Baccara Extra Band 19

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LIEBE AN BORD von ANNE MCALLISTER
Celie traut ihren Ohren kaum, als Jace ihr an Bord des Kreuzfahrtschiffes seine Liebe gesteht. Ausgerechnet Jace, dem sie die Schuld am Scheitern ihrer letzten Beziehung gibt. Doch statt mit ihm zu streiten, liegt sie plötzlich in seinen Armen und spürt nie gekannte Lust!

EIN HEISSES GESTÄNDNIS von AMY JO COUSINS
Der attraktive Barbesitzer Christopher Tyler ahnt bereits, dass die neue Kellnerin Grace etwas vor ihm verbirgt. Und spätestens als sich zwischen ihnen ein heißer Flirt entwickelt, wäre der Moment für die Wahrheit gekommen. Doch erst der Zufall sorgt für eine dramatische Wende in Graces Spiel …

FÜR EINE NACHT VOLLER LEIDENSCHAFT … von SARA ORWIG
Warum ist sie nur so kratzbürstig? Seine neue Angestellte ist für Tony ein Rätsel. Bis ihm klar wird, wer Isabelle ist: Das sexy Mädchen, mit dem er auf dem College eine leidenschaftliche Nacht verbrachte. Wie gerne würde er das wiederholen! Doch eine Affäre ist Isabelle nicht mehr genug …

VERLOCKENDE GEFÜHLE von DIXIE BROWNING
Die Ehe hatte William Bradford seiner Sekretärin nur vorschlagen, weil Diana so einsam war - und schwanger von einem anderen Mann. Doch was als vorübergehendes Arrangement gedacht war, weckt in dem großen, dunkelhaarigen Texaner bald den Wunsch, diese umwerfende Frau für immer lieben und halten zu dürfen!


  • Erscheinungstag 04.06.2019
  • Bandnummer 19
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725976
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne McAllister, Amy Jo Cousins, Sara Orwig, Dixie Browning

BACCARA EXTRA BAND 19

1. KAPITEL

Artie Gilliam saß im Wohnzimmer in seinem Fernsehsessel und machte ein Nickerchen. Er wurde durch das laute Zufallen der Hintertür geweckt. Überrascht warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, als er schwere Schritte hörte.

„Ist es nicht ein bisschen früh für die Mittagpause?“, fragte er Jace Tucker, der am Türpfosten lehnte und ihn anstarrte. „Oder ist meine Uhr stehen geblieben?“ Artie hoffte, dass das nicht passiert war. Denn er hing an der Uhr, weil sie ein Andenken an seinen Vater war, der sie ihm nach dem Ersten Weltkrieg geschenkt hatte. Artie war inzwischen neunzig Jahre alt, und er hoffte, dass diese Uhr ihn überleben würde.

„Ich bin nicht zum Lunch gekommen“, knurrte Jace. Wütend marschierte er quer durch den Raum. „Sie ist zurückgekommen.“

„Ah, sie ist zurück.“ Artie musste nicht fragen, wen Jace meinte. Denn für Jace Tucker gab es nur eine Frau auf der Welt, und das war Celie O’Meara. Nicht, dass er das irgendjemandem verraten hätte, aber Artie wusste es.

Obwohl Jace ein sehr gut aussehender junger Mann war, der jeder Frau den Kopf verdrehen konnte, wenn er es darauf anlegte, schien er augenblicklich kein Interesse an neuen Eroberungen zu haben. Jace war der einzige Mann, den Artie kannte, der so viel Chancen bei Frauen hatte und sich trotzdem wahrscheinlich die Liebe seines Lebens durch eigene Dummheit und seinen Stolz vermasseln würde. Artie kannte sich da aus. Schließlich hatte er vor rund sechzig Jahren Ähnliches mitgemacht. Er schüttelte den Kopf.

Jace missverstand Arties Geste und erklärte kurz angebunden: „Celie ist wieder da.“

„Ah, wie schön“, bemerkte Artie lächelnd.

„Hm“, antwortete Jace und begann nervös auf und ab zu laufen.

Wenn dieser Narr so weitermacht, ist dieser Teppich bald kaputt, dachte Artie. „Ich hatte angenommen, du würdest dich über die Rückkehr der jungen Dame freuen?“

Jace hatte nichts gesagt, was darauf hindeutete. Doch jeden Abend, wenn er von seiner Arbeit mit den Pferden seines Freundes Taggart zurückkehrte, hatte er Artie gefragt, ob er nichts von den Mearas gehört habe, denn die ganze Familie war nach Hawaii geflogen, um die Hochzeit von Celies Schwester Polly mit dem Schauspieler Sloan Gallagher zu feiern.

Artie war immer noch ein wenig traurig, dass er nicht mitfeiern konnte. Doch letzten Winter war er sehr krank gewesen, und der Arzt hatte ihm dringend von diesem langen anstrengenden Flug abgeraten. Sein einziger Trost war, dass die Mearas ihn, Artie, ständig telefonisch auf dem Laufenden hielten. Sie berichteten ihm haarklein alles über die tolle Strandparty, an der die gesamte Filmcrew teilgenommen hatte. Joyce, Celies Mutter, das glückliche Brautpaar, Sara, Pollys älteste Tochter, und auch Celie hatten mit ihm gesprochen. Und Artie wiederum erzählte Jace jeden Abend das Neuste.

„Hat Celie es tatsächlich geschafft, sich von den tollen Kerlen am Strand loszureißen, um mit dir zu telefonieren? Sicher wollte sie nur hören, ob du noch unter den Lebenden weilst“, hatte Jace bissig bemerkt.

Artie hatte sich ein Grinsen nicht verkneifen können, und ignorierte diese giftige Bemerkung. „Sie ist wirklich ein Goldschatz“, hatte er stattdessen diplomatisch erwidert.

Jace hatte ihn nur wütend angestarrt, so wie er es auch jetzt tat. Er hatte die Hände tief in die Hosentaschen geschoben und wippte unruhig auf den Absätzen seiner abgetragenen Cowboystiefeln auf und ab.

„Ich nehme an, du freust dich, Celie wieder zu sehen?“

„Ja, aber nur, wenn sie wieder zur Vernunft gekommen ist“, antwortete Jace mit finsterer Miene.

„Was ist eigentlich los, Jace? Hat sie auf Sloans Hochzeit etwas angestellt?“

Jeder in Elmer wusste, dass sich Celie unsterblich in den Schauspieler Sloan Gallagher verliebt hatte, einen berühmten Cowboydarsteller. Das hielt viele Jahre an. Als im letzten Februar auf der großen Junggesellenauktion in Elmer ein Wochenende in Hollywood mit ihm ersteigert werden konnte, setzte Celie ihre gesamten Ersparnisse ein, um ihren Traum zu verwirklichen. Nach diesem Wochenende erzählte sie zwar nur Gutes über Sloan, doch ihre Gefühle für ihn hatten sich gewandelt. Sie mochte ihn immer noch sehr, aber mehr wie einen Bruder.

Zum Glück war es so, denn Sloan hatte sich in Polly, ihre Schwester verliebt. Diese Situation hätte für die Familie ziemlich schwierig werden können. Doch anscheinend war alles undramatisch abgelaufen. Wie Artie wusste, hatte Celie begeistert zugestimmt, als ihre Schwester Polly und Sloan sie baten, ihre Trauzeugin zu sein.

„Sie hat sich auf der Hochzeit doch gut benommen?“, fragte Artie besorgt.

„Vermutlich.“ Jace war ans Fenster getreten und rieb sich die verspannten Nackenmuskeln.

Er sieht aus wie ein Stier, der sich gleich zum Kampf in die Arena stürzen will, schoss es Artie durch den Kopf. „Sie hat doch wohl nicht wieder ein Auge auf Matt Williams geworfen?“

Matt hatte Celie kurz vor zehn Jahren vor der Trauung sitzen lassen. Vielleicht hätte sie das weniger getroffen, wenn sie nicht so jung gewesen wäre. Dass ihre erste große Liebe derart mit Füßen getreten worden war, hatte sie so verletzt, dass sie sich mehrere Jahre lang nicht mehr für Männer interessiert hatte. Ihr Vertrauen war aufs Tiefste erschüttert worden. Sie hatte sich völlig zurückgezogen und nur noch von Sloan Gallagher geträumt. Soweit Artie wusste, hatte sie sich nach der geplatzten Hochzeit mit keinem Mann mehr getroffen. Seiner Meinung nach war dieser Rückzug falsch. Wenn er so enttäuscht worden wäre, hätte er an ihrer Stelle genau das Gegenteil getan, um diesen Reinfall so schnell wie möglich zu vergessen. Er hoffte inständig, dass Celie jetzt, wo ihr Schwarm in festen Händen war, nicht wieder anfing, an Matt Williams zu denken.

„Das wäre ja nicht das Schlimmste“, knurrte Jace.

„Seit wann bist du denn ein Fan von Matt Williams?“, entgegnete Artie überrascht.

Jace und Matt waren eine Zeit lang ganz gute Kumpel gewesen. Sie nahmen beide an Rodeos teil und waren einige Jahre zusammen quer durch die Staaten getourt. Doch Jace war nicht damit einverstanden gewesen, wie Matt sich damals gegenüber Celie verhalten hatte. Matt hatte es ihm überlassen, Celie anzurufen, um ihr auszurichten, dass er sie nicht heiraten würde.

„Matt taugt nicht viel.“ Jace zog sich seinen Strohhut vom Kopf und fuhr sich durchs Haar. „Aber das wissen wir ja inzwischen alle.“

Artie kam plötzlich ein schrecklicher Gedanke. „Celie hat sich doch wohl nicht mit einem Surfer dort auf Hawaii verlobt?“

Jace schnaubte verächtlich und zerknautschte die Krempe seines Hutes. „Nein!“

„Verflixt noch mal, wo ist dann das Problem? Du hast dich auf Celie gefreut. Sie ist wieder zurück. Habt ihr beide euch etwa schon wieder gestritten?“

Es war kein Geheimnis, dass die beiden sich immer ziemlich schnell in die Haare gerieten. Celie war eine wohlbehütete Tochter aus gutem Hause, und Jace war immer ein Draufgänger gewesen. Sie waren ziemlich gegensätzlich. Artie wusste auch, dass Celie immer noch einen heftigen Groll gegen Jace hegte, da sie ihn dafür verantwortlich machte, dass Matt die Hochzeit hatte platzen lassen. Matt hatte so frei und ungebunden sein wollen wie Jace. Celie hatte ihm vorgeworfen, er habe sich Jace zum Vorbild genommen.

Dieser Vorwurf war nicht ganz unbegründet. Jeder Junge in der Umgebung, der von Freiheit und Abenteuern träumte – insbesondere von Abenteuern mit Frauen – konnte von Jace Tucker lernen. Der liebte das Leben und schlug gern mal über die Stränge. Aber Artie war der Meinung, dass Jace mittlerweile schon viel ruhiger geworden war.

Sicher, er ging ab und zu ins „Dew Drop“, trank ein paar Bierchen und spielte ein paar Runden Billard. Bis jetzt war er aber nie richtig betrunken zurückgekommen. Er war auch nie über Nacht weggeblieben und hatte auch keine Frau mit nach Hause gebracht.

Er war Celie treu, obwohl diese gar keine Ahnung davon hatte. Denn Jace war niemand, der über seine Gefühle redete. Im Gegenteil. Artie war sicher, dass Jace, dieser Narr, sein Herz mit Stacheldraht eingezäunt hatte. Jeden, der ihm nahe kommen wollte, schreckte er mit ironischen Bemerkungen ab. Daher war es kein Wunder, dass Celie davon überzeugt war, dass Jace gar kein Herz hatte.

„Ihr beide könnt selbst den geduldigsten Menschen zur Verzweiflung bringen. Ihr könnt euch doch nur ganz kurz gesehen haben, denn es ist erst nach zehn. Himmel noch mal, Jace, was hat Celie denn angestellt, dass du so wütend bist?“

„Sie geht weg!“

„Wie bitte?“

„Du hast richtig gehört, sie geht weg.“ Jace sah Artie wütend, aber auch verzweifelt an. Seine blauen Augen hatten sich vor Zorn verdunkelt. Er warf seinen Hut auf den Tisch und ballte die Fäuste.

„Was soll das heißen? Wo will sie denn hin?“

„Erinnerst du dich noch an die Schiffsreise für Singles, die sie gemacht hat?“

Artie starrte Jace an. Natürlich erinnerte er sich. Als Celie nach dem Wochenende mit Sloan zurückgekommen war, hatte sie sich entschlossen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und eine Kreuzfahrt zu machen.

Während dieser Zeit hatte Jace Artie beinahe zum Wahnsinn getrieben. Jace’ Erleichterung darüber, dass Celies Traum von der großen Romanze mit Sloan zerstört war, denn war nur von kurzer Dauer gewesen, denn wie er schon bald erkannte, bedeutete es nicht automatisch, dass sie bei ihm Trost suchte.

„Warum muss sie denn eine Kreuzfahrt für Singles machen?“, hatte Jace geschimpft und war wie heute nervös im Zimmer auf und ab gegangen.

„Das frage ich mich allerdings auch, wo es hier doch einen jungen Mann gibt, der sie aufrichtig liebt“, hatte Artie leise erwidert.

Jace war stocksteif stehen geblieben und hatte Artie angestarrt. „Von wem sprichst du?“

Artie hatte mit den Schultern gezuckt. „Für mich ist das offensichtlich.“

Jace hatte mit den Zähnen geknirscht, Arties Feststellung jedoch nicht widersprochen. Stattdessen hatte er sich den Nacken gerieben und brummig geantwortet: „Verrückt, so was.“

„Meinst du Celies Schifffahrt oder die Tatsache, dass du Celie liebst?“, hatte Artie ihn verschmitzt grinsend gefragt.

„Was denkst du denn?“, hatte Jace damals grimmig erwidert.

„Diese Kreuzfahrten sind doch sehr teuer. So viel Geld hat sie doch gar nicht. Wie will sie das bezahlen?“, warf Artie ein.

„Sie wird auf dem Schiff arbeiten, dann ist das Geld kein Problem.“

„Was soll das nun wieder heißen?“

„Heute Morgen kam Celie in deinen Laden getänzelt und hat gekündigt. Sie teilte mir kurz und bündig mit, in zwei Wochen werde sie in Miami an Bord eines Luxusliners gehen.“ Jace bemühte sich, den weichen Tonfall Celies nachzuahmen: „‚Dann brauchst du dich über mich nicht mehr zu ärgern‘, hat sie gesagt.“ Er war zutiefst aufgewühlt. Celies letzte Bemerkung hatte ihm den Rest gegeben.

Arties Herz stolperte mal wieder. Es machte ihm immer noch Sorgen. Aber noch mehr seine Sorgen machte er sich darüber, wie Jace wohl mit der Situation fertig wurde. Artie war neunzig. Doch er wusste noch ganz genau, wie es war, eine Frau so sehr zu lieben, dass man darüber den Verstand verlor, denn in jungen Jahren war es ihm selbst so ergangen. Artie war nicht entgangen, dass Jace schon lange ein Auge auf Celie geworfen hatte. Da er Jace mochte und ihm eine Chance geben wollte, hatte er ihn nach seinem Herzanfall im letzten Winter gebeten, für ihn in seinem Eisenwarenladen zu arbeiten.

