Baccara Extra Band 20

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WENN DIE LUST ENTFLAMMT von CAROLINE CROSS

Ausgerechnet Gabriel Steele! Gegen ihren Willen fühlt Mallory sich angezogen von dem Mann, der ihre Familie ruinierte. Sie beschließt, eine heiße Liebesnacht mit Gabriel zu verbringen - um danach ein für alle Mal frei zu sein von ihrem drängenden Verlangen. Ein gewagtes Vorhaben …

BERÜHR MICH, UND ICH BIN VERLOREN von JANICE MAYNARD

Ein Blick aus Gil Addisons stahlblauen Augen genügt, um die schöne Bailey vor Verlangen erzittern zu lassen. Allerdings sollte sie dem sexy Millionär besser widerstehen! Denn als Ermittlerin wäre es ziemlich unprofessionell, sich ausgerechnet mit einem Verdächtigen einzulassen.

VORSICHT - SÜSS UND SINNLICH! von ROBYN GRADY

Elizabeth Miltons dunkle Stimme geht Daniel durch und durch … und diese smaragdgrünen Augen! Eine heiße Affäre beginnt - die aussichtslos scheint. Denn Elizabeth würde niemals Texas verlassen. Daniel dagegen lebt und arbeitet tausend Meilen von der sinnlichen Südstaaten-Schönheit entfernt …

DIE NANNY UND DER TRAUMMANN von MICHELLE CELMER

Ausgerechnet der stadtbekannte Playboy Coop Landon kümmert sich um die kleinen Zwillinge? Nur als Nanny kann Sierra da Schlimmeres verhindern. Doch zu ihrer Überraschung ist Coop ein verantwortungsvoller Traummann, in den sich die Undercover-Nanny Hals über Kopf verliebt …


  • Erscheinungstag 08.10.2019
  • Bandnummer 20
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725914
  • Seitenanzahl 496
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caroline Cross, Janice Maynard, Robyn Grady, Michelle Celmer

BACCARA EXTRA BAND 20

1. KAPITEL

Früher, als sie noch ein tolles Leben führte, hätte Mallory Morgan ihn wohl als groß, gefährlich und unbeschreiblich sexy bezeichnet: Gabriel Steele.

Aber das war, bevor er ihr alles genommen hatte. Als sie jetzt die Tür ihrer Wohnung öffnete und ihn vor sich stehen sah, kamen ihr eher Worte wie hart und herzlos in den Sinn. Diesem Mann konnte man nicht über den Weg trauen.

„Mallory.“ Seine Stimme war leise, aber gebieterisch, wie immer. Sie passte perfekt zu seinem schlanken und doch kraftvollen Körper und den kühlen grünen Augen.

„Was willst du, Gabriel?“

„Wir müssen uns unterhalten.“

„Ach ja?“ Zu ihrer Erleichterung klang sie ruhig und beherrscht. Leider war sie das ganz und gar nicht gewesen, als sie sich vorhin zufällig bei „Annabelle’s“, einem der schicksten Restaurants in Denver, begegnet waren. Mallory hatte sich ziemlich danebenbenommen und einen ziemlich hohen Preis dafür gezahlt. „Lass mich mal überlegen.“ Sie legte den Kopf schief und tat ganze zwei Sekunden so, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. Dann sah sie ihn kühl an. „Nein.“

Ernergisch versetzte sie der Tür einen Stoß. Sollte Gabriel dabei zufällig am Kinn getroffen werden, ließ sich das leider nicht ändern.

Er zuckte nicht einmal mit der Wimper und hielt die Tür mühelos mit einem Fuß auf. „Hör zu, ich verstehe, dass du wütend bist …“

Mallory zog den scharlachroten Satinmorgenmantel fester um sich, den sie sich schnell über BH und Jeans geworfen hatte, als es unerwartet bei ihr geklopft hatte. „Wie bist du bloß darauf gekommen? Weil ich deine Reservierung gestrichen habe und mich weigerte, dir einen Tisch zu geben, obwohl der Speisesaal halb leer war? Oder weil ich lieber gekündigt habe, statt mich bei dir zu entschuldigen?“

„Hör auf, mich zu beleidigen. Ich habe deine Bemerkung über Schweine am Trog mitbekommen.“

„Dann sind wir hier ja fertig. Ich habe dir jedenfalls nichts mehr zu sagen.“

Er lächelte grimmig. „Du willst also nicht reden? Schön. Dann wirst du eben zuhören.“ Mit diesen Worten legte er die Handfläche auf die billige Holztür und versuchte, sie aufzudrücken.

Mallory lehnte sich mit aller Kraft dagegen, aber als der Spalt immer größer wurde, so als würde sie sich Gabriel gar nicht in den Weg stellen, wurde ihr bewusst, dass es lächerlich war, sich auf einen Kampf einzulassen, den sie verlieren musste. Also änderte sie schnell ihre Taktik.

„Nun, wenn du darauf bestehst …“ Sie trat zurück und zuckte die Achseln. „Komm doch herein“, fügte sie spöttisch hinzu.

Zu seiner Ehre musste gesagt werden, dass er sich seinen Triumph nicht anmerken ließ. Aber das war kein Trost, denn kaum hatte er die Schwelle überschritten und die Tür hinter sich geschlossen, wurde Mallory klar, dass sie sich wieder verrechnet hatte. Wie sehr ihre Würde auch darunter gelitten hätte, sie hätte lieber kratzen, beißen und um sich treten sollen, als ihn in ihre Wohnung zu lassen.

Gabriel schien ihre sowieso schon winzige Wohnung zusammenschrumpfen zu lassen. Er schien das ganze Apartment auszufüllen, sodass Mallory sich plötzlich sehr klein und schutzlos vorkam. Beinahe atemlos wurde sie sich bewusst, wie groß und stark er war. Sie erschauerte, als er sie ansah.

Es war kaum zu glauben, dass sie früher nichts dabei gefunden hatte, schamlos mit diesem Mann zu flirten. Nicht dass es irgendetwas bedeutet hätte, und das nicht nur, weil sie den Ruf eines frivolen Partymädchens hatte aufrechterhalten müssen. Nein, vielmehr hatte sie schon sehr früh erkannt, dass Gabriel viel zu gefährlich war, als dass sie mehr als ein bisschen unbeschwerten Spaß mit ihm wagen könnte.

Und doch war sie jedes Mal, wenn sie ihm auf der einen oder anderen Party in Denver begegnete, entzückt gewesen von dem leichten Knistern, das unweigerlich zwischen ihnen entstand. Es lag immer eine gewisse Spannung in der Luft, wenn sie sich begegneten.

Irgendwann tanzten sie dann unweigerlich miteinander, und Mallory hatte es immer Spaß gemacht, sich dicht an ihn zu schmiegen, ihm freche Angebote ins Ohr zu flüstern und mit anzusehen, wie ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel erschien, wenn sie mit der Fingerspitze über sein Kinn strich. Noch schöner war nur die besitzergreifende Art gewesen, mit der er ihre Taille fester umfasste, wenn sie ihren Schenkel an seinem rieb, und natürlich das amüsierte Funkeln seiner grünen Augen, mit denen er sie warnend ansah. Das Kribbeln, das dieser Blick in ihr auslöste, konnte sie bis in die Zehenspitzen spüren.

Aber all das gehört einem anderen Leben an, erinnerte sie sich streng. Das alles war, bevor Gabriel und seine verdammte Firma Steele Security ihren Vater jagten und Mallory ihr Zuhause, ihre Freunde, ihre letzten Illusionen und den Großteil ihrer Selbstachtung verloren hatte.

Ganz zu schweigen von einem so großen Vermögen, dass die Sorgen, die sie hatte, bis sie es verlor, sich darum drehten, ob sie das Wochenende für einen Einkaufsbummel in Paris oder lieber zum Skifahren in Gstaad nutzen sollte.

Es kam ihr vor, als wären seitdem hundert Jahre vergangen. Der Unterschied zur Gegenwart hätte nicht größer sein können, denn zurzeit war sie schon ganz krank vor Sorge, ob sie einen neuen Job finden würde, weil sie sonst ihre Miete nicht bezahlen konnte.

Aber das ging niemanden außer ihr etwas an. Gabriel konnte zwar einfach hier auftauchen und dabei mit seinem pechschwarzen kurzen Haar, dem perfekt sitzenden Anzug und dem bis zur Wade reichenden schwarzen Ledermantel aussehen wie ein gefallener Armani-Engel, aber er konnte sie nicht wirklich treffen. Auch wenn er ihren Frieden störte und Erinnerungen in ihr wachrief, die sie seit Monaten zu überwinden versuchte. Sie hatte viele Jahre Zeit gehabt, um zu lernen, wie sie Menschen allgemein auf Abstand hielt, und wusste nur zu gut, wie sie insbesondere Männer aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

Dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig. Mallory stieß langsam die Luft aus und hob lässig die Arme, um ihr langes widerspenstiges Haar in einer absichtlich sinnlichen Geste nach hinten zu streichen.

„Und?“ Sie verschränkte die Arme unter den Brüsten und gab sich alle Mühe, gelangweilt auszusehen. „Willst du weiter einfach nur herumstehen? Ich dachte, es gibt da etwas, was du unbedingt loswerden musst.“

„Ja. Das stimmt auch.“ Sein Gesicht blieb ausdruckslos, aber sein Blick wanderte von ihren Augen zu ihrem Hals und dem Ausschnitt ihres Morgenmantels, bevor er ihr wieder in die Augen sah. „Ich habe mich geirrt.“

„Du hast dich geirrt?“ Sie lächelte unaufrichtig. „Das kann nicht sein.“

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. „Ich würde lieber hören, was du zu sagen hast. Warum erzählst du mir nicht, was hier los ist, Mallory?“

„Wie bitte?“

„Ich sehe ja ein, dass die vergangenen Monate hart gewesen sein müssen, aber …“

„Hart?“ Ihre Stimme drohte sich zu überschlagen, aber Mallory riss sich zusammen. „Ich bitte dich.“ Sie zuckte lässig die Achseln. „Ich war eine Debütantin der feinen Gesellschaft, und wer einmal gelernt hat, in hohen Absätzen Walzer zu tanzen und einen perfekten Knicks zu machen, der wird mit allem fertig. Dass man mein Zuhause und meine Sachen versteigert und meinen Wagen gepfändet hat, das macht doch nichts. Auch nicht, dass die Presse den Namen meiner Familie durch den Dreck gezogen hat. Das macht doch nichts. Aber dass ich mich mit dem öffentlichen Busverkehr vertraut machen musste, das war eine wirkliche Herausforderung …“

„Hör auf“, warf Gabriel ein. „Ich versuche nicht, den Ernst der Situation herunterzuspielen, und das weißt du auch. Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass Cal die Investoren von ‚Morgan Creek‘ hereingelegt und sich davongemacht hat. Aber das erklärt nicht, warum du bei ‚Annabelle’s‘ arbeitest …“

„Gearbeitet habe, dank dir“, berichtigte sie ihn leise und ignorierte die Erwähnung ihres Vaters.

„… oder hier lebst.“ Er wies auf die Küche mit dem zerkratzten Tisch und dem alten Herd und auf den Raum, der gleichzeitig Wohn- und Schlafzimmer war und in dem das Schönste zwei nicht zusammenpassende Beistelltischchen waren, die Mallory von einem neun Blocks entfernten Wohltätigkeitsladen nach Hause geschleppt hatte.

„Ich weiß. Es ist einfach lächerlich. Aber weil ich leider wenig Geld, keine Berufserfahrung und einen beklagenswerten Mangel an Referenzen habe, scheinen Arbeitgeber und Vermieter mich nur zögernd in Betracht zu ziehen. Wer hätte das gedacht?“

Dieses Mal saß der Hieb, und Gabriel presste den sinnlichen Mund – wenn auch nur für einen Moment – fest zusammen. „Soweit ich weiß, gibt es da einen Treuhandfonds, den das Gericht und die Banken nicht anrühren durften.“

„Ach ja, mein Treuhandfonds.“ Sie wusste, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab, machte einen Schmollmund und zuckte die Achseln, und um Gabriel abzulenken, zog sie den Morgenmantel, der bedenklich tief gerutscht war, nicht wieder über ihre Schultern. „Die traurige Wahrheit ist, bei all den Partys und Reisen und meiner ungezügelten Vorliebe für Designerkleidung und Dom Pérignon und Seidenunterwäsche … na ja, es gibt ihn nicht mehr.“

„Meinst du das ernst?“ Er sah sie finster an, offenbar nicht sicher, ob er ihr glauben konnte oder nicht.

Sie zuckte nicht mit der Wimper. „Todernst.“

„Und das hier?“ Er wies noch einmal auf den winzigen Raum mit dem wie Texas geformten Wasserfleck auf der Wand zwischen den zwei schmalen Fenstern.

Mallory hob leicht das Kinn an. „Zu mehr reicht es nicht.“

Er erstarrte einen Moment, und der Blick seiner grünen Augen schien sie durchbohren zu wollen. Dann stieß er ein derbes Schimpfwort aus, wandte sich ab und ging weiter in den Raum hinein. Aber schon nach ein paar Schritten war Gabriel an der Wand mit den beiden Fenstern angekommen.

„Pack ein, was du für heute Nacht brauchst“, befahl er, immer noch mit dem Rücken zu ihr stehend. „Morgen schicke ich jemanden, der alles Übrige abholt.“

Er hätte sie nicht mehr überraschen können, wenn er sich auf den Boden geworfen und ihr gebeichtet hätte, dass er ohne sie nicht mehr leben könne. „Was?“

Er wirbelte zu ihr herum. „Ich sagte, pack das Nötigste ein. Du bleibst keine Nacht länger hier.“

Sie musste träumen. Es kam ihr vielleicht so vor, als wäre sie wach, aber in Wirklichkeit war sie auf dem unbequemen kleinen Klappsofa eingeschlafen, und alles, was ihr so echt vorkam – der kühle Linoleumboden unter ihren Füßen, der schwache aufregende Duft von Gabriels Rasierwasser, die Nervosität, die seine Nähe immer in ihr hervorrief –, war nur ein Produkt ihrer Fantasie.

„Und wo soll ich hingehen?“, fragte Mallory verblüfft.

„Zu mir.“

Es war also doch kein Traum. Einen so verrückten Streich würde ihr Unterbewusstsein ihr niemals spielen So einsam und verzweifelt konnte sie gar nicht sein, dass sie jemals daran denken würde, zu Gabriel zu ziehen, um ihre Probleme zu lösen.

Das wäre ja, als würde sie einen Käfig mit einem Tiger teilen – vielleicht eine halbe Sekunde lang faszinierend, aber danach einfach nur furchterregend.

Warum hatte sie dann – wenn auch nur einen Moment lang – den unwiderstehlichen Wunsch, sein Angebot anzunehmen? Warum wollte sie die Augen schließen, sich in seine Arme schmiegen und ihn bitten, auf sie aufzupassen?

Eine Angewohnheit, sagte sie sich verärgert. Daran waren achtundzwanzig Jahre lotterhaften Lebens schuld, in denen sie immer nur den leichten Weg gewählt und anderen erlaubt hatte, ihr Schicksal zu bestimmen. Als man sie von ihrem Zuhause vertrieben hatte, das seit neunzig Jahren in Familienbesitz gewesen war, hatte sie sich geschworen, dass sie das nie wieder zulassen würde.

