITEL

Er hatte einen Sohn.

Die Vorstellung wollte einfach nicht in seinen Kopf. Und Ana irrte sich. Denn es interessierte ihn. Wahrscheinlich mehr, als gut für ihn war. In dem Augenblick, in dem er gesehen hatte, wie sie mit Beth plauderte, hatte sein Herz einen so heftigen Sprung getan, dass es ihm fast den Atem geraubt hätte. Und als sich dann ihre Blicke trafen, hatte ihn ein überwältigendes Bedürfnis überkommen, ihr nahe zu sein. Wie ferngesteuert war er die Verandatreppe hinunter und auf sie zugelaufen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was für Folgen seine Handlungen haben könnten.

Nachdem er ihre Affäre beendet hatte, war über Wochen hinweg kein Tag vergangen, an dem er sich nicht plötzlich mit dem Telefonhörer in der Hand wiedergefunden hatte. Er hatte ihr sagen wollen, dass er einen Fehler gemacht hatte. Dass er sie zurückwollte. Auch wenn das wohl das Ende seiner Karriere bei Western Oil bedeutet hätte.

Doch er hatte so hart dafür gearbeitet, so weit zu kommen. Es wäre einfach dumm gewesen, all das zu opfern – für eine Beziehung, die vom ersten Moment an zum Scheitern verurteilt war. Also hatte er das einzig Sinnvolle getan: Ana Birch hinter sich gelassen. Nur dass er im Augenblick nicht wirklich sicher war, dass ihm das auch gelungen war.

Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu winden. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, offenbar tat er ihr weh. Verdammt. Er ließ sofort los und zwang sich, seine Wut zu unterdrücken. Gott, er hatte doch sonst niemals Probleme, die Kontrolle zu behalten! Was hatte diese Frau an sich, dass sie mit ihrer bloßen Anwesenheit all seine Selbstbeherrschung zunichtemachte?

„Wir müssen reden“, flüsterte er unterdrückt. „Jetzt.“

„Das hier ist wohl kaum der richtige Ort.“

Womit sie absolut recht hatte. Wenn sie zusammen verschwanden, würde es eine Menge Gerede geben.

„Okay, dann lass uns folgendermaßen vorgehen. Du verabschiedest dich jetzt von Beth und fährst nach Hause. Ich folge dir mit einer Viertelstunde Abstand. Wir treffen uns dann in deiner Wohnung.“

Sie hob ihr Kinn noch ein bisschen weiter. „Und was, wenn ich Nein sage?“

Sie versuchte, knallhart zu wirken, indem sie die Trotzkarte spielte. Aber er kannte sie viel zu gut, um darauf hereinzufallen. Nathan wusste, dass sich hinter ihrem unnahbaren, selbstbewussten Auftreten eine Frau verbarg, die genauso viele Ängste und Unsicherheiten in sich trug wie jeder andere Mensch auch.

„Davon würde ich dir abraten“, sagte er. „Und abgesehen davon sind wir uns ja wohl einig, dass du mir zumindest eine Erklärung schuldest.“

Selbst Ana konnte das nicht leugnen, und so erwiderte sie nach kurzem Zögern: „Na gut.“

Was hätte sie auch sonst sagen sollen? Sie mochte stur und sogar ein klein wenig verzogen sein, aber sie war auch eine ausgesprochen intelligente Frau.

Nathan beobachtete, wie sie auf ihren viel zu hohen Absätzen über den Rasen davonstolzierte. Nuttenstiefel hätte sein Bruder Jordan gesagt. Nicht unbedingt das Outfit, das man von einer Milliardenerbin erwartet hätte – und noch viel weniger von einer Mutter. Aber Ana hatte noch nie gerne nach den Regeln gespielt. Und genau das war der Grund, aus dem Nathan sich wie magisch von ihr angezogen gefühlt hatte. Ihr Selbstbewusstsein und ihre unglaubliche Courage hatten ihn einfach angemacht.

Zumal er ansonsten nur mit „angemessenen“ Frauen zusammen gewesen war. Frauen, die ihn genau da haben wollten, wo er war. Die niemals zugelassen hätten, dass er vom „rechten Weg“ abkam. Doch dann hatte er herausgefunden, dass Ana bei Weitem nicht so verdorben war, wie sie die Leute glauben machte. Tatsächlich hatte sie ihn weitaus mehr auf den rechten Weg gebracht als jede Frau zuvor.

Nathan entdeckte Beth und ging zu ihr hinüber. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie eingeweiht war. Und wenn man der Miene trauen konnte, die sie gerade zog, wusste sie auch genau, was gerade passiert war.

„Sie hat Leo und mich schwören lassen, dass ich nichts verrate“, rechtfertigte Beth sich, ehe er auch nur ein Wort sagen konnte.

„Du hättest es mir trotzdem sagen sollen.“

Sie schnaubte. „Als ob du es nicht sowieso schon längst gewusst hättest.“

„Woher denn bitte?“

„Komm schon, Nathan. Du trennst dich von einer Frau, und einen Monat später tratschen alle darüber, dass sie schwanger ist. Willst du mir ernsthaft weismachen, dass du nie auf die Idee gekommen bist, das Kind könnte von dir sein?“

Natürlich hatte er daran gedacht. Eine Zeit lang hatte er jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, gedacht, es wäre Ana. Er hatte darauf vertraut, dass sie es ihm sagen würde, wenn sie ein Kind von ihm erwartete. Als sie sich nicht gemeldet hatte, war er davon ausgegangen, dass ein anderer der Vater war. Was in seinen Augen bedeutet hatte, dass Ana sich ziemlich schnell über ihn hinweggetröstet hatte. Und das wiederum hatte ihn zutiefst gekränkt.

Aber offenbar gab es keinen anderen. Was ihm im Augenblick allerdings auch keinen Trost spendete.

„Es war falsch von ihr, mir nichts zu sagen“, beharrte er.