Obwohl Celie mit ihrer Nichte einen eigenen Frisiersalon mit Videothek betrieb, kam sie jeden Morgen und half Jace. Artie hatte natürlich gewusst, dass Celie sein Geschäft nach seinem Herz­anfall allein hätte führen können, doch er hatte sich ausgemalt, wie schön es wäre, wenn Celie und Jace ein Paar werden würde. Celie war eine kluge Geschäftsfrau, sie war hilfsbereit und liebevoll. Sie wäre die ideale Frau für Jace.

Artie wollte ein wenig Schicksal spielen und hatte deshalb Jace eingestellt.

Nach seinem Herzanfall hatte Artie Jace ins Krankenhaus rufen lassen, um ihn davon zu überzeugen, wie nötig er ihn brauchte. Auch als er wieder nach Hause durfte, stellte sich Artie viel schwächer, als er war. Um den beiden jungen Leuten Gelegenheit zu geben, sich besser kennenzulernen und ihre Gefühle füreinander zu entdecken, gab er vor, viel Ruhe zu brauchen. Doch nichts war passiert.

Wahrscheinlich gab kaum zwei verschlossenere Typen als Celie O’Meara und Jace Tucker. Celie war immer noch davon überzeugt, dass Jace sich kein bisschen geändert hatte und immer noch der wilde Draufgänger von vor zehn Jahren war. Und Jace zeigte Celie nicht, dass er sie liebte. Jetzt arbeiteten die beiden schon fast fünf Monate zusammen. Aber soweit Artie sehen konnte, hatte sich nichts zum Guten gewendet. Das Gegenteil war eher der Fall.

Er setzte sich aufrecht hin. Vielleicht würde Jace jetzt endlich zur Vernunft kommen und Celie gestehen, was er für sie empfand. Vielleicht konnte er sie dadurch noch aufhalten. „Was wirst du jetzt machen?“

Jace stülpte sich den Hut wieder auf und ging zur Tür. „Ich werde mich betrinken“, sagte er wütend. „Und dann suche ich mir eine andere.“ Er stürzte aus dem Haus und warf die Tür so heftig zu, dass die Fensterscheiben klirrten.

Artie seufzte und schüttelte den Kopf.

Solange Celie O’Meara sich erinnern konnte, hatte sie davon geträumt, zu heiraten und Kinder zu haben. Schon als kleines Mädchen hatte sie mit ihren Puppen Familie gespielt, während ihre beiden Schwestern Polly und Mary Beth Cowboys und Indianer oder Arzt und Krankenschwester gespielt hatten. In stillen Momenten kam ihr manchmal der beunruhigende Gedanke, dass sie damals, als sie kaum neunzehn Jahre alt war und sich mit Matt verlobt hatte, vielleicht nur ihre Kleinmädchenträume weitergesponnen hatte.

Damals hatte sie das nicht so gesehen. Sie hatte nicht nur geglaubt, Matt zu lieben, sondern war felsenfest davon überzeugt gewesen. Als er sie sitzen ließ, war sie völlig verzweifelt. Ihre schöne Welt war ein einziger Scherbenhaufen. All ihre Hoffnungen, ihre Träume und Erwartungen waren mit einem Mal zerstört worden. Sie hatte sich nicht nur wie eine Närrin gefühlt, sondern, was noch schlimmer war, sie fühlte sich minderwertig und schämte sich. Alle Leute glaubten wahrscheinlich, dass sie nicht fähig wäre, einen Mann glücklich zu machen.

„Du musst andere Männer kennenlernen“, hatte ihre Schwester Mary Beth gesagt, um sie zu trösten.

„Ja, anständige Männer“, bekräftigte ihre Schwester Polly.

„Genau“, meinte Artie. „Es ist genau so, als ob du vom Pferd fällst. Du musst den Staub abklopfen und sofort wieder aufsitzen.“

„Du wirst eines Tages dem richtigen Mann begegnen, du darfst einfach nicht aufgeben“, riet ihre Mutter ihr und nahm Celie in den Arm.

Aber Celie hörte gar nicht richtig hin. Sie hatte den Mut verloren. Sie hatte Matt vertraut und war tief gedemütigt worden. Sie hatte ihm ihr Herz geschenkt, und er hatte ihre Liebe mit Füßen getreten. Sollte sie dasselbe denn noch einmal durchmachen? Nein, niemals. Sie hatte diese furchtbare Enttäuschung einmal erlebt, und das würde nie wieder passieren, das schwor sie sich. Bis an ihr Lebensende hatte sie genug.

Aber komisch, obwohl sie von Männern genug hatte, gab sie doch während all der Zeit ihren Traum von einer glücklichen Familie nicht auf. Wenn sie auch Abstand zu Männern hielt, so kreisten ihre Gedanken doch immer um einen Mann, den sie jedoch nur von der Leinwand kannte. Sloan Gallagher war ihr Schwarm, denn er verkörperte alles, was sie bewunderte. Er war groß, stark, gut aussehend, klug, zielstrebig und sexy. Und er konnte ihr nicht gefährlich werden, das war wichtig. Nur deswegen konnte Celie sich in ihren Träumen ganz an ihn verlieren.

Sie las jeden Artikel über ihn, den sie ergattern konnte. Sie verpasste keinen Film, in dem er mitspielte, und malte sich in den leuchtendsten Farben aus, wie himmlisch es wäre, von ihm geliebt zu werden. Sie würde ihre Träume ja auch nie in der Realität messen müssen. Als sich Sloan Gallagher aber bereit erklärt hatte, nach Elmer zu kommen, um Maddie Fletchers Farm zu retten, da sah plötzlich alles ganz anders aus.

Der Gedanke, dass sie ihren Schwarm tatsächlich sehen würde, stürzte Celie in eine tiefe Krise. Würde die Wirklichkeit ihre Träume zerstören? Oder konnten die Träume Wirklichkeit werden? Es war in jedem Fall gefährlich. Wochenlang vor dem großen Ereignis quälten Celie die Gedanken an die Möglichkeiten, die sich ihr nun boten. Sloan Gallagher in der Realität zu erleben, das war einerseits eine einmalige Chance, andererseits aber auch beängstigend. Während sie sich den Kopf zermarterte, wurde ihr immer mehr klar, was für ein absurdes Leben sie während der letzten Jahre geführt hatte. Das wirkliche Leben war an ihr vorbeigerauscht. Statt daran teilzunehmen, hatte sie sich immer mehr in ihren Träumen verloren. Keine angenehme Erkenntnis, und es gelang ihr nicht, sie zu verdrängen, denn Jace Tucker hinderte sie daran.

Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit. Von Weitem hatte sie ihn immer heimlich beobachtet. Er hatte sie fasziniert. Er war so groß, so wild, so laut, so ganz anders als sie selbst. Aber sie hatte auch immer ein wenig Angst vor ihm gehabt.

Während ihre zwei Schwestern mit den Jungen rauften und gern bei den Cowboys auf der Weide waren, spielte Celie lieber mit ihren Puppen. Sie hatte sich damals in Matt verliebt, weil er weniger wild war als die anderen Jungen. Er war ein Mann, der zu ihr passte, hatte sie damals gedacht. Aber Matt hatte sie nicht haben wollen. Und daran war ganz allein Jace Tucker schuld. Als Matt in dem Sommer vom Wilsall Rodeo zurückgekehrt war, hatte er ihr eröffnet, dass er mit Jace Tucker gesprochen habe und ihn eine Zeit lang zu Rodeoveranstaltungen begleiten wollte.

„Ich möchte mir noch ein bisschen die Hörner abstoßen, bevor du mich an die Kette legst“, hatte er grinsend gesagt.

Das hätte ihr zu denken geben sollen. Aber sie hatte ihm vertraut. Seine Worte hatte sie gar nicht so ernst genommen. Ihr hatte es zwar nicht gepasst, dass er mit Jace am Rodeo-Zirkus teilnehmen wollte, aber sie hatte sich gefügt.

„Lass dich von Jace nicht vom rechten Weg abbringen“, hatte sie ihn nur gewarnt.

„Niemals“, hatte er damals versichert und gelacht.

Aber zwei Monate später, als Matt die Hochzeit platzen ließ, dämmerte ihr, dass ihre Befürchtungen nicht grundlos gewesen waren. Kurz vor der Trauung hatte Jace sie angerufen, um ihr mitzuteilen, dass Matt nicht kommen würde.

„Er sagt, er sei noch nicht so weit.“

„Was soll das heißen?“ Celie wollte der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen. Sie steckte lieber den Kopf in den Sand und dachte sich irgendwelche skurrilen Entschuldigungen für Matt aus. Zum Beispiel, dass er Schwierigkeiten hatte, seine Krawatte korrekt zu binden.

„Er will sich noch nicht binden“, antwortete Jace. „Matt sagt, er will noch was von der Welt sehen, bevor er heiratet. Er fühlt sich einfach noch zu jung für einen solchen Schritt.“ Er wartete darauf, dass Celie etwas sagte.

Doch sie war sprachlos vor Schreck. Die Leute aus ihrer Straße machten sich gerade auf den Weg in die Kirche. Ihre Mutter rief ungeduldig, dass sie sich endlich beeilen solle. Ihr Vater stand in der Tür und lächelte Celie an.

Sie stand stocksteif da und hörte Jace seufzen. „Nun sag doch endlich was, Celie.“

„Das ist nicht wahr!“, stieß sie hervor. Sie wusste ja, dass Jace nichts vom Heiraten hielt, und hasste ihn plötzlich mehr als jeden anderen Menschen.

„Es ist die Wahrheit, Celie. Matt kommt nicht. Er will nicht heiraten. Sag die Hochzeit ab.“

Genau das tat Celie auch, nachdem sie den Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Sie war wie betäubt gewesen. Am meisten hatte sie noch geärgert, dass Jace so getan hatte, als hätte sie damit rechnen müssen, dass Matt einen Rückzieher machen würde. Jace hatte nicht einmal gesagt, dass ihm das Ganze leidtat. Aber warum sollte es das auch? Sie bedeutete ihm ja nicht viel. Sie erinnerte sich noch ganz genau daran, wie es war, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er war zusammen mit Matt zu ihr in die Küche gekommen, hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt und war unruhig von einem Fuß auf den anderen getreten. Offenbar wollte er so schnell wie möglich wieder gehen. Vermutlich hatte er gedacht, dass sie es nicht wert sei, sich länger bei ihr aufzuhalten. Und davon hatte er auch Matt überzeugt. Er hatte ihn beeinflusst, davon war sie auch jetzt noch, nach all diesen Jahren, fest überzeugt.

Celie packte immer wieder eine fürchterliche Wut, wenn sie Jace begegnete, denn jedes Mal, wenn sie ihn sah, musste sie daran denken, dass er vor fast zehn Jahren Zeuge ihrer Demütigung geworden war.

Sie bedauerte sehr, dass aus ihr nicht die Frau geworden war, die sie von klein auf hatte werden wollen. Zwar stand sie mit beiden Beinen im Leben und konnte sich als erfolgreiche Geschäftsfrau bezeichnen. Ihr gehörten der einzige Frisiersalon in Elmer und ein Videoverleih. Sie liebte ihre sechs Nichten und Neffen, und Sid, ihr Kater, vergötterte sie. Aber das alles war nicht genug, denn sie hatte nicht geheiratet und hatte kein Kind.

Sie war eine Versagerin, eine Sitzengelassene. Und jedes Mal, wenn sie Jace Tucker sah, gingen ihr diese Gedanken durch den Kopf.

Zum Glück hatte sie Jace während der vergangenen zehn Jahre nur sehr selten getroffen, obwohl seine Familie nur fünf Meilen außerhalb von Elmer wohnte. Aber Rodeoreiter lebten auf der Landstraße. Sie waren auch nicht die Typen, die regelmäßig in einen Frisiersalon kamen. Ein Jahr konnte vergehen, und sie hatte ihn vielleicht ein oder zwei Mal von Weitem erblickt.

Hin und wieder hatte sie etwas über ihn gehört. Sie wusste, dass er ein sehr erfolgreicher Wildpferdreiter geworden war. Zwar war er nicht der World Champion wie Noah Tanner, der auch in der Nähe von Elmer lebte. Aber er gehörte zu den Besten und hatte im letzten Jahr an der Endausscheidung in Las Vegas teilgenommen.

Jodie, die Schwester von Jace, gehörte auch zu Celies Kundinnen. Die beiden jungen Frauen kannten sich von der Schule. Als Jodie das letzte Mal in ihren Salon gekommen war, hatte sie Celie stolz die großen Neuigkeiten von ihrem Bruder erzählt. „Wenn Jace im nächsten Monat in Vegas gewinnt, will er aufhören und sich hier niederlassen.“

Diese Nachricht erschreckte Celie so, dass ihr Herz einen Sprung machte. Sie sagte aber nichts dazu, und war froh, dass sie es schaffte, die Schere ruhig zu halten. Der Gedanke, Jace womöglich öfter zu begegnen, machte sie total nervös.

„Vielleicht will er endlich heiraten und ein Haus voller Kinder haben“, spekulierte Jodie fröhlich.

Celie schnaubte entrüstet.

„Ich könnte ihn ja mal hier bei dir vorbeischicken“, fügte Jodie schelmisch hinzu.

„Nein, vielen Dank“, antwortete Celie prompt.

„Es gab eine Zeit, da fandest du meinen Bruder richtig gut“, erinnerte Jodie sie. In einer Kleinstadt wussten die Menschen viel zu viel voneinander, fand Celie. Die Menschen erinnerten sich noch jahrelang an Bemerkungen, die man irgendwann einmal gemacht hatte. Celie hatte tatsächlich auf einer Party mal zu Jodie gesagt, dass sie ihren Bruder toll fände.

„Seitdem hat sich mein Geschmack geändert“, antwortete sie bissig.

Überrascht zog Jodie die Augenbrauen hoch. „Er ist nicht so schlecht, wie du vielleicht denkst.“

Celie dachte, dass Jodie doch ganz wusste, warum sie Jace grollte. Er hatte ihr doch damals bestimmt erzählt, dass er es war, der sie kurz vor der Trauung angerufen hatte. Aber Celie gab keine Antwort, sondern konzentrierte sich auf ihre Arbeit. „Ich bin nicht interessiert an deinem Bruder.“

Insgeheim hatte sie ein Stoßgebet gen Himmel geschickt, dass Jace nicht World Champion in Las Vegas wurde. Als sie jedoch Wochen später hörte, dass Jace bei dem Wettkampf verletzt worden war und im Krankenhaus lag, bekam sie heftige Schuldgefühle. Sie hatte nicht gewollt, dass er verletzt wurde, sondern nur, dass er nicht siegte.

Aber an dem Unfall konnte sie doch nicht schuld sein. Oder vielleicht doch? Vielleicht wollte der Himmel sie für ihren Egoismus strafen und hatte dafür gesorgt, dass Artie Jace einstellte, damit sie sein Geschäft gemeinsam führen mussten?

Nein, das war Unsinn! Es war reiner Zufall gewesen, dass Jace auch gerade im Januar im Krankenhaus war, als sie Artie besuchte. Und schließlich war es Arties Wille gewesen, dass ein Mann sein Geschäft führte, während er krank war.