Und diesen Schwur würde sie unter keinen Umständen brechen, selbst wenn sie deswegen viele Jobs verlieren oder häufig auf ein Mittagessen verzichten musste, um über die Runden zu kommen, oder ein Leben lang in einem Loch wie diesem wohnen musste. Und wenn das hieß, dass sie sich Gabriel widersetzen musste, der immerhin für ihre jetzige Situation verantwortlich war, dann war das sogar noch besser.

„Herzlichen Dank“, sagte sie mit unverhohlener Unaufrichtigkeit, „aber ich verzichte.“

Mallory hatte ihn immer für klug gehalten – klüger als ihr oft angenehm gewesen war –, und auch jetzt enttäuschte er sie nicht. „Du willst nicht mit zu mir kommen? Gut. Dann such dir ein Hotel aus. Dort kannst du bleiben, bis ich etwas anderes arrangiert habe.“

Sie dachte an ihre letzte Erfahrung mit einem Hotel und schauderte. Aber sie konnte ihre Neugier nicht verbergen. „Das würdest du tun? Mich auf deine Kosten irgendwo unterbringen? Selbst wenn ich dir sage, dass ich deinen Anteil an allem, was geschehen ist, niemals vergessen werde?“

„Ja.“

„Selbst wenn ich nicht mit dir schlafe, egal wie freundlich du dich jetzt auch gibst?“

„Noch mal, ja. Außerdem erinnere ich mich nicht, dich darum gebeten zu haben.“

„Warum machst du es dann? Was springt für dich dabei heraus?“

Er zuckte die breiten Schultern. „Ein ruhiges Gewissen. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass diese Wohnung nicht sicher ist. Die Eingänge zum Gebäude sind nicht gesichert, es gibt keinen Riegel an deiner Tür, und ich wette ein Jahresgehalt, dass ein schwächlicher Fünfjähriger deine Fenster mit einem Zahnstocher aufbekommen könnte. Außerdem ist dies eine ziemliche schlimme Gegend, und du hättest in etwa so viele Chancen, hier zu überleben, wie ein Kätzchen, das man in einen Zwinger voller Pitbulls wirft. Ich lasse nicht zu, dass du hierbleibst.“

Wenn ihr das jemand anders gesagt hätte, hätte sie die letzte Bemerkung als den Gipfel der Prahlerei abgetan, aber Gabriel ließ seinen Worten immer die entsprechenden Taten folgen.

Nur bekam leider niemand immer das, was er wollte. Was auch für Gabriel galt. „Das liegt nicht in deiner Hand“, entgegnete sie knapp. „Sondern in meiner. Und ich gehe nirgendwohin.“

„Mallory …“, er schlug den übertrieben geduldigen Ton an, den Erwachsene meist bei widerspenstigen Kindern benutzen, „sei vernünftig.“

„Nein.“ So ein kleines Wort, und so machtvoll! „Ich will deine Hilfe nicht, Gabriel. Ich brauche sie nicht. Ich kann allein auf mich aufpassen.“

„Glaubst du das wirklich?“

Natürlich nicht. Noch nicht. Aber sie würde lieber betteln gehen, bevor sie das Gabriel gegenüber zugab. „Ja, selbstverständlich.“

Er sah sie nachdenklich an, und es war ihm nicht die geringste Überraschung darüber anzumerken, dass sie etwas so Unerhörtes gesagt hatte. Mallory war gezwungen, Gleichgültigkeit vorzutäuschen und zu warten.

Worauf, wusste sie allerdings nicht genau.

Doch während das Schweigen sich unbehaglich in die Länge zog, stellte Mallory sich schon einige seiner möglichen Reaktionen vor. Wenn er wollte, überlegte sie, kann er mich einfach über die Schulter werfen und hinaustragen. Oder er könnte – und bei dem Gedanken überlief sie ein vertrauter Schauer – zu ihr gehen, sie an sich reißen, sie aufs Sofa werfen und …

„Na schön. Das war’s dann also.“

Seine ausdruckslose Stimme riss Mallory aus ihren Tagträumen. Und doch dauerte es noch einige Sekunden, bevor sie begriff, was er gesagt hatte.

Das war’s? Sie waren fertig miteinander? Wirklich?

Einen entsetzlichen Augenblick lang wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Dann erwachte allerdings der gesunde Menschenverstand, den sie fast ihr ganzes Leben lang mit aller Kraft ignoriert hatte, zu neuem Leben.

Bist du noch bei Trost? Er wirft endlich das Handtuch. Himmel noch mal, beeil dich und wirf ihn raus, bevor er seinen Entschluss ändert.

„Wer hätte das gedacht“, sagte sie spöttisch. „Endlich sind wir mal der gleichen Meinung.“

Er presste kurz die Lippen zusammen. „Pass auf, Süße“, riet er, während er schon den ersten Schritt auf die Tür zuging. „Du weißt ja, was man über kleine Mädchen sagt, die ein Raubtier reizen.“

„Nein, weiß ich nicht.“ Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten und nicht zurückzuweichen, als Gabriel wieder auf sie zukam. Sie war froh, dass es gleich vorbei sein würde. Sie würden beide ihrer Wege gehen, und in einer Woche, höchstens einem Monat, würde er nichts weiter als eine schwache Erinnerung aus einem weit zurückliegenden Leben sein. „Und es interessiert mich auch nicht.“

Plötzlich war er nur noch Zentimeter von ihr entfernt. Mallory schnappte erschrocken nach Luft und versuchte, Gabriel auszuweichen, aber es war schon zu spät. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es leicht an, sodass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.

„Das sollte es aber“, meinte er leise. „Weil es heißt, dass das Raubtier am Ende zurückschlägt und süße kleine Dinger wie dich zum Frühstück verspeist.“

Ihr Magen zog sich nervös zusammen bei der nicht zu überhörenden Warnung im seidenweichen Ton seiner Stimme. Mallory klimperte verführerisch mit den Wimpern, und erwiderte nur: „Wie amüsant. Und jetzt lass mich los.“ Zu ihrer eigenen Überraschung klang ihre Stimme völlig ruhig.

„Noch nicht. Da gibt es noch etwas, was wir klarstellen müssen.“

„Ach? Und das wäre?“

„Wenn wir zusammen ins Bett gehen …“, er ließ den Blick einen langen Moment auf ihrem Mund ruhen, bevor er Mallory wieder in die Augen sah, „… wird es nicht das Geringste mit Dankbarkeit zu tun haben. Glaub mir, du wirst genauso wild auf mich sein wie ich auf dich.“ Und damit gab er sie genauso abrupt wieder frei, wie er sie gepackt hatte, und trat zurück.

Als Mallory sich von ihrer Verblüffung erholt hatte, war Gabriel bereits gegangen.

2. KAPITEL

Unverschämt. Unerträglich. Unmöglich.

Und unwiderstehlich.

Das beschreibt Mallory Morgan perfekt, dachte Gabriel finster, als er auf dem lädierten Bürgersteig vor dem baufälligen Mietshaus stand, in dem Mallory wohnte. Er stellte den Mantelkragen hoch, um sich vor der kühlen Märzbrise zu schützen, sah sich auf der mit Abfällen übersäten Straße um und ging dann zu seinem auf der anderen Seite geparkten Jeep hinüber.

Er überprüfte den Wagen kurz und gab dem kräftigen kleinen Latino, der sich anerboten hatte, auf ihn aufzupassen, einen Zwanzigdollarschein. „Danke, mi hijo.“

Da ihre Abmachung eigentlich über zehn Dollar im Voraus gewesen war und weitere zehn, wenn der Junge seinen Auftrag richtig erledigte, war die Begeisterung des Kleinen nur allzu verständlich. „Muchas gracias, Mister!“

Gabriel nickte. „Du hast es dir verdient.“

Sí. Wenn Sie mal wieder in die Lattimer Street kommen, fragen Sie nach Tonio, okay? Ich kümmere mich um Sie.“

„Ich werde daran denken.“

„Bueno!“ Der Junge schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und lief davon. Er sauste an drei tätowierten Schlägertypen vorbei, die vor einer mit Brettern vernagelten Ladenfassade standen und rauchten, und winkte einer erschöpft aussehenden jungen Frau zu, die gerade die Treppe herunterstapfte. „Mama, Mama! Rate mal, was ich habe!“, rief er, während er in der zunehmenden Dämmerung auf sie zuraste.

Offenbar hatte Gabriel gerade jemanden glücklich gemacht.

Leider war es nicht der Jemand, den er sich gewünscht hätte. Aber was hatte er auch anderes erwartet? Obwohl sonst allgemein für seine Klugheit und seine Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszusehen, bekannt, hatte er vorhin die Feinfühligkeit eines Panzers bewiesen. Er hatte Mallorys Privatsphäre verletzt, gebieterisch Antworten verlangt, sie herumkommandiert und drangsaliert, statt ihr gut zuzureden. Und als wäre das nicht schlimm genug, hatte er sogar eine mehr als machohafte Andeutung gemacht, was sexuell zwischen ihnen passieren könnte.

Das Einzige, was den heutigen Tag vor einer vollkommenen Pleite rettete, war der sehr gewinnbringende Vertrag mit der „Lux Pacifica“-Hotelkette, den Gabriel beim Mittagessen geschlossen hatte und der seiner Firma den Auftrag erteilte, für die Sicherheit der leitenden Angestellten der Hotelkette in Übersee zu sorgen.

Abgesehen davon allerdings … Mit einem ungeduldigen Kopfschütteln legte er den Rückwärtsgang ein und machte sich auf zur Speicherstadt, wo das Bürogebäude von Steele Security stand. Es ging langsam voran, weil der Verkehr wie immer an einem Freitagabend sehr zäh war. Das gab Gabriel allerdings viel Zeit zum Nachdenken.

Es war schon fast komisch gewesen, wie verblüfft er darüber gewesen war, dass die Hostess bei „Annabelle’s“ mit dem goldbraunen Haar, die von allen Männern bewundert wurde, Mallory war. Und genauso wenig gab es eine vernünftige Erklärung für die Betroffenheit, mit der er auf ihre Feindseligkeit reagiert hatte.

Er hatte Mallory in den vier Jahren, die er sie jetzt kannte, kein einziges Mal die Fassung verlieren sehen – nicht einmal, als ein ungeschickter Kellner Champagner über ihr teures Kleid geschüttet hatte oder als sie auf Meg Banders Halloween-Party ihren Vater mit einer ihrer Freundinnen in einer äußerst verfänglichen Situation ertappt hatte. Umso bemerkenswerter fand er also natürlich ihre plötzliche Wut und die offenkundige Verachtung, mit der sie ihn bedacht hatte.

Aber er war nicht etwa deswegen so betroffen gewesen, weil er, wie Annabelle’s entsetzter Geschäftsführer angenommen hatte, wütend oder beleidigt war. Während er gezwungen gewesen war, das scheinbar nie enden wollende Geschäftsessen wie geplant durchzuführen, hatte etwas seine sonst unerschöpfliche Geduld auf eine harte Probe gestellt: Die Traurigkeit, die sich hinter Mallorys Wut zu verbergen schien, hatte Gabriel erschüttert. Außerdem war ihm der Verdacht gekommen, ihre Verwandlung vom unbeschwerten Partygirl zum hart arbeitenden Mädchen bedeutete, dass er sich in ihr geirrt haben musste.

Aber ihm unterliefen keine Irrtümer. Er hielt sich zwar nicht für unfehlbar, doch seit frühester Jugend, seit seine Mutter gestorben war und er im reifen Alter von ganzen vierzehn Jahren die Verantwortung für acht Brüder hatte übernehmen müssen, waren Fehler ein Luxus gewesen, den er sich nicht leisten durfte. Das hatte sich auch während seiner Jahre bei einer Spezialeinheit beim Militär nicht geändert.

Er hätte sich kaum von einem mittellosen Elternersatz zu einem mächtigen Geschäftsmann und Millionär entwickelt, wenn sein Urteil fehlerhaft gewesen wäre. Nein, alles, was er besaß, verdankte er seiner scharfsinnigen Urteilskraft, akribischer Planung, seinem untrüglichem Instinkt und einer guten Auffassungsgabe, die ihn jede Situation richtig einschätzen ließ.

Sein heutiges Verhalten war allerdings kein Beweis dafür, wie er zugeben musste, während er in die Tiefgarage von Steele Security fuhr.

Dass Mallory in ihrer schäbigen kleinen Wohnung geblieben war, zeigte, dass seine Entscheidung, sie zu verfolgen, ohne die Situation vorher gründlich zu untersuchen, nicht einer der klügsten Schritte war, die er je gemacht hatte.

Aber die Dinge waren erst dann endgültig den Bach hinuntergegangen, als sie ihm die Tür geöffnet hatte.

Zu sagen, er habe sich überrumpelt gefühlt, wäre eine der größten Untertreibungen aller Zeiten. Es war ihm eher so vorgekommen, als hätte man ihn mit einem Hammer zwischen die Augen geschlagen. Denn dieser Anblick …

In dem hauchdünnen, verführerischen roten Morgenrock, mit den nackten Füßen, dem leicht zerzausten goldbraunen Haar und den zart geröteten Wangen, hatte sie ausgesehen, als wäre sie gerade aus dem Bett eines sehr glücklichen Mannes gestolpert.

Sofort hatte ihn heftiges Verlangen ergriffen.

An sich wäre das kein Problem, weil Gabriel sich niemals von seiner Libido leiten ließ. Aber als Mallory plötzlich mit aller Kraft versuchte, das Zittern ihrer Unterlippe zu unterdrücken, rührte sich etwas in ihm.

Das brachte ihn völlig aus der Fassung – ebenso der erschreckende Wunsch, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen.

Beim Gedanken daran presste er unwillkürlich die Lippen zusammen. Nachdem er den Sicherheitscode für die Eingangstür eingegeben hatte, ging er mit langen Schritten den breiten Korridor des Hauptgebäudes hinunter. Er blieb nicht vor seinem Büro stehen, sondern ging zu dem seines Bruders Cooper, weil er dort zu seiner Erleichterung noch Licht sah.

„Hast du die Informationen bekommen, um die ich dich gebeten habe?“, fragte er, als er in der offenen Tür stand.

Sein jüngerer Bruder – Nummer vier in der Geburtsreihenfolge der neun Brüder – saß in einem halb nach hinten gekippten Bürostuhl hinter seinem Schreibtisch. Er hatte die in Turnschuhen steckenden Füße auf den Schreibtisch gelegt und bot das Bild absoluter Lässigkeit und Entspannung. Das Einzige, was diesem Eindruck widersprach, war die Schnelligkeit, mit der seine Finger über die Tasten des Laptops flogen, den er sich auf den Schoß gestellt hatte.