„Ja, keine Frage. Aber – und sie würde mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich dir das erzähle – du hast ihr das Herz gebrochen, Nathan. Sie war am Boden zerstört, als du Schluss gemacht hast. Also sei bitte nicht ganz so streng mit ihr.“

All das war keine Entschuldigung dafür, dass sie ihm sein Kind vorenthalten hatte. „Ich muss los. Gib dem Geburtstagskind einen Kuss von mir.“

Beth zog besorgt die Brauen zusammen. „Geh vorsichtig mit ihr um, Nathan. Du hast keine Ahnung, was sie alles durchgemacht hat. Die Schwangerschaft, die Geburt … sie war ganz auf sich gestellt.“

„Sie hat es sich selbst so ausgesucht. Immerhin hatte sie im Gegensatz zu mir eine Wahl.“ Nathan wandte sich ab. Er war zu wütend und enttäuscht, um Beth weiter zuzuhören. Konnte es sein, dass ihn wirklich alle Menschen, denen er vertraute, verraten hatten?

Doch während er zum Parkplatz lief, begriff er, dass er nichts anderes hatte erwarten können. Er und Beths Mann Leo hatten sich seit dem College immer weiter voneinander entfernt. Ana und Beth hingegen standen sich nahe. Sie waren nicht nur Cousinen, sondern auch Freundinnen. Entsprechend war es kein Wunder, dass Beths Loyalität ganz klar bei Ana lag.

Abgesehen davon hatte er sowieso den Verdacht, dass er tief in sich von Anfang gewusst hatte, dass er der Vater war. Vielleicht hatte er die Wahrheit einfach nicht wissen wollen. Vielleicht hatte er Ana deswegen nie wieder angerufen. Und vielleicht jagte ihm die Wahrheit eine Riesenangst ein. Wie sollte er mit der Lage umgehen? Was sollte er Adam Blair sagen, seinem Chef bei Western Oil? Ach, was ich dir noch sagen wollte: Ich habe neuerdings einen Sohn. Und seine Mutter ist Ana Birch, die Tochter unseres Erzfeindes.

Schon vor Monaten wäre das ein Desaster gewesen. Doch jetzt, seit die Raffinerie explodiert war und Birch Energy unter Verdacht stand, an dem Vorfall beteiligt zu sein, stand noch viel mehr auf dem Spiel. Wenn jetzt herauskam, dass er der Vater von Birchs Enkel war, würde er nicht nur seine Chance auf den Posten als Vorstand verlieren, sondern vermutlich auch den Job, den er bereits hatte.

Und außerdem hatte er nicht den blassesten Schimmer, was es bedeutete, ein Kind zu haben. Na gut, er wusste, dass man so ziemlich alles anders machen musste als sein eigener Vater. Aber das ließ immer noch unendlich viel Spielraum für Fehler.

Er war damals so oft in Anas Wohnung in Raven Hill gewesen, dass er wie auf Autopilot fuhr. Als er seinen Porsche in die Einfahrt lenkte, wartete dort bereits ein weißer Luxus-SUV. Offenbar hatte Ana ihren Sportwagen gegen ein praktischeres Gefährt eingetauscht. Weil das Entscheidungen waren, die verantwortungsbewusste Eltern trafen. Und in einem Punkt war er sich absolut sicher: Ana war eine gute Mutter. Sie hatte ihm oft davon erzählt, wie schrecklich es für sie gewesen war, ihre Mutter zu verlieren und von ihrem Vater einfach ignoriert zu werden. Und sie hatte ihm erzählt, dass sie alles für ihre Kinder tun würde, wenn sie eines Tages eine eigene Familie hatte.

Nathan und sein Bruder Jordan hatten genau das umgekehrte Problem. Ihr Vater hatte sie keine Sekunde lang in Ruhe gelassen, hatte ihnen seine Prinzipien eingebläut und sie von jeher gezwungen, sich stets genauso zu verhalten, wie er es getan hätte. Nathan hatte rebelliert, hatte Tag für Tag Machtkämpfe mit seinem Vater ausgetragen. Doch irgendwann hatte er es übertrieben und dabei einen Teil seiner selbst verloren.

Er parkte neben dem SUV und bewegte seinen Kopf ein paar Mal hin und her – er hatte das Lenkrad so fest umklammert, dass sein Nacken schmerzte. Er musste sich entspannen. Ja, er war stinksauer. Aber wenn er voller Wut und Vorhaltungen auf Ana zuging, würde sich die Situation nicht bessern.

Er atmete tief durch, stieg aus dem Wagen und betrat die Veranda. Ana stand schon in der Wohnungstür und wartete auf ihn. So wie sie es früher immer getan hatte. Da sie sich nicht in der Öffentlichkeit miteinander blicken lassen konnten, hatten sie sich meist hier getroffen. Im Unterschied zu früher fielen sie diesmal aber nicht sofort übereinander her, kaum dass Ana die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Diesmal gab es keinen langen, intensiven Kuss, der den Stress nach einem langen Arbeitstag einfach so von ihm abfallen ließ. Wie sie wohl reagieren würde, wenn er sie jetzt einfach an sich zog und küsste?

Wahrscheinlich würde sie ihm eine scheuern, und zwar zu Recht. Andererseits war es das Risiko fast wert. Denn ganz gleich, wie viel Zeit inzwischen vergangen war: Er begehrte sie noch wie am ersten Tag. Und genauso sehr wie an dem Tag, an dem er sie verlassen hatte. Trotzdem war es das Beste gewesen, auch für Ana. Denn sie waren kurz davor gewesen, sich viel zu sehr aufeinander einzulassen.