Darüber war Celie sehr wütend gewesen. Sie hätte das auch allein geschafft. Das hatte sie Artie auch mehrere Male gesagt, aber der blieb stur. Er war rührend konservativ und glaubte, dass ein Mann diese Verantwortung tragen musste. Dabei hatte Artie Celie und ihren Geschwistern häufig wichtige Aufgaben übertragen. Aber in diesem Punkt ließ er nicht mit sich reden.

Seitdem arbeitete Celie jeden Morgen Seite an Seite mit Jace Tucker. Schließlich hatte er sie so zornig gemacht, dass sie ihre gesamten Ersparnisse eingesetzt hatte, um das Wochenende mit ihrem Schwarm Sloan Gallagher zu ersteigern.

Jace täglich zu sehen und seine spöttischen Bemerkungen über ihre Schwärmerei für Sloan zu ertragen, machte sie jedes Mal aufs Neue wütend. Und auf die Wut folgte oft genug Verzweiflung. Zwar hatte Celie versucht, weiter in ihren Fantasien zu schwelgen, aber das gelang ihr immer weniger. Daran war Jace mit seinen Kommentaren schuld, die sie immer wieder erbarmungslos auf den Boden der Tatsachen zurückholten.

Es passierte sogar, dass sie öfter von Jace träumte statt von Sloan. Das hatte ganz bestimmt nichts zu bedeuten, hatten die beiden Männer doch gewisse Ähnlichkeiten. Jace sah auch sehr gut aus mit seinem dichten dunklen Haar, den strahlenden blauen Augen und der sportlichen schlanken Figur. Aber Sloan war viel zärtlicher und liebevoller, zumindest in seinen Filmen, während Jace ein Spötter war und seinen Spaß daran hatte, über sie zu lachen.

In solchen Augenblicken hätte Celie ihm am liebsten etwas an den Kopf geworfen oder ihn gegen das Schienbein getreten. Sie tat jedoch nichts davon. Sie war und blieb das brave Mädchen, das nicht gegen die Regeln verstieß. Sie versuchte zwar Abstand zu ihm zu halten, aber sie beobachtete ihn genau. Sie wusste immer, was er tat. Wenn er sie nicht neckte, dann flirtete er mit jeder Frau, die den Laden betrat, und das waren nicht wenige. Er flirtete nicht nur mit den Mädchen aus Elmer und Umgebung, sondern auch mit allen Frauen, die zu der Veranstaltung gekommen waren, bei der man das Wochenende mit Sloan Gallagher ersteigern konnte. Und das waren nicht wenige gewesen.

„Du bildest dir wohl ein, sie seien alle deinetwegen gekommen“, hatte Celie eines Tages bissig bemerkt.

„Mich kann man nicht ersteigern“, hatte er grinsend geantwortet.

„Wer würde auch schon einen Penny für dich ausgeben?“, hatte sie wütend gekontert. Jace hatte nur gelacht. Aber Celie fand das gar nicht lustig. Sie wusste ganz genau, dass Jace ein sehr begehrter Junggeselle war und dass viele Frauen ihn umschwärmten. Und als die große Auktion zugunsten von Maddie Fletchers Ranch stattfand, wohnten etliche schöne Frauen in den freien Zimmern von Arties großem Haus.

Celie hatte es sich nicht verkneifen können, über Jace’ Harem zu lästern.

Er hatte nur gelacht. „Ach, bist du etwa eifersüchtig? Möchtest du vielleicht mit von der Partie sein?“

„Niemals“, hatte Celie geantwortet. „Ich würde meinen Mann nie mit anderen teilen.“

„Wenn du jemals einen abbekommst“, hatte Jace gedankenlos gekontert. Erst als er Celie angesehen hatte, war ihm klar geworden, dass er zu weit gegangen war, und er hatte sich hastig entschuldigt.

Seine Bemerkung hatte Celie bis ins Innerste getroffen, doch sie hatte sie auch wachgerüttelt. Auf einmal wusste sie, dass sie etwas tun musste. Sie musste ihren Kurs ändern, sonst würde am Ende ihres Lebens wohl auf dem Grabstein stehen: „Cecilia O’Meara starb, bevor sie überhaupt gelebt hatte.“

Aber Celie wollte leben. Ihre Fantasiewelt und ihre Träume genügten ihr plötzlich nicht mehr. Jace’ Bemerkung hatte den Ausschlag gegeben, dass sie sich getraut hatte, ihre Ersparnisse einzusetzen, um ein Wochenende mit dem Mann ihrer Träume zu gewinnen. Als sie das tatsächlich erreichte, bekam sie panische Angst. Diese verflog jedoch sofort, als sie sah, wie fassungslos Jace Tucker sie angestarrt hatte. Allein für diesen Anblick hatte sich ihre Geldausgabe gelohnt.

Wenn sie nur daran dachte, bekam sie gute Laune. Sie würde es sogar noch einmal tun. Jace Tucker zu schocken lohnte jeden Einsatz.

Wenn Sloan sich in sie verliebt hätte, dann hätte Jace natürlich gestaunt. Doch Sloan hatte sich in ihre Schwester verliebt. Und sie hatte bemerkt, dass sie Sloan zwar sehr mochte, ihn aber nicht liebte. Und als sie sah, wie verliebt die beiden waren, wünschte sie sich von ganzem Herzen auch so eine Liebe. Sie wollte nicht als alte Jungfer enden, die nur von ihren Katzen geliebt wurde. Aus diesem Grund fasste Celie den Entschluss, sich einen Mann zu suchen.

Der erste Schritt dahin war, dass sie sich entschloss, im April an einer Kreuzfahrt für Singles teilzunehmen. Das schien ihr genau das Richtige zu sein für einen Neuanfang. Und was das Tollste war, sie hatte es wieder geschafft, Jace Tucker sprachlos zu machen.

„Du gehst auf eine Kreuzfahrt für Singles?“, fragte er und starrte sie an, als hätte sie ihm mitgeteilt, dass sie demnächst auf der Ladentheke nackt tanzen wollte. Als wäre es undenkbar für eine Frau wie sie, an einer Kreuzfahrt teilzunehmen, und als wüsste sie nicht, was sie auf so einem Trip mit sich anfangen sollte. Aber da irrte er sich. Auch wenn ihr ganz anders wurde, als sie in Miami an Bord des riesigen Schiffes ging, hatte sie doch schnell gemerkt, dass so eine Seereise ganz angenehm war. Sie hatte auch entdeckt, dass ihre Fähigkeiten, die sie in ihrem Friseurgeschäft erworben hatte, ihr hier sehr zugutekamen. Es fiel ihr leicht, sich mit Menschen zu unterhalten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.

Obwohl sie immer noch sehr vorsichtig war, hatte sie sich auch mit einigen Männern getroffen. In deren Gesellschaft war sie zwar nervös, doch niemand konnte sie so nervös machen wie Jace Tucker. Sie hatte gehofft, dass sich das nach ihrer Reise ändern würde, aber leider hatte sie sich da getäuscht. Sie hatte auch fälschlicherweise darauf gehofft, dass Jace inzwischen wieder zurück auf seine Ranch gegangen wäre. Danach gefragt hatte er ihr erklärt: „Artie möchte, dass ich noch hier bleibe. Außerdem wohnen ja schon Ray und Jodie auf der Ranch. Für uns alle ist dort zu wenig Platz. Ich werde hier bleiben, bis mein eigenes Haus fertig ist.“

Er hatte also tatsächlich vor, sich in Elmer niederzulassen. Jody hatte also nicht gelogen. Jace hatte Celie sogar verraten, dass er sich schon eine ganz bestimmte Frau ausgesucht hatte, die bei ihm ins neue Haus einziehen solle. Mehr hatte er ihr gegenüber aber nicht verlauten lassen.

Celie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wer das sein sollte. Sie sah ihn immer wieder mit anderen Frauen. Einmal hatte er sich mit ihrer Nichte Sara getroffen und ein anderes Mal sogar mit der Schauspielerin Tamara Lynd, die während der Junggesellenauktion bei Artie gewohnt hatte.

Ob Tamara seine Auserwählte war? Celie traute sich nicht, ihn danach zu fragen, aber sie wollte sich das auch nicht weiter mit ansehen. Das war der Hauptgrund für sie gewesen, sich auf dem Luxuskreuzer als Friseuse zu bewerben.

Schließlich war sie schon dreißig. Sie wollte heiraten und eine Familie gründen. Vielleicht war so eine Reise eine gute Gelegenheit, dem Mann ihrer Träume zu begegnen. Sie kreuzte die Finger und hoffte, dass sie die Stelle bekam.

Und sie hatte tatsächlich Glück. Als sie von der Hochzeit ihrer Schwester aus Hawaii zurückkam, lag das Antwortschreiben im Briefkasten. Celie hatte die Stelle erhalten. Im ersten Moment bekam sie einen großen Schreck, der sich aber beim Anblick von Jace Tuckers Gesicht, als sie ihm die Neuigkeit mitteilte, sofort in diebische Freude verwandelte, weil es ihr wieder gelungen war, ihn sprachlos zu machen.

Jace hätte eigentlich mehr Verstand zeigen sollen, als sich Abend für Abend zu betrinken, um Celie O’Meara zu vergessen. Schließlich war er schon dreiunddreißig.

Aber Celie war weg. Er vermisste sie so sehr. Einen Monat war sie jetzt schon weg, und diese Zeit war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen.

Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Celie tatsächlich gegangen war, gab es doch kaum einen häuslicheren Menschen als sie. Nachdem sie von der Hochzeit ihrer Schwester zurück war, hatte sie sofort die Nachricht über ihre Geschäftsaufgabe ins Fenster ihres Frisiersalons gehängt. Und sieben Tage später war sie schon abgereist.

„Sie hat sich nicht mal von mir verabschiedet“, beklagte sich Jace wütend bei Artie.

„Weil du noch im Bett gelegen hast, um deinen Rausch auszuschlafen“, antwortete Artie ihm mit schonungsloser Offenheit.

Das stimmte. Nachdem Celie ihm ihren Entschluss verkündet hatte, hatte Jace sich Abend für Abend im „Dew Drop“, oder im „Barrel“ im Nachbarort Livingston betrunken und seinen ganzen Charme aufgeboten, um eine Frau zu finden, die ihn über seinen Kummer hinwegtrösten und ihm helfen könnte, Celie so schnell wie möglich zu vergessen. Aber leider klappte es nicht.

„Du hättest sie vielleicht aufhalten können“, hatte Artie gesagt.

Jace hatte gemurrte: „Ja, ich hätte betteln können, dass sie hier bleibt.“

„Ja“, antwortete Artie kurz und nickte.

Aber Jace hätte das niemals getan. Niemals hätte er zugegeben, wie sehr er Celie liebte. Schließlich hatte sie ihn behandelt, als wäre er ein Niemand. „Ich hätte dagestanden wie ein Narr.“

„Und stehst du jetzt besser da?“

„Nein.“ Er war nur ziemlich müde. Es war höllisch anstrengend, sich jeden Abend zu betrinken und eine Frau zu suchen, die Celie das Wasser reichen konnte.

Artie war zutiefst enttäuscht von ihm, und Jace wusste das, obwohl Artie es nicht laut aussprach. Jace reichte es schon, dass Artie Abend für Abend in seinem Fernsehsessel saß, sein Zenbuch im Schoß, und ihn missbilligend ansah, wenn er das Haus verließ, um da weiterzumachen, wo er den Abend vorher aufgehört hatte.

Heute Abend wollte Jace ins „Dew Drop“, weil Frauen an diesem Tag dort für nur fünf Cent Poolbillard spielen konnten. Es konnte ja sein, dass er dort heute eine Frau traf, die er noch nicht kannte.

„Was ist?“, fragte Jace sauer und sah Artie an.

„Ich dachte, du würdest es endlich leid werden“, sagte Artie traurig.

Jace hatte inzwischen auch genug von seinen Kneipentouren. Aber er wusste einfach nichts Besseres gegen seinen Frust. „Hast du denn eine klügere Idee?“

„Vielleicht.“

Die Hand schon auf dem Türgriff drehte Jace sich neugierig zu Artie um. „Was soll das heißen?“

„Dein Leben ist das, was du daraus machst.“

Jace blickte auf das Zenbuch, das Artie von Celies Mutter bekommen hatte. Dieser kluge Spruch kam sicher daraus. „Ach, ja?“, bemerkte er spöttisch.

„Du bist, was du tust“, fuhr Artie unbeirrt fort.

„Ich tu ja etwas.“

„Ja, klar. Du betrinkst dich jeden Abend und versuchst eine Frau zu finden. Vielleicht solltest du mal etwas Neues ausprobieren.“

„Habe ich doch auch versucht.“

„Ich meine nicht, dass du dir eine andere Frau suchen sollst.“

„Sondern?“, fragte Jace, jetzt richtig ärgerlich. Er deutete auf das Buch. „Darin findest du wohl all die klugen Ratschläge?“

„Vielleicht. Manchmal glaube ich, du bist wirklich so dumm, wie du dich jetzt anstellst. Du liebst Celie doch.“

„Ja, schon …“

„Also, du liebst die Frau und versuchst jetzt seit Wochen, sie zu vergessen, aber es ist dir nicht gelungen.“

„Hm.“

„Also musst du jetzt etwas anderes tun. Du musst sie davon überzeugen, dass du sie liebst.“

Jace schwieg. Es war gefährlich, einer Frau zu sagen, dass man sie liebte. Vor allem, wenn diese Frau Celie war, die allen Grund hatte, ihn zu hassen.

„Wenn du allerdings ein Feigling bist …“, murmelte Artie.

Jace knirschte mit den Zähnen. Das wurde ja immer besser. „Also, lass hören, welchen Rat du in deinem schlauen Buch gefunden hast.“

„Das habe ich nicht aus dem Buch, sondern das sagt mir mein gesunder Menschenverstand. Wenn das Schiff nicht zu dir kommt, musst du zum Schiff gehen“, antwortete Artie in Abwandlung des bekannten Sprichworts.

2. KAPITEL

Auf einem Luxusschiff zu arbeiten war etwas völlig anderes, als Passagier zu sein. Das hatte Celie schon in den ersten zehn Minuten bemerkt.

Ihr Arbeitstag war lang. Sie tat dasselbe wie in ihrem Salon in Elmer. Sie schnitt und färbte die Haare und zwei Mal in der Woche massierte sie verwöhnte Frauen, die ein wenig Zuwendung brauchten. Ihre Arbeit war hier noch schwieriger als in ihrem eigenen Salon. Denn selbst wenn das Schiff heftig schaukelte, musste sie gute Arbeit leisten. Celie musste sich mit einer Kollegin eine winzige Kabine im Schiffsbauch teilen, die so eng war, dass sie sich darin kaum drehen konnte. Simone, ihre Vorgesetzte, war eine echte Sklaventreiberin und kümmerte sich sogar um das Privatleben ihrer Untergebenen.

Sie hatte eine Kollegin gefeuert, die morgens aus der Luxus­kabine eines Reisenden kam. Da Tracy dasselbe Kleid trug wie am Abend zuvor, war der Fall für Simone eindeutig. Celie wusste das so genau, weil Tracy vorher mit ihr die Kabine geteilt hatte.

„Sie sollen freundlich und charmant zu den Gästen sein, aber Sie dürfen nicht mit ihnen ins Bett gehen“, erklärte Simone.