Er sah auf und antwortete gelassen: „Ist der Papst katholisch? Natürlich, großer Bruder. Das ist wohl keine Frage.“

„Und?“

„Und ich bekomme einen steifen Hals, wenn du da drüben stehen bleibst. Warum kommst du nicht rein und erzählst Onkel Cooper, was dich jetzt wieder genervt hat?“

„Träum weiter“, entgegnete Gabriel. Trotzdem kam er herein, aber nicht, um zu tun, wozu Cooper ihn aufgefordert hatte. Schließlich war er hier, um Informationen zu bekommen, und nicht, um selbst welche preiszugeben. „Also, wirst du mir jetzt sagen, was du herausgefunden hast, oder nicht?“

Cooper zuckte die Achseln. „Es hat sich nicht viel geändert. Der Haftbefehl für Cal Morgan ist immer noch gültig, obwohl mein Kontaktmann beim FBI meint, er sei im Moment nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt ist. Solange Morgan in San Timoteo bleibt, kommen sie nicht an ihn ran, und erst recht nicht an das gestohlene Geld. Eine Summe, die sich übrigens auf etwa zwanzig Millionen beläuft. Mit anderen Worten, du hast schon wieder gewonnen.“

„Na, wunderbar.“ Gabriel zog den Mantel aus und warf ihn mit unnötiger Energie auf einen der blauen Wildledersessel vor dem Schreibtisch. „Ich liebe es, eine Katastrophe genau vorauszusagen.“

„Es ist ja nicht deine Schuld“, erwiderte Cooper ruhig. „Du weißt verdammt gut, dass es noch schlimmer ausgegangen wäre, wenn wir nicht eingegriffen hätten.“

Das stimmte, und Gabriel tat es demzufolge auch nicht leid, dass es die Leute von Steele Security gewesen waren, die Caleb Morgans krumme Geschäfte aufgedeckt hatten. Er ging zum anderen Ende des Raums und trat ans Fenster.

Sie hatten getan, wofür sie engagiert worden waren, und hatten Caleb Morgans Investmentgesellschaft überprüft. Und sie waren so vorgegangen wie immer, gründlich und perfekt. Ihr Klient, ein potenzieller Investor bei Morgan Creek Investment, hatte nur eine flüchtige Untersuchung verlangt, um seine Mutter zu beruhigen, die berichtet hatte, sie hätte vor Kurzem auf einer Reise in Asien das taiwanesische Einkaufszentrum, das in Caleb Morgans Firmenliste aufgeführt war, nicht gefunden.

Ihr Klient schenkte seiner Mutter inzwischen wöchentlich einen Strauß Blumen, da sie ihn vor einem großen Verlust bewahrt hatte, denn das Einkaufszentrum existierte tatsächlich nicht.

Morgan hatte das Land an dem Tag verlassen, als Steele Security die Behörden in Kenntnis setzten, und trank jetzt wahrscheinlich auf der Veranda seiner neuen Villa tropische Cocktails und genoss das süße Leben. Die erbeuteten Millionen lagen unantastbar auf mehreren Konten im Ausland.

Nein, das Einzige, was Gabriel wirklich bedauerte, war, dass sie den Mistkerl nicht eher hatten auffliegen lassen. Es hätte zwar nicht geändert, was Morgan getan hatte, aber es hätte den Schaden für die Hauptgläubiger wenigstens etwas begrenzt.

Und dann war da noch Mallory, die Gabriel noch vor fünf Stunden irgendwo in St. Croix oder Monte Carlo oder sonst einem exklusiven Ort vermutet hatte, wo sie in luxuriöser Abgeschiedenheit ihre Wunden leckte. Er hätte nie gedacht, dass sie ganz allein in einer der übelsten Gegenden Denvers lebte und sich mit einem schlecht bezahlten Job über Wasser zu halten versuchte.

Und genau das war sein unverzeihlicher Irrtum.

„Was ist mit Morgans Tochter?“, fragte er abrupt und sah seinen Bruder abwartend an. „Was hast du über sie herausgefunden?“

Cooper hörte kurz auf zu tippen. „Du meinst, abgesehen von der Tatsache, dass sie dich heute beim Mittagessen fast vertrimmt hätte?“

„Woher, zum Teufel, weißt du das?“

Cooper verdrehte die Augen. „Was glaubst du denn? Familientratsch, großer Bruder. Irgendeine Frau, mit der Lilah zusammen zur Schule gegangen ist, hat alles gesehen und konnte es kaum erwarten, sie anzurufen und ihr alles brühwarm zu erzählen. Lilah gab es dann an Dominic weiter, als er sie zu ihrem Arzttermin brachte, und er sagte es mir, als er kurz vorbeischaute, um eine Akte mit nach Hause zu nehmen.“

„Du meine Güte.“ Die Nachrichtenübermittlung zwischen den Brüdern hatte schon immer einwandfrei geklappt, aber seit im letzten Jahr Genevieve und Lilah, seine zwei Schwägerinnen, zur Familie gestoßen waren, funktionierte sie wirklich beängstigend gut.

„Ja. Ganz schön gruselig, was?“

„Kann man wohl sagen. Geht es Lilah gut? Keine Überraschungen beim Arzt?“ Er kam langsam wieder auf Coopers Schreibtisch zu.

„Soweit ich weiß, geht es ihr so gut, wie das bei einer Frau im sechsten Monat möglich ist. Nur Dominic wird es vielleicht nicht überleben.“

„Das ist nichts Neues.“ Ihr Bruder Dominic, ein ehemaliger Navy SEAL, war die Verkörperung des harten draufgängerischen Soldaten gewesen, der sich nie eine Schwäche anmerken ließ, bis er den Auftrag übernahm, einem hübschen, reichen blonden Mädchen bei der Flucht aus einer Bananenrepublik helfen, wo man sie gefangen hielt. Jetzt waren er und Lilah verheiratet und erwarteten ihr erstes Kind, und Dominic war so übertrieben ängstlich wie ein General, dessen Armee nur aus einem einzigen Soldaten bestand.

„Stimmt wohl“, gab Cooper zu. „Trotzdem. Lilah erwähnte heute, wie sehr ihr die Arbeit für den nächsten Wohltätigkeitsball Spaß macht, und man konnte Dominics Zähne regelrecht knirschen hören. Je näher sie dem Geburtstermin kommt, desto schwerer fällt es ihm, sie sich nicht einfach über die Schulter zu werfen, sie an einen sicheren Ort zu verfrachten und sie bis zur Geburt in Watte zu packen.“ Er seufzte. „Wenn es nicht so komisch wäre, wäre es mitleiderregend. Dabei war er früher so cool, wenn es um Frauen ging.“

Gabriel musste über Coopers wehmütigen Gesichtsausdruck lächeln. „Die Liebe macht die Leute verrückt.“ Einer der vielen bestechenden Gründe, weswegen Liebe nichts für ihn war.

Cooper stellte den Laptop auf den Schreibtisch und sah Gabriel aufmerksam an. Seine Melancholie verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war. „Da wir gerade von ‚verrückt‘ reden – hat die göttliche Miss Morgan tatsächlich als Kellnerin gearbeitet?“

„Als Hostess“, verbesserte Gabriel ihn.

„Und sie hat dich wirklich einen egoistischen schleimigen Mistkerl genannt?“

„Kann sein. Ich habe nicht mitgeschrieben.“

„Und?“

„Das war’s eigentlich schon. Sie beschimpfte mich, weigerte sich, mir einen Tisch zu geben, und rauschte ab, als ihr Chef versuchte, die Situation zu retten.“

Cooper betrachtete ihn neugierig. „Und was hat sie gesagt, als du später zu ihr gegangen bist? War sie immer noch sauer?“

„Wer sagt, dass ich zu ihr gegangen bin?“

„Ich bitte dich.“ Cooper schüttelte den Kopf. „Du hast deine Termine für den ganzen Nachmittag streichen lassen, du hast um Informationen über die Morgans gebeten, und es ist mehr als deutlich, dass dir eine Laus über die Leber gelaufen ist. Außerdem meinte Dominic, die kleine Morgan und du hättet schon immer etwas füreinander übriggehabt.“

Gabriel musste plötzlich daran denken, wie Mallorys Morgenmantel ihr von den Schultern gerutscht war und ihre zarte Haut enthüllt hatte.

„Also ist es ja wohl klar, dass du bei ihr gewesen bist“, fuhr Cooper fort.

Gabriel verscheuchte das Bild der fast nackten Mallory. „Du hast recht, ich war bei ihr. Und es stimmt auch, dass sie nicht besonders entzückt war, mich zu sehen. Was unter den Umständen kaum überraschend ist. Und alles Übrige geht dich nichts an.“ Er dachte an Mallorys tapferen Versuch, sich gleichgültig zu geben und sogar zu behaupten, es ginge ihr wunderbar. Auch jetzt spürte er wieder Ungeduld, Ärger und Enttäuschung in sich aufsteigen – und auch Rührung, obwohl er sich nicht erklären konnte, wieso.

„Ach, komm schon. Du wirst doch wohl deinen Lieblingsbruder nicht verletzen wollen, oder?“

„Nein. Aber soviel ich weiß, ist Deke immer noch auf Borneo.“

„Au.“ Cooper schenkte ihm einen gespielt beleidigten Blick. „Du hättest einfach Nein sagen können.“

„Als ob dich ein einfaches Nein jemals aufgehalten hätte.“ Gabriel beugte sich vor und stützte die Hände auf den Schreibtisch. „So gern ich meine innersten Gefühle mit euch teilen und mir alles anhören würde, was du und Dominic über mein Liebesleben zu sagen habt …“, sagte er, und mit jedem Wort wurde sein Ton ironischer, „… es ist jetzt leider schon nach sechs, und ich habe heute Abend etwas vor. Was hältst du also davon, wenn du mir einfach sagst, was ich wissen will, und wir uns den Rest für ein anderes Mal aufheben? Sagen wir, wenn ihr wieder eine Pyjamaparty gebt?“

Cooper setzte eine vorwurfsvolle Miene auf. „Kein Grund, gleich so empfindlich zu sein.“

Gabriel sah ihn nur weiter wortlos an.

„Okay, okay.“ Cooper hob resignierend die Hände. „Hör zu. Bis noch vor sechs Monaten hat sich unsere Zielperson auf dem Familiengut verkrochen, obwohl das Personal schon Monate vorher entlassen worden war. Als dann das FBI kam, alles beschlagnahmte und das Haus verriegelte, zog sie ins Markham Plaza. Dort blieb sie mehrere Wochen, bis ihre Kreditkarte abgelehnt wurde und man herausfand, dass es sich dabei nicht um einen Irrtum handelte. Es heißt, sie hätte versucht, mit einem Scheck zu zahlen, aber der platzte auch, und so bat die Geschäftsführung sie nicht allzu freundlich, das Hotel zu verlassen.“

Cooper setzte sich auf und sah auf den Computerbildschirm. „Das Interessante ist, dass sie alle Schulden einige Wochen später bezahlte, bis auf einen kleinen Betrag, den sie Stück für Stück abstotterte. Doch vor etwa sechzig Tagen fing sie an, auch ihre Miete schuldig zu bleiben.“

Gabriel runzelte die Stirn. „Hatte sie keine weiteren Bankkonten?“, fragte er und begann unruhig auf und ab zu gehen.

„Das Girokonto wurde geschlossen, weil sie es überzogen hatte. Mehr habe ich nicht finden können, allerdings hatte ich auch kaum Zeit, gründlicher nachzuforschen. Ist es wichtig?“

„Wahrscheinlich nicht … Ich dachte nur, es gäbe da ein Treuhandkonto auf ihren Namen, und zwar mit einer großen Summe. Aber sie sagt, das hätte sie auch schon abgeräumt.“ Das Treuhandkonto war auch der Grund gewesen, warum er eigentlich ganz beruhigt gewesen war, was Mallorys finanzielle Situation anging, und sich nicht schon vorher nach ihr erkundigt hatte.

„Und du glaubst ihr nicht?“

„Das habe ich nicht gesagt. Aber ich will sichergehen.“ Trotz der überzeugenden Anhaltspunkte, dass Mallory tatsächlich über kein finanzielles Sicherheitsnetz mehr verfügte, würde er sich dieses Mal nicht nur auf seine Annahmen verlassen.

„Okay, ich werde mich also noch weiter darum kümmern.“

„Danke.“

„Sonst noch was?“

„Nein. Das wäre im Moment alles.“

Cooper sah ihn nachdenklich an. „Das soll wohl heißen, dass du mit Mallory noch nicht fertig bist. Und das, obwohl du allem Anschein nach auf ihrer Liste der hassenswerten Dinge ungefähr auf gleicher Höhe mit Fußpilz rangierst.“

„Worauf willst du hinaus, Cooper? Wenn wir mal annehmen, dass du das selbst weißt.“

„O doch.“ Cooper gehörte nicht zu den Menschen, die mit ihrer Meinung lange hinter dem Berg hielten. Er begegnete Gabriels finsterem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Sieh mal, ich weiß, wie hart du dafür arbeitest, dass unsere Firma ein Erfolg wird, aber auch, dass wir mit unserer Arbeit etwas Wichtiges vollbringen. Du setzt dich mit all deiner Kraft dafür ein, das Leben unserer Klienten sicherer zu machen und zu verbessern, wenn möglich. Und genau deswegen glaube ich, dass man dich ab und zu daran erinnern muss, dass du nicht für diese Frau verantwortlich bist – was immer sie auch zu dir gesagt hat und wie sehr sie auch versucht hat, dir ein schlechtes Gewissen einzureden. Du schuldest ihr nicht das Geringste, Gabriel.“

„Glaub mir, Cooper …“, Gabriel lächelte selbstironisch, „… das ist hier nicht das Problem.“

Cooper war überrascht. „Nein? Was denn …“

„Lass es gut sein, kleiner Bruder. Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber ich kümmere mich schon seit vielen Jahren allein um meine Angelegenheiten, und zwar recht erfolgreich. Wenn ich Hilfe brauchen sollte, lasse ich es dich wissen. Aber bis dahin …“, er sah auf die Uhr, „… bleibt die Zeit nicht stehen, und ich muss mich noch um einen Berg von Angelegenheiten kümmern, bevor ich von hier verschwinden kann.“

„Mehr sagst du nicht? Du lässt mich ganz einfach so stehen?“

„Ja, du hast es erfasst.“ Gabriel nahm seinen Mantel vom Sessel und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. „Gehst du morgen zu Taggart und Genevieve zum Abendessen?“

Cooper wusste, wann er das Handtuch werfen musste. „Machst du Witze? Es gibt leckere Hausmannskost und ein Basketballspiel im Fernsehen. Klar geh ich hin. Und du?“

„Ja, ich komme auch.“ Er ging auf die Tür zu. „Soll ich dich abholen?“

„Okay.“

„Ich ruf dich morgen an, dann können wir Einzelheiten besprechen.“ An der Tür hielt er kurz inne. „Cooper?“

„Was ist?“

„Danke für die Informationen. Ich weiß das zu schätzen.“

„Das sagt sich so leicht“, beschwerte Cooper sich. „Dich lässt man nicht mitten im interessantesten Gespräch hängen.“

„Du wirst es überleben“, meinte Gabriel trocken und ging lächelnd zu seinem eigenen Büro.

Es gab zwar keinen Grund für die Sorgen, die sein jüngerer Bruder sich um ihn machte, aber Cooper hatte in gewisser Hinsicht doch recht gehabt.

Er, Gabriel, war noch lange nicht mit Mallory fertig.