Ana hatte ihre Seidenjacke und die Stiefel abgestreift. In ihren engen Jeans und der locker fallenden Bluse sah sie eher wie eine Collegestudentin aus als wie eine Mutter. Barfüßig stand sie wie immer im völligen Gegensatz zu Nathan, der seine Standarduniform trug: konservative Chinos und ein gestärktes Hemd. Seine Verkleidung, unter der er den Mann verbarg, der er wirklich war. Noch nie hatte er jemandem verraten, wie schwer es ihm manchmal fiel, die Fassade aufrechtzuerhalten. Nicht einmal Ana.

Er ließ seine Jacke von den Schultern gleiten und hängte sie an den Kleiderständer im Flur. „Wo ist mein Sohn?“

„Im Bett.“

„Ich möchte ihn sehen.“ Er wollte schon zum Schlafzimmer laufen, doch Ana trat ihm in den Weg.

„Später vielleicht.“

Die Wut breitete sich in seinen Adern aus wie flüssige, kochende Lava. „Willst du mir etwa verbieten, mein eigenes Kind zu sehen?“

„Er schläft. Außerdem finde ich, wir sollten erst reden.“

Er war kurz davor, sie einfach beiseitezuschieben. Hatte sie ihm seinen Sohn nicht schon lange genug vorenthalten? Doch sie stand da, mit diesem Löwenmutter-Ausdruck in den Augen, der mehr als deutlich sagte, dass sie ihr Kind mit allen Mitteln schützen würde.

Nathan atmete tief durch. „Na gut, dann lass uns reden.“

Sie wies in Richtung des geräumigen Wohnzimmers. „Setz dich.“

Ihre Wohnung war immer gemütlich gewesen, und obwohl jede Woche eine Putzfrau vorbeikam, hatte niemals wirklich Ordnung geherrscht. Doch jetzt sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen: Überall lag Spielzeug herum. Nathan musste achtgeben, wo er hintrat, als er zur Couch hinüberlief.

Während er sich setzte, stiegen alte Erinnerungen in ihm hoch. Wie oft hatte er nackt hier gesessen, Ana rittlings auf seinem Schoß, den Kopf nach hinten geworfen, die Augen geschlossen, sie beide blind vor Ekstase. Die bloße Erinnerung ließ das Blut in seinen Ohren rauschen.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie.

„Nein, danke.“ Aber eine kalte Dusche könnte ich gebrauchen.

Sie setzte sich im Schneidersitz auf den großen Sessel gegenüber dem Sofa.

Da er keinen Grund sah, nicht direkt zum Thema zu kommen, fragte er: „Und du dachtest also, dass es in Ordnung ist, mein Kind zur Welt zu bringen, ohne mir etwas zu sagen?“

„Du hättest fragen können, als du gehört hast, dass ich schwanger bin.“

„Ist das dein Ernst?“

Sie zuckte mit den Achseln, so als fände sie, dass an ihrem Verhalten absolut nichts auszusetzen sei. „Wie gesagt, ich dachte nicht, dass du dich dafür interessierst. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar davon ausgegangen, dass es dir nur recht ist, wenn du nichts von deinem Kind erfährst. Schließlich hast du immer wieder gesagt, dass du keine Familie willst. Und wenn ich es dir gesagt hätte – was hättest du dann getan? Hättest du für deinen Sohn wirklich deine Karriere aufs Spiel gesetzt?“

Auf diese Frage hatte er keine Antwort, was zeigte, dass Anas Punkt nicht aus der Luft gegriffen war. Aber hier ging es nicht nur darum, wie sich die ganze Angelegenheit auf seine Karriere auswirken würde. Es gab noch ganz andere Faktoren, die berücksichtigt werden mussten. Dinge, von denen Ana nichts wusste. In jedem Fall hätte Nathan aber gerne die Möglichkeit gehabt, selber zu entscheiden. „Meinst du nicht, dass ich ein Recht darauf gehabt hätte, mir selbst eine Meinung zu bilden?“

„Wenn du schon nicht mal Zeit für mich hattest, wie hättest du dann Zeit für ein Kind finden sollen?“

Aber es war doch nicht nur um Zeit gegangen, als er sie verlassen hatte! Vermutlich hatte sie ihn nicht richtig verstanden und würde es auch niemals tun. Aber eigentlich hatte er ihr einen Gefallen getan, als er die Beziehung beendete. Denn Ana hatte es irgendwie geschafft, durch seinen Panzer zu dringen. Er hatte die Kontrolle verloren. Und weil er war, wer er war, hätte das nur übel enden können. Er war einfach nicht geeignet für Beziehungen. Jedenfalls nicht für die Art von Beziehung, wie Ana sie brauchte und verdiente. Sie war einfach zu leidenschaftlich, zu lebendig. Was sollte sie mit einem Mann, der sie nur herunterziehen würde?

„Ist es nicht vielmehr so, dass ich dich verletzt habe und du es mir auf diese Weise heimzahlen wolltest?“, fragte er.

„Das habe ich mit keinem Wort gesagt.“

Nein, das hatte sie nicht. Aber er konnte ihr trotzdem ansehen, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

„So kommen wir nicht weiter“, fuhr sie fort. „Wenn du über Max sprechen willst, bitte. Aber wenn du hier bist, um mir Vorwürfe zu machen, kannst du genauso gut gleich wieder gehen.“

Er beugte sich vor. „Du könntest wenigstens so viel Anstand und Mut zeigen zuzugeben, dass du einen Fehler gemacht hast.“

„Ich habe das getan, was meiner Meinung nach das Beste für Max war. Und für alle anderen Beteiligten.“ Sie unterbrach sich und fügte nach einer kurzen Pause widerwillig hinzu: „Aber ich kann nicht leugnen, dass ich verletzt und verwirrt war und deine Gefühle möglicherweise einfach außer Acht gelassen habe.“

Nathan begriff, dass sie keine weiteren Zugeständnisse mehr machen würde. Und sie hatte recht: Vorwürfe brachten sie nicht weiter. Genauso wenig wie Wutausbrüche. Es gab nur einen Weg, mit der Situation zurechtzukommen: ein ruhiges und rationales Gespräch. Und in Anbetracht von Anas Verhalten würde er dafür eine Menge Fingerspitzengefühl brauchen. Also überlegte er kurz, wie sein Vater mit der Situation umgegangen wäre, und dann tat er das genaue Gegenteil.