Celie nahm sich diese Lektion zu Herzen. Nicht, dass sie den Wunsch gehabt hätte, mit einem der Gäste schlafen. Es genügte ihr, mit ihnen zu lachen und zu reden. Sie hatte inzwischen schon viele nette Leute getroffen, darunter auch etliche Männer. An ihren freien Tagen hatte sie sich mit dem einen oder anderen sogar die bunten Hafenstädte in der Karibik angesehen, und sie hatte das genossen. In den Wochen, die sie jetzt auf dem Luxusschiff arbeitete, hatte sie mehr Schönes erlebt als in all den vorangegangenen Jahren in Elmer.

„Hast du denn kein Heimweh?“, fragte Polly sie immer mal wieder am Telefon.

Natürlich hatte sie Heimweh. Aber das hätte sie Polly niemals verraten, die machte sich ja sowieso schon Sorgen. „Mir geht es gut. Ich habe gar keine Zeit, überhaupt an Heimweh zu denken“, versicherte sie. Das stimmte auch.

Doch selbst wenn Celie manchmal traurig war, wach in ihrem Bett lag und daran dachte, was sie alles zurückgelassen hatte, wusste sie doch sehr genau, dass es ihr nichts gebracht hätte, länger in ihrer Heimatstadt zu bleiben. Ihre Träume hätten sich dort niemals erfüllt.

In Elmer gab es keinen Mann mehr, der sie so lieben würde, wie Sloan seine Polly liebte. Alle guten Männer waren schon vergeben.

Obwohl … so ganz stimmte das vielleicht nicht. Denn als sie Artie von Hawaii aus angerufen und ihm begeistert von der Liebe zwischen Polly und Sloan erzählte hatte, war ihr herausgerutscht: „Ich wünschte, ich würde eines Tages auch so einen Mann finden.“

„Was ist denn mit Jace?“, hatte Artie erwidert.

„Meinst du Jace Tucker?“, fragte sie ungläubig.

„Ja, warum nicht?“, fragte Artie.

Celie schwieg einen Moment. Sie hätte viele Gründe aufzählen können, warum das unmöglich war. Jace sah viel zu gut aus, er war zu sexy, zu selbstsicher und er flirtete ständig mit schönen Frauen. Im Übrigen war er sicher der Meinung, dass sie das Letzte war. Sie war schließlich die Frau, die von einem Mann wie Matt Williams sitzen gelassen worden war. Celie konnte nicht glauben, wie Artie auf so eine absurde Idee kommen konnte. Konnte es daran liegen, dass er so alt war?

Aber das hätte Celie nie gesagt. „Das würde nicht gut gehen“, hatte sie nur kurz geantwortet. „Wir wären ein Paar wie Rotkäppchen und der Wolf.“

„Hm, nun …“ Artie wollte mehr sagen, aber Celie unterbrach ihn.

„Nein, Artie, vergiss es. Denk nicht mal daran, hörst du?“

Jace war schließlich der Hauptgrund, weshalb sie Elmer verlassen hatte. Sie hatte seine sein arrogantes Grinsen und seine spöttischen Kommentare einfach nicht mehr ertragen.

Außerdem wollte sie etwas von der Welt sehen. Sie wollte ein spannendes Leben. Sie wollte mehr Möglichkeiten haben als Elmer ihr bot. Sie wollte nette Menschen treffen – insbesondere nette Männer. Darum war sie aus Elmer weggegangen. Sie war nicht geflohen. Schließlich hoffte sie auf dem Schiff ihre große Liebe zu treffen. Aber das hatte sie niemandem verraten, auch ihren Kolleginnen nicht. Wahrscheinlich hätten die sie ausgelacht, weil sie noch so naiv war.

Carlos, der feurige Barkeeper aus Barcelona, zog sie fast täglich damit auf, dass sie mit großen Kinderaugen verwundert die Welt betrachtete. „Du hast so große Augen“, sagte er häufig und lächelte verführerisch.

„Ich könnte dafür sorgen, dass ihre Augen noch größer werden“, versprach Yiannis, der Weinkellner. Er war Grieche und wollte ihr Plätze in den Hafenstädten zeigen, wo Touristen niemals hinkamen.

Aber Allison, die Kollegin aus dem Frisiersalon, die nun mit ihr die Kabine teilte, verhinderte das. „Du gehst nirgendwo mit ihm hin, hörst du? Und was meint er überhaupt damit, dich in ein gemütliches Hotel mitzunehmen? Liebe Güte, der hat dich schneller ausgezogen, als du überhaupt denken kannst.“

Celie hatte gar keine Lust, mit Yiannis an Land zu gehen. So dumm war sie schließlich nun doch nicht. „Denkst du denn eigentlich, ich bin so naiv und lass mich von ihm in ein Hotel schleppen?“

„Ach, ja?“, fragte Allison. „Und wie war das eigentlich, als du nachts nach der Party mit Armand, der dir Neonfische zeigen wollte, an Deck gegangen bist?“

Celie wurde immer noch rot, wenn sie an die Episode dachte. Hier gab es diese Fische natürlich gar nicht, aber sie hatte daraus gelernt. Ihr war ja nichts passiert. Als Armand, der die Schmuck- und Geschenkboutique an Bord leitete, sie leidenschaftlich in die Arme riss und sie sich wehrte, war er der perfekte Gentleman.

„Du lernst schnell“, sagte Allison.

Das stimmte auch. Celie hatte so viele verschiedene Menschen getroffen, dass sich ihre Menschenkenntnis deutlich erweitert hatte. Sie hatte so viele schöne neue Plätze gesehen, dass sie Dutzende von Ansichtskarten nach Hause schrieb. Sie genoss ihr neues Leben in vollen Zügen und war glücklich.

Nur ihre große Liebe, die hatte sie bis jetzt noch nicht gefunden.

Aber das würde bestimmt noch passieren, das wusste sie einfach. Sie würde ihren Teil dazu beitragen, würde nicht einfach dasitzen und die Hände in den Schoß legen. Sie würde aktiv sein und die Gesellschaft von Männern suchen. So war sie mit einigen Männern an Land gegangen und hatte mit ihnen die Gegend erkundet. Allerdings nur mit Männern, gegen die Allison nichts hatte. Männer, die wussten, was sich gehörte.

Allison hatte Armand, Carlos und Yiannis so angesehen, dass diese keinen zweiten Versuch wagten, sich Celie zu nähern.

„Carlos ist ein Gentleman“, verteidigte Celie ihn.

„Carlos ist ein Casanova“, antwortete Allison bestimmt. „Der ist nicht dein Typ, du brauchst einen wirklich netten Mann.“

Celie war ärgerlich über die Bevormundung. Allison tat, als käme sie gerade aus dem Kloster und müsse beschützt werden.

Aber jedes Mal, wenn Celie murrte, fragte Allison lächelnd: „Na, hat dir in letzter Zeit wieder jemand Neonfische gezeigt?“

Diese Bemerkung bewirkte stets, dass Celie sich Allisons Urteil fügte. So war sie mit Fergus, einem reizenden Schotten über einen Basar in Nassau geschlendert, in Sankt Thomas war sie mit einem Australier Wasserski gelaufen und mit Jimmy, einem Kanadier, hatte sie auf einer traumhaften Insel Cocktails getrunken. Es waren reizende Männer, die sich gut benahmen. Und obwohl es bei ihr bis jetzt nie gefunkt hatte, war es auf jeden Fall besser, als in Elmer zu versauern.

Aber was war, wenn sie sich nicht verliebte? Wenn es noch Jahre dauerte, bis sie dem Richtigen begegnete? Solche Gedanken quälten sie ab und zu, wenn sie abends noch lange wach lag. Doch sie verbannte die pessimistischen Gedanken aus ihrem Kopf. Es würde bestimmt passieren.

Eines Tages, wenn sie es gar nicht erwartete, würde sie ihn entdecken. Ihre Blicke würden sich kreuzen, und es würde klick machen. Sie würden sich auf der Stelle ineinander verlieben, sich verloben, nach Elmer fliegen und heiraten. Und dieses Mal würde nichts dazwischenkommen. Alle Bewohner von Elmer würden sich mit ihr freuen und an der Zeremonie in der Kirche teilnehmen. Wenn sie dann glücklich am Arm ihres Angetrauten durch das Kirchenschiff schritt, würde sie Jace Tucker die Zunge herausstrecken, das schwor sie sich.

Artie hatte schon einige verrückte Ideen im Laufe seines langen Lebens gehabt. Aber seine letzte Idee war ja wohl das Verrückteste, was Jace jemals von ihm gehört hatte. Aber wie bescheuert war er selbst, dass er auf Arties Ratschlag gehört hatte?

Und was für ein Narr war er, wenn er auf dem Luxusschiff, auf dem Celie O’Meara arbeitete, eine einwöchige Kreuzfahrt buchte und dafür eine beträchtliche Summe Geld hinblätterte?

„Ja klar, du bist nicht ganz richtig im Kopf“, bestätigte Artie ihm. „Das geht schließlich allen Männern so, wenn sie verliebt sind.“ Er lächelte zufrieden, während er aufmerksam den Wagen steuerte. Er brachte Jace frühmorgens zum Flughafen von Bozeman.

Was hat Artie gesagt? dachte Jace. Er sei verliebt? Das konnte doch nicht wahr sein. Seinen Kumpels war das schon passiert, aber ihm noch nicht.

Zwar würde er in einer Stunde im Flugzeug sitzen und Tausende Meilen hinter Celie herfliegen, aber ein Beweis war das ja noch lange nicht. Jace erwog ernsthaft, jetzt noch umzukehren. Doch Artie hinderte ihn daran. „Wenn du das jetzt tust, wirst du es später bitter bereuen.“

Jace machte sich seine eigenen Gedanken. Wie würde er dastehen, wenn Celie nichts von ihm wissen wollte? Wenn er ihr seine Gefühle offenbarte und sie ihm kühl erklärte, er solle zur Hölle fahren? Das wäre dann das Ende seines schönen Traumes. Furchtbar wäre es, wenn er seine Hoffnung begraben müsste und nicht mehr mit einem Happy End rechnen könnte. Seine Stimmung war wirklich nicht die beste. Und noch ein negativer Gedanke quälte ihn an diesem schönen Morgen: Was, wenn er Celie gegenüberstand und nicht mehr wusste, was er sagen wollte? Bei diesem Gedanken wurde ihm ganz anders, und er erzählte es Artie.

„Du und sprachlos?“, fragte Artie ungläubig. Er starrte Jace intensiv an und wäre dabei fast in den Straßengraben gefahren. „Das ist unvorstellbar. Du bist doch keine Mimose.“

„Pass auf, wohin du fährst“, knurrte Jace. Artie hatte ja recht, denn ihm, Jace, war es noch nie schwergefallen, Frauen mit seinem Charme einzuwickeln. Bei allen Frauen war er wortgewandt, nur bei Celie nicht, denn sie war etwas Besonderes für ihn. Noch nie hatte er seine Flirtkünste an ihr ausprobiert.

„Ich wette, dass du in deinem ganzen Leben noch nie so etwas Verrücktes gemacht hast“, murmelte Jace, als Artie in die Abzweigung zum Flugplatz einbog.

Artie schwieg lange. Kein Wunder dachte Jace, schließlich hat er schon viele Jahre hinter sich.

„Ich hätte es aber tun sollen.“

Überrascht sah Jace ihn an. „Wirklich?“

„Na ja, vielleicht.“ Artie zog die mageren Schultern hoch. „Vielleicht auch nicht.“ Er konzentrierte sich aufs Fahren. Sie hatten den Flugplatz erreicht, und Artie suchte einen Parkplatz.

Jace wartete gespannt darauf, dass Artie mehr dazu sagte. Aber der schwieg beharrlich. „Deine Worte sind wirklich sehr ermutigend“, bemerkte Jace nach einer Weile.

„Na, ich dich schließlich auf die Idee gebracht. Komm jetzt, Junge, es ist einen Versuch wert. Was hast du denn zu verlieren?“

Artie hatte ja keine Ahnung. Solange Jace das klärende Gespräch vor sich herschob, bestand schließlich die Hoffnung auf Erfüllung seines Herzenswunsches.

„Los, komm jetzt, Jace. Ein Feigling wird niemals das Herz einer Frau gewinnen.“

„Ich wünschte, du würdest endlich aufhören, mir mit deinen Zenweisheiten in den Ohren zu liegen“, entgegnete Jace, als er aus dem Pick-up kletterte.

Artie lächelte verschmitzt. „Das ist nicht aus meinem Zenbuch. Ich habe das in den Liebesromanen gelesen, die Joyce mir vorbeigebracht hat.“

Ungläubig starrte Jace den alten Mann an.

Artie zog seine mageren Schultern hoch. „Schließlich muss ich mir ja irgendwie die Zeit vertreiben. Die Liebe ist doch mit das Schönste, was es auf der Welt gibt. Ich glaube an die Kraft der Liebe, und ich glaube auch an dich.“

Jace blieb überrascht stehen. Dass Artie ihm solche Komplimente machte, war etwas ganz Neues. „Was soll das?“, stotterte er.

Aber Artie stapfte zielstrebig weiter in Richtung Abflughalle. „Komm jetzt!“, rief er über die Schulter.

Jace blieb nichts anderes übrig, als hinter Artie herzutrotten. Doch einen Moment blieb er nachdenklich stehen. Er umfasste die Ledergriffe seiner Reisetasche fester. Es fühlte sich beinahe so an, als hielt er die Zügel eines bockenden Pferdes in Händen. Das war ihm irgendwie vertraut, und er erinnerte sich plötzlich an die Worte seines guten Kumpels Garrett King, der ihm zu Beginn seiner Laufbahn als Rodeoreiter geraten hatte, immer so zu reiten, als ob es um sein Leben ginge. An diese Worte des erfahrenen Reiters hatte sich Jace immer gehalten und war sehr erfolgreich geworden.

Immer hatte er an sich und sein Können geglaubt. Er war jung und bärenstark, hatte Erfahrung und Ausdauer. Warum sollte er nicht siegen? Aber so gut seine Voraussetzungen auch waren, es gab auch Unberechenbares. Es gab Momente, die er nicht kontrollieren konnte. Diese bittere Erfahrung hatte Jace im letzten Jahr machen müssen.

Letztes Jahr im Dezember hatte der wichtigste Wettkampf des Jahres stattgefunden. Der Sieger konnte sehr viel Geld mit nach Hause nehmen. Jace hatte sehr gute Aussichten gehabt, der glückliche Sieger zu werden; insgeheim hatte er damit schon fest gerechnet. Das wäre die Krönung und gleichzeitig der würdige Abschluss seiner Karriere als Rodeoreiter gewesen. Er war gut in Form, alle Vorentscheidungen waren gut gelaufen. Der Sieg war in greifbare Nähe gerückt, da warf ihn sein bockendes Pferd ab, und Jace wurde schwer verletzt.

Das war das Ende seiner erfolgreichen Karriere als Rodeoreiter gewesen. Das Allerschlimmste dabei war, dass er mit diesem schweren Sturz alle Hoffnungen begraben musste, irgendwann doch noch einmal der gefeierte Champion zu werden. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und sein Glück herausgefordert, und er hatte verloren.