3. KAPITEL

„Geht es Ihnen gut, Miss Morgan?“

Mallory nahm widerwillig den Blick von dem Blatt Papier in ihrer zitternden Hand und sah den Mann ihr gegenüber betäubt an. „Wie bitte?“

Der Ausdruck auf Mr. Cowdens schmalem intelligentem Gesicht wurde weicher. „Sie scheinen erschüttert zu sein“, sagte der Besitzer des Anwaltsbüros „Finders Keepers“, das sich am vorigen Abend mit ihr in Verbindung gesetzt hatte, nicht ohne Mitgefühl. „Kann ich Ihnen etwas bringen lassen? Ein Glas Wasser oder Kaffee?“

„Nein. Ich … es ist nur …“ Voller Verlegenheit wegen ihrer Stotterei, riss Mallory sich mühsam zusammen. „Könnten Sie mir bitte noch einmal erklären, woher das hier kommt? Sie sagten, es käme auf Anweisung eines Verwandten?“

„Ja. Dem Brief zufolge, den wir erhielten, kommen die Gelder von einem gewissen …“, er warf einen Blick auf ein Dokument, das auf seinem Nussbaumschreibtisch lag, „… Ivan Mallory Milton. Ihr Cousin, wie es den Anschein hat, wenn auch vermutlich ein eher entfernter, da es hier heißt, dass er einundneunzig Jahre alt war, als er von uns ging.“ Er rückte die Lesebrille zurecht und überflog wieder den Inhalt des Dokuments. „Die Verwandtschaft geht offenbar auf Ihre Großmutter mütterlicherseits zurück.“

„Aber ich habe nie von ihm gehört.“

„Nun ja, das kommt häufig vor bei so entfernten Verwandten. Und tatsächlich erheben genau aus diesem Grund viele gar keinen Anspruch auf eine Erbschaft. In diesem Fall scheint es, dass Mr. Milton die verwandtschaftliche Beziehung erkannte, als er einen Zeitungsartikel über Ihre Familie las.“

Mallory zuckte leicht zusammen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr verstorbener Cousin irgendetwas Schmeichelhaftes über sie oder ihren Vater gelesen hatte. Aber offenbar hatte ihn das nicht sonderlich beeindruckt.

„Die Information wurde unter seinen Papieren gefunden, nachdem er gestorben war, und da es keine anderen Erben gibt, geht sein Besitz an Sie über. Andererseits war es ziemlich ungewöhnlich, dass wir über den Postweg davon in Kenntnis gesetzt wurden, wo doch das Internet sich heutzutage so großer Beliebtheit erfreut …“

Obwohl sie sich ermahnte, Mr. Cowden besser zuzuhören, wanderte ihr Blick automatisch wieder zu dem Bankscheck in ihrer Hand.

Da stand es wirklich schwarz auf weiß: Sie sollte die unglaubliche, wundervolle Summe von 4721,46 Dollar erhalten. Noch vor einem Jahr hätte das nicht einmal gereicht, um ihren monatlichen Bedarf an Schuhen zu decken. Jetzt allerdings bedeutete dieses Geld, dass sie zum ersten Mal seit Monaten wieder befreit aufatmen konnte. Und sie verdankte es jemandem, den sie nie kennengelernt hatte und auch nie kennenlernen würde.

Vielen Dank, lieber verstorbener Cousin Ivan.

Sie war natürlich nicht froh, dass ihr armer Verwandter tot war, aber wenn der alte Junge schon hatte gehen müssen, dann hätte er sich dazu keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können.

„Miss Morgan?“

Erschrocken sah sie auf und bemerkte, dass Mr. Cowden sie fragend betrachtete, als hätte er schon vor einer ganzen Weil aufgehört zu reden, und auf ihre Antwort wartete. „Entschuldigen Sie“, sagte sie hastig. „Es ist nur …“ Sie strich fast zärtlich über den Scheck. „Ich kann es noch nicht ganz fassen. Es ist eine so große Überraschung.“

„Aber eine willkommene, will ich doch hoffen.“ Mr. Cowden lächelte und stand auf.

„Oh ja.“ So sehr sogar, dass sie befürchtete, dass gleich jemand hereinplatzen und beteuern würde, es sei alles nur ein fürchterlicher Irrtum.

„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das freut“, fuhr er fort und kam hinter dem Schreibtisch hervor. „Und wie froh ich bin, dass wir Ihnen von Nutzen sein konnten. Offen gestanden …“, er blinzelte ihr fröhlich zu, „… ist das der schönste Teil meiner Arbeit.“

„Das glaube ich gern.“ Mallory erwiderte sein Lächeln und steckte dann den Scheck vorsichtig in ihre Handtasche. Da Mr. Cowden ihr Geschäft offenbar für beendet hielt, erhob sie sich. „Schulde ich Ihnen irgendetwas? Gibt es eine Gebühr dafür, dass sie mich ausfindig gemacht haben?“

„Ja, selbstverständlich, aber die wurde ja bereits von Mr. Miltons Nachlassverwalter übernommen.“ Cowden half ihr in den Mantel und begleitete sie ins Vorzimmer seines Büros. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatte sie ein Papier unterschrieben, mit dem sie den Erhalt des Schecks bestätigte.

Nachdem sie sich bedankt und verabschiedet hatte, verließ sie das Anwaltsbüro und trat wieder auf der Straße.

Einen herrlichen Moment ließ sie sich von ihrer Begeisterung mitreißen und wirbelte lachend um die eigene Achse. 4721 Dollar! Sie ging mit großen hüpfenden Schritten die Straße hinunter zur Bushaltestelle und konnte einfach nicht aufhören zu lächeln. Ihre Füße berührten kaum den Boden, ungeahnte Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf.

Wo sollte sie nur anfangen? Sollte sie sich zuerst bei „Très Chic“ eine Gesichtsbehandlung, eine Massage oder einen ganzen Wellnesstag gönnen? Der Himmel wusste, wie sehr ihre Poren es ihr danken würden. Oder sollte sie „Mr. Kenneth’s“, dem berühmtesten Friseursalon des Bundesstaates, gehen und sich einen seiner sensationellen Schnitte gönnen und sich helle Strähnchen machen lassen? Sie könnte auch ins eleganteste Einkaufszentrum fahren und sich die göttliche Moreno-Handtasche kaufen, die sie neulich gesehen hatte. Oder sollte sie sich ein neues Paar Pumps leisten, da ein Kind an ihrem ersten Tag bei „Annabelle’s“ auf ihre Lieblingsschuhe getreten war?

Vielleicht sollte sie sich heute aber lieber mit einem gemütlichen Mittagessen verwöhnen oder – noch besser – mit einem eleganten Abendessen. Es würde ihr so guttun, sich wieder einmal toll zurechtzumachen. Den größten Teil ihrer Garderobe hatte sie zwar verkaufen müssen, aber einige wenige gute Stücke waren ihr noch geblieben. Sie könnte mit dem Taxi zu „Gambiolini’s“ fahren, ihren gewohnten Tisch verlangen und dann ein paar Stunden damit vertrödeln, ein oder zwei Gläser teuren roten Wein zu trinken, mit Philippe, ihrem Lieblingskellner, zu flirten und sich dem Genuss der Hausspezialität hinzugeben, ihren seit Monaten innig ersehnten Garnelen Tettrazini.

Aber es würde bestimmt jemand von ihren alten Bekannten da sein, und wollte sie wirklich das Flüstern und die neugierigen Blicke über sich ergehen lassen, die zu erwarten waren, wenn nicht sogar die Demütigung, behandelt zu werden, als wäre sie Luft?

Es ist wohl doch keine so gute Idee, sagte sie sich, als der Bus vorfuhr und hielt. Es gab schließlich andere Wege, sich zu amüsieren. Sie könnte ihre teure Armbanduhr von der Pfandleihe abholen. Sie kletterte in den Bus, zeigte dem Fahrer ihre Monatskarte und setzte sich wie gewohnt auf einen Platz in der Mitte, wo sie weiter ihren Tagträumen nachhing.

Sie könnte einen Wagen mieten und nach Aurora fahren, um sich zu vergewissern, dass es ihrem Lieblingspferd bei seinem neuen Besitzer gut ging. Top Flight war schon immer schwer zu zügeln gewesen, einer der Gründe, weswegen Mallory ihn so liebte, und es würde sie erleichtern, zu wissen, dass er sich gut eingelebt hatte.

Sie könnte aber auch nach Breckenridge fahren, ein paar Tage Ski fahren und sich im „Pinnacle“, einem der besten, luxuriösesten Spas, verwöhnen lassen. Andererseits sollte sie besser vorher anrufen, da es nicht selten vorkam, dass sie schon vor Beginn der Saison völlig ausgebucht waren.

Doch bevor sie irgendetwas unternahm oder irgendwo hinfuhr, musste sie die längst fällige Rechnung für ihr Handy bezahlen – noch etwas, was sie sich jetzt leisten konnte. Es war unfassbar! Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit würde sie sich keine Sorgen zu machen brauchen, dass man ihr das Telefon abstellen würde, und ohne Telefon konnte sie weder auf Jobsuche gehen noch sich sicher fühlen.

Sie konnte sich jetzt sogar ein paar weniger lebenswichtige Anrufe gönnen. Zum Beispiel, um Gabriel wissen zu lassen, dass sie seine Hilfe weder brauchte noch wünschte. Oder noch besser – bei diesem Gedanken setzte sie sich abrupt auf, – sie konnte ihm das Geld zurückschicken, das Gabriel für den Schlosser ausgegeben hatte, der am Tag nach ihrer Begegnung Riegel an ihren Türen und Fenstern angebracht hatte.

Mallory wusste immer noch nicht so genau, was sie am meisten an Gabriels Geste ärgerte. Dass er ihren Stolz verletzt hatte, indem er ihr demonstrierte, wie er mit einem Fingerschnippen etwas erreichte, was sie sich so lange nicht hatte leisten können? Oder dass sie abends nicht mehr ins Bett gehen konnte, ohne an ihn zu denken, weil sie zum ersten Mal, seit sie hier wohnte, nicht mehr bei jedem kleinsten Geräusch aufwachte und Angst hatte? Dabei hatte jemand eine Nacht, nachdem der Schlosser bei ihr gewesen war, tatsächlich versucht, wenn auch erfolglos, ihre Tür aufzubrechen.

Mallory war ehrlich genug, sich zu fragen, ob die Aufregung, die sie erfasste, wenn sie an Gabriel dachte, vielleicht eine ganz andere Ursache hatte. Vielleicht fürchtete sie, dass die Tatsache, dass er ihr einen Schlosser geschickt hatte, eine Art Abschied bedeutet hatte? Konnte es denn sein, dass sie insgeheim Angst hatte, er hätte sie beim Wort genommen und wollte sich für immer von ihr fernhalten?

Ach was, tadelte sie sich und straffte die Schultern. Natürlich war sie überrascht, dass er nicht wiedergekommen war, um sie zu belästigen. Er schien nicht zu den Männern zu gehören, die schnell aufgaben. Und seine letzten Worte hatten eher angedeutet, dass er noch lange nicht fertig war mit ihr.

Was völlig verrückt war, denn sie hatten ja nie irgendetwas angefangen. Sie waren in gewisser Weise befreundet gewesen, und Mallory konnte nicht leugnen, dass es immer zwischen ihnen geknistert hatte, aber sie hatten beide beschlossen, sich nicht näherzukommen. Sie selbst hatte gute Gründe, ihn auf Abstand zu halten – es gab keinen Mann, der weniger für eine oberflächliche Affäre geeignet wäre als Gabriel –, aber warum er nichts mit ihr hatte zu tun haben wollen, wusste nur er allein.

Darüber hatte sie nie nachgedacht. Und du wirst auch nicht damit anfangen, wies sie sich streng zurecht. Viel zu viele Jahre hatte sie sich treiben lassen wie ein Blatt im Wasser, und war, um bei diesem Bild zu bleiben, träge um jedes Hindernis herumgesegelt. Damit war jetzt Schluss. Ob Gabriel es nun wollte oder nicht, von jetzt an sollte es von ihr allein abhängen, ob sie schwimmen lernen oder untergehen würde.

Und aus genau diesem Grund würde sie Cousin Ivans Geld auch für nichts so Dummes wie Designerschuhe, teure Friseure oder exklusive Ferienreisen verschwenden. Sie sah stirnrunzelnd aus dem Fenster auf eine Gegend, die mit jedem Straßenblock, den sie hinter sich brachte, düsterer und trostloser wurde. Zum ersten Mal, seit sie sich ohne einen mitfühlenden Menschen und ohne Zuhause vor dem Plaza wiedergefunden hatte, besaß sie ein Sicherheitspolster, das sie vor dem Leben auf der Straße bewahren konnte.

Mallory würde nicht so dumm sein, das aufs Spiel zu setzen. Auf keinen Fall. Sie würde das Nötigste davon bezahlen – die Handyrechnung, die überfällige Miete und einige dringend benötigte Lebensmittel –, und den Rest würde sie sparen. Sie würde jeden Penny zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgab.

Sie war sicher, dass es nicht für immer und ewig so bleiben würde. Die unerwartete Erbschaft konnte ein Zeichen sein, dass ihre Pechsträhne zu Ende war. Morgen würde sie die Zeitungen wieder nach einem Job durchforsten. Und wenn sie sich nur Mühe gab, würde sie bestimmt spätestens in einer Woche irgendjemandes Lieblingsangestellte sein.

Stripperin. Schwester in einem Altenheim. Fast-Food-Kellnerin.

Die großartigen Stationen meiner Karriereleiter, dachte Mallory niedergeschlagen, als sie eine Woche später ziemlich spät am Abend aus dem Bus stieg.

Sie wickelte sich fest in ihren Mantel, um sich gegen die Kälte zu schützen, die der Schnee gebracht hatte, der seit ungefähr einer Stunde fiel. Langsam ging sie in ihren viel zu dünnen Schuhen durch den zu Eis erstarrten Schneematsch und wünschte, sie hätte heute Morgen daran gedacht, Stiefel anzuziehen.

Aber da war das Wetter noch angenehm und sonnig gewesen, ganz im Einklang mit ihrer Laune, weil sie sich für sechs vielversprechende Stellenangebote bewerben wollte.

Jetzt waren zwölf Stunden vergangen, Mallory hatte acht Mal umsteigen müssen, war zwölf Blocks gelaufen und hatte danach eine kleine Ewigkeit warten und reden und lächeln und beten müssen und am Ende keinen einzigen dieser Jobs bekommen.

Ich bin kein Typ für Selbstmitleid, sagte sie sich und zuckte zusammen, als irgendwo eine Tür zugeknallt wurde und ein Mann einen wüsten Fluch ausstieß. Aber sie musste zugeben, dass ihre Unfähigkeit, einen guten Job zu bekommen, ihr das Gefühl vermittelte, völlig nutzlos zu sein. Der Gedanke, dass sie ohne die unverhoffte Erbschaft gefährlich nahe daran gewesen wäre, unter der Brücke zu schlafen, ging ihr nicht aus dem Kopf.

Ihre Füße waren eiskalt, und die ruhige, scheinbar menschenleere Straße weckte das kalte Grausen in ihr. Der Gedanke, dass sie noch eine Nacht völlig allein und bei Brot und Käse in ihrer zugigen Wohnung zubringen musste, ließ sie sich noch schlechter fühlen, aber …

„Sieh mal einer an. Wen haben wir denn hier Schönes?“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als eine hochgewachsene Gestalt aus einem dunklen Hauseingang trat und sich ihr in den Weg stellte. Mallory blieb abrupt stehen, das Herz schlug ihr bis zum Hals vor Entsetzen.