Er schluckte seine Verbitterung einfach herunter, und zwar zusammen mit einer guten Portion Stolz. Dann sagte er: „Lass uns das mit den Schuldzuweisungen vergessen. Es ist völlig unwichtig, wer hier wann wem Unrecht getan hat. Wichtig ist unser Sohn. Erzähl mir von ihm.“

„Vielleicht sagst du mir ja erst mal, was du jetzt tun willst, wo du von ihm weißt“, sagte Ana. Schließlich machte es überhaupt keinen Sinn, ihm von seinem Sohn zu erzählen, wenn er nicht vorhatte, Zeit mit ihm zu verbringen. Allerdings war sie ziemlich beeindruckt, wie zivilisiert er die Angelegenheit bisher handhabte.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht. Ich versuche noch, das Ganze zu verarbeiten.“

„Machst du dir Sorgen darum, wie sich Max’ Existenz auf deine Karriere auswirken wird?“

„Natürlich. Auch das.“

„Aber das ist falsch. Er ist dein Sohn. Du solltest ihn bedingungslos lieben und akzeptieren. Wenn du dazu nicht in der Lage bist, gibt es in seinem Leben keinen Platz für dich.“

„Findest du nicht, dass das eine ganz schön harte Sicht auf die Dinge ist?“

„Nein, überhaupt nicht. Ich bin für ihn verantwortlich, und ich weiß, was das Beste für ihn ist. Und solange du nicht dazu stehst, dass er dein Sohn ist, und zulässt, dass er ein fester Bestandteil deines Lebens wird, wirst du ihn nicht näher kennenlernen. Er braucht Stabilität, keinen Möchtegernvater, der kommt und geht, wie es ihm passt.“

Seine Züge verzogen sich zu einer ganz und gar untypischen, zornerfüllten Grimasse. „Dann gehe ich mal davon aus, dass du erwartest, dass ich Unterhalt zahle“, stieß er hervor.

Er verstand wirklich gar nichts. Offenbar dachte er, dass sie ihn ausnehmen wollte! Doch Geld war wirklich das Letzte, was Ana interessierte. Und sie wollte Nathan auch nicht manipulieren. Hier ging es nur um Max und darum, was das Beste für ihn war. „Dein Geld kannst du behalten. Wir brauchen es nicht.“

„Er ist mein Kind, und damit bin ich für ihn verantwortlich.“

„Du kannst dir keinen Platz in seinem Leben erkaufen, Nathan. Er ist doch kein Gegenstand. Wenn du nicht wirklich für ihn da bist, und zwar langfristig, dann hast du hier nichts zu suchen. Und dieser Punkt ist nicht verhandelbar.“

Sie konnte ihm ansehen, dass er nicht gerade angetan war von der Wendung, die ihr Gespräch genommen hatte. Aber nur so würde er begreifen, dass das Elterndasein kein Zuckerschlecken war. Entweder, er entschied sich dafür oder dagegen. Dazwischen gab es keinen Spielraum.

„Schätze, es gibt eine Menge, worüber ich nachdenken muss“, sagte er.

„Vermutlich.“ Sie stand auf, und er folgte ihrem Beispiel. „Wenn du dich entschieden hast, kannst du Max gerne sehen.“

Plötzlich wirkte er irritiert, fast ein wenig geschockt, und Ana wurde klar, wie viel sie von ihm verlangte. Es war beängstigend und anstrengend, voll und ganz für einen anderen Menschen verantwortlich zu sein. Und es war das Schönste, was sie je in ihrem Leben getan hatte.

Und ehe Nathan das nicht begriffen und akzeptiert hatte, würde sie ihn nicht in die Nähe ihres Sohnes lassen.

„Ich werde etwas Zeit brauchen“, sagte Nathan nachdenklich.

„Das verstehe ich. Und ich will, dass du weißt, dass ich mit jeder Entscheidung einverstanden bin. Natürlich würde ich mich unendlich freuen, wenn Max wüsste, wer sein Vater ist. Aber die Entscheidung liegt ganz bei dir. Tue nichts, wofür du dich nicht wirklich bereit fühlst. Ich komme bestens alleine zurecht.“

Er nickte und trat in den Flur, wo er seine Jacke überstreifte. Sein Blick wanderte den Flur hinab in Richtung der Schlafzimmertüren. Einen Moment lang glaubte sie, dass er noch einmal darum bitten würde, Max sehen zu dürfen. Doch er tat es nicht.

„Darf ich dich anrufen?“, fragte er stattdessen.

„Meine Nummer hat sich nicht geändert.“ Was er gewusst hätte, wenn er nur ein einziges Mal versucht hätte, sich bei ihr zu melden.

Die Hand schon auf der Klinke hielt er inne und drehte sich noch einmal zu ihr um. „Es tut mir leid, wie das zwischen uns gelaufen ist.“ Dann trat er aus der Tür.

Aber nicht leid genug, um mich zurückzuwollen, dachte sie, während sie beobachtete, wie er in seinen Wagen stieg.

Sie bezweifelte nicht, dass Nathan eine lange Nacht bevorstand. Vielleicht sogar eine lange Woche, je nachdem, wie lange er brauchte, um eine Entscheidung zu treffen. Er war nicht der Typ Mann, der impulsiv handelte. Egal, um was es ging: Nathan dachte immer sorgfältig nach. Er hatte ihr einmal erzählt, dass ihre Affäre das einzig Spontane war, was er getan hatte, seit er erwachsen war. Und der Gedanke, dass sie so viel Macht über jemanden wie ihn ausgeübt hatte, war irgendwie aufregend gewesen. Dumm nur, dass sie ihn nicht auch dazu hatte bewegen können, sie zu lieben.