Das wollte er jetzt bei Celie nicht auch noch erleben. Deshalb war er nicht eher bereit, ihr seine Gefühle zu offenbaren, bis sie ihre Meinung über ihn geändert hatte. Er stellte sich die schlimme Situation vor, wie er sich ein Herz fasste und ihr seine Liebe gestand, und wie sie kühl entgegnete, sie erwidere seine Gefühle leider nicht und könne sich nicht vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern würde.

Was sollte er jetzt nur machen? Die Reise war schon bezahlt. Außerdem wusste ganz Elmer, dass er eine Schiffsreise gebucht hatte, und zwar auf demselben Luxusdampfer, auf dem Celie arbeitete. Artie hatte natürlich dafür gesorgt, dass diese Neuigkeit im Ort die Runde machte.

Die wissenden Blicke und die eindeutigen Bemerkungen waren ihm schon peinlich gewesen. Er wurde jetzt immer noch rot, wenn er nur daran dachte, was Felicity Jones und Tess Tanner zu ihm gesagt hatten, als er ihnen das Feuerholz brachte. Die zwei gehörten nicht zu den Klatschbasen und waren eigentlich ganz nette und eher zurückhaltende Frauen. Verlegen hatte er versucht, ihren neugierigen Blicken auszuweichen und sich eingeredet, dass er sich das auffallende Interesse dieser zwei Frauen nur einbilde. Doch als Tess ihm riet, sich die Haare auf dem Schiff von Celie schneiden zu lassen und Felicity lächelnd bemerkte, dass er sich doch auch von Celie eine Massage geben lassen könnte, da konnte er die Tatsache nicht mehr leugnen, dass die Frauen in Elmer lebhaften Anteil an seinem Liebesleben nahmen. Meine Güte, was wäre erst los, wenn er ohne Celie zurückkäme?

Der Vorschlag von Felicity, sich von Celie eine Massage geben zu lassen, erregte und faszinierte ihn. Er stellte sich vor, wie es wohl sein würde, wenn ihre zarten Hände seinen Rücken zärtlich massieren würden, und seine Jeans wurde ihm plötzlich zu eng.

Aber das war doch nur Sex und seine Gefühle für Celie gingen tiefer. Er wollte für immer und ewig mit ihr verbunden sein, wollte jeden Morgen, wenn er aufwachte, in ihr liebes Gesicht schauen. Das war sein Traum, und er hoffte schon seit vielen Jahren darauf, dass er sich verwirklichte. Aber er leugnete nicht, dass er Celie auch körperlich sehr begehrte.

Ob er sich von Celie eine Massage auf dem Schiff geben lassen sollte? Würde er sich das trauen? Jace war in Gedanken so weit weg, dass er ganz vergessen hatte, wo er sich befand. Erst als er Arties Stimme hörte, kehrte er wieder in die Gegenwart zurück.

„Kommst du jetzt endlich, oder willst du da so lange stehen bleiben, bis du Wurzeln geschlagen hast?“, fragte Artie.

Jace nahm die Reisetasche fester in die Hand, rief sich die Worte seines Kumpels Garrett ins Gedächtnis und hoffte, dass er diesmal – bildlich gesprochen – nicht unsanft im Staub landen würde.

Als Jace in Miami das Flugzeug verließ, war sein erster Gedanke, dass es hier höllisch war. Stöhnend wischte er sich mit seinem bunten Halstuch den Schweiß von der Stirn und folgte den Mitreisenden zum Gepäckkarussell. Entgegen seiner Gewohnheit war er ziemlich schweigsam, weil seine Gedanken ständig um Celie kreisten. Bald würde er sie wieder sehen.

Endlich hatten alle Reisenden ihr Gepäck und konnten in den Zubringerbus steigen, der sie nun zum Schiff bringen würde und somit näher zu seinem Glück.

Jace stellte sich vor, was Celie wohl sagen würde, wenn sie ihn sah. Aber der Gedanke erheiterte ihn gar nicht. Es war besser, sich ganz schnell mit etwas anderem zu beschäftigen. Jace schaute sich neugierig im Bus um. Eine erwartungsvolle Spannung lag in der Luft, die auch ihn erfasste. Er vergaß sogar augenblicklich, dass er sich zwischen diesen Reisenden wie ein Fisch fühlte, der bei Ebbe auf dem Strand liegen geblieben war.

Wahrscheinlich kam er seinen Mitreisenden auch etwas merkwürdig vor, denn sie starrten ihn neugierig an. Er war der einzige Cowboy im Bus und fiel durch seine Kleidung auf. Aber er liebte nun mal seine Stiefel und seinen Cowboyhut – sie gehörten einfach zu ihm. Die übrigen Männer trugen lässige Freizeitkleidung, so als wollten sie auf einen Golfplatz gehen.

Etwas verlegen nahm Jace seinen Hut ab und fuhr sich mit der Hand durch das feuchte Haar. Vielleicht würde er sich ohne seinen Stetson ein wenig mehr wie ein Mitglied der Reisegruppe fühlen. Aber das Gegenteil trat ein. Ohne Hut kam er sich verletzlich und nackt vor.

Auf gar keinen Fall wollte er sich so fühlen, wenn er Celie traf, das konnte gefährlich sein. Entschlossen setzte er sich wieder seinen Stetson auf. Schließlich war er ein Cowboy, und er war das gern. Es gab überhaupt keinen Grund, seinen Beruf zu verleugnen. Sollten doch alle ihn anstarren!

Er war eben nicht wie die anderen Männer hier im Bus. Außerdem konnte er es sich nicht leisten, sich für diese eine Woche Sachen zu kaufen, die er später nie wieder anziehen würde. Natürlich hatte er ein paar Polohemden und T-Shirts eingepackt. Und im Reisebüro hatte man ihm geraten, für festliche Anlässe einen dunklen Anzug mitzunehmen. Den besaß er zum Glück. Er saß noch tadellos und war wie neu. Jace hatte ihn sich vor zehn Jahren zur Hochzeit seiner Schwester Jodie zugelegt. Sonst hatte er kaum Gelegenheit, solch einen vornehmen Zwirn zu tragen. Die wenigen Male, die er ihn angehabt hatte, konnte er an den Fingern einer Hand abzählen. Zur Hochzeit seiner Schwester, zur Beerdigung seines Vaters vor drei Jahren und zu einigen festlichen Empfängen nach einem wichtigen Rodeo, wo er seine geliebten Jeans nicht tragen konnte. Der Anzug würde wahrscheinlich noch so gut wie neu aussehen, wenn er beerdigt wurde. Nicht dass er den anhaben wollte, wenn er in die ewigen Jagdgründe einging, das musste in seinen geliebten Jeans und seinen Stiefeln geschehen.

Seine Stiefel waren herrlich bequem und hielten was aus. Niemals würde er sich verspielte italienische Mokassins mit Troddeln kaufen, wie die anderen Männer sie hier trugen. In Elmer würde man sich schieflachen, wenn er mit solchen Schuhen zurückkommen würde.

Allerdings würden die ihn auch auslachen, wenn er ohne Celie zurückkommen würde.

So etwas Schlimmes wie ein Leben ohne sie wollte er sich lieber nicht vorstellen. Er musste sich unbedingt ablenken. Bis jetzt war er so sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, dass er nicht einmal mitgekriegt hatte, wer eigentlich neben ihm saß. Dabei war er eigentlich ein sehr geselliger Mensch.

Lächelnd schaute er jetzt die Frau an, die neben ihm saß. „Ist dies Ihre erste Seereise?“, fragte er freundlich. Dann fuhr er fort: „Für mich ist es das jedenfalls.“

Sein Charme verfehlte auch dieses Mal nicht die Wirkung. Die Frau musterte ihn nicht mehr misstrauisch, sondern lächelte ihm freundlich zu. „Dieses ist tatsächlich auch meine erste Seereise, und ich habe viele Jahre dafür gespart“, gab sie ihm freundlich Auskunft.

Spontan beteiligten sich noch einige andere Frauen an dem Gespräch. Die Unterhaltung wurde munterer, und als der Bus endlich am Kai vor dem großen Schiff hielt, war das Eis gebrochen. Sie schwatzten und lachten fast wie eine große glückliche Familie. Jace war wie immer umringt von schönen Frauen, die ihn anhimmelten.

Er hatte schon auf den ersten Blick festgestellt, dass allein reisende Frauen in der Überzahl waren. Es gab nur wenige Männer, die ohne Begleitung waren, und alle Männer waren älter als er. Der eine oder andere Mann hatte ihn irgendwie misstrauisch beäugt, bis einer ihn tatsächlich fragte, ob er von einer Begleitagentur käme.

„Wie bitte?“, fragte Jace entsetzt und wurde knallrot.

Die Frau, die vor ihm saß, drehte sich um. „Nicht, was sie jetzt meinen“, sagte sie freundlich. „Manchmal lädt die Reisegesellschaft junge Männer zu einer Kreuzfahrt ein, damit wir einsamen Damen auch einen Partner zum Tanzen haben.“

„Oh.“ Verlegen fuhr Jace sich durchs Haar. „Ich dachte, Sie glaubten, ich sei …“ Betroffen schwieg er.

Einige Frauen lachten belustigt. Eine tätschelte sogar seinen knackigen Po. „Ich hätte allerdings nichts dagegen“, sagte sie fröhlich.

„Ich auch nicht, mein Süßer“, bemerkte eine andere.

Alle lachten übermütig. Auch Jace ließ sich von der Fröhlichkeit mitreißen und vergaß seine Verlegenheit. „Oh, danke, ich fühle mich sehr geehrt. Aber ich will hier einen Freund treffen.“

„Einen Freund?“, fragte eine Frau ungläubig.

„Eine Freundin“, verbesserte Jace sich, als er die erstaunten Blicke sah.

„Na, das wollen wir auch hoffen“, antwortete eine muntere Blondine.

„Ja, ich treffe hier eine Freundin. Na ja, sie ist nicht direkt meine Freundin, aber ich kenne sie sehr gut.“

„Wer ist es? Wie heißt sie?“ Die Fragen prasselten nur so auf ihn herab.

„Sie arbeitet seit einiger Zeit auf diesem Schiff.“ Mehr wollte Jace nicht verraten. Das würde gerade noch fehlen, dass diese neugierigen Frauen ihn und Celie ständig beobachteten. Das wäre ja noch schlimmer, als es in Elmer sein könnte.

„Fragt doch nicht so viel, ihr macht den armen Mann ja ganz nervös“, bemerkte eine mitleidige Seele.

Jace war tatsächlich ziemlich nervös, als er an Bord ging. Das Schiff sah so aus der Nähe wie ein Hotel der Luxusklasse aus. Es war ein riesiges Schiff, ein wirklicher Gigant der Meere. An Deck wimmelte es von uniformierten Besatzungsmitgliedern, die die Neuankömmlinge freundlich begrüßten. Jace hörte Sprachen, die er vorher noch nie gehört hatte. Anscheinend wurde jeder hier in seiner Heimatsprache begrüßt. Obwohl der ihm zugewiesene Steward ein wenig verwirrt seinen Cowboyhut ansah, blieb er zuvorkommend und freundlich.

Betroffen bemerkte Jace, dass keiner der gut aussehenden Stewards einen Ehering trug. Du liebe Güte, ob die alle auf dem Schiff arbeiteten, um sich einen Partner zu suchen? Genau so wie Celie? Wahrscheinlich kannten viele von ihnen sie schon.

Vielleicht hatte sie sich inzwischen schon in einen von ihnen verliebt? Vor Schreck stolperte Jace über seine eigenen Füße. Er wäre glatt hingefallen, wenn die drei netten Frauen, die er vorhin im Bus kennengelernt hatte, ihn nicht festgehalten hätten.

„Alles okay, Darling?“, fragte ihn eine freundlich.

„Ja, alles in Ordnung. Ich versuche nur herauszufinden, wo ich hinmuss“, erwiderte Jace. Er hielt den Plan in den Händen, den der Steward ihm gegeben hatte.

Einer der hilfreichen Engel schaute ihm über die Schulter und suchte seine Kabine, die der Steward für ihn rot eingekringelt hatte. „Oh, was für ein Zufall! Ihre Kabine liegt auf demselben Deck wie unsere. Kommen Sie mit uns.“ Sie strahlte fröhlich und nahm ihn an die Hand. „Ich heiße Lisa, und das sind meine Cousinen Deb und Mary Lou.“

Jace ließ sich widerspruchslos führen, denn ihm schwirrte der Kopf von all den überwältigenden neuen Eindrücken. Er fühlte sich genau so, als hätte ein bockendes Pferd ihn soeben abgeworfen geworfen.

Lisa, Deb und Mary Lou kamen aus Alabama und waren Lehrerinnen. Sie waren alle drei unverheiratet und Mitte dreißig. Jedes Jahr machten sie eine Kreuzfahrt zusammen.

„Vielleicht begegnen wir ja auch unserem Traummann“, bemerkte Deb leise. „Aber bis jetzt ist das noch nicht passiert“, fügte sie ein wenig enttäuscht hinzu.

„Aber wir sind Optimisten und geben die Hoffnung nicht auf“, erklärte Mary Lou fröhlich.

„Vielleicht sind wir ja auch Masochisten“, warf Lisa trocken ein.

„Ganz egal. Jedenfalls werden wir Sie hier unter unsere Fittiche nehmen“, versprach Deb.

„Ich …“, begann Jace und schwieg nachdenklich. Er musste ihnen unbedingt von Anfang an erklären, dass er nicht der Mann ihrer Träume sein konnte.

Lisa berührte seine Wange, als sie vor seiner Kabine standen. „Keine Angst, Cowboy, wir wissen doch, dass Sie eine Freundin haben, und das respektieren wir.“

„Ich …“, begann Jace noch einmal.

Aber Mary Lou fiel ihm ins Wort und sagte: „Wir finden Ihre Geschichte wahnsinnig aufregend. Sie ist so romantisch.“

„Wirklich?“, fragte Jace. So ganz glaubte er das nicht.

„Absolut, dass können Sie uns wirklich abnehmen. Wir finden es toll, dass es noch solche Männer wie Sie gibt“, bekräftigte Deb.

Jace hoffte, dass Celie der gleichen Meinung war. Zum Glück war es ihm in der letzten halben Stunde gelungen, seine Befürchtungen zu verdrängen. Aber jetzt hier auf dem Schiff peinigten ihn seine Ängste wieder. Was sollte er Celie nur sagen, wenn er ihr hier begegnete? Er hatte keine Ahnung, denn in seinem Kopf war gähnende Leere. Das wurde ja immer schöner. Er hatte diese Kreuzfahrt doch gebucht, weil er Celie etwas ganz Wichtiges sagen wollte.

Die ganze Geschichte wurde immer absurder. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Vielleicht gab es noch einen Ausweg aus seinem Dilemma. Er könnte es doch so einrichten, dass er Celie während der einwöchigen Kreuzfahrt gar nicht sehen würde. Das Schiff war riesig, da war es leicht, sich da aus dem Weg zu gehen. Jace überlegte kurz, ob er so verfahren sollte. Er hatte auch keinen Zweifel daran, dass ihm das gelingen würde. Wenn er nach Elmer zurückkehrte, würde er einfach erzählen, dass es ihm leider nicht geglückt war, Celie zu treffen, obwohl er sich sehr bemüht hatte.