Die Zeit schien stehen zu bleiben, während Mallory tausend Gedanken gleichzeitg durch den Kopf gingen. Lauf! Oh mein Gott, ich werde sterben. Klingt diese Stimme nicht irgendwie vertraut?

Dann kam der Mann einen Schritt näher, und das schwache Licht der schneebedeckten Straßenlaterne an der Ecke fiel auf sein Gesicht.

„Hast du den Verstand verloren?“ Mallory schnappte mühsam nach Luft, sie überlegte nicht, sondern reagierte einfach, stürzte sich auf Gabriel und schlug auf seine breite Brust ein, die sich völlig ruhig hob und senkte, als wäre nichts geschehen. „Was für ein gemeiner, hinterhältiger, dreckiger Trick! Du hast mich zu Tode erschreckt!“

„Gut.“ Er packte ihre Handgelenke. „Du sollst auch Angst haben, verdammt noch mal!“ Selbst im spärlichen Licht der Straßenlaterne war sein grimmiger Gesichtsausdruck nicht zu übersehen. „Was, zum Teufel, machst du um diese Zeit auf dieser Straße?“

„Oh, lass mich mal überlegen. Ach, ich glaube, ich weiß wieder. Ich wohne hier!“

„Dann habe ich eine Neuigkeit für dich“, fuhr er sie heftig an und zog sie mühelos dicht an sich, als sie sich zu befreien versuchte. „Du wirst bald nirgendwo mehr wohnen, wenn du weiterhin so dumm bist, im Dunkeln durch die Gegend zu laufen und dazu noch den Kopf hängen zu lassen wie ein verängstigtes kleines Mäuschen. Du liebe Güte, Mallory! Besitzt du nicht genügend Verstand, um zu wissen, dass man in einer Gegend wie dieser hier keine Schwäche zeigen darf, weil das wie eine Einladung für alle Kerle ist, dich zu überfallen oder Schlimmeres?“

„Schlimmeres? Wie zum Beispiel einen neunmalklugen Amateur-Stalker abwehren zu müssen?“

Er war ihr plötzlich so nahe, dass sie seinen warmen Atem auf der kalten Haut spüren konnte. „Glaub mir, meine Kleine: Wenn ich den Stalker spielen wollte, wäre nichts daran amateurhaft.“

Vielleicht gefiel ihr die Atmosphäre der Gefahr, die seine Worte heraufbeschworen, vielleicht war es aber auch sein sinnlicher Mund, der sie wohlig erschauern ließ. Plötzlich war ihre Wut vergessen. Mallory spürte nur noch Gabriels Nähe, die Wärme seines Körpers und seine Stärke, gegen die sie völlig hilflos war.

Sie schluckte mühsam. Und sosehr sie auch versuchte, ihre seltsame Reaktion auf den erlittenen Schock zu schieben, nichts konnte erklären, warum sie sich auf einmal nichts sehnlicher wünschte, als sich an Gabriel zu schmiegen und sich ihm auszuliefern.

„Verdammt, du zitterst ja.“ Er gab sie abrupt frei, und Mallory atmete erleichtert auf, aber dann zog er auch schon seinen Mantel aus und legte ihn ihr um die Schultern. „Komm.“ Seine Stimme klang genauso hart, wie es der Griff seiner Hand um ihre Taille war. „Du musst aus der Kälte raus.“

Mallory dachte an ihre Wohnung, und die Vorstellung, dort mit ihm eingesperrt zu sein, erschreckte sie. „Es geht mir gut. Wirklich. Und du kannst aufhören, den Besorgten zu spielen, weil ich dich auf keinen Fall hereinbitten werde.“

„Kein Problem. Mein Wagen steht hier.“

„Was?“ Sie versuchte, sich zu wehren, während er die Tür seines großen schwarzen Jeeps aufschloss, musste aber feststellen, dass sie keine Chance hatte. „Hör auf, Gabriel. Ich kann zwar dein verzweifeltes Bedürfnis verstehen, mich zu betatschen …“, sagte sie und versuchte, etwas von ihrer früheren Schnodderigkeit in ihre Stimme zu legen, „aber es war wirklich ein sehr anstrengender Tag für mich, und …“

„Wir müssen reden.“ Er öffnete die Tür und legte beide Hände auf das Dach, sodass Mallory dazwischen gefangen war. „Also gehen wir entweder ins Haus, wo wir beide ganz allein sein werden, oder du steigst jetzt ein, und wir fahren zu einem netten Restaurant, wo du den Schutz der Öffentlichkeit genießen kannst. Es ist deine Entscheidung.“

Sie hätte am liebsten weder das eine noch das andere gewählt, aber das wusste er natürlich. Leider würde er kaum freiwillig gehen und sie in Ruhe lassen. „Na schön. Wir fahren zum Restaurant.“ Obwohl sie ihn finster ansah, erlaubte sie ihm, ihr in den Wagen zu helfen. „Ich hoffe nur, es dauert nicht lange.“

Er erwiderte nichts darauf, sondern schloss einfach die Tür und setzte sich hinter das Steuer.

Fünf Meilen und eine kleine Ewigkeit später saßen sie sich in einem gemütlichen kleinen Lokal an einem Tisch gegenüber. Herrliche Düfte durchzogen den kleinen Raum.

„Hast du Hunger?“, fragte er, als die Kellnerin mit ihrem Notizblock zu ihnen kam.

Mallory zuckte die Achseln und ignorierte das leise Knurren ihres Magens. „Nicht wirklich.“ Ein Abendessen im Restaurant konnte sie sich nicht leisten, und die zwanzig Dollar in ihrem Portemonnaie mussten noch bis zum Ende der Woche reichen.

Gabriel betrachtete sie einen Moment nachdenklich und wandte sich dann an die Kellnerin. „Zwei Kaffees, das Hähnchensteak für mich und einen Chefsalat für die Dame.“ Er achtete nicht auf Mallorys empörten Gesichtsausdruck. „Ich lade dich ein“, sagte er ruhig. „Was für ein Dressing willst du haben?“ Als sie ihn weiterhin nur anstarrte, zuckte er die Achseln. „Thousand Island“, sagte er zu der verwirrten Bedienung.

„Nein, Vinaigrette“, warf Mallory ein. Wenn sie schon essen sollte, dann wenigstens etwas, das ihr auch schmeckte. „Außerdem hätte ich lieber Tee. Und bringen Sie zwei getrennte Rechnungen.“ Sie würde während ihrer Jobsuche in den nächsten Tagen eben auf das Mittagessen verzichten müssen.

Die Kellnerin, eine pummelige Frau mit freundlichem Gesicht und etwa vierzig Jahre alt, unterdrückte klugerweise jeglichen Kommentar. Sie brachte ihnen ihre Getränke und kümmerte sich dann um die anderen Gäste.

Mallory ließ ihren Tee lange ziehen und legte dann die Hände um die Tasse und nippte vorsichtig in der Hoffnung, der plötzlichen Müdigkeit, die sie überfiel, entgegenwirken zu können.

Gabriel sah sie auf seine für Mallorys Geschmack viel zu scharfsinnige Art an. „Geht es dir gut?“

Sie setzte sich etwas gerader hin. „Du meinst, obwohl man mich sozusagen gekidnappt hat?“

„Ja, genau.“

„Mir geht es wunderbar.“

„Du hast gesagt, es war ein anstrengender Tag. Wo bist du denn gewesen?“

Sie war vielleicht müde, aber sie war noch nicht tot, und sie würde ganz bestimmt nicht ihr Versagen bei der Jobsuche mit Gabriel diskutieren. „Wo denn wohl? Ich habe mich mit Raoul getroffen, meinem heimlichen Liebhaber.“

„Aha.“ Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Er muss ein toller Kerl sein, wenn er dich mit dem Bus nach Hause fahren lässt.“

Sie zuckte die Achseln. „Was soll ich dazu sagen? Er ist Franzose.“

„Mein herzliches Beileid.“ Seine Stimme klang völlig ernst, aber in seinen grünen Augen blitzte plötzlich ein Anflug von Humor auf.

Das kam wirklich völlig unerwartet. Und gefährlich anziehend. Das sieht ihm ähnlich, dachte Mallory gereizt und betrachtete sein attraktives Gesicht – die hohen Wangenknochen, die breiten Augenbrauen und den sinnlichen Mund, der jeder Frau den Kopf verdrehen könnte. Aber es waren vor allem seine Selbstsicherheit, seine Zielstrebigkeit und seine Intelligenz, die Mallory beeindruckten.

Seine Anziehungskraft brachte sie richtiggehend aus dem Gleichgewicht. Natürlich hatte es nichts zu bedeuten. Mallory erlebte nur wieder die Erregung, die sie immer erfasste, wenn er in ihrer Nähe war.

Und wenn es doch mehr war als das? Wenn sie in diesem magischen Moment auf unerklärliche Weise mit ihm verbunden war?

Ach, das ist bloße Einbildung, wies sie sich ungeduldig zurecht. Solche Gedanken konnte sie sich nicht leisten. Sie hob die Tasse an den Mund, um einen Vorwand zu haben, den Blick von Gabriel abzuwenden. „Warum hast du mir heute überhaupt aufgelauert?“

Er blieb einen Moment still. „Ich wollte dir das hier geben.“ Er holte seine Brieftasche heraus und legte zwei Hunderter und drei Zwanziger auf den Tisch, die genaue Summe, die Mallory ihm für die Bezahlung des Schlossers geschickt hatte.

„Dann hättest du dir eine Reise sparen können“, sagte sie und machte keine Anstalten, das Geld zu nehmen. „Danke für das Angebot, aber da ich kürzlich in den Genuss einer unerwarteten Erbschaft gekommen bin, kann ich es mir leisten …“

„Nein.“ Er presste sekundenlang verärgert die Lippen zusammen, dann entspannte er sich wieder. „Ich nehme dein Geld nicht an, Mallory. Weder für das Abendessen, zu dem ich dich im Grunde gezwungen habe, noch für einen Auftrag, über den du keine Kontrolle hattest.“ Er griff nach ihrer Handtasche, und bevor sie ihn aufhalten konnte, steckte er die Geldscheine hinein.

„Das stimmt nicht“, sagte Mallory sofort und überlegte, dass sie das Geld nachher einfach in seinem Auto liegen lassen konnte, wenn er sich weigerte, Vernunft anzunehmen. „Ich hätte mich weigern können, den Schlosser hereinzulassen.“

„Ja, das stimmt, aber es hätte nichts geändert. Und ich glaube, Sonny hat dir gesagt, dass er seinen Auftrag ausführen muss.“

„Er sagte, dass du dafür sorgen würdest, dass man ihn entlässt, wenn ich ihm nicht erlaubte, die Schlösser anzubringen.“

„Ach?“ Gabriel nickte langsam. „Nun ja, siehst du?“

Etwas an seiner Stimme ließ Mallory stutzen. „Das stimmte gar nicht?“

„Sagen wir mal so. Es wäre schwierig gewesen, das zu tun, da Sonny selbst der Chef ist.“

„Das kann nicht wahr sein! Ihr beide habt mich reingelegt. Macht es dir eigentlich nichts aus, dass ich geglaubt habe, du könntest so skrupellos sein?“

„Nein, weil du so wenigstens zugelassen hast, dass er deine Wohnung etwas sicherer macht.“

Die ungezwungene Antwort nahm ihr den Atem. Sie hätte eigentlich böse sein müssen wegen seiner frechen Anmaßung und hinterhältigen Einmischung. Aber stattdessen verblüffte sie die Vorstellung, dass er sich tatsächlich Sorgen um sie gemacht hatte. Ihr eigener Vater hatte es jedenfalls nicht.

Genau. Der Gedanke gab ihr die Kraft, sich zu fangen. Statt Herzklopfen zu bekommen und Tränen der Rührung zu vergießen, wäre jetzt vielleicht der richtige Augenblick, dich daran zu erinnern, dass du – was Gabriel auch tun mag – immer noch lernen musst, allein auf dich aufzupassen.

Gabriel deutete ihr Schweigen falsch und hob eine Hand. „Um einem Missverständnis vorzubeugen – da du immer davon auszugehen scheinst, dass ich bei allem einen Hintergedanken habe – ich sage das nicht, um dich ins Bett zu kriegen.“ Seine Augen leuchteten wieder, aber dieses Mal nicht vor Belustigung. „Jedenfalls heute noch nicht.“

Mallory versuchte, das Verlangen in ihrem Innern zu ignorieren, das seine Drohung in ihr erweckte – oder war es ein Versprechen? Bevor sie etwas sagen konnte, erschien die Kellnerin mit ihrer Bestellung.

Es duftete wundervoll, und ein wenig erschrocken entdeckte Mallory drei Dinge auf einmal.

Man konnte sie ruhig einen Schwächling nennen, aber für heute hatte sie schon genug Verantwortungsbewusstsein gezeigt. Es war wirklich harte Arbeit, erwachsen zu sein, und die Sorgen um jeden Penny, die erfolglose Suche nach einem Job und das Grübeln über jedes Wort, das aus Gabriels Mund kam, hatten sie völlig erschöpft. Die Welt würde schon nicht aufhören, sich zu drehen, wenn Mallory sich eine kleine Pause gönnte und sich eine mickrige halbe Stunde einfach nur gut unterhielt.

Und es würde wohl auch nichts Schlimmes passieren, wenn sie dieses eine Mal Gabriel gewinnen und ihn für das Abendessen bezahlen ließ.

Und die dritte Erkenntnis war, dass sie sehr viel hungriger war, als sie gedacht hatte.

Also war es nur angemessen, dass sie den Salat von sich schob, Gabriels Teller begutachtete und ihn einfach beschlagnahmte. „Ich nehme das hier, vielen Dank.“

Die Kellnerin zuckte nicht mit der Wimper. „Das will ich meinen, meine Liebe“, sagte sie nur und ging.

Mallory schob sich eine Gabel Kartoffelpüree in den Mund und hätte fast gestöhnt vor Zufriedenheit. „Das schmeckt fantastisch.“ Sie nahm noch einen Bissen, bevor sie die Augen öffnete, um zu sehen, wie Gabriel den Diebstahl seines Essens hinnahm.

Zu ihrer Überraschung betrachtete er sie mit einem äußerst seltsamen Blick. Aber im nächsten Moment erschien schon ein kleines Lächeln in Gabriels Mundwinkeln. „Freut mich, dass es dir gefällt“, meinte er trocken und griff nach dem Salatdressing.

Danach sprach eine ganze Weile keiner von beiden ein Wort, während sie einvernehmlich aßen.

4. KAPITEL

„Wow.“ Mallory hielt die Füße in den warmen Luftstrom des Gebläses der Klimaanlage in Gabriels Jeep und seufzte zufrieden. „Das zweite Stück Kuchen war vielleicht doch ein Fehler. Ich komme mir vor wie eine Boa constrictor, die gerade eine Ziege verschluckt hat.“

Gabriel nahm den Blick von der Straße, um Mallory anzusehen. Sie hatte die Augen geschlossen, das glänzende Haar fiel ihr weich bis auf die Schultern und ihr zartes Profil zeichnete sich klar vor dem Nachthimmel ab.