Durchs Fenster beobachtete sie, wie Nathan wegfuhr. Dann trat sie wieder nach draußen und lief über den Rasen bis zum Eingang der Nachbarwohnung. Die Luft war merklich abgekühlt, und unter ihrem dünnen Top breitete sich eine Gänsehaut auf ihrer Haut aus. Nachdem sie geklopft hatte, dauerte es keine zwei Sekunden, bis ihre Nachbarin und Freundin Jenny Sorensen die Tür öffnete. Sie wirkte besorgt.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie sofort und zog Ana nach drinnen. Max saß mit Portia, Jennys fünfzehn Monate alter Tochter, auf dem Wohnzimmerboden.

Für alle Fälle hatte Ana ihren Sohn hier in Sicherheit gebracht. Schließlich hatte sie keine Ahnung gehabt, wie Nathan reagieren würde.

„Ja, alles bestens. Tut mir leid, dass ich dir Max einfach so aufs Auge gedrückt habe, ohne dir zu erklären, was los ist. Aber ich hatte nicht viel Zeit.“

„Du hast ziemlich aufgebracht gewirkt, als du ihn vorbeigebracht hast. Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Ich bin heute Max’ Vater über den Weg gelaufen. Er wollte reden, und ich dachte, dass es besser ist, wenn Max nichts davon mitbekommt.“ Jenny, eine konservative und sanftmütige Arztgattin, die ihr Kind ebenso wie Ana ohne die Hilfe einer Nanny großzog, wusste nichts Genaueres über die Situation mit Nathan. Und so gern Ana ihre Nachbarin auch mochte: Sie achtete sehr darauf, was sie ihr erzählte und was nicht.

„Wie geht es dir damit?“, hakte Jenny nach.

„Teils, teils. Einerseits fände ich es toll, wenn Max seinen Vater kennen würde. Andererseits habe ich das Gefühl, ihn vor einer möglichen Enttäuschung beschützen zu müssen. Und wenn sein Vater auch nur halb so schlimm ist wie meiner, dann …“

„Aber eine Chance geben solltest du ihm schon“, erklärte Jenny entschieden und warf ihrer Tochter einen Blick zu. „Ein Kind braucht einen Vater.“

Auch wenn Portia den ihren kaum zu Gesicht bekam. Als Chirurg war Brice Sorensen meistens schon aus dem Haus, wenn seine Tochter aufwachte, und kehrte erst zurück, wenn sie schon lange im Bett war. Manchmal verbrachten sie sonntags ein paar Stunden miteinander – natürlich nur, wenn gerade kein Golfturnier anstand.

Auch wenn Jenny es niemals deutlich gesagt hatte, hatte Ana den Eindruck, dass Brice auch dann nicht wirklich anwesend war, wenn er zu Hause war. Er war deutlich älter als seine Frau und hatte erwachsene Kinder aus seiner ersten Ehe. Windeln wechseln und Babys füttern war in seinem Lebensplan nicht mehr vorgesehen. Die Situation, in der sich Jenny befand, kam Ana auf unangenehme Weise bekannt vor – und es war genau das, was sie für Max nicht wollte.

„Jetzt ist er am Zug“, erklärte sie Jenny. Und wenn er nicht das Beste für seinen Sohn wollte, würde sie ihn vor die Tür setzen, ohne mit der Wimper zu zucken.

3. KAPITEL

Obwohl Nathan den Gedanken hasste, dass Anas Worte so viel Sinn ergaben, wurde ihm nach einigen Tagen und viel Nachdenken klar, dass sie recht hatte. Entweder er wurde ein Teil von Max’ Leben, oder er hielt sich konsequent fern. Keine halben Sachen.

Aber er musste darüber nachdenken, was für berufliche Konsequenzen es haben würde, wenn er sich offiziell zu seinem Sohn bekannte. Er war sich ziemlich sicher, dass er keine Chance mehr auf den Vorstandsposten haben würde, wenn die Wahrheit erst einmal ans Licht kam. Der Vorstand würde die Situation als direkten und eklatanten Interessenkonflikt werten.

Seit sich herausgestellt hatte, dass die Explosion in der Raffinerie dadurch ausgelöst worden war, dass jemand an der Ausrüstung herumgepfuscht hatte, zeigte alle Welt mit dem Finger auf Birch Energy – obwohl noch gar nicht klar war, dass es eine Verbindung gab.

Noch viel wichtiger aber war, dass er sich Gedanken darüber machen musste, was für einen Einfluss er auf Max’ Leben haben würde. Schließlich hatte Nathan keinen blassen Schimmer, was es hieß, ein guter Vater zu sein. Er wusste nur, dass er auf keinen Fall so wie sein eigener Vater sein wollte. Dem war nur das Beste gut genug gewesen, und er hatte verbal und manchmal auch körperlich ausgeteilt, sobald jemand seine unrealistisch hohen Erwartungen enttäuschte.

Nathan war sich bewusst, wie ähnlich er seinem alten Herrn war. Denn auch er trug eine Menge unterdrückter Wut in sich. Keine Frage: Es bestand die Möglichkeit, dass er ein fürchterlicher Vater sein würde. Und dennoch: Dort draußen gab es einen kleinen Jungen, den er gezeugt hatte. Er musste es doch wenigstens versuchen!

Am Mittwochnachmittag rief er Ana an und fragte, ob er vorbeikommen könne, um mit ihr zu sprechen.

„Wie wäre es mit halb neun? Dann ist Max schon im Bett.“

„Also darf ich ihn noch immer nicht sehen?“

„Nicht, ehe ich weiß, was du mir zu sagen hast.“

Das war verständlich. „Na gut, dann bis halb neun.“

„Bis später.“

Er hatte gerade aufgelegt, da klopfte Emilio, der Leiter der Finanzabteilung, an seine Bürotür.