Nein, Artie würde ihm das mit Sicherheit nicht abnehmen. Und seine Freunde, wie würden die reagieren? Wahrscheinlich würden die sich totlachen.

Trotzdem nahm Jace sich vor, diese Möglichkeit noch einmal gründlich zu überdenken. Als die drei Cousinen sich verabschiedet hatten, öffnete Jace die Tür zu seiner Kabine. Er blieb vor Überraschung auf der Schwelle stehen. Die Kabine war viel größer, als er sich das vorgestellt hatte. Jace atmete tief durch und ließ die Eleganz der Einrichtung auf sich wirken. Endlich ging er über den weichen Teppich und legte seinen Hut auf den eleganten Schreibtisch. Für die nächsten Tage würde dies also sein Zuhause sein. Die Möbel waren in heller Eiche gehalten, die Vorhänge waren himmelblau. Der dicke flauschige Teppich, mit dem die Kabine ausgelegt war, hatte einen tiefen Blauton. Jace war schon verschiedentlich in erstklassigen Hotels in Las Vegas gewesen, doch diese Kabine konnte ohne Weiteres mit ihnen konkurrieren. Jace sah sich um und entdeckte einen kleinen Kühlschrank neben der Sitzgruppe. Neugierig öffnete er ihn und stellte zufrieden fest, dass er bis oben hin mit Getränken gefüllt war.

Erst jetzt sah Jace das riesige Doppelbett. Es zog ihn magisch an. Allein dieses luxuriöse Bett rechtfertigt den hohen Preis der Kreuzfahrt, dachte Jace zufrieden. Denn er war überhaupt nicht verwöhnt. Als die Landstraße sein Zuhause war und er von einem Rodeo zum nächsten fuhr, schlief er meistens in seinem Truck. Wenn er bei seiner Schwester auf der elterlichen Ranch übernachtete, schlief er auf einem schmalen Gästebett bei seinem Neffen Robert im Zimmer. Bei Artie war es auch nicht viel komfortabler. Ein schmales Bett in einem kleinen Zimmer stand da zu seiner Verfügung, wenn er in der Stadt übernachten wollte. Auch diese Schlafgelegenheit war mehr etwas für Asketen.

Jace holte tief Luft und ließ sich der Länge nach auf das große, weiche Bett fallen. Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass Celie hier ganz eng an ihn gekuschelt neben ihm liegen würde. Das wäre das größte Glück, was er sich vorstellen konnte. Sein Herz begann heftig zu pochen, als er sich das bis ins kleinste Detail ausmalte.

Jace konnte sich sehr gut Situationen ausmalen. Das hatte er als Rodeoreiter gelernt. Er konnte sich mit allen Sinnen in eine Situation einfühlen und sich darauf konzentrieren. Das war vor einem Wettkampf sehr wichtig. Er musste sich alle Hindernisse genau vorstellen, um blitzschnell handeln zu können. Oft entschieden Bruchteile von Sekunden über den Sieg. Fast eben so wichtig war es aber, dass man an seinen Sieg glaubte. Er wusste, wenn er sich gut vorbereitet hatte, hatte er gute Chancen. Ob ihm seine Kenntnisse als Rodeoreiter auch dabei helfen würden, Celies Herz zu gewinnen? Einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

Also musste er sich jetzt alles akribisch genau vorstellen, was er tun wollte, um Celie zu erobern. Vielleicht würden seine aufregenden Fantasien ja dann schon bald wahr.

Er hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt, hielt die Augen geschlossen und lag völlig entspannt auf dem Rücken. Er stellte sich vor, dass Celie ihn überrascht anlächeln würde, wenn sie ihn sah. Ihr bezauberndes Lächeln hatte er schon oft bewundert. Nur hatte es leider sehr selten ihm gegolten. Aber er ließ diese negativen Gedanken jetzt einfach nicht zu. Vielmehr stellte er sich vor, wie sie ihn überglücklich begrüßte. Er würde gar nicht lange über­legen, sondern Celie in die Arme nehmen und sie an sich drücken. Es würde nur Sekunden dauern, bis sie beide eng umschlungen auf diesem riesigen Bett liegen würden, und dann würden sie sich in Windeseile von ihren Kleidern befreien. Eine sinnliche Entdeckungsreise würde beginnen …

Ein heftiges Klopfen an der Tür erschreckte ihn. Jace riss die Augen auf und setzte sich. Sein Herz raste, als er aufstand und langsam zur Tür ging. Himmel, wenn das Celie war! Er blieb einen Moment vor dem großen Wandspiegel stehen und sammelte sich. Er konnte nur hoffen, dass er die richtigen Worte finden würde. Er strich sich die Haare glatt, steckte sein Hemd wieder ordentlich in die Jeans und stöhnte, weil diese so eng geworden waren. Entschlossen nahm er seinen Stetson vom Tisch und hielt ihn vor die verräterische Körperpartie.

Es war natürlich nicht Celie. Sie konnte es ja auch gar nicht sein. Sie wusste noch nicht einmal, dass er auf dem Schiff war.

Stattdessen standen die drei Lehrerinnen aus Alabama, frisch und munter in leichten hellen Sommerkleidern vor ihm. „Wir sind auf dem Weg in die Lounge, um an der Sicherheitsübung für Neuankömmlinge teilzunehmen. Es ist schon ziemlich spät. In fünf Minuten geht es los, kommen Sie mit?“

„Ich …“, stotterte er verlegen. Wie peinlich! Das hatte er völlig vergessen. Dabei hatte der Steward ihn noch ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig es war, daran teilzunehmen.

Mary Lou schaute ihn prüfend an. „Geht es Ihnen gut, Cowboy?“, fragte sie besorgt.

Jace nickte. Er kam sich vor wie ein Achtklässler, dessen Hormone völlig außer Kontrolle geraten waren. „Ich bin eingeschlafen. Warten Sie doch einen Augenblick, ich wasche mir nur eben das Gesicht.“

Ob die Frauen ihm seine lahme Ausrede glaubten? Hm, eigentlich war es ihm egal. Blitzschnell verschwand er im Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.

Es war ihm ziemlich peinlich, dass sein Körper so stark reagierte, wenn er an Celie dachte. Wahrscheinlich lag es daran, weil es schon so lange her war, dass er mit einer Frau geschlafen hatte. Das letzte Mal hatte er nicht vergessen. Es war auf der Auktion gewesen, als Celie das Wochenende mit Sloan Gallagher gewonnen hatte. Er war völlig verzweifelt gewesen. Und als die Schauspielerin Tamara Lynd, die bei Artie zu Gast war, leise zu ihm ins Zimmer kam, um ihn zu trösten, und sich zärtlich an ihn schmiegte, hatte er sich aus Wut und Verzweiflung mit ihr eingelassen.

Sein Körper hatte sich jedoch geweigert, dieses Spiel mitzumachen. Jace hoffte inständig, dass Tamara ihn deswegen nicht bis in alle Ewigkeiten hassen würde. Er war schrecklich wütend auf sich selbst gewesen. Seitdem hatte er nicht mehr mit einer Frau geschlafen, weil er so ein Desaster nicht noch einmal erleben wollte.

Jace hielt seinen Stetson lässig vor sich und öffnete ein zweites Mal die Tür.

Lisa, Deb und Mary Lou warteten tatsächlich noch auf ihn und schienen immer noch recht gut gelaunt zu sein. Erst jetzt sah Jace, dass alle drei eine orangefarbene Schwimmweste in der Hand hielten. Oje, die hatte er auch vergessen!

„Warten Sie nur noch eine Sekunde, gleich bin ich wieder da.“ Jace stülpte sich seinen Cowboyhut auf den Kopf, riss die Rettungsweste aus dem Fach und ging zu den Frauen. „So, jetzt können wir losgehen“, sagte er und tat völlig unbekümmert.

Deb hakte sich mutig bei ihm ein, und Mary Lou nahm ihn bei der Hand. Lisa marschierte vorne weg. „Ich weiß, wo wir hin müssen. Kommt alle hinter mir her!“, rief sie munter.

Wie es aussah, schienen schon alle neuen Gäste in der Lounge auf sie gewartet zu haben. Ein gut aussehender Steward kam eilig zu ihnen, stellte sich vor und notierte ihre Namen. Dann begann er sofort, ihnen die Sicherheitsvorschriften zu erklären. Er betonte immer wieder, wie wichtig es sei, sich den Weg in diese Lounge zu merken, da ihre Gruppe in Notsituationen in diesen Raum gehen musste, um weitere Anweisungen abzuwarten.

„So, zum Schluss zeige ich Ihnen noch, wie Sie die Rettungsweste anlegen müssen. Danach beginnen Ihre Ferien hier auf dem Schiff.“

Gary zog sich die Weste über den Kopf und führte ihnen vor, wie die Gurte befestigt werden mussten. „So, jetzt dürfen Sie es alle selbst probieren. Wenn jemand nicht zurechtkommt, bitte sofort melden. Hier sind genug Leute, die Ihnen gern helfen.“

Jace kam sich vor, wie damals in der Turnhalle der Highschool, als er und seine Kameraden sich zum ersten Mal in die ungewohnte Footballerkluft zwängten. Auch da hatte es ein Gestöhne und wildes Gedränge gegeben, weil jeder von ihnen versuchte, so schnell wie möglich fertig zu werden.

Jace hatte jetzt ein Problem. Der Stetson war ihm im Weg, und er wusste nicht, was er damit machen sollte. Warum hatte er ihn vorhin nur mitgenommen? Er ärgerte sich selbst darüber. Jetzt brauchte er ihn auch nicht mehr.

„Hey, Cowboy, geben Sie mir Ihren Hut, ich halte ihn für Sie.“

Jace traute seinen Ohren nicht. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Diese Stimme würde er unter Tausenden wieder erkennen. Die Überraschung war zu groß. Er konnte es einfach nicht fassen. Ganz langsam drehte er sich um und starrte in Celies strahlend blaue Augen. Aber als sie sah, wer vor ihr stand, wurde sie blass, und das freundliche Willkommenslächeln verschwand aus ihrem Gesicht.

3. KAPITEL

„Jace?“, sagte Celie.

Aber da es so laut in der Lounge war, hörte Jace sie nicht, er sah nur die Bewegung ihrer Lippen.

Celie traute ihren Augen nicht. Es konnte doch nicht sein, dass dieser Cowboy, der sie von Weitem angezogen hatte, wirklich Jace war. Sicher träumte sie das nur. Wenn wenn sie blinzelte, würde der Spuk vorbei sein.

Als sie von Weitem einen Cowboyhut gesehen hatte, war ihre Neugier geweckt. Ein Cowboy auf einer Kreuzfahrt? hatte sie gedacht. Plötzlich überfiel sie so starkes Heimweh, dass sie einfach zu dem Cowboy gehen musste. Aber das hatte nichts mit Jace Tucker zu tun. Sie sehnte sich nach ihrer Familie, nach Elmer und der frischen kühlen Bergluft.

Celie bekam feuchte Hände, und ihr Mund wurde trocken. Das Herz hämmerte wie wild gegen ihre Rippen. Doch als sie einen zögernden zweiten Blick wagte, stand Jace immer noch vor ihr. Auch er schien im ersten Moment völlig überrumpelt zu sein und hatte nervös geschluckt. Aber jetzt war er ganz der Alte. Er grinste sie leicht spöttisch wie immer an.

„Hallo, Celie. Wie schön, dich hier zu sehen.“

„Oh, ist das deine Freundin?“, fragte eine hübsche junge Blondine, die dicht neben Jace stand.

Erst jetzt sah Celie, dass er mal wieder von schönen Frauen umringt war. Celie konnte sich zwar nicht erklären, wieso die drei Blondinen sie so freundlich anlächelten, aber das war ja egal. Jace war und blieb derselbe. Dieses Mal machte er sogar eine Kreuzfahrt mit drei Frauen. Das schlug doch dem Fass den Boden aus! Celie spürte, wie eine unbändige Wut in ihr aufstieg. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen, sie musste ihrem Ärger Luft machen. Warum musste er unbedingt auf dieses Schiff kommen, auf dem sie arbeitete?

„Was machst du denn hier?“, fragte sie gereizt.

Die Frauen blicken sie überrascht an.

Auch Jace verlor sekundenlang seine Lässigkeit, und sein fröhliches Lächeln verflüchtigte sich. Doch er fasste sich schnell. „Ich bin hierher gekommen, um dich wieder zu sehen, Celie!“, erwiderte er gelassen.

„Ach, das habe ich mir doch gleich gedacht“, gab sie trocken zurück.

Wenn diese Begegnung hier nicht einer der Zufälle war, wie sie tatsächlich manchmal im Leben vorkamen, dann war Jace nur hierher gekommen, um sie zu demütigen. Celie traute ihm glatt zu, dass er aus dem Grund sogar bis ans Ende der Welt reisen würde.

Jace Tucker wusste, was für eine Versagerin sie war, und kannte ihre wunden Punkte. Matt hatte Jace damals sicher haarklein erzählt, warum sie nicht gut genug für ihn war. Mit Sicherheit wusste Jace mehr darüber als sie selbst.

Er wusste auch, dass sie zehn Jahre gebraucht hatte, um über diese Demütigung hinwegzukommen und dass sie sich während der Zeit in eine Traumwelt geflüchtet hatte. Alle ihre Gedanken hatten um ihr großes Idol Sloan Gallagher gekreist. Er war zu der Zeit schon ein bekannter Schauspieler gewesen. Sie sammelte jeden Artikel, jedes Foto von ihm, das sie fand. Auch das wusste Jace. Denn er hatte natürlich mitbekommen, dass sie bei der besagten Versteigerung ihre gesamten Ersparnisse geopfert hatte, um ein Wochenende in Hollywood mit dem Mann ihrer Träume zu gewinnen. Dieses Glück hatte sie ja auch gehabt, nur dass der Mann ihrer Träume sich in ihre Schwester Polly verliebt und sie schließlich sogar geheiratet hatte. Das hatte sie nicht sehr verletzt, denn sie hatte selbst festgestellt, dass Sloan in Wirklichkeit nicht ihre große Liebe war. Für jeden Außenstehenden musste es so aussehen, als wäre sie größte Närrin auf der Welt. Und Celie war davon überzeugt, dass Jace nicht zögern würde, die Geschichte überall herumzuerzählen.

Himmel, war sie wütend! Er kannte alle ihre deprimierenden Erfahrungen. Hier auf dem Schiff wusste niemand davon, und Celie hatte geglaubt, dass es ihr gelungen war, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Sie war hier nicht mehr die verunsicherte Celie, die von Matt sitzen gelassen worden war, und hatte auch kaum noch Ähnlichkeit mit der naiven Träumerin, die ihre Ersparnisse opferte, um ein Wochenende mit ihrem Traummann zu verbringen. Nein, hier hatte sie mutig und selbstbewusst ein neues Leben begonnen.

Sie hatte ganz neue positive Erfahrungen gemacht. Mit den unterschiedlichsten Menschen hatte sie Freundschaften geschlossen. Sie war sogar mit diversen Männern ausgegangen und hatte das genossen. Zwar hatte sie ihre große Liebe noch nicht gefunden, aber das konnte ja noch werden. Celie gab die Hoffnung nicht so schnell auf. Sie war endlich selbstsicherer geworden. Sie hatte das Gefühl, dass sie etwas in ihrem Leben bewirken konnte und stark genug war, ihre Ziele zu erreichen.