Sie sah überhaupt nicht mehr aus wie das kleine Biest, das ihm sein Abendessen stibitzt hatte und es mit sichtlichem Vergnügen verschlungen hatte. Nein, jetzt machte sie eher den Eindruck einer eleganten jungen Aristokratin, die sich einen Abend lang von den Intrigen im Palast erholte. Oder – und sein Blick ging dabei unwillkürlich zu ihrem Mund – wie eine exklusive teure Kurtisane aus einem historischen Film, die eine Weile vor ihren betuchten Verehrern geflohen war.

Das Verlangen, das ihn schon den ganzen Abend lang beharrlich verfolgt hatte, hatte ihn jetzt endgültig überwältigt und hielt ihn in den Klauen. Gabriel wünschte sich nichts sehnlicher, als Mallory zu berühren. Er wollte ihre Wangen streicheln, ihre weichen sinnlichen Lippen kosten und das Gesicht in ihre Locken schmiegen.

Aber alles das konnte sehr wohl so ausgelegt werden, als wollte er sie möglichst schnell in sein Bett bekommen, und er hatte schließlich in seiner unendlichen Weisheit versprochen, dass heute Abend nichts dergleichen infrage käme.

Er atmete tief durch und richtete den Blick wieder auf die Straße. Ein ironisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Es hatte auch in der Vergangenheit unzählige Gelegenheiten für ihn gegeben, sich an Mallory heranzumachen. Und doch hatte er sich immer dagegen entschieden, und das aus Gründen, die genauso verschieden wie zahlreich waren.

Er war sehr mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen – und sie damit, mit anderen Männern zu flirten. Er hatte jüngere Brüder, um die er sich kümmern musste, eine Firma und einen Berg von Verantwortung, und sie hatte nichts dergleichen. Gabriel zog es vor, dass seine sexuellen Beziehungen unkompliziert und unverbindlich blieben, und es gab nichts Unkompliziertes an Mallory. Weder damals noch jetzt.

„Gabriel?“ Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Wie aufs Stichwort hatte ihre Stimmung sich plötzlich verändert. Mallory klang ernst. Der leichtfertige Ton von vorhin war verschwunden.

„Was?“

„Warum bist du heute zu mir gekommen? Ich meine, wirklich.“

„Habe ich dir doch gesagt. Der Scheck …“

„Nein“, unterbrach sie ihn fest, drehte sich halb zu ihm um, um ihn besser sehen zu können, und zog ein Bein auf den Sitz. „Wenn das deine einzige Absicht gewesen wäre, hättest du mir den Scheck einfach zuschicken oder mich anrufen können, um mir zu sagen, dass du ihn zerrissen hast. Du hättest nicht persönlich zu kommen brauchen.“

„Okay.“ Er neigte leicht den Kopf. „Du hast mich durchschaut. Ich wollte sichergehen, dass du okay bist. Ich habe dir schon gesagt, dass du nicht in diese Gegend gehörst, und vorhin hast du bewiesen, dass ich recht hatte.“

Sie ignorierte seine letzte Bemerkung. „Na schön. Aber warum ist es dir so wichtig? Warum ausgerechnet jetzt, nachdem ich schon seit Monaten hier wohne?“

„Das ist nicht schwer zu kapieren, Mallory. Bis wir uns letzte Woche über den Weg liefen, wusste ich nicht, dass du Hilfe brauchst. Jetzt weiß ich es.“

„Und du fühlst dich verpflichtet, mir zu helfen?“

„So würde ich es vielleicht nicht ausdrücken, aber im Großen und Ganzen, ja.“

Sie zögerte einen Moment, dann fragte sie leise: „Ist es wegen meines Vaters? Fühlst du dich schuldig, weil du ihn hast auffliegen lassen?“

Er war kurz versucht, die Frage zu umgehen, weil er sich vorstellen konnte, dass Mallory ihren Vater immer noch verteidigte. Aber in diesem Fall schuldete er ihr die Wahrheit. „Nein, bestimmt nicht“, sagte er fest. „Du hörst es vielleicht nicht gern, aber meiner Meinung nach gehört dein Vater ins Gefängnis, und nicht auf eine exotische Insel, wo er auf Kosten anderer Leute auf großem Fuß lebt und sich die Sonne auf den Pelz scheinen lässt.“

„Oh.“

Da er auf sehr viel heftigeren Protest gefasst gewesen war, kam ihre knappe Antwort völlig unerwartet. Gabriel fand, dass es besser wäre, die Situation sofort zu klären. Also fuhr er an den Straßenrand vor ihrem Wohnhaus, stellte den Motor aus und drehte sich zu ihr um. „Was soll das heißen, Mallory? Oh, ich bin tatsächlich der kaltschnäuzige Mistkerl, für den du mich gehalten hast?“

Sie lächelte leicht. „Nein, wohl eher: Oh, ich begreife immer noch nichts. Denn wenn du nicht wegen meines Vaters gekommen bist und auch keinen Sex willst, was ist dann dein Motiv, Gabriel? Warum ist es dir so wichtig, was mit mir geschieht?“

„Warum nicht? Wir sind schließlich Freunde, oder zumindest waren wir es …“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Vielleicht kenne ich mich auf dem Gebiet nicht so gut aus“, fügte sie hinzu, „aber selbst ich weiß, dass Freunde Zeit zusammen verbringen, miteinander reden, alles über die Träume und Eigenarten des anderen wissen, manchmal sogar einige seiner Geheimnisse kennen. Während du und ich eher Bekannte waren, die vielleicht insgeheim wild aufeinander waren, aber nie etwas getan haben, um sich näherzukommen.“

Es hätte ihn eigentlich freuen müssen, dass sie das gleiche Verlangen empfand wie er. Die nüchterne Art, mit der sie jede engere Beziehung zu ihm leugnete, versetzte diesem Gefühl allerdings einen gehörigen Dämpfer. „Es ist mehr als das. Aber was ich sagen wollte, ist, dass dein Vater das Schlimmste verdient, was das Rechtssystem unseres Landes ihm aufbürden kann, aber dass du … du warst bei all dem nur ein unschuldiges Opfer. Und trotzdem hast du sozusagen die Prügel für ihn einstecken müssen, und wie man es auch bezeichnen will – als Justizirrtum oder einen unglaublichen Fehler –, es hätte nie passieren dürfen.“

„Du meinst, was mit mir geschehen ist, kann man als eine Art unerwünschte Nebenwirkung deiner gelungenen Operation bezeichnen?

Wenn er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, seine nächsten Worte zu überlegen, wäre ihm der Ton in ihrer Stimme vielleicht eine Warnung gewesen.“

„Sicher könnte man es so nennen, aber die Bezeichnung ist nicht wichtig. Was zählt, ist, dass es unannehmbar ist. Du hättest nicht alles verlieren dürfen, während dein Vater sorglos in Saus und Braus lebt.“

„Und du bist hier, um diesen Schaden wiedergutzumachen?“

„Ja.“ Er fügte hastig hinzu: „Wenn du es mir erlaubst.“

„Ich verstehe. Nun, hier ist meine Antwort.“ Sie sah ihn mit einer so offenen Wut an, dass nur ein Blinder sie nicht bemerkt hätte. „Geh zum Teufel.“

Sie griff nach ihrer Tasche, stieß die Tür auf und war auf dem Bürgersteig, fast bevor Gabriel reagieren konnte.

Aber nur fast. „Den Gefallen kann ich dir leider nicht tun.“ Er war so schnell aus dem Wagen und bei ihr, dass Mallory nur einige wenige Schritte gemacht hatte, als er sie auch schon einholte.

„Wo liegt eigentlich dein Problem?“, verlangte er zu wissen, packte sie am Ellbogen und riss sie zu sich herum.

„Du bist mein Problem!“, fuhr sie ihn an. „Du arroganter selbstzufriedener Blödmann!“ Sie entriss ihm wütend ihren Arm. „Wie konntest du auch nur eine Sekunde lang glauben, ich könnte damit einverstanden sein, eins deiner Projekte zu sein?“

„Was?“

„Du bist entweder taub oder so sehr mit dir beschäftigt, dass nichts deine unglaublich dicke Elefantenhaut durchdringen kann. Also lass es mich dir langsam zum Mitschreiben sagen: Ich will dein Mitleid nicht, verstehst du? Und ich bin auch nicht das Symbol für irgendein Unrecht, das du glaubst wiedergutmachen zu müssen!“

„Das glaubst du also.“ Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal so völlig die Fassung verloren hätte, aber er spürte, wie er langsam darauf zusteuerte. Und das ärgerte ihn sehr. Er war Herr über seine Gefühle, nicht umgekehrt, verdammt noch mal.

„Ja!“ Sie wollte sich abwenden, überlegte es sich aber anders. „Und damit keine Missverständnisse bleiben …“ Sie öffnete ihre Handtasche und wühlte darin herum. „Dein blödes Geld brauch ich auch nicht!“ Sie knüllte die Scheine zusammen und warf sie ihm zu.

Er überlegte nicht, er reagierte einfach nur. Dazu ausgebildet, jeden Angriff abzuwehren, fing er das Geld in der Luft und legte im gleichen Moment einen Arm um Mallory und riss sie an sich.

Was ein sehr großer Fehler war. Das sagte Gabriel seine innere Stimme, sobald er Mallorys weichen verführerischen Körper an seinem spürte. Gabriel sog tief die Luft ein, aber auch das war ein Fehler, weil jetzt ihr unverwechselbarer zarter Duft sein Verlangen weckte.

Seine Wut verwandelte sich von einem Moment zum nächsten in etwas sehr viel Heißeres. Er ließ das Geld los, legte die Hand stattdessen auf Mallorys glänzendes Haar, zog ihren Kopf leicht nach hinten und küsste sie hart auf den Mund.

Falls sie sich wehrte, dann nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann seufzte Mallory leise, und der Laut ging Gabriel durch und durch. Sie schmiegte sich dichter an ihn, legte ihm die Arme um den Nacken und erwiderte seinen Kuss voller Verlangen.

Himmel, was waren das für wundervolle Lippen! Wie oft hatte er sich in all den Jahren gefragt, wie sie sich wohl anfühlen, wie sie schmecken mochten? Jetzt wusste er es. Und er, der so stolz darauf war, niemals die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren, erkannte sich selbst nicht wieder.

Er vergaß alles andere, er wollte nur Mallory küssen, sie mit Haut und Haaren besitzen.

Und berühren. Die vielen Lagen Stoff zwischen ihnen behinderten ihn, und so musste er sich damit begnügen, ihr über die Wange und den Hals zu streichen. Ihre Haut war glatt wie Seide, und Gabriel atmete schneller, als er sich Mallory unwillkürlich nackt vorstellte. Er war sicher, dass sie sich überall so wundervoll anfühlen würde.

Behutsam nahm er ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Mallory erschauerte und berührte mit der Zungenspitze seine Operlippe. Gabriel stöhnte auf. Er legte den Arm um ihre Hüfte und hob sie hoch. Mallory seufzte wieder leise und schmiegte sich an ihn.

Mehr Ermutigung war nicht nötig. Gabriel vertiefte den Kuss, und sie erwiderte ihn mit der gleichen Leidenschaft. Begierde durchflutete ihn, und der Kuss wurde immer leidenschaftlicher. Gabriels Wunsch, sie zu nehmen, wurde fast verzweifelt und insgeheim rechnete er schon die Schritte aus, die er brauchte, um mit ihr auf dem Rücksitz des Jeeps landen zu können.

Doch während er sich noch vorstellte, wie er Mallory auszog, hörte er irgendwo in der Straße das Geräusch einer sich öffnenden Tür, und der Beschützer in ihm erwachte. Stimmengewirr folgte. Junge Männer lachten und kamen langsam immer näher.

Als ehemaliger Offizier kannte er sich mit jungen Männern, deren Hormone verrückt spielten, gut aus. Außerdem musste er davon ausgehen, dass es sich bei diesen Typen sehr wahrscheinlich eher um Gangmitglieder als um Pfadfinder handelte.

Was, zum Teufel, machte er also hier? Seit wann hatte er sich so wenig in der Gewalt, dass er völlig vergaß, wo er war, und versuchte, ausgerechnet in einer dunklen Seitengasse dieser üblen Gegend eine Frau zu verführen? Noch vor einer Woche wäre ihm so etwas niemals passiert.

Das war natürlich keine Entschuldigung für sein Verhalten, denn seine Verantwortungslosigkeit brachte Mallory in Gefahr.

Hastig hob er den Kopf und stellte Mallory wieder auf die Beine. „Mallory“, sagte er mit rauer Stimme.

„Hm?“ Sie sah ihn mit verträumtem Blick an.

Er stützte sie, weil sie leicht schwankte. „Komm mit mir nach Hause.“

„Was?“ Obwohl ihre Stimme weich klang und ein wenig heiser, begann sie allmählich aus ihrer Benommenheit zu erwachen.

„Es ist spät, es ist kalt, und es ist nicht richtig, dass du hier allein lebst.“ Er ignorierte die innere Stimme, die ihm riet, jetzt einfach nur den Mund zu halten, sich Mallory über die Schulter zu werfen und sie mitzunehmen, ob sie wollte oder nicht. „Komm mit mir“, wiederholte er. „Morgen früh können wir dann über alles reden.“

„Ich …“ Sie machte hastig einen Schritt nach hinten. „Nein. Ich …“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und Gabriel unterdrückte nur mühsam ein Stöhnen. „Oh mein Gott. Ich kann nicht glauben, was ich gerade getan habe. Dass ich dir erlaubt habe …“ Sie brachte einen erstickten Laut hervor und wich noch einen Schritt zurück, wobei sie fast über ihre Handtasche gestolpert wäre, die ihr im Eifer des Gefechts aus der Hand gefallen sein musste.

Gabriel streckte die Hand aus, um Mallory zu stützen, aber sie entwand sich ihm. „Nicht“, sagte sie mit scharfer Stimme, hob die Tasche auf und hielt sie sich wie einen Schild vor die Brust. „Ich … muss gehen.“

Sie drehte sich auf dem Absatz um und floh regelrecht zu dem Haus, in dem sie wohnte, riss die Eingangstür mit ihrem dürftigen Schloss auf und verschwand im Inneren. Gabriel blieb regungslos auf dem Gehsteig stehen.

Er wartete, bis in ihrer Wohnung das Licht anging und die kleine Gruppe von Jugendlichen schließlich an ihm vorbeischlenderte. Sie schubsten sich und warfen sich scherzhaft Schimpfwörter zu, machten aber einen weiten Bogen um Gabriel. Instinktiv mussten sie erfasst zu haben, dass es eine ausgenommen schlechte Idee wäre, sich mit ihm anzulegen.

Erst als die Jungen um die Ecke verschwanden und die Straße wieder still wurde, drehte Gabriel sich um und ging auf seinen Wagen zu. Er war schon fast angekommen, da erregte etwas, das auf dem Boden lag seine Aufmerksamkeit. Er bückte sich, um es aufzuheben, und sah, dass es das Geld war, das Mallory nach ihm geworfen hatte. In ihrer Wut hatte sie nicht gemerkt, dass es nur die Hälfte von dem war, was er ihr gegeben hatte. Er lächelte schwach. Wahrscheinlich konnte er von Glück sagen, dass sie nicht die ganze Handtasche nach ihm geworfen hatte.

Sein Lächeln vertiefte sich, als er an den benommenen Blick dachte, mit dem sie ihn nach dem Kuss angesehen hatte. Was sie auch sagen mochte, sie begehrte ihn.