Nathan winkte ihn herein.

„Tut mir leid, dass ich störe“, sagte Emilio und reichte Nathan einen kleinen, weißen Umschlag. „Aber ich wollte dir das hier geben.“

„Was ist das?“

„Eine Einladung.“

„Für …?“

„Meine Hochzeit.“

Nathan lachte auf. Das musste ja wohl ein Witz sein! „Deine was?“

Grinsend erwiderte Emilio: „Du hast mich schon verstanden.“

Nathan kannte niemanden, der weniger von der Ehe hielt als Emilio. Also was zur Hölle ging hier vor sich?

Neugierig öffnete er den Umschlag und zog die Einladung heraus. Als er den Namen der Braut las, fiel er aus allen Wolken. „Ist das die Isabelle Winthrop, die wegen Finanzbetrugs angeklagt worden ist?“

„Offenbar hast du in den letzten Tagen keine Nachrichten gehört. Am Freitag wurden alle Anklagen fallen gelassen.“

Nein, davon hatte Nathan tatsächlich nichts mitbekommen. Am Freitag hatte er bis spät in der Nacht gearbeitet, und am Samstag war auch schon die Party gewesen, auf der er von Max erfahren hatte. Seitdem hatte er kaum an etwas anderes gedacht als an Ana und seinen Sohn. „Und jetzt heiratest du sie?“

„Jepp.“

Nathan schüttelte den Kopf. „Ist es nicht erst ein paar Monate her, dass ihr Ehemann gestorben ist?“

„Es ist eine lange Geschichte“, sagte Emilio.

Darauf würde ich wetten. „Ich kann es gar nicht abwarten, sie zu hören“, antwortete Nathan.

Den Rest des Nachmittags verbrachte er in verschiedenen Meetings. Abends fuhr er kurz nach Hause, um sich umzuziehen, und machte sich dann auf den Weg zu Anas Wohnung. Um Punkt halb neun stand er vor ihrer Tür. Seit letztem Samstag hatte Ana den Eingangsbereich mit bunten Lichterketten, Mistel- und Tannenzweigen für die anstehenden Weihnachtsfeiertage dekoriert.

Ehe er klopfen konnte, schwang die Tür auf.

„Pünktlich wie immer“, sagte Ana. Sie trug knallrote Jogginghosen und eine passende Kapuzenjacke über einem ausgeblichenen T-Shirt, auf dem orange Flecken prangten, bei denen es sich vermutlich um Karottenbrei handelte. Ihr leuchtend rotes Haar hatte sie locker zurückgebunden, und sie trug kein Make-up. Trotzdem sah sie verdammt sexy aus.

Das Mutterdasein stand ihr.

Sie trat beiseite, um ihn einzulassen. „Tut mir leid, dass hier so ein Chaos herrscht, aber ich habe Max gerade erst ins Bett gebracht und noch keine Zeit zum Aufräumen gehabt.“

Tatsächlich sah das Wohnzimmer noch katastrophaler aus als bei seinem letzten Besuch. Nathan hatte keine Ahnung gehabt, dass ein einziges Kind mit so vielen Spielsachen spielen konnte.

„Sieht aus, als wären ganze Heerscharen von Kindern hier gewesen“, sagte er, während er seine Jacke ablegte.

„Es waren aber nur fünf. Heute war Spielgruppe, und diese Woche war ich als Gastgeberin dran.“

„Spielgruppe?“

„Ach, du weißt schon, die Eltern tun sich zusammen und lassen ihre Kinder miteinander spielen. Aber eigentlich sind meine Nachbarin Jenny und ich die einzigen wirklichen Eltern. Ansonsten sind noch zwei Nannys und ein französisches Au-pair-Mädchen dabei.“

„Ist Max nicht noch ein bisschen zu klein, um mit anderen Kindern zu spielen?“

„Man kann gar nicht früh genug anfangen, Kinder zu sozialisieren.“

Was nur bewies, dass er tatsächlich keine Ahnung von Kindererziehung hatte. „Du hast also keine Nanny?“

„Ich verbringe gerne Zeit mit Max, und zum Glück muss ich nicht arbeiten. Es gefällt mir, zu Hause zu bleiben. Nicht, dass es immer leicht wäre. Aber es ist die Mühe wert.“

Nathans Mutter war damals viel zu beschäftigt mit ihren Charity-Veranstaltungen und Damengruppen gewesen, um sich Zeit für ihre Söhne zu nehmen.

„Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer. Möchtest du etwas trinken?“

In der Tat hätte Nathan einen Drink gebrauchen können. Vielleicht auch zwei oder drei. Aber kein Schnaps der Welt hätte dieses Gespräch einfacher machen können. „Nein, danke.“

Sie wartete, bis er sich auf die Couch gesetzt hatte. Dann ließ sie sich auf dem Sessel nieder. „Also bist du zu einer Entscheidung gekommen?“

„Ja.“ Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und rieb sich die Hände. Ana sah ihn erwartungsvoll an. Er war sich nicht sicher, ob ihr das Ergebnis seiner Erwägungen gefallen würde. „Ich hätte gerne eine Probezeit.“

Mit gehobenen Brauen sah Ana ihn an. „Eine Probezeit? Hier geht es nicht um eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, Nathan. Max ist ein Baby. Ein menschliches Wesen!“

„Und genau deswegen will ich keine vorschnellen Entscheidungen treffen. Ich habe keine Ahnung von Erziehung. Wie du weißt, hatte ich niemals vor, Kinder zu bekommen, und ich befürchte, dass ich ein ziemlich schlechter Vater bin. Also würde ich gerne ein paar Wochen lang ausprobieren, wie ich mich schlage und wie Max auf mich reagiert.“