Und jetzt war Jace hier aufgekreuzt. Sie traute ihm glatt zu, dass er ihr alles, was sie sich aufgebaut hatte, wieder zerstören würde. Er lächelte sie doch nicht an, er lachte sie doch aus. Wahrscheinlich fand er ihre Anstrengungen höchst albern.

„Ist das deine Freundin?“, fragte die attraktive Blondine, die neben ihm stand, noch einmal. Doch bevor Jace antworten konnte, fragte die andere: „Ist sie das Mädchen von zu Hause?“ Und die Dritte sagte: „Willst du uns nicht bekannt machen, Cowboy?“

Jace schien verlegen, als die Frauen ihn mit Fragen bombardierten. Wenn Celie sich nicht sehr täuschte, wurde er sogar rot. Na ja, das kam sicher daher, weil er sich schämte, dass die Frauen annahmen, sie sei seine Freundin.

Celie wartete darauf, dass er das vehement bestritt. Aber das tat er nicht. Er sah nur ziemlich durcheinander aus. Er schwieg einen Moment und räusperte sich. Dann sagte er: „Hm, ja, das ist Celie.“

„Hi, Celie“, grüßten die Frauen sie.

Diese Reaktion überraschte Celie. Wie konnte es sein, dass sein Harem so freundlich war? Aber bevor sie sich äußern konnte, hörte sie die befehlsgewohnte Stimme ihrer Chefin.

„Kennen Sie diesen Mann, Celie?“ Missbilligend sah Simone Celie an. Ihr Blick blieb lange auf Jace haften, bevor sie noch einen kurzen Blick auf seine drei Begleiterinnen warf.

Celie schluckte. Sie musste wohl oder übel die Wahrheit sagen. „Hm, ja. Wir waren Arbeitskollegen in Elmer“, antwortete sie verlegen. „Aber mehr waren wir nicht“, fügte sie noch erklärend hinzu. Sie wusste ja, wie streng Simone sein konnte.

„Dieser Mann hat in einem Frisiersalon gearbeitet?“, fragte Simone ungläubig. Ihr französischer Akzent war jetzt noch stärker als gewöhnlich. Sie durchbohrte Jace fast; es sah aus, als ob sie ihn mit ihren Augen röntgen wollte, um die ganze Wahrheit zu erfahren. Ihr Blick glitt von seinen Cowboystiefeln zu seinem Stetson. Auch die drei jungen Frauen wirkten verblüfft.

Als Celie sah, wie alle sie ungläubig anstarrten, erklärte sie hastig: „Ich hatte in Elmer einen zweiten Job. Ich habe noch in einem Eisenwarenladen gearbeitet. Da waren wir Kollegen.“ Celie hatte das absichtlich in ihren Bewerbungsunterlagen nicht erwähnt, weil sie sich gedacht hatte, dass das nicht gut ankommen würde. Celie hatte das ganz richtig eingeschätzt, denn Simone rümpfte schnell ihre Nase; sie war sehr arrogant und eitel. Bei jeder Gelegenheit erwähnte sie, dass sie Pariserin war. Celie kam es sogar vor, als ob Simone ihren französischen Akzent übertrieb. Und die jungen Mädchen, die für Simone arbeiteten, mussten aussehen wie schicke Pariser Models.

Nur wenn ihre Friseusen dieses Potenzial besaßen, wurden sie akzeptiert. Ihre Chefin hatte offensichtlich das gewisse Etwas bei Celie entdeckt, das diese bei sich nie wahrgenommen hatte. Stevie, ihr bester Friseur, musste auf Simones Anweisungen Celie die Haare schneiden, und Birgit, die Visagistin, hatte ihr gezeigt, wie sie sich schminken musste, um ihrem Gesicht mehr Ausdruck zu verleihen.

Celie blieb die Luft weg, als sie sich danach zum ersten Mal im Spiegel sah. Simone hatte aus ihr eine elegante Schönheit gemacht. Ihre strahlenden blauen Augen wirkten noch größer und ihre helle Haut noch zarter. „Hier in meinem Salon müssen Sie selbst tadellos aussehen. Das ist für uns die beste Reklame. Wenn Sie das Beste aus Ihrem Typ machen, haben unsere Kundinnen Vertrauen und kommen gern zu uns“, hatte Simone ihr erklärt.

Celies äußerliche Verwandlung hatte auch Einfluss auf ihre innere Haltung. Sie sah nicht nur elegant und selbstbewusst aus, sie fühlte sich auch so. Aber auf Jace würde sie sicher lächerlich wirken. Er dachte bestimmt, dass sie als einfaches Mädchen vom Lande jetzt so tat, als gehöre sie zur großen weiten Welt. Sie schämte sich plötzlich und wurde verlegen. Am liebsten wäre sie im Boden versunken.

„Celie, gehen Sie bitte sofort in unseren Salon zurück, da wartet Arbeit. Jetzt haben wir keine Zeit, uns mit den Passagieren zu unterhalten.“ Der Tonfall war unmissverständlich.

Es hätte nichts genützt, Simone zu erklären, dass sie den Neuankömmlingen hier helfen sollte. Insgeheim war Celie sogar froh, dass sie vor Jace fliehen konnte. „Ich bin schon auf dem Weg, Simone“, antwortete sie höflich. Aber bevor sie ging, setzte sie ihr freundlichstes Lächeln für Jace und seine Haremsdamen auf und sagte: „Willkommen an Bord.“

Jace ärgerte sich wahnsinnig über sich selbst. Er hockte in der Bar und grübelte. Meine Güte, wie dumm habe ich mich benommen! dachte er. Er hatte zuerst stumm wie ein Fisch vor Celie gestanden. Allerdings konnte er noch froh sein, dass er nach der ersten Überraschung überhaupt noch ein Wort herausgebracht hatte. Sein Charme und Schlagfertigkeit hatten ihn verlassen. Bei anderen Frauen war ihm das noch nie passiert.

Jace bestellte seinen vierten oder fünften Whiskey. Er hoffte, dass der Alkohol endlich wirkte und er vergessen würde, dass er sich zum Narren gemacht hatte. Als er Celies Stimme vorhin plötzlich hinter sich gehörte hatte, war ihm fast das Herz stehen geblieben. Er hatte Celie angestarrt, als hätte er sie noch nie gesehen.

Richtig war, dass er sie so noch niemals gesehen hatte. Sie war atemberaubend schön. Dass Celie sich in der kurzen Zeit dermaßen verändert hatte, begriff er einfach nicht. Für ihn war Celie immer schön gewesen. Aber ihre Schönheit war mehr von der Art, die man erst beim zweiten Hinsehen entdeckte. Jetzt hingegen war sie so schön, dass Jace die Luft weggeblieben war. Ihre Augen wirkten plötzlich noch größer und strahlender. Und ihr Gesicht wirkte plötzlich schmaler. Seit wann hatte sie denn Wangenknochen? Die hatte er noch nie an ihr bemerkt.

Celie hatte immer im Schatten ihrer attraktiven, lebhaften Schwester Polly gestanden. Diese hatte seit jeher die Blicke auf sich gezogen mit ihren lustigen Sommersprossen. Jetzt hingegen fiel ihm sofort auf, was für einen makellosen zarten Teint Celie hatte. Für Jace war ihre Verwandlung unfassbar. Darauf musste er sofort noch einen Whiskey bestellen.

Er war durcheinander und völlig verzweifelt. Er hatte gehofft, dass Celie sich freuen würde, wenn sie ihn sah, und sei es auch nur, weil er von zu Hause kam. Stattdessen war sie fürchterlich wütend gewesen.

Was sollte er jetzt nur machen? Dies war eine schlimme Situation, denn während der nächsten sieben Tage saß er hier fest. Hilflos umklammerte er sein Whiskeyglas und grübelte.

Die anderen Passagiere schienen die beste Zeit ihres Lebens zu haben. Inzwischen hatten sie sich ein wenig kennengelernt, waren munter und fröhlich. Es hatte ein fantastisches Essen zum Empfang gegeben. Aber Jace hatte lustlos seinen Hummer auf dem Teller hin und her geschoben. Der Appetit war ihm gründlich vergangen.

Mary Lou, die mit ihren Cousinen neben ihm gesessen hatte und das sah, fragte mitfühlend: „Sind Sie vielleicht seekrank, Jace?“

Er hatte nur den Kopf geschüttelt.

„Den ersten Tag auf See fühle ich mich auch immer schlecht“, bekannte Lisa. „Danach habe ich mich an das leichte Schaukeln gewöhnt, und es geht mir richtig gut.“

Jace versuchte ein wenig zu essen und gab sich Mühe, nicht mehr ganz so deprimiert auszusehen.

„Ich glaube, es ist wegen seiner Freundin“, erklärte Deb plötzlich.

Diese Bemerkung lenkte Jace so ab, dass ihm sein Hummer vom Teller auf den Teppich rutschte. Auch das noch! Heute blieb ihm wohl nichts erspart. Er kam sich wie ein Vollidiot vor, als er auf die Knie ging, um seinen Hummer wieder einzufangen. Verdammt, seine Stimmung war inzwischen auf dem Nullpunkt. Mürrisch versicherte er, als er wieder auf seinem Platz saß: „Es ist nicht wegen Celie.“

„Es ist doch auch nichts Schlimmes passiert“, tröstete Mary Lou. Sie gehörte zu den Frauen, die einen ausgesprochenen Beschützerinstinkt haben. „Ihre Freundin war nur überrascht, als Sie plötzlich vor ihr standen. Das kann man sich doch gut vorstellen. Zudem tauchte auch noch überraschend Celies’ Chefin auf. Was sollte das Mädchen denn machen?“

„Hoffen wir, dass sie sich gefreut hat“, bemerkte Deb.

„Natürlich hat sie sich gefreut. Daran besteht für mich kein Zweifel.“ Aufmunternd lächelte Mary Lou Jace an. „Wenn mir ein Mann um die halbe Welt aus Liebe nachreisen würde, wäre ich außer mir vor Glück.“

Diese Bemerkung verfehlte bei Jace die beabsichtigte Wirkung, denn er kam sich noch dämlicher vor.

„Haben Sie doch ein wenig Geduld. Celie braucht einfach ein wenig Zeit, sich an diese ungewöhnliche Situation zu gewöhnen“, warf Lisa sachlich ein.

„Ja, vielleicht“, antwortete er einsilbig. Der Gedanke war ihm überhaupt nicht gekommen.

„Es wird schon alles werden, kommen Sie mit uns und amüsieren sich. Wir sehen uns die Tanzshow an.“

„Wenn Sie dann spätabends in Ihre Kabine kommen, wartet Celie vielleicht schon auf Sie?“

Jace war sicher gewesen, dass das niemals passieren würde. Aber er hatte die freundliche Einladung der drei jungen Frauen abgelehnt und es vorgezogen, in die Bar zu gehen, denn er hätte gar nicht die Geduld aufgebracht, stundenlang still zu sitzen. In der Bar, so hatte er gedacht, könnte er vielleicht eine Runde Billard spielen oder sich ein Basketballspiel ansehen. Das würde ihn ein wenig ablenken, und er konnte sich einbilden, dass er im „Dew Drop“ in Elmer hockte und so für kurze Zeit seine deprimierende Situation vergessen.

Wenn Artie ihn jetzt sehen würde, würde er verzweifelt die Augen rollen. Artie mit seinen guten Ideen. Wohin hatte ihn die gebracht? In eine unmögliche Lage.

„Wie willst du wissen, ob Celie dich liebt, wenn du sie nicht fragst?“, hatte Artie gesagt. „Es kann doch sein, dass sie dir vor Freude um den Hals fällt.“ Er hatte mit Engelszungen auf ihn eingeredet, um ihm Mut zu dieser Reise zu machen. Und jetzt bewahrheitete sich, was Jace tief im Herzen befürchtet hatte. Celie würde ihm eher den Hals umdrehen, als seine Liebe zu erwidern.

Er seufzte und bestellte noch einen Whiskey.

Celie hatte noch nie vom Schiff aus nach Hause telefoniert. Das hatte sie sich von Anfang an verboten. Schließlich war sie erwachsen und konnte sich nicht länger am Schürzenzipfel ihrer Mutter oder ihrer Schwester hängen. Sie wollte endlich allein mit ihren Problemen fertig werden.

Dreißig Jahre lang hatte sie Rat und Hilfe bei ihrer Familie gesucht, meistens bei ihrer Schwester Polly. Die hatte sie auch tröstend in die Arme genommen, als Celie nach der geplatzten Hochzeit weinend zusammengebrochen war.

Aber seit Celie auf dem Schiff war, hatte sie sich wacker geschlagen. Sie war nicht hilflos zusammengebrochen, als Simone sie einmal fürchterlich zusammengestaucht hatte. Sie hatte die Tirade einer unzufriedenen Kundin ruhig über sich ergehen lassen und Armands und Yiannis’ Annäherungsversuche tapfer abgewehrt. Celie war stolz auf sich, dass sie sich allein durchgebissen hatte.

Aber damit, dass Jace Tucker wie aus dem Nichts auf dem Schiff aufgetaucht war, wurde sie nicht allein fertig. Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer ihrer Schwester Polly. Vor Aufregung vergaß sie, dass Polly mit den Kindern ja jetzt zu Sloan auf die Ranch gezogen war, und wählte drei Mal die alte Nummer.

Celie wunderte sich selbst darüber, dass sie so nervös war. Jace Tucker brauchte nur aufzutauchen, und von ihrer neuen Selbstsicherheit blieb nicht viel übrig.

„Celie?“, fragte Polly ungläubig. „Ist etwas passiert?“

„Nein, überhaupt nichts ist passiert.“ Celie bemühte sich, wie ihr neues selbstbewusstes Ich zu klingen.

Aber Polly kannte Celie viel zu gut und ließ sich nicht täuschen. „Warum rufst du mich denn an?“

„Vielleicht will ich nur ein wenig mit dir plaudern.“

„Bisher hattest du immer einen Grund, wenn du angerufen hast. Also sag schon, was du auf dem Herzen hast.“

Celie stöhnte. Polly war immer diejenige gewesen, an die sie sich gewandt hatte, wenn sie in Schwierigkeiten war. Sie hatte damals auch den Hochzeitsgästen in der Kirche kurz und bündig mitgeteilt, dass Matt Williams nicht zur Trauung erscheinen würde. Sie hatte Celie danach ermutigt, ihren eigenen Frisiersalon zu eröffnen und die erforderlichen Prüfungen abzulegen. Und als Celie alles daransetzte, um mit ihrem Traummann das Wochenende in Hollywood zu gewinnen, hatte Polly ihr verschwiegen, dass sie selbst Sloan heiß und innig liebte. Sie hatte ihre eigenen Wünsche zurückgestellt, weil sie von ganzem Herzen wollte, dass Celie glücklich wurde.

Polly war die liebevollste Schwester, die Celie sich denken konnte. Aber jetzt war sie zum zweiten Mal verheiratet und hatte selbst viele neue Aufgaben zu bewältigen. Die Kinder mussten sich erst daran gewöhnen, dass wieder ein Mann im Haus war, mit dem sie ihre Mutter teilen mussten, und dass sie einen Ersatzvater hatten, der dazu noch sehr berühmt war. Celie traute sich nicht recht, ihre Schwester jetzt auch noch mit ihren Problemen zu belasten.