Genauso wie er sie. Vielleicht nicht für immer, dachte er, während er die Scheine in die Jackentasche steckte. „Für immer“ war schließlich eine ziemlich lange Zeit, und nachdem er sich in den letzten zwanzig Jahren ausschließlich um das Wohlergehen seiner Brüder gekümmert hatte, hatte er nicht vor, irgendeiner Frau mehr als eine kurze Spanne seiner kostbaren Zeit zu versprechen.

Aber das hieß nicht, dass er auf etwas verzichten würde, was er unbedingt haben wollte.

5. KAPITEL

„Lass mal sehen …“ Mit einem aufgesetzten Lächeln auf den makellos geschminkten Lippen wandte Nikki Victor-Volpe den Blick von Mallory ab und betrachtete ihre perfekt manikürten Fingernägel. „Wie lange hast du noch mal für ‚Bedazzled‘ gearbeitet?“

„Neun Jahre“, antwortete Mallory ruhig, obwohl Nikki die Antwort sehr wohl kannte. Beide hatten sich im ersten Jahr auf der exklusiven Privatschule, die sie besucht hatten, freiwillig dazu gemeldet, weil ein Praktikum bei einer öffentlichen Einrichtung Voraussetzung für ihren Abschluss gewesen war.

Aber selbst wenn Nikki einen vorübergehenden Aussetzer gehabt hätte, was Mallory nicht völlig ausschließen konnte, so stand die Information auch in den ausführlichen Bewerbungspapieren, die sie ausgefüllt hatte und die jetzt auf Nikkis Schoß lagen.

Mallory sagte sich, dass es nicht wichtig war, ob sie hier gezwungen wurde, nach Nikkis Pfeife zu tanzen, denn dazu brauchte sie den Job zu sehr. Der einmal im Jahr stattfindende Bedazzled-Ball gehörte zu den wichtigsten Wohltätigkeitsveranstaltungen in Denver und war ein gesellschaftlicher Höhepunkt, aber genau genommen, ging es nicht nur um eine einzelne Veranstaltung, sondern um verschiedene Events, die alle unter dem Namen „Bedazzled“ liefen. Es handelte sich um ein Mammutprojekt, das eine aufwendige Vorbereitung erforderte und jedes Jahr eine Riesensumme für einen guten Zweck einbrachte.

Die meiste Arbeit wurde von ehrenamtlichen Mitarbeitern erledigt, aber die verantwortliche Event-Managerin wurde bezahlt. Und obwohl es bis auf den Monat unmittelbar vor dem Ereignis eher ein Halbtagsjob war, bekam die Event-Managerin die ganze Zeit über ein ansehnliches Gehalt.

Jetzt waren es nur noch sechs Wochen bis zu dem großen Ereignis, und der Posten stand plötzlich wieder zur Verfügung. An sich war das schon ungewöhnlich, aber dass das Komitee an Mallory als Ersatz gedacht und dann Nikki beauftragt hatte, sich mit ihr in Verbindung zu setzen und zu fragen, ob sie Interesse hätte, war schon mehr als ein kleines Wunder.

Und Mallory würde ihr Bestes tun, um aus diesem Wunder Nutzen zu ziehen. Deswegen hatte sie gestern auch Stunden in der öffentlichen Bücherei verbracht und alles über den Wohltätigkeitsverein gelesen, was sie finden konnte. Deswegen hatte sie sich heute Morgen sechs Mal umgezogen, bevor sie mit ihrem Outfit zufrieden gewesen und vierzig Minuten zu früh zu ihrem Vorstellungsgespräch im Büro des Vereins erschienen war.

Denn sie wollte diesen Job nicht nur haben, sie musste ihn bekommen. Aus dem offensichtlichen Grund, dass sie verzweifelt Geld brauchte, aber auch, weil der Job sie mit der nötigen Erfahrung ausstatten würde, die sie für ihren Lebenslauf brauchte – es wäre eine Beschäftigung, die tatsächlich bedeutungsvoll war und ihr Möglichkeiten für die Zukunft eröffnen würde.

Ein weiterer Vorteil würde sicher sein, dass sie so hoffentlich vergessen konnte, wie schnell sie sich in eine sexhungrige Nymphomanin verwandelt hatte, kaum dass Gabriel sie mit seinen verführerischen, aufregenden, Herzklopfen verursachenden Lippen geküsst hatte.

Ihr wurde plötzlich ganz heiß, obwohl es im Konferenzraum, in dem Nikki und sie saßen, eher kühl war. Mallory brauchte nicht einmal die Augen zu schließen, um wieder seine Hand auf ihrem Haar zu spüren, die warmen rauen Finger auf ihrem Hals, seine Zunge, die mit ihrer spielte, und vor allem seine Muskeln, als er sie an sich presste …

Nein, nein, nein. Sie durfte nicht mehr daran denken. Nicht hier, nicht jetzt, nie wieder. Es war schon schlimm genug, dass sie außerstande zu sein schien, diese sinnlichen Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Aber was sagte es über ihren Charakter aus, dass sie sogar bei einem so wichtigen Gespräch wie diesem an Gabriel denken musste?

Vielleicht, dass du all die Jahre recht hattest, dich vor deinen Gefühlen für diesen Mann zu fürchten? Weil du jetzt weißt, was du vorher nur vermutet hast – dass eine Berührung, ein Kuss, eine Umarmung von ihm nie genug sein werden?

Nein, auf keinen Fall. Mallory straffte unbewusst die Schultern und tat ihr Bestes, jeden Gedanken an Gabriels überwältigende Anziehungskraft zu verdrängen. Außerdem sagte sie sich, dass die letzte stürmische Begegnung mit ihm ihr nur deshalb im Kopf herumspukte, weil sie sich während einer schwierigen Phase ihres Lebens ereignet hatte. Sie war völlig erschöpft gewesen von einem langen Tag, und nach dem Essen war sie entspannt und müde gewesen. Und dann hatte Gabriel sie mit ein paar lässig hingeworfenen Sätzen zu einer Art Almosenempfänger erniedrigt und versucht, ihren sowieso schon schwer mitgenommenen Stolz völlig zu brechen.

Kein Wunder, dass sie wütend geworden war oder dass sich bei seinem Kuss ihre Angst, Enttäuschung und Einsamkeit entladen und in eine seltsame Mischung von Verlangen und Lust verwandelt hatten, die sie mitgerissen hatte.

Es war besonders demütigend gewesen, dass es Gabriel war, der den Kuss abgebrochen hatte, und dass er dazu gezwungen gewesen war, sie praktisch mit Gewalt von sich zu schieben.

Aber was machte es schon aus? Sie hatte Schlimmeres durchgestanden. Hatte ihre Mutter sie nicht verlassen, als Mallory gerade neun war, um mit einem Mann, der keine Kinder haben wollte, ein neues Leben zu beginnen? Und ihr geliebter Vater hatte getan, was er getan hatte, ohne einen Gedanken an das Glück seiner Tochter zu verschwenden oder daran, was aus ihr werden würde, wenn er fort war.

Aber Gabriel ist nicht so. Er macht sich Gedanken um dich. Und deswegen ist er auch zu dir gekommen und hat versucht, deine Wohnung sicherer zu machen, und bietet dir weiterhin Hilfe an. Und was dich daran stört, ist doch wohl vor allem, dass er es tut, weil er es für moralisch richtig hält, und nicht wegen dir persönlich. Zu allem Übel weißt du, dass es tief in dir noch einen Teil gibt, der nichts lieber tun würde, als sich an ihn zu lehnen und ihm all deine Probleme auf die breiten Schultern zu laden.

In dem, was ihre innere Stimme ihr sagte, steckte ein Fünkchen Wahrheit, wie Mallory widerwillig zugeben musste. Denn schon allein der Wunsch, Gabriel würde sich um sie kümmern, war sehr beunruhigend. Noch ein Grund, weswegen sie sich von ihm fernhalten musste, und um genau das zu erreichen, hatte sie dem restlichen Geld, das sie ihm noch schuldete, einen kurzen Brief beigelegt.

Und wenn sich ihre Wege wieder kreuzen sollten? Dann hatte Mallory vor, ihn so zu behandeln wie früher, und das hieß, wie einen entfernten, aber amüsanten Bekannten. Was er auch tat oder sagte, sie würde nur lächeln, höflich Konversation machen und dann wieder ihrer Wege gehen, sodass ihre Würde, ihre Tugend und ihr Herz unversehrt blieben.

Plötzlich fühlte sie sich wieder stark und konnte das tun, was sie eigentlich tun sollte, sich nämlich endlich ganz auf das Interview konzentrieren. „Ich habe neun Jahre für den Ball gearbeitet“, sagte sie zu ihrer früheren Schulkameradin. „Seit der Highschool.“

„Ach ja?“ Nikki nickte, als wäre ihr das neu.

„In all dieser Zeit habe ich die verschiedensten Komitees geleitet, und deshalb sind mir alle Aufgabenbereiche vertraut, egal ob es um die Organisation des Unterhaltungsprogramms, die Spendenregistrierung, die Bewirtung oder die Werbung geht, Ich denke, das gibt mir einen ganz guten Überblick über alles, was getan werden muss und von wem und wann.“

„Ja, das stimmt wohl.“ Nikki tippte sich mit dem rechten Zeigefinger an die Wange. „Aber letztes Jahr haben wir einige Änderungen vorgenommen. Soviel ich weiß, warst du nicht dabei, oder?“

„Nein.“

„Bist du nicht von deinem Komitee zurückgetreten?“

„Ja.“ Obwohl es ihr schwerfiel, schaffte Mallory es, mit ruhiger Stimme zu sprechen. „Das stimmt.“ Um genau diese Zeit vor einem Jahr wurden die ersten Gerüchte über ihren Vater in Umlauf gebracht. Mallory war davon überzeugt gewesen, dass alles nur ein Irrtum war. Schockiert, wie schnell Leute, die sie ihr ganzes Leben lang kannte, bereit waren, das Schlimmste zu glauben, hatte sie beschlossen, Denver zu verlassen, bis ihr Vater die Dinge geklärt hatte.

Was er natürlich nie tat.

Sie hob unwillkürlich das Kinn. „Ich lerne schnell, und ich nehme an, dass alles, was ich wissen muss, in den Unterlagen deiner vorigen Event-Manager zu finden sein wird. Und falls ich etwas übersehen sollte …“, sie zwang sich zu einem Lächeln, „… wirst du oder eine andere Mitarbeiterin, die sich auskennt, bestimmt froh sein, mich zu korrigieren.“

„Davon kannst du beruhigt ausgehen“, bestätigte Nikki trocken.

Die Unterhaltung lief nicht unbedingt wie erhofft, aber Mallory ermahnte sich, nicht in Panik zu geraten. Sie hatte immer noch die Chance, die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden.

Mühsam bezwang sie ihren Stolz und beugte sich vor. „Wenn du mir die Gelegenheit geben willst, zu zeigen, was ich kann“, sagte sie ernst, „verspreche ich dir, dass du es nicht bereuen wirst. Ich werde härter arbeiten als alle anderen Bewerberinnen, die du vielleicht sonst noch in Betracht ziehst.“

Nikki stieß plötzlich einen Seufzer aus wie jemand, dessen Geduld auf eine harte Probe gestellt wird. „Ich finde, du solltest wissen, dass April, die vorige Event-Managerin, nicht einfach gegangen ist. Sie wurde gefeuert.“

„Oh.“ Diese Neuigkeit war erstaunlich, da Mallory wusste, dass so etwas in der fünfundfünfzigjährigen Geschichte dieser traditionsreichen Veranstaltung noch nie vorgekommen war.

„Genau, oh. Als sie anfing, dachten wir alle, was für ein Glück wir hatten, weil sie so tüchtig war und alles im Griff zu haben schien und weil sie ständig auch Aufgaben übernahm, die sonst von den Ehrenamtlichen erledigt wurden. Aber wie wir kürzlich entdeckten, war sie von Anfang an überfordert, und als sich die Probleme zu häufen begannen, schob sie sie einfach beiseite und gab vor, sie existierten gar nicht.“

„Was für Probleme?“

Zum ersten Mal seit Beginn des Interviews sah Nikki aus, als wäre ihr etwas unbehaglich. „Nun ja … wie es aussieht, gibt es da viele kleine Einzelpunkte. Beispielsweise Rechnungen diverser Lieferanten, die nicht bezahlt wurden, eine unvollständige Liste der diesjährigen Sponsoren, und außerdem ist kein einziges Programm oder Flugblatt erstellt, geschweige denn zur Druckerei geschickt worden. Dann kommt noch die Tatsache hinzu, dass wir bis jetzt noch niemanden gefunden haben, der sich an dem großen Abend um das Musikprogramm kümmert.“

Mallory überlegte. Es klang zwar, als würde es sich um einen riesigen Berg an Aufgaben handeln, wenn man alles wieder in den Griff bekommen wollte, aber keins der Hindernisse schien ihr unüberwindbar zu sein.

„Außerdem wissen wir noch nicht, wo die Modenschau stattfinden soll“, fügte Nikki hinzu.

Mallory sah sie fassungslos an. „Aber sie findet doch immer im Botanischen Garten statt.“

„Nicht mehr. Offenbar hatten sie sich vor Jahren dazu entschlossen, keine Spendenveranstaltungen anderer Organisationen zuzulassen, aber wir waren eine Ausnahme, weil Mrs. Wentworth bei uns und bei ihnen Ausschussmitglied war. Als ihre Gesundheit sie allerdings letztes Jahr zum Rücktritt zwang, hatten wir plötzlich auch keine Sonderstellung mehr. Nur dass April vergaß, das zu erwähnen.“

Mallory musste Nikki recht geben. Das war wirklich ein Problem, da die meisten Säle, die groß genug waren für ein solches Ereignis, schon längst von anderen Organisationen gebucht worden waren. Aber Mallory war sicher, dass sie eine Lösung würde finden können, und das würde doch wohl ihre Aussichten auf einen späteren, dauerhafteren Job verbessern.

Sie straffte die Schultern. „Mir ist klar, dass es nicht leicht sein wird, aber ich bin sicher, dass ich es schaffen kann.“

„Das bedeutet wahrscheinlich, dass du den Job nehmen würdest, wenn man ihn dir anbietet?“

„Ja.“ Mallory sandte insgeheim ein Stoßgebet zum Himmel. „Ja, das würde ich.“

„Na gut.“ Nikki schloss die Akte mit einem Knall.

Mallory sah sie verblüfft an. „Heißt das … ich bin eingestellt?“

„Ja, das heißt es wohl.“ Nikki lächelte schwach. „Da der Ausschuss sowieso schon entschieden hat, dass der Job dir gehört, wenn du einverstanden bist.“

„Wirklich?“ Mallory war zu fassungslos, um sich über das offensichtlich unnötige Kreuzverhör zu ärgern, das Nikki mit ihr veranstaltet hatte.

„Ja. Aber sicherlich nur, weil sie so kurzfristig niemanden finden konnten. Alle wirklich qualifizierten Leute arbeiten an anderen Projekten.“

„Sicher.“ Sie hatte den Job. Sie war die neue Event-Managerin für „Bedazzled“. Mit ihrem Gehalt und Cousin Ivans Erbschaft konnte sie endlich anfangen, in die Zukunft zu blicken, statt sich damit zu beschäftigen, wie sie die nächsten Tage und Wochen überlebte. Sie musste sich zurückhalten, um Nikki nicht zu packen und mit ihr im Zimmer herumzutanzen. Was bei Nikkis feindseliger Haltung bestimmt keine besonders gute Idee wäre.