„Max ist neun Monate alt. In dem Alter lieben Kinder einfach jeden.“

„Okay, dann lass es mich so ausdrücken: Ich möchte herausfinden, wie ich auf ihn reagiere.“

„Und was, wenn du nicht mit ihm zurechtkommst? Was dann?“

„Dann halte ich mich an deine Wünsche und werde mich vollkommen aus seinem Leben zurückziehen.“

Kopfschüttelnd sagte sie: „Ich weiß nicht …“

„Mir ist klar, dass du dir eine endgültige Antwort erhofft hast. Aber ich glaube aufrichtig, dass das die beste Lösung wäre. Und ich habe lange darüber nachgedacht. Ich weiß einfach nicht …“ Mit einem tiefen Seufzer schüttelte er den Kopf. „Ich weiß einfach nicht, ob ich für all das bereit bin. Ich habe in meinem Leben so viele Fehler gemacht, Ana, und das hier ist einfach zu wichtig, um es zu versauen.“

„Wahrscheinlich machst du dir auch Sorgen, was mit deinem Job passieren wird.“

„Natürlich hat auch das meine Entscheidung beeinflusst. Der Vorstandsposten wird bald frei, und ich gehöre zu den wenigen Auserwählten, die für die Stelle infrage kommen. Da will ich natürlich keinen Aufruhr verursachen.“

„Also geht es letzten Endes nur um deinen Job“, murmelte Ana, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Verbitterung zu verbergen.

„Nein, das ist nur einer von vielen Faktoren. Der Wichtigste ist, was das Beste für unseren Sohn ist.“

Unser Sohn … Mit einem Mal wurde Ana ganz schwer ums Herz. Max war solange nur „ihr Sohn“ gewesen. Sie war sich nicht sicher, ob sie bereit war, ihn zu teilen. Doch natürlich ging es hier nicht darum, was sie wollte, sondern darum, was Max brauchte.

Ihr erster Impuls war gewesen, Nathans Vorschlag rundheraus abzulehnen. Aber dann war ihr aufgegangen, dass sie selbst neun Monate lang Zeit gehabt hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, Mutter zu werden. Nathan dagegen war die Existenz seines Sohns einfach so ohne jede Vorwarnung vor den Latz geknallt worden. Und jetzt sollte er von heute auf morgen eine Entscheidung treffen, die sein eigenes Leben und das von Max für immer beeinflussen würde? Nein, man konnte ihm wirklich keinen Vorwurf daraus machen, dass er Vorsicht walten ließ. Zweifellos hatte er intensiv über seine Entscheidung nachgedacht und dabei vor allem Max’ Wohlergehen im Sinn gehabt. Und war das nicht das Wichtigste?

„Ich schätze, das ist eine sinnvolle Lösung“, sagte sie daher langsam. „Aber ich will immer dabei sein, wenn du Max siehst.“

„Natürlich“, versicherte er ihr.

Auch wenn das bedeutete, dass sie Zeit mit Nathan würde verbringen müssen, was ihr mit einiger Wahrscheinlichkeit das Herz brechen würde. Schon jetzt erinnerte ihn seine Anwesenheit viel zu schmerzlich an all die leidenschaftlichen Stunden, die sie hier miteinander verbracht hatten. Seit er sie verlassen hatte, hatte es keinen anderen Mann in ihrem Leben gegeben. Nicht, dass es an Möglichkeiten gemangelt hätte – aber keiner ihrer Verehrer hatte Anas Interesse wecken können.

Andererseits würde Nathans Anwesenheit ihr auf Dauer aber auch zeigen, dass er nicht der Richtige für sie war. Vielleicht würde sie nach und nach seine Fehler entdecken, kleine Dinge, die ihr auf die Nerven gingen. Vielleicht hatte sie ihn in den letzten eineinhalb Jahren in Gedanken viel zu sehr verherrlicht.

Ja, das war ein Hoffnungsschimmer, an dem sie sich festhalten würde. Vielleicht würde sich diese ganze Situation am Ende als positiv entpuppen. Aber sie musste vorsichtig sein.

„Ich glaube, dass es gut wäre, wenn erst einmal niemand davon erfährt“, sagte sie.

Nathan wirkte erleichtert. „Da stimme ich dir voll und ganz zu.“

„Wir müssen vorsichtig vorgehen. Wenn die Geschichte zu früh an die Öffentlichkeit gelangt, könnte das schlimm für Max enden.“

„Er ist doch noch ein Baby. Bis er eine Zeitung lesen kann, haben sich die Wellen längst geglättet!“

„Aber er könnte später davon erfahren. Und wenn du beschließt, dass du nichts mit ihm zu tun haben willst, dann soll er nie herausfinden, dass du sein Vater bist. Wenn wir deine Identität jetzt preisgeben, wird er früher oder später Bescheid wissen. Außerdem liebt mein Vater Max heiß und innig. Aber wenn er herausfindet, dass ich eine Affäre mit dir hatte, um ihn zu provozieren, und dass Max dein Sohn ist, würde er ihn und mich aus Prinzip enterben.“

„Dann versuchst du also immer noch, seine Zuneigung zu gewinnen?“

„Mir ist es mittlerweile völlig egal, was er von mir denkt. Aber Max braucht ihn.“

„Aber wenn ich mich öffentlich zu meinem Sohn bekenne, weiß dein Vater doch auch Bescheid! Willst du das wirklich riskieren?“

„Ja. Mir ist es wichtig, dass Max ein gutes Verhältnis zu dir hat. Er braucht ein männliches Vorbild in seinem Leben, und im Augenblick kann ich ihm nur seinen Großvater bieten. Aber mit dir wäre das etwas anderes.“

Plötzlich wechselte Nathan das Thema: „Ich war für dich also nur eine Möglichkeit, deinen Vater zu ärgern?“

Anfangs ja. Bis sich alles geändert hatte. Bis sie sich hoffnungslos und bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte. Aber das würde ihr kleines Geheimnis bleiben. Ein bisschen Stolz hatte sie schließlich immer noch. „Schockiert dich das so sehr?“