„Komm, Celie, jetzt sag schon, wo drückt der Schuh?“

„Ach, es ist eigentlich nichts Besonderes. Er ist hier.“

„Wo bist du denn eigentlich? Bist du in Elmer?“

„Nein, ich bin auf dem Schiff.“

„Ja, und wer ist da?“

Celie wusste, Polly würde nicht eher Ruhe geben, bis sie die Wahrheit erfuhr. Sie holte tief Luft. „Jace ist hier.“

„Ist ihm etwas passiert?“, fragte Polly beunruhigt.

„Bis jetzt noch nicht.“

„Aber …“ Betroffen verstummte Polly für einen Moment. „Das ist ja der helle Wahnsinn.“

„Ich werde ihn eigenhändig umbringen, wenn er irgendetwas von der geplatzten Hochzeit oder meinem blödsinnigen Verhalten auf der Auktion erzählt und dem Wochenende mit Sloan.“

„Das wird er nicht tun“, beruhigte Polly ihre aufgebrachte Schwester.

„Woher willst du dass denn wissen?“, schrie Celie hysterisch. Aufgeregt fuhr sie sich durch das Haar. „Er will mich hier doch nur ärgern. Warum sollte er wohl sonst gekommen sein?“

„Hm, vielleicht …“, begann Polly und schwieg nachdenklich. „Vielleicht solltest du ihn danach fragen“, fuhr sie dann fort.

„Das habe ich doch.“

„Und was hat er dir geantwortet?“

Celie musste erst überlegen. Denn sie war so konfus gewesen, als sie ihn so plötzlich erblickt hatte, dass es einige Sekunden dauerte, bis sie sich erinnerte. „Jace hat gesagt, er sei meinetwegen gekommen.“

„Er hat also nichts davon gesagt, dass er gekommen ist, um dein Leben zu ruinieren?“

„Nein, das war auch gar nicht nötig, das weiß ich auch so“, rief Celie.

„Er ist gekommen, um dich zu sehen. Vielleicht hat er dich vermisst.“

„Wenn ja, dann nur, weil er in Elmer jetzt niemanden hat, den er ständig so triezen kann wie mich.“

„Das kann sein. Es könnte aber auch sein, dass er vielleicht nur wissen wollte, wie es dir geht.“

„Ach, danach hätte er auch Artie fragen können.“

„Vielleicht hat er das ja auch und wollte sich dann doch selbst davon überzeugen, dass es dir gut geht.“

„Ach, so kommen wir nicht weiter“, entgegnete Celie. „Was mich wirklich interessiert ist, was ich jetzt machen soll.“

„Du könntest ihn zum Beispiel in den Arm nehmen und ihn küssen. Aber ich fürchte, diese Möglichkeit kommt für dich nicht infrage.“

Allein der Gedanke, ihn zu küssen, brachte Celie völlig durcheinander. „Das wird niemals passieren, darauf kannst du dich verlassen. Ich werde mich so weit wie möglich von Jace Tucker fernhalten.“

„Hast du noch nie gehört, dass die beste Verteidigung der Angriff ist?“, fragte Polly ihre jüngere Schwester.

„Du hast wohl vergessen, dass ich nie Football gespielt habe.“ Celie wusste natürlich, was ihre Schwester ihr vermitteln wollte. „Du willst also, dass ich freundlich zu ihm bin.“

„Das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, dass du etwas weiter gehst.“

„Du meinst, dass ich ihn umarmen und küssen soll?“ Celie hatte das Gefühl, an diesen Worten zu ersticken.

„Damit würdest du ihn sicher schockieren“, antwortete Polly und lachte.

Ach, hätte ich sie doch gar nicht angerufen! dachte Celie. Sie ist jetzt wieder glücklich verheiratet und hat genug mit ihrem neuen Leben zu tun. Wie soll sie sich jetzt auch noch ernsthaft mit meinen Problemen beschäftigen? „Ach, vergiss einfach, was ich dir gesagt habe. Erzähl mir lieber, wie es den Kindern und Sloan geht.“

Polly war glücklich, von ihrem aufregenden neuen Leben erzählen zu können. All die großen und kleinen Dinge des Alltags sprudelten nur so aus ihr heraus. So hatte Celie Polly noch nie erlebt, denn nach dem Tod ihres ersten Mannes hatte sie alles mit sich selbst abgemacht und war sehr schweigsam gewesen.

Zu ihrer Freude hörte Celie, dass ihre Lieblingsnichte Sara mit ihrem neuen Leben viel besser zurechtkam, als sie gedacht hatte. Sara war von klein auf sehr ehrgeizig gewesen und hatte sich zum Ziel gesetzt, Ärztin zu werden. Ihr Leben hatte sie weit im Voraus geplant. Ihr Tagesablauf lief präzise nach Stundenplan, und sie arbeitete hart, um gute Noten zu bekommen. Durch nichts und niemanden ließ sie sich von der Erreichung ihres Lebenszieles abbringen – bis ein junger Reporter aus New York nach Elmer kam, um über die große Auktion zu berichten. Sara hatte sich Hals über Kopf in diesen Mann verliebt, und das war das Ende ihrer großen Pläne, denn nach vier Wochen stellte sie fest, dass sie schwanger war. Ihrer Mutter verschwieg sie das, denn die war voll damit beschäftigt, ihre Hochzeit auf Hawaii zu planen. Aber Sara wurde alles wohl zu viel, auch weil sie versuchte, mit allem allein fertig zu werden. Ihr ging es zunehmend schlechter, sie konnte kaum noch schlafen, hatte keinen Appetit und nahm immer mehr ab. Einen Tag, bevor sie alle nach Hawaii fliegen wollten, bekam sie plötzlich starke Blutungen und musste ins Krankenhaus. Polly sagte die Hochzeit ab und wich nicht vom Bett ihrer ältesten Tochter. Sie machte sich größte Vorwürfe, dass sie nicht gemerkt hatte, was mit Sara los war. Sie hatte deswegen solche Schuldgefühle, dass sie entschlossen war, auf ihr eigenes Glück und die Heirat zu verzichten. Sie wollte sich nur noch um ihre Kinder kümmern.

Sara entschied sich, ihr Studium zu unterbrechen und das Baby zu bekommen. Sie war diejenige gewesen, die es schaffte, ihre Mutter von ihrem heroischen Plan, auf ihr persönliches Glück zu verzichten, abzubringen. Sie hatte ihre Mutter an deren eigenen Worte erinnert: „Hast du uns nicht immer wieder gesagt, dass es sich lohnt, für die Liebe Risiken einzugehen? Also handle auch du danach.“

Genau das hatte Polly dann getan. Blitzschnell hatte sie ihre Koffer gepackt und war zu Sloan geflogen, um ihm zu sagen, dass sie keine Angst mehr hatte, ihn zu heiraten.

Alle diese Ereignisse rollten wie ein Film vor Celies innerem Auge ab. Polly und Sara hatten sich getraut, für ihre Liebe ein Risiko einzugehen. Das hatte Celie schließlich auch ermutigt, endlich aus ihrem Schneckenhaus zu kriechen und den Job auf dem Schiff anzunehmen. Davor hatte sie Angst gehabt und es war für sie auch ein Risiko gewesen.

Celie fühlte sich plötzlich besser. Sie richtete sich auf und nahm Haltung an. „Ich danke dir, Polly.“

„Wofür?“, fragte diese überrascht.

„Einfach dafür, dass es dich gibt.“

„Sag mal, Celie, ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“, fragte Polly alarmiert.

„Mir geht es jetzt wieder viel besser“, versicherte Celie und legte entschlossen auf. Sie war plötzlich ganz sicher, dass sie mit Jace Tucker allein fertig werden konnte.

Jace schlief noch tief, als das Telefon ihn weckte. Es klingelte wie verrückt. Er stöhnte und zog sich das Kissen über den Kopf. Sollte Artie doch ans Telefon gehen. Aber der rührte sich nicht, und so schrillte der Apparat gnadenlos weiter.

„Komm, Artie, geh schon ran“, murmelte Jace schlaftrunken. Er drehte sich auf den Rücken und wollte laut nach seinem Freund rufen. Da wurde ihm erst bewusst, dass er nicht bei Artie war, sondern viele Tausend Meilen von ihm entfernt auf einem Schiff.

Durch die dichten Vorhänge fiel fahles Morgenlicht ins Zimmer. Jace suchte nach seinem Handy auf dem Nachttisch. Er hatte es nur auf Arties eindringliche Bitten mitgenommen. Dessen Argument war gewesen, dass es ja wieder einen Notfall geben könnte und er ihn, Jace, dann irgendwie erreichen musste. Jace stöhnte. Er hatte rasende Kopfschmerzen. Es kostete ihn große Mühe, die Augen aufzureißen. Als er sich aufsetzen wollte, wurden die Schmerzen unerträglich, und er ließ sich sofort wieder zurück aufs Bett fallen.

„Hallo. Was gibt es, Artie?“

„Das hat ja ewig gedauert, bis du dich meldest. Bist du vielleicht nicht allein im Bett?“

Die Stimme des alten Mannes klang hoffnungsvoll. Wenn der wüsste! dachte Jace. Und da fiel ihm wieder ein, warum er gestern Abend einen Whiskey nach dem anderen heruntergekippt hatte. „Was gibt es, Artie, ist was passiert?“ Jace ahnte Schlimmes, denn Artie wollte ja nur in ganz dringenden Fällen anrufen.

„Hier ist alles in bester Ordnung. Wie geht es denn bei dir? Hast du Celie schon gesehen?“

„Ja, das habe ich. Sie ist mir vor Begeisterung um den Hals gefallen und hat mich wie von Sinnen geküsst. Sie war überglücklich, mich zu sehen.“

„Siehst du, das habe ich doch gleich gesagt.“ Artie überlegte einen Moment. „Sag mal, nimmst du mich auf den Arm?“

Jace bekam ein schlechtes Gewissen. Der alte Mann meinte es nur gut mit ihm. Es wäre besser, ihm die Wahrheit zu sagen, damit er sich keine falschen Hoffnungen machte. „Ich will ehrlich sein, Artie. Diese Kreuzfahrt war eine ganz dumme Idee. Jetzt sitze ich die nächsten sieben Tage auf diesem Schiff fest, und Celie will nichts von mir wissen.“

„Ach, du darfst nicht so schnell aufgeben, Jace. Du musst sie umwerben.“

„Ich weiß nicht, ob das etwas nützt. Sie tut so, als wäre ich ihr total egal.“

„Ha, wenn Celie so tut, als interessiere sie sich nicht für dich, dann dreh den Spieß doch einfach um.“

„Wie denn, wenn ich ihr nachgefahren bin?“

„Na schön. Du willst sie weder im Sturm erobern noch den Unerreichbaren spielen. Was hast du stattdessen vor?“

„Ich werde die Kreuzfahrt genießen. Sag mal, was gibt es denn eigentlich so Dringendes, dass du mich hier anrufst?“

„Ich mach mir Sorgen um dich.“

„Das ist völlig unnötig.“

„So sehe ich das nicht. Ich kenne dich schließlich schon lange. Du wirfst einfach zu schnell die Flinte ins Korn. Ich werde mir erst dann keine Sorgen mehr deinetwegen machen, wenn du Celie eingewilligt hat, dich zu heiraten.“

„Das wird noch etwas dauern. Denn Celie hat Angst vor mir. Das habe ich gemerkt. Ich muss ihr erst einmal Zeit geben, sich an mich zu gewöhnen.“

Artie seufzte. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du wirklich so dämlich bist, wie du dich momentan benimmst.“

Celie wartete den ganzen Tag darauf, dass Jace Tucker ihr wieder begegnete und dass er Bemerkungen machte, die sie verletzten. Aber sie sah ihn nicht.

Sie hatte einen langen Arbeitstag. Meistens wurden es zwölf Stunden. Und heute wurde es noch länger, weil abends ein festliches Dinner stattfand und die Damen sich alle schön machen lassen wollten. Und im Frisiersalon tauschten sie natürlich den neuesten Klatsch aus.

Zu Celies Überraschung erwähnten sie aber mit keiner Silbe, dass man über sie redete. Noch mehr jedoch staunte sie darüber, dass Jace sich nicht blicken ließ.

Fast kam es Celie vor, als hätte sie die Begegnung mit ihm nur geträumt. Aber als sie schließlich den Salon verlassen wollte, hielt ihre Chefin sie auf. „Dieser Cowboy, der gestern angekommen ist, ist das Ihr Liebhaber?“

„Nein!“, antwortete Celie wahrheitsgemäß.

„Nein?“ Simone starrte Celie ungläubig an. „Aber er hat doch gesagt, er sei gekommen, um Sie zu sehen.“

Celie konnte ihrer Chefin ja nicht gut gestehen, dass sie Jace verdächtigte, nur gekommen zu sein, weil er sie ärgern wollte. „Er war sicherlich genau so überrascht wie ich, mich zu treffen“, erwiderte sie ausweichend.

„Soll das heißen, dass er nicht gewusst hat, dass Sie auf diesem Schiff arbeiten?“

Verlegen fuhr Celie sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Das weiß ich nicht.“

„Hm. Wir werden ja sehen, Celie. Sie kennen die Regeln hier auf dem Schiff?“

„Ja, selbstverständlich.“

„Also gut“, sagte Simone. „Ich wiederhole es noch einmal, damit Sie es nicht vergessen: Wir sind freundlich zu unseren Gästen, aber wir schlafen nicht mit ihnen.“

„Selbstverständlich nicht“, antwortete Celie. Als wenn das jemals passieren würde! Schon gar nicht mit Jace Tucker. Sie war ganz sicher, dass es ihr gar nichts ausmachen würde, sich an die Vorschrift zu halten.

4. KAPITEL

Jace verbrachte den Vormittag im Bett. Ihm war entsetzlich elend. Der Morgen nach einem kräftigen Besäufnis war immer schlimm, aber auf dem Schiff war er die pure Hölle. Jace fasste den heldenhaften Entschluss, für den Rest der Kreuzfahrt keinen Whiskey mehr anzurühren. In seinem Kopf drehte sich alles, und er fürchte, dass ihm gleich der Schädel platzen würde.

Es war Frühstückszeit, aber wenn er nur ans Essen dachte, drehte sich ihm der Magen um. Als seine drei Schutzengel an seine Kabinentür klopften, um ihn abzuholen, bat er nur stöhnend, ihn in Ruhe zu lassen. Er brachte es nicht fertig, an die Tür zu gehen, so schlecht war ihm.

„Ich werde noch ein wenig schlafen“, brachte er kläglich hervor. Selbst das Sprechen war für ihn zu anstrengend.

Autor

Sara Orwig

Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...

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Dixie Browning, Tochter eines bekannten Baseballspielers und Enkelin eines Kapitäns zur See, ist eine gefeierte Malerin, eine mit Auszeichnungen bedachte Schriftstellerin und Mitbesitzerin einer Kunstgalerie in North Carolina. Bis jetzt hat die vielbeschäftigte Autorin 80 Romances geschrieben – und dabei wird es nicht bleiben - sowie einige historische Liebesromane zusammen...

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