„Also“, sagte Nikki mit einem ungeduldigen kleinen Seufzer. „Wann kannst du anfangen?“

Mallory zögerte keinen Moment. Je schneller sie mit der Arbeit begann, desto schwieriger würde es für den Ausschuss sein, seine Meinung zu ändern. „Sofort, wenn du willst.“

„Das wäre wohl das Beste. Seit April gegangen ist, scheint niemand mehr zu wissen, was alle anderen gerade tun. Natürlich wirst du zuerst einige Formulare ausfüllen müssen.“ Sie öffnete die Akte wieder, nahm ein paar Papiere heraus und hielt sie Mallory hin. „Hier. Die üblichen Dinge, Name, Adresse, medizinische Informationen und so weiter. Ich nehme an, dass du dabei keine Hilfe brauchst?“

„Nein, das geht schon.“

„Dann lasse ich dich also damit allein.“ Nikky warf ihr perfekt gestyltes langes blondes Haar in den Nacken und stand auf. „Wenn du fertig bist, komm zu mir, und ich werde dir dein Büro zeigen und dir ein paar Schlüssel und ein Exemplar des aktuellen Veranstaltungsplans geben. Wie du feststellen wirst, stehen viele Dinge auf dem Programm. Los geht’s dieses Wochenende mit einer Party bei den O’Keefes auf Lone Tree.“

„Danke.“ Sie spürte einen kleinen Anflug von Unruhe, als sie überlegte, wie sie zu dieser exklusiven Gegend kommen sollte, beschloss dann aber, sich später darüber Sorgen zu machen. Im Moment wollte sie sich erst mal darüber freuen, dass sie einen anständigen Job hatte und wieder nach vorn blicken konnte.

Nikki zuckte die Achseln. „Meine Wahl wärst du nicht gewesen, Mallory. Ich tue nur, was man mir aufgetragen hat. Wenn es nach mir ginge, wärst du nicht in Betracht gezogen, geschweige denn genommen worden, egal wie dringend wir jemanden für diesen Posten gebraucht hätten. Und ich bin sicher, dass viele Leute es ähnlich sehen wie ich. Dein Vater hat viele Menschen hintergangen, und ich bin nicht die Einzige, die das nicht vergessen hat.“

„Ich werde daran denken“, sagte Mallory leise.

„Tu das“, erwiderte Nikki kühl und ging mit schwingenden Hüften hinaus.

Mallory sah ihr einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. Im Vergleich zu allem, was sie durchgemacht hatte, war Nikkis Verhalten nur ein kleiner Stolperstein auf ihrem Weg. Sicher, die Ungerechtigkeit, für die Betrügereien ihres Vaters beschuldigt zu werden, ärgerte sie, und der Gedanke, als bezahlte Angestellte in ihren alten Kreise zurückkehren zu müssen, war mehr als nur ein wenig erschreckend, aber sie würde es überleben. Das Wichtigste war, dass sie den Job bekommen hatte.

Der Gedanke daran hob ihre Stimmung. Wieder musste sie gegen den Wunsch ankämpfen, aufzuspringen und wie ein aufgedrehter Teenager durch den Raum zu tanzen. Aber solche Neuigkeiten kamen einem immer irgendwie unwirklich vor, wenn man sie nicht mit jemandem teilen konnte.

Sie öffnete schon ihre Handtasche und griff nach ihrem Handy, als ihr klar wurde, dass der einzige Mensch, der ihre Begeisterung begreifen würde, Gabriel war.

Mallory zog ihre Hand hastig wieder zurück, als hätte sie Angst, gebissen zu werden. Du liebe Güte! Wie kam sie denn darauf? Das stimmte doch gar nicht. Und selbst wenn doch, war er der letzte Mensch auf Erden, den sie anrufen würde, da er es trotz all ihrer Beteuerungen als Zeichen betrachten würde, dass sie ihn doch wiedersehen wollte.

Was nicht wahr war. Es geht einfach nicht, sagte sie sich und fing an, die Formulare auszufüllen, die Nikki ihr dagelassen hatte. Wenn ihr etwas an ihrem eigenen Seelenfrieden lag, dann musste Gabriel – so unglaublich er auch küssen konnte – ein für alle Mal ein Teil jener Vergangenheit werden, mit der sie abschließen wollte.

Gabriel spürte, wie ihn ein leiser Schauer durchrieselte, als Mallory am Samstagabend auf der Cocktailparty im Rahmen des „Bedazzled“-Programms erschien.

Er nahm einen Schluck von seinem Wein, hörte sich bis zum Schluss an, was die zierliche Blondine an seiner Seite zu sagen hatte, und sah dann unauffällig zu Mallory hinüber. Sie stand immer noch am Eingang zum Saal. Heute hatte sie ihr goldbraunes Haar hochgesteckt, sodass man ihren schlanken Hals sehen konnte, und ein enges silberfarbenes Kleid, das es irgendwie schaffte, sowohl zurückhaltend als auch umwerfend sexy auszusehen, schmiegte sich an ihre sensationellen Rundungen.

Sie sah zum Anbeißen aus.

Ein unkluger Gedanke, denn Gabriels Körper begann prompt auf die Vorstellung einer aufregenden Mallory zu reagieren, die sich nackt vor ihm in verführerischer Pose rekelte. Hastig wandte er den Blick ab, nahm noch einen Schluck von seinem Wein und drehte sich wieder zu seiner attraktiven Begleiterin um, die ihn verwundert ansah.

Er hob eine Augenbraue. „Was ist?“

„Ich habe mich gefragt, warum du mir angeboten hast, mich heute Abend herzubegleiten“, sagte seine Schwägerin Lilah. „Jetzt weiß ich Bescheid.“

Er hielt ihrem aufmerksamen Blick stand. „Und wenn ich sage, dass ich keine Ahnung habe, wovon du redest?“

Sie lächelte. „Dann würde ich dir nicht glauben.“

„Nein?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie legte unbewusst schützend eine Hand auf ihren deutlich gerundeten Bauch und sah zum Eingang hinüber. „Das da drüben ist doch Mallory Morgan, oder?“

Er folgte ihrem Blick und sah, dass Mallory mit zwei sehr einflussreichen Ausschussmitgliedern sprach, die auch zu den Gründern des Wohltätigkeitsvereins gehörten, den beiden weißhaarigen Schwestern DeMarco, die zufällig auch seit Langem Kundinnen von Steele Security waren. „Ja.“

„Dachte ich mir doch. Wir haben uns in den letzten paar Tagen ständig am Telefon verpasst, bevor wir endlich miteinander reden konnten.“

„Wieso?“ Annalise, die ältere der beiden Schwestern, lächelte über etwas, das Mallory sagte, während Eleanor eher reserviert und skeptisch wirkte.

„Das ist eine lange Geschichte, aber sie hat dazu geführt, dass ich mich bereit erklärt habe, einen neuen Ort für unsere jährliche Modenschau zu finden. Sie ist die neue Event-Managerin. Was übrigens schon für sich genommen einen kleinen Aufruhr verursacht hat.“

Gabriel sah sie stirnrunzelnd an. „Inwiefern?“

„Sagen wir einfach mal, dass einige meiner ehrenamtlichen Mitarbeiter sich wegen ihrer Einstellung Gedanken machen.“

„Was für Gedanken?“

Lilah zuckte die Achseln. „Das liegt doch auf der Hand. Kann man ihr vertrauen? Ist sie wirklich qualifiziert genug? Werden sie ihre Handtaschen verstecken müssen, wenn sie in der Nähe ist?“

„Das ist doch wohl ein Scherz, oder?“

„Ich wünschte, das wäre so. Aber wenn es um ihr Geld geht, sind die meisten Menschen leider ziemlich nachtragend.“ Lilah hielt inne und nahm einen Schluck aus ihrem Wasserglas. „Man munkelt auch, dass es bei ihrer Einstellung nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll.“ Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn nachdenklich. „Ganz offensichtlich hat jemand, der über viel Einfluss verfügt, sich für sie eingesetzt, aber niemand scheint zu wissen, wer dieser Jemand ist.“

„Schau mich nicht so an. Wie ich schon sagte, bin ich nur hier, um die Gesellschaft meiner schwangeren Lieblingsschwägerin zu genießen.“

Lilah öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und überlegte kurz, bevor sie sagte: „Mach mir nichts vor, Gabriel. Wir wissen beide, dass du in Wirklichkeit hier bist, weil Dominic dich gebeten hat, auf mich aufzupassen, während er in London ist.“

„Ja, sicher, das auch“, gab er offen zu und hielt einen Mann auf, bevor dieser aus Versehen Lilah anrempelte. „Und was ist daran falsch?“

„Nicht das Geringste. Nur dass Dominic noch vor mir im Krankenhaus landen wird, wenn er nicht aufhört, sich ständig solche Sorgen zu machen. Und tu nicht so, als ob sein Verhalten nicht völlig übertrieben wäre. Ich habe neulich mit Cooper gesprochen, also weiß ich, dass ihr ihn alle hinter seinem Rücken als reif für die Klapsmühle bezeichnet.“

Gabriel hätte gelächelt, wenn er nicht die Sorge in ihren Augen gelesen hätte. „Er wird schon wieder normal werden, Lilah“, sagte er leise. „Es ist nur, dass er ein Mann ist, der es gewohnt ist zu handeln, und bei deiner Schwangerschaft muss er tatenlos abwarten, bis sie zu ihrem natürlichen Ende kommt. Das ist für ihn sehr schwierig, also wundert es mich nicht, dass er sich so … verhält.“

„So verrückt?“, schlug sie trocken vor.

„Genau. Es ist nur ein Ratschlag, aber du würdest ihm einen Gefallen tun, wenn du wenigstens für eine Weile versuchen könntest, nicht ganz so unabhängig zu sein. Wenn Dominic mehr zu tun hätte, würde er sich vielleicht weniger hilflos fühlen. Früher hat es ihm jedenfalls immer geholfen, wenn er beschäftigt war. Je mehr er zu tun hatte, desto weniger geriet er in Schwierigkeiten.“

Lilah sah ihn kurz an und nickte dann. „Daran hatte ich gar nicht gedacht, aber vielleicht hast du recht. Vermutlich habe ich mich so bemüht, ihn nicht zu beunruhigen, dass ich ihm das Gefühl gegeben habe, ihn nicht zu brauchen. Und nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.“ Sie lächelte ihn voller Zuneigung an. „Du bist eigentlich ziemlich scharfsinnig für einen Mann.“

„Danke.“ Er erwiderte ihr Lächeln.

Im nächsten Moment kamen einige Leute zu ihnen und erkundigten sich nach Lilahs Schwangerschaft und nach Dominics Abwesenheit und diskutierten das Wetter, den bevorstehenden Ball und die Fähigkeiten der neuen Event-Managerin.

Es verging eine ganze Weile, bevor Lilah und Gabriel wieder allein waren. Sie sah sich interessiert in der Menge um, aber Gabriels Blick ruhte nur auf Mallory.

Sie stand neben einem älteren Paar und hörte ihnen mit einem interessierten Blick aus dem schönen Gesicht zu. Doch dann drehte sie sich plötzlich zur Seite und sah zu Gabriel herüber, als wären sie durch irgendein unsichtbares Band miteinander verbunden, und einen Moment lang war es, als wären sie die einzigen Menschen auf der ganzen Welt.

Der Moment hielt allerdings nicht an, denn fast sofort erstarrte Mallory, hob leicht das Kinn an und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu.

„Weißt du, Mallory und ich haben dieselbe Highschool besucht“, sagte Lilah zu ihm. „Die Taylor Union. Mallory war ein paar Klassen unter mir, weil sie jünger ist als ich, aber selbst damals hatte sie einen schlechten Ruf.“

Er runzelte die Stirn. „Als was?“

„Sie galt als ganz schön wild. Ich erinnerte mich vage an eine Geschichte über ein mitternächtliches Pferderennen, das den Golfplatz des Fairlawn Country Clubs zerstörte. Und irgendwie ist mir auch ein Gespräch meiner Großeltern im Gedächtnis geblieben, als ich das erste Mal in den Frühlingsferien vom College nach Hause kam. Sie sagten, wie schändlich es doch wäre, dass Cal Morgan ihr einfach erlaubte zu tun, was sie wollte. Damals ist sie mit ihren Freunden zum Karneval nach Rio geflogen. Ich bin nicht ganz sicher, aber sie kann damals kaum älter als sechzehn gewesen sein.“

Gabriel versuchte, es sich vorzustellen, aber er konnte nicht. Es war so weit von seinen eigenen Kindheitserfahrungen entfernt wie Paris von einer Kleinstadt in New Jersey. Er selbst war gezwungen gewesen, jeden Penny zu sparen und alle Kraft darauf zu verwenden, die Familie zusammenzuhalten, während sie von einer Militärbasis zur nächsten versetzt wurde. „Klingt nach einer interessanten Jugend.“

„Ja?“ Lilah lächelte sanft. „Vielleicht. Für jemanden wie dich, der mit so viel Verantwortung auf den Schultern aufwachsen musste.“

„Aber?“

„Ach, ich weiß nicht. Ich finde einfach, dass sie viel zu jung war, umso viel Freiheit zu haben und überhaupt keine Richtlinien, die sie hätten leiten können.“ Sie atmete tief ein. „Lieber Gott“, sagte sie mit einem entsetzten Stöhnen. „Ich klinge genau wie meine Großmutter.“

„Aber nein“, sagte er betont einfühlsam. „Nicht im Entferntesten.“

Sie lachten beide, und Lilah berührte seinen Arm. „Was ich sagen wollte, Gabriel … Findest du es nicht irgendwie traurig, dass niemand da war, der Regeln für sie aufstellte, und wenn es nur um ihrer eigenen Sicherheit willen gewesen wäre? Und fragst du dich nicht, was das für ein Mann gewesen sein muss, der seiner Tochter in dem Alter erlaubt, ohne Aufsicht nach Südamerika zu fliegen?“

Ein egozentrischer Mistkerl wie Cal Morgan, dachte Gabriel grimmig. Aber bevor er etwas sagen konnte, verzog Lilah plötzlich das Gesicht und presste die Hand auf den Rücken. „Oje.“

Er zuckte zusammen. „Was ist los?“

„Das viele Wasser, das ich heute Abend getrunken habe, macht sich bemerkbar“, sagte sie ruhig und schien sich nicht bewusst zu sein, dass Gabriel einen Moment kurz vor dem Herzinfarkt gewesen war. „Entschuldigst du mich einen Augenblick?“ Ohne auf seine Antwort zu warten, gab sie ihm ihr Glas und ging in Richtung Damentoilette davon.

Hin- und hergerissen zwischen Ärger, Erleichterung und Hochachtung – er würde es lieber mit einer Terroristenbande aufnehmen als mit einer einzigen schwangeren Frau –, sah er ihr nach, als sie den Saal verließ. Dann glitt sein Blick wie von einem Magneten angezogen wieder zurück zu Mallory, aber auch sie war fort. Er sah sich suchend um und sah gerade noch, wie sie durch eine der hohen Balkontüren auf die Terrasse hinaustrat.

Autor

Caroline Cross
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