„Nicht wirklich. Zumal wir beide wissen, dass es nicht wahr ist.“

Ana spürte einen Stich. Und was war mit ihm? War alles nur ein Spiel für ihn gewesen? Machte es ihm Spaß, Frauen das Herz zu brechen? Und wie sollte sie auf seine Unterstellung reagieren? Sie entschloss sich für die einfachste Variante: Sie wechselte ebenfalls das Thema. „Also, wann würde es dir denn passen, Max zu sehen? Er geht jeden Abend um acht ins Bett. Unter der Woche musst du also vorher kommen. Ansonsten bleiben dir noch die Sonntagnachmittage.“

„Wochentags wird es schwierig. Ich ersticke gerade in Arbeit. Wenn ich um neun aus dem Büro komme, kann ich mich glücklich schätzen.“

„Niemand hat gesagt, dass es leicht wird. Du wirst schon Prioritäten setzen müssen.“

Sie beobachtete, wie Nathan tief durchatmete. Dann sagte er ganz ruhig: „Wenn ich morgen ganz früh ins Büro fahre, könnte ich schon gegen sieben Uhr abends hier sein.“

„Das ist doch schon mal ein Anfang.“

„Dann also morgen.“

Es folgte eine lange, unangenehme Pause, da keiner von ihnen wusste, was er als Nächstes sagen sollte.

Schließlich stand Nathan auf. „Gut, dann haben wir wohl alles geregelt.“

„Es war ein langer Tag. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich könnte ein Glas Wein gut gebrauchen.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, da wurde ihr klar, dass das ganz und gar keine gute Idee war. Aber sie wollte einfach nicht, dass er schon ging.

Du kannst ihn nicht zwingen, dich zu lieben, erinnerte sie sich selbst. Und sie wollte es auch nicht. Sie wollte jemanden, der sie von sich aus bedingungslos liebte. Falls diese Art von Mann überhaupt existierte.

Nathan hob die Brauen und musterte Ana eindringlich. „Soll das heißen, dass du möchtest, dass ich bleibe?“

Oh, eine ganz schlechte Idee. „Ach, weißt du was? Vergiss es. Ich denke nicht, dass …“

„Rot oder weiß?“, unterbrach er sie.

„Wie bitte?“

„Der Wein. Hast du weißen oder roten da?“ Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen. „Mir persönlich wäre roter lieber.“

Sie sollte ihn vor die Tür setzen, denn sie war noch viel zu verletzlich. Stattdessen lud sie Nathan förmlich dazu ein, ihr wehzutun. Wer weiß? Vielleicht hatte er im Augenblick ja sogar eine Beziehung? Vielleicht war das der Grund dafür, dass er sich eine Probezeit erbeten hatte.

Kleine Fehler erinnerte sie sich. Sie würde nie herausfinden, dass auch er nur ein Mensch mit Schwächen war, wenn sie keine Zeit mit ihm verbrachte.

Nur dieses eine Mal. Und dann würde sie ihn nur noch sehen, wenn Max dabei war.

„Da hast du Glück“, antwortete sie. „Ich habe nämlich beides da.“

4. KAPITEL

„Aber nur, wenn es keine Umstände macht“, sagte Nathan. Ein Teil von ihm hoffte geradezu darauf, dass sie ihn doch noch abweisen würde.

„Ach, überhaupt nicht.“

Nathan setzte sich wieder und beobachtete, wie Ana im angrenzenden Küchenbereich verschwand. Er hatte keine Ahnung, was er hier gerade eigentlich machte. Aber eins wusste er: dass er noch nicht gehen wollte.

Vielleicht war es an der Zeit, dass er sich endlich eingestand, was er tief in sich schon die ganze Zeit über geahnt hatte. Er hatte noch immer Gefühle für Ana.

„Und du bewirbst dich also um die Vorstandsstelle?“, hörte er sie fragen.

Er drehte sich um. Sie stand an der Anrichte und öffnete eine Flasche Rotwein. „Tja, mittlerweile sind nur noch ich, mein Bruder Jordan und Emilio Suarez, der Leiter der Finanzabteilung, übrig.“

„Dein Bruder auch? Klingt ganz schön brenzlig.“ Sie zog den Korken aus der Flasche und schenkte ein Glas Wein ein. „Wenn ich mich recht erinnere, ist euer Verhältnis nicht unbedingt das Beste.“

„Wenn du damit ausdrücken willst, dass er ein arroganter Vollidiot ist, kann ich dir nur zustimmen.“

Als sie ihm das Weinglas reichte, berührten sich ihre Fingerspitzen. Es war nur ein bedeutungsloser Zufall – aber es fühlte sich ganz und gar nicht so an. Falls es Ana ebenso erging, ließ sie sich aber nichts anmerken. Sie setzte sich mit untergeschlagenen Beinen zurück auf ihren Sessel und sah dabei verdammt jung und hip und sexy aus. Und ein kleines bisschen müde.

„Ach komm schon, so schlimm kann er gar nicht sein.“

Nein, jedenfalls war er es nicht immer gewesen. In ihrer Kindheit hatte Nathan seinen Bruder immer beschützt. Unzählige Male hatte er die Verantwortung für Jordans Verfehlungen übernommen, um ihn vor dem Zorn und manchmal auch den Fäusten ihres Vaters zu bewahren. Auch später noch hatte er sich immer für den sensiblen, stillen Jordan verantwortlich gefühlt. Die Memme, wie ihr Vater ihn genannt hatte. Aber statt loyal und dankbar zu sein, hatte sich Jordan revanchiert, indem er Nathan immer wieder in den Rücken gefallen war. Am Ende war er der Goldjunge geworden, und Nathan galt als Unruhestifter.

„Jordan ist...

Autor

Day Leclaire
Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug.
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